Kartellrecht in der Vertragspraxis

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Kartellrecht in der Vertragspraxis
recht
1/14
www.recht.recht.ch
Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis
32. Jahrgang
Inhalt
Abhandlungen
1
Stämpfli Verlag
Urs Egli
Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
(1. Teil)
16
Claudia M. Mordasini-Rohner
Gerichtliche Fragepflicht und Untersuchungs­
maxime in familienrechtlichen Verfahren
27
Sandra Hotz
Zwischen Informed Consent und Verbot: Wertungs­
widersprüche in der Reproduktionsmedizin?
Von verbotener Leihmutterschaft und Eizellenspende über
die Samenspende bis hin zu pränatalen Gentests
37
Martina Caroni
Inländerdiskriminierung am Beispiel
des Familiennachzuges
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Strafrecht
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öffentliches Prozessrecht,
Universität Basel
PETER JUNG
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Universität Basel
PETER V. KUNZ
Professor für Wirtschaftsrecht
und Rechtsvergleichung,
Universität Bern
ROGER ZÄCH
Professor em. für Privat-,
Wirtschafts- und Europarecht,
Universität Zürich
recht 2014
Heft 1
Urs Egli
Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
(1. Teil)*
Das Kartellrecht schränkt die Vertragsfreiheit ein. Das ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen.
Dieser Aufsatz vermittelt gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die wichtigsten problematischen Klauseln und gibt eine Anleitung, wie sie nach schweizerischem und europäischem Kartellrecht
zu prüfen sind.
Inhaltsübersicht
I. Einleitung
II. Kartellrechtliche Grundlagen
1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts
2. Schweizerisches und europäisches Kartellrecht
3. Rechtsquellen
4. Adressaten des Kartellrechts
5. Die drei Säulen des Kartellrechts
6. Das Kartellverbot
7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen
8. Prüfschema
9. Marktanteile
10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU
11. Auslegung und Ermessen
12. Vorabklärungen bei den Kartellbehörden
13. Verwaltungs- und Strafsanktionen
14. Zivilrechtliche Nichtigkeit
15. Zivilrechtliche Klagen
III. Beurteilung typischer Klauseln
1. Vertriebsverträge
2. Franchiseverträge
3. Lizenzverträge
4. Technologiepools
5. Zuliefer- und Subunternehmerverträge
6. Arbeitsgemeinschaften
7. Kooperationsverträge
8. Unternehmenskaufverträge
9. Joint-Venture-Verträge
10. Wettbewerbsverbote im Besonderen
11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende
Unternehmen
IV. Empfehlungen
I.
Einleitung
Die Vertragsfreiheit ist ein Grundpfeiler der liberalen Wirtschaftsordnung. Sie besagt, dass die Parteien ihre vertraglichen Rechte und Pflichten in
den Grenzen des Gesetzes frei regeln können.1
Das Kartellrecht begrenzt die Vertragsfreiheit der
Parteien. Bei der Vertragsgestaltung sind die
Dr. iur. Urs Egli, Rechtsanwalt und Gründungspartner der epartners Rechtsanwälte AG, Zürich
* Der 2. Teil folgt in recht Heft 2/14.
1
Grundlegend Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 5 ff.
Schranken des Kartellverbots zu beachten. Für
marktmächtige Unternehmen besteht ein Kontrahierungszwang, und die Fusionskontrolle kann die
Verfügung über Unternehmen verbieten.
Exemplarisch für die Bedeutung des Kartellrechts bei der Vertragsgestaltung ist der Sachverhalt, welcher der CEPSA-Entscheidung des EuGH
zugrunde lag:2 Die spanische Mineralölhändlerin
CEPSA schloss mit Tobar 1996 einen zehnjährigen
Tankstellenvertrag ab. CEPSA stellte die Zapfsäulen und Kraftstofftanks zur Verfügung, und Tobar
verpflichtete sich im Gegenzug, den Kraftstoff exklusiv von CEPSA zu beziehen. Tobar hielt sich nicht
daran und berief sich auf die Nichtigkeit des Alleinbezugsvertrages wegen eines Verstosses gegen
das europäische Kartellrecht.
