- Fanarbeit Schweiz
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Diplomarbeit Fachhochschule Zürich Hochschule für Soziale Arbeit Vollzeitausbildung VSA Diplomarbeit Jugendgewalt im Kontext von Subkulturen Sabina Schaerer Tatjana Meillaud VSA 04 / 07 Berg, Stettbach, Zürich 13. April 2007 Vorwort 2 Vorwort Im Frühling und Sommer 2006 wurde in den Medien vermehrt über Gewalt im Zusammenhang mit sportlichen oder politischen Anlässen berichtet. Das Ende der nationalen Fussballmeisterschaft und die Fussballweltmeisterschaft in Deutschland liessen den Fussball im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses stehen. Dies zog ebenfalls die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die gewalttätigen Akteure, welche durch ihre Gewalttaten zunehmend als negative Begleiterscheinung zum freudigen Volksfest die Titelseiten und Berichterstattungen der Medien füllten. Der 1. Mai in Zürich, das WEF in Davos oder der G-8-Gipfel zogen ebenfalls das mediale und gesellschaftliche Augenmerk auf sich. Dies weniger durch seine Inhalte und Ziele, sondern durch vermummte und schwarz gekleidete Demonstranten, welche sich immer wieder Strassenschlachten mit der Polizei lieferten. Auffallend bei der Hooligangewalt und der Gewalt von Linksautonomen ist die Tatsache, dass es sich bei den Akteuren in den meisten Fällen um Jugendliche im Alter zwischen 15 bis 25 Jahre handelt. In unseren Praktika haben wir beide Erfahrungen mit der Zielgruppe Jugend- und daher auch mit Jugendgewalt gemacht. Durch das vermehrte Auftreten des Themas in den Medien haben wir uns gefragt: „Wie kommt es zu dieser Ausübung von Jugendgewalt an öffentlichen Anlässen?“ und „Wo ist denn eigentlich die Soziale Arbeit?“ Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir uns entschlossen, uns in der Diplomarbeit mit den Subkulturen der Hooligans, bzw. den Linksautonomen zu beschäftigen. Anmerkung 1: Da wir uns in dieser Diplomarbeit ausschliesslich auf männliche Individuen beschränken, haben wir uns entschieden nur die männliche Form zu verwenden. Bei genannten Personengruppen, welche sich nicht auf männliche Jugendliche beschränken, sind beiderlei Geschlechter gemeint. Anmerkung 2: Wir beschränken uns in dieser Diplomarbeit auf Individuen aus dem Grossraum Zürich. Anmerkung 3: Die Arbeit umfasst 198`492 Zeichen, einschliesslich Leerzeichen, jedoch ohne Kopf- und Fusszeilen sowie dem Vorwort, Dank, Abstract und allen Anhängen. Vorwort 3 Dank Sabina Schaerer dankt: Hugo für seine Unterstützung und Geduld während der Schreibphase und Tatjana für die unkomplizierte und tolle Zusammenarbeit. Tatjana Meillaud dankt: Deme für die Unterstützung während der Schreibphase, meiner Familie für die Unterstützung während der ganzen Ausbildung, Sabina für die durchwegs erfreuliche und kooperative Zusammenarbeit. Beide Autorinnen danken: M. Wolfer für die Begleitung unserer Diplomarbeit, L. Ruckstuhl für die grosse Hilfe bei der Formatierung, der Stadtpolizei Zürich (namentlich A. Widmer vom Sicherheitsdienst und C. Nef von der Abteilung für Hooliganismus), David Zimmermann von der Fanarbeit Schweiz und Ueli Wildberger vom Forum für Friedenserziehung, welche sich viel Zeit genommen haben unsere Fragen zu beantworten. Abstract Diese Diplomarbeit ist eine wissenschaftliche Abhandlung zum Thema Jugendgewalt in Subkulturen. Anhand verschiedener Theorien, wie Sozialisationstheorien, Theorie menschlicher Bedürfnisse, Risikotheorien und der Theorie struktureller und anomischer Spannungen werden die Subkulturen der Hooligans und der militanten Linskautonomen, bzw. ihre Akteure, von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Aus den jeweiligen Resultaten werden Schlüsse über die Gründe gezogen, weshalb sich Individuen gewaltbereiten Subkulturen anschliessen. Die Arbeit zeigt auf, wie vielschichtig das Problem der Jugendgewalt in Subkulturen ist und dass in diesem Bereich der Sozialen Arbeit noch ein grosser Handlungsbedarf besteht. Als Schlussfazit wurde eine Verständnisgrundlage für Professionelle der Sozialen Arbeit erarbeitet, welche durch ihren Beruf mit Akteuren gewaltbereiter Subkulturen in Kontakt stehen. Aufbauend auf diese Diplomarbeit könnte ein konkretes Hilfsangebot für Akteure gewalttätiger Jugendsubkulturen erarbeitet werden. Einleitung 4 Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................... 2 Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. 4 1. Einleitung ........................................................................................... 6 1.1. Problemstellung ..................................................................................... 6 1.2. Hauptfragestellung ................................................................................ 8 1.2.1. Fragestellungen Theoretischer Teil................................................. 8 1.2.2. Fragestellungen praktischer Teil ..................................................... 9 1.3. Zielsetzung ............................................................................................ 9 1.4. Aufbau und Struktur ............................................................................. 10 2. Definitionen...................................................................................... 11 2.1. Definition Jugendliche.......................................................................... 11 2.2. Definition Macht ................................................................................... 12 2.3. Definition Gewalt ................................................................................. 13 2.4. Definition Kultur ................................................................................... 13 2.5. Definition Subkultur ............................................................................. 14 2.5.1. Jugendkulturen und (Jugend)Subkulturen .................................... 14 2.5.1.1. Jugendsubkulturen und Inszenierung .................................... 15 2.5.1.2. Jugendsubkultur und abweichendes Verhalten...................... 15 3. Die Systemische Denkfigur (SDF) .................................................. 17 3.1. Situationsanalyse ................................................................................ 17 3.1.1. Die Subkultur der Hooligans ......................................................... 19 3.1.1.1. Beschreibung der Hooligans (B-Fans) anhand der SDF ........ 21 3.1.2. Die Subkultur der militanten Linksautonomen ............................... 22 3.1.2.1. Beschreibung der Linkautonomen anhand der SDF .............. 26 3.2. Fazit .................................................................................................... 28 4. Sozialisationstheorien .................................................................... 31 4.1. Einführung ........................................................................................... 31 4.1.1. Die allgemeinen Entwicklungsaufgaben in der Jugend ................. 32 4.1.1.1. Biologische Entwicklung ........................................................ 33 4.1.2. Identitätsentwicklung .................................................................... 34 4.1.3. Einfluss der Familie und der Peer Group ...................................... 35 4.2. Anwendung ......................................................................................... 38 4.2.1. Subkultur der Hooligans ............................................................... 38 4.2.2. Subkultur der militanten Linksautonomen ..................................... 39 4.2.3. Fazit ............................................................................................. 40 5. Biopsychosoziale Bedürfnistheorie............................................... 43 5.1. Einführung ........................................................................................... 43 5.2. Anwendung ......................................................................................... 44 5.2.1. Subkultur der Hooligans ............................................................... 45 5.2.2. Subkultur der militanten Linksautonomen ..................................... 46 5.2.3. Fazit ............................................................................................. 48 6. Theorie anomischer Spannungen .................................................. 49 6.1. Einführung ........................................................................................... 49 6.2. Anwendung ......................................................................................... 51 6.2.1. Subkultur der Hooligans ............................................................... 51 6.2.2. Subkultur der militanten Linksautonomen ..................................... 52 6.2.3. Fazit ............................................................................................. 53 Einleitung 5 7. Risikotheorien ................................................................................. 55 7.1. Einführung in die Theorie des Sensation Seeking ................................ 56 7.1.1. Anwendung der Theorie des Sensation Seeking .......................... 57 7.1.1.1. Subkultur der Hooligans ........................................................ 57 7.1.1.2. Subkultur der militanten Linksautonomen .............................. 58 7.1.2. Fazit ............................................................................................. 60 7.2. Einführung in die Theorie des gewaltaffinen Risikoverhalten ............... 61 7.2.1. Anwendung der Theorie des gewaltaffinen Risikoverhalten .......... 62 7.2.1.1. Subkultur der Hooligans ........................................................ 62 7.2.1.2. Subkultur der militanten Linksautonomen .............................. 64 7.2.2. Fazit ............................................................................................. 65 7.3. Zusammenfassung Ergebnisse Risikotheorien .................................... 66 8. Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................... 67 8.1. Hauptfragestellung .............................................................................. 67 8.1.1. Fragestellungen Theoretischer Teil............................................... 67 9. Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit .............................. 70 9.1. 9.2. 9.3. 10. Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit für Hooligans ................. 70 Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit für Linksautonome ......... 71 Fazit .................................................................................................... 74 Schlussteil .................................................................................... 77 10.1. 10.2. 10.3. 11. Zielerreichung .................................................................................. 77 Schlussplädoyer ............................................................................... 77 Offene Fragen .................................................................................. 78 Quellenverzeichnis ...................................................................... 79 Einleitung 6 1. Einleitung 1.1. Problemstellung Zürich, 13. Mai 2006: Nach dem entscheidenden Meisterschaftsspiel zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich schaffte es der schweizer Spitzenfussball seit langem wieder einmal auf die internationalen Titelblätter: Nach dem Spiel kam es zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen durch junge Fussballhooligans, welche nach dem Schlusspfiff das Spielfeld stürmten und durch ihre Gewaltbereitschaft die Zuschauer im Stadion und vor den Bildschirmen schockierten. Den Medienberichten zufolge waren unter den Hooligans viele Jugendliche - einige von ihnen jünger als 16 Jahre. Mit Glatze, Kampfstiefeln und vermummten Gesichtern provozierten sie inmitten ihrer Fangruppen andere Firms1, die Sicherheitskräfte und die Polizei. Regelmässig kommt es zu Verletzten und zu dutzenden von Festnahmen. Zürich, 1. Mai 2006: „Die Ausschreitungen im Anschluss an die unbewilligte Nachdemonstration zeichneten sich durch ein enormes Aggressionspotential aus. (…) An einzelnen Gebäuden entstand beträchtlicher Sachschaden. Insgesamt kam es zu 48 Festnahmen durch die Polizei. (…) Immer wieder schwärmten kleinere Gruppen von zumeist vermummten Personen vom Festareal aus und gingen gewaltsam gegen die polizeilichen Einsatzkräfte vor. Da sich die gewaltsamen Aktionen stets in unmittelbarer Nähe zu den verschiedenen Festanlässen abspielten, gestaltete sich das Eingreifen für die Polizeikräfte enorm schwierig. (…) Bei den Verhafteten handelt es sich um 40 Männer und 8 Frauen im Alter zwischen 16 und 39 Jahren. (…) Sie wurden wegen Strafbeständen wie Teilnahme an einer unbewilligten Demo, Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Körperverletzung, Diebstahl und Sachbeschädigung festgenommen. (Polizeibericht der KaPo Zürich) Solche und ähnliche Szenen spielen sich oft nach sportlichen oder politischen Grossanlässen im öffentlichen Raum ab und irritieren die Bevölkerung und die Polizei. Auffallend ist die überwiegende Beteiligung jugendlicher Akteure im 1 Firms: harter Kern einer Hooligangruppe (ca. 30-50 Männer), welche, angeführt von 2-3 Szeneexponenten, Gewaltaktionen gegen die gegnerische Firm planen. Firms sind während dem Fussballspiel nicht zwingend im Stadion anzutreffen, oft werden die Spiele in einer stadionnahen Kneipe verfolgt. Einleitung 7 Kontext von subkulturellen2 Gruppierungen, welche sich an Sachbeschädigungen, Gewalt gegen einen Gegner oder Ausschreitungen gegen die Polizei, beteiligen. Hier sind im Raum Zürich vor allem Hooligans und militante Linksautonome des Schwarzen Blocks auffallend oft an der Ausübung von Gewalt beteiligt. So nimmt beispielsweise die Gewalt an Sportanlässen in der Schweiz zu. Im Verlauf der Eishockey- und Fussballsaison 2004/2005 wurden rund 570 Personen festgenommen, rund 90 Personen, darunter auch Polizisten und Unbeteiligte, wurden verletzt. Der Kern von Individuen, die gezielt Gewalt bei Sportveranstaltungen suchten, umfassten im vergangenen Jahr rund 400 Personen. Weitere 600 Personen waren an Ausschreitungen und Sachbeschädigungen beteiligt. Vielen Fussballfans ist es an wichtigen Fussballspielen in der Schweiz nicht mehr wohl, weil sie Angst davor haben, in eine Schlägerei verwickelt oder von einer Leuchtpetarde getroffen zu werden. Auch der 1. Mai in Zürich verkommt jedes Jahr an unbewilligten Nachdemonstrationen zu einer regelrechten Schlacht zwischen jugendlichen Linksextremen und der Polizei. Sachbeschädigungen im Wert von mehreren hunderttausend Franken erzürnen die Steuerzahler, Anwohner und Gewerbetreibende, welche eingeschlagene Schaufenster und angezündete Autos in Kauf nehmen müssen. Aus persönlichen Erfahrungen wissen wir, dass Jugendliche sich vereinsmässig organisieren, sei es im Fussballclub, in der Jugendriege oder in der Pfadi. Es gibt Jugendliche, welche sich überhaupt nicht organisieren, sie spielen vielleicht ein Instrument, üben in einer Band oder verbringen die Freizeit mit ihren besten Freunden. Viele Jugendliche jedoch schliessen sich im Verlaufe des Ablösungsprozesses von der Primärgruppe Familie einer Subkultur an und erfahren innerhalb dieser Gruppe wichtige Sozialisationsprozesse. Gemäss eigener Erlebnisse, Medienberichten und Statistiken zur Jugendgewalt3, weisen einige dieser Jugendsubkulturen deutliche Tendenzen zur Gewalt auf. In unseren Praktika in der offenen Jugendarbeit und einer Sonderschule haben wir auf Grund diverser Gewaltvorfälle Erfahrungen über die Gewaltproblematik in Jugendsubkulturen gemacht. Die Texte von Rap-Songs beispielsweise verherrlichen Gewalt und in Medienberichten liest man immer wieder über die Gewaltbereitschaft in Form von Sachbeschädigung und Vandalismus im öffentli2 3 Zu einer Subkultur gehörend, sie betreffend (vgl. Fremdwörterduden, 1997). Vgl. dazu Statistiken im Anhang auf Seite I und II. Einleitung 8 chen Raum. Jugendgewalt im Kontext von Subkulturen als soziales Problem ist vielschichtig und zeigt sich auf mehreren Ebenen: beim Individuum als Angriff auf die physische und psychische Integrität Integrationsprobleme, z.B. durch das Bestehen eines Vorstrafenregisters (Schulausschluss oder Verwehrung des beruflichen Einstiegs) Verletzung gesellschaftlicher Werte und Normen durch Gewaltakte in der Familie, Schule, im Quartier, in Jugendtreffs, an Bahnhöfen, an Fussballspielen und an öffentlichen politischen Anlässen. Auf Grund dieser Zahlen und Fakten leitet sich spezifischer Handlungsbedarf für die Soziale Arbeit ab. Jugendgewalt im Kontext von Subkulturen ist ein Problemfeld, wo die Soziale Arbeit ansetzen kann und muss. Sie tut dies schon, beispielsweise in der Schulsozialarbeit, in der offenen4 und aufsuchenden5 Jugendarbeit oder bei freiwilligen oder gesetzlichen Beratungen an Jugendsekretariaten. Zur Erlangung eines integrierten Bildes über die Problematik braucht es Kenntnisse über die verschiedenen gewaltbereiten Subkulturen sowie die Gründe, warum sich Jugendliche gewaltbereiten Gruppierungen anschliessen. Als angehende Sozialarbeiterinnen sind wir der Meinung, dass die Soziale Arbeit im Bereich der Jugendarbeit nur dann am richtigen Punkt ansetzen kann, wenn genügend Wissen über die Problematik von gewaltbereiten Jugendsubkulturen vorhanden ist. In der folgenden Arbeit möchten wir aufzeigen, warum Jugendliche sich gewaltbereiten Gruppierungen anschliessen und der Frage nachgehen, wo Handlungsbedarf für die Soziale Arbeit besteht. Dazu konzentrieren wir uns im Rahmen unserer Diplomarbeit auf die Subkulturen der Hooligans und der militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks. Bereits bestehende Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit werden aufgeführt und Wissen in Bezug auf Jugendgewalt in Subkulturen wird erarbeitet, welches für das professionelle Handeln in der Arbeit mit Jugendlichen bei gezogen werden kann (Hintergrundwissen). Zur Bearbeitung der an dieser Stelle aufgeführten Problemstellung werden wir demnach folgende Fragestellungen in dieser Diplomarbeit beantworten. 1.2. Hauptfragestellung Welche sozialen Merkmale kennzeichnen die an Ausschreitungen beteiligten Akteure der Hooligans und der militanten Linksautonomen? Gibt es Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede bezüglich ihrer Motive zur Ausübung von Gewalt? 1.2.1. Fragestellungen Theoretischer Teil Was bedeutet die Lebensphase Jugend? 4 Freiwilligkeit der Teilnahme, Mitbestimmung, Mitgestaltung, Selbstorganisation (Partizipation), Lebenswelt- und Alltagsorientierung, Bedarfsorientierung an Kinder und Jugendliche (vgl. www.wikipedia.org). 5 Psychosoziale und gesundheitsbezogene Dienstleistung für Jugendliche mit Arbeitsfeld im alltäglichen Lebensmilieu der jeweiligen Zielgruppe in halböffentlichen, öffentlichen und privaten Lebensfeldern (vgl. www.wikipedia.org). Einleitung 9 Was sind Subkulturen? Welche Formen von Gewalt gibt es? Welche sozialen Merkmale kennzeichnen die Hooligans? Welche sozialen Merkmale kennzeichnen die militanten Linksautonomen? Nach welchen Kriterien und Merkmalen unterscheiden sich die beiden Subkulturen? Welche Absichten haben Hooligans und welche Motive veranlassen sie zu Krawallen bei und/oder nach Fussballspielen? Welche Absichten haben militante Linksautonome und welche Motive veranlassen sie zu einer Teilname an Nachdemonstrationen? Gibt es Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten in den Gründen, warum sich Jugendliche der ausserparlamentarischen Linken oder den Hooligans anschliessen? 1.2.2. Fragestellungen praktischer Teil Welche Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit gibt es für Hooligans? Welche Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit gibt es für die linksautonome Szene? Inwiefern kann das in dieser Diplomarbeit erarbeitete Wissen im Rahmen der professionellen Jugendarbeit beigezogen werden? 1.3. Zielsetzung Grundsätzliches Ziel dieser Arbeit ist es, die formulierten Fragestellungen anhand von Literatur und theoretischem Wissen zu beantworten. Im theoretischen Teil wird nach Gründen gesucht, warum sich Jugendliche gewaltbereiten Jugendsubkulturen anschliessen. Motive dazu werden am Beispiel der Subkulturen der Hooligans und den militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks aufgezeigt. Im praktischen Teil werden Unterstützungsangebote für die oben genannten Zielgruppen aufgeführt und eine theoretische Verständnisgrundlage für Sozialarbeitende im Jugendbereich erarbeitet, welche bei der Ausübung ihrer Profession mit gewaltbereiten Subkulturen in Berührung kommen. Einleitung 10 1.4. Aufbau und Struktur Die Diplomarbeit ist in 5 Teile gegliedert: Einleitungsteil Im Einleitungsteil wird ein Bezug zwischen Problemstellung und Fragestellung hergestellt und die Zielsetzung der Diplomarbeit wird erläutert. Definitionsteil Im Definitionsteil werden für diese Diplomarbeit relevante Begriffe eingeführt und Anhand von Literatur erklärt und definiert. Theoretischer Teil Im theoretischen Teil wird die Systemische Denkfigur als Mittel zur Situationsanalyse, sowie vier verschiedene Erklärungstheorien (Sozialisationstheorien, biopsychosoziale Theorie menschlicher Bedürfnisse, Theorie struktureller und anomischer Spannungen und Risikotheorien) eingeführt. Als Erstes werden die Theorien jeweils eingeführt und dann auf die Subkulturen der Hooligans, bzw. der militanten Linkautonomen angewendet. Aus den beiden Anwendungen wird zum Schluss ein Fazit zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Subkulturen, bezüglich der jeweiligen Theorie, gezogen. Praktischer Teil Im praktischen Teil werden Unterstützungsangebote für Hooligans und die militanten Linksautonomen beschrieben und eine theoretische Verständnisgrundlage für Sozialarbeitende im Jugendbereich erarbeitet. Schlussteil Im Schlussteil wird die Zielerreichung überprüft und nach einem Schlussplädoyer werden offene Fragen aufgeführt, welche in dieser Diplomarbeit nicht bearbeitet werden konnten. Definitionen 11 2. Definitionen An dieser Stelle werden für die Arbeit relevante Begriffe eingeführt, definiert und erklärt. 2.1. Definition Jugendliche Es existieren viele verschiedene Ansätze, wie das Jugendalter definiert wird. Strafrechtlich gesehen ist jugendlich, wer sich im Alter zwischen dem vollendeten 10.- und dem vollendeten 18. Lebensjahr befindet. Wer in dieser Altersspanne eine Straftat begeht, untersteht dem Jugendstrafgesetz (vgl. JStG, Ausgabe vom 20. Juni 2003). Entwicklungspsychologen, wie beispielsweise Erik H. Erikson mit seiner Theorie der Lebensspanne6 oder Robert Havighurst mit seiner Theorie der Entwicklungsaufgaben (vgl. Schenk-Danzinger, 1999), betonen die verschiedenen Aufgaben, welche Jugendliche zu bewältigen haben. Sie grenzen die verschiedenen Altersspannen nicht (nur) zeitlich ein, sondern in verschiedene Phasen, welche jeder Mensch durchlaufen muss. Diese Phasen sind durch einschneidende Veränderungen biologischer und psychosozialer Art geprägt. Auch Soziologen, wie beispielsweise Klaus Hurrelmann, beschäftigen sich mit dem Jugendalter. Für ihn ist die Jugendphase dann beendet, „wenn in allen relevanten Handlungsbereichen ein vollständiger oder zumindest weit reichender Grad von Autonomie und Eigenverantwortung erreicht ist“ (vgl. Hurrelmann, 1999). Das Jugendalter wird auch als Adoleszenz bezeichnet, womit die Altersphase zwischen Kindsein und dem Erwachsenalter gemeint ist. Die Adoleszenz kann in verschiedene Lebensphasen unterteilt werden, wobei diese Unterteilung nicht als klare Abgrenzung betrachtet werden darf. Sie dient lediglich der ungefähren Einteilung. In Kapitel 5 werden wir anhand von Sozialisationstheorien noch ausführlicher auf die Lebensphase Jugend eingehen7. Tabelle 1, Lebensphasen der Adoleszenz Vorpupertät Präadoleszenz Pubertät Frühadoleszenz mittlere Adoleszenz späte Adoleszenz Postadoleszenz 10 – 12 J. 13 – 15 J. 15 – 17 J. 18 – 20 J. 21 – 25 J. Laut Statistiken8 hat die Jugendgewalt in der Schweiz in den letzten Jahren stetig zugenommen und das Alter der Jugendlichen, welche durch Gewalt auffallen, hat sich nach unten verschoben. So werden beispielsweise an Demonstrationen und sportlichen Grossanlässen immer jüngere Jugendliche von der Polizei aufgegriffen und kommen auf diese Weise erstmals mit dem Strafrecht in Berührung. Deshalb werden wir uns in dieser Diplomarbeit nicht nur auf Jugendliche, welche sich in der Phase der späten Adoleszenz, bzw. der Postadoleszenz befinden, 6 Vgl. www.dr-mueck.de Vgl. www.socioweb.de 8 Vgl. Statistiken zur Jugendgewalt im Anhang auf Seite I und II. 7 Definitionen 12 sondern auf Jugendliche in allen Adoleszenzphasen konzentrieren. Wir beschränken uns auf männliche Jugendliche, da vor allem die Subkultur der Hooligans, aber auch diejenige der Linksautonomen, eine Männerdomäne ist. Wenn in dieser Arbeit also von Jugendlichen gesprochen wird, sind damit männliche Jugendliche im Alter zwischen 13 und 25 Jahren gemeint. 2.2. Definition Macht Bevor genauer auf den Begriff der Gewalt eingegangen wird, ist es an dieser Stelle sinnvoll, zuerst den Begriff der Macht zu betrachten, denn nur wenn ein Individuum in irgendeiner Form eine Machtposition innehat, kann es auch Gewalt ausüben. Nach Popitz (1992) ist jede Machtanwendung eine Freiheitsbegrenzung und muss daher gerechtfertigt werden. Er sieht die Macht als das Vermögen, sich gegen fremde Kräfte durchzusetzen. Popitz spricht von vier verschiedenen Machtformen: Instrumentelle Macht (Menschen haben Macht über andere Menschen, weil sie anderen etwas nehmen und geben können. Basis dieser Macht ist Haben). Autoritative Macht (Diese Machtform hängt an unserem Bestreben nach Bestätigung. An solchen Bestätigungen hängt unser Selbstwertgefühl). Datensetzende Macht (Macht haben Menschen über andere aufgrund ihrer technischen Handlungsfähigkeit, ihrer herstellenden Intelligenz). Aktionsmacht (Menschen haben Macht über andere Menschen, weil einer den anderen verletzen kann, indem er seine Gegenkräfte durchbricht). In Einbezug des Themas dieser Arbeit interessiert hier vor allem die Aktionsmacht. Der Mensch hat Verletzungskraft oder verletzende Aktionsmacht gegenüber allen Organismen, auch gegenüber anderen Menschen. Diese Macht ist in der Regel ungleich verteilt aufgrund angeborener Begabung, Schnelligkeit, Muskelkraft etc. Geiser (2004) definiert Macht als „die Kontrolle über knappe Güter im Sinne von Ressourcen für das Erreichen von Zielen“. In Geisers Ausführungen stehen die Machtquellen im Zentrum. Er erwähnt dessen vier: Artikulationsmacht (Wissen als knappes Gut) Positions- Organisationsmacht (eine hohe Position als knappes Gut) Körpermacht (Kraft, Aussehen und Gesundheit als knappes Gut) Ressourcenmacht (Macht durch Kontrolle als knappes Gut) Hier interessiert besonders die Körpermacht. Eine Person hat gegenüber einer anderen Person eine Machtposition, weil sie ihr körperlich überlegen ist. Die Körpermacht als Machtquelle ist daher zu vergleichen mit der Aktionsmacht von Popitz. Dies ist die direkteste Form von Macht. Jemand hat die Macht einer anderen Definitionen 13 Person mit einer gegen sie gerichteten Aktion Schaden zuzufügen. Aktionsmacht ist Verletzungsmacht, der Aktionsmächtige der Verletzungsmächtige. 2.3. Definition Gewalt Nach Hurrelmann (1995) wird unter Gewalt „die körperliche und auf Verletzung des Anderen ausgerichtete Aggression“ verstanden. Gewalttätig ist ein Verhalten also dann, wenn es mit Absicht ausgeführt wird um jemandem zu schaden. Um die Begriffe von Geiser und Popitz zu verwenden, ist Gewalt die Ausübung von Körpermacht bzw. Aktionsmacht. Geiser unterscheidet vier Formen von Gewalt: Die angedrohte und/oder reale, gezielte, direkte (Faustschlag, Messer) oder indirekte (Schusswaffe) Aktion gegenüber anderen Körpern Zwecks Schädigung der Gesundheit bzw. Bedrohung des Lebens oder Zwecks Aneignung von deren Gütern. Der unkontrollierte Einsatz gegenüber anderen Körpern (Affekthandlungen). Der Gebrauch des körperlichen Einsatzes als Selbstverteidigung / Notwehr. Der Einsatz von Gewaltmitteln aufgrund des Gewaltmonopols durch Polizei / Militär. Wichtig an dieser Stelle zu erwähnen ist, dass die Gewaltformen einerseits nach legal oder illegal unterschieden werden können, andererseits nach legitim oder illegitim. Nicht jede Gewaltausübung, die legal ist, muss auch zwingend legitim sein. Als Beispiel hierzu können Polizeieinsätze an Demonstrationen genannt werden, deren Legitimität immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt. 2.4. Definition Kultur Um den Begriff Subkultur zu definieren und zu verstehen, bedarf es zuerst einer Definition von Kultur. Nach Obrecht (1998) ist Kultur etwas leicht Erlebbares, jedoch etwas sehr schwer Verstehbares (Erklärbares). Er unterscheidet im Zusammenhang mit Kultur die vier Aspekte a) Sprache, b) begriffliche oder kulturelle Codes, c) Bilder im Sinne von Faktenwissen über Realitätsausschnitte und d) Werte. Die Sprache ist die Technik der Verständigung. In dem wir Zeichen geben und kennen, können wir uns verständigen. Sprache kann verbal sein oder in Schriftform vorliegen. Begriffe sind Elemente von Gedanken. Es ist uns also möglich, wahrgenommene Aspekte verschiedener Dinge bewusst wahrzunehmen und zu verstehen. Begriffe sind die Kernelemente von Kultur. Da Begriffe in der Regel nicht einzeln sondern in Aussagen verwendet werden, sind sie nach Obrecht Komponenten von Aussagen. Unter begrifflichen (kulturellen) Codes wird allgemein ein Aussagensystem verstanden. Ein Code ist ein Produkt der Menschheit, einer Kultur, einer sozialen Schicht oder eines Individuums. Bilder sind Vorstellungen über Zustände. Ein Bild ist all das, wovon wir glauben, es sei der Fall. Bilder sind kulturabhängig und sind kein Abbild der Definitionen 14 Wirklichkeit. Demnach ist ein Bild die Menge von Faktizitätsaussagen, die ein Individuum zu einem bestimmten Zeitpunkt über ein konkretes Ding für wahr hält. Werte sind jene Klassen von Zuständen, auf deren Erreichung oder Erhaltung eine bestimmte Art von Organismen hin tendieren. Ein Wert ist ein SollZustand und beantwortet die „Was-ist-gut-Frage“ (vgl. Obrecht, 2003). Arrationale Werte sind Biowerte und bewusste Werte sind Werturteile. Werturteile sind von Kultur zu Kultur verschieden. 