- Verlag Systemische Medizin

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Jane Lyttleton / Endometriose
Endometriose
Jane Lyttleton
Dies ist der erste Artikel einer – wie ich hoffe – informativen
und interessanten Serie zu häufig in der Praxis anzutreffenden Gesundheitsstörungen bei Frauen. In jedem dieser Artikel werde ich mich einer einzelnen Erkrankung oder einem
Syndrom zuwenden und es sowohl vom Standpunkt der
orthodoxen Medizin als auch vom Gesichtspunkt der Chinesischen Medizin aus untersuchen. Ein gründliches Wissen um den Hintergrund, die Diagnose, Prognose und die
zu Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten ist
nicht nur für Sie, die Praktiker, wichtig, sondern auch für
Ihre Patienten, die vielleicht von einem Spezialisten oder
einem Allgemeinmediziner eine Bezeichnung, ein Etikett,
für ihre Störung erhalten haben, jedoch ohne, oder mit nur
eingeschränkter Erklärung von deren Bedeutung oder Auswirkung.
Für den Beginn dieser Artikelserie habe ich die Endometriose gewählt, da es sich um eine Erkrankung handelt, die
ich immer häufiger in meiner Praxis antreffe. Es kann ein
sehr behindernder Zustand sein, mit so weitreichenden
Auswirkungen wie Unfruchtbarkeit. Die Westliche Medizin
bietet Arzneimittel oder Operationen an, die sie kontrollieren, aber nicht heilen können. Obwohl ich noch am Anfang
stehe, bin ich durch die Ergebnisse der TCM sehr ermutigt
worden und hoffe, dass Sie die hier vorgestellten Informationen verwenden können, um dieselben Resultate zu erreichen.
Endometriose ist der Name für das Vorkommen endometriumähnlichen Gewebes außerhalb der Schleimhautauskleidung der Uterushöhle. Sie betrifft für gewöhnlich die Beckenorgane, obwohl sie, wenn auch selten, auch in anderen Körperarealen auftreten kann.
Der Begriff ‚Endometriose’ wurde um 1920 herum geprägt,
allerdings wurden Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen
schon um 1800 beschrieben. Das Auftreten dieser Erkrankung scheint zuzunehmen, wobei unklar ist, ob dies nur
den zunehmenden Einsatz diagnostischer Testverfahren
widerspiegelt. Die Winthrop Laboratorien, die die Arzneimittel zur Behandlung der Endometriose herstellen, schätzen, dass 25 % der gebärfähigen Frauen in den USA unter
dieser Erkrankung leiden, obwohl die durch eine Laparoskopie diagnostizierten Fälle etwa bei 9 % liegen.
Zu den Symptomen, die auftreten können, gehören:
• Schmerzen während der Periode (97 %)
• Schmerzen zwischen den Perioden (62 %)
• Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (59 %)
• Schmerzen beim Stuhlgang (68 %)
• Unfruchtbarkeit (47 %)
• Müdigkeit, Erschöpfung (64 %)
Dazu können Obstipation, Schmerzen im unteren Rücken
und andere Symptome kommen, die mit der Periode in Verbindung stehen, etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Magenverstimmungen und starke Blutungen.
Zeitschrift für TCM 3/2003
Die Symptome variieren entsprechend dem Entwicklungsstadium der Störung und der Lage und Implantation des
Endometriumgewebes. Gleich dem Endometrium innerhalb
des Uterus steht das ektopische Gewebe unter hormonellem Einfluss und macht dieselben Veränderungen durch
wie das Endometrium während des Zykluses – Proliferation, Ausreifung, Gewebsdemarkierung und Blutung. Dies
führt zu einem unnatürlichen Druck auf die Organe der Beckenhöhle und zu einer Akkumulation von devitalisiertem
Gewebe in der Beckenhöhle. Daher rühren die Schmerzen
vor, während und nach der Periode.
