Metalle II, Teil c - Lehrstuhl Metallische Werkstoffe

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Metalle II, Teil c - Lehrstuhl Metallische Werkstoffe
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Eindimensionale Fehlordnung (Versetzung)
Wie lässt sich eine plastische Verformung von mehreren Prozent erzielen?
Warum verhält sich unter bestimmten Bedingungen ein duktiler Werkstoff spröde?
Warum verändern sich die Festigkeitskennwerte in Abhängigkeit von der Temperatur
unterschiedlich?
...
Für den Brückenschlag zwischen Werkstoffeigenschaften und den Mechanismen in Gefüge
und Struktur werden bei Metallen die Versetzungen herangezogen werden. Die Versetzungen
durchziehen als Linien den Kristall und bilden für die Werkstoffeigenschaften von Metallen
entscheidende Instabilitäten.
==> Schlüsselstellung dieses Kapitels für das Verständnis der Verformung und
Wärmebehandlung
Theoretische und tatsächliche Schubfestigkeit
Scherung γ
γ ≈ tan γ = x/a
Scherspannung τ
im elastischen Fall gilt:
τ = G⋅γ
Theoretischer Verlauf der Schubspannung bei Annahme eines sinusförmigen Verlaufs beim
Abgleiten zwischen zwei als starr angenommenen Gitterebenen.
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Annahme: Sinusförmiger Spannungsverlauf: τ = c ⋅ sin
τ≈c⋅
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2πx
für kleine Auslenkungen x ist:
a
2πx
a
mit der Definition des Schubmoduls
G := τ/γ = τ⋅a/x
=>
τ = G⋅x/a
c = G/(2⋅π) ≈ G/6
==>
somit ergibt sich τ(x) ≈ G/6 sin
2πx
und eine maximale Schubspannung bei x = a/4 zu:
a
τmax.theor. ≈ G/6
Verbesserte theoretische Ansätze, welche die interatomaren Kräfte besser berücksichtigen
ergeben τth ≈ G/30. Diese theoretischen Werte werden nur für nadelförmige Einkristalle
(Whisker, Längen zu Durchmesserverhältnis von ≈ 100) erreicht. Ansonsten ergibt sich:
Material
Schubmodul
[MPa]
theoretische Schub-
gemessene Schubfestigkeit
bei RT [MPa]
festigkeit τth [MPa]
Fe
83.000
2.700
20
Al
27.000
900
1
Whisker:
Graphit
Fe
700.000
210.000
25.000
7.000
20.000
12.000
Die Unterschiede von mehreren Größenordnungen an realen Kristallen erklärt sich über die
Störungen im Kristallaufbau, insbesondere über die Versetzungen. Es bewegt sich eine
"Gleitwelle" über die Ebene. Dadurch erfolgt die Verschiebung der Atome nicht mehr
gleichzeitig, sondern nacheinander. Im zeitlichen Ablauf sind nur die unmittelbar der
Versetzungslinie benachbarten Atome beteiligt.
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Entstehung einer Versetzung im Kugelmodell: a) ungestörter Aufbau; b) Entstehung der
Versetzung am Ort x; c) Wanderung; d) ungestörter Aufbau mit der oberen Reihe gegen die
untere um einen Abstand verschoben.
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Ähnliche Modelle
Versetzungen in kubisch-primitiver Struktur (Versetzungstypen)
Entstehung einer Stufenversetzung. Die obere Hälfte des Kristalls steht unter
Druckspannungen, die untere unter Zugspannungen. Das Ende der eingeschobenen Halbebene
ist die Versetzungslinie.

Neben der Versetzungslinie (Linienvektor) ist noch der Burgersvektor b einzuführen. Diese
beiden Vektoren bestimmen die Versetzung vollständig. Der Burgersumlauf wird einmal im
ungestörtem und einmal im gestörten Kristall durchgeführt. Der Verbindungsvektor zwischen
Umlauf im gestörten und Umlauf im ungestörtem Kristall ist der Burgersvektor. Zur
Vorzeichenkonvention gilt für eine Stufenversetzung: Die eingeschobene Halbebene liegt in
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
 

der Richtung in die der Vektor s x b zeigt (Schraubenversetzung: s ↑↑ b => right-hand

screw RHS, s ↑↓ b => LHS).
Konvention: fsrhbg (finish → start, right hand, bad → good)



Burgersumlauf um eine Stufenversetzung. Der Winkel zwischen s und b beträgt 90°. s zeigt
in die Zeichenebene hinein.


Modell zur Bildung einer Schraubenversetzung mit zugehörigem Burgersumlauf. s und b

sind parallel. s (Pfeil in Bildmitte) zeigt nach vorne links.
  
In Versetzungsknoten ergibt sich der Erhaltungssatz für die Burgersvektoren: b1 + b 2 + b 3 = 0.
Versetzungslinien können prinzipiell nur in Knoten, Fehlstellen (z.B. Ausscheidungen),
Korngrenzen oder an der Oberfläche enden. Bewegungsrichtungen von Knoten können
berechnet werden durch den Vergleich der Linienspannungen der angreifenden Versetzungen
(siehe Glatzel, Forbes, Nix, Phil. Mag.).
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Burgersumläufe (mit Linienvektoren vom Knoten wegführend) werden um die einzelnen
Versetzungen sowie um die Versetzung 2 und 3 durchgeführt.
Darstellung einer gemischten Versetzung. In A liegt eine RHS-Schraubenversetzung, in C
eine Stufenversetzung (eingeschoben Halbebene nach oben). Offene Kreise sind die
Atompositionen oberhalb der Gleitebene, schwarze Punkte die Positionen unterhalb der
Gleitebene.
Die Bewegung einer Versetzungslinie erfolgt in der Gleitebene, senkrecht zur Linie. Eine
Versetzung kann im Kristall nicht enden! Das heißt die Versetzungslinie ist entweder im
Kristall geschlossen, bildet Knoten oder endet an der Kristalloberfläche.
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Direkte Abbildung einer Stufenversetzung in Silizium mit Hilfe der hochauflösenden
Durchstrahlungselektronenmikroskopie. Helle Punkte entsprechen der Position von
Atomsäulen in der dünnen Folie. Das untere Bild zeigt die Sicht unter einem flachen Winkel
in Richtung der eingeschobenen Halbebene.
Quergleiten einer reinen Schraubenversetzung
vor einem Hindernis.
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Gleit- und Quergleitspuren in einem
Kupfereinkristall.
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Ausbreitung einer gemischten Versetzung mit der Bildung einer Gleitstufe.
Versetzungsring. Breitet sich dieser Versetzungsring über den gesamten Kristall aus, d.h. er
wandert bis zur Oberfläche, so entsteht eine Stufe vom Betrag und Richtung des
Burgersvektors. Das obere Viertel des Kreises entspricht dem vorhergehenden Bild.
Klettern einer Stufenversetzung durch Anlagerung von Leerstellen (L). Die
Leerstellenanlagerung muss entlang der gesamten Versetzungslinie erfolgen. Die
freiwerdenden Atome nehmen die Plätze der Leerstellen ein.
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Entstehung von Sprüngen (engl. Kinks) durch lokales Versetzungsklettern einer
Stufenversetzung
Durch Leerstellenausscheidung entstandener
Versetzungsring (Frank-Versetzung).
Der Versetzungsring kollabiert im kfz-Gitter
zum Stapelfehler.
Ist eine Quelle vorhanden, die ständig Versetzungsringe emittiert, so ergibt sich eine
makroskopische Gleitstufe an den Austrittslinien der Gleitebene.
Makroskopische Verformung und Versetzungslaufwege
Die Scherung γ ist bei einer Kristallhöhe H gegeben zu:
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γ = b/H
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Ist die Versetzung nur eine Strecke x im Kristall vorangeschritten ergibt sich δ =
makroskopisch meßbare Verformung ∆ gilt:
∆=
n
∑ δi =
i =1
und für die makroskopische Scherung:
γ=
x
⋅b. Für die
L
b n
∑ xi
L i =1
b
∆
b n
x⋅n
=
xi =
∑
H⋅L
H
H ⋅ L i =1
Mit dem mittleren Laufweg x und der Zahl der Versetzungen n.
Bildung einer Gleitstufe beim Durchlaufen einer Versetzung durch den Kristall.
Proportionalität zwischen Versetzungslaufweg und Abgleitung beim Durchlaufen einer
Versetzungslinie durch einen Teil des Kristalls
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Definition der Versetzungsdichte als Linienlänge pro Volumen. Mit der Einheit m-2. Der
mittlere Abstand zwischen den Versetzungen ist dann gegeben durch
1
ρ
.
Die Zahl der Versetzungen (Versetzungsdurchstoßpunkte) pro Fläche entspricht der
Versetzungsdichte:
ρ=
n
H⋅L
==>
γ = ρ⋅b⋅ x
Genau genommen entspricht die Dichte ρ der Dichte der gleitenden Versetzungen. Da neben
den gleitfähigen Versetzungen immer auch nichtgleitfähige Versetzungen vorhanden sind
ergibt sich, dass ρGes. > ρ ist. Das heißt, das mit zunehmender Verformung auch die
Versetzungsdichte zunehmen muß. Damit ergibt sich durch eine begrenzte Versetzungsdichte
auch ein begrenztes Formänderungsvermögen.
Versetzungsdichte
[m-2]
Material
mittlerer Abstand zwischen
den Versetzungen
107
sehr gute Einkristalle
≈ 300 µm
Realkristalle
≈ 1 – 10 µm
nach Kaltverformung
≈ 10 nm
10
12
10 – 10
10
16
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unverformter Ausgangszustand,
zweiphasige
Nickelbasissuperlegierung CMSX-4,
frei von Versetzungen.
Versetzungsdichte ρ ≈ 1011 m-2
Nach 1h Kriechverformung bei
850°C, Spannung σ = 500 MPa bis
zu einer Dehnung von 0.14%.
ρ ≈ 1013 m-2
Lastachse
Nach 230h Kriechverformung bei
850°C, σ = 500 MPa bis zu einer
Dehnung von 0.6%.
ρ ≈ 1014 m-2
Lastachse
Abbildung des Verzerrungsfeldes um Versetzungen (schwarze Linien) mit Hilfe des
Beugungskontrastes im Transmissionselektronenmikroskop (mittlere Vergrößerung mit
~27.000-fach, d.h. immer noch ca. 30 mal höher vergrößert als beste Lichtmikroskopische
Aufnahme).
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Bei der Hochtemperaturverformung annihilieren sich die Versetzungen (löschen sich
gegenseitig aus) auf Grund ihrer höheren Beweglichkeit und somit lassen sich höhere
Verformungen erzielen als bei der Kaltverformung => Warmformgebung.
Exakte 3-dimensionale Darstellung der Scherung durch Abgleiten auf einem Gleitsystem i:


γ i = ρi b i x i
 bˆ ⊗ n̂ 
 i
i 


mit dem dyadischen oder tensoriellen Produkt (outer product):
 b1 n 1

 
bi ⊗ n i =  b 2 n1
b n
 3 1
b1 n 2
b2 n 2
b3 n 2
b1 n 3 

b2 n3 
b 3 n 3 
Beanspruchungsgeschwindigkeit und -temperatur
Entscheidend für die Dynamik der Verformung ist die Versetzungsgeschwindigkeit. Im
Werkstoff können sich Spannungen nur bis zu einer Höhe aufbauen, bei der sie durch
abgleitende Versetzungen, d.h. plastische Verformung wieder abgebaut werden. Daraus ergibt
sich ein Zusammenhang zwischen Beweglichkeit der Versetzungen, Spannungszustand,
Verformungs- und Bruchverhalten.
Es gilt:
γ = b⋅ρ⋅ x
mit der mittleren freien Weglänge x für die Bewegung einer
Versetzung. Differenzieren nach der Zeit ergibt:
∂γ
= γ = b⋅ρ⋅ v
∂t
Dies besagt, dass die erzielbare Verformungsgeschwindigkeit proportional zur
Gleitversetzungsdichte, dem Betrag des Burgersvektors und der mittleren
Versetzungsgeschwindigkeit v ist. Die einzelnen Größen der rechten Seite sind nicht
unabhängig voneinander.
Die theoretische Obergrenze für die Versetzungsgeschwindigkeit ist die
Schallgeschwindigkeit (im Bereich von 3-5 km/s). Für eine Schraubenversetzung gilt:
 ∂2
∂2
 2 + 2
∂y
 ∂x

ρ ∂ 2u z
u z =
G ∂t 2

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Hier ist ρ das spezifische Gewicht des Materials. Dies ist identisch mit der Wellengleichung
für die Transversalwelle mit c 2t =
G
. Dies ergibt bei einer Versetzungsdichte von 1012 m-2
ρ
(Versetzungsdichte in Realkristallen) bis 1016 m-2 (kaltverformtes Material) ein γ max von ca.
105 - 1010 1/s.
Eine anschauliche Erklärung ist durch die Bewegung der Atome gegeben. Durchläuft eine
Versetzung den Kristall, so müssen die Atome beschleunigt und gebremst werden. Dies führt
zu Energieabstrahlung in Form von Gitterwellen. Die Kinetik ist stark vom
Versetzungscharakter abhängig. => Es wird angenommen, dass eine Stufenversetzung ca.
10-50 schwächer gebremst wird als eine Schraubenversetzung, im Gegensatz dazu ist die
Linienenergie einer Schraubenversetzung um ca. 50% geringer als die einer Stufenversetzung
(siehe das übernächste Kapitel).
In realen Werkstoffen ist die Versetzungsbeweglichkeit nochmals stark eingeschränkt. Die
freie Weglänge zur Beschleunigung steht nicht zur Verfügung, andere Gitterbaufehler
bremsen, bzw. behindern die Bewegung.
Die Einflussgrößen auf die Versetzungsbeweglichkeit wirken nur in geringem Maße auf die
Bindungskräfte zwischen den Atomen. Übersteigt die Streckgrenze (Beginn der Spannung,
die den Beginn der Versetzungsbewegung kennzeichnet) die Bruchfestigkeit σB, so ergibt sich
sprödes Werkstoffverhalten.
Stark vereinfachte Interpretation der Gleichung:
ε = b⋅ρ⋅ x
Wird die Versetzungsbeweglichkeit stark behindert ( x → 0), so verringert sich die
Sicherheitsspanne, der Werkstoff hat kein Formänderungsvermögen mehr (da γ → 0).
Dadurch steigt zwar die Elastizitätsgrenze (σ0.2 nimmt zu), aber der Werkstoff verhält sich
spröde.
=> In der Regel haben festigkeitssteigernde Maßnahmen eine versprödende Wirkung, die sich
in einer Zunahme der Kerbschlagempfindlichkeit äußern.
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Spannungs-Dehnungs-Schaubilder für:
Werkstoff mit plastischem FormänderungsWerkstoff ohne plastisches Formänderungsverhalten (duktiler Werkstoff). Versetzungs- verhalten (spröder Werkstoff). Bruch tritt vor
der Versetzungsbewegung ein.
bewegung tritt ein, bevor σB erreicht wird.
In Einkristallen sehr hoher Reinheit können drei Bereiche im Zugversuch unterschieden
werden. Die Verfestigung (Steigung im Spannungs-Dehnungsdiagramm) ist im Bereich
gering (easy-glide Bereich). Sie ist im Bereich II größer und konstant. Die Versetzung
behindern sich auf Grund der zunehmenden Dichte gegenseitig. Im Bereich III sind die
Spannungen so groß, dass Hindernissen durch Quergleiten bei Schraubenversetzungen und
Umklettern bei Stufenversetzungen umgangen werden können. Damit werden
Gleitbehinderungen aufgehoben und die Verfestigung nimmt wieder ab. Auch gegenseitige
Auslöschung ist möglich.
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Schubspannungs-Abgleitungskurven von sehr reinen Einkristallen.
In vielkristallinen, technischen Werkstoffen ergibt sich nach Überschreiten der Streckgrenze
ein Verlauf, der dem Bereich III der Einkristallverformung ähnelt. Das Aufreißen der
Bindungen zwischen den Atomen ergibt sich wenn das plastische Formänderungsvermögen
erschöpft ist.
Die plastische Verformung erfolgt über Versetzungsbewegungen. Diese Versetzungsbewegungen führen jedoch auch zu einer Versetzungsmultiplikation da die
Wahrscheinlichkeit, dass Versetzungen sich sehr nahe kommen und dadurch eine
Wechselwirkung auftritt steigt. Dies führt zu einer Zunahme der Versetzungsdichte, was in
den nächsten Schaubildern veranschaulicht wird.
Die Festigkeitssteigerung durch Kaltverformung beruht auf einer Erhöhung der
Versetzungsdichte.
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Verlauf von Festigkeit und Streckgrenze in Abhängigkeit der Höhe der Kaltverformung.
Die Umwandlungshärtung (Martensithärtung) von Stahl bewirkt hohe innere Spannungen
durch zwangsgelöste Kohlenstoffatome. In diesen Spannungsfeldern ist die
Versetzungsbeweglichkeit erheblich eingeschränkt.
Schematische Darstellung des Spannungs-Dehnungs-Diagramms eines Vergütungsstahls in
Abhängigkeit von der Wärmebehandlung.
gehärtet (martensitisch)
vergütet (gehärtet und
normalgeglüht (weich)
angelassen)
Metalle, die sich durch Aushärtung verfestigen lassen (z.B. Aluminiumlegierungen) gewinnen
ihren Festigkeitszuwachs durch feindispers ausgeschiedene Zweitphasen. Auch diese
blockieren bzw. behindern Gleitvorgänge.
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Auch die Bauteilgeometrie kann mehrachsige Spannungszustände erzeugen, die sich auf die
Versetzungsbewegung stark behindernd auswirken. Hierzu gehören z.B. auch Schweißnähte
(metallurgische Kerben).
Einfluss einer mehrachsigen Beanspruchung, z.B. durch Kerben oder Schweißeinflusszonen.
Auch die Tieftemperaturversprödung lässt sich durch die Beweglichkeit von Versetzungen
erklären. Versetzungen können Sprünge aufweisen. Durch diese Sprünge ist die
Beweglichkeit stark von den nulldimensionalen Fehlstellen abhängig. Mit zunehmender
Temperatur nimmt die Beweglichkeit der nulldimensionalen Fehlstellen (i.A. den Leerstellen)
zu und somit können die Versetzungen kleine Hindernisse leichter überwinden. D.h. der
Werkstoff wird mit zunehmender Temperatur duktiler, mit abnehmender Temperatur spröder.
DBTT
Abhängigkeit der Bruchspannung angerissener Teile von der Fehlergröße und der Temperatur
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Dies wird als spröd-duktil Übergangstemperatur bezeichnet, im Englischen: ductile to brittle
transition temperature, oder TDBTT.
T < TDBTT
mittlere Temperatur
hohe Temperatur
(Crack Arrest Temperature)
auch ein rissfreies Bauteil
erleidet einen
verformungslosen Sprödbruch
Spannungszustand in der
Rissspitze bestimmt das
Formänderungsverhalten
ein sich ausbreitender Riss
wird durch das hohe
Formänderungsvermögen des
Werkstoffs aufgefangen
Kräfte und Spannungen an einer Versetzungslinie (Peach-Koehler Kraft)
Die Peierlsspannung τP ist nötig um eine Versetzung durch den Kristall zu bewegen. Sie läßt
sich aus der periodischen Schwankung der potentiellen Energie der sich durch das Gitter
bewegenden Versetzungslinie erklären.

