Geschäftszweck: Terror - Internationale Politik

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Geschäftszweck: Terror - Internationale Politik
Globalisierung gestalten
Geschäftszweck: Terror
Al-Qaida als multinationales Unternehmen
von Jodi M. Vittori
Modernes Management, flexible Strukturen, internationale Akteure,
Franchise-Unternehmen in über 40 Ländern, diversifizierte Produktpalette, Joint-Ventures: Der ehemalige Ökonomiestudent Osama Bin Laden
führt sein Terrorimperium als cleverer Geschäftsmann. Deshalb bewegt
sich Al-Qaida in der globalisierten Welt wie ein Fisch im Wasser.
JODI M. VITTORI,
geb. 1972,
ist Doktorandin im
Fach Politische
Wissenschaften an
der US Air Force
University of
Denver. Der Text ist
eine Kurzfassung
ihres Vortrags „The
Business of Terror.
Al-Quaeda as a
Multi-National
Corporation“, den
sie auf der Jahresversammlung der
International Security Studies Section
Ende 2004 in
Washington hielt.
Multinationale Unternehmen (MNC/
multi-national corporation) können
wir als Firmen definieren, „die wirtschaftliche Einrichtungen in zwei
oder mehr Ländern besitzen“.1 AlQaida und ihr Anführer Osama Bin
Laden spiegeln dieses Konzept einer
MNC wider, obwohl die Gruppierung
eher politische als wirtschaftliche
Ziele verfolgt. Die Organisation besteht aus multinationalen Akteuren,
die in 40 bis 50 Ländern operieren.
Das „Headquarter“ gibt Richtung und
Infrastruktur vor, während lokale
Gruppen mit Hilfe örtlicher „Angestellter“ bestimmte Ziele vor Ort verfolgen. Al-Qaida muss sich mit Bürokratien, Budgets und sogar Veruntreuung durch Angestellte herumschlagen.
Zudem setzt die Al-Qaida-Führung
auch vielfältige Formen direkter Auslandsinvestitionen als Teil seiner alltäglichen Organisationsroutine ein,
was leicht zu erklären ist, da Bin
Laden und viele seiner „Mitarbeiter“
auf eine Karriere als Geschäftsleute
zurückblicken können.
Al-Qaida ist eine bemerkenswert
komplexe Organisation, die für die
Durchführung ihrer Geschäfte Millionen braucht. „Sie muss für die Sicherheit von Ruheräumen aufkommen,
die Familien von „Märtyrern“ finanziell unterstützen, Rekrutierung, Indoktrinierung, logistische Unterstützung und Training bezahlen. Weiter
wird ein Budget für demonstrative
humanitäre Anstrengungen wie
Wohlfahrtsorganisationen, Kliniken
und Schulen benötigt, die als Tarnung
für Terroristen dienen oder um Unterstützung und Rekruten zu gewinnen. Zu guter Letzt sind da noch die
Kosten für Waffen,“2 so Daniel Glaser, Direktor der Abteilung im US-Finanzministerium, die für Fragen der
Finanzierung von Terroraktivitäten
zuständig ist.
Wie viele „Angestellte“ Al-Qaida
beschäftigt, können wir nur schätzen.
Nicht alle wurden in Trainingslagern
ausgebildet, nicht alle Trainingslager
sind bekannt.3 Und einige Al-QaidaMitglieder, wie die Attentäter von
Madrid am 11. März 2004 wurden
nie in einem Lager ausgebildet, sondern waren in der spanischen Gesellschaft gut verankert. Auf dem Höhepunkt seiner Aktivitäten brauchte das
terroristische Al-Qaida-Imperium
jährlich Mittel von 35 Millionen Dollar.4 Selbst heute, wo große Teile seiner Infrastruktur zerstört sind und
seine Führung auf der Flucht ist, be-
1
2
Robert Gilpin: The Political Economy of International Relations, Princeton 1987, S. 231.
US House Government Reform Committee, Subcommittee on Criminal Justice, Drug Policy,
and Human Resources, Testimony by Daniel L. Glaser on Terrorism Financing and Money
Laundering, 11.5.2004.
3 Heraldo Munoz: First Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team Appointed Pursuant to Resolution 1526 (2004) Concerning Al-Qaeda and the Taliban and Associated Individuals and Entities, UN Security Council, 25.8.2004, S. 7.