Es gibt mehrere Wege, auf denen das Endometriumgewebe
sich übertragen kann. Doch da dieser Zustand heute leicht
mit einer Laparoskopie diagnostiziert werden kann, ist es
kaum wichtig, wie das Endometriumgewebe in Bereiche
außerhalb des Uterus gelangt ist. Es kann sich um eine angeborene ektopische Lokalisation handeln und es gibt einige Beweise dafür, dass die Endometriumzellen sich über
den lymphatischen Weg oder das Blut verbreiten. Doch die
Theorie, der am meisten Aufmerksamkeit geschenkt wird,
ist die Theorie des ‚retrograden Menstruationsflusses’. Hier
nimmt man an, dass ektopisches Gewebe über das Menstruationsblut ausgesät wird, welches aus den Eileitern gedrückt wird und so in die Beckenhöhle gelangt. Der Ort, wo
sich das versprengte Gewebe festsetzt, ist abhängig
davon, wo die Endometriumzellen sich anheften, z. B. am
Eileiter, den Ovarien, dem Douglas-Raum etc.
Seit die Laparoskopie eine übliche Technik geworden ist,
hat sich gezeigt, dass möglicherweise jede Frau etwas Blut
über die Eileiter verliert, es aber nicht immer zu einer Gewebeversprengung kommt. Vielleicht ist es die Quantität
des auf diese Weise verlorenen Blutes, die zählt. Die starken Krämpfe bei einer Dysmenorrhö können beträchtliche
Mengen an Blut rückwärts drücken und auch die Verwendung von Tampons oder Geschlechtsverkehr während der
Periode können einen negativen Druck ausüben und Blut
durch die Eileiter drücken. Bei israelischen Frauen, denen
Sex während der Periode streng verboten ist und die keine
Tampons benutzen, ist die Endometriose weit weniger verbreitet als bei amerikanischen Frauen. Es wäre interessant,
die Prävalenz der Endometriose bei chinesischen Frauen
zu ermitteln, die ähnlichen Restriktionen unterliegen. Es
wurde auch vermutet, dass zu viele Perioden ein Verursachungsfaktor sein können. Moderne Frauen haben weniger
Kinder und gebären später, als ihre Vorfahren. So kann zum
Beispiel eine typische Frau in einem entwickelten Land, die
zwei Kinder hat, während ihres Lebens mehr als 400 Perioden haben, während Kung-Buschfrauen, die früher gebären
und länger stillen, nur 50 haben können.
Die Endometriose trägt den Spitznamen ‚Erkrankung der
Karrierefrauen’, da sie häufig bei Akademikerinnen in ihren
30ern diagnostiziert wird, die Schwierigkeiten haben
schwanger zu werden. Allerdings lässt sich die Endometriose durch den weit verbreiteten Einsatz der Laparoskopie
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Jane Lyttleton / Endometriose
mehr und mehr auch bei jüngeren Frauen und Teenagern
diagnostizieren, die über Schmerzen klagen.
Eine vierte Ursache für die Endometriose ist eine nosokomiale Infektion oder die unbeabsichtigte Übertragung von
Endometriumgewebe während eines gynäkologischen Eingriffes. Berichtet wurde ein Auftreten nach Operationen wie
Dilatation und Curettage, Kaiserschnitt, Laparotomie, Amniozentese und Episiotomie. Das Endometriumgewebe
wächst häufig entlang der Operationsnaht. Aus diesem
Grund erscheint es wichtig, Patientinnen, denen eine Operation im abdominalen Bereich oder ein gynäkologischer
Eingriff bevorsteht, den Rat zu geben, Termine kurz vor,
während oder kurz nach der Periode zu vermeiden, da sich
in dieser Zeit das Endometriumgewebe am Skalpell oder
anderen chirurgischen Geräten anheften kann. Gleichermaßen sollten Eingriffe zur Feststellung von Unfruchtbarkeit,
z. B. eine Hysterosalpingographie, nicht kurz vor Einsetzen
der Periode oder nach einer Dilatation und Curettage angesetzt werden.