Der Körper stehe unter reiner Scherbeanspruchung, d.h. eine Kraft F wirkt parallel zur
Grund- und Deckfläche eines quaderförmigen Volumenelementes. Es wirkt die
Schubspannung:
τ=

F
L⋅T
Schubspannung τ
Die Verschiebung des Volumens ergibt sich zu:


b
dδ = dx dadurch wird die Arbeit
L
 
b
dW1 = F ⋅ dδ = τ⋅L⋅T dx
L
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geleistet.
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
Diese Arbeit muß gleich sein einer Arbeit, die von einer virtuellen Kraft f auf die
Versetzungslinie (d.h. Einheit von Kraft/Länge) zu leisten ist.


dW2 = f ⋅T⋅ dx
Zur Herleitung der Peach-Koehler Kraft
Es ergibt sich:
f⋅T⋅dx = τ⋅T⋅b⋅dx
<==>
f = τ⋅b
Aus einer vektoriellen Herleitung folgt die Kraft pro Versetzungslänge zu:



F PK = - ŝ × (σ b )
Als Peach-Koehler-Kraft. Die Peach-Koehler Kraft ist somit grundsätzlich senkrecht zur
Versetzungslinie. Das ergibt einen konstanten Betrag der Gleitkraft in Richtung des
Burgersvektors auf eine Versetzung (unabhängig von ihrem Linienvektor) auf Grund eines
Spannungsfeldes σ (3x3 Matrix) zu:
  
FG = n̂ σ b
Für die Komponente der Kletterkraft gilt:
ˆ  
FK = − b e σ b

mit dem Stufenanteil des Burgersvektors b e .
Aus dem Aufbau der Versetzungen ergibt sich außerhalb des Versetzungskernes eine
elastische Verzerrung des Gitters. Die elastischen Dehnungen und Spannungen können über
die linear elastische Theorie aus dem Verschiebungsfeld der Versetzungen berechnet werden.
Das Verschiebungsfeld ergibt sich wiederum aus der Zylindersymmetrie und dem Burgersumlauf.
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Spannungsfeld einer Versetzung
Das Verzerrungsfeld einer Schraubenversetzung im isotropen Medium (Schubmodul G und
Poissonkonstante ν) wird hergeleitet zu (right-hand-screw, d.h. Linienvektor und
Burgersvektor parallel und in z-Richtung):




0


b 
u Schraube ( x , y, z) =
0


2π 
 y 
 arctan x  
 

Das einer Stufe zu (Linienvektor || z, Burgersvektor || x):

xy
y

+ arctan 
2
2
2(1 − ν)( x + y )
x




− x2
b 
1 − 2ν
−
u Stufe ( x , y, z) =
log x 2 + y 2
2
2

2π 2(1 − ν)( x + y ) 4(1 − ν)


0



(












)
Aus dem Verschiebungsfeld ergibt sich das lokale Dehnungsfeld (Tensor 2. Stufe) zu:
εij =
∂u j
1 ∂u i
(
+
)
∂x i
2 ∂x j
und das Spannungsfeld um eine Versetzung aus der linear elastischen Theorie. Sowohl für
Schrauben- als auch für Stufenversetzungen lässt sich zeigen, dass das Spannungsfeld
reziprok zum Abstand zur Versetzungslinie r =
σ Schraube
x 2 + y 2 abfällt.
 0 0 − y

Gb 
=
0
0
x


2 π r2 

− y x 0 
oder in Zylinderkoordinaten:
σ Schraube
0 0 0

Gb 
=
0 0 1
2πr

 0 1 0  r ,θ , z
für eine Stufenversetzung:
σ Stufe

 − y (3x 2 + y 2 ) x ( x 2 − y 2 )
0

Gb
1 
2
2
2
2
x
(
x
y
)
y
(
x
y
)
0
=
−
−


2 π (1 − ν) r 4 
2
0
0
− 2ν y r 

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In beiden Fällen sieht man, dass das Spannungsfeld mit 1/r abnimmt.
Im isotropen Medium und mit dem Winkel α zwischen Linien- und Burgersvektor gilt, ohne
Berücksichtigung der expliziten Richtungsabhängigkeiten:


σ gemischte Versetzung ≈ σ Schraube  cos α +
1

sin α 
1 −ν

Zusammenhang zwischen Versetzungsdichte und äußerer Spannung
Das Spannungsfeld einer Versetzung nimmt mit 1/r ab. Der mittlere Abstand zwischen den
Versetzungen beträgt 1/ ρ , mit der Versetzungsdichte ρ. Somit kann ein Versetzungswald
eine äußere Spannung neutralisieren, wenn die die Versetzungsdichte quadratisch mit der
Spannung steigt:
|σext.| ≈ σVers. ~
mit Vorfaktoren: σback stress =
1 1
≈
=
r
x
G b R 1
G b R
ln  
=
ln  
2 π  r0  x
2 π  r0 
 Taylor-Beziehung
ρ
ρ ≈Gb ρ
 σ 

ρ ≈ 
G
b


2
(Bed.: Temperatur hoch genug um Gleichgewichtsabstand einzustellen)
Abhängigkeit der Versetzungsdichte von der Schubspannung für Kupfer bei Raumtemperatur.
Die Taylor Beziehung ρ ~ σ2 ist über einen weiten Bereich erfüllt.
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Natural Creep Law ("natürliches Kriechgesetz")
Unter der Annahme, dass bei hohen Temperaturen die Versetzungsgeschwindigkeit
proportional zur äußeren Spannung ist (Herleitung im nachfolgende Kapitel "Wechselwirkung
von Versetzungen mit 0-dimensionalen Fehlstellen"):
v~σ
und der oben hergeleiteten Taylorbeziehung mit
 σ 

ρ ≈ 
G b
2
ergibt sich mit
ε = ρ⋅b⋅v
die Kriechgeschwindigkeit ε zu:
2
 σ 
σ3
ε ~ 
 ⋅b⋅σ = 2
G b
G b
oder speziell die Abhängigkeit der Dehnrate von der außen anliegenden Spannungen zu:
 natural creep law
ε ~ σ3
Mit einem Spannungsexponent, oder Norton-Exponent von n = 3. Diese Abhängigkeit wird
bei hohen Temperaturen im stationären Bereich der Kriechkurve bei vielen Materialien
beobachtet (siehe Ashby und Frost, Deformation Mechanism Maps). Spannungsexponenten >
3 (bis zu 12-15 bei oxiddispersionsverfestigten (ODS-) Materialien, Stichwort
Schwellspannungskonzept) sind meist auf starke Behinderung der Versetzungsbewegungen
zurück zu führen.
Linienenergie einer Versetzung
Aus der elastischen Verspannung des Gitters ergibt sich eine Linienenergie für die
verschiedenen Versetzungstypen. Die Linienenergie wird berechnet indem man die
Versetzung gedanklich halbiert und die eine Hälfte aus einem großen Abstand R0 auf die
andere Hälfte zu bewegt. Durch die Wechselwirkungskräfte (siehe unten) ergibt sich eine
Kraft pro Länge, das Integral Kraft mal Weg von R0 bis zum inneren Abschneideradius r0 ≈ b
ergibt eine Energie pro Versetzungslänge.
Für isotropes Material und einem Winkel α zwischen dem Burgersvektor und der
Versetzungslinie ergibt sich die Linienenergie zu:
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ULα =
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G ⋅ b2  R  
ν

ln  1 +
sin 2 α 
4 ⋅ π  r0   1 − ν

Die Abschneideradien R und r0 sind nötig, da ansonsten die Linienenergie gegen unendlich
gehen würde. Der obere Abschneideradius R entspricht dem mittleren Abstand zwischen den
Versetzungen (mehrere µm), der untere r0 dem Gitterparameter oder wenige b.
Oft wird der Vorfaktor
R
a
1
, ist
ln  = 1, gesetzt. Mit R = 73 µm, r0 = 0,25 nm =
4 ⋅ π  r0 
2
R
1
ln  = 1,00.
4 ⋅ π  r0 
Wichtig ist die Abhängigkeit zu b2 und, dass Stufenversetzungen um den Faktor 1/(1-ν) ≈ 3/2
größere Linienenergie als Schraubenversetzungen besitzen. Somit gilt für eine
Schraubenversetzung:
UL ≈ G⋅b2
Für Kupfer ergibt sich mit r0 = 2,5⋅10-10 m, R = 10-4 m, G = 48 GPa und b = 2.55⋅10-10 m für
eine Schraubenversetzung:
ULSchraube = 3,1⋅10-9 J/m.
für eine Stufenversetzung mit ν = 0,34:
ULStufe = 4,8⋅10-9 J/m.
Es ergeben sich Linienenergien von Versetzungen in der Größenordnung von 10-9 bis
10-8 J/m.
Die Linienenergie einer Versetzung nimmt mit ihrer Bewegungsgeschwindigkeit im Kristall
zu (vergleiche das Kapitel "Beanspruchungsgeschwindigkeit und -temperatur":
UL =
U L0
1−
v2
c 2t
mit ct der transversalen Schallgeschwindigkeit des Materials.
92
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Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Versetzungen liegen, im Gegensatz zu Leerstellen, nur mit einer extrem geringen Dichte im
thermodynamischen Gleichgewicht vor. Bildungsenergie einer Leerstelle QL ≈ 1 eV, k⋅T bei
1000°C ca. 0,11 eV  Leerstellenkonzentration: cL ≈ 10-4.
Versetzungen, Beispiel Kupfer (Gitterebenenabstand a = 3,6⋅10-10 m, Linienenergie
UL ≈ 4⋅10-9 J/m): Für jedes Atom des Versetzungskernes (Abstand ist der Betrag des

Burgersvektors b ), welches die eingeschobene Halbebene beendet, ergibt sich eine Energie
von QVers.atom ≈ 5 eV. Und damit im thermodynamischen Gleichgewicht bei 1000°C eine
Dichte von nur cVers.atom ≈ 8⋅10-23! Ein Kupfer-Einkristall der Größe von 1 m3 enthält
4/(3,6⋅10-10 m)3 = 8,6⋅1028 Atome. Die Zahl der Versetzungsatome in 1 m3 ist somit 7⋅106
Atome. Diese aneinandergereiht ergibt eine Länge von 2 mm. Damit ergibt sich die
Gleichgewichts-Versetzungsdichte zu 2⋅10-3 m-2. In Realkristallen liegt die Versetzungsdichte
im Bereich von 10+7 bis 10+16 m-2.
Linienspannung
Der Versetzungslinie kann neben ihrer Energie auch eine Linienspannung zugeordnet
werden, vergleichbar einem Gummiband. Die Linienspannung ergibt sich aus dem
Widerstand der Versetzung gegen einer Krümmung der Linie. Sie ergibt sich aus der Energie
bei einer infinitesimalen Auslenkung θ zu
T = UL +
∂2UL
∂θ 2
Im isotropen Material ergibt sich eine Linienspannung von (Seite 313, paper Phil. Mag.
Glatzel, Forbes, Nix):
Tisotropic =
ν
G ⋅ b2  R  

ln  1 +
sin 2 θ + 2 cos(2θ) 
4 ⋅ π  r0   1 − ν

[
]
Die Linienspannung hat dieselbe Einheit wie die Linienenergie und liegt auch betragsmäßig
in derselben Größe.
Eine Versetzung, die an zwei Punkten mit dem Abstand L verankert ist, wird sich durch die
Einwirkung einer äußeren Kraft durchbiegen. Die Linienspannung versucht die Versetzung
als Gerade beizubehalten.
93
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
L
2⋅r⋅θ
θ
T⋅sinθ
T
T
r
θ
Die Durchbiegung ergibt sich anschaulich aus einer erhöhten Linienenergie auf Grund der
Längenzunahme verursacht durch die Durchbiegung. Die gedachte Gegenkraft muss die
Energie Wextern = τext.⋅b⋅(2⋅r⋅θ) aufbringen. Die Energiezunahme auf Grund der Durchbiegung
beträgt WDurchb. = 2⋅T⋅sinθ ≈ 2⋅T⋅θ ≈ 2⋅UL⋅θ. Somit ergibt sich der Radius der Durchbiegung
zu:
r=
G⋅b
τ ext
Falls die Spannung so groß ist, dass sich ein perfekter Halbkreis ergibt, kann das Hindernis
überwunden werde. Es liegt dann 2⋅r = L vor und es ergibt sich die Orowan-Spannung τOrowan
im Kräftegleichgewicht bei genauer Berechnung des Kreisbogens:
τOr = 0.84
Gb
Gb
≈
L
L
Die Orowan Spannung wird benötigt um eine Versetzung komplett zwischen zwei
Hindernissen hindurch zu bewegen. Dies hat eine weitreichende Bedeutung. Je näher wir
Hindernisse in einer Legierung zusammen bringen, umso höher die Festigkeit.
Beispiel Nickelbasis-Superlegierung CMSx-4 nach Wärmebehandlung: γ' Volumenateil von
~ 70%, würfelförmige Ausscheidungen, Matrixkanalbreite 40 - 100 nm. G ~ 95 GPa (Matrix
bei 1000°C). b = 360 pm/ 2 = 255 pm, daraus folgt:
τOr ≈ 600 MPa für 40 nm Abstand zwischen den γ' Teilchen
τOr ≈ 240 MPa für 100 nm Abstand zwischen den γ' Teilchen
Dies ist im Bereich der wirkenden Fliehkräfte in einer Gasturbinenschaufel. Durch
Vergröberung der γ' Ausscheidungen mit der Zeit bei einer Temperatur ab 1000°C nimmt
diese Spannung mit der Zeit ab.
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Festigkeissteigerung durch Mischkristallverfestigung (Cu-Co gelöst), durch
Ausscheidungsverfestigung (Cu-Co ausgeschieden) oder durch verfestigende Teilchen oder
Dipersoide (Cu-BeO in Dispersion).
Wir können die Fließspannung τ einer Kupferlegierung durch Mischkristallverfestigung
steigern. Durch weitere Zugabe von Co, ergeben sich Co-Ausscheidungen (hcp), die aber
noch von Versetzungen geschnitten werden können. Eine sehr effektive Festigkeitssteigerung
ergibt sich, wenn die Hindernisse nicht von Versetzungen geschnitten werden können und die
Hindernisse sehr fein dispergiert vorliegen (kleines L), wie z.B. bei dispersionsgehärteten
Legierungen. Auch bei Nickelbasissuperlegierungen wirken die nah beieinander liegenden
γ' Ausscheidungen als Hindernisse und die Versetzungen müssen sich durch die schmalen
Matrixkanäle "quälen" (siehe mittleres Bild auf Seite 73 im Skript H2a).
Versetzungsvervielfachung (Versetzungsquelle)
Ist die außen anliegende Kraft groß genug so wirkt eine verankerte Versetzungslinie als
Versetzungsquelle und emittiert immer weitere Versetzungsringe (Frank-Reed-Quelle), so
lange, bis die Rückspannung durch aufgestaute Versetzungen so groß wird, dass eine
Multiplikation verhindert wird. Siehe dazu die Animation von Versetzungsbewegungen, und
auch zu Versetzungsquellen in:
http://zig.onera.fr/DisGallery/
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Ausbreitung einer verankerten Versetzungslinie. Die von der Versetzungslinie überschrittene
Fläche ist abgeglitten.
Frank Read Quelle in Silizium, Dash (1957). Lichtmikroskopische Aufnahme, Versetzung
wurde durch die Dekorationstechnik sichtbar gemacht: Fremdatome lagern sich an den
Versetzungskern an und verändern den Brechungsindex.
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Konzentrische Ringe um eine Versetzungsquelle in Al3.5Mg, TEM-Aufnahme (1962)
Wechselwirkung zwischen Versetzungen und Nulldimensionalen Fehlstellen (CottrellWolken)
Eine Wechselwirkung ergibt sich aus der Anlagerung von Fremdatomen in dem
Spannungsfeld von Versetzungen. Dies findet insbesondere durch bewegliche
Zwischengitteratome mit kleinerem Atomradius als derjenigen der Matrixatome statt (z.B.
Stickstoffatome in unlegierten Stählen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt, in Tiefziehblechen).
Durch Cottrell-Wolken blockierte
Versetzungen in einem gealterten Stahl
Durch Vorverformung (Dressieren) von den
Cottrell-Wolken gelöste Versetzungen
Während der Glühung haben sich Stickstoffatome in der Nähe der Versetzungskerne
angelagert. Sie setzen somit die Spannungsfelder um die Versetzungslinien herab. Wird das
Material verformt muß eine höhere obere Streckgrenze σeH überwunden werden, so dass sich
97
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
die Versetzungen von den Cottrell-Wolken lösen. Die nun freien Versetzungen bewegen sich
unter einer niedrigeren Spannung, der unteren Streckgrenze σeL. Die Verformung ist somit
lokalisiert in Bereichen einer lokalen Spannungserhöhung. Es entstehen sog. Lüders-Bänder,
die sich durch die Probe hindurch bewegen.
Gealterter (bei hohen Temperaturen
ausgelagerter) Werkstoff mit oberer und
unterer Streckgrenze
Ungealterter Werkstoff mit kontinuierlichem
Übergang vom elastischen in den plastischen
Bereich
Inhomogene Verformung durch Bildung von Lüders-Bändern bei der Zugbeanspruchung
eines gealterten Stahls.
Wechselwirkung zwischen Versetzungen und Nulldimensionalen Fehlstellen
(Versetzungsklettern)
Eine große Bedeutung spielt die Wechselwirkung von Versetzungen mit Leerstellen bei
hohen homologen Temperaturen (T > 0.4⋅TSchmelzpunkt). Es ist dann möglich, dass sich
98
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Stufenversetzungen, bzw. Versetzungen mit Stufenanteil auch senkrecht zu ihrer Gleitebene
bewegen. Dies führt ebenfalls zu einer plastischen Verformung.
Schematische Darstellung des Kletterprozesses über den Mechanismus der Diffusion, z.B.
hervorgerufen durch eine horizontal angelegte Druckkraft.
Die Kletterkraft einer reinen Stufenversetzung (bei einer Schraubenversetzung beinhaltet der
nachfolgende Ausdruck zudem noch den Gleitanteil) ergibt sich durch Projektion der PeachKöhler-Kraft auf die Gleitebene zu:
ˆ  