4 C. Boucek: The Battle to Shut Down Al-Qaeda‘s Finances, Jane’s Terrorism Intelligence Centre, 2002.
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ANALYSE Vittori / Al-Qaida
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nötigt es wahrscheinlich fünf bis zehn
Millionen Dollar pro Jahr. Um diese
Bedürfnisse zu erfüllen, bedarf es einiger sehr cleverer Geschäftsleute.
Osama Bin Laden als CEO
Laut Bruce Hoffman ist „die Organisation, die Al-Qaida am meisten ähnelt, eine multinationale Firma. Und
Bin Laden selbst sollte wohl als ein
Terroristen-CEO angesehen werden.“5 Hoffman fährt fort: „Die Organisation, die von Bin Ladens beträchtlicher Geschäftserfahrung profitiert,
ist offensichtlich wie ein modernes
Unternehmen strukturiert, basierend
auf Management-Konzepten der frühen neunziger Jahre, einschließlich
Bottom-Up- und Top-Down-Netzwerken, einem gemeinsamen ,Mission
Statement‘ und unternehmerischem
Denken selbst in den unteren Rängen. Das macht sie außerordentlich
flexibel und fähig, auch ernsthafte
Niederlagen zu verkraften.“6 Er fügt
hinzu: „Bin Laden wandte moderne
Management-Techniken zur Führung
einer transnationalen Terroristenorganisation an, die er an der Universität und im Baugeschäft seiner Familie
kennen gelernt hat.“7
Bin Ladens Vater Mohammed Bin
Awad Bin Laden war ein Einwanderer aus dem Jemen, der in Saudi-Ara-
bien eine äußerst erfolgreiche Baufirma gründete. Er knüpfte intensive
Kontakte zum Königshaus und war in
den sechziger Jahren sogar Minister
für öffentliche Arbeiten.8
Osama Bin Laden schloss die saudiarabische King Abdul Aziz Universität mit einem Abschluss in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung
ab. Dort kam er zum ersten Mal mit
der Muslim-Brüderschaft in Kontakt.9 Als Mitarbeiter im Familienunternehmen begann Bin Laden
nach der sowjetischen Invasion Afghanistans die Mudjaheddin zu unterstützen. Er lieferte Maschinen zur
Räumung von Minen und zum Bau
von Schützengräben und Straßen. 10
Vom pakistanischen Peshawar aus
betrieb er zusammen mit seinem früheren Professor Abdullah Azzam
Maktab al-Khadamat, das „Dienstbüro“, mit dessen Hilfe arabische Freischärler und Geld nach Afghanistan
geschleust wurden.11 Hier baute
Osama auch die finanziellen und organisatorischen Grundstrukturen
von Al-Qaida auf.12
Für Al-Qaida entwickelte Bin Laden
ganz bewusst eine dezentralisierte,
flexible und komplexe Finanzierung.
Es gibt keine „Hauptquelle“, die man
trocken legen könnte, sondern ein
Netz von Nebenquellen.13 Einige sei-
„Al-Qaida ist
offensichtlich wie
ein modernes
Unternehmen
strukturiert,
basierend auf
ManagementKonzepten der
frühen neunziger
Jahre.“
5
Bruce Hoffman: Redefining Counterterrorism: The Terrorist as CEO, RAND Review 28,
Nr. 1, 2004. S. 14. CEO ist die Abkürzung für Chief Executive Officer, dt. Vorstandsvorsitzender.
6 Bruce Hoffman: The Leadership Secrets of Osama Bin Laden. The Terrorist as CEO, Atlantic
Monthly, April 2003, S. 26–27.
7 Bruce Hoffman (Anm. 5).
8 Peter L. Bergen: Holy War Inc.. Inside the Secret World of Osama Bin Laden, New York 2002, S. 45–47.
9 Ebd., S. 51. Der überwiegende Teil der erforschten Quellen gibt an, Bin Laden habe in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung graduiert. Es gibt jedoch auch Quellen, die behaupten, Bin
Laden habe in Wirtschaft und Ingenieurwissenschaft graduiert. Benjamin und Simon schreiben,
Bin Laden beanspruche, dass ihm sein ingenieurwissenschaftlicher Hintergrund geholfen hätte,
den Schaden den die Attentate am 11.9.2001 am World Trade Center anrichteten, vorherzusagen. Daniel Benjamin und Steven Simon: The Age of Sacred Terror: Radical Islam’s War against
America, New York 2003, S. 98.
