Handelszeitung - Swissmechanic

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Handelszeitung - Swissmechanic
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Starker Franken
handelszeitung | Nr. 6 | 5. Februar 2015
Im roten
Bereich
Franken Über den Schweizer Automobilzulieferern
kreist der Pleitegeier. Sie kämpfen mit letzten Kräften
gegen Umsatzschwund und übermächtige Autobauer.
D
zvg
bernhard fischer
Formbauproduktion von Adval Tech: Die Automobilzulieferindustrie steht vor schwierigen Herausforderungen.
ie Produktionshallen von
Baumann Springs in Er­
menswil SG durchzieht ein
Höllenlärm. Es klopft,
rauscht und surrt, die eigene
Stimme hört man kaum. Ein grosser Teil
der Produktion läuft vollautomatisch auf
eigenentwickelten Maschinen ab. Das Un­
ternehmen biegt und stanzt im Zehntelse­
kundentakt Wellringfedern, Drahtformtei­
le und Bolzen. Baumann ist einer von 300
Automobilzulieferern, die zu einem gros­
sen Teil in der Schweiz produzieren.
Die Autozulieferbetriebe sind das Epi­
zentrum, in dem der Entscheid der Natio­
nalbank – die Aufgabe der Kursuntergenze
– am heftigsten eingeschlagen hat. Plötz­
lich sind ihre Produkte im zentralen Ex­
portmarkt Deutschland um 20 Prozent
teurer. Es ist ein Kampf um Sein oder
Nichtsein.
9 Milliarden Franken Umsatz und
mehr als 24 000 Beschäftigte in der Schwei­
zer Autozulieferindustrie: Diese Zahlen
sind seit dem SNB-Entscheid passé. Ein
Geschäftseinbruch von ein paar Prozent
kann bereits zum Scheitern eines Betriebs
führen. «Die Schweiz muss davon ausge­
hen, dass in den nächsten Jahren die De­
industrialisierung im Fahrzeugbau an
Tempo gewinnt», sagt Automobilexperte
Ferdinand Dudenhöffer vom Center for
Automotive Research (CAR). Langfristig
weise die Schweiz ein deutlich höheres
Währungsrisiko für das verarbeitende Ge­
werbe auf als der EU-Raum. «Die eigene
Währung hat ihre Kosten.»
In der hiesigen Autozulieferbranche
rechnet man mit einem Umsatzrückgang
von 10 Prozent. Ein Franken-Euro-Kurs
von 1:1 über einen längeren Zeitraum be­
deutet bis zu 3000 Entlassungen, fast 1
Milliarde Franken weniger Umsatz und
über 30 Firmenpleiten. Drei Jahre haben
die Unternehmen gebraucht, um sich auf
den fixen Mindestkurs von 1,20 einzustel­
len. Manche haben ab den Krisenjahren
2008/09 mit Verlagerungen ins Ausland
reagiert (siehe Grafik). Jetzt müssen die
Unternehmen die Preise neu kalkulieren.
Das wird nicht einfach. Angesichts der
Übermacht deutscher Autobauer wird es
Fortsetzung auf Seite 6
Die Branchen nach dem SNB-Entscheid
Vor
schwierigen
Zeiten
Wie wirkt sich die ­Aufhebung
des Euro-­Mindestkurses auf
die e
­ inzelnen Branchen aus?
 Maschinen- und Fahrzeugbau
Forscher der Konjunktur­
forschungsstelle der ETH (KOF) Beschleunigte
analysierten die Wirkung einer Verlagerung
Aufwertung des Frankens von
Ausgangslage Die Branche beschäftigt
1.20 auf 1.10 pro Euro. Die
rund 100 000 Personen. Während der
­Berechnungen basieren auf
Fahrzeugbau in den letzten 20 Jahren
wuchs, schrumpfte der Maschinenbau
­einer Umfrage bei knapp 900
durchschnittlich 1,1 Prozent jährlich.