   
FK = F PK ⋅ n = − ŝ × σ b ⋅ n̂ = − b e σ b
[ ( )]
Wird nun eine Leerstellen entsprechend der Abbildung oben eingebaut, so ergibt sich ein
Energiegewinn von:
∆W = FK⋅b2
da FK die Kraft pro Versetzungslänge ist, FK⋅b die Kraft auf die Fläche b2 darstellt. Somit
ergibt sich in skalaren Größen (strenggenommen ist hier mit σ nur der Kletteranteil des
Spannungstensors gemeint):
∆W = σ⋅b3 = σ⋅Ω
mit dem Atomvolumen Ω = b3. Analog zur Herleitung der Leerstellendichte ergibt sich bei
einer außen anliegenden Spannung eine Absenkung, bzw. Anreicherung der
Leerstellenkonzentration von:
c- = c0 e
− σb 3
kT
Versetzung klettert nach oben (eingeschobene Halbebene verkleinert sich), z.B.
horizontale Druckkräfte im Bild oben
c+ = c0 e
+ σb
kT
3
Versetzung klettert nach unten (eingeschobene Halbebene vergrößert sich) , z.B.
horizontale Zugkräfte im Bild oben
Diese unterschiedlichen Leerstellenkonzentrationen ober-, bzw. unterhalb der Versetzungen
im Vergleich zur Gleichgewichtsleerstellenkonzentration ergeben einen Fluss von Leerstellen
99
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Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
•
hin zum Versetzungskern im Fall einer horizontalen Druckkraft (die Versetzung ist eine
Leerstellensenke)
• weg von der Versetzung im Fall einer horizontalen Zugkraft (die Versetzung ist eine
Leerstellenquelle)
Der Leerstellenfluss ist proportional dem Konzentrationsunterschied (erstes Fick'sches Gesetz


J = −D ∇c ).
Im Allgemeinen spielt der Fluss von Substitutionsatomen beim Versetzungsklettern eine stark
untergeordnete Rolle, da deren Beweglichkeit im Vergleich zu den Leerstellen deutlich
eingeschränkt ist.
Es lässt sich zeigen, dass die Geschwindigkeit der Versetzungskletterbewegung proportional
zu der Differenz der Leerstellenkonzentration ist, z.B.:
 σb

- c0) = DV⋅c0⋅  e kT − 1




3
+
⋅(c+
vc ~ DV
Für kleine Spannungen (100 MPa) ist σ⋅b3 = 0,01 eV << k⋅T = 0,11 eV (bei 1000°C) und die
Exponentialfunktion lässt sich linearisieren zu:
vc+ ~ DV⋅c0⋅
σ b3
kT
Die Klettergeschwindigkeit der Versetzung ist somit proportional zur Spannung und steigt
exponentiell mit der Temperatur und der Aktivierungsenergie der Selbstdiffusion an:
vc+ ~ DV⋅σ = D0⋅ e
− QSelbstdiffusion
kT
⋅σ
Somit gibt sich das "natural creep law" (siehe das eigene Kapitel vorher)über
Versetzungsklettern mit einem Spannungsexponenten n von 3 und einer Aktivierungsenergie
der Selbstdiffusion:
ε ~ σ ⋅ e
3
− QSelbstdiffusion
kT
Wechselwirkungen von Versetzungen miteinander
Mit den oben angegebenen Spannungsfeldern von Versetzungen lassen sich
Wechselwirkungskräfte einer Versetzung auf die andere über den Peach-Köhler Formalismus
berechnen. Prinzipiell fallen die Wechselwirkungskräfte mit 1/r ab.
100
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Parallele Versetzungen mit Burgersvektor gleichen Vorzeichens stoßen sich ab, mit
verschiedenem Vorzeichen ziehen sich an:
  2
UL1 ≈ G⋅b12, UL2 ≈ G⋅b22, UL,ges ≈ G⋅ b1 + b 2 = G (b12 + b22 + 2⋅ b1⋅b2⋅cosα)
Dies ergibt, dass parallele Versetzungen mit Burgersvektoren, die einen Winkel < 90°
zueinander bilden sich anziehen, und bei > 90° sich abstoßen.
Für Stufenversetzungen ergeben sich die Kräfte zu (schwarz: negative Kräfte, weiß: positive
Kräfte):
10
10
5
5
0
0
-5
-5
y
FG
FK
x
-10
-10
-5
5
0
Gleitkräfte
10
-10
-10
-5
0
5
10
Kletterkräfte
Wichtig sind hierbei die sog. Spiegelkräfte. Liegt eine Versetzung in der Nähe einer freien
Oberfläche, so sind die Randbedingungen an der Oberfläche σxz = σyz = σzz = 0 zu
befriedigen. Diese Randbedingungen lassen sich durch die Einführung einer an der freien
Oberfläche gespiegelten Versetzung mit entgegengesetztem Vorzeichen erzielen. Das
bedeutet, dass eine Versetzung von einer freien Oberfläche angezogen wird.
Schrauben- und Stufenversetzung im Abstand d von einer freien Oberfläche.
Liegt die Versetzung in der Nähe eines Übergangs zu einem unendlich steifen Medium sind
die Randbedingungen εxz = εyz = εzz = 0 zu erfüllen. Dies erfolgt durch eine Spiegelversetzung
mit gleichem Vorzeichen. Die Versetzung wird von dieser Grenzfläche abgestoßen.
101
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Temperaturabhängigkeit der Auswirkung der Versetzungswechselwirkungen:
Im Spannungs-Dehnungsdiagramm bei niedrigen Temperaturen ergibt sich im Allgemeinen
eine Verfestigung:
∂σ
>0
∂ε
bzw.
∂σ
>0
∂t
Die Versetzungsdichte ρ steigt kontinuierlich an (dρ+, hardening h).
Bei hohen Temperaturen sind die Versetzungen so beweglich (Stichwort: "klettern",
"nichtkonservative Bewegung", "Quergleiten"), dass energetisch günstige Konfigurationen
eingenommen werden können und/oder sich Versetzungen gegenseitig auslöschen
(annihilieren) können. Da Versetzungen nicht im thermodynamischen Gleichgewicht sind,
werden die Linienenergien bei genügend hohen Temperaturen und Zeiten abgebaut. Im
Material findet somit ein Abbau der inneren Spannungen oder eine Entfestigung statt:
∂σ
<0
∂t
,bzw. die Versetzungsdichte nimmt ab (dρ-, recovery r).
Die Versetzungsdichte verringert sich zeitabhängig (∂t) über gegenseitige Auslöschung,
Wanderung zu Oberflächen (siehe Spiegelkräfte) oder zu Korngrenzen.
Die durch die Verformung (abhängig von der Dehnungsänderung ∂ε) erhöhte
Versetzungsdichte
∂ρ
∂ε
wird durch die Umordnung infolge von diffusionsgesteuerten Prozessen durch Erholung
wieder vermindert. Erzeugung und Verminderung der Versetzungsdichte unter thermischer
Einwirkung ergibt dann einen stationären Zustand, d.h bei einer von außen vorgegebenen
konstanten Spannung ergibt sich eine konstante Dehngeschwindigkeit ε (oder die
Dehngeschwindigkeit ist vorgegeben und es stellt sich eine konstante Spannung ein). Analog
nimmt die Versetzungsdichte einen stationären Wert an (wichtig: nur bei genügend hohen
Temperaturen). Das heißt Verfestigung und Entfestigung sind betragsmäßig gleich groß:
102
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
dρ = 0 => stationärer Zustand
ρ
ρ0
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Verfestigung überwiegt
t oder ε
Das totale Differential der Versetzungsdichte ergibt sich zu:
 ∂ρ 
 ∂ρ 
dρtotal =   ⋅ dt +   ⋅ dε = r⋅dt + h⋅dε
 ∂t 
 ∂ε 
Im stationären Zustand ergibt sich eine konstante Versetzungsdichte und somit:

-r⋅dt = h⋅dε
εsteady state = -
r
= const. > 0
h
dρtotal = 0 = r⋅dt + h⋅dε

dε
r
=dt
h
bzw.:
Dies erklärt über die, für den Kletterprozess notwendige, Diffusion auch die
Temperaturabhängigkeit:
ε ss (σ, T) = ε 0 ⋅ σ n ⋅ e
− Q Kriechen
k ⋅T
mit der Aktivierungsenergie QKriechen ≈ QSelbstdiffusion und einem Spannungsexponenten von ca.
3, je nach Abhängigkeit der Geschwindigkeit des Versetzungskletterns von der Spannung
(siehe "Wechselwirkung von Versetzungen mit 0-dimensionalen Fehlstellen"). Durch die bei
höheren Temperaturen stärker ermöglichten Diffusionsvorgänge mit einer
− QSD
Temperaturabhängigkeit wie e k⋅T wird auch die Beweglichkeit der Versetzungen gesteigert.
Um zu einer höheren Warmfestigkeit zu gelangen muss somit die Versetzungsbeweglichkeit
vermindert werden (Ausscheidungen einer zweiten Phase => Nickelbasissuperlegierungen).
Schneiden sich zwei Versetzungen entstehen Sprünge in den Versetzungslinien.
103
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Schneidprozeß zwischen zwei Stufenversetzungen, deren Burgersvektoren einen rechten
Winkel zueinander bilden. Die Versetzungslinie X-Y ist in sich selbst um den Betrag des
Burgersvektor der Linie A-B verschoben.
Schneidprozeß zwischen zwei Stufenversetzungen mit parallelem Burgersvektor. Die Sprünge
der Versetzungslinien haben Schraubencharakter.
Schneiden sich zwei Schraubenversetzungen so entstehen Sprünge mit Stufencharakter. Diese
Sprünge können nun nicht mehr in der in der ursprünglichen Gleitebene der Schrauben
gleiten. Die eingeschobene Halbebene muß sich verlängern oder verkürzen. diese Bewegung
wird als nicht konservative Bewegung bezeichnet und ist nur durch Erzeugung oder
Vernichtung von Leerstellen, bzw. Zwischengitteratomen möglich.
Bei zunehmender Zahl von Schneidvorgängen entstehen immer mehr schwer bewegliche
Versetzungsabschnitte (nicht bewegliche kinks) => Verfestigung des Werkstoffes.
104
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Versetzungsaufstau
Eine Versetzungskonfiguration, die häufig nach plastischer Verformung beobachtet wird ist
ein Aufstau von Versetzungen. Er wird hervorgerufen durch die Emission von Versetzungen
auf einer Gleitebene ausgehend von einer Versetzungsquelle. Trifft die führende Versetzung
auf ein Hindernis (z.B. Korn- oder Phasengrenze) so stauen sich die nachfolgenden
Versetzungen auf. Auf Grund der abstoßenden Kräfte der gleichsinnigen Versetzungen tritt
keine Rekombination ein. Die elastischen Spannungsfelder der Versetzungen Wechselwirken
miteinander. Der Abstand zwischen den Versetzungen wird kleiner je kleiner der Abstand
zum Hindernis ist.
Lineare Anordnung eines Aufstaus von Stufenversetzungen vor einem Hindernis unter einer
von außen anliegenden Schubspannung τ.
Versetzungsaufstau an einer γ'/Matrix-Phasengrenze in einer Nickelbasissuperlegierung
(Übersicht und Ausschnittvergrößerung, Dr.-Arbeit Uwe Glatzel, TU-Berlin 1990)
Die Spannung τ1 auf die führende Versetzung 1 ergibt sich durch die von außen angelegte
Schubspannung τext. plus die von jeder der (n-1) verbleibenden Versetzungen wirkende
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Spannung τn,
mit n ≠1.
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Bewegt sich die führende Versetzung um δx, so rücken auch alle
nachfolgenden Versetzungen um δx auf. Dies ergibt eine verrichtete Arbeit ∆W = n b τext. δx.
Das Hindernis (z.B. die Korngrenze) wirkt mit einer Gegenkraft τcrit. auf die führende
Versetzung. Dies ergibt bei Bewegung um δx eine Energieänderung von ∆W* = b τcrit. δx. Im
Gleichgewicht sind die beiden Energiebeiträge gleich groß und somit ist:
τ1 = N τext.
Durch einen Versetzungsaufstau lässt sich somit die Spannung auf die führende Versetzung
deutlich erhöhen. Die Quelle wird weiterhin Versetzungen emittieren, solange die
Rückspannung der letzten Versetzung kleiner ist als τ. Der Abstand zwischen Versetzung i
und (i-1) verhält sich wie
∆x i =
bG 1
1
1
~
(für eine große Anzahl von Versetzungen im Aufstau)
( N − i + 1) 2π τ ext .
i
Die Zahl der Versetzungen ergibt sich aus dem Abstand der Quelle zum Hindernis und ist hier
ohne Herleitung gegeben (siehe Hirth & Lothe, p. 767ff). Im Fall, dass die Quelle sich im
Zentrum des Kornes befindet, ist dies d/2 (bei Korndurchmesser d).
N=
==>
τcrit. =
d τ ext .
Gb
2
d τ ext
.
Gb
bzw.:
τext. =
τ crit . ⋅ G ⋅ b
d
Bei Annahme einer konstanten Korngrenzenfestigkeit τcrit. = τKG, ergibt sich:
τ ext . ~
1
d
Somit ist über einen Versetzungsaufstau eine Herleitung für den Zusammenhang zwischen
Korngröße und Streckgrenze gegeben (Hall-Petch).
Korngrößeneinfluss (Hall-Petch-Beziehung)
Aus der obigen Herleitung lässt sich das makroskopische Verformungsverhalten als Funktion
der Korngröße ableiten. Der mittlere Laufweg ist von der Korngröße abhängig. Das heißt ein
grobkörnigerer Werkstoff hat zu Beginn der Verformung eine größere mittlere freie Weglänge
für Versetzungen, bzw. die Möglichkeit mehr Versetzungen aufzustauen, bevor sie auf ein
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Hindernis (die Korngrenze) treffen. Damit hat der grobkörnige Werkstoff eine geringere
Streckgrenze.
Der freie Laufweg von Versetzung abhängig von der Größe eines Kristallits und von
Versetzungshindernissen (z.B. feindispers ausgeschiedene Zweitphase).
Für hinreichend große Korndurchmesser lautet die empirisch ermittelte Hall-PetchBeziehung:
σ0.2 = σ0 +
k
n
d
Mit dem Korndurchmesser d, einer Reibungsspannung σ0 und der Korngrenzenhärte k als
Konstanten (die τcrit. beinhaltet), n ist ≈ 2.
Für technische Metalle ist die Hall-Petch Beziehung nur bedingt gültig, da Ausscheidungen
die mittleren Laufwege zusätzlich erheblich verkürzen können. Für sehr kleine Korndurchmesser ist ein Versetzungsaufstau nicht mehr möglich und die Hall-Petch-Beziehung bricht
zusammen.
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
σ − σ0
k
25 nm
.5
6.3
d −0nm
2.8 nm
2⋅1015 m-2 3⋅1016 m-2
3⋅1016 m-2
1
d
Abweichung von der Hall-Petch Beziehung für Korngrößen kleiner 10 – 20 nm.
von Mises Kriterium:
Für eine beliebige Veränderung eines Volumenelementes benötigen wir 6 voneinander
unabhängige Dehnungsgrößen: εxx, εyy, εzz, εyz, εxz, εxy. Bei plastischer Verformung gehen wir
jedoch von einer Volumenkonstanz aus, d.h. für eine beliebige plastische Verformung
genügen 5 Dehnungsgrößen um diese zu beschreiben, da εxx + εyy + εzz = 0.
Für die Abgleiten auf einem Gleitsystem ergibt sich eine plastische Verformung von:
 0 1 0



ε' = γ  1 0 0 
 0 0 0  ˆ 

 b,n̂ ,p̂
(
)
  
mit p̂ || b × n . Mit der Transformationsmatrix
b
  1
R =  b2
b
 3
n1
n2
n3
p1 

p2 
p 3 
ergibt sich die Dehnung im kartesischen Koordinatensystem zu:
   
ε = R −1 ε ' R
Wenn die Burgersvektoren und Gleitebenen jeweils voneinander abhängig sind (als
Linearkombinationen darstellbar) sind die Gleitsysteme voneinander abhängig. Für eine
beliebige plastische Verformung auf Grund von Gleitprozessen benötigen wir 5 voneinander
unabhängige Gleitsysteme. Es kann nicht mehr als 5 voneinander unabhängige Gleitsysteme
108
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
in einem Kristall geben, da durch Gleitprozesse keine Volumenänderung möglich ist (bei
Phasenumwandlungen mit Volumenänderungen kommt ein zusätzlicher Freiheitsgrad hinzu).
fcc
bcc
hcp
Gleitbenenen
<111>
<110> und/oder <112>
Basalebene [0001]
Burgersvektor
a/2 <110>
a/2 <111>
a/3 <11 2 0>
Anzahl der Gleitsysteme
12
12 oder mehr
3
Zahl voneinander unabhängigen Gleitsysteme
5
5
2
duktil, geringe
Festigkeit
duktil, hohe Festigkeit
spröde
Ni, Cu, Pb
Fe, Mo, Ta
Mg, Be, Ti
Mechanische
Eigenschaften
Beispiele
Zusammenfassung: Bedeutung der Versetzungen (zum 1. Mal)
• Versetzungsmechanismen beeinflussen das plastische Formänderungsvermögen über den
gesamten Temperaturbereich ( ε = ρ⋅b⋅v):
-
T < TDBTT: Versetzungen eventuell nicht beweglich, bzw. zu langsam → Sprödbruch
-
0 < T < 0,4⋅Tm: Versetzungsgleiten: je nach Kristallsystem stehen Gleitsysteme zur
Verfügung (siehe auch von Mises Kriterium später) die zu einer plastischen
Verformung beitragen.
-
T > 0,4⋅Tm: Weitere Gleitsysteme werden aktiviert (krz) und Wechselwirkung mit
Leerstellen erhöht die Beweglichkeit der Versetzungen drastisch (gleiten +
Versetzungsklettern) → zeitabhängige plastische Verformung (Kriechen). Technisch
-
bedeutsam bis Tm.
Reine Diffusionsprozesse durch Leerstellenbewegung spielen für die plastische
Verformung keine Bedeutung (jedoch für Konzentrationsverschiebungen, Diffusion
von der Oberfläche, ... ).
• Spannungsfeld um eine Versetzung: σVers ≈ G⋅b/r (Langreichweitig).
• Linienenergie: UL ≈ G⋅b2 (≈ Linienspannung) für elastisch isotrope Materialien.
2
 σ 
 und natural creep law ε ~ σ3, da v ~ σ
• bei hohen Temp.: Taylor-Beziehung ρ ≈ 
G b
mit Hindernissen:
• Orowanspannung: σOrowan ≈ G⋅b/L
• σHall-Petch = σ0 +
k
d
109
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Zweidimensionale Fehlordnungen
Korngrenzen
Der Grenzbereich von einem Korn zum anderen ist näherungsweise ein flächenhafter Fehler.
Man unterscheidet zwischen Klein- (< 5°) und Großwinkelkorngrenze (≥ 5°), dann weiter in
Dreh- und Kippgrenzen. Im Allgemeinen Fall ist jedoch die Korngrenze eine Kombination
aus Dreh- und Kippgrenze. Zur exakten Definition einer Korngrenze benötigt man die