Die orthodoxe Medizin bietet drei Behandlungsformen bei
Endometriose an:
1. Die Verordnung von synthetischem Testosteron, um die
Sekretion von Östrogen und Progesteron zu unterdrücken, d. h. eine Pseudomenopause hervorzurufen, sodass das zyklische Wachstum des ektopischen Endometriumgewebes gestoppt wird und eine Atrophie oder
Schrumpfung einsetzt. Die Arzneimittel (z. B. Danazol)
werden häufig für 3-9 Monate gegeben, ein Zeitraum, in
dem das Gewebe genügend geschrumpft sein kann, sodass die Symptome sich verbessern oder eine Operation
möglich ist. Zu den Nebenwirkungen gehören Gewichtszunahme, Muskelkrämpfe, Verminderung der Brustgröße, Akne, Zunahme der Gesichtsbehaarung, Veränderungen der Stimme, Leberfunktionsstörungen und
Vaginitis.
2. Bei schwerer Endometriose wird operiert, oft nach der
Verordnung von Danazol. Dabei wird so viel Endometriumgewebe wie möglich entfernt, obwohl eine vollständige Beseitigung schwierig ist. Es ist möglich, dass auch
die Eierstöcke entfernt werden müssen. Frauen, deren
Unfruchtbarkeit auf die Endometriose zurückgeht, werden häufig nach chirurgischer Entfernung der Wucherung schwanger.
3. Es wird der Zustand einer Pseudoschwangerschaft erzeugt, indem man für 6-9 Monate nichtzyklisches Östrogen und Progesteron verschreibt. Es wurde beobachtet,
dass eine Schwangerschaft die Endometriose ein wenig
kontrolliert, allerdings heilt sie sie nicht. Die Remission
hält oft etwa 7 Jahre an. Zu den Nebenwirkungen können Übelkeit, Krämpfe, Ödeme, Zwischenblutungen,
Kopfschmerzen, Akne, Vaginitis, Unfruchtbarkeit, Druckschmerzhaftigkeit der Brüste, Gewichtszunahme, Depressionen, Nervosität, grauer Star, veränderte Libido,
veränderter Appetit und Haarausfall gehören.
Viele Frauen mit vermuteter oder diagnostizierter Endometriose wählen keine der oben dargestellten Methoden zur
Behandlung, sondern ziehen Alternativen ohne Nebenwirkungen vor. Die Chinesische Medizin bietet hier eine gute
Alternative, wenn sie korrekt über einen Zeitraum von 3-9
Monaten eingesetzt wird. Obwohl die Chinesische Dia152
gnostik ohne diejenigen Befunde auskommt, die Techniken
wie die Laparoskopie liefern, ist es dennoch hilfreich, solche Befunde zu Beginn als Bezugspunkt zu haben. Wenn
eine Frau mit einer vermuteten (aber noch nicht diagnostizierten) Endometriose zu mir in Behandlung kommt, veranlasse ich daher gewöhnlich eine Ultraschalluntersuchung,
die uns unter idealen Bedingungen eine Vorstellung vom
Grad der Störung vermittelt und uns etwas an die Hand
gibt, das wir mit einer möglichen weiteren Ultraschalluntersuchung 6 Monate später vergleichen können. Die Laparoskopie, während derer der Grad der Endometriose deutlich zu sehen ist und Gewebe entnommen werden kann, ist
zurzeit die einzig definitive Methode, um diesen Zustand zu
diagnostizieren. Allerdings sind eine Vollnarkose und ein
chirurgischer Eingriff notwendig. Daher ist die zweitbeste,
aber weniger invasive Methode möglicherweise vorzuziehen.