Firmen aus ­allen Branchen, als um
Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 wurder Mindestkurs noch in Kraft
den im Maschinenbau rund 13 000 Beschäftigte abgebaut. Die Branche exporwar. Die A
­ ngaben beziehen
annähernd 80 Prozent ihrer Produksich auf die ­erwartete Umsatz- tiert
te, vor allem nach Europa. Entsprechend
veränderung innert 18 ­Monaten hoch ist ihre Wechselkursabhängigkeit.
und auf die erwartete Gewinn} Erwartete Einbussen
veränderung innert eines
­halben Jahres.
Armin Müller
Umsatz
–5,3%
Gewinn
–4,2%
} Folgen Die Maschinenindustrie treibt
den Strukturwandel seit Jahren voran
und erhöhte die Produktivität durch
­Rationalisierung, Automatisierung, Innovation, Verlagerung arbeitsintensiver
­Tätigkeiten und Spezialisierung auf
­wertschöpfungsstarke Aktivitäten. Die
Frankenstärke zwingt die Industrie zu
­einer nochmaligen Beschleunigung des
Produktivitätswachstums und verstärkter
Verlagerung ins Ausland.
 Metallindustrie
 Textil-/Bekleidungsindustrie
 Uhren und Elektronik
Zunehmende
Importkonkurrenz
Industrie ohne
Produktion
Wohlstand und
­Preiswettbewerb
Ausgangslage Die Branche beschäftigt
rund 100 000 Personen, ungefähr gleich
viele wie vor zehn Jahren. In der Phase
des schwachen Frankens 2004 bis 2008
wuchs die Beschäftigung um 11 000 Personen, doch die zusätzlichen Stellen
­wurden seither wieder fast vollständig
wegrationalisiert. Ihre Produkte gehen
ins Ausland oder als Vorleistungen in
­andere Industrien, die von der Frankenstärke ebenfalls betroffen sind.
Ausgangslage In den letzten 20 Jahren
wurden fast zwei Drittel der Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsindus­
trie wegrationalisiert. Im Durchschnitt
schrumpfte die Branche jährlich um 4,9
Prozent, so stark wie keine andere. In der
Phase des Euro-Mindestkurses ging die
Beschäftigung nochmals um fast 13 Prozent zurück. Heute arbeiten noch rund
14 400 Beschäftigte in der Textil- und
­Bekleidungsindustrie.
Ausgangslage Die Beschäftigung in der
Uhren-, Medizintechnik- und Elektronikbranche wuchs in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich 2,5 Prozent pro
Jahr. Die Uhrenbranche macht mehr als
80 Prozent ihres Umsatzes mit Uhren, die
ab Werk über 500 Franken kosten. Sie ist
damit mehr von der globalen Wohlstandsentwicklung abhängig als vom
Frankenkurs. Medizintechnik und Elektronik stehen dagegen im Preiswettbewerb.
} Erwartete Einbussen
} Erwartete Einbussen
} Erwartete Einbussen
} Folgen Die Branche steht im Inland
­unter zunehmendem Konkurrenzdruck
durch billigere Importe und verliert an
Wettbewerbsfähigkeit im Ausland. Mit
Rationalisierung und Spezialisierung können die Unternehmen gegensteuern,
aber die Lage wird bei einem anhaltend
starken Franken zunehmend kritisch.
Trotz gedrückten Margen müssen die Unternehmen in Innovationen investieren.
Das Kunststück wird nicht allen gelingen.
} Folgen Die Branche bietet die Blau­
pause für den beschleunigten Strukturwandel in der Schweizer Industrie:
­Extreme Konzentration auf wertschöpfungsstarke Aktivitäten in der Schweiz,
laufende Verlagerung der Produktion ins
Ausland, extreme Spezialisierung, internationale Aufteilung der Wertschöpfungskette. Auf jeden Angestellten in der
Schweiz kommen im Schnitt neun Mitarbeiter in ausländischen Tochterfirmen.
} Folgen In der Uhrenindustrie geht der
Trend weiter in Richtung vertikale Inte­
gration in Herstellung und Vertrieb sowie
Konsolidierung durch den Kauf von
­Marken. Elektronik und Medizintechnik
setzen weiter auf Forschung und Entwicklung, Automatisierung und Spezialisierung. Die Importkonkurrenz nimmt zu,
die Verlagerung von Produktionsschritten in Länder mit tieferen Lohnkosten
beschleunigt sich.