Flächennormale der Grenzfläche n , die Drehachse t und den Drehwinkel θ zwischen den
beiden Kristallen. Bei einer Drehgrenze ist die Drehachse parallel zur Grenzflächennormalen,
bei einer Kippgrenze senkrecht dazu.
Kippgrenze
Drehgrenze durch Netzwerk aus parallelen
Schraubenversetzungen
Bildung einer Kleinwinkelkorngrenze durch Ordnung vorher ungeordneter Versetzungen
110
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
tan θ =
b
d
Beziehung zwischen Kippwinkel θ einer Kleinwinkelkorngrenze und dem
Versetzungsabstand
Die Korngrenze hat somit 5 Freiheitsgrade. Es gilt:

 
θ
∑i N i bi = r × ˆt 2 sin 2

mit einem beliebigen Vektor r , der in der Grenzfläche liegt. Ni ist die Zahl der Versetzungen


mit Burgersvektor b i , die von r geschnitten werden. Die Frank'sche Regel kann direkt aus
( )
dem Burgersumlauf abgeleitet werden. Streng gültig ist diese Regel nur für
Kleinwinkelkorngrenzen: (a) planar, (b) weiter Abstand zwischen den Versetzungen, (c)
kleine Winkel θ und (d) alle Versetzungen gerade, konstanter Abstand und parallel
zueinander. Es können jedoch mehrere Schlüsse gezogen werden: Im Allgemeinen benötigen
wir drei verschiedene, voneinander linear unabhängige Burgersvektoren um eine beliebige
Korngrenze zu bilden
Durch Verformung des Ausgangsmaterials (Walzen, Schmieden, Kaltverformung, ... ) kann
die ursprünglich ungeordnete Anordnung der Korngrenzen ausgerichtet werden (=>
Texturen). Die Verteilung der Korngrenzen bestimmen das mechanische Verhalten
entscheidend (siehe u.a. Hall-Petch Beziehung σ0.2 = σ0 + k/ d ).
111
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Großwinkelkorngrenzen haben eine Dicke von 2-5 Atomlagen und es besteht keine
Kohärenzbeziehung zwischen den Körnern. Die Großwinkelkorngrenze kann eine amorphe
(Flüssigkeitsähnliche) Struktur annehmen. D.h. bei hohen Temperaturen das Material an den
Korngrenzen aufschmilzt und Gleitvorgänge in den Korngrenzen und nicht mehr innerhalb
des Gitters auf definierten Gleitebenen stattfindet. Die Rissbildung ist durch das Aufreißen
von Korngrenzen gekennzeichnet. => gerichtete Erstarrung, Einkristalle zur Anwendung bei
extrem hohen Temperaturen.
Fehlordnung in den Korngrenzen führt zur Anreicherung von Fremdatomen (z.B. Beigabe
von Hafnium, Bildung von Karbiden an Korngrenzen, Wasserstoffversprödung).
Stapelfehler
Die hexagonal dichteste Kugelpackung weist eine Stapelfolge der (0001) Ebenen nach dem
Muster ... ABABABAB ... auf. Im kfz-Gitter sind die {111} Ebenen entsprechend
... ABCABCABCABC .. angeordnet. Störungen dieser Ordnung werden als Stapelfehler
bezeichnet. Sie können während der Kristallisation im Abkühlvorgang eingewachsen sein
oder werden durch Abgleitung von Teilversetzungen erzeugt. Eine vollständige a/2 <110>
Versetzung im kfz-Gitter kann aufspalten in zwei Versetzungen vom Typ a/6 <211> unter
Bildung eines Stapelfehlers zwischen diesen Teilversetzungen.
Metall
Stapelfehlerenergie
[mJ/m2]
Schubmodul G
[GPa]
Abstand der Shockley Partials
[nm]
Al
166
26,1
1
Ni
128
76
2,9
Cu
78
48,3
3,2
Au
45
27,0
4
Ag
22
30,3
9
Stapelfehlerenergien schwanken stark für verschiedene Materialien:
Einen großen Einfluss haben auch Legierungsbestandteile. In der Regel reduzieren zusätzliche
Legierungselemente die Stapelfehlerenergie (in Bronzelegierungen ist SFE geringer als für
Cu, Al-Legierungen haben geringere SFE als Al).
112
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Kurze Stapelfehlersegmente in austenitischem Stahl. V2A-Stahl, X10CrNi18-8, bzw.
Werkstoffnummer 1.4310.


Aufspaltung der vollständigen Versetzung mit b = a/2 [110] in b1 = a/6 [211] und

b 2 = a/6 [12 1 ] in der ( 1 11) Ebene des kfz Gitters.
113
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Schnitt einer ( 1 10) Ebene des kfz Gitters mit einer aufgespalteten Stufenversetzung, die
einen Stapelfehler begrenzt. Das kfz-Gitter weist in <110>-Richtung eine ABABAB
Stapelfolge auf. Eine vollständige Versetzung kann ohne der Störung der Stapelfolge nur
durch den Einschub zweier AB Ebenen erfolgen. Es liegen zwei gleichsinnige
Teilversetzungen nebeneinander, die zwischen sich einen Stapelfehler bilden.
Versetzungslinien und Burgersvektoren liegen schräg zur Papierebene.
Antiphasengrenzen
Legierungen mit geordneter Atomverteilung (intermetallischen Phasen) erzeugt das Abgleiten
eine im Grundgitter vollständige Versetzung nun eine Störung der Ordnung, die
Antiphasengrenze. Sind die Atome abwechselnd angeordnet ( ... oxoxoxox ... ), so ist die
Antiphasengrenze eine Störung dieser Ordnung ( ... oxox|xoxoxox ... ). Die
Antiphasengrenzenergien liegen in der Größenordnung von 100 mJ/m2.
114
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Antiphasengrenze im kfz Gitter
Zwillingsgrenzen
Zwillingsgrenzen sind Großwinkelkorngrenzen mit ungestörtem Gitteraufbau und besonders
niederer Energie. Die Zwillingsebene spiegelt den Kristall von einer zur anderen Seite. Aus
der Ebenenabfolge ( ... ABCABCABCABC ... ) wird ( ... ABCABC|BACBACBA ... ). Die
Energie der Zwillingsgrenze entspricht der Hälfte der Stapelfehlerenergie. Zwillinge treten
somit bevorzugt in Materialien geringer Stapelfehlerenergie auf (Cu, Messing, austenitischen
Stählen).
115
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
(112) Zwillingsgrenze im krz Gitter
Phasengrenzen
In mehrphasigen Werkstoffen ergeben können sich kohärente (jede Gitterebene der Matrix
findet ihre Fortsetzung in der Ausscheidung oder teilkohärente (die Gitterebenen der Matrix
finden zum Teil ihre Fortsetzung in der Ausscheidung) Phasengrenzen. Im Fall der
teilkohärenten Phasengrenzflächen ergeben sich Fehlpassungsnetzwerke (Netzwerke von
Versetzungen mit Stufenanteil). Vollständig inkohärente Grenzflächen ergeben sich äußerst
selten.
kohärent
teilkohärent
Schematische Darstellung von Phasengrenzen
116
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Versetzungen in Realstrukturen unter Berücksichtigung möglicher Fehlerflächen
Prinzipiell:
Linienenergie einer Versetzung ist proportional b2 => eine Aufspaltung der Versetzung
unter Winkeln < 90° verringert die Gesamtenergie, es können dann aber zusätzliche
Flächenfehler auftreten.
von Mises Kriterium: bei plastischer Verformung bleibt das Volumen erhalten => 5
voneinander unabhängige Dehnungsgrößen (6 Dehungsgrößen im Tensor minus 1 durch
Volumenkonstanz) müssen variiert werden um eine beliebige plastische Verformung zu
ermöglichen => mindestens 5 voneinander unabhängige Gleitsysteme werden für eine
beliebige plastische Verformung benötigt.
Gleitebene: Ebene mit höchster Atom-Flächendichte.
Burgersvektor: kürzester Verbindungsvektor zwischen zwei Atomen.
Nur in sehr seltenen Spezialfällen liegt der kürzeste Verbindungsvektor nicht in der
Gleitebene.
Aufspaltung schränkt die Bewegungsmöglichkeit ein (Quergleiten von
Schraubenversetzungen nicht mehr möglich).
Bei erhöhten Temperaturen auch nichtkonservative Versetzungsbewegung möglich
(klettern) => Duktilität nimmt zu, Festigkeit ab.
Kubisch-flächenzentriertes Gitter (z.B. Al, Ni, aust. Stähle (Cr-Ni-Stähle), Cu, Ag, Au)
Legierungen dieses Kristallgitters zeigen eine gute Umformbarkeit aber auch eine hohe
Verfestigungsrate bei der plastischen Verformung. Die Festigkeit lässt sich durch
Ausscheidungshärtung beträchtlich erhöhen. Kennzeichnend für dieses Kristallgitter ist die
Aufspaltung von Versetzung (in Shockley-Partialversetzungen) und damit die Bildung von
Stapelfehlern:
a/2 [110] = a/6 [211] + a/6 [12 1 ]
Da die Linienenergie einer Versetzung ~ b2 ist, ergibt sich eine Reduzierung der
Gesamtlinienenergie. Je nach Stapelfehlenergie ist der Prozess dann begünstigt oder nicht,
bzw. die Aufspaltungsweiten groß oder gering. Durch diese Aufspaltung sind die {111}Ebenen in der sich der Stapelfehler befindet, als Gleitebenen festgelegt. Die Flächenenergie
des Stapelfehlers ist eine entscheidende Größe der kfz-Gitter.
Der Abstand zwischen den Shockley-Partialversetzungen wird über die Stapelfehlerenergie
bestimmt. Die Versetzungen stoßen sich durch Wechselwirkung ihrer elastischen Felder mit
117
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
einer Kraft ~ 1/x ab. Durch den Stapelfehler ziehen sich die Versetzungen mit einer
konstanten Kraft an. Dies ergibt einen Gleichgewichtsabstand. Je größer die
Stapelfehlerenergie desto geringer der Abstand.
Eine geringe Stapelfehlerenergie führt somit zu einem großen Abstand zwischen den
Partialversetzungen und einer eingeschränkten Beweglichkeit (Quergleiten von
Schraubenversetzungen nicht möglich). Hindernisse müssen somit durch entsprechend hohe
thermische Aktivierung umgangen werden. D.h. Metalle mit geringer Stapelfehlerenergie
besitzen eine höhere Warmfestigkeit. Die Stapelfehlerenergie kann durch zulegieren sehr
stark verändert werden. In Nickel kann die Stapelfehlerenergie durch Kobalt herabgesenkt, in
Kupfer durch Zink.
Element, bzw. Legierung:
2
Oberflächenenergie [mJ/m ]
Ag
Cu
Ni
Al
1140
1725
2280
980
1000 - 3000
790
625
866
325
400 - 800
22
78
125
166
8
24
43
75
2
Korngrenzenergie [mJ/m ]
2
Stapelfehlerenergie [mJ/m ]
2
Zwillingsgrenzenergie [mJ/m ]
CuZn30
Allg.
15
20 - 300
10 - 150
In intermetallischen Phasen ergeben sich auf Grund der chemischen Ordnung weitere Fehler:
Antiphasengrenzen (APG), komplexe Stapelfehler (CSF) und intrinsisch und extrinsisch
Stapelfehler der Überstruktur (SISF). Die Fehlerflächenenergien liegen im Bereich zwischen
wenigen mJ/m2 bis zu 300 mJ/m2. Für Ni3Al ergeben sich die Werte: EAPG ≈ ECSF ≈ 90 mJ/m2
und ESISF ≈ 50 mJ/m2 (Dissertation Glatzel).
Kubisch-raumzentriertes Gitter (z.B. α-Eisen, ferritische Stähle, Mo, Ta, V, Cr, W, Nb)
Versetzungen dieses Kristallgitters zeigen im Allgemeinen keine Aufspaltung, da die
Stapelfehlerenergien um eine Größenordnung höher liegen als für die kfz-Struktur:
ESFkfz = 20 - 150 mJ/m2
ESFkrz = 150 - 2.000 mJ/m2
Mit der daraus resultierenden höheren Beweglichkeit der Versetzungen und dem, durch die
geringere Packungsdichte höheren Diffusionskoeffizienten folgt eine in der Regel deutlich
niedrigere Warmfestigkeit.
Burgersvektoren sind vom Typ a/2 <111>, Gleitebenen sind {110}, {112} und {123}Ebenen. Eine [111]-Richtung wird von drei {110}, drei {112} und sechs {123}-Ebenen
geschnitten. D.h. es gibt viele Möglichkeiten für eine Schraubenversetzung zum Quergleiten.
In krz-Strukturen wird die Gleitrichtung daher unter vielfachen Wechseln der Gleitebenen im
118
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Wesentlichen durch die Hauptschubspannungsrichtung bestimmt und nicht so sehr durch die
Lage der Gleitebenen. Gleitlinien auf der Oberfläche sind daher oft wellenförmig. Es ergibt
sich eine geringere Verfestigung bei Kaltverformung als bei kfz-Metallen. Dagegen ist, durch
die geringere Versetzungsaufspaltung, die Entfestigung mit steigender Temperatur stärker.
Bei Ermüdungsversuchen zeigt sich, dass durch die Vielzahl der möglichen Gleitebenen eine
Stabilisierung der Versetzungsstruktur eher ergibt und Aufstauung von Versetzungen mit
Risseinleitung seltener auftritt als bei kfz-Metallen. Deshalb werden viele krz-Metalle als
dauerfest eingestuft.
Hexagonales Gitter (z.B. Be, Mg, Zn, Cd, Ti)
Verformungen in dieser Struktur finden im Wesentlichen auf nur einer Ebene, der Basisebene,
statt. Quergleiten ist nahezu ausgeschlossen. Dadurch verfestigen diese Metalle sehr stark,
sind also schlecht verformbar und neigen zum Sprödbruch. Zink muss auf besonderen
Walzwerken gewalzt werden, mit sehr kleinem Durchmesser der Arbeitswalzen.
Dem ungünstigen Formänderungsverhalten entspricht die hohe Kerbempfindlichkeit und
damit verbundene Sprödbruchneigung hexagonaler Metalle.
Intermetallische Phasen (z.B. die kubisch-geordneten Phasen L12 (Ni3Al) und B2 (NiAl))
In intermetallischen Phasen sind Burgersvektoren des Grundgitters keine vollständigen
Versetzungen. D.h. im geordneten Gitter sind dies wieder Partialversetzungen und erzeugen
einen Fehler. Es ergeben sich somit Burgersvektoren mit höherem Betrag oder Versetzungen
treten paarweise auf und spannen eine Fehlerfläche zwischen sich auf.
Besonders interessant für Hochtemperaturanwendungen sich die Phasen Ni3Al (anomales
Temperaturverhalten, hochwarmfest) und die Phase NiAl (hoher Schmelzpunkt, geringe
Dichte, sehr gute Oxidationsbeständigkeit, geordnet bis nahe zum Schmelzpunkte).
Aluminium
Nickel
d100Ni3Al = 0.357
Ni3Al im Vergleich zu NiAl
119
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
1. Beispiel L12-Ordnung wie in Ni3Al:
Der kürzeste Verbindungsvektor im ungeordneten kfz-Kristall ist a/2 <110>. Dieser erzeugt
im L12-geordneten Gitter eine Antiphasengrenze. Die Shockley-Partialversetzungen
a/6 <112> des kfz-Gitters erzeugen eine Antiphasengrenze gekoppelt mit einem Stapelfehler,
genannt complex stacking fault (CSF). Eine zweite, parallele Shockley-Partialversetzung hebt
die Antiphasengrenzfläche wieder auf und es bleibt ein superlattice intrinsic stacking fault
(SISF) übrig. Durch die unterschiedlichen Energiedichten der Flächenfehler:
ECSF ≈ 90 mJ/m2 ≈ EAPB > ESISF ≈ ESESF ≈ 50 mJ/m2
ergeben sich stark verschiedene Aufspaltungsweiten von Versetzungspaaren.
Nur sehr vereinzelt und für spezielle Orientierung der Lastachse werden Versetzungen mit
a <100> Burgersvektoren beobachtet (Link, Knobloch, Glatzel, Scripta Materialia).
Vielstrahlfall, alle Defekte sichtbar.
Weak.beam-Aufnahme der gleichen
Probenstelle, Stapelfehlerkontrast
ausgelöscht, 8 Versetzungen sichtbar.
Versetzungskonfiguration von insgesamt 8 Versetzungen (Dr.-Arbeit Glatzel), angeordnet in
4 Paaren von a/6 <112> Versetzungen mit der Abfolge:
ungestörter Kristall - CSF - SESF - CSF - SISF - CSF - SESF - CSF - ungestörter Kristall.
Der Abstand zwischen Versetzungen, die einen CSF einschließen beträgt nur wenige nm.
Intermetallische Phasen des Typs L12 zeigen ein anomales Temperaturverhalten. Die
Festigkeit nimmt mit steigender Temperatur zu, bis schließlich bei sehr hohen Temperaturen
ein starker Abfall beobachtet wird. Dies kann durch sog. Kear-Wilsdorf-locks erklärt werden.
Die Shockley-Partialversetzungen gleiten thermisch aktiviert quer auf eine {100} Ebene und
das ganze System wird somit gepinnt. Je höher die Temperaturen, desto öfter erfolgt dieses
quergleiten und immer mehr Versetzungen werden unbeweglich und bilden wiederum
Hindernisse für nachfolgende Versetzungen. Bei sehr hohen Temperaturen wird dann das
Gleiten auf {100} Ebenen ermöglicht, bzw. die Shockley-PV springen auch häufig wieder
zurück auf die {111} Gleitebenen.
120
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
1600
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Antiphasengrenze
X = Al
Spur der (100) Ebene
Spur der (111) Ebene
Dehngrenze Rp0,2 [MPa]
1400
Dehngrenzen der intermetallischen Phasen Pt3X
im Vergleich zu Ni3Al
1200
1000
800
600
Ga
200
Quergleitprozess
Pt3Al
In
400
Komplexer Stapelfehler
Ni3Al
(111)
Ti
Cr
Ir3Nb
0
0
500
Temperatur [°C]
1000
Anomales Fliessverhalten der meisten L12-geordneten Legierungen und die Erklärung durch
thermisch aktivierte Bildung von Kear-Wilsdorf-Locks.
2. Beispiel B2-Ordnung wie in NiAl:
Der kürzeste Verbindungsvektor im krz-Kristall ist a/2 <111>. Dieser erzeugt in der B2Ordnung eine Antiphasengrenze. Im Vergleich zur L12-Struktur ist die Antiphasengrenzenergie hier jedoch deutlich höher und liegt bei mehreren 100 mJ/m2. Ein Gleiten von
Paarversetzungen wurde in NiAl nicht beobachtet. Stattdessen werden Versetzungen mit
betragsmäßig größeren Burgersvektoren angeregt. Nach Hochtemperaturbelastung wurden
Versetzungen vom Typ a <100>, a <110> und sogar a <111> Versetzungen beobachtet
(Glatzel, Forbes, Nix; Phil. Mag.). Aufspaltungen konnten mit der weak-beam Methode
(Auflösungsgrenze ca. 1 nm) nicht beobachtet werden, in Hochauflösung ergibt sich jedoch
eine Aufspaltung des Versetzungskerns von a <100> Stufenversetzungen (Mills, Miracle;
Acta met. mat.).
Durch die stark eingeschränkte Beweglichkeit der Versetzungen mit großem Burgersvektor ist
das Material sehr spröde bei tiefen Temperaturen. Hinzu kommt, dass Belastungen in <100>
Richtung für <100> Burgersvektoren immer zu einem Schmidfaktor Null führen. D.h.
ungünstig orientierte Körner können sich nicht plastisch deformieren. Eine nennbare
Duktilität ergibt sich erst bei höheren Temperaturen da dann eine Verformung über a <110>
und a <111> Versetzungen möglich ist.
121
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Erholung, Rekristallisation und Kornwachstum
Metallische Werkstoffe werden beim Kaltumformen verfestigt. Höhere Verformungsgrade
sind nur realisierbar, wenn Zwischenglühungen durchgeführt werden. Nach dem
Zwischenglühen ist das Material entspannt, d.h. es sollte die gleiche mechanischen
Eigenschaften (Duktilität) wie das unverformte Material besitzen mit der guten
Oberflächeneigenschaften und den Maßtoleranzen wie nach der Kaltverformung. Die wieder
gewonnene Duktilität ermöglicht eine weitere Kaltverformung. Durch wiederholte
Kaltverformung und Zwischenglühung lassen sich insgesamt sehr hohe Verformungsgrade
erzielen.
Es lassen sich drei Stufen unterscheiden:
Erholung
Nach der Kaltverformung ist die Versetzungsdichte in den Kristalliten stark erhöht. Die
zugeführte Energie bei der Zwischenglühung bewirkt, dass sich die Versetzungsknäuel zu
energetisch günstigen Konfigurationen anordnen und damit Subkörner (polygone
Subkornstruktur) bilden. Die Versetzungsdichte bleibt nahezu unverändert. Dadurch bleiben
die mechanischen Eigenschaften nahezu unverändert, es werden jedoch innere Spannungen
abgebaut und die elektrische Leitfähigkeit wird wieder hergestellt (=> bei der Herstellung von
Kupferdrähten wird nach der Erholung abgebrochen, da hohe Festigkeiten und gute
Leitfähigkeit erreicht wurden).
Rekristallisation
Keimbildung und Keimwachstum neuer Kristallite, die nur wenige Versetzungen enthalten.
An den Grenzen der polygonen Subkornstruktur bilden sich neue kleine Kristallite, wobei die
Versetzungen weitgehend abgebaut werden. Nach Rekristallisation besitzen die Metalle auf
Grund ihrer reduzierten Versetzungsdichte nur geringe Festigkeit, aber hohe Duktilität.
Kornwachstum (Ostwaldreifung)
Wird die Temperatur weiter erhöht beginnen die Kristallite zu wachsen indem bevorzugte
Kristallite kleinere in sich aufnehmen. Durch die Verringerung der Gesamtfläche der
hochenergetischen Korngrenzenfläche wird die Gesamtenergie des Systems verringert. Dieser
Vorgang wird durch die Ostwald-Reifung beschrieben, wobei sich die zeitabhängige
Korngröße ergibt zu:
R3 - R 30 ~ D⋅t
mit der Diffusionskonstanten D und dem kritischen Radius R0.
122
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Grundlage hierfür ist die Gibbs-Thomson-Beziehung, die die Konzentration des Elements B
in der Matrix A in der Nähe von B-reichen Ausscheidungsteilchen angibt. Diese Beziehung
lässt sich auch auf das chemische Potential in der Nähe einer Korngrenze übertragen.
 2σΩ 