Bei der Gestaltung und der Verhandlung von
Verträgen muss der Jurist die Grenzen des Zulässigen aufzeigen. Die Spezialdisziplin des Kartellrechts wird jedoch nur von den Mitarbeitern der
Wettbewerbsbehörden und spezialisierten Wirtschaftsanwälten wirklich verstanden.3 Bei der Vertragsredaktion und in Verhandlungssituationen ist
aber nicht immer ein Kartellrechtsspezialist verfügbar. Deshalb muss jeder Jurist, der mit Verträgen
zu tun hat, über ein kartellrechtliches Grundwissen
verfügen. Dieses kann er sich anhand der aktuellen juristischen Literatur4 selber aneignen, wobei
der Besuch einer Weiterbildung den Einstieg sicher erleichtert.5
Im Folgenden werden unter II. die wichtigsten
kartellrechtlichen Regeln dargestellt, die im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung relevant sind.
EuGH, Urteil v. 11. September 2008, Rs. C-279/06 – CEPSA.
Votum von J. Zürcher anlässlich der Tagung der Studienvereinigung Kartellrecht und des Instituts für Wirtschaftsrecht der Universität Bern vom 21. Juni 2013, zitiert bei Prangenberg, Rz. 62.
4 Als Einstieg für den Praktiker eignen sich für die Schweiz Weber/Volz und für das europäische Kartellrecht Dietze/Janssen. Für
Detailabklärungen können der von Amstutz/Reinert herausgegebene Basler Kommentar zum Kartellgesetz und die von Mäger
herausgegebene, mit zahlreichen Zitaten versehene Darstellung
des europäischen Kartellrechts beigezogen werden.
5 Der Verfasser besuchte einen CAS-Lehrgang zum europäischen Kartellrecht an der Universität Konstanz.
2
3
1
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Anschliessend wird unter III. gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die kartellrechtlich
problematischen Klauseln vermittelt. Beides erfolgt unter Berücksichtigung des schweizerischen
und des europäischen Kartellrechts. Dadurch soll
ein mit der Vertragsredaktion befasster Jurist in
die Lage versetzt werden, kartellrechtlich kritische
Klauseln erstens zu erkennen und zweitens nach
den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen im
Detail zu prüfen.
II.
Kartellrechtliche Grundlagen
1.
Extraterritoriale Geltung
des Kartellrechts
In Bezug auf die räumliche Geltung des Kartellrechts gilt das Auswirkungsprinzip. Das Kartellrecht
findet auf alle Sachverhalte Anwendung, die sich
auf den Wettbewerb der betroffenen Rechtsordnung auswirken.6 Auf den Handlungsort kommt es
dabei nicht an.7
Bei der Vertragsredaktion kann vom Juristen
nicht immer abgeschätzt werden, welche Kartellrechtsordnungen betroffen sind. So kann beispielsweise auch ein Kooperationsvertrag zwischen
einem schweizerischen und einem deutschen Hersteller den amerikanischen oder den brasilianischen Markt beeinflussen. Sich bei der Kartellrechtsprüfung nur auf das schweizerische Kartellrecht zu beschränken, ist deshalb nicht ausreichend.
Mit einer Orientierung am europäischen Kartellrecht kann ein Schweizer Jurist jedoch die kartellrechtlichen Risiken kontrollieren. Die wichtigen
Kartellrechtsordnungen gleichen sich, und das europäische Kartellrecht ist ein modernes und strenges Kartellrecht. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass Klauseln auch nach anderen Kartellrechtsordnungen zulässig sind, wenn dies nach
europäischem Kartellrecht der Fall ist. Zudem spielt
sich der schweizerische Aussenhandel ohnehin zu
einem grossen Teil im europäischen Raum ab.