Umsatz
–5,2%
Gewinn
–3,7%
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Umsatz
–4,9%
Gewinn
–3,8%
Umsatz
–4,7%
Gewinn
–2,7%
Starker Franken
Nach Ländern (in Prozent)
0%
0%
50%
40%
30%
20%
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2013
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Fortsetzung von Seite 4
Im roten Bereich
schwierig, den bevorstehenden Preispoker zu gewinnen. «Die Schweizer Lieferanten sind stark abhängig von den
deutschen Automobilkonzernen», sagt
Anja Schulze vom CAR.
Zusammen bringen Deutschlands
grösste Autokonzerne einen Umsatz von
300 Milliarden Euro auf die Waage. Die
Marktmacht der Schweizer Zulieferer
macht gerade mal einen Dreissigstel davon aus. Freilich können sich die Autobauer aussuchen, von wem sie sich die
Teile für die Produktion liefern lassen.
Und zu welchem Preis. «Unsere Versorgung sehen wir durch die Frankenstärke
nicht als gefährdet an», sagt VW-Sprecher Christoph Adomat.
Wie sehr die Autokonzerne auf die
Kosten schauen, macht das operative
Ergebnis pro Fahrzeug bei Audi und
BMW deutlich. Dort liegt die Marge bei
rund 10 Prozent. Vor zehn Jahren war es
noch die Hälfte. Ausserdem ist die Menge der Teilelieferungen aus der Schweiz
aus Sicht der deutschen Autobauer
überschaubar. Die Konzerne kaufen ihre
Produkte weltweit ein. Und für ihre europäischen Werke fakturieren sie in
Euro. Ein Problem haben somit ausschliesslich Schweizer Zulieferer mit
dem starken Franken. Der Konkurrenzvorteil ausländischer Zulieferer gegenüber den schweizerischen steigt, weil
Erstere nicht dem selben Anpassungsdruck unterliegen. Ausserhalb der
Schweiz wird sich der Druck im Zuliefergeschäft durch die Frankenaufwertung
kaum verändern.
Gegeneinander ausgespielt
Ein Ausweg aus diesem Dilemma
könnten Zulieferplattformen sein, wie
sie zum Beispiel VW unterhält. Automobilexperte Tim Armstrong vom US-Berater Information Handling Services (IHS)
rechnet fest damit: «Die Betriebe werden versuchen, auf Zulieferplattformen
aufzusteigen, um auf einer globalen
Ebene mitspielen zu können und sich
Absätze zu sichern.» Dies allerdings
nicht ohne ein gewisses Klumpenrisiko
einzugehen: «Sie machen sich damit
noch abhängiger von einzelnen Autoherstellern.»
Volkswagen betreibt bereits eine solche Zulieferplattform. Wer es in die Lieferantendatenbank auf vwgroupsupply.
com schafft, kann damit rechnen, über
einen gewissen Zeitraum seine Produkte zu einem bestimmten Preis und zu
­einer bestimmten Menge zu verkaufen.
«Der Mittelstand wird
ausbluten, Insolvenzen sind
programmiert.»
Ferdinand Dudenhöffer
Automobilexperte der Uni Duisburg
Allerdings verlangt VW von seinen Zulieferern dafür, alle Karten auf den Tisch
zu legen.
Im Registrierungsprozess will der
Konzern von seinen Zulieferern jedes
Detail in der Kalkulation wissen und
verlangt volle Kostentransparenz. In einem sogenannten Cost Breakdown werden die eingesetzten Materialien und
die Produktionsschritte zu den jeweiligen Preisen aufgeführt. «Die marktmächtigen Auftraggeber verlangen da-
2008
mit Informationen, die ihre Verhandlungsposition unangemessen stärken»,
kritisiert Bettina Schwegmann vom
Fachverband Kaltwalzwerke in Düsseldorf. Sie vertritt eine Branche, welche zu
den Vorlieferanten der Automobilzulieferindustrie gehört. «Bei Weigerung drohen die Hersteller unverhohlen mit dem
Abbruch der Geschäftsbeziehungen»,
weiss Schwegmann aus Erfahrung. Auf
diesem Weg erzwingen sie die Preisgabe
der Kosten mehrerer Zulieferer und nutzen die Informationen, um diese gegeneinander auszuspielen.