2.5. Definition Subkultur Nachdem der Kulturbegriff erläutert ist, wenden wir uns dem Begriff der Subkultur zu. Gemäss Ferchhoff (1990) nimmt im Rahmen der sozialwissenschaftlichen und pädagogischen Theoriediskussion über Jugend die These von einer (eigenständigen) „Jugend- bzw. Subkultur der Heranwachsenden“ seit der Jahrhundertwende einen wichtigen und gleichsam auch zu kontroversen Interpretationen und Auseinandersetzungen führenden Stellenwert ein. Der Begriff und die Idee der (jugendlichen) Subkultur entstammen vornehmlich der angloamerikanischen Soziologie und Kulturanthropologie und wurden in den 20er, 30er und 40er Jahren in die entsprechende wissenschaftliche Diskussion und Literatur eingeführt. 2.5.1. Jugendkulturen und (Jugend)Subkulturen In den Anfängen der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Spannungsfeld von Jugend und Kultur, wurde im Regelfall von „Jugendkultur“ geschrieben. Damals herrschte noch die Vorstellung einer einheitlichen Jugend vor. Wichtige Differenzierungen wie klassen- und schichten- sowie milieu- und geschlechtsspezifische Unterschiede wurden weitgehend ignoriert. In den 70er und 80er Jahren trat jedoch eine Vielfalt von Jugendkulturen auf den Plan und ihre Verschiedenheit erlaubte nicht länger, sie unter dem vereinheitlichenden Label der Jugendkulturen zusammenzufassen. Subkultur beschreibt mehr als Jugendkultur einfach nur ein Subsystem einer gesellschaftlichen Gesamtkultur. Der Begriff Subkultur bringt auch die vom Mainstream abgewandten, alternativen, auf bestimmte Milieus eingegrenzten, gegenkulturellen Momente von Stilbildungen zur Sprache. Der Begriff thematisiert Abseitiges, gleichsam eine Perspektive von unten („sub“latein= unter), etwas Aufbegehrendes und Subversives9. Nach Rohmann (1999) wird Subkultur wie folgt definiert: „Subkulturen bestehen aus kulturellen Gruppen unterschiedlicher Anzahl und Grösse und werden durch einen Normen-, Verhaltens- oder Regelkatalog als System generiert. In einer Subkultur bildet sich ein für diese Subkultur spezifscher, wenn auch in diese Subkultur nicht einzig verwendeter Diskurs 9 Subversion ist eine meist im Verborgenen betriebene, auf Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung zielende Tätigkeit. Subversiv heisst Subversion betreibend, umstürzlerisch (vgl. Fremdwörterduden, 1997). Definitionen 15 heraus. Eine Subkultur besteht in Abgrenzung zu anderen Subkulturen und zur übergeordneten Einzelkultur.“ Unter www.wikipedia.org ist folgende Definition zu finden: „Der Begriff der Subkultur (Unterkultur) ist ein ursprünglich in der Soziologie verwendeter Terminus, mit dem eine bestimmte Untergruppe (Teilmenge) der sozialen Akteure einer Kultur beschrieben wird, die sich insbesondere im Hinblick auf gültige Normen deutlich von der „herrschenden“ Kultur abgrenzen“. 2.5.1.1. Jugendsubkulturen und Inszenierung Jugendsubkulturen können als Bedeutungszusammenhang, der über Lebensstile10, Stilisierungen und Inszenierungen von Jugendlichen aktiv hergestellt wird, beschrieben werden. Im Vordergrund stehen Themen von Form und Gestalt der eigenen Lebensführung. Die Inszenierungen gewinnen ihre Attraktivität vor allem dadurch, dass sie mit Lebensgenuss verbunden sind und dadurch Spass machen. Der gewählte Weg über den Spass ist dabei nach Raithel (2004) nicht zufällig, sondern eröffnet Zugänge zu einer bestimmter Weise körperlichen Erlebens. In zahlreichen Jugendsubkulturen herrscht dabei die Orientierung an Action oder körperlichem Styling vor. Unabdingbar ist dabei immer das Zusammensein mit Gleichgesinnten, denn jugendsubkulturelles Erleben wird durch den Gleichklang der Gruppe erst richtig schön. 2.5.1.2. Jugendsubkultur und abweichendes Verhalten Da in unserer Arbeit das Augenmerk auf zwei gewaltaffinen Jugendsubkulturen liegt, wird an dieser Stelle der Aspekt von abweichendem Verhalten und Subkulturen kurz beleuchtet. Die Basisannahme des subkulturellen Ansatzes von Ferchhoff (1990) betrachtet abweichendes Verhalten als Konformität zu bestimmten Verhaltensstandards eines Subsystems der Gesellschaft, die von der Gesamtgesellschaft nicht anerkannt werden. So gesehen wird die dominante Kultur, welche die so genannte „Normalität“ darstellt, von der Subkultur, die eine Abweichung von der „Normalität“ darstellt, in Frage gestellt. Abweichendes Verhalten von subkulturellen Gruppen ist somit eine beinahe unwillkürliche Begleiterscheinung, wenn sich Subkulturen bilden. Durch die Individualisierung, die Pluralisierung der sozialen Lebenswelten und des sozialstrukturellen Wandels gerät auch die kulturelle Balance in Unordnung. Wenn die „dominante“ Kultur diese Wandlungen nicht mehr verarbeiten kann, gibt es laut Ferchhoff eine Vielzahl von Gegenkulturen, in denen gewissermassen experimentell, oftmals in den Extremen von Aggression und Gewalt, alternative Ordnungen durchprobiert werden. Unabhängig davon, welche gesellschaftliche Funktion man den verschiedenen Jugendsubkulturen insgesamt zuweist, geht die soziawissenschaftliche und pädagogische Debatte davon aus, das Entstehen von Jugendsubkulturen aus den Veränderungen des gesamtgesellschaftlichen Gefüges erklären zu können. Jugendsubkultur ist kein zeitübergreifendes Phänomen, also kein Wert an sich, sondern stets ein zeittypisch definierter Begriff mit einem sich ändernden Inhalt (vgl. Ferchhoff, 1990). 10 Unter Lebensstil wird ein regelmässig wiederkehrender Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen, Interaktionen, Meinungen, Wissensbeständen und bewertenden Einstellungen eines Menschen verstanden (vgl. Raithel, 2004). Definitionen 16 Die Systemische Denkfigur 17 3. Die Systemische Denkfigur (SDF) Die Systemische Denkfigur (im Folgenden mit SDF abgekürzt) wird als Mittel zur Beschreibung von Individuen eingeführt. An dieser Stelle der Arbeit wird die SDF als Instrument einer Situationsanalyse verwendet, anhand dessen eine Beschreibung der Subkulturen der Hooligans, bzw. der militanten Linksautonomen gemacht wird. Die theoretischen Beschreibungen der Denkfigur beziehen sich auf das von Geiser verfasste Buch „Problem- und Ressourcenananlyse in der Sozialen Arbeit“ (vgl. Geiser, 2000, 2004). Auf dem Hintergrund des Systemischen Paradigmas Sozialer Arbeit (SPSA) wurde ein Instrument zur Situationsbeschreibung entwickelt. Dieses Instrument wird als systemische Denkfigur (SDF) bezeichnet. Die SDF ist ein kognitives Instrument zur Bewältigung professioneller Aufgaben von Sozialarbeitenden. Sie ermöglicht systemische und systematische Erfassung, Strukturierung, Beschreibung und Bewertung von Informationen aus dem Gegenstandsbereich Sozialer Arbeit. Aufgrund der Beschreibung von Individuen und ihrer sozialen Situation mittels SDF kann eine Bewertung im Sinne einer Problembestimmung vorgenommen werden. Die Problembestimmung bildet ihrerseits die Grundlage zur Erfassung der für die Problembearbeitung vorhandenen Ressourcen des analysierten Objekts (vgl. Geiser, 2004, S. 4). Nach Geiser ist mit Hilfe der SDF folgendes möglich: „Die Situation von Individuen als Komponenten sozialer Systeme erfassen und beschreiben: Das Ergebnis ist ein Bild über ihre Ausstattung (….); dieses Bild kann bewertet werden, das Ergebnis der Bewertung besteht in der Problembestimmung und wenn möglich auch in der Bestimmung von Ressourcen der Adressaten, die zu Bearbeitung dieser Probleme genutzt werden.“ „Beziehungen bzw. soziale Systeme erfassen und beschreiben“. Die sozialen Systeme werden vorerst ihren „idealen“ formalen Positionsstrukturen11 nach unterschieden, nämlich als horizontal und strukturierte (Austauschbeziehungen) einerseits und als vertikal strukturierte (Machtbeziehungen) andererseits. Das Ergebnis ist ein Bild über die Interaktionsstruktur12. Dieses kann im Verlauf der weiteren Analyse, im Sinne von Austauschproblemen und/oder Machtproblemen, bewertet werden. Die normative Begründung für Ausstattungs-, Austausch- und Machtprobleme erfolgt auf Grund der jeweils verletzten gesellschaftlichen Werte bzw. dauerhaft nicht befriedigter Bedürfnisse.“ 3.1. Situationsanalyse 11 Die Positionsstruktur ist das verfestigte Ergebnis der Interaktionsstruktur: sie bildet sich ab in Form von Rollen mit Rechten und Pflichten, die sie in Form von Interaktionen mit anderen Komponenten ausdrücken (Prozesse) (vgl. Geiser, 2004). 12 Das Gesamt an sozialen Interaktionen (Gefühle, moralische Verpflichtungen, Ansprüche in Form sozialer Normen) zwischen Individuen wird als Interaktionsstruktur bezeichnet (vgl. Geiser, 2004). Die Systemische Denkfigur 18 In diesem Teil der Situationsanalyse folgt nun die systematische Bearbeitung der individuellen Ausstattung eines Individuums. Sie soll gewährleisten, dass alle Aspekte der Thematik bearbeitet werden und die vorhandenen Informationen nicht verschiedenen „Verzerrungsquellen“ unterliegen. Für die Darstellung der oben erwähnten Eigenschaften wählte Geiser (basierend auf Staub-Bernasconi) die nachstehende Abbildung. Die Eckpunkte bilden dabei folgende Bereiche: Rezeptoren (R), Erkennen/Erleben und Modell (E/M), Aktivitäten (A), Umwelt intern (Ui), Umwelt extern (Ue). Mittels dieses Modells werden die Ausstattungsmerkmale der Hooligans und der militanten Linksautonomen erarbeitet. E/M R A Ui Ue Abbildung 1, Systemische Denkfigur Ui (Umwelt intern) Damit ist der menschliche Organismus gemeint, d.h. die biologische Ausstattung eines Individuums (vgl. Geiser, 2004, S. 23). Ue (Umwelt extern) Damit wird die soziale Ausstattung des Individuums bezeichnet, nämlich a) sozioökonomische Güter verschiedenster Art (Bildung, Beruf, Einkommen, Besitz, Arbeitsplatz, Wohnung usw.), b) Teilhabe an den soziökologischen Bedingungen seiner Umwelt (Luft, Wasser, Infrastruktur), c) soziokulturelle Zuschreibungen (z.B. ethnische und konfessionelle Zugehörigkeit) und d) Mitgliedschaften (vgl. Geiser, 2004, S. 23). R (Rezeptoren) Damit sind die Komponenten des peripheren Nervensystems gemeint, die der Informationsaufnahme dienen (Aufnahme von Reizen von ausserhalb des Organismus durch die Sinnesorgane, aber auch aus dem Inneren des Organismus selbst). E/M (Erkennen/Erleben bzw. Modell) Dieses Aussattungsmerkmal beinhaltet die biopsychische Grundfunktion und höhere Funktionen des Zentralnervensystems im Sinne der Informationsverarbeitung, also biopsychische Prozesse und Zustände, die mit den Begriffen Lernen bzw. Wissen zusammengefasst werden können (vgl. Geiser, 2004, S. 23). Dabei wird unterschieden zwischen psychischen Prozessen (E), damit sind Emo- Die Systemische Denkfigur 19 tionen oder das Lernen gemeint und psychischen Zuständen (M), diese beziehen sich auf das vorhandene Wissen einer Person. A (Aktivität) Mit Aktivitäten beschreiben wir das äussere Verhalten des Organismus und insbesondere das Handeln des Individuums als psychomotorischer Ausdruck (vgl. Geiser, 2004, S. 23-24). Das Handeln ist als Teilmenge des Verhaltens gemeint, welches eine sichtbare Veränderung / Bewegung eines Organismus bezeichnet. Handeln meint „den motivierten, gezielten, sichtbaren Ausdruck eine mehr oder weniger bewussten und gesteuerten Versuches, ein Problem oder eine Spannung zu lösen“. Durch diese anhand der Denkfigur erhobenen Eigenschaften erhalten wir ein Bild über die Ausstattungsmerkmale von Hooligans und militanten Linksautonomen. Es können Eigenschaften, die zu individuellen und/oder sozialen Vor- und Nachteilen führen, besser erkannt- und Ressourcen als Mittel der Veränderung der Situation deutlicher gemacht werden. 3.1.1. Die Subkultur der Hooligans13 Das Wort Hooligan ist in der heutigen Presse zum Schlagwort geworden und wird als Synonym für die Verursacher jeglicher Gewaltvorkommnisse verwendet. Wer aber sind überhaupt die Hooligans und wie hat sich die Fan-Szene in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten verändert? Fans können in drei verschiedene Kategorien eingeteilt werden: A-Fan: Zu den A-Fans gehören die friedlichen Fans. Sie gelten nicht als gewaltbereit und gehen ins Stadion um ein Fussball- (oder Eishockey-) Spiel zu schauen. Ca. 90% der Stadionbesucher gehören zu dieser Fankategorie. B-Fans: Zu den B-Fans gehören die „modernen Hooligans oder die „richtigen Fans“. Sie sind in den Farben ihres Clubs gekleidet und sind im Stadion in grösseren Gruppen anzutreffen. Während dem Spiel fallen sie durch ihre lauten Fangesänge auf. Sie gelten als unberechenbar, denn je nach Situation oder Vorkommnis auf dem Spielfeld geraten sie ausser sich und werden gewalttätig. Zu den B-Fans gehören fast ausschliesslich männliche Jugendliche auf der Suche nach „Action“ und „Fun“. In der Schweiz stehen pro Mannschaft ca. 300 – 600 B-Fans in der Fankurve, in wichtigen Spielen manchmal auch mehr. C-Fans: Zu dieser Fangruppe gehören die klassischen Hooligans. Sie wollen sich klar von den anderen Fans abgrenzen, in dem sie körperliche Auseinandersetzungen mit den Hooligans der gegnerischen Mannschaft planen. „Wir kämpfen nur gegen Gleichgesinnte und das nach bestimmten Regeln“. Die Hooligans halten sich an eine Art Ehrencodex, der beispielsweise den Einsatz von Waffen oder die Gewalt gegen Unbeteiligte verbietet. In der Schweiz gehören zu den grösseren Clubs ca. 20 – 40 Hooligans. Tabelle 2, Übersicht der Fangruppierungen 13 Vgl. zu diesem Kapitel das Interview mit der Kantonspolizei im Anhang auf Seite III und IV. Die Systemische Denkfigur 20 Kategorie Kurzbeschrieb A-Fans Friedliche Fussballfans, Fussball steht im Zentrum B-Fans C-Fans Aktive Fans, emotional und vereinsorientiert, bestehen aus verschiedenen Untergruppierungen, grosse Masse Hooligans, Fans welche Gewalttätigkeiten gegen andere Hooligans planen, 30-40 Personen Verhalten Besuchen das Spiel und gehen danach wieder nach Hause Vor-, währendund nach dem Spiel aktiv, Sprechchöre. Stehen in der Fankurve Besuchen das Spiel nicht immer, warten auf die „3. Halbzeit“ Gewalt Nicht gewaltbereit, gehen der Gewalt aus dem Weg Situativ gewaltbereit, Sachbeschädigungen und Pöbeleien, oft auch gegen Schwächere Gewaltbereit, Gewaltausübung steht im Mittelpunkt In dieser Arbeit werden die B-Fans im Zentrum stehen, weil die Gewaltbereitschaft ihrer jugendlichen Mitglieder in der Schweiz in den letzten Jahren zugenommen hat. Wenn in dieser Arbeit das Wort Hooligans benutzt wird, sind nicht die klassischen Hooligans (C-Fans) gemeint, sondern die „modernen Hooligans“ (B-Fans), welche auch gewalttätig sind, aber in einer anderen Form. Die B-Fans suchen über eine grosse Gruppe Gleichgesinnter den Kick durch Grenzerfahrungen und die Gelegenheit ihr „männliches Gehabe“ durch Pöbeleien und Gewalt gegen Schwächere auszuleben. In der Gruppe fühlen sie sich stark und begehen Straftaten (Gewalt oder Sachbeschädigungen), die sie alleine nicht begehen würden. Sie sind für die Polizei sehr schwer greifbar, weil sie im Stadion den Schutz der Masse suchen und sich nach dem Spiel in kleineren Gruppen vom Stadion wegbewegen. Oft kommt es nach Fussballspielen zu Sachbeschädigungen in grossem Ausmass. Nicht selten werden Cars der gegnerischen Mannschaft zerstört, Autoscheiben eingeschlagen oder Gebäude beschädigt. Als Gegner bezeichnen die B-Fans einerseits gegnerische Fans, andererseits aber auch die Leute von der Polizei, welche sie immer wieder angreifen oder mit Steinen bewerfen. Wegen dem tiefen Niveau ihrer Sprechchöre („alle Basler sind schwul“ oder „GC, GC, die Scheisse vom See“) und ihrer Gespräche (gut zu beobachten im Tram vor einem Spiel), kann man schlussfolgern, dass sie ein eher tieferes kognitives Niveau haben oder zumindest im Bezug auf die Fussballspiele nicht viel überlegen. Sie konsumieren vor und an den Fussballspielen sehr viel Alkohol (Bier), was ihre Stimmung beträchtlich beeinflusst. Die Systemische Denkfigur 21 3.1.1.1. Beschreibung der Hooligans (B-Fans) anhand der SDF Die folgend Analyse bezieht sich auf fiktive Individuen, die eine idealtypische Identität der Hooligans verkörpern und an Fussballspielen Gewalt ausüben. Da die SDF kein Mittel zur Beschreibung von Personengruppen ist, ist sie in dieser Arbeit als ein Prototyp14 einer ganzen Gruppierung zu verstehen. Es erfolgt also keine Personenbeschreibung, sondern es wird vom Einzelfall abstrahiert und auf einer höheren Abstraktionsebene empirisch vorfindbare Regelmässigkeiten und Sinneszusammenhänge beschrieben. Umwelt intern Hooligans sind äusserlich unauffällig (ausser der Fanbekleidung an den Fussballspielen). Sie sind fast ausschliesslich männlich und zwischen 13- und 25 Jahre alt. Körperlich sind sie gesund. Umwelt extern Die sozioökonomische Ausstattung der Hooligans ist eher gering. Die meisten haben eine schlechte Bildung (Real- oder Oberschule), machen eine Berufslehre oder sind arbeitslos. Viele wohnen noch zu Hause, wobei sie aus verschiedenen sozialen Schichten stammen. Ursprünglich gehörten die Hooligans klar der Unterschicht an, heute ist die Schichtzugehörigkeit durchmischt. Unter den Hooligans sind auch Ausländer verschiedener Herkunft vertreten, wobei Schweizer in der Überzahl sind. Die Hooligans wohnen im Kanton Zürich, wobei die meisten aus städtischem Gebiet kommen. Konfessionelle und ethische Zugehörigkeit hat in der Subkultur der Hooligans keine relevante Bedeutung. Einige von ihnen sind der Polizei wegen verschiedenen kleinen und mittelgrossen Delikten bekannt. Eine Eintragung ins Vorstrafenregister könnte eine Berufsausbildung gefährden. Rezeptoren Alkohol ist bei den Hooligans ein grosses Thema. Im alkoholisierten Zustand haben sie eine verzerrte Wahrnehmung der Realität. Erkennen,Erleben / Modell Hooligans fühlen sich in der Gruppe am wohlsten, denn der Schutz der Gruppe verleiht ihnen Sicherheit. Sie fühlen sich stark und „heizen“ sich gegenseitig an. Hooligans haben keine einheitlich konfessionelle oder politische Einstellung, wobei die meisten eher zum rechten Lager tendieren. Bei Fussballspielen steht jedoch allein der Sport im Vordergrund. Durch die Ausübung von Gewalt (sei dies gegenüber anderen Individuen oder Dingen) gehen sie an die Grenzen um den „Kick“ zu spüren. Sie sind auf der Suche nach „Fun“ und „Action“, wobei sie immer wieder mit der Polizei in Berührung kommen. Folgende Zitate von Hooligans sind im Internet15 zu finden: „Hei Ihr verblödeten Baselfans was geht bei euch, ausser scheisse sein und verdammt schwul auszusehen?? O mein Gott seid Ihr beschissen... geben wir doch alle zusammen einmal einen grossen Schiss auf euer drecks Stadion und eure drecks Fressen“. 14 15 Urbild, Muster, Inbegriff (vgl. Fremdwörterduden, 1997). Vgl. www.fcbforum.ch. Die Systemische Denkfigur 22 „Uff unsere Site muesi sage, absolut geili Stimmig! Wobi me säge muess, dass es immer no gnueg git, wo eifach ihri Schnurre nid uffbeköme! E Schand isch das - und usgrächnet gege e Zürcher Mannschaft, wo me eigentlig gnueg "heiss" söt si !!! Mi ka nur immer wieder hoffe, dass alli endlig mol Stimmig mache und ihri Schnurre zum singe und schreie uffbeköme...!!!“ Interview mit einem Hooligan: „Bloss, das ist es auch, was irgendwo den Reiz ausmacht: Diese Angst zu überwinden. Sicher zittern einem vorher die Knie. Man ist aufgeregt und geht in einer Viertelstunde drei Mal pinkeln. Da kannst du gar nichts dagegen machen. (…) Man weiss ja nie was kommt. Bis zu dem Augenblick, wo es abgeht, bist du unheimlich aufgeregt. Wenn es abgeht, dann bist du ruhig, dann weißt du ja, was dich erwartet. (…) Aber wenn du vollkommen ungewiss durch eine andere Stadt läufst, hast du schon mal die Hosen voll“ (vgl. Farin, 1993, S. 180). Aktivitäten Hooligans kleiden sich in den Farben ihres Vereins. Sie versammeln sich vor den Spielen vor dem Stadion oder treffen sich in der jeweiligen Fankurve. Während des Spiels fallen sie durch laute Fangesänge oder Sprechchöre auf. Nach dem Spiel verlassen sie das Stadion in kleineren Gruppen. Oft treffen sie dabei auf gegnerische Fangruppen, provozieren diese oder pöbeln sie an. Manchmal kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Die Fangruppen ziehen durch die Stadt und begehen immer wieder Sachbeschädigungen. Autoscheiben werden eingeschlagen, ganze Cars zerstört, wodurch beträchtliche Schäden entstehen. Immer wieder liefern sich die B-Fans Schlachten mit der Polizei. 3.1.2. Die Subkultur der militanten Linksautonomen Bevor nun die Beschreibung der linksautonomen Szene16 anhand der SDF erfolgt, bedarf es einem kurzen Überblick über die Linksextreme Szene in der Schweiz sowie einige Begriffserklärungen und Zusammenhänge, welche für den weiteren Verlauf der Arbeit relevant sind. Linksextremismus Linksextreme Gruppierungen werden auch als Linksautonome oder ausserparlamentarische Linke bezeichnet. Sie sind nicht in der Regierung vertreten, sondern positionieren sich mit ihrer politischen Einstellung noch weiter aussen links als die linken Parteien wie beispielsweise die SP oder die PdA (kommunistische Partei der Arbeit). Unter die Sammelbezeichnung des Linksextremismus fallen Anarchisten17, welche die zentralen Organisationsformen generell ablehnen und autonome Gruppierungen18, welche sich nicht an Autoritäten ausrichten. Linksextremisten sind erklärte Gegner der von ihnen als kapitalistisch, imperialistisch19 und rassistisch diffamierten20 rechtlichen und gesellschaftlichen Ordnung 16 Szene wird hier synonym mit dem Begriff Subkultur verwendet. Anarchismus ist die Lehre, die eine Gesellschaftsformation ohne Staatsgewalt und gesetzlichen Zwang propagiert. (vgl. Fremdwörterduden, 1997) 18 Zum Beispiel Revolutionärer Aufbau Schweiz, Revolutionärer Aufbau Zürich, Antifa, Revolutionäres Aktionsbündnis Zürich, Antiglobalisierungsbewegung (Bündnisse). 19 Bestrebung einer Grossmacht, ihren politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflussbereich ständig auszudehnen (vgl. Fremdwörterduden, 1997). 20 Jemanden in seinem Ansehen, etwas in seinem Wert herabsetzen, verunglimpfen (vgl. Fremdwörterduden, 1997). 17 Die Systemische Denkfigur 23 und streben die revolutionäre, d.h. grundlegende Umwälzung dieser Ordnung an. Alle Linksextremen bekennen sich dabei grundsätzlich zur revolutionären Gewalt. Ihre Aktivitäten zielen je nach ideologischer Ausrichtung- revolutionärmarxistisch- oder anarchistisch orientiert- auf die Errichtung eines sozialistisch/kommunistischen Systems bzw. einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft. In der Schweiz umfasst die gewaltbereite linksextreme Bewegung bis zu 1500 Personen, wobei Personen aller Alterklassen vertreten sind. Viele vordergründig Aktive sind jedoch zwischen 16 und 20 Jahre alt (vgl. Extremismusbericht, 2004). Typische Parolen der Linksextremen sind beispielsweise „1. Mai – Strasse frei!“, „Kapital zerschlagen, den Kampf auf die Strasse tragen!“ oder „Gerechtigkeit ist keine Utopie!“ Revolutionärer Aufbau Schweiz und Revolutionärer Aufbau Zürich Der marxistisch- leninistisch orientierte Revolutionäre Aufbau Schweiz (RAS) gibt es seit 1992. Er ist mit grossem Abstand die wichtigste und zugleich gewalttätigste linksextremistische Organisation der Schweiz. Der RAS ist mit seinen Strukturen gut organisiert und weist das grösste Potential gewaltbereiter Personen auf. Auch ideologisch nimmt der RAS eine extreme Haltung ein; beispielsweise wird ein Dialog mit Regierungen und Behörden strikte abgelehnt und Einsatz von Gewalt als Durchsetzungsmittel zur Erreichung der eigenen Werte und Normen wird als legitim betrachtet. Der revolutionäre Aufbau kämpft für eine revolutionäre Veränderung des gegenwärtigen politischen und ökonomischen Systems. Auf der offiziellen Homepage des RAS heisst es: „Wir kämpfen gegen den Kapitalismus21 im Allgemeinen, gegen Entlassungen, Lohndrückerei im Betrieb und gegen die Diskriminierung der Frauen. Ebenso kämpfen wir gegen die staatliche Repression, gegen die Zerstörung der ökologischen Grundlagen, gegen die Faschos22 und gegen die imperialistischen Kriege (…). Wir leisten nicht nur Widerstand gegen die herrschenden Zustände, sondern orientieren unseren Kampf gleichzeitig an einer gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus.“23 Bei der RAS spielen die Alt- Militanten, wie beispielsweise Andrea Stauffacher, in den Führungsstrukturen nach wie vor eine wichtige Rolle. Sie organisieren und stellen den ideologischen Hintergrund bereit. Das junge Fussvolk wird dadurch nach wie vor von der alten Garde gesteuert. Der RAS wird eindeutig vom RAZ (Revolutionärer Aufbau Zürich) dominiert, hat aber auch Ableger in Bern (RABe) und Basel (RABa). Aus den Grossräumen Zürich, Bern und Basel stammen mehrheitlich auch die Mitglieder. Besonders präsent ist der RAZ jeweils an den 1. Mai- Nachdemonstrationen in Zürich, aber auch an anderen von Gewalt überschatteten Anlässen, an denen der von ihm instruierte Schwarze Block auftritt. 21 Wirtschaftssystem, das auf dem freien Unternehmertum basiert und dessen Kraft das Gewinnstreben einzelner ist, während die Arbeiter keinen Besitzanteil an den Produktionsmittel haben (vgl. Fremdwörterduden, 1997). 22 Abkürzung für Faschisten (Rechtsextreme) 23 Vgl. www.aufbau.org Die Systemische Denkfigur 24 Schwarzer Block Das Instrument oder die „Waffe“ auf der Strasse des RevolutionäRevolutionä ren Aufbaus ist der Schwarze Block. Der Schwarze Block selbst ist keine eigenständige OrganisaOrganisa tion, sondern eine heterogene, het anlass- und kundgebungsbezokundgebungs gene Aktionsplattform. Er ist eine unstrukturierte, unberechenbare Ansammlung verschiedener, zuzu meist autonom autonom-anarchistischer Gruppierungen24 vor Ort und weist eine sehr hohe Gewaltbereitschaft auf. Individuen,, die dem Schwarzen Block angehören, sind schwarz gekleidet, vermummt und haben durch ihr militärisches Auftreten eine beabsichtigte starke psychologipsychologi sche Wirkung auf die Öffentlichkeit und eine grosse Medientauglichkeit. Medient Der Schwarze Block wird von einer kleinen Gruppe von Exponenten des RAS / RAZ gesteuert. Grundsätzlich erfolgt die Steuerung ebenso wie die Wahl der anvianvi sierten Ziele durch überzeugte politische Aktivisten. Aber auch apolitische ChaCha oten spielen der Steuerungsgruppe des RAZ in die Hände. Der Schwarze Block zählt rund 850 Aktivisten, ihr Durchschnittsalter liegt bei 16 bis 20 Jahren und zwei Drittel davon sind Männer. Sie stammen aus allen sozialen Schichten und aus der ganzen Schweiz, mit Schwergewicht aber aus den Grossräumen Zürich und Bern. Legt man dem Schwarzen Block ein Vierkreisemodell zu Grunde, so setzt sich der innerste Kern, die Steuerung, aus rund fünfzig Exponenten der linksextremen Bewegung zusammen, während dem zweiten zweiten Kreis (C) mindestens hundert AktiAkti visten zuzuordnen sind, die verschiedenen Gruppierungen vorab autonomautonom anarchistischer Ausrichtung angehören. Ein dritter Kreis (B) B) umfasst mehr als 700 militante Aktivisten mit mutmasslicher nur noch teilweiser politischer politis Motivation und zum vierten Kreis (A) werden mehrere hundert PersonenPersonen primär spontane, ereignisorientierte, gewaltbereite und mehrheitlich apolitische MitläuferMitläufer gezählt. Diese werden auch „Event-Chaoten“ „Event genannt. Der Schwarze Block richtet sich gegen gegen Staat und Gesellschaft und kämpft gegen die „Unterdrückung“ kung“ durch den Staatsapparat. Dementsprechend geht er insbeinsbe sondere gegen die Polizei und andere Behörden vor und Akteure nehmen dabei Straftaten bewusst in Kauf. Kauf. Die Motivation der Akteure ist unterschiedlich. unter Je nach dem geht es ihnen um die Machtfrage, um das Gemeinwohl, um die DurchDurch setzung eigener Interessen bis hin zum Ausleben rein privater Motive, wie zum Beispiel Plünderungen. Da der Schwarze Block eine heterogene Gruppe von Individuen ist und wie im Vierkreismodell dargestellt aus unterschiedlichen Gruppen mit verschiedenen Funktionen besteht, müssen wir uns aus Platzgründen und inhaltstechnischen Überlegungen auf eine Zielgruppe innerhalb der Subkultur fixieren. 