Diese Überlegungen gelten nicht für Fusionskontrollverfahren. Dafür sind in jedem Fall Kartellrechtsspezialisten beizuziehen, welche in der betroffenen Rechtsordnung praktisch tätig sind.
2
6 CH: Art. 2 Abs. 2 KG; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel,
Rn. 21.
7 Illustrativ zum Auswirkungsprinzip sind die folgenden Entscheide: zur extraterritorialen Anwendung des US-Kartellrechts
siehe Hartfort Fire Insurance Co. vs California, 509 U. S. 764 (1993);
für die Schweiz siehe die Verfügung der Wettbewerbskommission vom 30. 11. 2009 in Sachen Gaba/Gebro, RPW 2010/1 65 ff.
recht 2014
2.
Heft 1
Schweizerisches und
europäisches Kartellrecht
Das europäische und das schweizerische Kartellrecht sind seit der letzten Revision im Jahr 2004 im
Bereich der materiellen Regeln praktisch deckungsgleich, auch wenn die Normtatbestände anders aufgebaut sind.8 Die Harmonisierung des schweizerischen und des europäischen Wettbewerbsrechts
ist zudem ein zentrales Anliegen der schweizerischen Wettbewerbskommission (Weko).9
Unterschiede bestehen im Verfahrensrecht und
bei den Sanktionen. So sind im schweizerischen
anders als im europäischen Kartellrecht nicht alle
Verstösse mit einer direkten Sanktion bedroht, sondern nur die Verletzung der qualifizierten Bestimmungen von Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 7 KG.10
Für den Schweizer Juristen hat diese materielle
Übereinstimmung von schweizerischem und europäischem Kartellrecht den Vorteil, dass er bei der
Auslegung des schweizerischen Kartellrechts die
reichhaltige europäische Praxis und Literatur beiziehen kann.
3.
Rechtsquellen
Das schweizerische Kartellrecht ist im Kartellgesetz (KG) kodifiziert. Daneben hat die Weko diverse
Bekanntmachungen erlassen, insbesondere die
Vertikalbekanntmachung11 und die KMU-Bekanntmachung12. Bekanntmachungen sind keine Gesetze, sondern eine Zusammenstellung der Verwaltungspraxis einer Behörde.13 Sie binden weder
die Unternehmen noch die Zivilgerichte.14 Für die
Weko sind sie aufgrund des Vertrauensprinzips jedoch praktisch bindend.15
Die Grundsätze des europäischen Kartellrechts
sind in den Artikeln 101–106 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom
1. Dezember 2009 geregelt.16 Daneben hat die Europäische Kommission mehrere Verordnungen mit
Gesetzescharakter erlassen, welche im Zusammenhang mit der kartellrechtskonformen Vertrags-
8 Zum Ganzen siehe Sturny 107 ff.; Zäch, Harmonisierung, mit
einer detaillierten Analyse und einer synoptischen Darstellung.
9 Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden vom 28. Juni 2010, einleitende Bemerkungen VI. und VII.
10 Siehe dazu hinten II.13.
11 Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden vom 28. Juni 2010.
12 Bekanntmachung betreffend Abreden mit beschränkter Marktwirkung vom 19. Dezember 2005.
13 Neff in BSK KG, Art. 6 KG N 23.
14 Neff in BSK KG, Art. 6 KG N 27.
15 Borer, Art. 6 KG N 3.
16 Mit dem sog. Vertrag von Lissabon wurde der EG-Vertrag umbenannt und neu strukturiert. Inhaltlich entsprechen die Bestimmungen den früheren Art. 81 und 82 EGV.
recht 2014
Heft 1
gestaltung von grosser Bedeutung sind, insbesondere die Vertikal-GVO17, die Spezialisierungs-GVO18,
die TT-GVO19 sowie die F&E-GVO20.