10 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 53–54.
11 Ebd., S. 54.
12 Maurice R. Greenberg, William F. Wechsler, Lee S. Wolosky: Terrorist Financing: Report of an
Independent Task Force, Council on Foreign Relations, New York 2002, S. 5.
13 Ebd., S. 6.
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Globalisierung gestalten
Al-Qaida ist ein
multinationales
Unternehmen der
Spitzenklasse. Viele
„Abteilungsleiter“
sind „Kosmokraten“, die sich in
ihrer Heimatstadt
genauso wohl
fühlen wie in
New York oder
Hongkong.
ner Gelder kommen aus seinem Erbe,
das auf 35 bis 250 Millionen Dollar
geschätzt wird.14 Dazu kommen beträchtliche weltweite Investitionen
und eine Palette anderer Tätigkeiten
von Drogen- und Diamantenschmuggel bis zur Passfälschung. In der Vergangenheit kam der Großteil seiner
Mittel aus den rund 80 Firmen, die er
weltweit besaß. Sie dienten allein der
Finanzierung von Al-Qaida-Operationen.15 Bargeld wurde in Bündeln
nach Kairo geflogen oder per Kamelkarawane von Oberägypten in den
Sudan transportiert.16
Während seines Aufenthalts im
Sudan errichte Bin Laden ein wahres
Firmenimperium von Baufirmen,
Produktionsfirmen, Devisenhandel,
Import-Export und Landwirtschaft,
einschließlich einer eigenen Bank, in
die er rund 50 Millionen Dollar seines
eigenen Geldes investierte. Wahrscheinlich wussten die tausenden von
Angestellten dieser Firmen nicht, was
Al-Qaida überhaupt war: nur AlQaida-Mitglieder wussten von seiner
Existenz und dass die Organisation
dieses Finanzimperium kontrollierte.17 Man schätzt jedoch, dass Bin
Laden ungefähr 150 Millionen Dollar
verloren hat, als er Sudan verlassen
musste.18
Al-Qaida als multinationale Firma
Eine Reihe der Charakteristika multinationaler Unternehmen passen auf
Al-Qaida. Ihre Eigentümerschaft ist
oligopolistisch, Produktion und Verkauf werden in mehreren Ländern
getätigt, sie sind in eine Hauptverwaltung und mehrere Unterabteilun14
15
16
17
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19
20
21
50
gen gegliedert.19 Innerhalb von AlQaida treffen Bin Laden und seine
„shura“ (Beratergremium) die Geschäftsentscheidungen für die gesamte „Firma“. Unterhalb der „shura“
gibt es Räte, die verantwortlich sind
für militärische Angelegenheiten,
Geschäftsinteressen, Fatwas und die
Medien, wobei wir nicht viel über die
genauen Befugnisse dieser Komitees
wissen. Intern wird Bin Laden „Direktor“ genannt, man benutzt eine
Geschäftssprache, wie ein Dokument
über eine jemenitische Al-QaidaZelle belegt, das in Kabul entdeckt
wurde. Darin heißt es: „Das Spitzenmanagement soll konsultiert werden,
was die Aufnahme und den Herauswurf aus der Firma angeht, die generelle Strategie und den Namen der
Firma.“20
Al-Qaida ist ein multinationales
Unternehmen der Spitzenklasse. Es
operiert in fast 50 Ländern, einschließlich Ägypten, Somalia, Bosnien, Kroatien, Tansania, Kaschmir,
Tschetschenien, Uganda, Elfenbeinküste, Togo oder Ghana, und benutzt
modernste Kommunikationstechnologie. Viele der „Abteilungsleiter“ können wir als „Kosmokraten“ bezeichnen, die sich in ihrer Heimatstadt genauso wohl fühlen wie in New York
oder Hongkong.21 Al-Qaida gehört
nicht mehr zu den alten Terroristenorganisationen, die von staatlichen
Subventionen leben. Ganz im Gegenteil ist das Unternehmen frei von
jeder Regierungskontrolle, kann seine
eigene Organisationsinfrastruktur,
Trainingsprogramme und Operationen unterhalten, weshalb die Organi-
Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 104.
Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 111.
Ebd., S. 112–113.
Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 83.
Ebd., S. 105.
Gilpin: The Political Economy of International Relations (Anm. 1), S. 232.
Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 31.
Ebd., S. 200.