1. BLUT- UND QI-STAGNATION
Klinische Manifestationen
• Distensionsgefühl in Brüsten und Abdomen
• Schmerzen im unteren Abdomen vor, während oder nach
der Periode, die sehr stark sein können
• das Blut kann dunkel und klumpig sein und das Fließen
nicht gleichmäßig
Zunge: kann dunkel sein oder dunkle oder violette Regionen aufweisen
Puls: drahtig
Behandlung
Es können Punkte wie die folgenden gewählt werden:
Ren 6 (Qihai)
um das Qi des Körpers zu regulieren
Ma 25 (Tianshu) um das Qi im Abdomen zu regulieren
Le 3 (Taichong) um die Leber zu tonisieren, damit das Qi
sich sanfter bewegt
Ma 29 (Guilai)
um eine Stagnation des Blutes im und
nahe des Uterus zu beseitigen
Mi 8 (Diji)
um die Zirkulation stagnierenden Blutes
anzuregen
2. KÄLTE AKKUMULIERT IM UTERUS
Klinische Manifestationen
Ein Kälteangriff auf den Uterus lässt das Blut erstarren und
blockiert Chong Mai und Ren Mai.
• Schüttelfrost und Schmerzen im unteren Abdomen, die
sich durch Wärme bessern
• das Blut kann eine violette oder dunkle Tönung haben
und Klumpen aufweisen
Zunge: weißer Belag
Puls: wird sich verzögert anfühlen
Behandlung
Die Behandlung ist darauf ausgerichtet die Meridiane zu
wärmen, die Kälte zu zerstreuen und das Blut zu regulieren,
um die Stase zu beseitigen.
Zeitschrift für TCM 3/2003
Jane Lyttleton / Endometriose
Mi 6 (Sanyinjiao)
Ren 6 (Qihai)
Ren 4 (Guanyuan)
}
die Technik der warmen
Nadel an diesen Punkten wird
die Kälte im Uterus zerstreuen
Ma 30 (Qichong)
um die Blockade in Chong Mai
und Ren Mai aufzulösen
Mi 10 (Xuehai)
um das Blut zu regulieren
3. AKKUMULATION VON HITZE
AUFGRUND VON BLUTSTASE
Klinische Manifestationen
• die abdominalen Schmerzen können sich durch Kälte
verbessern und durch Druck verschlimmern
• fühlt sich während der Periode fiebrig, mit Durst, Ruhelosigkeit und Obstipation
Zunge: gelber Belag, mit dunklen Punkten auf dem Zungenkörper
Puls: Rau oder schnell
Behandlung
Die Behandlung zielt darauf, die Hitze zu beseitigen und die
Stase aufzulösen.
Ma 29 (Guilai)
um stagnierendes Blut zu beseitigen
Allgemeine Behandlungsansätze
Die Behandlungen müssen für 3-9 Monate regelmäßig erfolgen. Ich behandle oft nur in den letzten 2 Wochen des
Zyklus, wenn die Blutstase offensichtlicher wird, und
zwar bei allen Mustern, ausgenommen bei Qi-Mangel, wo
tonisierende Behandlungen auch zu Beginn des Zyklus
nützlich sind. Die Behandlungen umfassen alle der oben
erwähnten Punkte, kombiniert mit Punkten, die den zyklischen Veränderungen des Ren Mai und Chong Mai während der unterschiedlichen Stadien des menstruellen Zyklus folgen (diese Punkte werden in einem späteren Artikel diskutiert). Chinesische Kräuter werden ebenfalls in
die Behandlung aufgenommen (auch diese werden in
einem späteren Artikel erörtert). Die Fortschritte in der Behandlung sollten durch eine genaue Beobachtung aller
Details, die die Periode betreffen, überwacht werden.
Wenn sich die Symptome verbessern, ist es interessant,
die Fortschritte durch eine Ultraschalluntersuchung zu
überprüfen.
Die Fallgeschichten, die ich gewählt habe, um jedes der
Muster zu illustrieren, sind nicht immer die mit dem erwarteten oder gewünschten Ergebnis. Ich habe immer dann
die wertvollsten klinischen Erfahrungen gesammelt, wenn
die Dinge nicht so gelaufen sind, wie es in den Lehrbüchern steht.