Auch Daimler macht das offenkundig so. In einem vertraulichen PriceBreakdown-Dokument (PBD) fragt der
Mercedes-Hersteller nach sämtlichen
«Unterlieferanten»,
detaillierten
«Transport-, Rohmaterial- und Fertigungskosten» bis hin zur Anzahl der
«Maschinenbediener» und den «Arbeitskosten pro Minute». Wenn ein
Schweizer Zulieferer einen Auftrag haben will, muss er alle Informationen offenlegen – zu seinem Nachteil. Denn
der Hersteller kann mit den Informationen über Vorlieferanten sämtliche
Konkurrenten im Preis drücken. Am
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In diesen Regionen produzieren Schweizer Zulieferer
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Nach Automarken (in Prozent)
De
Personalkosten Mehr als die
Hälfte der Schweizer Autozulie­
ferer kämpft mit vergleichsweise
hohen Betriebskosten. Während
die durchschnittlichen Personal­
kosten in der Produktion bei ­­­
42 Franken liegen, variieren die
Kosten in Deutschland zwischen
21 und 29 Franken. Die Lohnkos­
tendifferenzen sind so hoch,
dass diese nur durch eine höhere
Produktivität und einen höheren
Automatisationsgrad bewältigt
werden können. Diese Massnah­
men brauchen Zeit und Geld.
Diese Konzerne werden von Schweizer Zulieferern versorgt
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STandortnachteil
Me
6|
Quelle: Center of Automotive Research/ETH Zürich, 2013
Schluss müssen alle Federn lassen, aus­
ser der Einkäufer.
Daimler-Sprecher Sebastian Wahle
sieht das freilich anders: «Diskussionen
über Kosten führen wir mit unseren Lieferanten auf Basis unserer Referenzkalkulation, das ist ein bewährter Prozess
mit hoher Akzeptanz.» Es komme dabei
darauf an, bei anfangs hochpreisigen Innovationen durch Technologiesprünge
in der Fertigung Kostenoptimierungen
zu erreichen.
Noch dreister geht es bei den Direktverhandlungen hinter verschlossenen
Türen zu. Einkäufer und Lieferanten
treffen sich zum Vieraugengespräch im
Verhandlungszimmer. Der Einkäufer erfährt vom Lieferanten den Angebotspreis und geht damit zum Konkurrenten
im Nebenzimmer. So werden die Lieferanten ausgebootet, bis der Einkäufer
den gewünschten Preis erreicht. «Da
wird nicht mit Wattebäuschen geschmissen», erzählt Schulze vom CAR.
Viel Zeit, das neue Kursverhältnis zu
verdauen und allfällige Preisanpassungen sowie weitere Standortverlagerungen vorzunehmen, haben die Automobilzulieferer nicht. Denn in der Branche
Die Branchen nach dem SNB-Entscheid
 Hotels und Restaurants
 Chemie und Pharma
 Gross- und Detailhandel
 Nahrungsmittelindustrie
Konzentration auf
das Luxussegment
Die Exportbranche
Nummer eins
Der Strukturwandel
hat erst begonnen
Die Schäden des
Zwang zu mehr
­Agrarprotektionismus ­Effizienz
Ausgangslage In den letzten 20 Jahren
war die Beschäftigung im Gastgewerbe
durchschnittlich um 0,4 Prozent pro Jahr
rückläufig. Seit Beginn der Finanzkrise
sank die Zahl der Beschäftigten um rund
23 000 oder 10 Prozent. Mehr als die
Hälfte der Übernachtungen in den Hotels
machen ausländische Gäste aus, der
Frankenkurs ist entsprechend wichtig.
Die Personalkosten betragen etwa halb
so viel wie der Umsatz im Gastgewerbe.