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sation bevorzugt im Gebiet dysfunktionaler Staaten operiert.22
Auch Bin Ladens engste Mitarbeiter verfügen über enorme technische
und ökonomische Qualifikationen.
Aywan Zawahiri, der oft als das „Gehirn“ Al-Qaidas angesehen wird, ist
Arzt. Bin Ladens früherer Medienberater in London war ein saudischer
Unternehmer, der im Import-ExportGeschäft arbeitete, während sein Militärberater als Computerspezialist in
Kalifornien tätig gewesen war. Mamdouh Mahmud Salim, eine weitere
Spitzenkraft des Unternehmens, studierte Elektrotechnik.23
Bin Ladens Investitionsportfolio
enthält Investments in Mauritius,
Singapur, Malaysia, den Philippinen
und Panama; hinzu kommt Grundbesitz u.a. in Europa.24 Al-Qaida benutzt auch Wohltätigkeitsorganisationen wie die kürzlich geschlossene
„Benevolence International Foundation“, eine Hilfsorganisation aus Illinois mit Sitz in Bosnien-Herzegowina, die von einem Syrer mit amerikanischer und bosnischer Staatsbürgerschaft
betrieben
wurde.
Die
Wohlfahrtsorganisation unterhielt
u.a. ein Waisenhaus in Aserbaidschan
und ein Tuberkulose-Hospital in Tadschikistan, sie half beim Versuch,
Uran zu kaufen und stellte Bargeld
für die Attentate auf zwei US-Botschaften in Afrika im Jahr 1998 bereit.25 Am Handel mit „Blutdiamanten“ aus Sierra Leone soll die Organistion ebenfalls beteiligt sein.26
Al-Qaida hat auch das internationale Banksystem besonders geschickt
manipuliert. Bin Laden selbst behauptete in einem Interview mit einem pakistanischen Journalisten, dass seine
finanziellen Unterstützer „die Lücken
im westlichen Finanzsystem so gut
kennen wie die Linien ihrer Handflächen“.27 Zwar wurden Millionen Dollar auf Konten eingefroren, deren Nutzung durch Al-Qaida bekannt wurde.
Doch inzwischen nutzt die Organisation die regionalen und wenig transparenten Banksysteme des Nahen Ostens, einschließlich der Vereinigten
Arabischen Emirate, Kuwaits, Bahrains und des Libanon. Islamische
Bankininstitutionen, die sich nach
den Regeln der Schariah richten, genießen außerordentliche Autonomie
und sind dafür bekannt, dass sie die
Gelder von vielen Kunden vermischen
und in Gruppeninvestitionen stecken,
was zur Anonymität der Konten beiträgt. Ausgiebig greift die Organisation
auch auf das alternative, in Dubai übliche Hawala-Banksystem zurück, das
als unreguliert, anonym und sehr effizient bekannt ist. Schließlich scheint
Al-Qaida auch häufig Offshore-Bankdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die für ihre strikte Beachtung des
Bankgeheimnisses bekannt sind, vor
allem auf den Bahamas. 28
Die Nichtregierungsorganisationen, die von Al-Qaida gegründet oder
beeinflusst sind, steuern ebenfalls
Wesentliches bei. Indem sie Al-QaidaAktivisten Posten in ihren weltwei-
Auch Bin Ladens
engste Mitarbeiter
verfügen über
enorme technische
und ökonomische
Qualifikationen.
Sie sind Ärzte,
Computerspezialisten,
Import-ExportFachleute und
Elektroingenieure.
22
23
24
Greenberg, Wechsler, Wolosky: Terrorist Financing (Anm. 12), S. 5.
Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 31.
Rensselaer Lee: Terrorist Financing: The U.S. And International Response, Congressional
Research Service, 6.12.2002, S. 8.
25 Douglas Frantz: Possible Link Seen to U.S.-Based Charity and Al-Qaeda, New York Times,
14.6.2002.
26 Expert and Newspaper Says Diamonds Fund Terrorists, 6.11.2001, zitiert 10.7.2002,
http://www.jckgrop.com/index.
27 Kevin McCoy und Daniel Cauchon: The Business Side of Terror: Al-Qaeda Network Runs
Like Fortune 500 Firm, USA Today, 16.10.2001.
28 Greenberg, Wechsler, Wolosky: Terrorist Financing (Anm. 12), S. 9–10.
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Globalisierung gestalten
Al-Qaidas
Investitionen zeigen
das Verständnis der
Unternehmensleitung für den
globalen Markt.