FA L L G E S C H I C H T E N
Ma 25 (Tianshu) um den Darm zu regulieren
Di 4 (Hegu)
um die Zirkulation von Blut und Qi anzuregen
Mi 10 (Xuehai)
um das Blut zu regulieren und Hitze zu
beseitigen
Le 2 (Xingjian)
um Hitze in Leber und Blut zu reduzieren
4. QI-MANGEL
Klinische Manifestationen
In diesem Fall versagt das Qi dabei, das Blut zu leiten und
es kommt zu einer Stagnation.
• die abdominalen Schmerzen werden durch Druck oder
Wärme gebessert
• es kann eine physische und mentale Erschöpfung vorliegen
Zunge: blass oder malvenfarbig
Puls: fadenförmig
Behandlung
Das Behandlungsprinzip besteht darin, das Qi zu regulieren
und zu tonisieren, um das Blut zu bewegen.
Ren 6 (Qihai)
Ren 17 (Shanzhong)
Di 11 (Quchi)
Mi 10 (Xuehai)
}
}
um das Qi zu regulieren und zu
tonisieren
um Blut und Qi zu regulieren
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Fall 1
Der erste Fall, den ich Ihnen vorstellen möchte, gehört
zum vierten Muster, dem Qi-Mangel. Sie werden sich
daran erinnern, dass bei diesen Frauen das Qi zu schwach
ist, um das Blut zu leiten und es daher zu einer Stagnation
kommt.
Sarah war 22 Jahre alt, als ich sie das erste Mal sah. Sie
war eine große, hübsche, athletisch wirkende Frau, die
über extreme Lethargie klagte. Sie arbeitete teilzeitmäßig
als Krankenschwester, eine Tätigkeit, die die Erschöpfung
einer augenscheinlich gesunden jungen Frau nicht erklären
konnte. Zwei Wochen bevor sie zu mir kam, hatte sie sich
die Spirale entfernen lassen. Die Routineuntersuchung
ergab eine leichte Schwellung nahe der Eierstöcke und
Ultraschall wurde empfohlen. Die Untersuchung ergab
zwei Zysten. Die linksseitige mit einem Durchmesser von 6
cm und die rechtsseitige hatte einen Durchmesser von 3
cm. Die Diagnose lautete Endometriose und sollte die Ursache ihrer Erschöpfung sein.
Sarahs Zyklus war schon immer unregelmäßig gewesen –
gewöhnlich zwischen 40 und 62 Tagen. Während der Periode hatte sie abdominale Krämpfe und der Blutfluss war
zäh und wies Klumpen auf. Vor Einsetzen der Periode entwickelte sie schmerzende Brüste, Völlegefühl, Reizbarkeit
und Obstipation. Sie hatte eine Diathermie (Hochfrequenztherapie) des Gebärmutterhalses erhalten, um dysplastische Zellen zu entfernen. Sie litt unter Rückenschmerzen,
die sich während ihrer Arbeit verschlimmerten. Ihr Gesicht
war ein wenig blass und glanzlos und sie sprach sehr leise
und zögerlich.
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Zunge: Körper blass, Belag leicht schmierig
Puls: fadenförmig und tief, an der Leberposition drahtig
Offensichtlich lag eine durch die seit der Pubertät bestehende Unregelmäßigkeit des Zyklus verursachte Nierenstörung vor, die zu einem Ungleichgewicht von Ren Mai
und Chong Mai geführt hatte. Als ich später ihre Mutter
wegen menopausaler Schwierigkeiten behandelte, stellte
ich fest, dass es sich um ein Familienmerkmal handelte.