24 Zum Beispiel Revolutionärer Aufbau, Globalisierungsgegner, Globalisierungsgegner, politisch engagierte Jungsozialisten, Solidaritätskommitees für Drittwelt-Bewegungen, Drittwelt Bewegungen, radikalfeministische Organisationen, anarchistische Häuserbesetzer, Autogegner, 80er Nostalgiker, Secondos (vgl. www.ethlife.ethz.ch). Die Systemische Denkfigur 25 Abbildung 2, Vierkreismodell Schwarzer Block Da im weiteren Teil der Arbeit eine Beschreibung anhand eines Prototyps der SDF erfolgt und ein Vergleich zu den Hooligans der Fangruppe B hergestellt wird, müssen beide Subkulturen bis zu einem gewissen Grad im Alter, in der Anzahl / Menge, in der Bereitschaft zur Gewaltausübung und den strafrechtlichen Straftatbeständen übereinstimmen. Vom Vierkreismodell des Schwarzen Blocks (vgl. Abb. 2) ausgehend, treffen diese Eigenschaften auf die Gruppe (B), militante Aktivisten und Gruppe (A), Eventchaoten oder Mitläufer zu. In der Arbeit wird der Vergleich zwischen den B-Fans der Hooligans und den militanten Aktivisten (Gruppe B) der Linksautonomen gemacht. Erster Mai (Tag der Arbeit) Da die in der Arbeit beschriebenen jugendlichen Akteuren vor allem im Zusammenhang mit dem 1. Mai Gewalt ausüben, wird im Folgenden ein kurzer Überblick zum 1. Mai in Zürich gegeben. Der Erste Mai ist ein gesetzlicher Feiertag in Deutschland, Österreich, der Schweiz und vielen weiteren Staaten. Er wird auch als Kampftag der Arbeiterbewegung, Tag der Arbeit oder Maifeiertag bezeichnet. Der 1. Mai in Zürich bildet schon seit mehreren Jahren Anlass für Nachdemonstrationen, in deren Folge es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen meist jugendlichen Akteuren und der Polizei kommt. Gemäss Anderegg (1999, in Fatke & Fontanellaz, 2003) ist der Ausgangspunkt für die Nachdemonstrationen das Jahr 1951. Entscheidende Impulse gingen zu Beginn von spanischen Gastarbeitern, ab 1968 von Studenten und der Neuen Linken25 und in den 25 Sammelbegriff für verschiedene Einzelpersonen, Gruppen, politische Bewegungen und Parteien, die seit Ende der 1960er Jahre teilweise unterschiedliche Die Systemische Denkfigur 26 1980er Jahren von der Jugendbewegung aus. Ab 1990 kam es zu einer Radikalisierung der Protestmittel und die Auseinandersetzungen mit der Polizei mehrten sich. Im Zentrum standen immer Kritik an sozialen Verhältnissen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Der 1. Mai kann auch als Gelegenheitsstruktur bezeichnet werden, die es den unterschiedlichen Akteuren erlaubt, ihre Interessen und Anliegen zu artikulieren (vgl. Fatke & Fontanellaz, 2003). 3.1.2.1. Beschreibung der Linkautonomen anhand der SDF Die folgend Analyse bezieht sich auf fiktive Individuen, die eine idealtypische linksautonome Identität verkörpern und an Nachdemonstrationen am 1. Mai in Zürich unter dem Deckmantel des Schwarzen Blocks (Gruppe B, militante Aktivisten) Gewalt ausüben. Da die SDF kein Mittel zur Beschreibung von Personengruppen ist, ist sie in dieser Arbeit als ein Prototyp einer ganzen Gruppierung zu verstehen. Es erfolgt also keine Personenbeschreibung, sondern es wird vom Einzelfall abstrahiert und auf einer höheren Abstraktionsebene empirisch vorfindbare Regelmässigkeiten und Sinneszusammenhänge beschrieben. Umwelt intern Militante Linksautonome im Schwarzen Block weisen eine auffällige äussere Erscheinung auf, die zwar keine körperlichen Eigenschaften sind, die sie aber bewusst verändern wollen, da sie dadurch eine hohe soziale und mediale Aufmerksamkeit erlangen. An Demonstrationen sind die Akteure schwarz gekleidet und meist vermummt. Das männliche Geschlecht ist mit über 2/3 Mehrheit deutlich übervertreten und das Alter liegt zwischen 15 bis 25 Jahren. Militante Linksautonome verfügen über einen gesunden Körper, den sie als Mittel zur Gewalt gegen Polizisten, Rechtsextreme und bei Sachbeschädigungen gezielt einsetzen. Umwelt extern Die sozioökonomische Ausstattung von militanten linksautonomen Aktivisten ist durchschnittlich bis gut. Besser als auch weniger gut gebildete Personen sind an den Nachdemonstrationen beteiligt, Real- und Sekundarschüler sind jedoch übervertreten. Die meisten haben einen Ausbildungsplatz oder gehen einer beruflichen Tätigkeit nach. Daher verfügen sie über eigenen Wohnraum in Form einer Mietwohnung oder leben wegen ihres jungen Alters noch bei den Eltern. Sie wohnen im Kanton Zürich (Stadt im Verhältnis zum Land leicht übervertreten) und kommen aus dem mittleren / oberen Mittelstand. Viele gehören der schweizerischen Nationalität an, wobei es an Nachdemonstrationen auch Ausländer aus unterschiedlichen Ländern gibt (vgl. Fatke & Fontanellaz, 2003). Ursprüngliche konfessionelle und ethische Zugehörigkeiten verlieren in der Gruppe ihre Bedeutung. Militante Linksautonome verfügen über ein durchschnittliches eigenes Besitztum und können hinsichtlich des Erbwerbstatus als gesellschaftlich integriert bezeichnet werden. Durch ihre militanten Aktivitäten (Sachbeschädigungen, Vandalismus, Gewalt gegen Polizisten und Rechtsextreme) an der 1. Mai Nachdemonstration haben viele von ihnen ein Vorstrafenregister und waren im Konflikt mit den Gesetzeshütern. Untersuchungshaften oder Strafen können eine Gefährdung für die berufliche Integration darstellen. Rezeptoren Im alkoholisierten Zustand haben Linksautonome eine verzerrte Wahrnehmung der Realität. Sozialismusvorstellungen oder auch anarchistische, sowie andere politisch links ausgerichtete Konzepte vertreten (vgl. www.wikipedia.org). Die Systemische Denkfigur 27 Erkennen, Erleben & Modell Militante Linksautonome besitzen an Demonstrationen einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn, legen aber gleichzeitig viel Wert auf Individualität. Jeder hat seine eigene Philosophie und Weltanschauung. Allgemein richtet sich der Schwarze Block gegen den Staat, die Gesellschaft und die „Unterdrückung des Staatsapparats“, gegen den Kapitalismus im Allgemeinen und das politische, ökonomische System, gegen Entlassungen, Lohndrückerei im Betrieb und gegen die Diskriminierung der Frauen, gegen die Rechtsextremen (Faschisten), die Zerstörung der ökologischen Grundlagen und gegen den imperialistischen Krieg. Sie glauben nicht daran, dass das kapitalistische System reformiert oder verbessert werden kann. Sie denken, das System sei der Fehler und muss durch eine freie, gerechte und basisdemokratische Gesellschaftsform ersetzt werden. Diese Gesellschaftsform ist in ihren Augen der Sozialismus26, basierend auf dem Kommunismus. Wobei diese konkreten Ansichten vor allem die der Steuerung (siehe Grafik Aufbau des Schwarzen Blocks) und der Kerngruppe des Schwarzen Blocks entspringen. Die militanten Aktivisten (Gruppe B, Grafik) sympathisieren teils mit dieser Ideologie und bekennen sich zum anarchistischen Gedankengut, nehmen aber nicht ausschliesslich ihrer politischen Meinung willen an Demonstrationen teil. Sie nehmen Anlässe wie beispielsweise der 1. Mai als Gelegenheit, unter dem Deckmantel politischer Anliegen Nervenkitzel und Abenteuer auf der Strasse zu erleben. Ein 1. Mai Demonstrant: „…vielmehr bietet der Strassenkampf einen spannenden Nervenkitzel. Wie an einer guten Party. Allerdings stimmt es schon, dass bei der Nachdemo politisch nicht allzu viel dahinter steckt. Es ist primär ein Kampf gegen Polizisten und Schaufenster.“27 Die militanten Aktivisten handeln zu einem grossen Teil aus Selbstbezogenheit und um Spass und Abwechslung zu erfahren, dennoch verbunden mit einem Engagement, sich in ihren Augen politisch zu Betätigen. Das Interesse an Politik oder zumindest politische Sensibilität, tragen neben der Lust an der Ausübung von Gewalt mit dazu bei, sich an einer Nachdemonstration zu beteiligen. Politische Aktivität schliesst für diese Jugendlichen nicht aus, Spass zu haben. Gemeinsam ist den militanten Linksautonomen die Ablehnung rechtsextremen Gedankenguts und einhergehende Hassgefühle gegen Faschisten und Skinheads28. Im Hinblick auf die Zukunft haben die militanten Linksautonomen eine indifferente bis pessimistische Zukunftsvorstellung. Am meisten Verunsicherung bringen die gewalttätigen Konflikte wie Kriege und am meisten macht ihnen die Arbeitslosigkeit zu schaffen (vgl. Fatke & Fontanellaz, 2003). Aktivitäten Militante Linksautonome des Schwarzen Blocks kleiden sich schwarz und vermummen sich bewusst. Sie versammeln sich zu bewilligten Demonstrationen oder vor allem unbewilligten Nachdemonstrationen und demonstrieren für ihre Ansichten und Ideologien. Dabei gehen sie gewalttätig gegen Polizisten als Ver26 Nach Karl Marx die dem Kommunismus vorausgehende Entwicklungsstufe, die auf gesellschaftlichen oder staatlichen Besitz der Produktionsmittel und eine gerechte Verteilung der Güter an alle Mitglieder der Gemeinschaft hinzielt oder politische Richtung, welche den gesellschaftlichen Besitz der Produktionsmittel und die Kontrolle der Warenproduktion und –Verteilung verficht (vgl. Fremdwörterduden, 1997). 27 Interview unter www.ethlife.ethz.ch. 28 Synonym für Neonazi (vgl. www.wikipedia.org). Die Systemische Denkfigur 28 treter der staatlichen Macht vor oder beschädigen Gebäude wie Banken, Botschaften oder teure Kleider- oder Schmuckgeschäfte. Die Sachbeschädigungen können durch Pflastersteine, Baseballschläger oder Farbbeutel verübt werden. Einige von ihnen gehen an Versammlungen und Veranstaltungen des Revolutionären Aufbaus Zürich, andere schliessen sich den Demonstrationen und Krawallen aus Abenteuer- und Risikolust an und nehmen ohne „gezielte politische Mobilisierung“ teil. Sie verstossen gegen allgemeingültige Gesetze (legale, das heisst von der Stadt bewilligte Demonstrationen, Sachbeschädigung, Körperverletzung usw.) und gehen dadurch Konflikte mit der Polizei ein. Auf Gewalt reagieren sie mit Gegengewalt und sie skandieren an Demonstrationen lautstark ihre Parolen. Während Demonstrationen wird individuell Alkohol getrunken, was eine niedere Hemmschwelle für Gewalt und Vandalenakte zur Folge hat. Im alkoholisierten Zustand richtet sich die Aggression viel schneller gegen Polizisten, welche für die militanten Linksautonomen das Staatsmonopol verkörpern. Schon während Demonstrationen werden Flyers für nachfolgende Partys in Kulturtreffs oder besetzten Liegenschaften verteilt, wo weiter getrunken und gefeiert wird. 3.2. Fazit Anhand eines Vergleichs beider subkulturellen Gruppierungen werden im folgenden Teil Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Hooligans und militanten Linksautonomen herausgearbeitet. Vergleichspunkte sind die Ausstattungsmerkmale (vgl. Kapitel 3, SDF) der Akteure. Durch diesen Vergleich erhoffen wir uns einen ersten Überblick über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Subkulturen im Allgemeinen. Im Folgenden erklärungstheoretischen Teil werden weitere Vergleiche anhand der angewendeten Theorien erfolgen. Umwelt intern Die Akteure beider Subkulturen sind zwischen 13 und 25 Jahre alt und verfügen über einen gesunden Körper. Hooligans sind ausschliesslich männlichen Geschlechts, bei den militanten Linksautonomen hat es einen zu vernachlässigenden Frauenanteil. An der effektiven Ausübung von Gewalt an politischen Anlässen sind jedoch nur männliche Jugendliche beteiligt. Unterschiede zwischen den Subkulturen bestehen in der Bekleidungsform. Hooligans sind äusserlich unauffällig gekleidet oder sie tragen die Fanbekleidung in den Mannschaftsfarben. Dies macht es auch schwierig, sie an Fussballspielen zu identifizieren. Militante Linksautonome hingegen kleiden sich an politischen Anlässen provokativ in schwarz und vermummen sich. Dadurch erlangen sie eine hohe mediale und soziale Aufmerksamkeit. Die Systemische Denkfigur 29 Umwelt extern In der soziökonomischen Ausstattung bestehen deutliche Unterschiede bezüglich des Bildungsniveaus und der sozialen Schichtzugehörigkeit. Hooligans weisen ein geringeres Bildungsniveau (Real- oder Oberschule) auf, militante Linksautonome hingegen verfügen mindestens über einen Realschulabschluss. Einige unter ihnen sind am Gymnasium oder studieren. Hinsichtlich der sozialen Schicht sind in beiden Subkulturen alle Schichten vertreten. Der Tendenz nach stammen Hooligans eher aus Unter- oder Mittelschichtsverhältnissen wogegen militante Linksautonome eher aus der Mittel- bis Oberschicht kommen. Akteure beider Subkulturen leben auf Grund ihres jungen Alters noch bei den Eltern oder verfügen über eine Mietwohnung. Hooligans und militante Linksautonome leben im Kanton Zürich, wobei bei beiden Subkulturen die Stadt als Wohnort leicht übervertreten ist. In beiden Subkulturen verkehren auch Ausländer, wobei bei den Hooligans und den militanten Linksautonomen Jugendliche schweizerischer Nationalität übervertreten sind. Akteure beider Subkulturen haben oftmals ein Vorstrafenregister und haben bereits Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Für Akteure beider Gruppierungen können oben genannte Einträge ins Vorstrafenregister problematisch sein, wenn es um Lehre oder Beruf geht. Rezeptoren In beiden Subkulturen spielt das Konsumieren von Alkohol eine grosse Rolle. Hooligans und militante Linksautonome trinken an sportlichen oder politischen Anlässen übermässig Bier, was eine Verzerrung der Wahrnehmung zur Folge hat. Auf die Art des Konsums wird unter „Aktivität“ näher eingegangen. Erkennen, Erleben / Modell Akteure von Hooligans und militanten Linksautonomen fühlen sich vor allem im Schutz der Gruppe wohl und sind geprägt durch einen grossen Gemeinschaftssinn. Beiden Subkulturen verleiht der Schutz der Gruppe Sicherheit, wodurch sie sich stark fühlen. Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit beider Gruppierungen ist die Suche nach Abenteuer, „Action“, Nervenkitzel und Spass. Akteure beider Subkulturen suchen aktiv Grenzen und Risiken, um den „Kick“ zu erfahren. Der eigentliche Anlass (Fussballspiel oder politischer Anlass wie der 1. Mai) wird als Plattform genutzt und rückt in den Hintergrund, wenn es darum geht, Bedürfnisse nach „Fun“ und „Action“ zu befriedigen. Dazu nehmen Hooligans und militante Linksautonome Probleme mit Polizei und Justiz gleichermassen in Kauf. Obwohl es in beiden Subkulturen primär um das Erleben von Spass und Abenteuer durch Gewaltausübung geht, bestehen Unterschiede zwischen Hooligans und militanten Linksautonomen. Diese Unterschiede stehen im Zusammenhang mit der Art und Form des Anlasses. An Fussballspielen geht es primär um den Sport Fussball. Die politische Einstellung der Hooligans rückt dabei in den Hintergrund oder hat keine Bedeutung. Hooligans beschäftigen sich mit den Fragen, welcher Verein gewinnt, wer die Goals für die eigene Mannschaft schiesst und welche Spieler an diese Tag besonders gut spielen. Fussball wird als Volksfest betrachtet wobei keine politischen Ideologien dahinter stecken. Der 1. Mai hingegen ist der „Tag der Arbeit“ und hat eine lange geschichtliche und politische Bedeutung. Im Gegensatz zu den Hooligans, welchen das Fussballspiel als Ausgangspunkt für ihre Krawalle dient, dient den militanten Linksautonomen ein politischer Anlass als Ausgangspunkt für Ausschreitungen. Diese unterschiedliche Ausgangslage lässt Aussagen über die Akteure der militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks zu. Allgemein richtet sich der Schwarze Die Systemische Denkfigur 30 Block gegen den Staat, die Gesellschaft und den Kapitalismus im Allgemeinen. Der schwarze Block wird durch den Kern, bestehend aus Intellektuellen aus dem RAS oder RAZ, gesteuert und trägt dessen Ideologien auf die Strasse. Aus der quantitativen und qualitativen Untersuchung zum 1. Mai (2003) geht hervor, dass die militanten Linksautonomen zumindest mit diesen Ideologien sympathisieren und eine Sensibilität für Politik und politisch/gesellschaftliche Themen aufweisen. Hier dienen Anlässe wie der 1. Mai zwar dazu, unter dem Deckmantel politischer Anliegen Nervenkitzel und Abenteuer über Gewaltausübung zu erfahren, dennoch besteht eine gewisse Affinität zur Politik. Militante Linksautonome können also, im Gegensatz zu den Hooligans, nicht als gänzlich apolitisch bezeichnet werden. Dieser Unterschied zeigt sich auch in den Parolen. Beide Subkulturen skandieren an den jeweiligen Anlässen Parolen, welche sich in ihrem Inhalt jedoch deutlich unterscheiden. Sprechgesänge der Hooligans sind um einiges primitiver und niveauloser („Scheiss FC Kosovo“, „alle Basler sind schwul“) wie diejenigen der militanten Linksautonomen („Kampf dem Kapital“, „1. Mai- Strasse frei“). Aktivitäten Den grössten gemeinsamen Nenner weisen die Hooligans und militanten Linksautonomen in ihrer Gewaltbereitschaft auf. Beide Subkulturen weisen ein hohes Fremd- und Selbstgefährdendes Gewaltpotenzial auf, welches an öffentlichen Anlässen zum Ausdruck kommt. Die Gewalt von militanten Linksautonomen richtet sich vor allem gegen Dinge (Sachbeschädigungen) und Polizisten. Manchmal kommt es zu Schlägereien gegen Rechtsextreme, welche durch ihre gegenteilige politische Besinnung einen guten Gegner darstellen. Bei den Hooligans geht es in der Ausübung von Gewalt in erster Linie darum, Frust abzubauen und einen Nervenkitzel zu erleben. Im Trinkverhalten gibt es Unterschiede zwischen den beiden Subkulturen. Hooligans trinken Bier in Form eines kollektiven Trinkgelages. Der Alkoholkonsum gehört zum festen Bestandteil eines Fussballspiels und wird einem Ritual gleich unter den Akteuren getrunken. Bei den militanten Linksautonomen erfolgt der Alkoholkonsum individueller und wird nicht in Form eines Rituals zelebriert, was nicht heissen muss, dass weniger Alkohol getrunken wird. Sozialisationstheorien 31 4. Sozialisationstheorien Eingangs wird kurz auf allgemeine Kernvorstellungen zum Thema Sozialisation eingegangen. Diese basiert auf der Unterrichtsunterlage „Allgemeine Soziologie“ von Obrecht (1998). Danach werden die Begriffe Sozialisation und Persönlichkeit nach Hurellmann (2005) eingeführt. Da die meisten Individuen der Hooligans und der militanten Linksautonomen im Alter zwischen 13 und 25 Jahren sind, wird das Augenmerk auf das Lebensalter von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerichtet. Da die Jugendphase bereits unter 2.1. dieser Arbeit eingeführt wurde, werden hier erstens die allgemeinen Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen beschrieben und zweitens in einen Bezug zu den Hooligans und den Linksautonomen gesetzt. 4.1. Einführung Soziologie ist die Wissenschaft von sozialen Systemen mit (vollständig) selbstwissensfähigen Biosystemen als Komponenten (vgl. Obrecht, 1998). „Das Verhalten von Individuen wird nicht nur zu jedem Zeitpunkt durch soziale Normen mitbestimmt (…). Die für die Steuerung des Verhaltens eines Individuums relevanten Normen verändern sich im Laufe seines Lebens, nicht zuletzt in Abhängigkeit der Phasen des in der betreffenden Gesellschaft institutionalisierten Lebenslaufs. Jede Phase ist durch eine andere Rollenstatuskonfiguration29 gekennzeichnet und die Zahl der Phasen der institutionalisierten Lebensläufe oder Normalbiographien hat im Verlaufe der sozialen Evolution zugenommen, insbesondere aber seit der Industrialisierung. Der minimalsten Differenzierung entsprechen die drei Phasen der Jugend, des Erwachsenenalters und des Alters“ (Zit. nach Obrecht, 1998). Menschen werden, von psychisch oder sozial bedingten Einzelfällen abgesehen, in menschliche Gemeinschaften hineingeboren. Unter primärer Sozialisation versteht man den Prozess ihres sukzessiven Hineinwachsens in die sie umgebende Gesellschaft. Dieser Vorgang umfasst die erste Phase innerhalb des Lebenslaufs eines Menschen, die „Kindheit und Jugend“. In diesem Prozess kommen Kinder mit einer Reihe von genetisch disponierten prosozialen Verhaltenstendenzen auf die Welt, die im Rahmen ihres Aufwachsens innerhalb einer bestimmten soziokulturellen Umwelt verstärkt, oder aber abgeschwächt werden. Nach Hurrelmann (2005) wird unter Sozialisation der Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit in Auseinandersetzung mit den inneren und äusseren Anforderungen verstanden. Körper und Psyche bilden die „innere Realität“, soziale und physische Umwelt die „äussere Realität“ des Entwicklungsprozesses. Durch die ständige produktive Auseinandersetzung mit der körperlichen Konstitution und der psychischen Grundstruktur auf der einen und den sozialen und physischen Umweltimpulsen auf der andere Seite wird ein Jugendlicher zu einem sozial handlungsfähigen Subjekt. 29 Ein Mensch ist in der Regel Mitglied mehrerer sozialer Systeme und vereinigt damit in sich mehrere Rollenstatus (Genaue Definition im Kapitel 6, Theorie struktureller und anomischer Spannungen). Sozialisationstheorien 32 4.1.1. Die allgemeinen Entwicklungsaufgaben in der Jugend Eine „Entwicklungsaufgabe“ ist eine Aufgabe, die ungefähr zu einem bestimmten Lebensabschnitt des Individuums entsteht, deren erfolgreiche Bewältigung zu dessen Glück und Erfolg bei späteren Aufgaben führt, während ein Misslingen zu Unglücklichsein, zu Missbilligung durch die Gesellschaft und zu Schwierigkeiten mit späteren Aufgaben führt. Die Entwicklungsaufgaben einer bestimmten Gruppe haben ihren Ursprung in drei Quellen: (1) körperliche Entwicklung, (2) kultureller Druck (die Erwartung der Gesellschaft) und (3) individuelle Wünsche und Werte (vgl. Havinghurst, 1956, aus der Übersetzung von Dreher & Dreher, 1985a, S.30). Katalog Da sich sowohl die körperliche Entwicklung, als auch individuelle Wünsche, Werte und die Erwartungen der Gesellschaft über die Zeit verändern, wird deutlich, dass sich Entwicklungsaufgaben auch ändern können. So wurde in den 40er Jahren die „Vorbereitung auf Heirat und Familie“ als Entwicklungsaufgabe im Jugendalter angesehen. Diese ist heute nicht mehr ganz aktuell. Dafür kommen neue Entwicklungsaufgaben wie „Aufbau einer Zukunftsperspektive“ oder „Entwicklung einer Identität“ in den Katalog. Aktuell werden nach Untersuchungen von Dreher (vgl. Dreher, 1985b) folgende Entwicklungsaufgaben als die Wichtigsten der Jugendphase angesehen: Aufnahme und Aufbau intimer Beziehungen Entwicklung einer Identität, von Selbständigkeit, Selbstsicherheit und Selbstkontrolle Aufbau einer Zukunftsperspektive Aufbau sozialer Kompetenzen, besonders Toleranz, Abbau von Vorurteilen, Konfliktlösungskompetenzen Kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft, besonders in den Bereichen Umweltschutz und Friedenssicherung Verständnis für komplexe Zusammenhänge in Politik und Wirtschaft Die Wichtigkeit der unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben wird einerseits durch die kulturellen Werte mitbestimmt und ist anderseits abhängig von Alter und Geschlecht. Normative Entwicklungsaufgaben Es gibt Entwicklungsaufgaben, die von der Gesellschaft gefordert bzw. erwartet werden, oftmals zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben eines Menschen, wie zum Beispiel der Schulabschluss. Solche Entwicklungsaufgaben werden normativ genannt. Am höchsten geschätzt wird hierbei, wenn Entwicklungsaufgaben zu einem früheren Zeitpunkt als üblich gelöst werden. Verspätetes Lösen weckt Mitleid oder sogar Ärger. Ebenso verhält es sich mit dem willentlichen Unterlassen einer Entwicklungsaufgabe. Non-normative Entwicklungsaufgaben Sozialisationstheorien 33 Diese Entwicklungsaufgaben werden nur von einzelnen oder wenigen Personen gefordert oder stellen sich nicht allen Menschen (z.B. würde sich der Vater wünschen, dass sein Sohn Fussballer wird). Ebenfalls stellen sich non-normative Entwicklungsaufgaben beim Eintreten von kritischen Lebensereignissen wie zum Beispiel dem Tod eines Elternteils während der Jugendzeit. Bewältigung von Entwicklungsaufgaben Es gibt unterschiedliche Arten, wie Menschen mit Entwicklungsaufgaben umgehen können. Die Bewältigung, das so genannte „Coping“, ist dabei abhängig von den Kenntnissen, welche die Jugendlichen über mögliche Bewältigungsstrategien haben, sowie dem Willen bzw. der Bereitschaft, sich auseinander zu setzen. Es folgt eine nach unterschiedlichen Kriterien gegliederte Anordnung einiger Coping-Strategien: Tabelle 3, Coping Strategien Problembezogenes Coping vs. Problemanalyse, Informationsbeschaffung, Handlungsplanung Coping Internale Bewältigung vs. vs. Emotionsbezogenes Coping Sich-Beruhigen, SichAblenken (Lazarus & Folkman, 1984) Defending Nicht-Coping, d.h. Absicherung gegen Schäden oder Verletzungen Aktive Bewältigung unter Nutzung sozialer Ressourcen (Haan, 1974, 1977) vs. Kognitive, interpretative und emotionale Bewältigungsformen Aktive & aufgabenorientierte Problemlösung Problemmeid endes Verhalten (SeiffgeKrenke, 1989) vs. Kognitive Umbewertung Herabstufung der Bedeutung, Betonung der Vorteile der Nichtbewältigung vs. Vermeidung & Ablenkung (Flammer, Neuenschwan der & Grob, 1995) Untersuchungen haben ergeben, dass der handlungsorientierte Bewältigungsstil für das Wohlbefinden der Jugendlichen am effektivsten ist. Emotionale Bewältigungsstile haben bei starker Belastung einen negativen Effekt aufs Wohlbefinden. 4.1.1.1. Biologische Entwicklung Der Begriff „Pubertät“ wird heute mehrheitlich zur Eingrenzung von biologischen Veränderungen beim Menschen verwendet. Die Auswirkungen der Pubertät sind jedoch nicht nur biologisch, sondern ebenso psychosozial. Zuerst werden die wichtigsten biologischen Veränderungen während der Pubertät genannt, um anschliessend einige psychosoziale Aspekte zu umreissen. Sozialisationstheorien 34 Körper Nach der Geburt nimmt das Längenwachstum beim Menschen kontinuierlich ab. Unterbrochen wird diese Abnahme ein erstes Mal zwischen dem 6. und 8. Altersjahr, ein zweites und letztes Mal während der Pubertät. Im Durchschnitt erfolgt dieser letzte Wachstumsschub bei Mädchen mit 12 Jahren, bei Knaben mit 14 Jahren. Stark geschlechtsspezifisch verändert sich in der Pubertät das Verhältnis der Schulterbreite zur Hüftbreite. Jungen bekommen breitere Schultern, Mädchen breitere Hüften. Ebenso verhält es sich mit dem Muskel- und dem Fettanteil. Das Gewicht verändert sich idealerweise proportional zur Körpergrösse und nimmt mit zunehmendem Alter ebenfalls zu. Gehirn Zwischen dem 7. und dem 15. Lebensjahr läuft eine intensive Hirnentwicklung ab, die wesentlich von der Umwelt und den Erfahrungen beeinflusst wird. Das heisst, das Gehirn wird nicht nur in der frühen Kindheit, sondern während der gesamten Jugendphase durch die Art seiner Nutzung gewissermassen „programmiert“. Das Ausmass und die Art der Vernetzung neuronaler Verschaltungen, insbesondere im frontalen Kortex, hängt also ganz entscheidend davon ab, womit sich Kinder und Jugendliche besonders intensiv beschäftigen (vgl. Herschkowitz, 2003). Obwohl das Gehirn mit sieben Jahren 95 Prozent seines Erwachsenengewichts erreicht hat, bedeutet das keinesfalls, dass seine Entwicklung abgeschlossen ist. Die Zentren, die Aufmerksamkeit beeinflussen, werden enger mit anderen Hirnzentren vernetzt, was eine Voraussetzung für längere und intensivere Konzentration ist. Es steigt die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen. Gleichzeitig finden weitere Reifungsprozesse in den Sprachzentren und in den Assoziationsgebieten statt, in denen Informationen aus verschiedenen Hirnarealen zusammengefasst werden. Die Kommunikationsfähigkeit wird erhöht. Von grosser Bedeutung für die Motivation und für das Gesundheitsbewusstsein ist die Entwicklung von Belohnungszentren im Gehirn, die während der Adoleszenz besonders aktiv sind. Diese Prozesse können einerseits die Attraktivität von Alkohol, Nikotin und Drogen bei Jugendlichen erhöhen, vor allem aber als Mittel gegen Langeweile, Frustration oder Entmutigungen dienen. Andererseits können diese Belohnungszentren zu einem vertieften Genuss von Tätigkeiten führen, die eine positive Bedeutung für das weitere Leben haben. Zum Beispiel Sport, Tanzen, Zeichnen oder soziale Tätigkeiten. Die Geschwindigkeit der Entwicklungsprozesse nimmt generell vom zwanzigsten Lebensjahr an ab, die Hirnentwicklung jedoch bleibt nicht stehen. Bis ans Lebensende hat der Mensch die Fähigkeit zu lernen. 