Zum Beispiel wurde
schweres Gerät in
Tschechien, Ungarn
und Russland
gekauft, wo die
Preise niedrig sind,
Produkte aus Bin
Ladens Farmen
wurden lukrativ auf
Zypern verkauft.
ten NGO-Büros verschaffen, halten
sie eine für die Planung und Ausführung von terroristischen Attacken
notwendige Infrastrukur parat. Sie
versorgen die potenziellen Attemtäter mit Wohnungen, Aufenthaltsgenehmigungen und Identitätspapieren.29 Auch stellen sie Bankkonten
zur Verfügung, die für Bargeldabhebungen benutzt werden können.
„Wohlfahrtsorganisationen,“ so ein
US-Regierungsbeamter, „sind die
beste Tarnung. Sie tun mit der einen
Hand Gutes und mit der anderen decken sie Terroristen.“30
Al-Qaidas Investitionen zeigen das
Verständnis der Unternehmensleitung für den globalen Markt. Zum
Beispiel wurde schweres Gerät generell in Tschechien, Ungarn und Russland gekauft, wo die Preise niedrig
sind. Produkte von Bin Ladens Farmen wurden auf Zypern verkauft,
weil dies ein leichter Einstieg in den
lukrativen europäischen Markt war
und die Insel ein „freundliches“ Bankenwesen anbietet, wo wenig Fragen
gestellt werden.31 Auch der Standort
Europa mit seinen offenen Gesellschaften gewann für Al-Qaida an Bedeutung. Zudem hat der Kontinent
eine große und wachsende islamische
Bevölkerung, die es rekrutieren und
in der die Gruppe untertauchen kann.
Schließlich bietet Europa eine fortgeschrittene technische Infrastruktur,
die die Terroristen brauchen, um
weltweit zu operieren.32
Wie jede multinationale Firma
kennt auch Al-Qaida Finanzkrisen.
In den neunziger Jahren hatte sie angeblich Cash-Flow-Probleme wegen
29
30
31
32
33
34
35
52
des starken Dollars, vor allem im Verhältnis zum schwachen sudanesischen Pfund. Bin Laden musste Kosten sparen, indem er die Löhne kürzte. Das verursachte Spannungen innerhalb der Dschihad-Gruppen unter
dem Management Al-Qaidas. Die
Schwierigkeiten wurden offensichtlich so groß, dass er seine Truppen
ermahnen musste: „Unsere Aufgabe
ist größer als ein Geschäft. Wir werden hier keine Gewinne machen, aber
wir müssen der Regierung helfen und
die Regierung unserer Gruppe, und
das ist unser Ziel.“33
Al-Qaida als Joint-Venture
Das prinzipielle Ziel einer multinationalen Firma ist es, die kostengünstigste Produktion von Gütern auf dem
Weltmarkt sicherzustellen. Ausländische Direktinvestitionen sind durch
verbesserte Transportmöglichkeiten,
Kommunikation und positive Regierungspolitiken leichter geworden.34
Eine Untergruppe solcher Investitionen sind Joint-Ventures. Bin Laden
neigt dazu, sich wie ein Joint-VentureKapitalist zu verhalten. Er ermutigt
eine Entwicklung eigener Ideen in
der Basis, fördert die kreativsten und
umsetzungsfähigsten Ansätze und
stellt eine Finanzierung für die viel
versprechendsten Vorschläge zur Verfügung.
Das gilt vor allem für Attacken, die
mehr an der „Peripherie“ der islamischen Welt stattfinden, was etwa für
die gewalttätigen Aktivitäten der indonesischen Gruppe Jemaah Islamiyah in Bali im Jahr 2002 und in
Jakarta 2003 zutrifft.35 In einem CIA-
Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 144–145.
Frantz (Anm. 25).
Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 112.
Ebd., S. 175.
Ebd., S. 114–115.
Gilpin: The Political Economy of International Relations (Anm. 1), S. 233.
Bruce Hoffman: Redefining Counterterrorism (Anm. 5), S. 14.