cM(R) = c∞ exp 
k
T
R

 B
mit der Grenzflächenenergie σ, dem Atomvolumen Ω. Hierbei berechnen sich die
Konzentrationsunterschiede rein aus den verschiedenen Energieinhalten unterschiedlich
großer Teilchen in ihrer Umgebung.
Erfolgt der Wachstum nach der Ostwaldreifung so ergibt sich eine Selbstähnlichkeit des
Gefüges. Zwei Gefügeaufnahmen nach unterschiedlichen Zeiten lassen sich nicht voneinander
unterscheiden, wenn die Vergrößerung mit t1/3 skaliert wird (siehe auch die Vorlesung von Dr.
Völkl "Schmelze, Erstarrung, Grenzflächen" im Vertiefungsfach Metalle).
Das Kornwachstum erfolgt durch Diffusionsumlagerungen einzelner Atome. Das
Kornwachstum ist in den meisten Anwendungen unerwünscht (siehe Hall-Petch Beziehung).
Kornwachstum des rechten Kornes durch Diffusionsumlagerungen
123
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Einfluss der Kaltverfomung und des Zwischenglühens (nach 75 % Kaltverformung) auf eine
Cu-Zn(35 %)-Legierung (Messing).
Nach Kaltverformung
nach Erholung
nach Rekristallisation
nach Kornwachstum
Einfluß der Entspannungstemperatur auf das Gefüge kaltverformter Metalle.
124
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Gefügeausbildung in Abhängigkeit vom vorausgegangenen Kaltverformungsgrad nach einer
Rekristallisationsglühung bei einem durchschossenen Zinnblech.
125
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Korrosion
Im Allgemeinen liegen die Ausgangsstoffe der Metalle in der Erdrinde als Oxide vor. Um
diese Rohstoffe in den metallischen Zustand zu bringen, ist Energie aufzuwenden. Der
Aufwand ist abhängig von der Oxidationsneigung (unlegierter Stahl 58 GJ/t, Aluminium
290 GJ/t, Magnesium 415 GJ/t, Titan 560 GJ/t).
Die treibende Kraft zum Ablauf der Korrosionsprozesse ist somit gegeben. Die Metalle
streben die thermodynamisch stabilere Verbindung an. Definition der Korrosion:
Reaktion eines metallischen Werkstoffs mit seiner Umgebung, die eine messbare
Veränderung des Werkstoffs bewirkt und zu einer Beeinträchtigung der Funktion eines
metallischen Bauteils oder eines ganzen Systems führen kann.
Jede Minute wandelt sich auf der Welt 1.000 kg Eisen in Rost, wobei der Materialwert noch
zu vernachlässigen ist (ca. 1.000 €/Min. ~ 0,5 Milliarden jährlich weltweit), der Wert der
Systeme, die dabei jedoch unwiderruflich verloren gehen jedoch nicht: ca. 110 Milliarden
jährlich nur in Deutschland! Dies entspricht ca. 5% des Bruttonationaleinkommens, gültig
für alle Industrienationen. Die Korrosion findet in der Regel an der Grenzfläche Metall und
umgebendes Medium statt (Ausnahme: innere Oxidation). Dadurch kommt der Oberfläche
eine besondere Bedeutung zu. Schützende Deckschichten hemmen oder verhindern die
Kinetik der Metallauflösung im Medium.
Korrosionsmechanismen:
- elektrochemische Korrosion (Nasskorrosion)
- chemische Korrosion (Hochtemperaturoxidation)
- biochemische Korrosion (Angriff durch Mikroben)
- metallphysikalische Korrosion (im Innern, z.B. innere Oxidation)
Elektrochemische Korrosion
Voraussetzung: wässriges Medium und Potentialunterschied zwischen Metall und Medium
(=> galvanisches Element). Der Stromfluß entspricht dem Masseverlust, z.B. die Stromdichte
von 1 mA/cm2 beim Eisen entspricht einer Abtragung von 12 mm/Jahr.
Auflösung von Metallen
126
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Durch seine polaren Eigenschaften bildet Wasser beim Lösen von Salzen Ionen aus und hält
diese in Lösung. Es wird somit zum Leiter zweiter Klassse oder Ionenleiter (Elektrolyt). Z.B.
ZnSO4 in Wasser gelöst => Zn2+ und SO42-.
Wird ein reines Metall in Wasser getaucht so kann nur das Metall-Ion in Lösung gehen. Die
entsprechenden Elektronen bleiben im Metallgitter zurück. Der Lösungsvorgang kommt zum
Stillstand wenn das elektrische Feld an der Metalloberfläche so groß geworden ist, dass die
Differenz aus Hydratationsenergie (Wechselwirkongsenergie Lösungsmittel und Ion) und
Gitterenergie nicht ausreicht um Metallionen durch die Doppelschicht (Ionen/Elektronen) zu
bewegen. Es herrscht ein "Elektronendruck" im Metall.
Elektrische Doppelschicht an der Grenzfläche
Metall/Elektrolyt
Potential von Kupfer und Zink gegenüber
dem Elektrolyten bzw. der Normalwasserstoffelektrode. Potentialdifferenz U.
Durch die Definition einer Normal- oder Standardwasserstoffelektrode (platinierte Platinelektrode, d.h. Platin mit feinverteiltem Platin überzogen und umspült von H2 unter Atmosphärendruck gegen wässrige Lösung) lässt sich eine elektrochemische Spannungsreihe bestimmen.
Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt, der im Kapitel Hochtemperaturoxidation näher behandelt
wird, ist die Ausbildung einer Passivschicht (siehe die Anmerkungen in der nachfolgenden
Tabelleund in der übernächsten Grafik). Diese Schichten sind zum Teil nur wenige nm dick
(Cr und Ti) verhindern aber dann sehr effektiv weitere Korrosionsangriffe. Insofern ist das
elektrochemische Potential allein nicht aussagekräftig.
127
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Me/Mez +
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Standardelektrodenpotential
Potential U
0
U für a = 1 mol/l [V]
für a = 10-6 mol/l
+
Na/Na
Mg/Mg 2 +
Al/Al 3 +
-2,71
-2,38
-1,66
-1,63
-1,19
-0,76
-0,74
-0,44
-0,23
-0,14
-0,13
-0,04
0,00
+0,28
+0,34
+0,52
+0,80
+0,82
+0,83
+0,86
+1,20
+1,50
Ti/Ti 2 +
Mn/Mn 2 +
Zn/Zn 2 +
Cr/Cr 3 +
Fe/Fe 2 +
Ni/Ni 2 +
Sn/Sn 2 +
Pb/Pb2+
Fe/Fe 3 +
H/H +
13% Cr-Stahl(1.4021, 1.4006), passiv
Cu/Cu 2 +
Cu/Cu +
Ag/Ag +
Sauerstoffoxidation (pH = 7)
Cr-Ni-Stahl (1.4301), passiv
Cr-Ni-Mo-Stahl (1.4401), passiv
Pt/Pt 4 +
Au/Au 3 +
[V]
-3,06
-2,55
-1,78
-1,80
-1,36
-0,86
-0,61
-0,40
-0,31
-0,15
0,00
+0,16
+0,17
+0,45
+1,38
Normalpotentiale ausgewählter Metalle bei 25°C und 1 bar Druck in einmolarer und in
10-6-molarer Lösung.
Galvanisches Element
Wird zwischen zwei Elektroden, die sich in einem Elektrolyt befinden, eine metallisch
leitende Verbindung hergestellt, beginnt ein Strom zu fließen. Dadurch entsteht ein
elektrisches Feld, welches eine Wanderung der Metallionen bewirkt. Vorsicht mit den
Begriffen Anode und Kathode (siehe Bild).
128
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Galvanisches Element mit Zink- und Kupferelektrode.
Der Strom des galvanischen Elements hängt von den Elektrodenpotentialen und der
Beweglichkeit der Ionen im Elektrolyten ab. Es entsteht ein Materialverlust an der
elektronegativen Elektrode (Anode). Der Prozeß läuft solange ab, bis sich Anode aufgelöst
hat.
Die anodische Teilreaktion
Me → Mez+ + z e-
, bzw. Zn → Zn2+ + 2 e-
erfolgt unter Abgabe von Elektroden, wird damit als Oxidation bezeichnet.
In der Praxis geht die Konzentration der Metallionen in der Lösung → 0, deshalb die Angabe
in obiger Tabelle für eine 10-6-molare Lösung, außerdem wird der Begriff "Potential" statt
"Spannung gegenüber der Standardwasserstoffelektrode" verwendet.
Wird das Elektrodenpotential gegenüber der Wasserstoffionenaktivität (pH-wert) aufgetragen
(Pourbaix-Diagramm) kann man das Korrosionsverhalten eines Metall-Lösungssystem
einteilen. Z.B. Eisen in 10-6-molarer Lösung geht dann in Lösung, wenn das Elektrodenpotential > -0.614 V ist. Bei Potentialen < -0.614 V ist Eisen Korrosionsbeständig. Bei
pH > 9.5 ergibt sich eine schützende Deckschicht der festen Phase Fe(OH)2. Erst im Bereich
sehr großer pH_Werte tritt schließlich Korrosion durch (HFeO2)- auf. Durch Verschieben des
Potentials mit Hilfe unedleren Anodenmaterials oder durch außen wirkenden Fremdstrom
kann das System Stahl/Elektrolyt, in den Bereich der Korrosionsbeständigkeit gebracht
werden.
129
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Elektrodenpotential, pH-Wert und Korrosionsverhalten (Pourbaix-Diagramm) für Eisen,
Aluminium und Titan (=> Bioverträglichkeit).
Eine Abschätzung ob sich eine schützende Deckschicht ergeben kann, ergibt sich über das
Pilling-Bedworth-Verhältnis (Oxidvolumen pro Metallatom)/(Volumen des Metallatoms in
der Legierung). Ist das Verhältnis geringfügig größer 1, so ergibt sich eine unter
Druckspannungen stehende Deckschicht (siehe späteres Kapitel Hochtemperaturkorrosion).
Ungleiche Werkstoffe (Kontaktkorrosion)
Selbst eine makroskopisch gleichmäßige Metalloberfläche bildet eine Vielzahl von
Mikroelektroden (anodische und kathodische Bereiche). Es wird ein Stromfluß bewirkt und es
stellt sich ein äquivalenter Materialabtrag an der Anode ein. Diese Art der
Korrosionselementbildung tritt häufig in der technischen Praxis auf.
130
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Selbst für homogene Materialien tritt dieser Effekt durch die unterschiedlichen
Gitterorientierungen auf (vgl. Kornflächenätzung, Vorlesung Metalle I). Ebenso zwischen
Kornflächen und Korngrenzen (Korngrenzenätzung).
Anodische (-) und kathodische (+) Bereiche auf einer Metalloberfläche.
Besonders dramatisch wird der Effekt bei mehrphasigen Werkstoffen und bei
Verunreinigungen, da sich sehr große Potentialunterschiede einstellen können.
Reaktionen an anodischen und kathodischen Bereichen auf einer Metalloberfläche.
Die anodischen und kathodischen Bereiche können durchaus makroskopische Dimensionen
annehmen. Ausgeprägte Korrosionsschäden liegen dann vor, wenn das unedlere Material
(Stahl) dem edleren (Kupfer) in Strömungsrichtung folgt. Der Umfang der Zerstörung hängt
außer von der Potentialdifferenz auch vom Verhältnis der Flächen zueinander ab. Dabei ist es
günstiger einen großen Anodenbereich einer kleinen Kathodenfläche gegenüber zu stellen als
umgekehrt. D.h. Messingschraube im Stahlblech ist besser als Stahlschraube im
Messingblech. Der erste Fall kann unter Umständen sogar einen Schutz bewirken, wenn
entsprechende Bereiche im Pourbaix- Diagramm eingestellt werden.
131
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Verformte Bereiche in einem Bauteil wirken gegenüber unverformten Bereichen als Anode.
Vergleiche oben: kleine, stark kaltverformte Bereiche in einer großflächigen unverformten
Umgebung sind besonders gefährdet.
Bevorzugte Korrosion an den Fließlinien kaltgereckter Rohre.
Belüftungselement (Spaltkorrosion)
Es handelt sich hierbei im Grunde um ein Konzentrationselement. Werden zwei identische
Elektroden in Lösungen unterschiedlicher Konzentration gebracht, so wird die Elektrode in
der verdünnten Lösung zur Anode. Die Korrosionsreaktion läuft so lange ab, bis der
Konzentrationsausgleich durchgeführt ist.
Konzentrationselement
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Beim Belüftungselement wird der Bereich zur Kathode, welcher einem ausreichendem
Sauerstoffangebot durch Belüftung ausgesetzt ist. Im Grund des Spaltes (Sauerstoffmangel)
liegt der anodische Bereich (Metallauflösung).
Schematische Darstellung der Korrosionsvorgänge in einem Spalt durch Bildung von
Belüftungselementen.
Der gleiche Effekt läßt sich unter Ablagerungen (Schmutz, Wasserstropfen) und kurz
unterhalb der Wasserlinie (Metallverlust unterhalb der Meerwasseroberfläche).
Unter einem Wassertropfen
Knapp unterhalb der Wasserlinie
Beispiele der Belüftungskorrosion.
Temperaturelement
Ein Korrosionselement ist auch dann gegeben wenn identische Elektroden in demselben
Elektrolyt aber bei unterschiedlichen Temperaturen vorliegen. Z.B. Wärmeübergangsflächen
von Wärmetauschern und Kessel. Im Falle einer Kupferelektrode in CuSO4-Lösung wird die
Elektrode mit der höheren Temperatur zur Kathode. Bei Eisen in NaCl-Lösung ist es
umgekehrt.
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Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Streustromkorrosion
In der Umgebung elektrischer Anlagen (z.B. Bahn, Galvanisierbetrieben, Aluminiumhütten, ... ) können über den Boden Streuströme fließen. Sie bilden sich auch unter
Wechselstrombedingungen, da der Materialverlust irreversibel ist. Im Extremfall können
Passivschutzschichten unter Wechselstrombedingungen reduziert werden. Somit wird dann
die Schutzwirkung aufgehoben.
Streustromkorrosion an einer erdverlegten Rohrleitung im Bereich einer elektrischen Bahn.
Korrosionsarten
Erscheinungsformen der Korrosion, abhängig vom Potentialen, Flächenverhältnissen und dem
einwirkenden Medium.
Gleichmäßige Flächenkorrosion
Homogene Verteilung anodischer und kathodischer Bereiche nach Ort und Größe über eine
Metalloberfläche. Der Abtrag kann dann zum Stillstand kommen, wenn unter den gegebenen
Bedingungen das Metall eine schützende Deckschicht ausbildet.
Schematische Darstellung der gleichmäßigen Flächenkorrosion.
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Lokale Korrosion
Vergleichsweise kleine anodische Bereiche in kathodischer Umgebung → hohe Stromdichten
mit großen Abtragungsraten im anodischen Bereich. Z.B.: Verletzung einer Schutzschicht,
Ablagerungen (Schmutz, Wassertropfen), lokale Bedeckungen, leitende Verbindung
unterschiedlicher Werkstoffe unter Elektrolyteinwirkung, Wärmeeinflusszone von
Schweißnähten. Ein weiterer Fall ist der Lochfraß (halogenidhaltigen Elektrolyt und örtlich
unterbrochene Deckschicht).
Verschieden Formen lokaler Korrosion.
Interkristalline Korrosion
Die Korngrenzen sind hier scharf ausgeprägte anodische Bereiche, die sehr stark angegriffen
werden. Dadurch wird der Kornverband des Werkstoffs entlang den Korngrenzen
aufgehoben.
Beispiel: Cr-haltige korrosionsbeständige Stähle. Verarmen die Korngrenzen durch falsche
Wärmebehandlung (oder Schweißen) an dem passivierenden Element sind die
Voraussetzungen für den selektiven Angriff gegeben.
Interkristalline Korrosion.
Schwingungsriß-, Spannungsrißkorrosion
Gleichzeitiges Einwirken mechanischer und korrosiver Beanspruchung. Bei der
Schwingungsrißkorrosion sind die Ausgangspunkte der Korrosion Ermüdungsgleitbänder, die
die Deckschicht durchstoßen haben. Die in Bewegung befindlichen Gleitbänder stellen
hochaktive Bereiche dar, die zur Materialauflösung führen.
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Bei der Spannungsrißkorrosion liegt eine statische Beanspruchung vor. Nach lokaler
Zerstörung der Deckschicht und einem anriß ergibt sich am Rißgrund eine plastische Zone.
Durch die elektrochemischen Reaktionen im riß wird die Aggressivität des korrosiven
Mediums im Rißgrund stark erhöht
Spannungsrisskorrosion: schematische Darstellung und am Beispiel eines Metalls mit
oxidischer Deckschicht (z.B. korrosionsbeständiger Stahl).
Wasserstoffversprödung
Bei den Korrosionsreaktionen kann auch atomarer Wasserstoff entstehen (Säuretyp). Der
atomare Wasserstoff diffundiert entlang den Korngrenzen ins Volumen. Dann findet eine
Rekombination zu H2 statt, wobei extrem hohe Drücke aufgebaut werden, die den Werkstoff
entlang den Korngrenzen sprengen.
Korrosionsschutz
•
Das zu schützende Bauteil läßt sich so polarisieren, dass keine Voraussetzungen zur
Korrosion gegeben sind.
•
Hermetischen Abschluß der Oberfläche durch Überzüge und Beschichtungen verhindern
die Grenzflächenreaktionen.
•
Überzüge, die als Anode wirken bilden ebenfalls eine Polarisation und schützen dadurch
den Werkstoff kathodisch.
•
Werkstoffauswahl
•
Konstruktion (elektrisch isolierende Verbindungen).
Polarisierung
Wird einer galvanischen Zelle (z.B. Abbildung S. 129) von außen ein Strom aufgeprägt, so
kann das Potential der Kupferelektrode soweit angehoben werden, bis das Potential des Zn