4.1.2. Identitätsentwicklung Die Identitätsentwicklung gehört zu den wichtigsten Entwicklungsaufgaben eines Individuums. Denn jedes Individuum lernt bestimmte kulturelle Verhaltensmuster, Werte30 und Normen zu übernehmen, um sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Gemäss Lajios ist das Ziel der Sozialisation unter anderem „…das Kind selbstbewusster und fähiger zu machen, um den Aufbau einer stabilen Identität zu ermöglichen“ (Zit. nach Lajios, 1991, S. 44). Dem Prozess der Individualisie- 30 Werte sind jene Klassen von Zuständen, auf deren Erreichung oder Erhaltung eine bestimmte Art von Organismen hin tendieren (vgl. Obrecht, 2004, S. 44). Sozialisationstheorien 35 rung31 auf sozialer Ebene entspricht demnach ein Prozess der Individuation32, in welchem die individuelle und selbstständige Persönlichkeit erarbeitet werden muss (vgl. Fend, 2001, S. 158). Als Erikson in den 50-er Jahren sein Modell der Entwicklung präsentierte, entstand erstmals eine systematische Diskussion über die Identität (vgl. Flammer, 2002, S. 156). Sein Modell hebt hervor, dass eine erfolgreiche Entwicklung durch die Integration der persönlichen und der sozialen Identität entsteht (Erikson, 1973, S. 143). Das Gefühl der eigenen Identität ist die Zuversicht des Individuums, dass die innere Gleichheit und Kontinuität seines Wesens von Aussen wahrgenommen wird. Einfacher ausgedrückt kann die Identität als ein Gefühl des „mit sich selber eins sein“ verstanden werden. Aufgrund des schnellen Körperwachstums und der herantretenden körperlichen Geschlechtsreife erleben die sich entwickelnden Jugendlichen eine physische Revolution in sich und sind hauptsächlich damit beschäftigt, ihre soziale Rolle zu festigen. Die Identifizierungen, auf die sich die Jugendlichen bisher verlassen konnten, werden hinterfragt. Zu Beginn der Jugendphase haben sie noch keine klaren Visionen darüber, was und wer sie sein könnten und so orientieren sie sich an den aktuellen Idealen und Leitbildern, welche sie in ihr Selbstbild zu integrieren versuchen. Später werden äussere Kontrollen zweitrangig und die Jugendlichen beginnen sich nach ihren inneren Verpflichtungen zu richten, welche aus den eigenen Zielen und Normen resultieren, die darauf ausgerichtet sind, was man sein und werden möchte. Daraus wiederum entstehen erstmals normative Erwartungen in Bezug auf die eigene Zukunft (wie z.B. Erwartungen an Beruf und Partnerschaft), welche als „erster selbst zu gestaltender Auftrag“ definiert werden können. Nur so können sie eine eigene Identität entwickeln, welche es ihnen erlaubt, sich als in die Gesellschaft eingebettete und akzeptierte Persönlichkeit zu begreifen. Es ist zu beachten, dass der Prozess der Entwicklung immer mit den bisher gemachten Erfahrungen verbunden ist. 4.1.3. Einfluss der Familie und der Peer Group33 Bindungen an Erwachsene entstehen bereits nach der Geburt und die meisten Kinder haben schon sehr früh Freunde. Das Jugendalter ist jedoch der erste Lebensabschnitt, in welchem Gleichaltrige (Peer Group) mit den Erwachsenen darum konkurrieren, die Einstellung und Verhaltensweisen einer Person zu formen. Durch die ständige Interaktion mit Gleichaltrigen definieren die Jugendlichen die soziale Komponente ihrer sich entwickelnden Identität und bestimmen, was für ein Mensch sie sein und welche Beziehungen sie pflegen wollen (vgl. Berndt, 1992; Hartup, 1996 in Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 481). Auch Lajios weist auf die wichtige Funktion der Peer Group hin, nämlich die, das Selbstbewusstsein, die Sicherheit und das Lebenswertgefühl zu stabilisieren, was dann wiederum zu einer bewussten Identitätsentwicklung führt (vgl. Lajios, 1991, S. 45). Da die Peer Group zu einer immer wichtigeren Quelle des sozialen Rückhalts wird, steigt auch die Angst vor Zurückweisung und die Konformität gegenüber den Werten und Verhaltensweisen von Gleichaltrigen wächst. Die in der heutigen Zeit oft gesehene Demonstration des ungewöhnlichen Aussehens (Frisuren, Kleider, Tatoos, Piercings etc.), sowie die verwendete Jugendsprache, beinhaltet weniger „den nach Innen gerichteten Blick auf die eigene Identität“, 31 Die Individualität eines Gegenstandes bestimmen; das Besondere, Einzelne, Eigentümliche (einer Person, eines Falles) hervorheben (vgl. Fremdwörterduden, 1997). 32 Mit Individuation ist der Weg zu einem Ganzen gemeint (vgl. www.wikipedia.org). 33 Unter Peer Group versteht man eine Gruppe von Gleichen; Bezeichnung aus der Jugendsoziologie für gleichaltrige Kinder- oder Jugendlichengruppen, denen sich die Mitglieder besonders zugehörige fühlen und von denen sich der Dazugehörige die Stütze verspricht, die er zum Erwachsenwerden braucht (vgl. www.socioweb.de). Sozialisationstheorien 36 sondern dient als Versuch, über die Gruppenidentität Stabilität im Selbst zu gewinnen. Die Eltern hingegen glauben oft, dass sie im Konkurrenzkampf mit den Peers des Kindes stehen, sobald dieses ungünstige Verhaltensweisen von seinen Freunden übernimmt. In den Kindsjahren verfügen die Eltern über eine Autorität, welche nicht in Frage gestellt wird. Durch die Adoleszenz findet jedoch eine Änderung statt und den Jugendlichen wird ein gewisses Mass an Autonomie zugestanden. Indem die Eltern die Entwicklung des Jugendlichen respektieren wollen und dadurch Widerspruch zulassen - ohne zuzulassen, dass unpassende Entscheidungen des Jugendlichen seine Zukunft gefährden - entsteht eine schwierige Situation für beide Parteien. Die Eltern sowie ihre jugendlichen Kinder müssen die Veränderung in ihrer Beziehung zueinander annehmen und überstehen (vgl. Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 481ff), denn eine gesunde Identität entwickelt sich aus einer gestuften Integration aller Identifikationen (vgl. Erikson, 1973, S. 108). Grundsätzlich ist es von grosser Wichtigkeit, dass die Jugendlichen in ihrem sozialen Umfeld über verlässliche Bezugsorte sozialer Unterstützung verfügen, denn diese helfen ihnen dabei, für die Zukunft planen zu können. Körperidentität Aus den körperlichen Veränderungen im Jugendalter und der erlangten Fähigkeit zur Selbstreflexion ergibt sich die Aufgabe, ein positives Verhältnis zum Körper zu entwickeln (vgl. Breuer, 2001). Selbstreflexion und die Fähigkeit zur Selbstveränderung kommt in diesem Lebensalter erstmals voll zum Tragen; es wird eine Einstellung zum eigenen Körper erarbeitet, die zu einem wesentlichen Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses, der eigenen Identität wird. Geschlechtsidentität Die eigene Geschlechtsrolle muss heute individueller gefunden werden, denn starre Orientierungsmuster, wie ein Mann oder eine Frau heute sein soll, bestehen nicht mehr in dem Masse wie früher. Die grösseren Entscheidungsspielräume ermöglichen es Jungen und Mädchen, sich von traditionellen Mustern abzulösen und eigene Wege zu suchen. Gleichzeitig ist es aber nach wie vor so, dass gesellschaftliche Werte relativ stark vorgeben, wie die Erfüllung der Geschlechtsrolle auszusehen hat. Sexistische Frauenbilder und negative Wertungen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften haben nach wie vor einen massiven Einfluss. Das heisst nichts anderes, als dass Frauen oder Homosexuelle zur Findung und Erhaltung einer emanzipierten Identität erheblich mehr Aufwand betreiben müssen als Jugendliche, die sich an traditionellen Rollen orientieren (vgl. Fend, 1991, S. 49ff). Berufsidentität Der Grad der Zufriedenheit mit der Entscheidung für einen Beruf hängt u.a. davon ab, inwiefern die eigenen Vorstellungen verwirklicht werden können. Jugendliche aus der Ober- oder Mittelschicht haben mehr Chancen auf einen höheren Schulabschluss, was wiederum mehr Chancen und Möglichkeiten zur Folge hat, dass sie Wunsch und Wirklichkeit in Einklang bringen können (vgl. Fend, 1991, S. 46ff). Sozialisationstheorien 37 Politische und moralische Identität Mit der politischen Identitätsbildung (vgl. Fend, 1991, S. 113ff) treten Jugendliche erstmals aus der Fixierung auf persönliche Lebensverhältnisse heraus und wenden sich umfassenderen gesellschaftlichen Problemstellungen zu. Die westlichen Demokratien sind darauf angewiesen, dass politische Identitätsbildung, bzw. Meinungsbildung zu gesellschaftlichen Themen stattfindet. Die politische Identitätsbildung hängt direkt mit einer weltanschaulichen allenfalls religiösen Identitätsbildung zusammen (vgl. Fend, 1991, S. 24ff). Beides bezieht sich unmittelbar auf Werte und Normen. Bedürfnistheoretisch geht es hier um Erfüllung des Bedürfnisses nach kognitiver Orientierung im sozialen Raum, subjektivem Sinn, Gerechtigkeit und Mitgliedschaft.34 Freizeitgestaltung, Stile Durch das Ausprobieren verschiedener Lebensstile wird die Identitätsfindung vorangetrieben. In der Gestaltung freier Zeit besteht die Möglichkeit, eigene Wünsche zu verwirklichen wie in keinem anderen Bereich. Der Stil, den sich ein Jugendlicher angeeignet hat, beeinflusst nicht selten auch die Identitätsbildung und den Lebensstil auch in anderen Bereichen oder deutet zumindest auf die gewünschte Lebensgestaltung hin. Die gesamte Identitätsbildung ist auch durch das Bedürfnis nach Unverwechselbarkeit motiviert. Dies zeigt sich vor allem in der Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen und anderen Peer-Groups, innerhalb einer Gleichaltrigengruppe ist allerdings ein oft hohes Mass an Konformität feststellbar, das sich mit dem Bedürfnis nach Mitgliedschaft erklären lässt (vgl. Fend, 1991, S. 26). Identitätsdiffusion Gemäss Erikson beinhaltet die Identitätsentwicklung die Gefahr der Identitätsdiffusion. Er definiert die Identitätsdiffusion als die Widersprüchlichkeit in der eigenen Persönlichkeit, der es nicht gelingt, herauszufinden, „…ob man ein richtiger Mann (eine richtige Frau) ist, ob man jemals einen Zusammenhang in sich finden und liebenswert erscheinen wird, ob man imstande sein wird, seine Triebe zu beherrschen, ob man einmal wirklich weiss, wer man ist, ob man weiss, was man werden will, weiss, wie einen die anderen sehen, und ob man jemals verstehen wird, die richtigen Entscheidungen zu treffen,…“ (zit. nach Erikson, 1973, S. 111f). Einfach ausgedrückt, kann man die Identitätsdiffusion als Zweifel an der eigenen Identität bezeichnen, welche durch die Unsicherheiten im eigenen Handeln und Entscheiden aufgrund des vermeintlichen Fremdbildes entstehen. Das heisst, der Jugendliche schafft es aufgrund der früheren Zweifel an der eigenen geschlechtlichen oder ethnischen Identität nicht, die aktuellen Ideale und Leitbilder in sein Selbstbild zu integrieren. Gelingt es einem Jugendlichen nicht, diese Krise durch eine angemessene Lösung erfolgreich zu überwinden, besteht die Möglichkeit, dass er sich nur bedingt oder gar nicht in die Gesellschaft einfügen kann (vgl. Erikson, 1973, S. 106 ff). Dabei kommt es nicht selten zu kriminellen oder psychotischen Vorkommnissen (vgl. Erikson, 1973, S. 110). Beispiele der Identitätsdiffusion In Anlehnung an Eriksons Werke führt Fend Beispiele auf, wie sich die Identitätsdiffusion zeigt. Darunter fallen die Auflösung der Zeitperspektive, (die Schwierigkeit an eine biografische Kontinuität und das zukünftige Sein zu denken), die 34 Vgl. Kapitel 5, Bedürfnistheorie. Sozialisationstheorien 38 Identitätsbefangenheit (die auf Scham und Zweifel basierende Unfähigkeit, sich als Persönlichkeit identisch zu fühlen), die Flucht in eine negative Identität (das Eigene wird durch die Wahl des Gegenteils, was andere sind und erwarten, gefunden), sowie die Arbeitslähmung (Aufgrund einer unrealistischen Anforderung an sich selbst, entsteht die Problematik sich auf eine Arbeit konzentrieren zu können, was zu Arbeitsstörungen führt). Als weitere Gefährdungen in Bezug auf die Identitätsarbeit werden unter anderem die Überidentifikation mit den Eltern, das Ideologisieren von Vorbildern und festgefahrene Vorurteile aufgeführt. Die Identitätsarbeit beinhaltet somit den Balanceakt zwischen Diffusion und Rigidität35 (Fend, 2001, S. 406 f). 4.2. Anwendung An dieser Stelle werden Antworten auf die Frage „Welches sind die Beweggründe für eine Hooliganidentität/eine linksextreme Identität?“ erörtert. Dazu werden die unter Kapitel 4.1 eingeführten Sozialisationstheorien beigezogen. Jedes soziale System hat explizite und implizite Antworten auf Entwicklungsaufgaben und besitzt eine Kultur und eine Struktur. Zentrales Thema der Soziologie ist die Beziehung zwischen diesen zwei Begriffen (Kultur und Struktur). Kurz zusammengefasst geht es darum, dass die Beziehung zwischen Struktur und Kultur asymmetrisch ist, das heisst, dass die Struktur als das konkretere von beiden mehr entscheidet als die Kultur, welche eher der Tendenz nach das Begriffliche ist. Durch zielgerichtete Handlungen versuchen menschliche Individuen, ihre Sozialstruktur36 zu steuern. Kulturmerkmale sind wie in der Einleitung erwähnt, Werte / Normen, die Sprache und kodifiziertes und allgemein zugängliches Wissen. Ein Teil dieser Kultur bezieht sich auf die Entwicklungsaufgaben, wie hier in unsere Arbeit auf die Entwicklungsaufgaben der Jugend. 4.2.1. Subkultur der Hooligans Eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben im Alter der Jugendlichen ist die Ablösung von der Primärgruppe Familie. Die Jugendlichen müssen ihre eigene Identität finden, wobei sie sich von den bisherigen Identifikationsfiguren der Eltern ablösen und neue Vorbilder suchen. Die Mitgliedschaft bei den Hooligans hilft ihnen dabei, diese Ablösung von der Familie zu vollziehen. Ihre Vorbilder sehen die Akteure einerseits in den Mitgliedern des Fussballclubs, den sie unterstützen, andererseits in den Führungspersonen unter den Hooligans. Sie eifern ihnen nach, wobei sie sich durch ihre Handlungen strafbar machen können. Die Mitgliedschaft bei den Hooligans ist für die Jugendlichen nicht ungefährlich. Wenn die Akteure zu viel Alkohol konsumieren oder in Konflikt mit der Polizei geraten, kann dies schwerwiegende Folgen betreffend ihrer Zukunft haben. Körperidentität Die Körperidentität der Hooligans zeigt sich einerseits durch die äussere Erscheinung, andererseits durch ihre Postur. Hooligans kleiden sich in den Farben ihres Lieblingsclubs. Durch die gemeinsame Kleidung verstärken sie ihr Gruppengefühl und grenzen sich klar von den gegnerischen Fans ab. „Gemeinsam 35 Unnachgiebigkeit, Unfähigkeit sich wechselnden Bedingungen schnell anzupassen (psychologisch) (vgl. Fremdwörterduden, 1997). 36 Sozialstruktur ist etwas, was sich ergibt, etwas resultierendes, wenn Individuen in längerfristigen Beziehungen zu einander treten. Menschen neigen auf Grund ihrer biologischen Eigenschaften dazu, sich zu „vergesellschaften“, d.h. soziale Gruppen zu bilden (vgl. Oberecht, 1998b, S. 64ff). Sozialisationstheorien 39 sind wir stark. Wir wissen wer unsere Feinde sind“. Gemeinsam für etwas ein zu stehen gibt den Jugendlichen das Gefühl, dazu zu gehören. Durch die Schaffung eines äusseren Feindes (gegnerische Fans, Polizei etc.) wird das Gruppengefühl verstärkt. „Wir müssen zusammenhalten!“ Die Postur der B-Fans ist anders als jene der „klassischen Hooligans“. Sie müssen keine Muskeln haben um Sachbeschädigungen zu begehen. Direkte gewaltsame Auseinandersetzungen kommen eher selten vor. Öfters werden Polizisten aus der Ferne traktiert, sei das durch fliegende Steine oder ähnlichen Gegenständen. Auf diese Weise geraten die Akteure nicht in Gefahr, einen Kampf zu verlieren, was sich negativ aufs Selbstwertgefühl auswirken würde. Geschlechtsidentität Hooligans haben eine starke Geschlechtsidentität. Sie fühlen sich als „ganze Kerle“ wenn sie Bier trinken, sich lauthals gegen Randgruppen auslassen (Homosexuelle, Ausländer etc.) und sich gegen den Staat auflehnen können (Polizei). Ihr Verhalten wird von manchen Frauen als „männliches Gehabe“ bezeichnet. Die Subkultur der Hooligans ist eine reine Männerdomäne, denn im Zentrum der Fankurve sind kaum Frauen anzutreffen. Berufsidentität Da Hooligans hauptsächlich über eine schlechte Schulbildung verfügen, haben sie hinsichtlich ihrer Berufswahl nicht immer die Möglichkeit, Berufswunsch und Wirklichkeit miteinander zu vereinbaren. Die meisten machen nach der Grundschule eine Lehre im handwerklichen Bereich. Politische / moralische Identität Eine politische Einstellung hat an Fussballspielen grundsätzlich nichts zu suchen. Öfters werden Ausländer und Homosexuelle Opfer von diskriminierenden Äusserungen, welche aber weniger politisch einzuordnen sind, sondern eher als allgemeine Schimpfwörter mit wenig Hintergrund zu bezeichnen sind. In Parolen wie: „Scheiss FC Kosovo“ widerspiegelt sich eher das kognitive Niveau der Hooligans als ihre politische Einstellung. Jugendliche befinden sich in einem Alter der Veränderungen und Entscheidungen. So müssen sie sich von ihrer Primärgruppe ablösen und gleichzeitig einen beruflichen Weg einschlagen. Um auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen zu haben, müssen sie gute Noten mit nach Hause bringen. Diese verschiedenen Aufgaben, welche Jugendliche zu bewältigen haben, können eine Menge Spannungen zur Folge haben. An Fussballspielen können solche Spannungen mittels Gewalt sehr gut abgebaut werden. Jugendliche können ihre angestaute Wut an den Spielern, den Schiedsrichtern, den gegnerischen Fans oder den Polizisten auslassen, wodurch es ihnen im Alltag wieder besser gelingt, sich anzupassen. 4.2.2. Subkultur der militanten Linksautonomen Das soziale System des Schwarzen Blocks, weiter differenziert in die Gruppierung der militanten Linksautonomen, beantwortet Entwicklungsaufgaben teilweise anders, als die Hegemonialgesellschaft oder andere Jugendliche es tun. Beispielsweise hat Gewalt einen hohen Stellenwert und wird als Mittel gebraucht, um sich zu unterhalten und Spass zu haben. Körperidentität Sozialisationstheorien 40 Die Körperidentität von militanten Linksautonomen im Schwarzen Block zeigt sich darin, dass die äussere Erscheinung (vgl. Kap. 3.1.2.1) und die daraus folgenden Konsequenzen sehr wichtig sind. Denn durch sie gelingt eine hohe soziale und mediale Aufmerksamkeit. Der Körper und die Kleider werden an Demonstrationen oder öffentlichen politischen Anlässen demnach bewusst als Instrument zur Auffälligkeit eingesetzt. Ausserhalb des Rahmens der Nachdemonstrationen herrschen keine genauen Kenntnisse über den Kleidungsstil, es kann aber davon ausgegangen werden, dass im Alltag normale, dem Beruf entsprechende Kleidung getragen wird. Kommt es an Anlässen wie dem 1. Mai zu Zusammenstössen mit der Polizei, beinhaltet dies meist körperliche Anstrengung, zum Beispiel bei einer Prügelei oder einer Flucht vor dem Gegner. Hier werden bei den militanten Linksautonomen körperliche Grenzerfahrungen gemacht, welche sich auf das Körperselbstbild auswirken. Je nach Situation erfahren sie das Gefühl von Macht und Stärke, aber auch von Unterwerfung und Demütigung. Geschlechtsidentität Die emanzipierte Geschlechtsidentität der militanten Linken spiegelt sich in der Abneigung von traditionellen Geschlechterstereotypen. Die Philosophie des Linksextremismus fordert eine exakte Gleichstellung der Geschlechter. Dennoch sind an gewalttätigen Demonstrationen über zwei Drittel der Beteiligten männlichen Geschlechts, was zeigt, dass physische Gewalt trotz einer Gleichstellungsideologie von Mann und Frau nach wie vor ein überwiegend männliches Phänomen ist. Berufsidentität Da militante Linksautonome hauptsächlich aus der Mittel- bis Oberschicht kommen und über mindestens einen Realschulabschluss verfügen, haben sie hinsichtlich ihrer Berufswahl die Möglichkeit, Berufswunsch und Wirklichkeit miteinander zu vereinbaren. Hier wäre es interessant zu wissen, in welchen Betrieben militante Linksautonome arbeiten oder welche Richtungen sie studieren. Es würde uns wundernehmen, in wie weit die Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft und entsprechenden wirtschaftlichen Betrieben bestehen bleibt, wenn von dort die Geldquelle für den Lebensunterhalt kommt. Auf Grund des Datenschutzes und mangelnden Informationen können darüber keine Aussagen gemacht werden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass militante Linksautonome mangels eines vertieften Politikverständnisses hier weniger kritisch sind wie beispielsweise die Steuerung oder der Kern des Schwarzen Blocks. Politische / moralische Identität Die politische / moralische Identität äussert sich bei den militanten Linksautonomen in Form von Interesse an Politik oder zumindest einer politischen Sensibilität. Dieses politische „Basisinteresse“ wird mit den Faktoren Spass, Unterhaltung, Action und Suche nach dem Kick kombiniert. Selbstbezogenheit, Spass haben wollen und Engagement scheinen sich hier nicht auszuschliessen. Der Gewaltaspekt spielt bei dieser Art von Politikinteresse eine hohe Rolle, sei es an Demonstrationen gegen die Polizei oder bei Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen. 4.2.3. Fazit In einem Fazit zum Teil der Sozialisationstheorien werden nun in einem Vergleich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Hooliganidentität und der Identität von militanten Linksautonomen herausgearbeitet. Sozialisationstheorien 41 Die Mitglieder beider subkulturellen Gruppierungen befinden sich in der Lebensphase der Adoleszenz und sind dabei, für dieses Alter typische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Die Ablösung von der primären Sozialisationsinstanz Familie muss Schritt für Schritt vollzogen werden und die Peergroup als sekundäre Sozialisationsinstanz nimmt einen immer grösseren Stellenwert ein. Gemeinsam ist bei diesem Schritt den Akteuren beider Subkulturen, dass sie sich gewaltbereiten Gruppierungen anschliessen. Ein gewichtiger Grund zur Ausübung von Gewalt sieht Professor Eisner (2001) in der heutigen Gesellschaft des „anything goes“. Gewalt ist heutzutage zum einzig verbleibenden Mittel geworden, um die Erwachsenen zu provozieren und zu reizen. Früher konnten sich Jugendliche mit gefärbten Haaren, gewissen Musikrichtungen, Kleider, Tatoos, Piercings und Drogenkonsum von den Erwachsenen abgrenzen. In der heutigen Zeit, in der alles möglich ist und die Erwachsenen selbst dem Jugendwahn oder dem ewig jugendlich sein verfallen sind, wird es schwierig, zu provozieren und sich abzugrenzen. Bei der Ausübung von Gewalt spüren Jugendliche den Widerstand der Gesellschaft. Diese Form von Provokation trifft auf Akteure der Hooligans und der militanten Linksautonomen sehr genau zu. Hooligans provozieren durch ihre rassistischen und primitiven Fangesänge in Verbindung mit Gewalt, militante Linksautonome durch ihre schwarze Kleidung und die Vermummung, ebenfalls in Verbindung mit Gewaltausübung. Allgemein kann festgestellt werden, dass wenn ein Individuum bezüglich seines Modells und seines Erlebens, Übereinstimmungen mit der Hooligan/linksextremen Subkultur wahrnimmt, sich von dieser angezogen fühlt (kognitive Dissonanz) und bemüht sich, Komponente dieses Systems zu werden. Die Dissonanztheorie erklärt diese Gesetzmässigkeit folgendermassen: Um kognitive Dissonanz- ein aversives Gefühl kognitiver Spannung- zu vermeiden, werden Personen in der Regel dissonante Informationen vermeiden, konsonante Informationen aktiv aufsuchen. Warum ein Individuum (bevor es Teil einer Hooligangruppe oder in der Linksautonomen Szene ist) Modelle und Erlebnismodi, die kongruent mit der Hooligansubkultur oder der linksautonomen Subkultur sind, entwickelt, kann individuell verschieden sein. Dies kann durch strukturelle Bedingungen wie Jugendarbeitslosigkeit, Freude am Fussball oder der Politik sein, durch einen Ausschluss aus dem Familien- und/oder Bildungssystem oder durch Freundschaften, Kontakte zu den entsprechenden Subkulturen oder zum Beispiel ältere Geschwister sein. Viele Jugendliche schliessen sich aus Lust zur Provokation als Abgrenzungsstrategie gegen Erwachsene gewaltbereiten Subkulturen an. Körperidentität Akteure beider Subkulturen setzen Körper und Kleidung bewusst als Mittel und Kennzeichen für ihre Gruppierungen ein. Hooligans tun dies, indem sie sich in den Farben des Vereins kleiden, militante Linksautonome kleiden sich schwarz, abgeleitet vom Namen des Schwarzen Blocks. Akteure beider Subkulturen setzen den Körper bewusst als Waffe gegen den Gegner (Polizei oder gegnerische Gruppierungen) oder Dinge (Sachbeschädigungen) ein. Geschlechtsidentität Bezüglich der Geschlechtsidentität bestehen markante Unterschiede zwischen den Subkulturen. Hooligans haben das Bild der klassischen Rollenverteilung und traditionellen Geschlechterstereotypen. Ihr Denken ist geprägt durch ein starkes Männerbild, welches sich durch Kraft, männliche Härte und Gewalt äussert. Sozialisationstheorien 42 Schwule gelten bei Hooligans als verpönt und minderwertig. Hooligans sind eine reine Männerdomäne und Frauen gelten höchstens als nette Accessoires, falls sie sich überhaupt in solche Kreise begeben. Dem gegenüber haben militante Linksautonome eine starke Abneigung gegen traditionelle Geschlechtertypen, denn die Ideologie des Linksextremismus fordert eine Gleichstellung der Geschlechter. Alternative Geschlechtsformen wie Homosexualität sind bei militanten Linksautonomen akzeptiert und werden teilweise selbst gelebt. Berufsidentität Bezüglich der Berufsidentität haben militante Linksautonome dank ihrer tendenziell höheren Bildung mehr Möglichkeiten, Berufswünsche und Wirklichkeit miteinander zu vereinbaren. Dies führt dazu, dass Hooligans unter grösseren anomischen Spannungen leiden (vgl. Kapitel 6). Politische/moralische Identität Betreffend der politischen Identität bestehen ebenfalls Unterschiede zwischen Akteuren der beiden Subkulturen. Bei Hooligans ist an Fussballspielen grundsätzlich keine politische Einstellung zu finden. Militante Linksautonome hingegen besitzen in irgendeiner Form Interesse an Politik oder zumindest eine politische Sensibilität. Dieses „Basisinteresse“ an Politik wird mit Ausübung von Gewalt und Unterhaltung kombiniert. Mehr Unterschiede in Erleben und Modells der Akteure sind unter Kapitel 3.2, Fazit SDF, zu finden. Biopsychosoziale Bedürfnistheorie 43 5. Biopsychosoziale Bedürfnistheorie37 Die biopsychosoziale Bedürfnistheorie nach Obrecht ist eine mehrniveaunale Beschreibungstheorie. Sie wird an dieser Stelle eingeführt, um die Mitglieder der Subkulturen der Hooligans und der militanten Linksautonomen bezüglich ihrer Befriedigung von Bedürfnissen zu vergleichen. Im Fazit soll aufgezeigt werden, welche Bedürfnisse die Mitglieder der beiden Subkulturen durch ihre Mitgliedschaft verletzen, bzw. befriedigen können. Es soll erstens erklärt werden, aufgrund der Befriedigung welcher Bedürfnisse sich ein Individuum zu einer Mitgliedschaft in einer der beiden Subkulturen entscheidet. Zweites zeigen wir auf, aufgrund welcher Bedürfnisse Jugendliche in den betreffenden Subkulturen Gewalt anwenden. 5.1. Einführung Menschliche Individuen sind selbstwissensfähige Biosysteme38 mit einem zentralen Nervensystem, welche wie alle Organismen durch einen Stoff- und Energieaustausch mit ihrer Umgebung leben. Organismen bevorzugen es, in ganz bestimmten Zuständen zu sein (Wohlbefinden) und haben deshalb entsprechende (bio)-Werte, auch Soll-Zustände genannt. Jedoch sind sie laufend verschleissenden Zuständen ausgesetzt, welche diese bevorzugten Werte entfernen und damit immer wieder ihr Überleben in Frage stellen. Man könnte auch sagen, dass der Ist-Zustand nicht dem Soll-Zustand entspricht (vgl. Obrecht, 1998). Ein Bedürfnis ist ein interner (spannungs-) Zustand, welcher weit weg ist von dem Zustand, in dem sich der Mensch39 wohl fühlt. So entsteht ein Defizit, welches vom Nervensystem registriert wird. Der Mensch wird nun durch ein nach aussen gerichtetes Verhalten zu einer Kompensation dieses entstandenen Defizits motiviert (Bedürfnisbefriedigung). Bedürfnisse sind Eigenschaften von Individuen und nicht von Systemen. Wünsche sind bewusst wahrgenommene Bedürfnisse. Sie drücken aus, wie wir ein Bedürfnis befriedigen wollen. Wenn zum Beispiel Durst ein Bedürfnis ist, kann es ein Wunsch sein, ein Bier zu trinken. Bedürfnisse sind universell, Wünsche dagegen kulturell. So kennen alle Menschen auf der Welt das Gefühl Durst zu haben, jedoch haben nicht alle den Wunsch, den Durst auf dieselbe Weise zu stillen. Nach Obrecht gibt es drei verschiedene Arten von Bedürfnissen:40 37 Nach Obrecht (1998). Ein System ist ein konkretes Ding, das aus konkreten Komponenten gebildet wird, zwischen denen ein Netz von Beziehungen besteht, durch das die Komponenten untereinander mehr verknüpft sind als mit anderen Dingen. Dadurch grenzen sie sich als Ganzes von anderen Gebilden ab (vgl. Obrecht, 1998). 39 Organismus wird hier zur Vereinfachung durch Mensch ersetzt. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass nicht nur Menschen Bedürfnisse- und damit Biowerte haben, sondern alle Organismen. 