ANALYSE Vittori / Al-Qaida
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Briefing im Weißen Haus wurde Bin
Laden 1995 als „die Ford Foundation
des sunnitischen Extremismus“ beschrieben: „Möchtegern-Terroristen
machten Vorschläge. Fand Bin Laden
die Projekte lohnend, schrieb er
Schecks aus.“36
Wie viele andere multinationale
Firmen hat Al-Qaida daran gearbeitet,
seine Strukturen flacher und vernetzter zu gestalten.37 Van Natta Jr. weist
darauf hin, dass „Terrorismus als ein
Zerrbild der New Economy gesehen
werden kann. In dieser Finanzstruktur managen Firmenchefs schlanke
kleine Firmen, indem sie für spezielle
Jobs Freiberufler anstellen. Die Spezialisten arbeiten als Team an einem
Auftrag und übernehmen dann andere Jobs, oft für andere Firmen.“38
Nichtsdestotrotz gibt es Aspekte
der Organisation, die ein traditionelleres Geschäftsmodell widerspiegeln, vor allem in der Führungsspitze.
So war Bin Laden bei einigen der
spektakulärsten Attacken direkt beteiligt.39 Sollte ein Anführer gefangen
genommen, getötet oder kommunikationsunfähig werden, ist die Nachfolge genau geregelt.40
Al-Qaida ist bemerkenswert flexibel – sie hat keinen singulären Modus
operandi. Wie Brian Jenkins kommentierte, sind „die Feinde von heute
dynamisch, unvorhersehbar, vernetzt
und in ständiger Entwicklung begriffen.“41 Ein Teil dieser Flexibilität
erklärt sich aus dem bipolaren Charakter Al-Qaidas, die sowohl Organi-
sation als auch dynamische Ideologie
ist. Neben Bin Ladens Kommandokette gibt es andere, die nur dem losen
Netzwerk angehören, dessen Bindeglied der Respekt für Bin Laden und
seine Ideen ist.42
Diese Flexibilität ermöglicht das
Weiterbestehen der Organisation, obwohl sie mit der vollen Härte des
Kampfes gegen den Terror konfrontiert ist. Wenn ein Operationsbereich
verletzbar scheint, kann Al-Qaida
ihren Modus operandi außerordentlich rasch umstellen. Droht einer
Niederlassung Gefahr, benutzt sie
ihre weitverzweigten Strukturen, um
sie auf sichereres Gelände zu verschieben. Überprüfen amerikanische
Steuerinspektoren eine spezielle
Wohlfahrtsorganisation, kann diese
unter anderem Namen in ein anderes
Bundesland umziehen.43 Diese amöbenartige Existenz ist der Schlüssel
zum Überleben der Organisation.
Eine neue Al-Qaida-Generation
dürfte noch schwerer zu durchschauen
sein. Die „Neue Garde“ sieht Bin
Laden eher als Inspiration denn als
CEO. Zu dieser neuen Garde gehört
der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi,
Al-Qaidas mutmaßlicher Chefterrorist
im Irak, und der Saudi Abu Walid, der
eine Führungsposition bei den tschetschenischen Rebellen übernommen
hat. Diese Gruppe gilt als besser ausgebildet, technisch noch versierter
und mindestens ebenso religiös motiviert wie die erste Al-Qaida-Generation.44 Zudem verlässt sich Al-Qaida
„Terrorismus kann
als Zerrbild der
New Economy
gesehen werden.
In dieser Finanzstruktur managen
Firmenchefs
schlanke kleine
Firmen, indem sie
für spezielle Jobs
Freiberufler
anstellen.“
36
37
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39
40
41
Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 242–243.
Hoffman: Redefining Counterterrorism (Anm. 5), S. 14.
Don Van Natta: Running Terrorism as a New Economy Business, New York Times, 11.11.2001.
Hoffman: Redefining Counterterrorism (Anm. 5), S. 14.
Ebd., S. 15.
Brian Michael Jenkins: Redefining the Enemy. The World Has Changed, but Our Mindset Has
Not, RAND Review, Bd. 28, Nr. 1, 2004, S. 17.
42 Bergen: Holy War, Inc. (Anm. 8), S. 5.
43 Report to Congressional Requesters on Terrorist Financing: U.S. Agencies Should Systematically Assess Terrorists’ Use of Alternative Financing Methods, General Accounting Office,
November 2003. S. 30.
44 Faye Bowers: Al-Qaeda’s New Young Guard. A Shift in Tactics, Christian Science Monitor, 13.2.2004.
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Vittori / Al-Qaida ANALYSE
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Globalisierung gestalten
Bei größeren Operationen wie 9/11
werden Grundkapital und
Beratung von der
Organisationsführung zur
Verfügung gestellt.