Die Behandlung zielte darauf ab, das Qi der Nieren zu tonisieren und das Leber-Qi zu regulieren. Ich verwendete für
mehrere Monate Punkte wie Ren 4 (Guanyuan) und Ren 6
(Qihai), zunächst wöchentlich, dann 14tägig. Zu anderen
Punkten gehörten Bl 20 (Pishu), Bl 18 (Ganshu), Bl 23
(Shenshu), Le 3 (Taichong), Mi 6 (Sanyinjiao), Mi 10 (Xuehai), Di 11 (Quchi) und Ni 14 (Siman). Dang Gui Shao Yao
San wurde verordnet, um die Nieren zu tonisieren und bei
der Beseitigung der Blutstase zu helfen. Sie erhielt über 6
Monate verteilt 18 Behandlungen und danach hatte ihre
Energie zugenommen, ihre Periodenschmerzen hatten
sehr stark abgenommen, der Blutfluss war leichter und
zeigte keine Klumpen und ihre prämenstruellen Symptome
hatten sich verbessert. Ihr Zyklus blieb jedoch lang und
unberechenbar. Mir erschien es, dass das Qi kräftiger war
und mit weniger Behinderung im Abdomen fließen konnte,
allerdings war das Ungleichgewicht von Ren Mai und
Chong Mai bestehen geblieben. Ein Ultraschall zu diesem
Zeitpunkt zeigte, dass die Zyste vom 6 cm auf 1,5 cm geschrumpft war. Sarah fühlte sich glücklich, die Behandlung
abbrechen zu können.
Fall 2
Der zweite Fall fällt in die Kategorie von Kälte, die im Uterus akkumuliert. Er ist ein besonders interessantes Beispiel
für die Plötzlichkeit und Heftigkeit eines Kälteangriffes.
Alexis konsultierte mich das erste Mal im Oktober 1985.
Sie war 34 Jahre alt und immer von robuster Gesundheit
gewesen. Hier ihre Geschichte: Im Mai 1985, am vierten
Tag ihrer Periode, bekam sie plötzlich starke Bauchschmerzen mit heftigem Schüttelfrost am ganzen Körper
und brach zusammen. Sie wurde in Krankenhaus eingeliefert und bekam Infusionen und Antibiotika gegen einen
vermuteten toxischen Schock.
Am Tag ihres Zusammenbruches war Alexis gerade dabei
nach einer Zeit mit sehr viel Arbeit ihren schwer verdienten
Urlaub anzutreten. Sie war unruhig und aufgeregt, fühlte
sich aber sonst ganz wohl.
Ihre nächste Periode (Juni 1985) verlief für sie normal. Es
gab ein leichtes Unbehagen am ersten Tag, das Blut war
von normaler Farbe, ohne Klumpen und die Blutung war
nicht zu stark.
Juli 1985: Alexis brach am vierten Tag ihrer Periode wiederum zusammen. Sie kam ins Krankenhaus und erhielt
wiederum Infusionen. Der Vorfall war nicht so schlimm wie
im Mai.
August 1985: Diese Periode war ungewöhnlich heftig und
das Blut wies Klumpen auf. Allerdings hatte sie keine starken Schmerzen und wurde nicht bewusstlos.
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September 1985: Am sechsten Tag ihrer Periode wiederholte sich das Muster von starken Bauchschmerzen,
Schüttelfrost und Ohnmacht. Im Krankenhaus ging man
diesmal etwas sorgfältiger vor. Eine Ultraschalluntersuchung ergab eine 8 cm große endometrische Masse und 2
Zysten.
Als sie mich nach dieser Periode aufsuchte, schmerzten
ihre Brüste, sie hatte leichte, aber anhaltende Bauchschmerzen und einen braunen, körnigen Ausfluss. Ihre
Energie war sehr schwach und sie musste ihre Arbeit um
die Hälfte kürzen. Ihr war eine Operation empfohlen
worden, aber sie wollte zunächst andere Methoden ausprobieren.
Weiteres Befragen ergab eine Konstitution vom Yin-Mangeltypus mit unruhigem Schlaf, nervösen Beinen, heißen
Füssen während der Nacht und roten Wangen. Die Neigung zu Kopfschmerzen, Photophobie, Übelkeit und die
jüngsten Brustschmerzen verwiesen auf eine Beteiligung
der Leber. Jedoch waren die wichtigsten ihrer Symptombilder die starken Bauchschmerzen, der Schüttelfrost und
die Ohnmacht. Diese Symptome ließen auf Kälteangriff direkt auf das Innere schließen und der Uterus gehört zu den
drei Organen, die direkt von äußerer Kälte angegriffen werden können. Dieser Kälteangriff in Kombination mit menstrueller Blutung für einige Tage kippte das Gleichgewicht
weit genug, um zu einem Yang-Kollaps führen zu können.