40 Zur detaillierten Auflistung der Bedürfnisse, vgl. Anhang auf Seite VIII. 38 Biopsychosoziale Bedürfnistheorie 44 Biologische Bedürfnisse, welche durch den Umstand bedingt sind, dass Organismen selbstgesteuerte, autopoietische41 Systeme sind. Psychische Bedürfnisse, welche durch den Umstand bedingt sind, dass Organismen durch ein komplexes Nervensystem gesteuert sind, dessen angemessenes Funktionieren von einer sensorischen Grundstimulation abhängt. Soziale Bedürfnisse, welche durch den Umstand bedingt sind, dass Organismen selbstwissensfähig sind und ihr Verhalten in ihrer sozialen Umgebung über ihre Kognition steuert. Bedürfnisse werden im Rahmen von einzelnen Handlungen befriedigt und sind unterschiedlich elastisch. Das heisst, ihre Befriedigung kann über verschieden lange Zeiträume hinausgeschoben werden. Die sozialen Bedürfnisse zum Beispiel sind elastischer als die Biologischen, da ihre Nichterfüllung keinen baldigen Kollaps des Organismus zur Folge haben. Bedürfnisse sind zusammengefasst eine spezifische Klasse von Regelungsprozessen innerhalb von Organismen mit einem zentralen Nervensystem (dazu gehören nicht nur Menschen, sondern beispielsweise auch Tiere). Neben externen Sensoren sind sie auch mit einem Erkennungs- und Bewertungssystem für innere und äussere Reize ausgestattet. (Bedürfnisse) Spannungszustände ↓ Motivation (kompensatorisches Verhalten zur Werterhaltung) ↓ Befriedigung ↓ Wohlbefinden Abbildung 3, Ablauf der Bedürfnisbefriedigung Welche Funktion haben denn nun Bedürfnisse? Wo Bedürfnisse sind, können auch Bedürfnisspannungen sein. Eine Bedürfnisspannung tritt dann auf, wenn der Soll-Wert eines Organismus nicht mit dem Ist-Wert übereinstimmt. Sie diktiert die Suche nach befriedigenden Dingen und/oder Stimulationen. Man kann demnach sagen, dass ohne bedürfnisgesteuerte Motivation kein absichtsvolles Verhalten gibt. 5.2. Anwendung 41 Autopoiese bezeichnet den Prozess der Selbsterschaffung und Selbsterhaltung eines Systems (vgl. www.wikipedia.org). Biopsychosoziale Bedürfnistheorie 45 Zur Anwendung der Bedürfnistheorie nach Obrecht werden bezüglich der beiden Subkulturen folgende Fragen beantwortet: Welche Bedürfnisse werden durch die Mitgliedschaft der Subkultur befriedigt? Welche Bedürfnisse werden durch die Mitgliedschaft in der Subkultur verletzt? Welche Bedürfnisse werden durch die Ausübung von Gewalt befriedigt? Welche Bedürfnisse werden durch die Ausübung von Gewalt verletzt? Nach der Beantwortung der aufgeführten Fragen werden in einem Fazit die Gemeinsamkeiten sowie die Unterschiede zwischen der Subkultur der Hooligans und jener der Linksautonomen, bezüglich der Befriedigung von Bedürfnissen, aufgezeigt. 5.2.1. Subkultur der Hooligans Aufgrund der Befriedigung welcher Bedürfnisse halten sich Jugendliche in gewaltbereiten Fan-Kreisen auf? Anhand von Sozialisationstheorien wurde aufgezeigt, dass Jugendliche eine Identitätsentwicklung durchmachen. Sie sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, wobei sie einerseits Vorbildern nacheifern, andererseits doch eine eigenständige Person sein wollen, die ihre eigenen Werten und Normen hat und dementsprechend handelt. Durch die Mitgliedschaft bei den Hooligans können sie bezüglich dieses Prozesses einige wichtige Bedürfnisse befriedigen, wie die Bedürfnisse nach Orientierung und nach Unverwechselbarkeit. Sie orientieren sich an einem Club, die Fussballspieler werden als Vorbilder gesehen. Einige Jugendliche tragen an den Spielen sogar Trikots mit dem Namen eines Spielers drauf. So sind die B-Fans immer in den Farben des Lieblingsclubs gekleidet, haben eigene Sprechgesänge und Transparente. Und doch will jeder Fan unverwechselbar sein. Einerseits grenzen sich die verschiedenen Gruppen klar gegen die gegnerischen Fans ab, andererseits hat jeder Fan seine eigene „Ausrüstung“, welche er zum Spiel trägt. Viele Jugendliche sind in der Phase der Pubertät stark verunsichert. Sie haben die eigene Identität noch nicht gefunden. Einerseits verändert sich der Körper stark in dieser Phase, andererseits müssen wichtige Entscheidungen bezüglich Ausbildung und Beruf getroffen werden. Durch die Zugehörigkeit bei den Hooligans können sie dementsprechend die Bedürfnisse nach Kontrolle und Kompetenz, sowie nach Zugehörigkeit und sozialer Anerkennung, befriedigen. Die Jugendlichen fühlen sich der Fangruppe zugehörig, indem sie ähnlich gekleidet sind, die gleiche Mannschaft unterstützen und die gleichen Feindbilder haben (gegnerische Fans, Polizei etc.). In der Gruppe fühlen sie sich stark und erhalten die nötige soziale Anerkennung, in dem sie bei den Spielen dabei sind, sich bei den Choreographien beteiligen und je nach Situation Dinge aufs Spielfeld werfen oder eine Leuchtpetarde zünden. Mit der Gruppe im Rücken ist es leichter mutig zu sein und gegnerische Fans zu beschimpfen, als wenn Jugendliche es alleine tun müssten. So fühlen sie sich einerseits stark, weil sie sich mutig fühlen und andererseits durch die Anerkennung, die sie von ihren Fan-Kollegen für ihre Taten bekommen. Weiter können Hooligans durch die Zugehörigkeit in der Subkultur ihr Bedürfnis nach Autonomie befriedigen. Jugendliche beginnen sich von ihren Primärgruppen (vor allem der Familie) zu lösen. Die Zugehörigkeit verleiht ihnen das Gefühl „etwas Eigenes zu haben“. Nicht selten geben sie deswegen zu Hause und in der Schule mit ihren „Heldentaten“ an. Biopsychosoziale Bedürfnistheorie 46 Durch die Mitgliedschaft von Jugendlichen in gewaltbereiten Fan-Kreisen werden einige Bedürfnisse verletzt. Wie schon erwähnt, müssen in der Jugendphase wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Jugendlichen stecken sich Ziele, welche sie in den nächsten Jahren erreichen wollen (Schule, Lehre, Wohnsituation etc.). Dies gibt ihnen die Motivation eine Ausbildung zu machen und dafür zu lernen, obwohl sie in diesem Alter viele andere Dinge im Kopf haben. Durch die Zugehörigkeit bei den Hooligans ist ihr Bedürfnis nach subjektiv relevanten Zielen und Hoffnung auf Erfüllung nicht erfüllt. Durch den Alkoholkonsum und die Probleme mit der Polizei laufen die Jugendlichen Gefahr, sich einen positiven Verlauf der wichtigen nächsten Jahre zu verbauen. Einige Jugendliche können durch die Zugehörigkeit bei den Hooligans ihr Bedürfnis nach Unverwechselbarkeit befriedigen, bei anderen wird durch dieselbe Zugehörigkeit das Bedürfnis nach Unverwechselbarkeit verletzt. Anstatt sich durch die Gruppe eine eigene Identität aufzubauen, gehen sie in der Gruppe unter und fühlen sich nur als einer unter vielen. Gerade bei diesen Mitgliedern kann auch das Bedürfnis nach (Austausch-) Gerechtigkeit verletzt werden. Sie haben nichts zu sagen und müssen sich den Regeln der Stärkeren unterwerfen. Durch die Ausübung von Gewalt können die Hooligans das Bedürfnis nach Abwechslung und Stimulation befriedigen. Sie suchen durch die Pöbeleien an die Adresse der gegnerischen Fans oder der Polizei den Kick und finden es immer wieder „cool“, auf diesem Weg an ihre Grenzen zu gehen. Verletzt wird dabei als erstes das Bedürfnis nach physischer Unversehrtheit. Dies ist ein biologisches Bedürfnis und ist dadurch weniger elastisch als die biopsychosozialen Bedürfnisse. Bei den Ausschreitungen der Hooligans werden immer wieder viele Personen verletzt. Einige Male gab es auch Tote, jedoch nicht in der Schweiz. Immer wieder kann durch die Gewaltausübung das Bedürfnis nach Kontrolle und Kompetenz verletzt werden. Es werden in den Fankurven Leuchtpetarden abgefeuert, die irgendeine Person treffen könnten. Auch bei Prügeleien kann ein Jugendlicher die Kontrolle über sich selber oder seinen Widersacher verlieren. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit wird vor allem bei Unbeteiligten Personen verletzt, denn immer wieder kommt es zu Verletzungen von Drittpersonen. 5.2.2. Subkultur der militanten Linksautonomen Für Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahre ist die militante Linksautonome des Schwarzen Blocks eine gute Gelegenheitsstruktur, um viele für diese Lebensphase typische Bedürfnisse zu befriedigen. Auf der Suche nach der eigenen Identität und beim Erproben neuer Handlungskompetenzen können auch bei der Mitgliedschaft im Schwarzen Block viele Bedürfnisse befriedigt werden. Zum Beispiel das Bedürfnis nach Abwechslung und Stimulation. Am 1. Mai herrschen oftmals kriegsähnliche Zustände, welche die Routine des geregelten Alltags völlig in den Schatten stellen. Jugendliche, die bei den militanten Linksautonomen aktiv sind, sind meist eingebunden in Alltagsstrukturen mit Lehre, Arbeit oder Studium, was viele in dieser Lebensphase als eine Art Zwang und Routine betrachten. Unbewilligte Nachdemonstrationen mit Gewaltausschreitungen durchbrechen diesen „Trott“ perfekt und bringen Abwechslung, Erregung und Stimulation. Durch die gemeinsame Ablehnung der Gesellschaftsform des Kapitalismus und des bestehenden politischen und ökonomischen Systems wird das Bedürfnis nach Orientierung in der Gruppe oder an Nachdemonstrationen bis zu einem gewissen Grad befriedigt. Man orientiert sich an den kommunistischen oder marxistischen Vorbildern und am revolutionären, linksextremen Gedankengut. Wobei Biopsychosoziale Bedürfnistheorie 47 hier erwähnt werden muss, dass viele der militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks zwar eine politische Sensibilität für diese Themen haben, sich jedoch nur beim Kampf auf der Strasse (der Kampf ist die Hauptsache) wirklich an diesen Leitsätzen orientieren. Die quantitative und qualitative Untersuchung des Pädagogischen Instituts Zürich (2003) hat ergeben, dass bei militanten Linksautonomen Fernziele und Zukunftsperspektiven vorhanden sind. Gesellschaftliche Zukunftsperspektiven werden eher pessimistisch eingeschätzt. Im Hinblick auf die Erreichung der eigenen beruflichen Ziele wird jedoch vermehrt an eine Bedürfnisbefriedigung geglaubt. Diese Zuversicht kommt daher, dass viele der militanten Linksautonomen in Form einer Lehre, bei der Arbeit oder im Studium aktiv im System funktionieren und Rückhalt in der Mittel- oder Oberschicht haben. Mit der Zugehörigkeit zum militanten Flügel des Schwarzen Blocks kann das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung befriedigt werden. In der Gruppe fühlen sie sich stark und zugehörig, da alle schwarz gekleidet und vermummt sind. Sie teilen im weiteren Sinne dieselben politischen Ansichten und haben dieselben Feinbilder (den Staatsapparat, in Verkörperung der Polizei und die Faschisten). Militante Linksautonome erhalten die nötige soziale Anerkennung innerhalb der Gruppe (auch wenn diese Gruppe nur eine kundgebungsbezogene Gelegenheitsstruktur ist) in dem sie an Nachdemonstrationen dabei sind und besonders gewagte Dinge tun wie beispielsweise das Einschlagen eines Schaufensters oder das Anzünden eines Autos. Mit anderen vermummten Gesinnungsgenossen an der Seite oder im Rücken ist es leichter, Sachbeschädigungen zu begehen oder Pflastersteine nach Polizisten zu werfen, als wenn Akteure ganz alleine wären. Die gesellschaftliche Anerkennung der militanten Linksautonomen ist relativ gering, da sie im Allgemeinen als Krawallmacher und Chaoten stigmatisiert werden. Dennoch geniessen sie eine Art Anerkennung, in dem Sinne nämlich, dass sie durch ihr militantes Auftreten eine hohe soziale und mediale Aufmerksamkeit erlangen. Inwiefern das Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung befriedigt wird ist schwierig zu sagen, da die Nachdemonstrationen eine kungebungsbezogene Gelegenheitsstruktur sind, bei der immer wieder andere Akteure beteiligt sind. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Freundschaft, Solidarität und Liebe in Form von Austauschbeziehungen bei einigen Akteuren der militanten Linksautonomen erlebt werden. Auch das Bedürfnis nach spontaner Hilfe wird je nach Situation befriedigt. Es kann sein, dass es in der Hitze des Gefechts an einer Demonstration möglich ist, anderen Hilfestellung zu bieten. Genau so kann es aber auch sein, dass dies nicht möglich ist, da die Situation das Wahren der eigenen physischen Integrität erfordert. Als meist unbewusstes Hauptmotiv, sich einer gesellschaftlichen Peergroup bzw. Subkultur anschliessen zu wollen, gilt sicherlich, dass durch diese erlangte Mitgliedschaft, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit effektiver befriedigt werden kann, als beispielsweise in einer Familiengemeinschaft. Ferchoff erwähnt in diesem Kontext: „Peers eröffnen ohne formelle Organisationsformen und Verwaltungsstrukturen (…), vielen Jugendlichen in sozialkultureller Hinsicht kompetente Teilnahme und Selbstverwirklichungschancen (…), die ihnen im Rahmen der Familie, Schule, Erwerbsarbeit, Vereinsstruktur und Jugendverband in diesem Ausmass nicht gewährt werden“ (1990, S. 128). Bei militanten Linksautonomen beschränkt sich dieses Bedürfnis nach Zugehörigkeit vor allem auf die Zeiträume von Demonstrationen oder politischen Anlässe, dann ist es jedoch um so stärker, da man im Kampf auf der Strasse aufeinander angewiesen ist. Das Bedürfnis nach Autonomie ist bei den militanten Linksautonome interessant, da das Wort `Autonomie` schon im Namen der Subkultur vorkommt. Das subjektive Bedürfnis nach Autonomie wird bei den militanten Linksautonomen Biopsychosoziale Bedürfnistheorie 48 teilweise befriedigt. Im Moment der Demonstrationen und den Krawallen auf der Strasse herrschen Zustände des Chaos und der Anarchie. Dies ermöglicht den Demonstranten für kurze Zeit ihr Bedürfnis nach Autonomie, Freiraum und Selbstbestimmung zu befriedigen. Im Ganzen gesehen sind militante Linksautonome jedoch abhängig von hierarchisch höheren Individuen, die ihr momentanes und weiteres Leben bestimmen wollen / müssen (Erziehungsberechtigte, Behörden, Polizei etc.). Aufgrund vorgegebener gesetzlichen Bestimmungen sind sie in einem gewissen Masse abhängig von diesen Zwangsbeziehungen, in welchen sie in begrenzender und behindernder Form Machtausübung erleben. Genauso wie Bedürfnisse durch die Zugehörigkeit zu gewaltbereiten Gruppierungen befriedigt werden, können dadurch auch Bedürfnisse verletzt werden. Bei Zusammenstössen von militanten Linksautonomen mit der Polizei oder mit rechtsextremen Gruppierungen wird das Bedürfnis nach physischer Integrität verletzt. Gummischrott und Tränengas sind gefährlich und schädlich für den Organismus und nicht selten kommt es an Demonstrationen zu Verletzten. An Ausschreitungen bei Demonstrationen wird auch das Kontroll- und Kompetenzbedürfnis verletzt. Die Polizei ist schlussendlich durch ihre Anzahl und den zur Verfügung stehenden Mitteln immer stärker und jugendliche Linksautonome erfahren dadurch zuletzt immer einen Kontroll- und Kompetenzverlust. Militante Linksautonome erleben in ihrem latenten Politikverständnis die Welt und ihre Gesellschaft als ungerecht und sind unter anderem aus diesem Grund zu dieser Subkultur gestossen. In dieser Zugehörigkeit erhoffen sie sich mehr Austauschgerechtigkeit und weniger hierarchische Strukturen. Durch diese Einstellung wird das Bedürfnis nach Gerechtigkeit klar verletzt. 5.2.3. Fazit Jugendliche durchlaufen eine Identitätsentwicklung. Durch die Mitgliedschaft in gewalttätigen Subkulturen wie jene der Hooligans, bzw. der militanten Linksautonomen, können sie eine Reihe von Bedürfnissen befriedigen. Die Mitglieder beider Subkulturen können durch ihre Mitgliedschaft die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Orientierung befriedigen. Durch die Gewaltausübung erleben die Jugendlichen Abwechslung und Stimulation. Der Zusammenhalt in der Gruppe verleiht ihnen Mut und die Akteure versuchen sich durch die Gewaltausübung zu profilieren. Dadurch erhalten sie von anderen Mitgliedern soziale Anerkennung und ihre Bedürfnisse nach Autonomie, nach Kompetenz und Unverwechselbarkeit werden befriedigt. Durch die Zusammenstösse mit der Polizei kann das Bedürfnis nach physischer Unversehrtheit verletzt werden, welches zu den unelastischen Bedürfnissen zählt und schwerwiegende Folgen bezüglich der Zukunftsplanung der Jugendlichen haben kann. Bei einer Verhaftung können viele Bedürfnisse verletzt werden, von welchen die Jugendlichen ursprünglich hofften, sie in der Subkultur befriedigen zu können. Die Mitgliedschaft in einer Subkultur kann die Jugendlichen beim Ablösungsprozess der Familie unterstützen, da in Peergroups viel grössere Selbstverwirklichungschancen bestehen als in normalen Verwaltungsstrukturen. Bezüglich der Bedürfnisbefriedigung können bei beiden Subkulturen keine relevanten Unterschiede gemacht werden. Akteure beider Subkulturen können durch die Mitgliedschaft bei den Hooligans und den militanten Linksautonomen für das Jugendalter typische Bedürfnisse befriedigen. Theorie anomischer Spannungen 49 6. Theorie anomischer Spannungen42 Die Theorie struktureller und anomischer Spannungen nach Obrecht ist eine mehrniveaunale Erklärungstheorie. Sie wird an dieser Stelle eingeführt, um die Subkulturen der Hooligans und der militanten Linksautonomen bezüglich ihrer anomischen Spannungen zu vergleichen. Im Fazit soll aufgezeigt werden, welche Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede bezüglich anomischer Spannungen und der Strategien zur Bewältigung dieser Spannungen in den beiden Subkulturen existieren. 6.1. Einführung Menschliche Sozialsysteme sind dichte und stabile Interaktionsfelder selbstwissensfähiger Biosysteme (Menschen). Es sind Systeme, die eine Reihe von Komponenten involvieren, zwischen denen ein Netz von Beziehungen besteht. Die Komponenten dieser Sozialen Systeme, also die Menschen, sind der Schichtung dieses Systems ausgesetzt. Unter Schichtung versteht Obrecht „die ungleiche Verteilung eines relevanten Gutes unter den Mitgliedern eines sozialen Systems“. In jedem Sozialsystem gibt es verschiedene Statussubsysteme. So sind die wichtigsten Statussubsysteme in unserer modernen Gesellschaft die Ausbildung, das Einkommen und die berufliche Stellung. Nicht alle Individuen einer Bevölkerung sind von diesen Statussubsystemen gleich betroffen. So sind Kinder beispielsweise noch nicht in der Arbeitswelt integriert oder Pensionierte sind bereits aus der Arbeitswelt ausgetreten. In der folgenden Grafik sind die Statuslinien und Statuskonfigurationen schematisch dargestellt. Sie soll die Einführung dieser Bezeichnungen erleichtern. Bildung Beschäftigung Einkommen Abbildung 4, Übersicht Statuslinien & Statuskonfiguration Jedes Statussubsystem besteht aus einer Statuslinie, welche alle möglichen vertikalen Positionen innerhalb dieses Systems beinhaltet. In der obenstehenden Grafik sind die Statuslinien rot eingezeichnet. So kann beispielsweise die linke 42 Nach Obrecht (1998). Theorie anomischer Spannungen 50 Linie für den Status „Bildung“ stehen, die mittlere für den Status „Beschäftigung“ und die rechte für den Status „Einkommen“. Nehmen wir als soziales System nun eine Fangruppe. Jede Person befindet sich auf den verschiedenen Statuslinien auf einer anderen Position. So hat das Mitglied eins eine gute Bildung, einen guten Job und ein gutes Einkommen. Mitglied zwei jedoch ist schlechter gebildet, hat sich mit den Jahren aber nach oben gearbeitet und mittlerweile einen guten Job mit mittlerer Entlöhnung. Mitglied drei hat eine gute Bildung, ist jedoch arbeitslos, womit die Position auf der Statuslinie der Beschäftigung wegfällt. Da die Person vom Sozialamt unterstützt wird, hat sie nur ein kleines Einkommen. In jedem sozialen System bilden sich mehrere Statussubsysteme, die in einer Beziehung miteinander stehen. Die Menge der Statuspositionen, die ein Mitglied eines Systems einnimmt, nennt man Statuskonfiguration. In der Grafik sind die Statuskonfigurationen durch die grünen und blauen Linien dargestellt. Die blauen Linien bezeichnen Positionen, welche im Statusgleichgewicht sind, also Individuen, welche in allen drei Statussubsystemen auf einem durchwegs hohen, bzw. mittleren oder tiefen Niveau stehen. Menschen, welche beispielsweise eine gute Bildung, jedoch einen schlechten Job mit schlechter Entlöhnung haben, befinden sich in einem Statusungleichgewicht. Die obere der beiden grünen Linien stellt eine solche Statuskonfiguration dar. Dann gibt es auch Individuen, welche nicht auf jeder Statuslinie eine Position innehaben. Dies könnten zum Beispiel Personen ohne Bildung oder Erwerbslose sein. Bei ihnen sind eine oder mehrere Positionen einer Konfiguration nicht besetzt, also spricht man von einer Statusunvollständigkeit. In der Grafik ist eine Statusunvollständigkeit durch die untere grüne Linie dargestellt. Jede Abweichung einer vollständigen und gleichwertigen Konfiguration auf hohem Rang führt zu einer bestimmten Form von Spannung beim betroffenen Individuum. Die Abweichungen in der Konfiguration nennt man strukturelle Spannungen. In unserer modernen Gesellschaft sind drei strukturelle Spannungen von Bedeutung: Abweichung vom höchsten Rang Statusungleichgewicht Statusunvollständigkeit Die Spannung, welche das Individuum aufgrund der Abweichung von der Norm erfährt, nennt man anomische Spannungen. Dies sind: Rangspannung Ungleichgewichtsspannung Unvollständigkeitsspannung Anomische Spannungen sind Spannungen im Organismus des Akteurs als Antwort auf seine gespannte strukturelle Lage. Eine solche Spannung besteht in der Diskrepanz zwischen Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten. Die verschiedenen strukturellen Spannungen haben jeweils besondere Formen von anomischen Spannungen zur Folge. Je grösser beispielsweise das Statusungleichgewicht ist, desto grösser ist die vom Individuum erfahrene Ungleichgewichtsspannung. Ein Individuum, welches beispielsweise unter einer Rangspannung leidet, fühlt sich in der Gesellschaft nicht genügend anerkannt. Das Individuum hat dann ein Problem, wenn ein bestimmtes Ziel (zum Beispiel mehr Lohn für die Arbeit zu bekommen) mit dem ihm zu Verfügung stehenden Mittel Theorie anomischer Spannungen 51 nicht gelöst werden kann. Solche Situationen sind dann oft mit Gefühlen der Ohnmacht verbunden. Dass ein Individuum eine strukturelle Spannung subjektiv erfährt und damit eine anomische Spannung erlebt, setzt voraus, dass die Werte, welche den Statuslinien zugrunde liegen für die Person auch verbindlich sind. So kann kein Individuum an einer Unvollständigkeitsspannung leiden, welchem es absolut nicht wichtig ist, einen Job zu haben. Voraussetzung für eine anomische Spannung ist also die Identifikation mit den Werten der Gesellschaft. Es gibt verschiedene Strategien anomische Spannungen abzubauen, wobei nicht alle zur Lösung derselben strukturellen Problematik geeignet sind:43 Ablehnung des Wertes: Soziale Isolation Individuelle vertikale Mobilität: Kollektive vertikale Mobilität Migration oder geografische Mobilität Delinquenz (Chronische) Krankheit 6.2. Anwendung Zur Anwendung der Theorie struktureller und anomischer Spannungen nach Obrecht werden bezüglich der beiden Subkulturen folgende Fragen beantwortet: Welche Statussubsysteme sind in der Subkultur wichtig? Welche Aussage kann über die Mitglieder der Subkulturen gemacht werden bezüglich Bildung, Beschäftigung und Einkommen? Welchen anomischen Spannungen sind die Mitglieder der Subkultur ausgesetzt? Welche Strategien haben sie, diese zu bewältigen? Nach der Beantwortung der aufgeführten Fragen werden in einem Fazit Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen der Subkultur der Hooligans und jener der Linksautonomen, bezüglich Status der Mitglieder der Subkultur und des Vorhandensein ihrer anomischen Spannungen, aufgezeigt. 6.2.1. Subkultur der Hooligans In der heutigen, modernen Gesellschaft sind es die Statussubsysteme Bildung, Beschäftigung und Einkommen, welche den höchsten Wert haben. Die Mitglieder der Subkultur der Hooligans befinden sich nach Aussage der Kantonspolizei auf einer tiefen Statuslinie. Die meisten haben einen tiefen Bildungsstatus, woraus tendenziell eher schlecht bezahlte Beschäftigungen resultieren. Vielen Hooligans können ihre Berufswahl dementsprechend nicht frei zu gestalten, was eine Diskrepanz von Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung und damit eine Rangspannung 43 Vgl. zu den anomischen Spannungen die Beispiele im Anhang auf Seite IX. Theorie anomischer Spannungen 52 zur Folge haben kann. Eine Beschäftigung und damit ein Einkommen zu haben könnte notwendig sein um die Eintrittspreise für die Fussballspiele, sowie die dazugehörige Bekleidung und andere Lebensstandards finanzieren zu können. Den Hooligans ist es wichtig, körperlich gesund und mobil zu sein, damit sie bei den Spielen dabei sein können und bei gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht „den Kürzeren ziehen“. Gemäss Aussagen der Kantonspolizei haben Hooligans bezüglich Bildung, Beschäftigung und Einkommen nur eines gemeinsam: Die meisten der gewaltbereiten jugendlichen Fans hat eine eher schlechte Schulbildung. Dies ist an ihren niveaulosen Sprechgesängen und den zum Teil diskriminierenden Transparenten zu sehen. Nicht selten werden Aussagen wie: „Schiri, du schwule Sau“ gemacht. Eine bessere Bildung ist eher bei den wenigen Führungspersonen zu finden, welche sich raffiniert in Szene setzen können und für die Polizei schwer zu belangen sind. Bezüglich Beschäftigung und Einkommen kann über diese Subkultur keine einheitliche Aussage gemacht werden, wobei bekannt ist, dass die Hooligans tendenziell handwerkliche Berufe erlernen. Ausgehend von ihrer schlechten Bildung kann eine eher tiefe Statuskonfiguration angenommen werden. Die Akteure der Hooligans leiden daher am ehesten unter Rangspannungen. Sie befinden sich bezüglich Bildung, daraus abgeleitet auch bezüglich Beschäftigung und Einkommen, auf einem tieferen Rang als ein Grossteil der Bevölkerung. Konkrete Strategien, diese Spannungen abzubauen sind uns nicht konkret bekannt. Die Ablehnung des Wertes „situationsadäquates Verhalten“ und die Delinquenz in Form von Gewaltausübung gehören zu den „beliebtesten“ Strategien der Hooligans, um diese Rangspannungen abzubauen. An Fussballspielen können sie durch Pöbeleien und Zusammenstössen mit der Polizei angestaute Wutgefühle abladen, womit sie durch situationsinadäquates Verhalten auffallen. 6.2.2. Subkultur der militanten Linksautonomen Militante Linksautonome entstammen gemäss der quantitativen und qualitativen Untersuchung zum 1. Mai des Pädagogischen Instituts Zürich (2003) der Mittelund Oberschicht. Realschulabschlüsse sind am häufigsten vertreten, es gibt aber auch Gymnasiasten und Studenten unter den Akteuren. Dies bedeutet für die Stautssubsysteme Bildung, Beschäftigung und Einkommen eine durchschnittliche bis hohe Statuskonfiguration. Es mag sein, dass bei Schülern und Lehrlingen ein Statusungleichgewicht oder gar eine Statusunvollständigkeit besteht, da sie sich noch in Ausbildung oder Schule befinden. Demnach ist das Statussubsystem Bildung zwar hoch, das Einkommen aber vorerst noch tief. Bei Schülern ist zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt kein Erwerb möglich. Da militante Linksautonome hinsichtlich ihrer Berufsperspektive mehrheitlich positiv eingestellt sind (vgl. Quantitative und qualitative Untersuchung zum 1. Mai, 2003), ist dieses Statusungleichgewicht oder Statusunvollständigkeit nur ein vorübergehender Zustand. Aus dieser mittleren bis hohen Statuskonfiguration und einem Statusgleichgewicht kann von keinen bis geringen strukturellen Spannungen ausgegangen werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass militante Linksautonome Bedürfnisse und Bedürfnisbefriedigung miteinander in Einklang bringen können und dementsprechend wenig oder gar keine anomischen Spannungen erleben. Für die politisch orientierten Individuen bei den militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks können jedoch anomische Spannungen auf Grund der strukturellen Lage des politischen und ökonomischen Systems unserer Gesellschaft entstehen. Die Ideologie des Linksextremismus lehnt das bestehende politische System des Kapitalismus ab. Demnach erfahren Akteure der militanten Linksautonomen, welche politisch interessiert sind oder der Tendenz nach politisch sen- Theorie anomischer Spannungen 53 sibilisiert sind, durch ihre linksextreme Einstellung anomische Spannungen, welche als Folge unserer kapitalistischen Gesellschaftsform resultieren. Diese Form von anomischer Spannung ist jedoch in einem übertragenen Sinn zu verstehen, da die Diskrepanz von Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung nicht direkt mit der persönlichen, in einem organischen Sinn verstandenen, strukturellen Spannung zusammenhängt, sondern in einem ideologischen Sinne erfolgt. Eine Strategie, diese ideologischen anomischen Spannungen zu bewältigen, ist der „revolutionäre“ Kampf auf der Strasse. Demnach werden am 1. Mai Sachbeschädigungen verübt und Polizisten tätlich attackiert und dadurch versucht, die bestehende Gesellschaftsordnung zu verändern. 