erreicht ist. In diesem Fall fließt zwischen den beiden Elektroden kein Strom.
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Elektronen werden durch eine externe Gleichstromquelle in die Anode gepumpt (kathodischer
Schutz durch Außenstrompolarisierung).
Statt einer Außenstromquelle kann zur Polarisierung auch eine Opferanode aus einem
unedleren Werkstoff als der zu schützende in Anwendung kommen, die den erforderlichen
Polarisationsstrom liefert. Solche Opferanoden sind aus Al, Mg oder Zn zum Schutz von
Schiffskörpern, Tanks und Rohrleitungen in Gebrauch.
Kathodischer Schutz durch Opferanode.
Überzüge und Beschichtungen
Prinzipiell sind Beschichtungen durch Opferanoden zu unterscheiden von hermetisch dicht
abschließenden Schutzschichten.
Schutzschichten (Lack) sind vollständig isolierende Bedeckungen und am weitesten
verbreitet. Die Schicht muß poren- und kratzerfrei sein. Gerade Poren und Unterwanderungen
der Beschichtung können durch pH-Wert Absenkung zu lokal sehr starken
Korrosionsangriffen führen (siehe Spaltkorrosion).
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Anorganisch-nichtmetallische Überzüge werden durch Emaillierungen gebildet. Sie wirken
wie Lacke.
Bei metallischen Beschichtungen muss unterschieden werden ob die Schicht edler oder
unedler als das Grundmaterial ist. Eine edlere Beschichtung kann nur dann eine
Schutzwirkung haben, wenn sie vollständig dicht ist (z.B. Cu, Ni, Sn auf Stahl, letzteres
genannt Weißblech in Konservendosen). Bei Beschädigung der Schicht wird das unedlere
Grundmaterial zur Anode und löst sich dann gegenüber der großen Fläche der kathodischen
Beschichtung sehr rasch auf.
Metallisierungen mit unedlerem Potential als das Grundmaterial wirken bei Beschädigung als
Anode und schützen das darunterliegende Grundmaterial, wobei das Schichtmaterial
verbraucht wird. Zum Schutz des Stahls wird vorzugsweise Zink verwendet (verzinkte
Autokarrosserien, eingeführt von Porsche und dann Audi).
Wirkung einer im Vergleich zum Grundwerkstoff edleren (kathodischer) und einer unedleren
(anodischer) Beschichtung.
Konstruktive Maßnahmen
Vermeidung von: ungeeigneten Werkstoffpaarungen in leitender Verbindung, Spalten und
Hohlräume sowie stark unterschiedlich kaltverformter Bereiche an einem Bauteil. Müssen
Metalle unterschiedlicher Potentiale verbunden werden, so ist darauf zu achten, dass eine
elektrisch leitende Verbindung durch Isolierung vermieden wird.
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Flanschverbindung zwischen Stahl- und Aluminiumrohr bei Verwendung von Stahlschrauben
mit vorschriftsmäßiger Isolierung.
1 Isolierpaste oder -hülse, 2 isolierende Packung, 3 Kunststoffscheibe
Bei Schweißkonstruktionen ist darauf zu achten, dass keine Spalten zwischen den Bauteilen
entstehen. Durchgehende Schweißungen sind unterbrochenen vorzuziehen.
Konstruktive Ausführungen von Schweißverbindungen bei korrosiver Beanspruchung.
139
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Hochtemperaturkorrosion (Oxidation)
Unter Hochtemperaturkorrosion versteht man alle Formen der Reaktion eines Werkstoffs mit
seiner Umgebungsatmosphäre bei erhöhten Temperaturen, z.B.:
− Oxidation: äußere Oxidation, Oxiddeckschichtbildung (Passivierung), innere Oxidation
− Aufkohlung: innere Karbidbildung
− Aufstickung (Nitrierung): innere Nitridbildung, seltener Nitriddeckschichtbildung
− Aufschwefelung: äußere Sulfidierung, Sulfiddeckschicht, seltener innere Sulfidbildung
Chemische Reaktionen, wie der Oxidationsvorgang (Me → Mez+ + z⋅e-) an einer Grenzfläche
gasförmig/fest, laufen bei einer Temperaturerhöhung von ca. 10°C mit mindestens einer
Verdopplung ihrer Geschwindigkeit ab. Bei der nassen Korrosion wird die Energie durch die
Hydratation geliefert. Bei der Hochtemperaturkorrosion wird die Aktivierungsenergie
thermisch zugeführt und die Korrosionsvorgänge laufen trocken an der Grenzfläche
Metall/gasförmiges Medium ab, z.B.
Me + 1/2 O2 → MeO
ebenso für schwefel- und chlorhaltige Gase.
140
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Ellingham-Richardson-Diagramm einiger Oxidationsreaktionen. Die rechte und untere
Umrandungsachse gibt die O2-Partialdrücke an, wobei die Werte mit dem absoluten
Nullpunkt zu verbinden sind. Als Beispiel ist pO2 = 10-20 Pa = 10-15 bar eingezeichnet. Nur die
unterhalb dieser Linie liegenden Oxide sind noch thermodynamisch stabil
Schichtbildungsgesetze
Der Zeitablauf der Verzunderung hängt entscheidend vom Charakter der sich bildenden
Oxidschicht ab. Gemessen werden die Gewichtsänderung (Gravimetrie, günstiger für
kontinuierliche Messungen) oder die Schichtdicke. Das Verhältnis der Molvolumen, das
Verhältnis der Gittertypen des Oxids im Vergleich zum Metall und die thermodynamische
Stabilität des Oxids und zahlreiche andere Teilvorgänge bestimmen den Fortschritt der
Zunderbildung.
141
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Ungünstig sind poröse oder abblätternde Schichten (sehr kleines oder sehr großes Verhältnis
der Molvolumen). Dort ergibt sich ein linearer Zeitverlauf.
Zeitabhängigkeit der Oxidation:
− logarithmische Massezunahme (Tieftemperaturoxidation).
 ∆m 
− parabolische Massezunahme 
 = k p ⋅ t , mit der temperaturabhängigen
 A 
2
parabolischen Oxidationskonstante kp. Erklärung: Diffusion durch die Schicht hindurch
(Sauerstoff und/oder Metall). Parabolische Massezunahme ist gewünscht und bildet eine
stabile Oxidationsschicht.
− lineare Massezunahme, z.B. Ta und Nb: Oxidfilm bricht auf und Sauerstoff erhält direkten
Kontakt zu frischem Metall.
− Masseabnahme: Deckschichtabplatzungen, flüssige oder flüchtige Oxide  katastrophale
Oxidation. Flüssige Oxide findet man z.B. bei V und Mo. Flüchtige Oxide bei W, Mo und
Cr. Zu erkennen sind Metallablagerungen bei nichtdichten Inertgasfüllungen von
Glühbirnen.
Idealisierte kinetische Gesetzmäßigkeiten der Hochtemperaturoxidation.
Schichtbildungsmechanismen
Nach der Anfangsschichtbildung wird das weiter Schichtwachstum durch Diffusionsmechanismen bestimmt. Entweder durch Diffusion des Sauerstoffs oder des Metalls durch die
142
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Oxidschicht. In technischen Legierungen mit ausreichender Korrosionsbeständigkeit ist die
Metalldiffusion schneller als die Sauerstoffdiffusion.
Schichtwachstum durch Metalldiffusion (Zuwachs an der Grenzfläche zum Gas) oder
Sauerstoffdiffusion (Zuwachs an der Metallseite).
Die Wanderung der Ionen durch die Schicht erfolgt über Fehlstellen. Eine Erhöhung der
Fehlstellendichte beschleunigt den Zundervorgang. Entsprechend können zudotierte Fremdatome die Fehlstellendichte anheben (Cr in Ni) oder absenken (Li in Ni).
Manche Metalle bilden mehrere Oxide wie z.B. Eisen mit Fe2O3, Fe3O4 und FeO. Die sich
bildende Oxidform hängt stark vom Sauerstoffangebot ab. Jede einzelne Schicht folgt ihrem
eigenen Wachstumsgesetz. Die Schichten sind deutlich voneinander abgegrenzt, wobei die
oberste Schicht die sauerstoffreichste, die unterste die sauerstoffärmste Schicht ist.
Mehrschichtiger Aufbau der Zunderschicht (Eisenoxidschicht) auf Eisen bei Oxidation über
570°C. Von außen nach innen: 60 -> 57 -> 50 at.% Saauerstoffanteil.
Schichteigenschaften
Entscheidend für die Bildung einer Deckschicht ist das Pilling-Bedworth Verhältnis:
Oxidvolumen/Metallvolumen. Ideal ist ein PB-Verhältnis etwas größer 1.
Oxid
TiO
MgO
Al2O3
MgO2 Ti2O3 ZrO2
143
Ti3O5
NiO
FeO
TiO2
CoO
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
PB
0.70
0.81
Uwe Glatzel
1.28
1.34
1.50
Oxid Cr2O3 FeCr2O4 Fe3O4 Fe2O3
PB
2.05
2.10
2.11
2.15
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
1.56
1.65
1.65
1.70
1.73
SiO2
Ta2O5
Nb2O5
W
2.15
2.50
2.68
3.40
1.86
Schematisches Modell zu verschiedenen Pilling-Bedworth Verhältnissen.
Einfluss der Legierungselemente
Bei Legierungen kommen weitere Effekte hinzu:
− Die Legierungskomponenten weisen unterschiedliche Affinität zu Sauerstoff auf.
− Konzentrationen und Aktivitäten der Elemente weichen voneinander ab.
− Diffusionsgeschwindigkeiten der Elemente sind ungleich.
− In die sich bildende Deckschicht werden in der Regel andere metallische Elemente mit
eingebaut.
Schematische Darstellung zweier vereinfachter Formen der Oxidation einer binären A-BLegierung. A ist jeweils das Hauptelement und edler als B. Links: die B bildet eine
geschlossene Oxiddeckschicht mit einer gewissen A-Dotierung. Rechts: Die Konzentration
von B reicht nicht aus um eine geschlossene Deckschicht zu bilden  innere Oxidation.
144
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Für Anwendungen bei Temperaturen um 1000°C muss man auf die sehr langsam wachsende
und gut haftende Deckschicht aus Al2O3 übergehen. Wobei in binären Legierungen ein relativ
hoher Al-Gehalt legiert werden muss, z.B. im Ni-Al-System ca. 20 wt.% Aluminium. Bei
geringeren Al-Gehalten bildet eine NiO-Deckschicht und durch die Einwärtsdiffusion des
Sauerstoff eine innere Oxidation des Al zur Folge.
Elemente mit im Vergleich zum Basismetall hoher Bindungsenergie zum Sauerstoff haben
das Bestreben, vom Grundwerkstoff zur Oxidschicht zu wandern und dort durch
Anreicherung stabile und dichte Schichten zu bilden. Beim Stahl ist dies z.B. Cr, Al und Si.
Die Schutzwirkung ergibt sich durch die Bildung vergleichsweise dünner Schichten mit guter
mechanischer Beständigkeit.
Gewichtszunahme bei Nickel und bei einer Nickel-Chrom-Legierung.
Achtung: Unterschiedliche Skala bei der Gewichtszunahme!
Bei hochwarmfesten Nickel-Basis-Werkstoffen wird mit Legierungszugaben von 20-30% Cr
eine um das 10-fache verbesserte Oxidationsbeständigkeit erreicht. Das Schichtwachstum
folgt dem parabolischen Wachstumsgesetz.
In ternären Legierungen kann der Al-Gehalt auf 5-6 wt.% reduziert werden (Ni-Al-Cr). Man
muss dabei das Zwischenstadium betrachten, bis sich ein stationärer Oxidationszustand
gebildet hat. Cr bindet in einem Zwischenstadium den Sauerstoff ab und verhindert damit die
innere Oxidation des Al, die einer Deckschichtbildung entgegen wirken würde.  GetterEffekt des Cr.
145
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Schematischer Ablauf der anfänglichen Oxidation von Ni-Cr-Al-Legierungen mit ca. 10 wt.%
Cr und 5 wt.% Al.
Oxidationskarte für das Ni-Cr-Al-System. Deckschichtbildung und innere Oxidation ist
angegeben.
146
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Der Einfluss des Chroms beim Stahl ergibt sich aus dem Vergleich der Oxidationsrate von
unlegiertem mit Cr-Stahl verschiedenen Cr-Gehalts:
Einfluss des Chromgehalts auf die Oxidationsbeständigkeit von Stahl bei 1000°C.
Die sich bei chromlegierten Stählen ergebende Schicht besteht überwiegend aus Chromoxid
und einem chromreichen Spinell der Form Fe(Fe2-xCrx)O4, mit 0 ≤ x ≤ 2. Es ergibt sich eine
drastische Verzunderungsrate bis zu einem Plateau (korrosionsbeständiger Stahl). Oberhalb
15% Cr ergibt sich eine weitere Verminderung bis zu den oxidationsbeständigen Stählen mit
25% Cr.
Bei Al und Si zeigen sich ähnliche Effekte, doch ist deren Menge beschränkt, da diese
Legierungsanteile nachteilige Wirkungen auf die mechanischen Werte haben können. Der
Zunderbeständige "Sicromal"-Stahl ergibt sich durch 1% Al, 1% Si, 18% Cr und 0.1% C.
147
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Einfluss von Chrom und Aluminium in Stahl auf die Oxidationsbeständigkeit bei 800°C.
Bei hohen Temperaturen ergibt sich eine hohe Dickenzunahme des Zunders, womit Risse
entstehen und eine schnellere Oxidation eintritt. Es zeigt sich eine schnellere Oxidation als sie
beim parabolischen Verlauf zu erwarten ist.
Einfluss der Temperatur auf die Oxidation eines korrosionsbeständigen Cr-Ni-Stahls. Weitere
Verlangsamung und Beibehalten des parabolischen Wachstumsgesetz durch eine
Alitierschicht (=> Al2O3 an der Oberfläche ist temperaturstabiler als Cr2O3, siehe EllinghamRichardson-Diagramm auf S. 139).
148
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Hochtemperaturlegierungen (T > 500°C)
Verwendung in:
− Energietechnik
− Antriebstechnik
− Chemische Industrie
− Hüttentechnik und Maschinenbau
Nachfolgend ein kurzer Werkstoffüberblick. Die Hochtemperaturlegierungen werden
ausführlich in der Vorlesung "Advanced High Temperature Alloys" im Vertiefungsfach
Metalle (auf Englisch) behandelt.
149
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
El.
Gittertyp
TUmw.
Tm
[°C]
ρ
[g/cm3]
max. OLöslichk.
[at.%]
Ti
α hdp
882
1855
4.5
4.5
31.9
8
β krz
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Vor-/Nachteile
+ niedrige Dichte
+ Schmelzpunkt hoch
+ häufiges Vorkommen
+ αth. gering (~ 10-5 K-1)
− keine Legierung mit ausreichender Festigkeit
> 600°C bekannt
− hohe Sauerstoff- und Stickstoffaufnahme
> 700°C, Versprödung
− lineare Oxidation > 800°C
− geringe Wärmeleitfähigkeit
− Entzündungsgefahr "Titanbrand"
V
krz
1910
6.1
17
Cr
krz
1863
7.2
0.0053
Mo
krz
2623
10.2
0.03
− katastrophale Oxidation; Tm(V2O5) = 658°C
− sehr spröde bei RT; nicht konventionell
verarbeitbar
+ sehr hohe Kriechfestigkeit
+ αth. gering, hohe Wärmeleitfähigkeit, gute
TF-Festigkeit
− sehr spröde bei RT
− katastrophale Oxidation; Tm(MoO5) = 795°C
− kein Langzeitschutz verfügbar
W
krz
3422
19.3
≈0
+ höchster Schmelzpunkt aller Elemente (außer
C)
+ sehr hohe Kriechfestigkeit
+ αth. gering, hohe Wärmeleitfähigkeit, gute
TF-Festigkeit
− sehr spröde bei RT
− katastrophale Oxidation > 1000°C durch hohe
WO3-Abdampfrate
− kein Langzeitschutz verfügbar
− sehr hohe Dichte
150
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
El.
Gittertyp
TUmw.
Tm
[°C]
ρ
[g/cm3]
max. OLöslichk.
[at.%]
Vor-/Nachteile
Fe
α krz
912
1395
1538
7.9
7.7
7.4
0.0008
0.0098
0.029
+ guter Korrosionsschutz durch Legieren mit Cr
oder (Cr + Al)
γ kfz
δ krz
+ γ-Gitter stabilisierbar
+ Verarbeitbarkeit, gut schweißbar
+ niedriger Preis
− nur mäßige Härtung für
Hochtemperaturbereich möglich
Co
ε hdp
α kfz
422
1495
8.8
8.7
≈0
0.048
+ guter Korrosionsschutz durch Legieren mit Cr
oder (Cr + Al)
+ Co-Legierung an Luft Vergießbar und
vergleichsweise gut schweißbar
− nur mäßige Härtung
− Ni-Zugabe erforderlich zur Stabilisierung des
kfz-Gitters, mindert Festigkeit
Ni
kfz
1455
8.9
0.05
+ breites Spektrum der Legierungsbildung mit
sehr hoher Festigkeitssteigerung
+ guter Korrosionsschutz durch Legieren mit Cr
oder (Cr + Al)
+ Verarbeitbarkeit
− Schmelzpunkt relativ niedrig
− αth. hoch, geringe Wärmeleitfähigkeit
Pt
kfz
1772
21.5
≈0
+ sehr korrosionsbeständig
+ hoher Schmelzpunkt
− sehr hohe Dichte
− sehr teuer
151
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
10.000 h-Zeitstandfestigkeit für verschiedene Hochtemperaturwerkstoffe in Abhängigkeit von
der Temperatur.
152
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Intermetallische Phasen am Beispiel des Ni-Al-Systems
Phase
Gittertyp
TUmw.
Tm
[°C]
ρ
[g/cm3]
Ni3Al
L12
1383
7.5
Vor-/Nachteile
+
+
+
+
anomales Temperaturverhalten
gleiches Grundgitter wie Nickelmatrix
Homogenitätsbereich > 1 wt.% Al
duktil als Einkristall
− sehr hohe Dichte
− spröde als Vielkristall (lässt sich durch BorDotierung verbessern  Korngrenzenfestigkeitssteigernd)
− Al-Gehalt der stöchiometrischen Phase reicht nicht
zur Bildung einer stabilen Al2O3-Deckschichtbildung --> ungünstige Hochtemperaturkorrosionseigenschaften
NiAl
L10
1638
5.85
+
+
+
+
+
+
sehr Oxidationsbeständig wegen ca. 30 wt.% Al