Überdies äussert sich auch die Europäische
Kommission in Leitlinien zur Auslegung ihrer
Gesetze. Von Bedeutung sind die De-minimisBekanntmachung21, die Vertikal-Leitlinien22, die
TT-Leitlinien23 sowie die Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit.24 Die Leitlinien haben
wie die Bekanntmachungen der Weko keinen Gesetzescharakter.25
4.
Adressaten des Kartellrechts
Das Kartellrecht richtet sich an Unternehmen. Der
Unternehmensbegriff ist funktional auszulegen. Erfasst wird jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von der Rechtsform.26
Insbesondere findet das Kartellrecht auch auf
die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen
Hand Anwendung.27 Hingegen sind konzerninterne
Transaktionen vom Anwendungsbereich des Kartellrechts ausgenommen.28
5.
Die drei Säulen des Kartellrechts
Das Kartellrecht beruht auf drei Säulen: dem Kartellverbot, dem Verbot des Missbrauchs von Marktmacht und der Fusionskontrolle.
Das Kartellverbot erfasst horizontale und vertikale Absprachen über das Wettbewerbsverhalten.
Horizontale Absprachen werden zwischen Unternehmen auf der gleichen Marktstufe (Konkurrenten) getroffen, vertikale Absprachen zwischen Un17 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 über die Anwendung von
Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen
und abgestimmten Verhaltensweisen.
18 Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 über die Anwendung von
Art. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen.
19 Verordnung (EU) Nr. 772/2004 über die Anwendung von Art. 81
Abs. 3 EGV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen.
20 Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 über die Anwendung von
Art. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung.
21 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von
geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäss Art. 81 Abs. 1
EGV nicht spürbar beschränken, 2001/C 368/07.
22 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, 2010/C 130/01.
23 Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EGV auf Technologietransfer-Vereinbarungen, 2004/C 101/02.
24 Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, 2011/C 11/01.
25 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 13.
26 CH: Art. 2 Abs. 1 KG und Lehne in BSK KG, Art. 2 KG N 14 f.;
EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 15.
27 CH: Art. 2 Abs. 1 KG; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel,
Rn. 15 f. Dies gilt im europäischen Kartellrecht allerdings nicht,
wenn Beschaffungen im Hinblick auf die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolgen (Mäger in Mäger [Hrsg.], 1. Kapitel, Rn. 15).
28 CH: Lehne in BSK KG, Art. 2 KG N 27 ff.; EU: Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 49 ff.
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
ternehmen verschiedener Marktstufen, also z. B.
zwischen einem Hersteller und einem Distributor.
Das Kartellverbot ist bei der Vertragsgestaltung
von zentraler Bedeutung.
Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre
Marktmacht nicht dazu missbrauchen, andere Unternehmen zu behindern und die Marktgegenseite
zu benachteiligen.29 Das Missbrauchsverbot untersagt marktbeherrschenden Unternehmen bestimmte Geschäftspraktiken, die für andere, nicht
marktbeherrschende Unternehmen zulässig sind.
Dies schränkt die Vertragsfreiheit marktbeherrschender Unternehmen zusätzlich ein.
Mit der Fusionskontrolle schliesslich soll das
Entstehen von Marktstrukturen verhindert werden,
welche für den Wettbewerb negativ sind (Monopole und Oligopole).30 Im Bereich der Unternehmenskaufverträge hat die Fusionskontrolle eine
grosse Bedeutung. Untersteht eine Transaktion der
Fusionskontrolle, so werden der Ablauf und die
Strukturierung der Transaktion dadurch entscheidend beeinflusst und die Verfügung über ein Unternehmen kann sogar gänzlich untersagt werden.
6.
Das Kartellverbot
Kartelle im eigentlichen Sinn sind horizontale Abreden zwischen konkurrierenden Unternehmen.31
Besonders anfällig für Kartellabsprachen sind homogene Güter wie Benzin, Heizöl, Mehl, Bier,
Sand, Kies, Zement sowie gewisse Versicherungsund Bankprodukte.32 Der Hauptzweck einer Kartellabsprache besteht darin, den Wettbewerb zu
beschränken. Kartellabsprachen werden meistens
heimlich getroffen und nicht schriftlich in Verträgen niedergeschrieben.