Folglich kam es 3 oder 4 Tagen Blutung bei Alexis zu
Schüttelfrost und Ohnmacht. Sie konnte sich jedoch nicht
an ein Ereignis erinnern, bei dem sie zu frösteln begonnen
hätte, etwa nach dem Schwimmen oder durch den Verzehr
von Eis oder kaltem Bier, aber irgendwann kurz vor ihrer
ersten Attacke, als ihre Schutzenergie durch die Überarbeitung sehr niedrig war, muss der pathogene Faktor eingedrungen sein. Interessanterweise waren in 3 Fällen von
Endometriose, die ich während der letzten 6 Monate gesehen habe, alle 3 Frauen sportlich sehr aktiv und schwammen und liefen das gesamte Jahr über.
Die Behandlung von Alexis zielte hauptsächlich darauf ab,
die Kälte aus dem Uterus zu vertreiben, das Innere zu wärmen und, wenn notwendig, das Yang wieder aufzurichten.
Sie erhielt 2 Behandlungen vor ihrer nächsten Periode. An
Ren 4 (Guanyuan) und Mi 6 (Sanyinjiao) wurde die Technik
der warmen Nadel eingesetzt, kombiniert mit Le 3 (Taichong) und anderen Punkten. Sie wurde angewiesen, zu
Hause Ren 4 (Guanyuan) zu moxen.
Oktober 1985: Die Periode war sehr stark, das Blut dunkel
und klumpig, aber es kam nicht zu einer Ohnmacht. Es
war also notwendig, den Uterus weiterhin zu wärmen und
da der Yang-Kollaps bei jedem zweiten Zyklus auftrat, verordnete ich wärmende Kräuter, die sie am dritten und vierten Tag ihrer Periode einnehmen sollte. Es handelte sich
um die Rezeptur Si Ni Tang (Dekokt bei kalten Extremitäten). Die Moxabehandlung wurde fortgesetzt.
November 1985: Die Periode war immer noch sehr stark,
aber das Blut war von frischem Rot und ohne Klumpen
und, am wichtigsten, ohne Schmerzen, Schüttelfrost und
Kollaps. Beide stießen wir einen Seufzer der Erleichterung
aus, da es schien, dass die Kälte jetzt beseitigt war. Allerdings war ihre Energie immer noch sehr niedrig und die
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Behandlung wurde fortgesetzt, um Yin und Blut zu stärken. Es wurden Punkte wie Le 3 (Taichong), Ma 36 (Zusanli), He 7 (Shenmen), Mi 6 (Sanyinjiao) und Ma 30 (Qichong) verwendet. Zusätzlich nahm sie Kräuter. Ihre Energie verbesserte sich schnell und sie konnte ihre Vollzeitarbeit wieder aufnehmen. Die Bauchschmerzen verschwanden, aber sie hatte sporadisch Zwischenblutungen.
Dezember 1985: Die Periode war normal. Keine Schmerzen, kein Kollaps, guter Blutfluss und ihre Energie blieb
oben.
Allerdings lief bei ihr nicht alles glatt. Während der nächsten Monate arbeitete Alexis zu viel, zog in ein anderes
Haus und bei einem guten Freund wurde Krebs diagnostiziert. Durch all diesen Stress sank ihre Energie wieder ab
und mitten im Zyklus verlor sie braunes Blut, begleitet von
Blähungen und Diarrhö. Offensichtlich hatte das blockierte
Leber-Qi das Milz-Qi geschädigt.
Sie bekam einige Behandlungen, um die Milz zu tonisieren,
die Leber zu regulieren und das Blut zu stärken. Ihre Energie erholte sich schnell und die Zwischenblutungen hörten
auf.