6.2.3. Fazit Werden die beiden Subkulturen unter dem Blickwinkel der Theorie struktureller und anomischer Spannungen verglichen, zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Akteuren der Hooligans und militanten Linksautonomen. Militante Linksautonome weisen auf allen Statussubsystemen eine mittlere bis hohe Statuskonfiguration auf. Dies bedeutet, dass Mitglieder militanter Linkautonomen der Tendenz nach weniger unter Rangspannungen leiden als Hooligans und demzufolge mangels struktureller Spannungen weniger anomische Spannungen erfahren. Hooligans hingegen haben, ausgehend von einem niederen Statussubsystem Bildung, eine tiefe Statuskonfiguration und leiden den theoretischen Grundlagen zufolge eher an strukturellen und anomischen Spannungen. Was diese Unterschiede in der Statuskonfiguration sowie struktureller und anomischer Spannungen im Bezug auf die Gewaltausübung von Akteuren der Hooligans oder militanten Linskautonomen bedeutet, ist im Hinblick auf die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit interessant und soll hier näher erläutert werden. Aus Untersuchungen von amtlich registrierter Gewalt ist bekannt, dass unter jenen Tätern, die polizeilich oder gerichtlich bekannt werden, Personen mit tiefer Schulbildung und geringem sozialen Status deutlich überrepräsentiert sind (vgl. Eisner, 1997, Tittle und Mierer, 1990, in Eisner, 2000). Der Befragung der Studie zu Folge sind Gewalthandlungen im Sinne körperlicher Aggression ausserordentlich stark mit einem geringen Bildungsstatus der Jugendlichen verknüpft. Auf die Subkultur der Hooligans trifft das Problem des niederen Bildungsstatus zu und entsprechende Gewaltakte lassen sich demnach als Strategien zur Lösung von anomischen Spannungen erklären. Anhand der Beschreibung der SDF (vgl. Kapitel 3) und dem daraus entstandenen Vergleich zwischen den beiden Subkulturen hat sich ergeben, dass Hooligans und militante Linksautonome eine ähnliche Art in der Gewaltausübung (Sachbeschädigungen, Gewalt gegen Polizei und Gegner) haben und ein gleich hohes Gewaltpotenzial aufweisen. Bei den Hooligans lassen sich die Gewaltakte wie bereits erwähnt anhand der Theorie struktureller und anomischen Spannungen erklären. Militante Linksautonome hingegen leiden dank ihrer mittleren bis höheren Statuskonfiguration viel weniger bis gar nicht an anomischen Spannungen. Diese Erkenntnis lässt darauf schliessen, dass nicht nur eine tiefe Statuskonfiguration Gewalt als Strategie für den Abbau von anomischen Spannungen zur Folge hat, sondern dass Gründe für Gewaltausübung jugendlicher Akteure differenzierter gesucht und erklärt werden müssen. Weitere Gründe zum Problem der Gewaltausübung von Jugendlichen liefert die Studie über Gewalterfahrungen von Jugendlichen von Eisner; Manzoni & Ribeaud (2000). Die Studie hat ergeben, dass Jugendliche mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für aktives Gewalthandeln sich durch eine spezifische Persönlichkeitsstruktur Theorie anomischer Spannungen 54 auszeichnen, zu der eine hohe Risikobereitschaft und Impulsivität, ein geringes Ausmass von Empathie sowie eine starke Tendenz gehören, in Konflikten in einer aggressiven und Eskalation begünstigender Weise zu reagieren. Untersuchungen zeigen, dass solche Merkmale bereits in der Kindheit festgestellt werden können. Dies bedeutet wiederum, dass auch der soziale Status und der Erziehungsstil der Eltern (primäre Sozialisation) ein Risiko für Gewaltausübung darstellen. Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass gewalttätige Jugendliche überdurchschnittlich häufig in Jugendsubkulturen eingebunden sind, in denen ein hohes Mass an Gewaltakzeptanz besteht. Ihr Lebens- und Freizeitstil ist durch eine hohe „Actionorientierung“ gekennzeichnet. Dieser Punkt trifft auf Hooligans und militante Linksautonome gleichermassen zu. Hier müsste demnach der Ansatzpunkt zur Erklärung der Gewaltausübung von Akteuren der militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks liegen sowie weitere Erklärungen zum Problem der Hooligangewalt. Dazu werden im Kapitel 7 zwei Risikotheorien eingeführt, welche der Persönlichkeitsstruktur, der Risikobereitschaft und der „Actionorientierung“ innerhalb der Gruppe (Subkultur) Rechnung tragen. Risikotheorien 55 7. Risikotheorien Im folgenden Kapitel wird anhand verschiedener sozialpsychologischen Risikotheorien die Ausübung von Gewalt an öffentlichen Grossanlässen von Hooligans und Linksautonomen erklärt. In der Anwendung werden die Theorien des persönlichkeitspsychologischen Konzept des Sensation Seeking nach Zuckerman, sowie die Theorie des gruppenpsychologischen Modells riskanten Verhaltens am Beispiel gewaltaffinen Risikoverhaltens nach Thomas auf die Subkulturen der Hooligans, bzw. der militanten Linksautonomen angewendet. Charakteristisch für die Lebensphase Jugend ist die Suche und Entwicklung einer eigenen Identität. Das Austesten eigener Handlungskompetenzen auf der einen Seite und des von der Gemeinschaft `noch` Gebilligten auf der anderen Seite sind ein gewichtiger Hintergrund dafür, dass das Verhalten von Jugendlichen risiko- bzw. problembehaftet ist. Das Jugendalter ist Einstiegspunkt und Höhepunkt für verschiedenste Formen des Risiko- bzw. Problemverhaltens. Der Risikobegriff Der Begriff des Risikos ist ein alltagssprachliches und zugleich ein wissenschaftliches Wort, in dem vor allem die Wahrscheinlichkeit eines Schadens / Verlustes und das Ausmass der unerwünschten Konsequenzen zum Tragen kommen (vgl. Rohmann, 1990, in Raithel, 2004). Dennoch sind Risiken im Gegensatz zu Gefahren nicht prinzipiell negativ bewertet, denn Risiken bergen nebst der Gefahr auch Chancen. Risiken stellen bewusste Wagnisse dar, für dessen Folgen die Handelnden Subjekte gerade stehen müssen (vgl. Bonss, 1991, in Raithel, 2004). Risikoverhalten „Risikoverhalten gilt im Weiteren als ein unsicherheitsbezogenes Verhalten, das potenziell zu einer Schädigung führen kann und somit einer produktiven Entwicklung- in Bezug auf die Entwicklungsziele Individuation und Integration- entgegenwirken kann“ (vgl. Raithel 2004, S. 27). Raithel (2004) unterscheidet in vier Risikoverhaltenstypen: Gesundheitliches Risikoverhalten Ernährung, Strassenverkehr, Gewalt, Drogen, Mutproben, Sexualität, Sport Delinquentes Risikoverhalten Strassenverkehr, Drogen, Gewalt, Eigentumskriminalität, Mutproben Finanzielles Risikoverhalten Warenkonsum, Glücksspiel, Verschuldung, Verpfändung Ökologisches Risikoverhalten Verschmutzung, Zerstörung wie Strassenverkehr, Freizeitsport, Müllentsorgung Risikotheorien 56 Aus den aufgeführten Verhaltensbereichen wird deutlich, dass viele Risikoverhaltensweisen unterschiedliche und somit mehrfache Risiken in sich bergen. Eine weitere Unterscheidung von Risikoverhaltensweisen besteht im substanzbezogenen Risikoverhalten (risk behavior) und den explizit risiko- konnotativen Aktivitäten44, dem risk- taking behavior (vgl. Jessor, 2001, in Raithel, 2004). In der vorliegenden Arbeit interessiert vor allem das delinquente „gewaltaffine, risk-taking behavior Risikoverhalten“ bei Jugendlichen, da militante Linksautonome und Hooligans durch ihre Handlungen deutlich in diese Kategorien einzuteilen sind. 7.1. Einführung in die Theorie des Sensation Seeking Mit dem Konstrukt Sensation Seeking hat der Psychologe Marvin Zuckerman zu Beginn von 1996 die Suche nach dem „Kick“ und „Thrill“ erstmals beschrieben. Mittlerweile ist daraus eine biopsychologische, mehrniveaunale Theorie entstanden (vgl. zum Überblick Zuckerman 1979; 1994; Ruch/Zuckerman, 2001). Sensation Seeking wird dabei als Persönlichkeitsmerkmal aufgefasst bzw. als eine Verhaltensdisposition definiert, die durch ein individuell variierendes Bedürfnis (Motiv) und Streben nach neuen, abwechslungsreichen und intensiven Sinneseindrücken und Erfahrungen gekennzeichnet ist. Die aktive Suche (Motivation) nach solchen Eindrücken und Erfahrungen geht dabei mit der prinzipiellen Bereitschaft einher, Risiken aller Art in Kauf zu nehmen. So finden sich Ausdrücke des Sensation Seeking nicht nur in verschiedenen Arten des risk-taking behaviors, wie Fahrverhalten, Glücksspiel, Gesundheit, finanzielle Aktivitäten, Alkoholund Drogenkonsum, Sexualverhalten und Sport, sondern auch in der Berufswahl, Jobzufriedenheit, sozialem Verhalten in Beziehungen vor der Ehe und während der Ehe, Essverhalten, Kreativität, Humor, Fantasie, Medien- und Kunstpräferenzen und sozialen Einstellungen. Dies hat die Funktion, einen als aversiv erlebten Zustand der Langeweile in einen positiv erfahrenen Zustand der Wachheit und Anspannung zu überführen. Dies ist dann gewährleistet, wenn eine für das jeweilige Individuum optimale sensorische Stimulation sowie ein optimaler Informationsstrom erfolgen. In Zuckermans Theorie werden die Bereiche Genetik, Neurologie, Biochemie und Physiologie als neurobiologische Grundlagen für „übergeordnete“ psychologische Prozesse wie beispielsweise soziales Verhalten, verstanden (vgl. Zuckerman, 1994, in Raithel, 2004). Besonders hervorzuheben ist dabei die neurochemische Ebene, denn Zuckermans Modell basiert auf den Einflüssen der individuellen Unterschiede von Neurotransmittern, Enzymen und Hormonen. Das Konzept Sensation Seeking untergliedert sich anhand des psychometrischen Instruments der Sensation Seeking Scale in vier Faktoren: Thrill and Adventure Seeking (Gefahr- und Abenteuersuche) Experience Seeking (Erfahrungssuche) Disinhibition (Enthemmung) Boredom Susceptibility (Empfänglichkeit für Langeweile) Der erste Faktor Thrill and Adventure Seeking beschreibt die Tendenz, sportliche und andere Aktivitäten durchzuführen, die Gefahr oder Geschwindigkeit beinhalten. Der zweite Faktor, Experience Seeking bezeichnet und beschreibt die Suche 44 Mutproben, Schlägereien, Gewalt gegen Dritte und Sachbeschädigung. Risikotheorien 57 von Erfahrungen durch nonkonformistische Verhaltensweisen wie beispielsweise übermässiger Alkohol- oder Drogenkonsum. Der dritte Faktor Disinhibition erfasst die Tendenz zu sozial und sexuell enthemmtem Verhalten und der letzte Faktor Boredom Susceptibility charakterisiert eine Abneigung gegenüber Wiederholungen und Routine. Zuckerman (1969, in Raithel, 2004) formulierte schon früh die Annahme, dass Sensation Seeking entwicklungsbezogenen Veränderungen unterliege, wobei er eine stetige Abnahme im Verlauf des Erwachsenenalters feststellte und ebenso, dass geschlechtsspezifische Unterschiede mit höheren Werten auf Seiten der Männer bestehen. 7.1.1. Anwendung der Theorie des Sensation Seeking Zur Anwendung des persönlichkeitspsychologischen Konzepts Sensation Seeking von Zuckerman werden bezüglich der beiden Subkulturen folgende Fragen beantwortet: Wie ist die Verknüpfung / der Zusammenhang der Lebensphase Jugend (Pubertät, Hormonumstellung) und der auf biochemischen Elementen basierenden Theorie von Zuckerman? Wie verhält es sich mit den vier Faktoren des Sensation Seeking Konzepts in den Subkulturen? Nach der Beantwortung der aufgeführten Fragen werden in einem Fazit die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Subkultur der Hooligans und jenen der Linksautonomen bezüglich Risikobereitschaft und Risikoverhaltensweisen aufgezeigt. 7.1.1.1. Subkultur der Hooligans Jugendliche tendieren durch verschiedene altersspezifische neurobiologische Prozesse zu riskantem Verhalten. Sie erleben starke hormonelle Veränderungen und sind auf der Suche nach einer eigenen Identität. Die vier Faktoren des Sensation Seeking Konzepts sind bei den Hooligans deutlich festzustellen: Thrill and Adventure Seeking (Gefahr- und Abenteuersuche) Die Jugendlichen besuchen die Fussballspiele einerseits aus Empathie zu ihrem Lieblingsclub, andererseits sind sie auf der Suche nach Abenteuer und „Action“. Ihr provokantes Verhalten gegenüber der Polizei oder anderen Fans ist darauf auszulegen, dass die Akteure an ihre Grenzen gehen wollen und es lieben, den Adrenalinspiegel in die Höhe zu jagen. Auch Sachbeschädigungen werden aus diesem Grunde begangen: Die Jugendlichen beschädigen Fahrzeuge und Gebäude im öffentlichen Raum, wobei die Gegenstände einerseits als Ventil benutzt werden um angestaute Wut und Spannungen abzubauen, andererseits spielt auch der „Kick“ eine grosse Rolle, von der Polizei gesehen und verfolgt zu werden. Experience Seeking (Erfahrungssuche) Durch ihre Mitgliedschaft bei den Hooligans und den damit verbundenen Gewalttaten machen die Jugendlichen verschiedene Erfahrungen. Zum einen lernen Risikotheorien 58 sie ihre Grenzen und Fähigkeiten bezüglich Kraft und Mut kennen, zum anderen kommen sie mit der Polizei als Staatsmacht in Berührung und erleben beispielsweise die Situation einer Verhaftung oder Verfolgung. Nach Aussagen der Stadtpolizei Zürich sind die jugendlichen Randalierer in einer Einzelsituation (zum Beispiel bei der Befragung nach einer Verhaftung) „lammfromm“. Oft ist in solchen Situationen nicht mehr viel vom vorherigen Enthusiasmus zu spüren, wobei auch eine solche Situation für Jugendliche eine Erfahrung ist. Sie merken, wie wichtig die Gruppe ist und sehen einige Situationen nach dem Kontakt mit der Polizei aus einem anderen Blickwinkel als vorher. Disinhibition (Enthemmung) Das Gruppengefühl in Kombination mit beträchtlichem Alkoholkonsum führt bei jugendlichen Hooligans klar zu enthemmten Verhalten. Wie bereits erwähnt, fühlen sie sich in der Gruppe viel stärker als alleine und beteiligen sich bei Fussballspielen an Situationen (Sprechgesänge, Schlägereien, Sachbeschädigungen etc.), welchen sie im Alltag vielleicht sogar aus dem Weg gehen würden. Boredom Susceptibility (Empfänglichkeit für Langeweile) Die Langeweile ist bei den Jugendlichen sehr verbreitet. Oft wissen sie neben ihrem Schul- oder Arbeitsalltag nichts mit ihrer Zeit anzufangen, wodurch sie empfänglich werden für Gelegenheiten, diese Langeweile durch action-geladene Tätigkeiten zu durchbrechen. Die Fussballspiele und die nachfolgenden Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans und/oder der Polizei bieten den Jugendlichen Abwechslung. Ihr sonst angepasster und mit Normen und Regeln behafteter Alltag wird durch ihre Mitgliedschaft bei den Hooligans durchbrochen. Bei den Hooligans kann das Sensations Seeking mit ihrem Alter in Bezug gebracht werden. Die Hooligans befinden sich fast ausschliesslich im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, in der Zeit der Selbstfindung und dem Drang nach Selbstbestätigung. Ältere Individuen sind bei den B-Fans kaum zu finden, da das Verhalten der BFans dem typisch jugendlichen Gehabe zuzuordnen ist. 7.1.1.2. Subkultur der militanten Linksautonomen In Zuckermans Theorie bilden die neurobiologischen Prozesse die Grundlagen für soziales Verhalten und die Persönlichkeitsstruktur von Individuen. Gerade die Lebensphase Jugend ist gekennzeichnet durch grosse neurobiologische Prozesse, wie beispielsweise hormonale Veränderungen. Jugendliche erleben in der Pubertät richtige „Hormonschübe“, männliche Jugendliche weisen zudem einen erhöhten Testosteronspiegel auf. Diese hormonalen Veränderungen, die Suche nach einer eigenen Identität und dem Ausprobieren neuer Handlungskompetenzen stehen im engen Zusammenhang mit erhöhter Risikobereitschaft. Nie öfters als in der Lebensphase Jugend werden so viele Risiken eingegangen, bzw. bewusst in Kauf genommen. Risikotheorien 59 Die vier Faktoren des Sensation Seeking Konzepts sind bei den militanten Linksautonomen deutlich festzustellen: Thrill and Adventure Seeking (Gefahr- und Abenteuersuche) Das Teilnehmen an unbewilligten Nachdemonstrationen birgt von sich aus die Gefahr, in eskalierende Situationen zu kommen. Um Ausschreitungen zu provozieren, suchen die militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks aktiv nach Risiken. Sie vermummen sich und verstossen dadurch gegen das Vermummungsgesetz, sie werfen Farbbeutel gegen Banken und Geschäfte oder werfen Pflastersteine. Dieses gesetzwidrige und provokante Verhalten ruft wiederum die Polizei auf den Plan und es kommt zu Action geladenen und riskanten Auseinandersetzungen mit Wasserwerfern und Tränengas. Es wird seitens der Demonstranten ein hohes physisches Risiko (Verletzung der physischen Integrität) sowie das Risiko verhaftet zu werden oder Geldbussen zu zahlen, eingegangen. An jedem 1. Mai geht es darum, die Polizei in ein Katz- und Mausspiel zu verwickeln. Dazu werden geheime Treffen mit verschlüsselten Einladungen (meist auf Flyern) organisiert, geheime Versammlungsorte für die unbewilligte Nachdemonstration werden vereinbart und am Tag des Geschehens geht es darum, Sinneseindrücke und Erfahrungen in Ausschreitungen gegen die Polizei zu sammeln. Militante Linksautonome suchen an entsprechenden politischen Grossanlässen bewusst und aktiv nach Gefahren und Abenteuern. Experience Seeking (Erfahrungssuche) Im Kampf gegen die Polizei als Vertreterin des Staatsmonopols bedienen sich die militanten Linksautonomen des nonkonformistischen Mittels der Gewalt. Durch ihre hohe Bereitschaft zur Gewalt gegen Polizisten, Rechtsextreme und dem Beschädigen von fremdem Eigentum, verstossen sie mit ihren Handlungen gegen Regeln und Normen der Gesellschaft und machen sich dadurch strafbar. Erfahrungen mit eigenen körperlichen Grenzen, mit eigenen psychischen Zuständen wie Angst oder unbändiger Wut und schlussendlich Erfahrungen mit der Polizei und der Justiz werden gemacht. „Auch eine Festnahme ist aufregend und man ist um eine Erfahrung reicher“, so sagt ein militanter Linksautonomer in einem Interview (vgl. www.ethlife.ethz.ch). Gemäss Andreas Widmer, Sicherheitsdienst Stadtpolizei Zürich, spielt Alkohol bei Ausschreitungen ebenfalls eine grosse Rolle. Alkoholkonsum erfolgt bei militanten Linksautonomen individuell vor und während den Demonstrationen. Die Folgen davon sind herabgesetzte Hemmschwellen, gesteigerte Risikobereitschaft und grössere Aggressionen. Vor allem Polizisten sind mit dem durch Alkohol verursachten unberechenbaren Verhalten konfrontiert. Disinhibition (Enthemmung) Eskalierende Gewalt kann als ein sozial enthemmtes Verhalten bezeichnet werden, welches in Kombination mit Alkohol, der aufgeheizten Stimmung durch die Gruppe und den Anlass selbst (Beispiel 1. Mai) erfolgen kann. An unbewilligten Nachdemonstrationen gab es in einigen Jahren kriegsähnliche Zustände in Zürich, hervorgerufen durch die Enthemmung und eskalierende Gewalt. Boredom Susceptibility (Empfänglichkeit für Langeweile) Unbewilligte Nachdemonstrationen sind gekennzeichnet durch intensive Sinneseindrücke, durch abwechslungsreiche und sich immer wieder ändernde Situationen und ein hohes Mass an „Action“ und Risikopotenzial. In einer Welt, die für viele Jugendliche durch gegebene Strukturen starr und vorbestimmt ist (Erwerb, Schule, Ausbildung, tägliche Routine), sowie fehlende Ideale, um sich gegen die Risikotheorien 60 Erwachsenen abgrenzen zu können, kann eine Empfänglichkeit für Langeweile aufkommen. Professor Eisner erklärt diesen Mechanismus wie folgt: „Wo soll denn die Jugend heute noch neue Ideale finden, mit denen sie sich gegen die Erwachsenen abgrenzen können? In den 70er und 80er Jahren waren neue Lebensstile- ausgefallene Kleidung, lange oder farbige Haare, Piercings, Tattoos, Drogenkonsum (…) etwas, mit dem man die Erwachsenen ärgern konnte. Aber heute ist es schwierig geworden, vorherige Generation zu überholen. Für einige Jugendliche ist daher Gewalt zum einzig verbleibenden Mittel geworden, um die Erwachsenen zu reizen“ (vgl. Interview in www.ethlife.ethz.ch). Durch das hohe Action- und Risikopotenzial sind unbewilligte Demonstrationen für viele Jugendliche ein geeigneter Ort, sich Abwechslung vom Alltag zu verschaffen. Militante Linksautonome suchen über den Weg der Gewalt den „Kick“ und die Abwechslung, die sie im Alltag nie so extrem und aktiv erfahren können. Gleichzeitig gelingt es ihnen mit gewalttätigem und randalierendem Verhalten und Provokationen eine hohe mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Annahme, dass Sensation Seeking entwicklungsbezogenen Veränderungen unterliegt, kann in der Betrachtung der militanten Linksautonomen wiedererkannt werden. Die meisten Jugendlichen dieser Gruppierung befinden sich im Alter zwischen 15 bis 25 Jahren, also genau in der Zeit, in der die grössten biologischen Veränderungen von statten gehen. Ältere Personen der linksautonomen Szene sind vermehrt im Hintergrund und als Rädelsführer aktiv, wenn sie überhaupt noch mit dem extremen linken Gedankengut sympathisieren. Genauso verhält es sich mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden. Männer unterliegen durch die Bildung von Testosteron und anderen männlichen Hormonen unterschiedlichen hormonellen Veränderungen wie Frauen. Dadurch neigen sie prinzipiell mehr zu externalisierendem45 Problem- oder Risikoverhalten. Bei den militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks gibt es zwar Frauen, welche Gewalt ausüben, mehr als zwei Drittel sind jedoch junge Männer. 7.1.2. Fazit Bei Akteuren beider Subkulturen ist Zuckermans Konzept des Sensation Seeking deutlich festzustellen. Gefahr- und Abenteuersuche, Erfahrungssuche, Enthemmung und Empfänglichkeit für Langeweile sind alles Merkmale, welche Hooligans wie auch militante Linksautonome kennzeichnen. Eine hohe Risikobereitschaft und Gewalt als Mittel zur Provokation und Möglichkeit, sich Spass zu verschaffen, sind Mechanismen, welche in beiden Subkulturen deutlich zum Ausdruck kommen. Bei beiden Gruppierungen kann das Sensation Seeking mit der Lebensphase Jugend und den entsprechenden biologischen, neurologischen und hormonellen Veränderungen in Bezug gebracht werden. Durch das hohe Action- und Risikopotenzial sind Fussballspiele und unbewilligte Demonstrationen für viele Jugendliche ein geeigneter Ort, um sich Abwechslung vom Alltag und den nötigen „Kick“ zu verschaffen. Beide subkulturellen Gruppierungen suchen über den Weg der Gewalt den „Thrill“ und die Abwechslung, die sie im Alltag nie so extrem und aktiv erfahren können. Gleichzeitig gelingt es ihnen, mit gewalttätigem und randalierendem Verhalten zu provozieren und sich auf diesem Weg von den Erwachsenen und der Gesellschaft abzugrenzen. 45 Externalisierendes Verhalten bedeutet nach Aussen gerichtetes Verhalten mit der Tendenz zur Fremdschädigung (delinquentes Verhalten, aggressives Verhalten, missbräuchlicher Konsum von illegalen Substanzen) (vgl. Fend, 1990). Risikotheorien 61 Dabei spielt es gemäss unseren Erkenntnissen eine untergeordnete Rolle, ob nun Fussball oder Politik als Ausgangspunkt für Gewaltakte gilt. Vielmehr geht es Jugendlichen darum, aktiv Risiken einzugehen, sich in risikoreichen Situationen zu erproben und daraus eigene Handlungskompetenzen zu entwickeln. Dies ist an Fussballspielen und politischen Anlässen wie beispielsweise dem 1. Mai gleichermassen möglich. 7.2. Einführung in die Theorie des gewaltaffinen Risikoverhalten Die Erklärung des Risikoschub-Phänomens von Thomas (1992, in Raihtel, 2004) geht davon aus, dass ein Individuum versucht, bei seinen Entscheidungen dem jeweils aktuellsten sozialen Wert in einem möglichst hohen Mass zu entsprechen. Gruppenprozesse können dazu führen, dass sich das gemeinsame Verhalten der Gruppenmitglieder dem aktuellsten sozialen Wert weiter annähert und damit in vielen Fällen extremer ausfällt als es beim Einzelverhalten ausfallen würde. Dies ist vor allem in Gruppen der Fall, in denen Risikofreudigkeit einen hohen sozialen Wert darstellt. Die Gruppenmitglieder, die im Vergleich von dem aktuellsten Gruppen-Normwert abweichen, verändern ihr Verhalten Richtung diesem Normwert und dadurch fallen Gruppenentscheide und somit auch Gruppenverhalten risikofreudiger aus als das Durchschnittsniveau von Einzelpersonen. Dieser Effekt resultiert vor allem aus dem Konformitätsdruck46 innerhalb der Gruppe. In Jugendgruppen zeigt sich dieses Risikoschub-Phänomen besonders auffällig beim „gewaltaffinen Risikoverhalten“. Ulbrich-Herrmann und Claves (2001, in Raithel, 2004) entwarfen dazu ein beispielhaftes Prozessmodell, welches durch die Hooliganforschung entstanden ist. Tabelle 4: Prozess des gewaltaffinen Risikoverhaltens Einstimmen ↓ Erregung steigern ↓ Konfrontation ↓ Eskalation ↓ Nacherleben Die erste Phase „Einstimmen“ beginnt im Zusammenfinden der Gruppe. Indem über gruppenspezifische Interessen und gemeinsame Erlebnisse gesprochen und gruppentypisches Verhalten zelebriert wird, grenzt sich die Gruppe von der Umwelt ab. In der Phase des „Einstimmens“ wird ein Gruppengefühl geschaffen, einhergehend mit einer subjektiv wahrgenommenen Sicherheit, aber auch mit der Installierung gruppeneigener Werte und Sinnkonstruktionen (im Sinne der Subkulturtheorie). Wird eine mögliche Auseinandersetzung angekündigt, das heisst, findet sich die Möglichkeit, Gewalt in einem überschaubaren Rahmen auszuüben, kann die zweite Phase eingeleitet werden- am Beispiel der Hooligans durch Sprüche oder rhythmisches Klatschen. In der Phase „Konfrontation“ trifft die Gruppe oder Gruppenteile auf ihre Gegner. Dabei können die Gegner eine andere Gruppe, ein unfreiwilliges Opfer oder auch die Ordnungskräfte sein. Konfrontation bedeutet allerdings noch nicht Kampf, denn zu solch einem muss es nicht unbedingt kommen. Mit Konfrontation ist ge46 Druck, mit den anderen überein zu stimmen, das Gleichgerichtet sein des Verhaltens einer Person mit dem einer Gruppe (vgl. Fremdwörterduden, 1997). Risikotheorien 62 meint, dass die Gruppe auf einen Gegner trifft und a) die Gruppe vor dem Gegner flieht, b) es zum Kampf mit dem Gegner kommt oder c) es beim verbalen Schlagabtausch bleibt. Je nach Situation kommt es zu unterschiedlichen Verläufen nach der Phase „Konfrontation“. Es schliesst sich eine Eskalation oder häufig das Nacherleben der Konfrontation an. Mit „Eskalation“ ist nun aber nicht nur ein einfaches Handgemenge gemeint, sondern eine physische Auseinandersetzung oder Panik mit Schwerverletzten oder gar Toten. Dies kann eintreten, wenn der „Mob“ mit dem Ergebnis der Konfrontation unzufrieden ist (sich von der Polizei ungerecht behandelt fühlt), die Emotionen (insbesondere Wut und Angst) nicht kontrolliert werden und der „Mob“ in „Blutrausch“ gerät, oder selber unter Druck gesetzt wird und in Panik verfällt. Ist die Gruppe mit dem Ergebnis der Konfrontation zufrieden, das heisst ist sie zum Beispiel einem übermächtigen Gegner entkommen, hat sie sich von der Polizei vertreiben lassen und/oder den „Kampf“ (Konfrontation) gewonnen, so lässt sie den Kampfrausch und die Situation nachklingen und erzählt euphorisiert von ihren „Heldentaten“. Gewaltaffines Risikoverhalten dient in diesem Sinne als Beschäftigung und Mittel gegen Langeweile, gleichsam einem Spiel, welches Abwechslung verspricht. Es ermöglicht den Akteuren das Erleben von Nervenkitzel und „Kicks“, die als emotionale Grenzerfahrungen bezeichnet werden können. Gewaltaffines Risikoverhalten beinhaltet meist körperliche Anstrengung, z.B. bei einer Prügelei oder Flucht vor dem Gegner. Diese Aktivität bietet Gelegenheit zum Kräftemessen, Austoben und zum Erfahren körperlicher Grenzen. Diese erlebten emotionalen und körperlichen Grenzerfahrungen können sich auf das Selbstbild auswirken, in dem Fähigkeiten bewiesen werden. Auch die Unterwerfung und/oder Demütigung von Personen, verbunden mit dem Erleben von Macht und Stärke, kann den Akteur in seiner Überzeugung bestätigen, besser als andere zu sein. Sowohl die Bestätigung durch Grenzerfahrungen, die Bestätigung durch Unterwerfung als auch die Bestätigung durch Abgrenzung können einer rein subjektiven Bewertung den Jugendlichen unterliegen, aber auch durch die soziale Umwelt oder, wie in unserem Fall, durch gewaltaffine Peer-Groups verstärkt werden (vgl. UlbrichHerrmann/Claves, 2001, in Raithel, 2004). 7.2.1. Anwendung der Theorie des gewaltaffinen Risikoverhalten Zur Anwendung der Theorie des Gruppenpsychologischen Modells riskanten Verhaltens werden bezüglich der beiden Subkulturen folgende Fragen beantwortet: Wie kommt es zu einem Risikoschub-Phänomen innerhalb der Subkultur? Wie verläuft der Prozess des gewaltaffinen Risikoverhaltens (Tabelle 4) innerhalb der Subkultur? Welchen Stellenwert nimmt die Risikofreude innerhalb der Subkultur ein? Gibt es einen Konformitätsdruck innerhalb der Subkultur? Nach der Beantwortung der aufgeführten Fragen werden in einem Fazit die Gemeinsamkeiten sowie die Unterschiede zwischen der Subkultur der Hooligans und jener der Linksautonomen bezüglich des gewaltaffinen Risikoverhaltens aufgezeigt. 