Ausgangslage Die Beschäftigung wuchs
in den letzten zehn Jahren um jährlich 3,5
Prozent in der Pharma und schrumpfte
um 1,6 Prozent in der Chemie. Heute be­
schäftigen beide zusammen gut 70 000
Personen. Über 90 Prozent des Umsatzes
werden im Ausland erzielt. Die Branche
war 2014 für 41 Prozent aller Exporte ver­
antwortlich. Die Pharma profitiert vom
zunehmenden weltweiten Wohlstand
und von der Alterung.
Ausgangslage Gross- und Detailhandel
beschäftigen rund 538 000 Personen.
Seit 2004 wächst der Grosshandel jähr­
lich um durchschnittlich 1,6 Prozent, wäh­
rend der Detailhandel um 0,3 Prozent
schrumpft. Der internationale Rohstoff­
handel spielt zwar betreffend Beschäfti­
gung keine grosse Rolle, erwirtschaftet
aber eine hohe Wertschöpfung. Der star­
ke Franken und der tiefe Ölpreis drücken
hier stark auf Umsatz und Gewinn.
Ausgangslage Die Nahrungsmittelindus­
trie beschäftigt gut 67 000 Personen, 7,3
Prozent mehr als vor zehn Jahren. Die
Branche ist mehrheitlich auf den Heim­
markt ausgerichtet und daher wenig an­
fällig für Wechselkursschwankungen. An­
ders ist das bei speziellen Produkten wie
Schokolade, Zuckerwaren, Kaffee, Baby­
nahrung, Erfrischungsgetränken und
Käse, wo der Export einen bedeutenden
Anteil ausmacht.
Ausgangslage Die Branche beschäftigt
gut 230 000 Personen. Seit Ausbruch der
Finanzkrise 2008 stagniert die Beschäfti­
gung bei den Versicherungen, bei den
Banken schrumpfte sie um 3,5 Prozent.
Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses
trifft vor allem die Banken mit hohen
Kosten in der Schweiz und hohen Er­
trägen in Fremdwährungen. Die Regulie­
rung und das Ende des Bankgeheim­
nisses drücken die Margen.
} Erwartete Einbussen
} Erwartete Einbussen
} Erwartete Einbussen
} Erwartete Einbussen
} Erwartete Einbussen
} Folgen Die Hotellerie verliert gegen­
über der billigeren Konkurrenz im Aus­
land an Boden, sowohl bei inländischen
wie ausländischen Kunden. Der Spiel­
raum für Produktivitätssteigerungen ist
gering, die Branche leidet unter dem Ag­
rarprotektionismus. Der Strukturwandel
läuft nach dem Vorbild der Uhrenindus­
trie: Konzentration auf das wenig preis­
empfindliche Luxussegment und eine Art
Swatch-Produkt ohne Service für Junge.
} Folgen Von der Frankenstärke ist die
Pharmabranche kaum betroffen. Der
starke Franken untergräbt dagegen die
Wettbewerbsfähigkeit der Chemieprodu­
zenten. Das bereits seit Jahren hohe
Tempo des Strukturwandels wird hier
nochmals beschleunigt. Die Produktions­
verlagerungen werden zunehmen. Die
Branche spezialisiert sich auf Nischen­
spezialitäten und beratungsintensive
Produkte.
} Folgen Der starke Franken fördert den
bereits bedeutenden Einkaufstourismus
weiter. Der Preiswettbewerb in der
Schweiz verschärft sich und bringt die
Margen unter Druck. Angesichts des ho­
hen Anteils der Arbeitskosten im Detail­
handel liegt das grösste Potenzial für
Kostensenkungen beim Personaleinsatz.
Das bedeutet Automatisierung und
Selbst-Scanning. Der Strukturwandel hat
im Detailhandel erst begonnen.
} Folgen Der ausgebaute schweizerische
Agrarprotektionismus verteuert die Roh­
stoffbeschaffung für die Nahrungsmittel­
hersteller. Die Swissness-Vorlage mit
dem Erfordernis eines Inlandanteils von
80 Prozent wird das Problem weiter ver­
schärfen. Es wird nicht allen Anbietern
gelingen, durch die Konzentration auf
das Premiumsegment international wett­
bewerbsfähig zu bleiben. Der Struktur­
wandel beschleunigt sich.