hoher Schmelzpunkt
geringe Dichte
chemisch geordnet bis zum Schmelzpunkt
hohe Wärmeleitfähigkeit
niedriger therm. Expansionskoeffizient
− extrem spröde bei tiefen Temperaturen, bis ca.
500°C (von Mises Kriterium nicht erfüllt)
− geringe Festigkeit bei hohen Temperaturen
Aufgrund der negativen Eigenschaften von NiAl konnte ein Einsatz, trotz weltweiter
intensiver Forschung an der intermetallischen Phase NiAl, bisher nicht erreicht werden. Die
günstigen Eigenschaften des NiAl werden durch sog. Alitierschichten auf den
Nickelbasissuperlegierungen ausgenutzt.
Weitergehende Vorlesung zu Nickelbasis-Superlegierungen: "Advanced High Temperature
Alloys" im Vertiefungsfach Metalle
153
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Umwandlungshärtung von Stahl - Martensitbildung
Durchgeführt wird eine Wärmebehandlung im Ungleichgewichtszustand, mit dem Ziel der
Steigerung der Festigkeitskennwerte. Die Fehlstellenstruktur wird beeinflusst und dadurch die
Versetzungsbeweglichkeit herabgesetzt. Damit ist auch eine Verminderung der plastischen
Formänderungsfähigkeit (Zähigkeit und Duktilität) verbunden.
Die Erzeugung solcher Zustände ohne Veränderung der Werkstoffzusammensetzung bedeutet
notwendigerweise, dass der Werkstoff vom Gleichgewicht in einen mehr oder weniger
ausgeprägten Ungleichgewichtszustand gebracht wird. Somit wird Energie in dem System
gespeichert, welche eine nachfolgende plastische Verformung erschwert.
Dieser Ungleichgewichtszustand lässt sich durch nachfolgende Wärmebehandlungen wieder
beseitigen.
Grundsätzlich werden diese Ungleichgewichtszustände durch schnelle Abkühlung erreicht.
Dadurch entstehen Phasenverteilungen und Konzentrationsverteilungen, die nicht dem
Gleichgewichtszustand entsprechen. Wie bei der Kaltverformung ergibt sich eine
Festigkeitssteigerung durch die Erhöhung des inneren Spannungszustandes.
Die Umwandlungshärtung wird bevorzugt bei der Stahlhärtung in Anwendung gebracht.
Die Aushärtung oder Ausscheidungshärtung ermöglicht umwandlungsfreie Legierungen
wie Al, Cu, Ni und andere durch thermische Behandlung zu verfestigen. Die Aushärtung kann
auch zusätzlich zur Umwandlungshärtung angewandt werden (Martensitaushärtung).
Voraussetzung für eine Verfestigung des Werkstoffs durch eine Umwandlungshärtung ist eine
Phasenänderung im festen Zustand, wie dies bei Stählen in Form der γ - α Umwandlung
(Austenit - Ferrit) gegeben ist. Diese γ - α Umwandlung ist zwar notwendig aber nicht
hinreichend.
Es ist zusätzlich erforderlich, dass die Löslichkeit eines Elements (hier der Kohlenstoff) in der
Ausgangsphase wesentlich größer ist als in der nach dem Abschrecken erreichten Endphase.
Zudem ist es notwendig, dass die Phasenumwandlung mit einer wesentlich höheren
Geschwindigkeit als der Diffusionsgeschwindigkeit erfolgt. Die Phasenumwandlung darf also
nicht diffusionsgesteuert sein.
Beim Stahl (der alle diese Bedingungen erfüllt) ergibt sich somit, dass der Kohlenstoff das
Gitter der Endphase nicht verlassen kann und somit eine Verfestigung bewirkt.
154
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Mechanismus der Härtebildung (Martensitische Umwandlung)
Im α-Eisen (Ferrit) beträgt die Kohlenstofflöslichkeit bei Raumtemperatur nur noch 10-3%!
Um aber das kfz Gitter des Austenits (γ-Eisen) in das krz Gitter des α-Eisens überführen zu
können, müssen sich die nicht mehr löslichen Kohlenstoffatome in Form von Zementit (Fe3C)
neben dem Ferrit im Gefüge anordnen. Bei hohen Abkühlgeschwindigkeiten kann dieser
Diffusionsvorgang nicht mehr vollständig ablaufen.
Kristallstruktur
γ-Fe
Austenit
kfz
α-Fe
Ferrit
krz
Anzahl
Art der Lücke
Radius der Lücke
[10-12 m = pm]
4
Oktaeder
53
8
Tetraeder
28
6
Oktaeder
19
12
Tetraeder
36
Das kfz-Gitter hat weniger Lücken als das krz-Gitter aber diese sind größer.
Man erkennt aus obiger Tabelle warum die Kohlenstofflöslichkeit im Ferrit so gering ist.
Obwohl die krz Struktur die weniger dicht gepackte Struktur ist (man sollte also annehmen es
ist mehr Platz um Zwischengitteratome einzubauen), ist der vorhandene Platz für zusätzliche
Atome geringer (dafür mehr Plätze zur Verfügung). Im Vergleich hierzu die Größe der Atome
Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff: rH = 32 pm, rN = 75 pm, rC = 77 pm,
rO = 72 pm. Kohlenstoff löst sich mit bis zu 2wt.% im kfz-γ-Eisen, ist aber praktisch unlöslich
im krz-α-Eisen
Bei zunehmender Unterkühlung ergibt sich eine treibende Kraft zur Auslösung eines
diffusionslosen "Umklappvorgangs" vom austenitischen kfz-γ-Gitter zum ferritischen
krz-α-Gitter. Die nächsten Nachbarn bleiben bei diesem Umklappvorgang erhalten. Es ändert
sich aber ihre Position und ihr Abstand zueinander. Der Umklappvorgang kann als Scherung
entlang Habitusebenen verstanden werden. Zwangsläufig muß das Volumen zunehmen, da die
dichteste Packung (kfz) aufgehoben wird.
Die martensitische Reaktion (z.B. auch zu beobachten bei Kobalt von kfz in hdp) ist eine
athermische Reaktion.Sie hängt zwar von der Temperatur aber nicht von der Zeit ab.
Martensitische Reaktionen verlaufen oft mit Schallgeschwindigkeiten des betreffenden
Materials.
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Unstetige Zunahme der Martensitmenge beim Abkühlen unter die Ms-Temperatur (stark
überhöhte Stufenhöhe).
Zweidimensionales Modell zur
Veranschaulichung der
Martensitumwandlung. Abgescherter Bereich
und Ausgangsgitter grenzen an der
Habitusebene H aneinander.
Die Elementarzelle von raumzentriertem
tetragonalen Martensit, hervorgegangen aus
der kfz-Struktur des Austenits
Die Gitterdeformation im tetragonalen Martensit hat einen hohen Spannungszustand. Dadurch
sind Versetzungsbewegungen stark vermindert oder nahezu vollständig blockiert. Dadurch
156
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
entsteht eine große Härtezunahme, Festigkeitskennwerte steigen an, Zähigkeit und Duktilität
werden entsprechend vermindert. Die nachfolgende Tabelle gilt für starre Kugeln.
System
Phasenumwandl.
Habitusebene
Scherrichtung
Scherdehnung
Normalkomp.
der Dehnung
Fe Ni 30
fcc zu
bcc
(9 23 33)
~ <156>
20%
5%
Fe C 1,35
fcc zu
bct
(225)
<112>
19%
9%
Fe Ni C 22 0,8
fcc zu
bct
(3 10 15)
~ <132>
19%
-
reines Ti
bcc zu
hcp
(8 9 12)
~ <111>
22%
-
Habitusebenen, makroskopische Verzerrungen von Martensitischen Transformationen
Mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt werden mehr Zwischengitterplätze durch C-Atome
aufgefüllt. Dabei weitet sich die tetragonale Zelle zunehmend auf. Bei einem
Kohlenstoffgehalt von 1.6 % ist das Verhältnis c/a = 1.078.
Im ebenen Schliff zeigt sich ein nadelförmiges homogenes, plattenförmig aufgebautes
Gefüge.
157
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
20 µm
Gefüge eines martensitischen Stahls.
Schematischer Ablauf der Martensitbildung (Die Wiederherstellung des ursprünglichen Volumenelementes ist nötig, da der Martensit von allen Seiten von fester Materie umgeben ist,
Normalkomponenten der Dehnung hier vernachlässigt):
Volumenelement im
Ausgangsgitter
Veränderung des
Volumenelements
durch Abscherung
Wiederherstellung
durch
Zwillingsbildung
Wiederherstellung
durch Abgleiten
Durch die zunehmende Tetragonalität mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt nimmt die
Tendenz zur Martensitumwandlung ab. Somit nimmt mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt
sowohl die Start- (Ms) als auch die Endtemperatur Mf der Martensitbildung ab.
158
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Abhängigkeit der Ms und der Mf-Temperatur vom Kohlenstoffgehalt bei unlegiertem Stahl.
Für Kohlenstoffgehalte > 0.7 % liegt die Mf-Temperatur unterhalb der Raumtemperatur, d.h.
der Austenit wandelt nicht vollständig in den Martensit um.
Härte von Martensit und Austenit in Abhängigkeit vom Kohlenstoffgehalt.
Bei Kohlenstoffgehalten oberhalb 0.7 % werden die Stähle auf Temperaturen oberhalb der
A1-Temperatur gebracht so, dass sich γ und Fe3C (Austenit und Sekundärzementit) bildet.
Dabei ergibt sich ein Kohlenstoffgehalt von 0.9 % im Austenit. Wird dieser Zustand
abgeschreckt wandelt sich der Austenit fast vollständig in Martensit um und es ergibt sich
praktisch kein Härteabfall, da der Zementit die gleiche Härte hat wie der Martensit (Kurve 2
159
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
im unteren Bild). Wird jedoch über den gesamte Temperaturbereich abgeschreckt ergibt sich
auf Grund der niedrigen Mf Temperatur bei hohen Kohlenstoffgehalt ein hoher Austenitgehalt
und einen Abfall im Härteverlauf (Kurve 1 im unteren Bild).
Härte nach Abschrecken aus dem γ-Gebiet (Kurve 1) und nach dem Abschrecken aus dem
Zweiphasengebiet γ + Fe3C (Kurve 2). Am Ende der Kurve 1 ist noch Restaustenit vorhanden.
Ablauf der Umwandlungshärtung - Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit
Zunächst muss der Stahl im austenitischen Zustand vorliegen. D.h. untereutektoide Stähle
werden auf 30 bis 50°C über A3 (γ -α Umwandlung, im reinem Eisen bei 911°C) erwärmt Bei
übereutektoide Stähle liegt die Temperatur um den gleichen Betrag über A1 (eutektoide
Umwandlung bei 723°C).
Wird der austenitisierte Werkstoff nun mit zunehmender Geschwindigkeit abgekühlt, so
erfolgen die Umwandlungsvorgänge nicht mehr nach dem Gleichgewichtsdiagramm, sondern
die Phasengrenzlinien erfahren eine Verschiebung zu niedrigeren Temperaturen. Der
A3-Punkt (Beginn der γ - α Umwandlung) fällt mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit
stärker ab als der A1 Punkt. Bis sie in einem Punkt A' zusammenfallen. Dieser ist dadurch
gekennzeichnet, dass gleichzeitig Austenit zerfällt und Perlit bildet. Für die Bildung des bei
langsameren Abkühlgeschwindigkeiten entstehenden lamellaren Perlits steht für die
Kohlenstoffdiffusion nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung. Dann entsteht durch eine
diffusionslose Umwandlung (Umklappen des Kristallgitters) ein martensitisches Gefüge
(genauere Beschreibung der martensitischen Umwandlung erfolgt im übernächsten
Unterkapitel).
160
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Verschiebung der A1 und A3 Umwandlungstemperatur bei einem untereutektoiden
Stahl. Beginn der Zwischenstufe Az und der Martensitbildung Ms sind eingezeichnet.
UK ... untere kritische Abkühlgeschwindigkeit,
OK ... obere kritische Abkühlgeschwindigkeit.
Das erste Auftreten des Martensits findet bei der unteren kritischen Abkühlgeschwindigkeit (UK) statt. Bei Überschreiten der oberen kritischen Abkühlgeschwindigkeit (OK) wird
reiner Martensit gebildet. Die Martensitbildung ist dann geschwindigkeitsunabhängig und die
Martensitmenge nur noch temperaturabhängig. Somit lassen sich Linien für den Beginn Ms
(s für start) und Ende Mf (f für finish) der Martensitbildung eintragen.
Schon vor Einsetzen der Martensitbildung entstehen durch unterdrückte Diffusionsvorgänge
Gefügeausbildungen, die signifikant vom Gleichgewichtszustand abweichen. Mit
zunehmender Abkühlgeschwindigkeit lassen sich unterscheiden:
• Umwandlung in die Perlitstufe:
Durch die erschwerte Diffusion werden die Diffusionswege kürzer, so dass der Perlit
geschwindigkeitsabhängig zunehmend feinlamellare Form annimmt (siehe Abbildung
Seite 34).
161
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
• Umwandlung in die Zwischenstufe:
Die platten- bzw. lamellenförmige Anordnung der Ferrit und Zementitteilchen des
Perlitgefüges geht verloren, da die Grenzflächenenergien zu groß werden. Der Zementit
liegt dann in feinstverteilter Form innerhalb der Ferritmatrix vor. Die Größe der
Zementitteilchen liegt zum Teil unterhalb des Auflösungsvermögens des Lichtmikroskops.
Dann erfolgt die Umwandlung in der Martensitstufe:
Die Diffusion ist vollständig unterdrückt. Nach dem diffusionslosen Umklappen des
kfz-Gitters liegt der Kohlenstoff zwangsgelöst im krz-Gitter vor.
Zweckmäßigerweise werden Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubilder (ZTU-Diagramme)
verwendet. Sie lassen sich durch die konkurrierenden Effekte der Keimbildungsgeschwindigkeit und der Wachstumsgeschwindigkeit der Keime erklären (siehe Seite 72).
Das Gefüge wird in Abhängigkeit von der Abkühlzeit (logarithmisch!) angegeben.
Veränderung der Gefügeumwandlung und der Gefügezustände in Abhängigkeit vom ZeitTemperaturverlauf bei der Abkühlung in Bezug zum Gleichgewichtsschaubild. Eingezeichnet
sind die untere (UK) und obere (OK) Abkühlgeschwindigkeit.
Einflüsse auf die Zeitabhängigkeit bei der Umwandlungshärtung
Das obige ZTU-Diagramm ist für bestimmte Abkühlverläufe gültig und wird deshalb als
kontinuierliches ZTU-Schaubild bezeichnet.
162
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Es werden jedoch auch sog. isotherme ZTU-Schaubilder verwendet, da diese experimentell
einfacher zu ermittelnd sind. Die isothermen Schaubilder werden auf den Linien gleicher
Temperatur abgelesen.
Temperaturführung zur Bestimmung eines kontinuierlichen und eines isothermen
ZTU-Diagramms (durchgezogene Linie => kontinuierlich, gestrichelt => isotherm).
Isothermes Zustandsschaubild eines untereutektoiden Stahls mit 0.45 % C, vergleiche mit der
folgenden Abbildung des kontinuierlichen Zusatndsschaubildes.
163
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Kontinuierliches ZTU-Schaubild eines untereutektoiden Stahls mit 0.45 % C.
Bei der im kontinuierlichen ZTU-Schaubild mit 1 bezeichneten Kurve ergibt sich ein Gefüge
aus 10 % Ferrit, 80 % Perlit, 5 % Zwischenstufe und 5 % Martensit (je nach Temperatur mit
Restaustenit). Die Härte beträgt 274 HV. Bei langsamerer Abkühlung (Kurve 2) ergibt sich
ein Gefüge aus 30 % Ferrit, und 70 % Perlit, mit einer Vickers Härte von 224 HV. Bei
übereutektoiden Stählen fehlt die Ac3 und Ac1 Linie und das Ferritgebiet wird durch ein
Zementitgebiet (Fe3C) ersetzt.
Durch Zugabe von Legierungselementen kann der Diffusionskoeffizient des Kohlenstoffs
herabgesetzt werden. Dadurch wird der Stahl umwandlungsträger. Die "Nasen" verschieben
sich nach rechts.
164
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
keine
Karbidbildungsneigung
Karbidbildner
Isothermes ZTU-Diagramm zur Darstellung der Beeinflussung des Umwandlungsverhaltens
durch das Zulegieren der Elemente Ni, Mn, W und Mo.
Elemente wie Nickel und Mangan, die keine ausgeprägte Karbidbildungsneigung haben,
verschieben das Umwandlungsgeschehen insgesamt zu längeren Zeiten. Molybdän und
Wolfram als starke Karbidbildner verzögern die Umwandlung in der Perlitstufe stärker als in
der Zwischenstufe.
Die Verschiebung nach rechts bedeutet, dass bei Zugabe entsprechender Legierungselemente
die kritische Abkühlgeschwindigkeit zur Bildung von Martensit herabgesetzt wird. Nur wenn
der Austenit durch hohe Abkühlgeschwindigkeiten in einen stark unterkühlten Zustand
gebracht wird, kann dieser vollständig in Martensit umgewandelt werden. Falls bei nicht
genügend hoher Abkühlgeschwindigkeit bereits Teile des Austenits in die Perlitstufe
umwandeln ist das vollmartensitische Gefüge nicht mehr zu erzielen.
165
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Isothermes ZTU-Schaubild eines untereutektoiden Stahls mit 0.45 % C und der Zugabe von
3.5 % Cr. Verschiebung um ca. zwei Größenordnungen im Vergleich zur Abbildung auf
Seite 163.
Medium
Luft
Öl
Metallbad
H2O
Kühlsohle
(Salzlösung)
Abkühlgeschwindigkeit im Zentrum eines 25 mm