Januar 1986: Die Periode verlief normal und ohne Schmerzen. Allerdings arbeitete sie weiterhin zu viel und als ihre
Energie wieder erschöpft war, setzten auch die Zwischenblutungen wieder ein, begleitet von Stechen im Abdomen.
Noch einmal zielten die Behandlungen darauf, Qi und Blut
zu tonisieren und den Chong Mai zu regulieren. Es gelang,
die Zwischenblutungen und ihr abdominales Unbehagen
zu reduzieren und ihr Energieniveau trotz der großen Arbeitslast zu normalisieren.
um sich intensiv dem Studium der Traditionellen Chinesischen Medizin zu widmen. Sie fühlte, dass diese Medizin
einige der Lücken füllen konnte, die durch die Herangehensweise unserer komplexen und technologischen modernen Medizin entstanden sind. Sie verbrachte Zeit
damit, in den Abteilungen für Akupunktur und Arzneimitteltherapie der Krankenhäuser in Nanjing, Hangzhou und
Guangzhou zu arbeiten und zu studieren, und hat TCMStudenten in Australien, Neuseeland und England unterrichtet. Seit den frühen 80er Jahren betreibt sie frequentierte TCM-Praxen in unterschiedlichen Teilen von Sydney,
wo sie aus erster Hand die Auswirkungen unterschiedlicher Lebensstile auf die Gesundheit beobachten kann.
Sie hat eng mit schulmedizinisch ausgebildeten Ärzten wie
Chirurgen und andere Spezialisten zusammengearbeitet,
wobei sie immer versucht, die beste Mischung von Therapien für ihre Patienten zu finden. Sie ist Coautorin des Buches „Clinical Handbook of Internal Medicine – The Treatment of Disease with Traditional Chinese Medicine.“ Eine
Übersetzung dieses Werkes ist beim VGM bereits in Arbeit.
Anmerkung: In den nächsten Ausgaben der ZfTCM erscheinen von Jane Lyttleton Artikel zu Osteoporose,
Menopause, Hormontherapie und Gebärmutterleiomyom
Dieser Artikel wurde zuerst im Journal of Chinese Medicine, Nummer 26, Januar 1988 publiziert. Wir danken Peter
Deadman für die Abdruckgenehmigung.
Februar 1986: Die Periode war in jeder Hinsicht normal
und ihr Energieniveau hielt sich. Zu diesem Zeitpunkt entschied sie sich für eine neuerliche Ultraschalluntersuchung. Zu unserer großen Überraschung war das Endometriumgewebe immer noch vorhanden, ohne jegliche
Veränderung in der Größe der Ansammlung. Rückblickend
und mit dem Wissen, das ich heute habe, weiß ich, dass
die Behandlung und die Kräuter sich nicht auf die Blutstase gerichtet hatten, sondern sich darauf konzentrierten,
die Kälte zu zerstreuen und ihr Qi und Blut zu tonisieren.
Allerdings lehnte Alexis jede weitere Behandlung ab, da sie
sich vollkommen in Ordnung und symptomfrei fühlte. Sie
plante, im nächsten Jahr einen weiteren Ultraschall machen zu lassen, dessen Ergebnis ich aber bis heute nicht
kenne.
Diese Fallgeschichte und ihre Ergebnisse zeigen, wie
wichtig es ist, die Befunde der Westlichen Medizin in die
TCM-Diagnose zu integrieren – in diesem Fall 8 cm Blutstagnation! Der Fall von Alexis war eine gute Lektion für
mich und war für viele meiner Patientinnen mit Endometriose, die mich während der letzten Jahre konsultiert
haben, von großem Nutzen.
Jane Lyttleton BSc (Hons) NZ, MPhil (Lond), D.TCM
(NSW, China)
Mitte der 70er Jahre ließ Jane Lyttleton ihre Karriere in
Wissenschaft und medizinischer Forschung hinter sich,
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