} Folgen Regulierung, Konkurrenz und
nun auch der starke Franken zwingen die
Banken zu mehr Effizienz. Die Automati­
sierung und Digitalisierung von Dienst­
leistungen sowie die Verlagerung von
Stellen ins Ausland werden sich be­
schleunigen. Das Wachstum findet vor
allem in Asien statt. In der Schweiz gibt
es dagegen eine Konzentration im
­Private Banking. Der Strukturwandel im
Banking steht erst am Anfang.
Umsatz
–3,8%
Gewinn
–2,8%
Umsatz
–3,7%
Gewinn
–3,1%
Umsatz
–2,7%
Gewinn
–1,9%
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Umsatz
–2,0%
Gewinn
–2,8%
 Banken und Versicherungen
Umsatz
–1,2%
Gewinn
–0,6%
handelszeitung | Nr. 6 | 5. Februar 2015
Wo Schweizer Zulieferer beziehen und liefern
Deutschland verkauft die meisten PKW in Europa
Nach Ländern (in Prozent)
Verkäufe in 1000 Fahrzeugen
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
beziehen
Deutschland
England
Russland
Frankreich
Italien
Spanien
Schweiz
Osteuropa
Asien
Nordamerika
Südamerika
Welt
liefern
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2012
2013
2014
3083 29523000
2045 22652455
2935 27772350
1899 17911800
1402 13041345
700 723825
328 308302
3460 32942772
24376 27 42929 533
17098 18 38319 073
5182 52854761
67099 71 20873 451
werden Rahmenverträge für einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten abgeschlossen, damit sowohl Hersteller als
auch Zulieferer verlässlich planen können. Bei den nächsten Verhandlungen
in einigen Monaten hat ein Schweizer
Lieferant die Wahl, ob er vom deutschen Kunden vorübergehend um
mindestens 10 Prozent höhere Preise
verlangen will, um über die Runden zu
kommen und Zeit zu gewinnen. Parallel dazu haben die meisten Zulieferer
hohe Vorkosten in der Schweiz, die sie
nicht von heute auf morgen senken
können. Ob die deutschen Autobauer
höhere Preise in Kauf nehmen werden,
ist zweifelhaft. Sie kündigten letzten
Sommer Sparprogramme in Milliardenhöhe an.
Natürliche Währungsabsicherung
Da der Euro-Kurs in den nächsten
Monaten weiter schwächeln dürfte, wird
das Eigenkapital der mittelständischen
Schweizer Zulieferer nicht ausreichen,
den Spagat zwischen hohen Kosten und
weniger Umsatz lange durchzuhalten.
Professor Dudenhöffer schliesst daraus:
«Insolvenzen sind programmiert.»
Denn die Schweiz hat als kleines, offenes Land kaum Chancen, Produktionsbetrieben eine einigermassen stabile
Wechselkursumgebung zu bieten.
Wer in der Schweiz produziert, hat
deutlich höhere Wechselkursrisiken als
im Euro- oder Dollar-Raum. Jene Zulie-
«Kosten-Diskussionen mit
unseren Lieferanten führen
wir mit hoher Akzeptanz.»
Sebastian Wahle
Sprecher der Daimler AG
ferer, welche zum grossen Teil im EuroRaum einkaufen, haben eine gewisse
Entlastung auf der Kostenseite, wie der
Kabelproduzent Komax in Dierikon LU:
«Wir haben bereits heute eine relativ
gute Übereinstimmung zwischen Umsatz und Kosten und damit bis zu einem
gewissen Grad eine natürliche Währungsabsicherung. Wir werden unsere
Produktivität und die Beschaffung in
Fremdwährungen weiter erhöhen», sagt
Komax-Sprecher Marco Knuchel.
Einen Dreh weiter ist auch Autoneum. Mit 45 Standorten in 25 Ländern
ist die Firma global aufgestellt und hat
daher weniger Probleme, Einbussen im
Franken und auf dem Werkplatz
Schweiz durch Standorte im Ausland zu
kompensieren. «An unserem einzigen
Schweizer Produktionsstandort in Sevelen fertigen wir für Automobilhersteller
im Euro-Raum in Höhe von unter 7 Prozent des Konzernumsatzes», sagt Autoneum-Chef Martin Hirzel.