7.2.1.1. Subkultur der Hooligans Risikotheorien 63 Jugendliche suchen an und nach Fussballspielen das Risiko. Dies gibt ihnen den Kick, den sie im Alltag vermissen. Je nach Verlauf des Spiels lassen sich viele Hooligans gerne zu einer „übersteigerten Stimmung“ verleiten, welcher sich dann jene anschliessen, die an Fussballspielen als potentiell gewaltbereit eingestuft werden, bei welchen es aber nur zu Gewalttätigkeiten kommt, wenn der Gruppenprozess dementsprechend verläuft. Ein Risikoschubphänomen erfolgt insofern, als dass Hooligans durch den Zusammenhalt in der Gruppe zu viel mehr Gewalt tendieren als alleine. Kaum einer wirft alleine Steine gegen die Polizei, in der Gruppe lassen sich jedoch viele Akteure dazu verleiten. Da das Prozessmodell von Ulbrich-Hermann/Claves aus der Hooliganforschung stammt, lässt es sich sehr gut auf die jugendlichen Fans anwenden. Einstimmen Wenn man vor einem Fussballspiel mit dem 4-er Tram in Richtung Hardturm Stadion fährt, hört man die in den Vereinsfarben gekleideten Fans nur über ein Thema reden: Das bevorstehende Spiel. Sie malen sich aus, wie hoch man den Gegner heute schlagen wird, wobei bereits grosse Mengen an Alkohol konsumiert werden. Vor einem Fussballspiel versammeln sich die Hooligans vor dem Stadion. Oft ertönen die ersten Sprechgesänge schon lange vor dem Anpfiff. Gemeinsam bereiten sich die Hooligans auf das bevorstehende Spektakel vor, hissen ihre Transparente und konsumieren Bier. Erregung steigern Die Stimmung wird während dem Fussballspiel gesteigert und spitzt sich je nach Verlauf und Vorkommnissen zu. Der grösste Teil der B-Fans wird von der Polizei unter „potentielle Gewalttäter“ eingestuft. Je nach Situation auf dem Spielfeld oder in der Fankurve können sie zu einer gewalttätigen Masse werden. Empfinden die Fans einen Schiedsrichterentscheid als ungerecht oder verliert die geliebte Mannschaft in den letzten Minuten, beginnt die Stimmung in der Fankurve zu brodeln. Gegenstände fliegen aufs Spielfeld, der Übeltäter wird mit „Arschloch“ oder „schwuler Sau“ betitelt. Konfrontation Hat ein Vorkommnis die Wut der Fans auf sich gezogen, kann es nach dem Spiel zu einer Konfrontation kommen. Um ihre Wut abzubauen und „Action“ zu erfahren, provozieren die Hooligans teils in grösseren, teils in kleineren Gruppen, gegnerische Fans und die Polizei. Die Opfer werden mit Gegenständen beworfen und auf üble Art und Weise beschimpft. Eskalation Oft kommt es zu Schlägereien mit gegnerischen Fans und zu Angriffen gegen die Polizei. Die wehren sich ihrerseits mit Tränengas oder Gummigeschossen und nehmen Gewalttäter fest. Bei Sachbeschädigungen hat es die Polizei schwer, die Verantwortlichen zu erwischen, weil sie oft von kleinen Gruppierungen begangen werden, welche sich vom Stadion weg bewegen. Nacherleben Oft löst sich die Masse in kleine Grüppchen auf, welche sich vor oder nach der Eskalation in Richtung Bahnhof bewegt. In den Zügen treffen nochmals einige Fans zusammen, wobei es nochmals zu lauten Sprechgesängen oder Sachbe- Risikotheorien 64 schädigungen kommen kann. Bekannt sind ihn der Stadt Zürich die „Hüpf-Eskapaden“ der Grasshopper-Fans nach einem Sieg ihrer Mannschaft, welche schon Trams aus den Schienen befördert haben. Oft tauschen Hooligans ihre „Heldentaten“ nach den Spielen in Internetforen aus. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Eskalation an Fussballspielen zweierlei Ursachen hat. Einerseits wollen die Jugendlichen an ihre Grenzen gehen und suchen in den Auseinandersetzungen mit der Polizei den „Kick“, andererseits laden sie auch Wut ab, welche sich im Laufe eines Fussballspiels entwickelt hat. Je nach dem sind bei den Krawallen einzelne oder zahlreiche Fans beteiligt. 7.2.1.2. Subkultur der militanten Linksautonomen Ein Risikoschubphänomen erfolgt insofern, da bei militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks eine hohe Risikobereitschaft vorhanden ist und diese in der Gruppe noch verstärkt wird. Gruppenmitglieder der militanten Linken, welche von sich aus weniger zu Gewalt tendieren würden, passen sich in der Gruppe und während des Ereignisses den Akteuren an, welche eine höhere Gewaltbereitschaft aufweisen. Inwiefern Konformitätsdruck bei diesem Mechanismus eine Rolle spielt, kann an dieser Stelle mangels empirischen Untersuchungen nicht beantwortet werden. Das Prozessmodell von Ulbrich-Herrmann/Claves, welches ursprünglich durch die Hooliganforschung entstanden ist, kann auch zur Erklärung des Risikoschubphänomens bei militanten Linksautonomen des Schwarzen Blocks beigezogen werden. Einstimmen Vor einer unbewilligten Nachdemonstration am 1. Mai versammeln sich die militanten Linksautonomen und zwar nahe an der Grenze des von der Polizei abgeschotteten und als Tabu erklärten Gebiets (in Zürich beispielsweise das Gebiet um das Kaserneareal, Militär- Langstrasse, Bezirksgebäude und Helvetiaplatz). Dort formieren sie sich und spannen ihre Transparente auf, besprechen nochmals ihre Route und stimmen sich auf das Ereignis ein. Einige trinken dazu Alkohol, die Akteure reden miteinander und diejenigen mit Erfahrungen erzählen von vergangenen 1. Mai Nachdemonstrationen. Erregung steigern Danach geht der schwarze Zug in die für Tabu erklärte Zone und die Erregung steigert sich, da es jeden Moment zu einem Zusammenstoss mit dem Gegner, der Polizei, kommen kann. Es werden Parolen wie „Kampf dem Kapital!“, „1. MaiStrasse frei!“, „Kapital zerschlagen- den Kampf auf die Strasse tragen!“, „WEF und G8 stehen für Ausbeutung, Krieg und Repression- kämpfen wir dagegen bis zur Revolution!“ skandiert und erste Sachbeschädigungen wie beispielsweise das Werfen von Farbbeuteln oder das Einschlagen von Schaufenstern können erfolgen. Risikotheorien 65 Konfrontation In diesem Moment tritt die Polizei auf den Plan und es kommt zu einer Konfrontation zwischen militanten Linksautonomen und den meist mit Schlagstöcken und Gummischrott ausgerüsteten Polizisten. An dieser Stelle kann der Verlauf des Geschehens in verschiedene Richtungen erfolgen: a) Es kann sein, dass die militanten Linksautonomen in Anbetracht des übermächtigen Gegners fliehen und in kleinern Strassen um die Langstrasse „abtauchen“. Dies ist das berühmte Katz und Mausspiel zwischen der Polizei und den Demonstranten, welches sich über mehrere Stunden hinziehen und sich in alle Teile der Stadt verlagern kann. Hier verzettelt sich die Gruppe in kleinere Untergruppen, da es für die Akteure schwierig ist, zusammen zu bleiben. Es werden Schaufenster eingeschlagen, manchmal Container oder Autos angezündet. b) In diesem Fall kommt es zum Kampf mit der Polizei. Pflastersteine werden direkt nach Polizisten geschleudert, diese antworten mit Gummischrott und Tränengas. Ist die Menge der militanten Linksautonomen gross und gelingt es ihnen, vereint in der Gruppe zu bleiben, werden zusätzlich Wasserwerfer aufgeboten. c) Bei 1. Mai Nachdemonstrationen mit weniger Aggressionspotenzial ist es auch schon nur beim verbalen Schlagabtausch zwischen der Polizei und militanten Linksautonomen gekommen, in Verbindung mit Sachbeschädigungen. Eskalation Je nach Situation kommt es zu unterschiedlichen Verläufen nach der Phase „Konfrontation.“ Können Emotionen wie Wut und Angst nicht mehr kontrolliert werden oder geraten die Demonstranten in Panik, kommt es zur Eskalation. Seitens der Polizei werden Wasserwerfer und vermehrt Gummischrott und Tränengas eingesetzt und je nach Grösse des „Mobs“ werden noch mehr Polizisten an Ort gerufen. Demonstranten werden eingekesselt und nach Möglichkeiten festgenommen. In eskalierenden Situationen kommt es oft zu Verletzten, vor allem auf Seiten der militanten Linksautonomen aber auch der Polizei. Nacherleben Nach der Auseinandersetzung gehen die Akteure, welche nicht festgenommen wurden, an nachfolgende Partys in Kulturtreffs oder besetzten Häuser und es kann davon ausgegangen werden, dass dort der Kampfrausch und die verschiedenen Erlebnisse untereinander ausgetauscht werden und nachklingen. Allgemein wird deutlich, dass unbewilligte Nachdemonstrationen mit Krawallen den militanten Linksautonomen emotionale Grenzerfahrungen ermöglichen. Gewalttätige Demonstrationen verschaffen ihnen Nervenkitzel und „Kicks“ und sind einem Abenteuer gleichzusetzen. Im Kampf gegen uniformierte Polizisten können eigene körperliche Kräfte ausprobiert werden und psychische und physische Grenzerfahrungen können gemacht werden. 7.2.2. Fazit In beiden subkulturellen Gruppierungen kommt es zu einem Risikoschub-Phänomen innerhalb der Subkultur. Akteure beider Gruppierungen sind durch eine hohe Risikobereitschaft gekennzeichnet, welche im Schutz der Gruppe noch verstärkt wird. Hooligans wie auch militante Linksautonome des Schwarzen Blocks passen sich in der Gruppe und während des Ereignisses den Akteuren an, welche von sich aus eine höhere Gewaltbereitschaft aufweisen. Innerhalb der Gruppe passen sich alle Akteure diesem so genannt `aktuellsten` Wert an. Risikotheorien 66 Das dargestellte Prozessmodell von Ulbrich-Herrmann/Claves, welches ursprünglich aus der Hooliganforschung stammt, kann genau so auf militante Linksautonome angewendet werden. Der Mechanismus des Einstimmens, Erregung steigern, Konfrontation, Eskalation und Nacherleben ist bei beiden Gruppierungen sehr ähnlich festzustellen. 7.3. Zusammenfassung Ergebnisse Risikotheorien Auf Grund der vorgestellten Risikotheorien und deren Anwendung wird deutlich, dass im Zusammenhang mit Risiko stehende Anlässe wie Fussballspiele oder Nachdemonstrationen am 1. Mai, Jugendlichen die Möglichkeit bieten, psychische und physische Grenzerfahrungen zu machen. Im Kontext von subkulturellen Gruppierungen ist Gewaltausübung bei Jugendlichen ein beliebtes Mittel auf der Suche nach dem Kick und „Action“. Die Lust an Grenzerfahrungen und actiongeladenen Tätigkeiten ist typisch für die Lebensphase Jugend, wobei sie bei unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen und verschiedenen Sozialisationsverläufen unterschiedlich stark ist. Die vorgestellten Risikotheorien und deren Anwendung auf die in dieser Diplomarbeit beschriebene Subkulturen bilden nebst den Sozialisationstheorien, Theorie menschlicher Bedürfnisse und der Theorie struktureller und anomischer Spannungen Erklärungsansätze zu Jugendgewalt in Subkulturen und sollten die in der Einführung gestellten Fragen beantworten. Zusammenfassung der Ergebnisse 67 8. Zusammenfassung der Ergebnisse In den vorherigen Kapiteln haben wir fünf verschiedene Theorien auf die Subkultur der Hooligans, bzw. der militanten Linksautonomen als Erklärungen beigezogen. An dieser Stelle werden noch einmal die wesentlichen Erkenntnisse aus den Erklärungen aufgeführt und in Form einer Zusammenfassung dargestellt. Die wichtigsten Fragestellungen des theoretischen Teils werden anhand dieser Zusammenfassung beantwortet. Zur Übersicht werden die Hauptfragestellungen an dieser Stelle noch einmal aufgeführt. 8.1. Hauptfragestellung Welche sozialen Merkmale kennzeichnen die an Ausschreitungen beteiligten Akteure der Hooligans und der militanten Linksautonomen? Gibt es Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede bezüglich ihrer Motive zur Ausübung von Gewalt? 8.1.1. Fragestellungen Theoretischer Teil Welche sozialen Merkmale kennzeichnen die Hooligans? Welche sozialen Merkmale kennzeichnen die militanten Linksautonomen? Nach welchen Kriterien und Merkmalen unterscheiden sich die beiden Subkulturen? Welche Absichten haben Hooligans und welche Motive veranlassen sie zu Krawallen bei und/oder nach Fussballspielen? Welche Absichten haben militante Linksautonome und welche Motive veranlassen sie zu einer Teilname an Nachdemonstrationen? Gibt es Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten in den Gründen, warum sich Jugendliche der ausserparlamentarischen Linken oder den Hooligans anschliessen? Aufgrund der vorgestellten Theorien und deren Anwendung auf die Subkulturen der Hooligans und militanten Linksautonomen ist es uns möglich, Aussagen über die sozialen Merkmale der Akteure zu machen. Die Beschreibung anhand der SDF hat ergeben, dass militante Linksautonome vorwiegend der Mittel- und Oberschicht angehören und im Vergleich zu den Hooligans ein mittleres bis gutes Bildungsniveau aufweisen. Bei den Hooligans sind zwar ebenfalls alle sozialen Schichten vertreten, dennoch entstammen sie vorwiegend der Unter- bis Mittelschicht und die meisten Akteure verfügen über ein tiefes Bildungsniveau. In anbetracht unserer beiden Subkulturen kann hier der Schluss gezogen werden, dass gewaltbereite Subkulturen Individuen aus allen sozialen Schichten als Mitglieder haben. Hinsichtlich ihrer Erlebensmodi und Modelldenkens können militante Linksautonome nicht als gänzlich apolitisch bezeichnet werden, es braucht eine gewisse Sympathie oder Sensibilität für Politik, um Gewalt an politischen Anlässen auszuüben. Hooligans hingegen sind gänzlich apolitisch und die Faszination des Fussballs bringt sie an Sportanlässe. Zusammenfassung der Ergebnisse 68 Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Subkulturen besteht in ihrer Struktur. Hooligans sind meistens Teil von festen Gruppierungen. Dies bedeutet, dass sich an Sportanlässen immer wieder die gleichen Akteure treffen, sich auf den Anlass vorbereiten und im Sinne von Freundschaften miteinander verkehren. Die Subkultur der militanten Linksautonomen ist im Gegensatz dazu eine anlassund kundgebungsbezogene Gelegenheitsstruktur, welche es den unterschiedlichsten Akteuren erlaubt, ihre Interessen und Anliegen zu vertreten oder Krawalle zu machen. Eine grosse Gemeinsamkeit der beiden Subkulturen ist die hohe Gewaltbereitschaft und die Art und Weise der Gewaltausübung (Sachbeschädigungen, Gewalt gegen die Polizei, Gewalt gegen einen Gegner) an öffentlichen Sportoder Politanlässen. Zudem weisen Akteure beider Subkulturen eine hohe Risikobereitschaft und eine Affinität zu actiongeladenen Tätigkeiten auf. Alkohol spielt bei Hooligans und militanten Linksautonomen eine entscheidende Rolle bei der Ausübung von Gewalt, da die Hemmschwelle herabgesetzt wird und noch mehr Risiken eingegangen werden. Den Motiven zur Ausübung von Gewalt im Kontext von Subkulturen können zusammenfassend mehreren Erklärungsansätzen entnommen werden. Ein übergeordnetes Motiv, welches bei den Anwendung der verschiedenen Theorien auf die vorgestellten Subkulturen immer wieder zum Vorschein kam, ist die hohe Risikobereitschaft der Akteure sowie Gewalt als Mittel zur Provokation und die Möglichkeit, sich Spass und Unterhaltung zu verschaffen. Dies ist ein Mechanismus, welcher in beiden Subkulturen deutlich zum Ausdruck kommt. Bei beiden Gruppierungen kann dabei das Sensation Seeking mit der Lebensphase Jugend und den entsprechenden biologischen, neurologischen und hormonellen Veränderungen in Bezug gebracht werden. Durch das hohe Action- und Risikopotenzial sind Fussballspiele und unbewilligte Demonstrationen für Jugendliche aus allen sozialen Schichten ein geeigneter Ort, um sich Abwechslung vom Alltag und den nötigen „Kick“ zu verschaffen. Beide subkulturellen Gruppierungen suchen über den Weg der Gewalt den „Thrill“ und die Abwechslung, die sie im Alltag nie so extrem und aktiv erfahren können. Gleichzeitig gelingt es ihnen, mit gewalttätigem und randalierendem Verhalten zu provozieren und sich auf diesem Weg von den Erwachsenen und der Gesellschaft abzugrenzen. Dabei spielt es gemäss unseren Erkenntnissen eine untergeordnete Rolle, ob nun Fussball oder Politik als Ausgangspunkt für Gewaltakte gilt. Vielmehr geht es Jugendlichen darum, aktiv Risiken einzugehen, sich in risikoreichen Situationen zu erproben und daraus eigene Handlungskompetenzen zu entwickeln. Dies ist an Fussballspielen und politischen Anlässen wie beispielsweise dem 1. Mai gleichermassen möglich. Ob sich nun ein Jugendlicher den Hooligans oder militanten Linksautonomen anschliesst, hängt schlussendlich davon ab, von welcher Subkultur sich das Individuum mehr angezogen fühlt. Dabei spielen Faktoren wie zufällige Kontakte zu den entsprechenden Subkulturen, strukturelle Bedingungen wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder Ausschluss aus dem Bildungssystem, banale Freude am Fussball oder eine Sensibilität für Politik eine Rolle. Ein weiterer Grund, warum sich Jugendliche den Hooligans oder den militanten Linksautonomen anschliessen, ist die Befriedigung diverser Bedürfnisse bei einer Mitgliedschaft in gewaltbereiten Subkulturen. Da sich Jugendliche im Prozess der Identitätsbildung befinden und sich aus der primären Sozialisationsinstanz Familie zu lösen beginnen, müssen neue Mitgliedschaften gefunden werden. In Peergroups kann das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Orientierung und sozialer Anerkennung optimal befriedigt werden, da formelle Organisationsformen und Verwaltungsstrukturen fehlen (vgl. Ferchhoff, 1990). Durch das hohe action- und Zusammenfassung der Ergebnisse 69 Risikopotenzial an Fussballspielen oder politischen Anlässen wie dem 1. Mai werden vor allem die Bedürfnisse nach Abwechslung und Stimulation befriedigt. Da die Lebensphase Jugend im Zusammenhang mit einer erhöhten Risikobereitschaft steht, sind gewaltbereite Jugendsubkulturen für viele Jugendliche sehr attraktiv. Im Schutz der Gruppe können riskante Verhaltensweisen ausprobiert und eigene Handlungskompetenzen entwickelt werden. Da Krawalle nach Fussballspielen oder Randale an unbewilligten Nachdemonstrationen ein ähnlich grosses Risikopotenzial aufweisen, sind beide Subkulturen für männliche Jugendliche gleich attraktiv. Ob Akteure sich den Hooligans oder den militanten Linksautonomen anschliessen, ist wie bereits erwähnt eine Frage der persönlichen Interessen oder bereits gemachten Erfahrungen. Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 70 9. Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit In diesem Kapitel werden die Unterstützungsangebote Fanarbeit Schweiz und das Forum für Friedenserziehung, welche sich durch massgebliche Kontakte zu Hooligans oder militanten Linksautonomen auszeichnen, anhand ihrer Leitbilder beschrieben. Folgende Fragestellungen werden an dieser Stelle beantwortet: Welche Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit gibt es für Hooligans? Welche Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit gibt es für die linksautonome Szene? Als Fazit aus dieser Beschreibung soll der Handlungsbedarf aufgezeigt werden, welcher in der Jugendarbeit in Bezug auf gewaltbereite Jugendsubkulturen besteht. Das im theoretischen Teil erarbeitete Wissen über gewaltbereite Subkulturen soll für die professionelle Sozialarbeit mit Jugendlichen beigezogen werden. 9.1. Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit für Hooligans In der Arbeit mit Hooligans gibt es zwei Arten von Unterstützungsangeboten in der Schweiz. Einerseits die Fanprojekte, andererseits der Kontakt zur Polizei. Da wir uns im theoretischen Teil auf die Fanarbeit der Polizei gestützt haben (Kategorisierungen, Interview als Quelle), ist es uns wichtig, im praktischen Teil noch einen anderen Bereich der Fanarbeit aufzuzeigen. In der Schweiz gibt es momentan nur einzelne Fanprojekte. Einige sind nach einer Testphase wieder verschwunden. Fanarbeit Schweiz Ein bestehendes Angebot ist die Fanarbeit Schweiz47, eine Vernetzungsplattform, welche die sozialpädagogische Fanarbeit fördert und Weiterbildungen, Coachings und Publikationen im Fanbereich anbietet. Momentan befindet sich die Fanarbeit in einem Leitbildprozess, was verhindert, dass die Fanarbeit an dieser Stelle genauer vorgestellt werden kann. Stattdessen hat uns D. Zimmermann, Geschäftsleiter der Fanarbeit Schweiz, Folien zur Verfügung gestellt, welche einen Einblick in die konkrete Fanarbeit geben. Sozialpädagogische Fanarbeit Zielgruppe sind die Fans in der Kurve, unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität oder politischer Ausrichtung. Als wichtige Vernetzungspartner gelten unter anderem die Vereine, die Sicherheitsdienste und die Polizei. In der sozialpädagogischen Fanarbeit geht es einerseits um die Vermittlung im Spannungsfeld der Sozialräume, andererseits aber auch um Förderung der Ressourcen (mit den Fans), der Beratung und der Triage. Ein Beispiel zur Förderung von Ressourcen ist für D. Zimmermann das Gestalten einer Choreografie (als Bedürfnisbefriedigung einer Fangruppierung). Vermittelt wird beispielsweise zwischen verschiedenen Fangruppierungen durch die Bildung eines „Fan-Rats“. 47 Vgl. dazu die Homepage der Fanarbeit Schweiz: www.fanarbeit.ch Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 71 Grundlagen für die sozialpädagogische Fanarbeit sind Beziehungsarbeit, die Bedürfnisse der Fans ernst zu nehmen und Kenntnisse der Fanszene (oder mindestens ein Interesse dafür). Als Ergebnis nennt D. Zimmermann Gewaltprävention durch höhere Wertschätzung und Integration und eine bessere Kommunikation zwischen den Parteien. Weitere Arten der Fanarbeit Nebst der sozialpädagogischen Fanarbeit gibt es noch die Vereins-Fanarbeit, die Fanarbeit der Polizei und die Fanarbeit der Fans. Hooligans als Klientel Die Fanarbeit versucht die Hooligans über den akzeptierenden Ansatz zu erreichen. Gearbeitet wird auf vier Ebenen: Als erste Ebene nennt D. Zimmermann die Prävention. Hier geht es darum, Jugendlichen eine Alternative zum Eintritt in die Szene zu bieten. Auf der zweiten Ebene geht es um Angebote für Hooligans, zur Vermittlung einer anderen Art von „Kick“. Auf der dritten Ebene wird das Verhalten der Hooligans reflektiert und schlussendlich werden Hilfen zum Ausstieg aus der Szene geboten. Fanprojekte, bei welchen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im direkten Kontakt zu den Fans stehen, sind in Deutschland weit verbreitet. Nach Aussagen von Professor Dr. A. Pilz48 können sie bereits grosse Erfolge feiern. Ob das Fehlen solcher Projekte in der Schweiz finanzielle Gründe hat oder auf die fehlende Erfahrung mit Fanarbeit zurückzuführen ist, ist uns unbekannt. Mit Sicherheit kann dazu gesagt werden, dass die Gewaltbereitschaft der Fussballfans in der Schweiz ein neueres Phänomen ist, womit sich die Funktionäre des Schweizer-Fussball noch nicht sehr lange auseinandersetzen müssen. Laut C. Nef von der Stadtpolizei Zürich49 haben auch die Fanprojekte keine Mittel gefunden, die Gewaltbereitschaft der Fussballfans endgültig in den Griff zu bekommen. Er sieht als Lösung gegen die Gewalt einzig die Auflösung der Stehplätze in den Stadien und eine gezielte und radikalere Vorgehen der Polizei gegen Gewalttäter. Durch das neue Hooligangesetz soll ein besserer Austausch von Personalien bekannter Hooligans vereinfacht werden. Diese Massnahme findet C. Nef gerade im Hinblick auf die EM 2008 in der Schweiz sinnvoll. Die Polizei steht immer im Kontakt zu verschiedenen Fangruppierungen und versuchen einen regelmässigen und ausgeglichenen Dialog zu führen. Die Machtverteilung ist dabei jedoch immer präsent, was dazu beiträgt, dass die Polizei nur beschränkte Möglichkeiten hat, mit den Hooligans in Kontakt zu treten. 9.2. Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit für Linksautonome Gemäss unseren ausführlichen Recherchen (Gespräche mit der Stadtpolizei Zürich, Gespräche mit Sip Züri) gibt es keine direkten Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit für gewalttätige Jugendliche des Schwarzen Blocks. Ähnlich wie bei den Hooligans ist es fast ausschliesslich die Polizei, welche sich situativ und unmittelbar mit dem Problem der linksautonomen Jugendgewalt beschäftigt. Gemäss A. Widmer, Sicherheitsdienst der Stadtpolizei Zürich, zuständig für die Lagebeurteilung der linksextremen Szene in Zürich, ist dies auf die mangelnde Dialogbereitschaft von 48 49 Vgl. www.sportwiss.uni-hannover.de Vgl. dazu das Interview mit der Stadtpolizei Zürich im Anhang auf Seite III und IV. Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 72 militanten Linksautonomen zurückzuführen. Es ist schwierig bis unmöglich, die Akteure zu erreichen und mit ihnen in einen Dialog zu treten, da sie sich jeglicher Kooperation verweigern. Das Unterstützungsangebot Sip Züri50 ist 364 Tage im Jahr mit ihren Patrouillen auf den Strassen Zürichs unterwegs. Am 1. Mai wird aus Sicherheitsgründen nicht gearbeitet. Zu gross ist die Gefahr, von militanten Linksautonomen mit der Polizei verwechselt und tätlich angegriffen zu werden. Aufgrund dieser Informationen über das Fehlen jeglicher Unterstützungsangebote für militante Linksautonome war es uns klar, dass auf jeden Fall Handlungsbedarf auf diesem Gebiet besteht. Über die Stadtpolizei Zürich erfuhren wir vom Forum für Friedenserziehung, eine Gruppierung, welche im Zusammenhang mit Anti-WEF Demonstrationen und Aktionen am G-8 Gipfel schon mehrere Male in Erscheinung trat. Das Forum für Friedenserziehung ist zwar kein Unterstützungsangebot der Sozialen Arbeit, dennoch lohnt es sich unserer Meinung nach, dessen Ziele und Methoden an dieser Stelle genauer auszuführen. Das Konzept der Gewaltfreiheit und vermittelnden Interventionen an Demonstrationen stellt ein interessanter Gesichtspunkt für die Soziale Arbeit dar. Folgende Beschreibung bezieht sich auf das Interview (vgl. Anhang auf Seite V bis VII) mit Ueli Wildberger, langjähriger Aktivist und Mitarbeiter des Forums für Friedenserziehung. Forum für Friedenserziehung Das "Forum für Friedenserziehung" ist der Deutschschweizer Zweig des IFOR (The international Fellowship of Reconsilitation)51 und basiert auf dem Grundvertrauen in die Kraft der Liebe und Wahrheit, um Versöhnung zu suchen und Gemeinschaft zu fördern. Die Mitglieder engagieren sich für die aktive Gewaltfreiheit und für echte Veränderungen von ungerechten Verhältnissen. Das Forum für Friedenserziehung versteht sich als Organisation, die sich auf verschiedenste Weise Konfliktfähigkeit und gewaltfreie Konfliktlösung zum Anliegen macht. Ziele des Forums für Friedenserziehung Die Ziele sind sehr umfassend und können nach Gandhi allgemein zusammengefasst als "Der Weg ist das Ziel" beschrieben werden. Das heisst soviel wie ein gutes Zusammenleben im Hier und Jetzt und nicht erst in ferner Zukunft. Auf der politischen / gesellschaftlichen Ebene sind die Ziele überall dort, wo es Ungerechtigkeit und Probleme gibt, einen gewaltfreien Prozess in Gang zu bringen. Denn ohne Gewaltanwendung, kommt das eigentliche politische Anliegen zum Vorschein und steht im Vordergrund. Arbeitsmethoden des Forums für Friedenserziehung Hierbei muss zwischen präventiven und spontanen Arbeitsmethoden unterschieden werden. Präventive Methoden: 50 Sicherheit Intervention Prävention weltweites Netzwerk von Friedensgruppen. Heute gibt es Zweige in über 40 Ländern auf allen Kontinenten. Zu seinen Mitgliedern gehören Menschen aus allen Weltreligionen. 51 Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 73 Die gewaltfreie Aktion liegt einem Konzept zugrunde und ist eine konkrete Methode zur Verhinderung von Gewaltexzessen. Das Konzept nach Theo Ebert52 unterscheidet vier verschiedene Stufen des gewaltfreien Widerstandes: 1. Stufe: Symbolaktionen und Protest zur Bewusstseinsbildung (Transparente, Stände etc). 2. Stufe: legale Non-Kooperation (Streik, Boykott). 3. Stufe: Ziviler Ungehorsam (Schritt in die Illegalität, wobei hierbei der Grundsatz gilt, lieber Schaden / Gewalt auf sich nehmen wie anderen zufügen). 4. Stufe: Generalstreik (unrechtsmässige Regimes zum Einsturz bringen, ist sehr theoretisch). Für eine gewaltfreie Aktion braucht es eine Aktionsgruppe mit einer festen Organisationsstruktur, welche einen konkreten Konflikt analysiert und sich Alternativen überlegt. Eine weitere präventive Methode sind die Aktionsvorbereitungstrainings, welche anlass- und kundgebungsbezogen sind und immer vor Aktionen durchgeführt werden. Diese beinhalten Diskussionen, Strategieplanung und vor allem Rollenspiele, in denen Situationen nachgespielt werden. Spontane Methoden: Spontane Methoden kommen dann zum Einsatz, wenn eine Aktion nicht vorbereitet werden konnte und beispielsweise eine Demonstration schon im Gange ist. Hier wird versucht, auf das emotionale Klima einzuwirken. Dies geschieht mittels humorvollen Slogans, speziellen Liedern und Sprüchen oder originellen Verkleidungen. Hat es beispielsweise an einer Demonstration gewaltbereite Personen, welche keine Bereitschaft äussern, sich friedlich zu verhalten, kommt das so genannte Peace-Keeping zum Einsatz. Peace-Keeper (unterschiedliche Anzahl von Personen, welche sich direkt vor Ort für einen gewaltfreien Verlauf einer Demonstration einsetzen) stellen sich zwischen die feindlichen Parteien. Dies kann ein Stehen zwischen einem Schaufenster und einem Demonstranten mit einem Baseballschläger sein oder ein Positionieren zwischen einer Reihe uniformierter Polizisten und eine Gruppe von gewaltbereiten Akteuren des Schwarzen Blocks. Solche und ähnliche Einsätze wurden an Anti-WEF Demos und G-8 bereits gemacht und waren erfolgreich. Gewaltakte konnten über mehrere Stunden hinweg verhindert werden. Interventionen des Forums für Friedenserziehung Gezielte Interventionen entspringen den oben aufgeführten unterschiedlichen Methoden. Präventive Interventionen sind beispielsweise, sich in das Organisationskomitee einzubringen und aktiv an der Planung einer Demonstration mitmachen. Dadurch können alternative Vorschläge zur Gewalt eingebracht, neue Aktionsplattformen geschaffen und neue Denkanstösse gemacht werden. (Zum Beispiel werden Linksautonome eingeladen, die Demonstration mit zu planen und ein Konsens zur Gewaltfreiheit wird erarbeitet.) Interventionen des Peace-keeping sind das Bilden von Menschenketten zwischen der Polizei und gewalttätigen Akteuren. Mittels Kommunikation wird versucht, einen persönlichen Kontakt zu den Demonstranten herzustellen. Durch vermittelnde 52 Politikprofessor in Berlin Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 74 Gespräche wird versucht, den Zwischenraum zum Gegner zu vergrössern oder gewalttätige Akteure ganz aus der Gefahrenzone zu bringen. Bezug zur Sozialen Arbeit Die Methoden der gewaltfreien Konfliktlösung stellen einen interessanten Aspekt für die Soziale Arbeit dar und könnten unserer Meinung nach durchaus in gewissen Arbeitsfeldern übernommen werden. Ein Punkt, dass dies nicht passiert ist, dass das Konzept der Gewaltfreiheit sehr gesellschaftskritisch ist. Die Friedensbewegung ist in ihrer Ideologie ziemlich radikal, so dass es bei vielen auf Widerstand stösst. Die Soziale Arbeit hat zwar viel Spielraum bei der Veränderung von persönlichem Verhalten und Einstellung; dadurch, dass sie jedoch meist öffentlich getragen ist, gibt es Grenzen, wenn ihre Tätigkeit in gesellschaftsverändernde Fragen hineingeht (Wirtschaft und Politik). 