dicken Barrens [K/s]
ohne Bewegung
<1
mit Bewegung
5-9
ohne Bewegung
18
mit Bewegung
45
Pb oder Sn
50
ohne Bewegung
45
mit Bewegung
190
ohne Bewegung
90
mit Bewegung
230
166
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
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Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Härtbare Querschnittsbereiche bei (vAB ... Abkühlgeschwindigkei, vOK ... obere kritische
unlegiertem Stahl
(Wasser- oder Schalenhärter)
Abkühlgeschwindigkeit):
niedriglegiertem Stahl
(Ölhärter)
167
legiertem Stahl
(Lufthärter)
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Verfahren zur Umwandlungshärtung
Durch unterschiedliche Temperaturführungen bei der Abkühlung von der Austenittemperatur
ist es möglich, unterschiedliche Gefüge einzustellen und damit dem Stahl differenziert
unterschiedliche mechanische Eigenschaften zu verleihen => mehrstufige
Wärmebehandlungen, Anlassen nach dem Härten (Vergüten).
Direkthärtung
Hier erfolgt eine schroffe Abkühlung des Werkstücks von der Austenitiersungs- auf die
Raumtemperatur. Es ergeben sich Abkühlkurven in den kontinuierlich eingetragenen ZTUSchaubildern.
Temperaturführung im schematischen ZTU-Schaubild zur Durchführung von Direkthärtung,
Warmbadhärtung und Zwischenstufenvergütung.
Bei größeren Querschnitten und/oder bei Absätzen und Querschnittsübergängen kann die
notwendige Temperaturführung beim Direkthärten, insbesondere bei unlegierten und
niedriglegierten Stählen, zu erheblichen Wärme- und Umwandlungsspannungen führen. Dies
birgt die Gefahr des Bauteilverzugs und der Rißbildung. Dadurch sind diesem Verfahren
durch Bauteilgeometrie und Werkstoff Grenzen vorgegeben.
168
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Warmbadhärtung
Hierbei können die Wärme- und Umwandlungsspannungen wirksam herabgesetzt werden.
Um ein vollmartensitisches Gefüge zu erhalten muß auch hier an der Perlitnase vorbei
abgekühlt werden, d.h. der unterkühlte Austenit bleibt bis zum Erreichen der Ms-Temperatur
erhalten.
Bei Temperaturen unterhalb der Perlitnase verlängern sich die Zeiten bis zum Erreichen der
Umwandlungslinie erheblich. D.h. die schroffe Abkühlung kann nun unterbrochen werden. Es
wird also nicht bis auf RT abgeschreckt sonder auf Temperaturen oberhalb der
Ms-Temperatur. Auf dieser Temperatur wird der Werkstoff gehalten. Dadurch ist die
Möglichkeit gegeben Temperaturunterschiede auszugleichen (Wärmespannungen werden
abgebaut).
Um diesen Abkühlverlauf zu erreichen wird das Werkstück in einer Salzschmelze (manchmal
auch einer Metallschmelze) auf geeigneter Temperatur abgeschreckt. Danach wird dann an
Luft weiter bis zur Martensitbildung abgekühlt.
Zwischenstufenvergütung
Ähnlich der Warmbadhärtung. Allerdings wird hier die Temperatur im Warmbad so lange
gehalten, bis sich der unterkühlte Austenit isotherm vollständig in Zwischenstufengefüge
(feinstverteiltes Zementit in Ferritmatrix) umwandelt. Auch hier werden die
Wärmespannungen während des Haltens und des Umwandlungsvorgangs abgebaut.
Durch das Zwischenstufenvergüten erübrigt sich eine nachfolgende Anlaßbehandlung.
Allerdings ist durch die langen Haltezeiten das Zwischenstufenvergüten auf Werkstücke mit
kleinen Querschnitte und auf umwandlungsrasche Stähle beschränkt.
Thermomechanische Behandlung
Verformung des Austenits vor oder während der Umwandlung, d.h. im stabilen oder
metastabilen (unterkühlten) Austenitgebiets.
Durch Verformung im stabilen Austenitgebiets läßt bei geeigneten Umformgraden über
Rekristallisation ein sehr feinkörniges und gleichmäßiges Austenitkorn einstellen. Dies führt
zu gleichmäßigen und günstigen Festigkeitseigenschaften (siehe Metalle I).
169
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Bei einer Verformung des unterkühlten Austenits findet keine oder nur teilweise
Rekristallisation statt. Der nachfolgende Umwandlungsvorgang wird beeinflusst, so dass
durch mit der überlagerten Kaltverfestigung die Einstellung der gewünschten Eigenschaften
ermöglicht wird. Erfolgt unmittelbar nach der Verformung die martensitische Umwandlung,
so ergibt sich die sog. Austenitformhärtung mit außerordentlich hohen Festigkeitskennwerten.
Nur anwendbar für Stähle mit hoher Umwandlungsträgheit.
Tieftemperaturbehandlung
Durch Bildung und Ausbreitung der Martensitplatten nach Unterschreitung der
Ms-Temperatur erfährt die umgebende Austenitmatrix infolge der Volumenänderung
zunehmend Kaltverformung und damit Verfestigung. Dadurch wird eine weitere Ausbreitung
in das Austenitgebiet erschwert. Es kann somit eine geringe Menge Restaustenit erhalten
bleiben.
Auch geringe Mengen Restaustenit können bei langzeitigen, tiefen Bauteiltemperaturen zum
Verzug und damit zu Veränderungen der Bauteileigenschaften führen (Versprödung). Um den
Restaustenit abzubauen wird bei sehr hohen Anforderungen (Präzisionswälzlager, Lehren)
eine Tieftemperaturbehandlung vorgenommen, flüssigem CO2 (-79°C) oder N2 (-196°C),
über mehrere Stunden.
Vergüten
(Kann unter anderem auch zum Abbau des Restaustenits führen) Vergüten besteht aus einer
Temperaturfolge, bei der im Anschluß an das Härten eine Wiedererwärmung mit langsamer
Abkühlung erfolgt. es kann aus mehreren Temperaturzyklen bestehen. Mit der Vergütung
(Härten und nachfolgend Anlassen) können sehr gezielt verschiedene Gefügezustände auch
bei Bauteilen mit großen Querschnitten eingestellt werden. Somit ist die Anpassung des
Werkstoffs an definierte Anforderungen möglich.
170
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Temperatur-Zeitfolge bei einer Vergütungsbehandlung
(Härten und anschließendem Anlassen):
Gefügebeeinflussung
Das Volumen des Martensits ist größer als das des Perlits (α-Eisen und Fe3C). Wird der
Martensit angelassen (schon 100°C genügen), so zerfällt dieser über verschiedenen
Zwischenstufen (Anlaßstufen) zu α-Eisen und Eisenkarbid in kugeliger Anordnung. Dies läßt
sich an den Längenänderungsmessungen mittels eines Dilatometers verfolgen. es ergeben sich
zusätzlich zur linearen Wärmeausdehnung Ausdehnungen und Kontraktionen.
Längenänderungen eines von 1150°C abgeschreckten Stahls mit 1.3 % C in Abhängigkeit von
der Anlaßtemperatur.
1. Tetragonaler → kubischer Martensit (Anlaßstufe 100 bis 200°C):
Der unter hohen Gitterspannungen stehende tetragonale Martensit gibt seinen Kohlenstoff
an sog. ε-Karbide (Fe2.4C) ab. Dies führt zu dem Abbau der tetragonalen Verzerrungen. es
171
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
entsteht ein kubischer Martensit, der sich leicht anätzen läßt und damit im Lichtmikroskop
dunkel erscheint (=> schwarzer Martensit). Die Probe erfährt eine Verkürzung.
2. Restaustenit → kubischer Martensit (200 bis 325°C):
Der Restaustenit zerfällt in kubischen Martensit und in ε-Karbide. Gleichzeitig beginnt die
Bildung des stabilen Eisenkarbides Fe3C. Durch den Austenitzerfall ergibt sich eine
Volumenvergrößerung.
3. Fe2.4C → Fe3C (325 bis 400°C):
Der kubische Martensit (a = 0.291 nm) verarmt an Kohlenstoff und erreicht die
Zusammensetzung des Ferrits (a = 0.286 nm). Dadurch und durch die Umwandlung des
verbliebenen ε-Karbids bildet sich Zementit,. es bilden sich Kugeln im Gefüge, erkennbar
im Lichtmikroskop => Volumenkontraktion.
4. Koagulation von Zementit (Fe3C) bei Temperaturen > 400°C:
Keine definierten Gefügeänderungen. Die Karbidteilchen koagulieren.
Beeinflussung der mechanischen Kennwerte
Durch Härten und Anlassen werden Gefügezustände eingestellt, die zu einem Abbau der
hohen Sprödigkeit führen. damit läßt sich, je nach Bedarf, günstiger Kompromiß aus hoher
Festigkeit bei ausreichender Zähigkeit einstellen.
Bereich der durch die Vergütungsbehandlung
einstellbaren Zugfestigkeit unlegierter Stähle.
172
Wirkung des Anlassens auf den Arbeitsverbrauch eines Stahls mit 0.35 % C (Ck35)
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Einfluss des Kohlenstoffgehalts und der Wärmebehandlung auf die Eigenschaften von
unlegiertem Stahl. Normalglühen: Austenitisieren oberhalb A3, bzw. Azm (im Austenitgebiet)
dann abschrecken an Luft → feiner Perlit. Grobkornglühen (oberhalb A3 untereutektoid, bzw.
760°C übereutektoid) dann langsames abkühlen im Ofen → grober Perlit. Normalgeglüht:
hohe Festigkeit, geringe Duktilität, Grobkorngeglüht umgekehrt.
Allerdings kann Anlassen (bei ca. 480°C) in Chrom-reichen Stählen (> 25 %) durch die
Bildung einer nadelförmigen σ-Phase eine Versprödung möglich. Diese wird durch Erwärmen
über 600°C wieder abgebaut.
Härtbarkeitsprüfung (Jominy-Test)
Eine zylindrische Stahlprobe wird an ihrer Stirnseite mit Wasser abgeschreckt. Probenabmessungen und Abschreckbedingungen sind normiert. Mit zunehmendem Abstand von der
Stirnfläche nimmt die Abkühlgeschwindigkeit ab. Härtemessungen in Längsrichtung der
Probe spiegeln dies wieder. Ein langsamer Abfall der härte auch in größeren Abständen von
der Stirnfläche kennzeichnen eine gute Einhärtbarkeit. Ein schneller Abfall eine schlechte
Einhärtbarkeit. Die Härte der Stirnfläche entspricht der Aufhärtbarkeit.
173
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Versuchsanordnung des Stirn- Beziehung zwischen Härteverlauf und Abkühlverläufen im
abschreckversuchs nach Jominy.
kontinuierlichen ZTU-Schaubild einer Jominy-Probe.
174
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Verfahren zur Randschichthärtung
Die Anforderungen an den Werkstoffquerschnitt sind hauptsächlich Festigkeit und
Bruchsicherheit. Die Oberfläche muß gute Eigenschaften in Bezug auf Verschleiß- und
Errosions- und Korrosionsbeständigkeit besitzen. Diese Anforderungen sind bei metallischen
Werkstoffen oft ohne Verwendung von Beschichtungen möglich. Gezielte
Behandlungsverfahren ermöglichen eine effektive Randschichthärtung.
Martensitbildung und Eindiffundieren eines Elements (z.B. Stickstoff) führen im Randbereich
zu einer Volumenzunahme. Dies führt zu Druckspannungen, was eine Erhöhung der
Wechselfestigkeit zur Folge hat (siehe Metalle I).
Thermische Verfahren
Diese beruhen auf den unterschiedlichen Temperatur-Zeitverläufen des Randes im Vergleich
zum Kern. Die Martensitbildung ist dann nur im Rand gegeben.
Andererseits kann durch eine Flamm-, Induktions- oder Tauchhärtung erzielt werden, dass
nur der Randbereich in das Austenitgebiet erwärmt wird. Die Einstellung der Härtetiefe
erfolgt bei der Flammhärtung über Vorschub und Brennereinstellung (max. 1 kW/cm2), bei
der Induktionshärtung über die Frequenz und die Generatorleistung (max. 10 kW/cm2). Bei
der Tauchhärtung wird das Bauteil in eine Salz- oder Metallschmelze über einen gewissen
zeitraum eingetaucht. Alle drei Verfahren benötigen eines rasches Abschrecken der
Oberfläche.
Weitere Verfahren durch Kurzzeiterwärmung mittels:
• Elektronenstrahlen
• Laserstrahlen
• Hochfrequenzimpulse mit Frequenzen um 27 MHz
hier erfolgt das abschrecken durch den Kern des Bauteils. Es lassen sich extrem feinkörnige,
bis zu glasartigen Randzonen erzeugen.
Thermisch-chemische Verfahren, Einsatzhärtung
Der Kohlenstoffgehalt wird in der Randschicht erhöht, so dass diese martensithärtbar wird.
Der Werkstoff muß im austenitischen Zustand (γ-Gebiet) vorliegen um Kohlenstoff
aufnehmen zu können. Die kohlungsmedien können Pulver, Bäder (Zyanbäder) oder
gasförmige Kohlenstoffverbindungen sein.
175
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Gleichgewichtsdiagramm für die Reaktion
Gleichgewichtsdiagramm Fe - O - C bei 1 bar.
Rechts der Gleichgewichtslinien sind
2 CO ↔ CO2 + C bei einem Druck von 1 bar.
Entkohlungs-, links
Aufkohlungsbedingungen.
Der Randkohlenstoffgehalt kann im unlegierten Stahl bis maximal 0.7 % erhöht werden.
176
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Härteverlauf in Ausscheidungsschichten verschiedener gasnietrierter Werkstoffe, nach 36 h
bei 530°C.
Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Einsatzhärtetiefe. Per Definition ist dies der Abstand
von der Oberfläche an der eine Vickers-Härte von 550 HV gemessen wird. Die
Einsatzhärtetiefe ist eine Funktion von Zeit und Temperatur, da sie durch die Diffusion
bestimmt ist.
Thermisch-chemische Verfahren, Nitrieren
Beim Nitrieren wird der Randzone aus einem Stickstoff abgebenden Medium (Salzbäder oder
Gasatmosphären) durch Diffusion Stickstoff zugeführt. Es besteht die Gefahr, dass sich im
Ferrit grobe Nitritnadeln bilden, welche die Härteschicht zum Abplatzen bringen können.
Großer Vorteil des Nitrierens sind die geringeren Temperaturen ≤ 600°C → Kostenersparnis
und Gefahr für Verzug ist deutlich geringer.
Oft wird auch Kohlenstoff mit angeboten (Karbonitrieren). Dies erfolgt beim Badnitrieren
über Zyan-Salze (CN), beim Gasnitrieren über Ammoniak und einem Kohlenstoffträgergas.
Beim Ionitrieren wird der Stickstoff unter Verwendung einer Glimmentladung ionisiert, das
Werkstück als Kathode geschaltet und nimmt dadurch den Stickstoff sehr viel schneller auf.
Es kann molekularer Stickstoff (N2) statt Ammoniak (NH3) verwendet werden. Dadurch wird
177
Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
die Bildung atomaren Wasserstoffs verhindert und damit die Gefahr der
Wasserstoffversprödung verhindert.
Aufbau einer Nitrierschicht.
Nitrieren zeichnet sich durch eine besonders hohe Verzugsfreiheit aus. Es läßt sich ein sehr
guter Verschleißwiderstand erzielen, Ebenso wie eine Steigerung der
Korrosionsbeständigkeit.
Gewichtsverlust durch Abrasion bei Stahlkiesbestrahlung im unnitrierten, einsatzgehärteten
und nitrierten Zustand.
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Metalle II, H4 Diplom, 7. Sem
Uwe Glatzel
Metalle WE4, M.Sc. MSE, 1.Sem.
Martensitumwandlung von Nichteisenmetallen (Formgedächtnislegierungen)
Eine der Austenit-Martensitumwandlung vergleichbare Phasentransformation tritt auch bei
einigen Nichtmetalleisenlegierungen auf (Shape Memory Alloys). Es ist möglich die
Ausgangsform eines Werkstücks nach zwischenzeitlicher Verformung durch eine
Wärmebehandlung in ihre ursprüngliche Form zurück bringen.
Nutzung des Formgedächtniseffekts für die Verbindung von Rohren.
Geeignete Legierungen mit technisch ausnutzbarem Memory-Effekt, d.h. mit
verformungsfähigem Martensit und mit höherfesten Austenit, sind vor allem Ni-TiLegierungen (50:50), denen oft noch ein drittes Element, z.B. Cu zulegiert ist. Außerdem sind
noch geeignet Cu - Zn - Al und Cu - Al - Ni Legierungen.
Ein weiterer Effekt der Austenit-Martensittransformation ist eine Pseudo-Elastizität mit bis zu
8% reversibler Verformung (Au - Cd Legierungen). Hierbei wandelt sich der zuvor gebildete
Martensit bei Entlastung zurück in den Austenit.
Bei Stahl ist ∆V/V ≈ 11%, bei Formgedächtnislegierungen ist ∆V/V≈ 1%. Somit besteht bei
Formgedächtnislegierungen die Möglichkeit, dass die Matrix sich nur elastisch verformt.
Wird also die Phasenumwandlung rückgängig gemacht, so ist die Gestaltsänderung der
Matrix reversibel da sie nur elastisch verspannt war.
Zudem ist bei Formgedächtnislegierungen die Energiebarriere zur Phasenumwandlung
wesentlich geringer als die Energiebarriere der plastischen Verformung (die Peierlsspannung).
Folglich erfolgt eine Verformung über Phasenumwandlung und elastische Verzerrung statt
über die "klassische" plastische Verformung durch Versetzungserzeugung und -bewegung.
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