Langfristig macht es auch für kleinere Schweizer Zulieferer Sinn, Teile der
Produktion, die nicht im Zentrum der
Standortkompetenz stehen, zu verlagern und in der Schweiz Dienstleistungsaufgaben und Verwaltung zu sichern. «Der Werkplatz wird zwar leiden,
aber Firmen könnten so überleben»,
sagt Oliver Müller vom KMU-Arbeitgeberverband Swissmechanic.
Wer bereits global ausgerichtet ist,
wird die Kapazitäten im Ausland bis an
die Auslastungsgrenzen hochfahren und
in der Schweiz versuchen, Kapazitäten
abzubauen oder Kurzarbeit einzuführen. «Wer immer noch überwiegend in
der Schweiz sitzt, muss schauen, wie er
anzeige
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Quelle: Center of Automotive Research/ETH Zürich, 2013
die Internationalisierung rascher vorantreibt», sagt Dudenhöffer. Unsicherheit
macht sich breit bei den vielen kleineren
Zulieferfirmen, die nicht Autoneum und
Komax heissen und deren Produkte austauschbar sind. Sollen sie kämpfen, um
ihre Mitarbeiter und ihr Know-how zu
halten? Oder suchen sie die Nische und
machen mit kleinerer Belegschaft weiter,
um wenigstens die Kunden nicht zu verlieren? «Diese Fragen stellen sich jetzt
viele», sagt KMU-Experte Müller.
Der finanzielle Spielraum ist beschränkt. Hohe Kosten, sinkende Umsätze – und immer weniger Eigenmittel,
um die Neuausrichtung zu stemmen:
«Firmen in der Grössenordnung von 30
Mitarbeitern sind gefangen im Werkplatz Schweiz», resümiert Müller, «weil
sie nicht grosszügig ins Ausland verlagern können.»
Angesichts der Währungsverwerfungen scheint die Situation für die Automobilzulieferer aus der Schweiz fast
aussichtslos. Aber Schnellschüsse sind
für Baumann-Chef Hans Rüegg dennoch keine adäquate Lösung. «Es geht
vielmehr um die Neuausrichtung auf
dem Schweizer Werkplatz.»
|7
Das Kapital
Skifahren wurde
nicht teurer
Armin müller
A
lles fährt Ski» –
das war einmal.
Die Skilagerund Sportferiensaison
hat begonnen, nun
brettern und rutschen
sie wieder die Hänge runter. Doch im Alpenland Schweiz lockt die Piste nicht
mehr wie früher. Die Skier-Days, die Anzahl Ersteintritte an Seilbahnen und Skiliften, nehmen ständig ab. In den letzten
zehn Jahren betrug der Rückgang 20
Prozent. Der übrige Alpenraum steigerte
die Skier-Days dagegen im Schnitt um
0,4 Prozent jährlich. Die winterliche
Schweiz verliert laufend Marktanteile.
Skifahren sei zu teuer geworden, viele
Familien könnten es sich nicht mehr
leisten, lautet eine beliebte Erklärung. ­­
60 bis 75 Franken für eine Tageskarte in
einem grossen Skigebiet sind zwar viel
Geld. Aber das war vor 10 oder 20 Jahren
nicht anders. 1995 musste der Durchschnittsverdiener 1 Stunde 44 Minuten
arbeiten, um sich eine Tageskarte in
­Davos, Verbier oder dem Jungfraugebiet
leisten zu können. Heute benötigt er dafür nur 5 Minuten länger. Das Skifahren
ist also nicht wirklich teurer geworden –
aber das alternative Freizeitangebot sehr
viel besser und vielfältiger.
Der Wintertourismus muss sich auf
einen ständig stärkeren Franken einstellen. Er sollte sich deshalb besser um seine Schweizer Gäste kümmern, die wenigstens kein Frankenproblem haben,
und den jungen, künftigen Kunden wesentlich mehr Erlebnis bieten. Raclette
und Arvenholz tuns längst nicht mehr.
[email protected]

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