Die Kosten beliefen
sich auf etwa
200 000 bis 500 000
Dollar. Weniger
kostspielige
Aktionen können
von kleinen Zellen
selbst finanziert
werden.
immer stärker auf seine globalen
„Franchise-Firmen“. Dazu gehören
die Moro-Befreiungsbewegung in den
Philippinen, Jemaah Islamiah in Indonesien, die Al-Ansar-Mudjaheddin in
Tschetschenien und die Harakat ulMudjaheddin in Kaschmir.
Al-Qaidas Geldverteilungssystem
Da die Organisation nun dezentralisierter ist, unterhält sie keine Trainingscamps mehr oder unterstützt ganze
Regierungen. Deshalb braucht sie wesentlich weniger Geld. Nach Schätzungen von David Aufhauser, Berater des
US-Finanzministeriums, braucht sie
anstatt 35 Millionen vor wenigen Jahren heute vermutlich nur noch fünf bis
zehn Millionen Dollar jährlich.45
Generell werden die Operationen
Al-Qaidas auf zweierlei Weise finanziert. Bei größeren Operationen wie
jenen des 11. September werden
Grundkapital und Beratung von der
Organisationsführung zur Verfügung
gestellt. Die Kosten beliefen sich auf
etwa 200 000 bis 500 000 Dollar. Weniger kostspielige Aktionen können
von kleine Zellen selbst finanziert
werden, indem sie für die Beschaffung von Bargeld beispielsweise Tarnfirmen oder gestohlene Kreditkarten
benutzen.46 Kleine, sich selbst finanzierende Zellen sind äußerst schwierig aufzubrechen. Dennoch kann man
ihnen mit traditionellen Strafverfolgungsmethoden zu Leibe rücken, vor
allem wenn die Informationen der
jeweiligen Geheimdienste an die Ermittlungsbehörden weiter geleitet
werden. Um die generellen Al-QaidaAktivitäten einzudämmen, bedarf es
jedoch intensiver Geheimdiensttätig-
keit und internationaler Unterstützung. Auf diesem Gebiet sind viele
Taktiken bereits eingesetzt worden.
Als längerfristige Lösung versucht
man, die Unterstützung für Al-Qaida
vor allem in den islamischen Gesellschaften auszutrocknen. Es muss jedoch noch viel mehr getan werden,
um die Finanzstrukturen zu zerstören, die das Funktionieren der Organisation als Ganzes garantieren. Zu
diesem Zweck müssen die Finanzströme analysiert werden, die die Terroroperationen und Propagandakampagnen Al-Qaidas ermöglichen.
Geldwäsche ist laut US-Recht definiert als „die Bewegung von illegalem
Bargeld oder Bargeld-Äquivalenten in,
aus oder durch die Finanzinstitutionen
der USA.“47 Jede kriminelle Gruppe
muss Geldbewegungen tarnen, vor
allem wenn die Mittel für illegale Operationen verwendet werden sollen.
Der Geldwäscheprozess läuft im Allgemeinen in drei Stufen ab. Die erste
Stufe ist die Platzierung, in der eine
Person, die Schlupflöcher in Finanzsystemen ausfindig machen kann, das
Geld ins internationale Finanzsystem
einschleust. Das wird häufig über Offshore-Konten getätigt. In einem zweiten
Schritt werden die Gelder umgeschichtet, um ihre Quellen zu verschleiern.
Das passiert oft durch mehrere Finanztransaktionen unterhalb der 10 000Dollar-Schwelle, die einen Währungstransaktions-Report auslöst. Der dritte
Schritt ist die Integration, wobei die
Gelder durch legal wirkende Transaktionen wie Investitionen in legale Geschäfte und Immobilienkauf versteckt
werden.48 Al-Qaida beherrscht alle
drei Schritte perfekt.
45
46
Don Van Natta: Terrorists Blaze a New Money Trail, New York Times, 28.9.2003.
Greenberg, Wechsler, Wolosky: Terrorist Financing (Anm. 12), S. 3 und Boucek: The Battle to
Shut Down (Anm. 4), S. 2.
47 Kimberly L. Thachuk: Terrorism’s Financial Lifeline: Can It Be Severed?, Strategic Forum 191,
2002, S. 1–2.