9.3. Fazit Die Fragestellung des Theoretischen Teils soll anhand des im praktischen Teil erworbenen Wissens an dieser Stelle beantwortet werden. Sie lautet: Inwiefern kann das in dieser Diplomarbeit erarbeitete Wissen im Rahmen der professionellen Jugendarbeit beigezogen werden? Wir werden in diesem Teil keine konkreten Hilfsangebote für jugendliche Gewalttäter entwickeln, sondern aufführen, in welcher Form die Soziale Arbeit bezüglich dieses Problems ansetzen kann. Unterstützungsangebote, welche explizit Mitglieder von gewaltbereiten Subkulturen ansprechen, gibt es in der Schweiz nur vereinzelt. Es ist fast ausschliesslich die Polizei, welche sich den Hooligans, bzw. den militanten Linksautonomen annimmt, wenn diese durch ihr delinquentes Verhalten auffallen. Die Jugendlichen werden für ihr Vergehen bestraft, wodurch ihre Zukunft einerseits gefährdet werden kann, sie andererseits aber auch die Chance erhalten, nach der verbüssten Strafe einen anderen Weg einzuschlagen. Wir haben in dieser Arbeit aufgezeigt, dass Jugendliche sich aus verschiedenen Gründen einer gewaltbereiten Subkultur anschliessen (vgl. dazu die Zusammenfassung der Ergebnisse unter Punkt 8.1.1). Dies bedeutet, dass die Soziale Arbeit auf verschiedenen Ebenen ansetzen muss, um das Problem der Jugendgewalt in Subkulturen zu lösen. Wichtig ist dabei die präventive Arbeit, in welche vor allem Eltern und Lehrer miteinbezogen werden müssen, aber auch Funktionäre in den verschiedenen Vereinen und Gruppierungen, in welchen sich Kinder und Jugendliche bewegen. Oft ist die Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen Aktionsfeldern mangelhaft, wodurch unserer Meinung nach eine wichtige Ressource der präventiven Jugendarbeit verloren geht. Ein wichtiger Schritt in diese Richtungen ist unserer Meinung nach mit der Schulsozialarbeit getan: Einerseits haben Schulsozialarbeitende die Möglichkeit, mit Kindern in verschiedenen Altersstufen zu arbeiten: Sie können den Jugendlichen unter anderem Konfliktlösungsmodelle-, sowie einen angemessenen Umgang mit Aggressionen vermitteln. Andererseits können sie die verschiedenen Aktionsfelder, in welchen sich die Kinder bewegen, miteinander verknüpfen, sei dies durch Eltern- und Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 75 Informationsabende oder durch gezielte Gespräche mit Eltern und/oder Lehrpersonen. Neben der präventiven Arbeit ist auch die gezielte Sozialarbeit mit Jugendlichen Gewalttätern wichtig. Den Jugendlichen muss einerseits klar aufgezeigt werden, dass ihr Verhalten von der Gesellschaft nicht geduldet wird, andererseits müssen ihnen Alternativen geboten werden, in welchen sie sich entfalten können. Hier wären Alternativen gefragt, die dem hohen Action- und Risikopotential von Jugendlichen Rechnung tragen, ohne dass sie sich dabei selbst schaden. Ersteres ist nur durch eine gute Zusammenarbeit und einen gezielten Datenaustausch verschiedener Stellen möglich. Am Beispiel der Hooligans sind dies der Stadionbetreiber auf der einen Seite und die Polizei auf der anderen Seite. Dazu könnten noch verschiedene andere Akteure kommen, welche mit Hooligans in irgendeiner Weise in Kontakt treten. Nur wenn die Hooligans merken, dass ihr Handeln bemerkt wird und sofortige Konsequenzen hat, werden sie es sich besser überlegen, ob sie im oder ums Stadion randalieren und andere Personen anpöbeln. Die verschiedenen Datenschutzgesetze sind laut Aussage der Kantonspolizei in einigen Situationen hinderlich. Wie schon unter Punkt 9.1 erwähnt, müssen den Jugendlichen Alternativen zu ihren Tätigkeiten in den gewaltbereiten Subkulturen geboten werden. Diese sollten auf die Bedürfnisbefriedigung der Akteure ausgerichtet sein. Es ist die mögliche Befriedigung vieler Bedürfnisse, welche die Jugendlichen unter anderem dazu bewegen, sich einer gewaltbereiten Jugendsubkultur anzuschliessen (vgl. dazu Punkt 5.2.3). Nur wenn die alternative Tätigkeit die wesentlichen Bedürfnisse abdeckt, wären die Akteure allenfalls bereit, sich gegen die Mitgliedschaft in einer gewaltbereiten Jugendsubkultur zu entscheiden. Die Möglichkeit zur Befriedigung der relevanten Bedürfnisse alleine reicht jedoch nicht, die Jugendlichen von gewalttätigen Aktionen abzubringen. Andere Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Akteure sollten die Möglichkeiten haben, ihre anomischen Spannungen abzubauen. Ein Ansatz in diese Richtung könnte eine vermehrte Mitsprachemöglichkeit im politischen Rahmen sein (im Sinne von Partizipationsmöglichkeiten). Jugendlichen sollte vermehrt die Möglichkeit geboten werden, ihre Ängste und ihre Wut im Sinne von konstruktiver Kritik an einem sinnvollen Ort anbringen zu können. Dies könnte andere Strategien verhindern, welche Jugendliche wählen, um ihre Spannungen abzubauen. An diesem Punkt sind unserer Meinung nach klar Politiker oder Vorsitzende grosser Institutionen gefragt. Jugendlichen muss das Gefühl der Mitsprachemöglichkeit vermittelt werden, nur wenn sie sich ernst genommen fühlen, werden sie sich auch kooperativ verhalten. Dieser Ansatz ist in der direkten Fanarbeit, aber auch in der Arbeit mit politisch interessierten Gruppierungen wie den militanten Linksautonomen, von Bedeutung. Auf einer wirtschaftspolitischen Ebene können anomische Spannungen dadurch abgebaut werden, indem Berufswunsch und -Wirklichkeit besser miteinander vereinbart werden können. Genügend Lehrstellen und Zugang zu Bildungsinstitutionen für alle müssen gewährt sein. Hier sind Politiker und die Wirtschaft gleichermassen gefragt und gefordert. Da sich die Akteure der vorgestellten Subkulturen in einer, durch die Adoleszenz bedingten Selbstfindungsphase befinden, sollten ihnen Möglichkeiten geboten werden, diese Phase mit Hilfe von guten Vorbildern zu meistern. Jugendliche orientieren sich oft an „ungünstigen“ Vorbildern, was sich, je nach Kreisen, in denen sie verkehren, negativ auf ihre Zukunft auswirken kann. In Vereinen wie Fussballclubs oder der Pfadi haben Jugendliche die Möglichkeit, sich an positiven Vorbildern zu orientieren (seien dies Coachs oder andere Leitungspersonen). Individuen, welche Unterstützungsangebote in der Jugendarbeit 76 sich nicht in solchen Kreisen aufhalten, ist der Zugang zu positiven Leitungspersönlichkeiten jedoch erschwert. Oft erleben sie Erwachsene in von ihnen negativ behafteten Positionen (Lehrpersonen, Polizei), was ihre Auflehnung gegenüber der Gesellschaft verstärken kann. So sollte ihnen der Kontakt zu Erwachsenen in positiv behafteten Rollen ermöglicht werden. Bei Fussballfans könnten engagierte Akteure des Fussballvereins (Trainer, Spieler und andere Vereinsmitglieder) sicherlich etwas erreichen. Oft wollen Spieler mit den gewaltbereiten Fans nichts zu tun haben, dabei könnten sie mit klaren Worten oder einer klaren Haltung je nach Situation viel erreichen und klare Zeichen gegen die Gewalt setzen. Ein weiterer wichtiger Lösungsansatz ist unserer Meinung nach die aufsuchende Jugendarbeit. In Fanprojekten wurde diese Form der Sozialen Arbeit bereits praktiziert. Obwohl die Polizei keinen direkten Nutzen darin sieht, sollten die Projekte, wie es in Deutschland gemacht wird, ausgeweitet und etabliert werden. An politischen Anlässen, an welchen Gewalt durch militante Linksautonome droht, könnte die aufsuchende Jugendarbeit in Form einer spontanen Intervention der Sozialen Arbeit durchgeführt werden. Aufsuchende Jugendarbeitender könnten sich an der gewaltfreien Konfliktlösung des Forums für Friedenserziehung orientieren und eine vermittelnde Rolle zwischen der Polizei und den Demonstranten einnehmen. Sozialarbeitende in dieser Rolle müssten durch ihre äussere Erscheinung klar erkennbar sein und selbstverständlich müsste der Sicherheitsaspekt der persönlichen Sicherheit gewährleistet sein. Schlussteil 77 10. Schlussteil Im Schlussteil wird die Zielerreichung unserer Arbeit ausgewertet und nach einem Schlussplädoyer werden abschliessend offene Fragen aufgeführt. 10.1. Zielerreichung Die im Kapitel 1.2 aufgestellten Fragen wurden während dieser Arbeit anhand von Literatur und theoretischem Wissen erörtert, präzisiert und beantwortet. Anhand der Erklärungstheorien im theoretischen Teil wurde aufgezeigt, warum sich Jugendliche gewaltbereiten Subkulturen anschliessen. Im Praktischen Teil wurde eine theoretische Verständnisgrundlage für Sozialarbeitende im Jugendbereich, welche mit gewaltbereiten Subkulturen in Berührung kommen, erarbeitet. Somit sind die gesetzten Ziele erreicht. 10.2. Schlussplädoyer In den letzten Jahren hat die Jugendgewalt im Kontext von Subkulturen zugenommen. Die Gründe dafür sind multifaktoriell und wurden in dieser Diplomarbeit erläutert. Obwohl Jugendgewalt in der Bevölkerung zu recht als störend und beängstigend wahrgenommen wird, geht es nicht darum, gewalttätige Jugendliche zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Die Gesellschaft muss sich bewusst sein, in welchem Druck Jugendliche sich heute befinden. Die Pluralisierung der Lebensstile, die ungleiche Chancenverteilung, die Individualisierung unserer Gesellschaft und zuletzt auch die Globalisierung, tragen das Ihre dazu bei, dass junge Menschen verunsichert sein können und als Folge daraus problematische Handlungsmuster entwickeln. Hier liegt es in der Verantwortung von Eltern, Lehrpersonen, Institutionen, Medien, Wirtschaft, Politik und der Sozialen Arbeit im Speziellen, positive Gegenpole zu schaffen und durchzusetzen. Nur mit dem Einbezug aller Ebenen können längerfristige präventive Massnahmen ergriffen und adäquate Lösungen herbeigeführt werden. Mit dem Ausbau der Schulsozialarbeit in fast allen Schulhäusern der Stadt Zürich wurde von Seiten der Sozialen Arbeit bereits ein wichtiger Schritt getan, den es auf jeden Fall weiter zu verfolgen gilt. Um dem hohen Fun- Action- und Risikopotenzial von Jugendlichen Rechnung zu tragen, sind zudem alternative Möglichkeiten gefragt, damit Gewalt als "Risikosportart" vermieden werden kann. Denn Risikobereitschaft und - Lust sind nicht nur problembehaftet und negativ zu bewerten, sondern wichtige Bestandteile im Erlernen eigener Handlungskompetenzen und der Entwicklung der Identität von jungen Menschen. Schlussteil 78 10.3. Offene Fragen Während der Erarbeitung unserer Diplomarbeit sind eine Reihe von interessanten Fragen aufgetaucht, welche zu beantworten den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde: Wie verhält es sich mit dem Wahlverhalten von Hooligans und militanten Linksautonomen? Gehen sie überhaupt wählen und welche Parteien würden sie sich in die Regierung wünschen? Gibt es rechtliche Aspekte, die im Zusammenhang mit der Nutzung des öffentlichen Raums hinderlich oder förderlich sind? Wie viel trägt die Polizei durch ihr Auftreten (grosse Anzahl, Uniformierung und Bewaffnung) zu einer Provokation der Akteure (Hooligans und militante Linksautonome) bei? Wie könnten konkrete Unterstützungsangebote der Sozialen Arbeit bezüglich gewalttätiger Jugendsubkulturen aussehen? (Eine Planung eines solchen Angebots wäre ein spannendes Thema für eine weitere Diplomarbeit). Quellenverzeichnis 79 11. Quellenverzeichnis Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Springer. Berndt, T.J. (1992). Friendship and friend`s influence in adolescence. In Zimbardo, P.G.; Gerrig, R.J. (Hrsg.), Psychologie. Eine Einführung. (16., aktual. Auflage). München: Pearson Studium. Bohnsack, R., Loos, P., Schäfer, B. (1995). Die Suche nach Gemeinsamkeit und Gewalt in der Gruppe – Hooligans, Musikgruppen und andere Jugendcliquen. Berlin: Opladen. Oerter, R. (1985). Lebensbewältigung im Jugendalter. Weinheim: Edition Psychologie. Liepman, D. Stiksrud A. (Hrsg.). (1994). Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsprobleme in der Adoleszenz. Göttingen: Hogrefe. Dreher, E. & Dreher, M. (1985b). Entwicklungsaufgaben im Jugendalter: Bedeutsamkeit und Bewältigungskonzepte. In D. Liepman & A. 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Nef Als erstes möchte ich mich herzlich bei Herrn Nef bedanken, dass er sich so viel Zeit für dieses Gespräch genommen hat. Wichtig ist zu erwähnen, dass ich beim Interview nur Notizen gemacht habe und das folgende Interview demnach als sinngemäss zu verstehen ist und nicht wörtlich genommen werden darf. Herr Nef gehört einem sechsköpfigen Team an, welches sich vollamtlich mit dem Thema Hooligans beschäftigt. Ein solches Team ist in der Schweiz einmalig, keine andere Stadt setzt so viele Ressourcen für dieses Thema ein. Die Hooligan-Abteilung der Stadtpolizei Zürich ist an die schweizerische Zentralstelle für Hooliganismus angegliedert und arbeitet auch eng mit ähnlichen Stellen aus dem Ausland zusammen. tm: Hat sich der Hooliganismus in der Schweiz in den letzten Jahren verändert? Wenn ja, wie? Herr Nef: Ja, wenn die Hooligans aufeinander treffen geht es nicht mehr so fair zu und her. Die Hooligans halten sich nicht mehr so stark an den Ehrencodex wie vor einigen Jahren. Auch hat sich der Standort der „Treffen“ verändert. Durch die grosse Präsenz und das härtere Einschreiten der Polizei in und ums Stadion treffen sich die Hooligans an anderen Orten. In der Fachsprache wird das „Feld-Wald-Wiese“ genannt. Auch Autobahnraststätten eignen sich gut für solche Treffen. Aus diesem Grund bekommt die Polizei gar nicht immer mit, wie viele Hooligans sich wo treffen und was bei diesen Treffen abgeht. tm: Die gewaltbereiten Fans werden als Bbezeichnet. Gibt es bei dieser Untergruppierungen? Welche? Herr Nef: Ich finde die Unterteilung in A-, B- und C-Fans eigentlich gut. In der Praxis werden die Fans heute nur noch in risk- und no-riskFans unterteilt. Bei den risk-Fans gibt es verschiedene Fangruppen. Die Hooligans einer Mannschaft sind meistens eine Gruppe von 30-40 Leuten. Dann gibt es noch die so genannten BFans, überwiegend Jugendliche, welche zu Gewalt in verschiedenen Formen neigen und als Unberechenbar gelten. Sie können je nach Spielverlauf und Vorkommnissen auf dem Fussballplatz explodieren und in der Masse gefährlich werden (Beispiel dafür ist das Meisterschaftsspiel vom 13. Mai 2006 zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich). Oft pöbeln sie nach dem Spiel herum und begehen beträchtliche Sachbeschädigungen. Beim FC Zürich stehen von diesen Fans je nach Spiel zwischen 400-600 Fans in der Südkurve. Natürlich gibt es auch unter ihnen verschiedene Gruppen, aber da es so viele sind, kennen wir sie nicht so gut wie die Hooligans, zu denen wir regelmässigen Kontakt haben. tm: Wer sind diese B-Fans, von wo kommen sie (Nationalität, soziale Schicht) und welche Merkmale haben sie? und C-Fans Fankategorie Anhang IV Herr Nef: Sie kommen von überall her. Viele verschiedene Nationalitäten sind vertreten und sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie „nicht sehr hell“ sind und viel Alkohol konsumieren. Ihr Niveau ist sehr tief, das hört man an den Sprechchören und den Gesprächen, die sie miteinander führen. Dies und der Alkohol macht sie so unberechenbar. tm: Warum suchen Jugendliche nach einem Fussballspiel nach Gewalt, was sind ihre Motive? Herr Nef: Hier muss man sicher zwischen Hooligans und B-Fans unterscheiden. Bei den Prügeleien der Hooligans geht es sicherlich einerseits um den Kick, andererseits haben diese Kämpfe aber auch etwas mit Sport zu tun. Sie wollen sich messen denn viele von ihnen sind sehr sportlich und haben Kampfsport Erfahrungen. Bei den B-Fans geht es vor allem um den Kick, wobei das Gruppengefühl eine wichtige Rolle spielt. In der Gruppe fühlen sie sich stark und machen Dinge, die sie alleine niemals tun würden. Sie spielen sich auf, in den sie Dinge (Autos, Cars, etc.) beschädigen oder den Konflikt mit schwächeren Gegnern suchen. Es kommt auch vor, dass ihnen unbeteiligte Fans zum Opfer fallen, auch Frauen. Sie sind Chaoten und auch immer wieder an anderen Veranstaltungen anzutreffen wie zum Beispiel an 1.Mai – Demos. tm: Wie gehen Sie mit Jugendlichen Gewalttätern um? Herr Nef: Wenn sie erwischt werden, bekommen sie ein ganz normales Strafverfahren. Begehen sie die Straftat im Stadion erhalten sie Stadionverbot. Wenn sie die Straftat jedoch ausserhalb des Stadions begehen, dürfen wir sie für ihre Tat zwar bestrafen, doch dürfen wir dem Stadionbesitzer aus Datenschutzgründen keine Mitteilung machen. Mit dem neuen Hooligangesetz wird das jedoch besser. tm: Welche Angebote im Bereich der Sozialen Arbeit im Bezug auf Fans kennen Sie? Herr Nef: Meiner Meinung nach gibt es in der Schweiz keine Angebote, die wirklich etwas bringen. Es gibt verschiedene Fanprojekte, welche aber auf Freiwilligkeit beruhen und sich mit den Fans solidarisieren um überhaupt Zulauf zu haben. Für die Polizei ist das Problem die Masse der Fans, die so genannten B-Fans. tm: Welche Lösungen gibt es Ihrer Meinung nach diese Masse unter Kontrolle zu bringen? Herr Nef: Man müsste viel radikaler gegen Gewalttäter vorgehen. In den Stadien sollte es nur noch Sitzplätze geben, keine Stehplätze mehr. Auch sollte im und um das Stadion kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden dürfen. Der Alkoholkonsum vor und während den Spielen ist ein grosses Problem. Anhang V Interview mit Ueli Wildberger, Forum für Friedenserzeugnisse Da Mitglieder des Forums für Friedenserziehung bereits Aktionen mit Linksautonomen an Anti-Wef Demos oder dem G-8 durchgeführt haben, wird im folgenden Anhangsteil ein Interview mit Ueli Wildberger, langjähriger Aktivist im Forum für Friedenserziehung, geführt. Das Forum für Friedenserziehung ist zwar kein Unterstützungsangebot der Sozialen Arbeit für militante Linksautonome, dennoch könnte der Ansatz der gewaltfreien Konfliktlösung und der bereits durchgeführten Interventionen an Demonstrationen auch für die Soziale Arbeit für Bedeutung sein. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle anhand eines Interviews das Forum für Friedenserziehung mit seinen Zielen, Arbeitsmethoden und Interventionen, vorgestellt. Im folgenden Interview werden die Aussagen von Ueli Wildberger, Forum für Friedenserziehung, anhand der gestellten Fragen zusammengefasst. ss: Was ist das Forum für Friedenserziehung? Das "Forum für Friedenserziehung" ist der Deutschschweizer Zweig des IFOR (The international Fellowship of Reconsilitation)53 und basiert auf dem Grundvertrauen in die Kraft der Liebe und Wahrheit, um Versöhnung zu suchen und Gemeinschaft zu fördern. Die Mitglieder engagieren sich für die aktive Gewaltfreiheit und für echte Veränderungen von ungerechten Verhältnissen. Das Forum für Friedenserziehung versteht sich als Organisation, die sich auf verschiedenste Weise Konfliktfähigkeit und gewaltfreie Konfliktlösung zum Anliegen macht. ss: Was ist Ihr persönlicher und beruflicher Hintergrund? Ueli Wildberger hat in Berlin Theologie studiert und schöpfte seine Motivation aus eigenen Erfahrungen an den Studentenrevolutionen 1968. Damals herrschte ein ähnliches Dilemma und die gesellschaftliche Situation wurde als ungerecht empfunden. Die Studentenrevolutionen damals waren von Gewalt überschattet und U. Wildberger fühlte sich von der gewalttätigen Art der Konfliktlösung abgestossen. Er sah einen grossen Widerspruch in den heeren Zielen der Bewegung und dem Mittel der Gewalt zu ihrer Durchsetzung. Dies motivierte ihn, nach anderen Formen und Wegen zu suchen. 1968 lebte Martin Luther King und U. Wildberger hörte von den grossen, gewaltfreien Bewegungen in Amerika oder Indien (Gandhi). In diesen gewaltfreien Bewegungen sah er die Alternative zum damaligen marxistischen Revolutionskonzept. Es kristallisierten sich die folgenden Leitfragen heraus: "Wie kann man gegen strukturelle Gewalt, die in diesem System herrscht, mit gewaltfreien Mitteln vorgehen?" „Wie kann wirksamer Widerstand und Veränderung in der Gesellschaft bewirkt und eingebracht werden?" Die Antwort auf diese Fragen ist die aktive Gewaltfreiheit. Daraus ergibt sich die Frage, wie man die aktive Gewaltfreiheit im Grossen praktiziert. Vorbilder dazu sind Martin Luther King und Mahatma Gandhi. U. Wildberger schloss sich dem IFOR an und ist heute zu 40% in dieser Organisation angestellt. ss: Was sind die Ziele des Forums für Friedenserziehung? 53 weltweites Netzwerk von Friedensgruppe. Heute gibt es Zweige in über 40 Ländern auf allen Kontitenten. Zu seienn Mitgliedern gehören Menschen aus allen Weltreligionen. Anhang VI Die Ziele sind sehr umfassend und können nach Gandhi allgemein als: "Der Weg ist das Ziel" zusammengefasst werden. Das heisst soviel wie ein gutes Zusammenleben im Hier und Jetzt und nicht in einer fernen Zukunft. Auf der persönlichen Ebene heisst dies auch Gewaltfreiheit im eigenen Leben (mit der Natur im Einklang leben, leben in Wohngemeinschaften, Gleichstellung von Mann und Frau, friedliches Zusammenleben von Ausländern und Schweizer). Auf der politischen / gesellschaftlichen Ebene ist das Ziel, überall dort, wo es Ungerechtigkeit und Probleme gibt, einen gewaltfreien Prozess in Gang zu bringen. Denn wenn keine Gewalt vorhanden ist, kommt das eigentliche politische Anliegen zum Vorschein. Feinde sollten auch zu Freunden gemacht werden. ss: Welches sind die Friedenserziehung? Hierbei muss zwischen unterschieden werden. Arbeitsmethoden präventiven und des spontanen Forums für Arbeitsmethoden Präventive Methoden: Die gewaltfreie Aktion liegt einem Konzept zugrunde und ist eine konkrete Methode zur Verhinderung von Gewaltexzessen. Das Konzept nach Theo Ebert unterscheidet vier verschiedene Stufen des gewaltfreien Widerstandes: 1. Stufe: Symbolaktionen (Transparente, Stände etc) und Protest zur Bewusstseinsbildung 2. Stufe: legale Non-Kooperation (Streik, Boykott) 3. Stufe: Ziviler Ungehorsam (Schritt in die Illegalität, wobei hierbei der Grundsatz gilt, lieber Schaden / Gewalt auf sich nehmen wie anderen zufügen). 4. Stufe: Generalstreik (unrechtsmässige Regimes zum Einsturz bringen, ist sehr theoretisch). Für eine gewaltfreie Aktion braucht es eine Aktionsgruppe mit einer festen Organisationsstruktur, welche einen konkreten Konflikt analysiert und sich Alternativen überlegt. Eine weitere präventive Methode sind die Aktionsvorbereitungstrainings, welche anlass- und kundgebungsbezogen sind und immer vor Aktionen durchgeführt werden. Diese beinhalten beispielsweise Diskussionen, Strategieplanung und vor allem Rollenspiele. Spontane Methoden: Spontane Methoden kommen dann zum Einsatz, wenn eine Aktion nicht vorbereitet werden konnte und beispielsweise eine Demonstration schon im Gange ist. Hier wird versucht, auf das emotionale Klima einzuwirken. Dies geschieht mittels humorvollen Slogans, speziellen Liedern und Sprüchen oder originellen Verkleidungen. Auf diese Art können spontane Aktionen durchgeführt werden und der ganze Frust wird versucht, in eine positive Energie umzuwandeln. Hat es beispielsweise an einer Demonstration gewaltbereite Personen, welche keine Bereitschaft äussern, sich friedlich zu verhalten, kommt das sogenannte Anhang VII Peace-Keeping zum Einsatz. Diese Methode könnte auch an einer Nachdemonstration mit militanten Linksautonomen angewendet werden. PeaceKeeper (unterschiedliche Anzahl von Personen, welche sich direkt vor Ort für einen gewaltfreien Verlauf einer Demonstration einsetzen) stellen sich zwischen die feindlichen Parteien. Dies kann ein Stehen zwischen ein Schaufenster und eines Demonstranten mit einem Baseballschläger sein oder ein Positionieren zwischen eine Reihe uniformierter Polizisten und eine Gruppe von gewaltbereiten Akteuren des Schwarzen Blocks. Dadurch können zwar Einzelaktionen gestoppt werden, grössere Aktionen jedoch nicht. Dazu bräuchte es mehr Leute. Solche und ähnliche Einsätze wurden an Anti-WEF Demos und G-8 Gipfel bereits gemacht und waren erfolgreich. Gewaltakte konnten über mehrere Stunden hinweg verhindert werden. ss: Welches sind Interventionen des Forums für Friedenserziehung? Gezielte Interventionen entspringen den oben aufgeführten unterschiedlichen Methoden. Präventive Interventionen sind beispielsweise sich in das Organisationskomittee einbringen und aktiv an der Planung einer Demonstration mitmachen. Dadurch können alternative Vorschläge zur Gewalt eingebracht, neue Aktionsplattformen geschaffen und neue Denkanstösse gemacht werden. (Zum Beispiel werden Linksautonome eingeladen, die Demonstration mit zu planen und ein Konsens zur Gewaltfreiheit wird erarbeitet.) Interventionen des Peace-keeping sind das Bilden von Menschenketten zwischen der Polizei und gewalttätigen Akteuren. Mittels Kommunikation wird versucht, einen persönlichen Kontakt zu den Demonstranten herzustellen, die Aggression zu dämpfen und der Zwischenraum zum Gegner zu verkleinern. ss: Wären aus Ihrer Sicht Interventionen am 1. Mai in Zürich möglich / sinnvoll? Interventionen am 1. Mai in Zürich wären durchaus möglich und auch sinnvoll. U. Wildberger hatte diesbezüglich auch schon Kontakt mit Esther Maurer, Polizeivorsteherin der Stadt Zürich, aufgenommen und diese würde diesbezügliche Aktionen begrüssen. Probleme würden die Zeit- und Kräfteressourcen (Mangel an Personen) darstellen. ss: Wie sehen Sie aus Ihrer Sicht den Bezug des Forum für Friedenserziehung zur Sozialen Arbeit? Theoretisch könnten sehr viele Methoden der gewaltfreien Konfliktlösung des Forums für Friedenserziehung für die Soziale Arbeit übernommen werden. Ein Punkt, dass dies nicht passiert ist, dass das Konzept der Gewaltfreiheit sehr gesellschaftskritisch ist. Die Friedensbewegung ist in ihrer Ideologie ziemlich radikal, so dass sie bei vielen auf Widerstand stösst. Die Soziale Arbeit hat viel Spielraum bei der Veränderung von persönlichem Verhalten und der Einstellung. Dadurch, dass die Soziale Arbeit jedoch meist öffentlich getragen ist, gibt es Grenzen, wenn es in gesellschaftsverändernde Fragen hineingeht (Wirtschaft und Politik). Zum Beispiel beim zivilen Ungehorsam gäbe es sofort einen Clinch mit Gesetz und Staat. Anhang VIII Auflistung der Bedürfnisse In der folgenden Aufzählung sind die Bedürfnisse nach diesen drei Arten gegliedert: Biologische Bedürfnisse Bedürfnis nach physischer Unversehrtheit Bedürfnis für die Autopoiese erforderlichen Austauschstoffe Bedürfnis nach Regenerierung Bedürfnis nach sexueller Aktivität und nach Fortpflanzung Biopsychische Bedürfnisse Bedürfnis nach wahrnehmungsgerechter sensorischer Stimulation Bedürfnis nach schönen Formen in spezifischen Bereichen des Erlebens Bedürfnis nach Abwechslung und Stimulation Bedürfnis nach Orientierung Bedürfnis nach subjektiv relevanten Zielen und Hoffnung auf Erfüllung Bedürfnis nach Kontrolle und Kompetenz Biopsychosoziale Bedürfnisse Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung Bedürfnis nach spontaner Hilfe Bedürfnis nach Zugehörigkeit durch Teilnahme Bedürfnis nach Unverwechselbarkeit Bedürfnis nach Autonomie Bedürfnis nach sozialer Anerkennung Bedürfnis nach (Austausch-) Gerechtigkeit Anhang IX Beispiele anomischer Spannungen Ablehnung des Wertes: Beispiel: Ein Arbeitsloser spielt den Wert der Beschäftigung herunter und gewichtet andere Werte, wie beispielsweise viel Freizeit zu haben, höher. Soziale Isolation Beispiel: Eine Putzfrau kommt erst spät am Abend in die Bank um den Begegnungen mit den Bankangestellten ausweichen zu können. Oder ein Arbeitsloser geht nicht mehr in die Stammkneipe, welche er nach der Arbeit immer Besucht hat, um seinen Kollegen auszuweichen, welche immer noch einen Job haben. Individuelle vertikale Mobilität: Beispiel: Ein Mitarbeiter einer grossen Versicherung würde gerne aufsteigen. Da dies aber nicht so einfach ist, wählt der den Weg über einen anderen zentralen Wert wie zum Beispiel die Bildung. Er besucht eine Abendschule um danach bessere Aufstiegschancen zu haben. Kollektive vertikale Mobilität Beispiel: Eine Gruppe von Akteuren tut sich zusammen und die gemeinsame Situation zu verbessern und planen beispielsweise einen Streik. Migration oder geografische Mobilität Beispiel: Weil ein Maler in Winterthur keine Stelle finden kann, zieht er nach St. Gallen, weil er gehört hat, dass in dieser Stadt Maler gesucht werden. Ein anderes Beispiel sind Menschen die auswandern, weil in ihrem Land die Arbeitslosigkeit dermassen gross ist, dass sie nicht mehr damit rechnen eine Stelle zu finden. Delinquenz Beispiel: Ein Sozialhilfebezüger hätte wahnsinnig gerne eine bestimmte Winterjacke, die er sich bei seinem tiefen Einkommen aber nicht leisten kann. Er geht ins Geschäft uns stiehlt die Jacke (oder auch andere Statussymbole). (Chronische) Krankheit Beispiel: Ein Krankheit gibt der betroffenen Person immer einen Grund sich zurückzuziehen und ein fehlen, beispielsweise am Arbeitsplatz, zu erklären.