48 Ebd., S. 1–2.
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ANALYSE Vittori / Al-Qaida
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Globalisierung gestalten
Politik-Empfehlungen
Der Versuch, Al-Qaida von ihrem Bargeldzugang abzuschneiden, ist laut
einer jüngst erschienenen UN-Studie
gescheitert. Die Gründe sind vielfältig:
Es erwies sich als außerordentlich
schwierig, Sanktionen auf Organisationen und Individuen anstatt auf Staaten
zuzuschneiden. Viele Staaten sind unwillig oder unfähig, entsprechende Gesetzgebungsmaßnahmen zu erlassen
und durchzusetzen. Dazu kommt AlQaidas ausgeprägte Fähigkeit, wechselnde Taktiken und Organisationsformen zu nutzen.49
Brian Jenkins konstatiert: „Was die
Geheimdiensterkenntnisse angeht,
müssen wir schnell schlau werden.
Wir brauchen die Fähigkeit zu vernetzter, multilateraler Bedrohungsanalyse – vergleichbar mit ,EchtzeitGeheimdienstanalyse
auf
dem
Schlachtfeld‘ – um Informationen zu
generieren, die gebündelt und von
einem Soldaten in Afghanistan, einem
Amtmann in Frankreich, einem Polizisten in Singapur, einem Marinesoldaten in Haiti schnell benutzt werden
können. Diese Fähigkeit haben wir
bisher noch nicht.“50
Terrorbekämpfung auf diesem
Niveau erfordert das Abrücken von
einigen fest gefügten Vorstellungen.
Erstens müssen die USA begreifen,
dass sich zwischen inneren und
äußeren Angelegenheiten kaum mehr
unterscheiden lässt. Zweitens ist auch
der Unterschied zwischen dem
öffentlichen und dem privaten Sektor
obsolet.51 Wir sollten aus unserer Erfahrung vor und nach dem 11. September wissen, dass Terrorfinanzierung ein kompliziertes und multidimensionales Problem ist, dass innenpolitisch wie international eine Reihe
von legalen, gesetzgeberischen, finanziellen, geheimdienstlichen und
strafrechtlichen Interessen berührt.52
Die USA können nicht allein jede
Al-Qaida-Zelle eliminieren. Wie
David Aufhauser, Spitzenbeamter des
US-Finanzministeriums schon 2003
sagte, sind „unsere Wirtschaften absichtlich offen und durchlässig. Die
Möglichkeiten, Restriktionen des
Kapitalflusses zu umgehen, sind nahezu unendlich. Zudem haben wir es
mit einer weltweiten Herausforderung zu tun.”53 Alexei Vassiliev, Afrika-Experte der Russischen Akademie
der Wissenschaften, weist darauf hin,
dass „Drogenhändler ähnliche Maßnahmen erfolgreich umgingen und es
ihnen gelungen ist, im vergangenen
Jahrzehnt ungefähr eine Billion Dollar zu waschen – deshalb ist es zweifelhaft, dass die Kanäle zur Terrorfinanzierung total blockiert werden
können.“54 Das Beste, was die USA
erhoffen können, ist, Al-Qaida
einzudämmen, wie sie es mit der Sowjetunion während des Kalten Krieges
taten. In der Zwischenzeit müssen die
USA und ihre Allierten Al-Qaidas
Möglichkeiten einschränken und die
soziologischen Faktoren minimieren,
die zu ihrer Unterstützung als Ideologie beitragen.55
Der Versuch,
Al-Qaida von
ihrem
Bargeldzugang
abzuschneiden,
ist laut einer
jüngst
erschienenen
UN-Studie
gescheitert.
49
Munoz, First Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team Appointed
Pursuant to Resolution 1526 (2004) Concerning Al-Qaeda and the Taliban and Associated Individuals and Entities (Anm. 3).
50 Jenkins: Redefining the Enemy (Anm . 41), S. 20.
51 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 402.
52 U.S. Senate Foreign Relations Committee, Testimony of Juan C. Zarate, Deputy Assistant Secretary of the Treasury on Terrorist Financing and Financial Crime, 18.3.2003.
53 Josh Meyer: Cutting Money Flow to Terrorists Proves Difficult, Los Angeles Times, 28.9.2003.
54 Alexei Vassiliev: Financing Terror: From Bogus Banks to Honey Bees, Terrorism Monitor I,
Nr. 4, 2003, S. 5.
55 Benjamin und Simon: The Age of Sacred Terror (Anm. 9), S. 411.
IP • März • 2005
Vittori / Al-Qaida ANALYSE
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