Das Kartellverbot untersagt grundsätzlich Preisabsprachen, die Aufteilung von Märkten sowie die
Einschränkung von Produktions-, Bezugs- oder Liefermengen.
Unter einer Preisabsprache wird jede direkte
oder indirekte Festsetzung von Preisen oder Preiselementen verstanden.33 Preisabsprachen werden
sowohl im schweizerischen wie auch im europäischen Kartellrecht bereits im Gesetzestext erwähnt.34 Sie werden von der europäischen Kommission mit Nachdruck verfolgt und mit hohen
Bussen belegt.35
Art. 7 Abs. 1 KG und Art. 102 AEUV.
Meinhardt/Waser/Bischof in BSK KG, Art. 10 KG N 11 ff.
31 Zäch, Rz. 49.
32 Siehe die beispielhafte Aufzählung homogener Güter bei Zäch,
Rz. 437.
33 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 374; Zäch, Rz. 454.
34 Art. 5 Abs. 3 lit. a KG; Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV.
35 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 11.
29
30
3
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Bei Gebietsabsprachen ist eine Rechtfertigung
hingegen eher denkbar. So sind im europäischen
Kartellrecht Gebietsabsprachen zwischen Konkurrenten im Rahmen von Lizenzverträgen unter bestimmten Umständen zulässig,36 und im schweizerischen Kartellrecht kann der Nachweis geführt
werden, dass wirksamer Wettbewerb durch die
Gebietsabsprache nicht beseitigt wird.37
Mit Mengen- oder Quotenkartellen38 wird das
Güterangebot künstlich verknappt.39 Darunter fällt
auch die Vereinheitlichung von Produktions- und
Stillstandzeiten und der konzertierte Abbau von
Produktionskapazitäten40 sowie die Beschränkung
der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit.41 Solche Abreden finden sich beispielsweise in Kooperations-, Joint-Venture- und Spezialisierungsvereinbarungen.42
Und schliesslich untersagt das Kartellverbot
auch den Austausch von Informationen zwischen
konkurrierenden Unternehmen, denn es besteht
die Befürchtung, dass es aufgrund des Informationsaustausches zu koordiniertem Verhalten zwischen den Wettbewerbern kommen wird.43 Grundsätzlich unzulässig ist der Austausch strategischer
Daten, die als Geschäftsgeheimnisse anzusehen
sind. Dazu zählen Preise, Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen,
Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen und Technologien.44
7.
Wettbewerbsabsprachen
in Verträgen
Das Kartellverbot untersagt nicht nur Kartelle im
eigentlichen Sinn, sondern jede Abrede, welche
eine Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Eine
solche liegt vor, wenn die Handlungsfreiheit
der Wettbewerbsteilnehmer in Bezug auf einen
oder mehrere Wettbewerbsparameter (z. B. Preis,
Marktgebiet, Kundenkreis, Absatzmengen) beschränkt wird.45 Wettbewerbsabsprachen finden
sich meistens als Nebenabreden in Austausch- und
Gesellschaftsverträgen. Im Unterschied zu Kartellen im eigentlichen Sinn bilden sie nicht den Hauptzweck des Vertrages. Wettbewerbsabsprachen
sind sowohl in horizontalen Verträgen (z. B. in
Kooperationsverträgen) wie auch in vertikalen Ver-
36
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4
44
45
Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 74.
Zäch, Rz. 459.
Art. 5 Abs. 3 lit. b KG; Art. 101 Abs. 1 lit. b AEUV.
Zäch, Rz. 456.
Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 15.
Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 17.
Zäch, Rz. 456.
Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 65.
Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 24.
Borer, Art. 5 KG N 6; Zäch Rz. 379.
recht 2014
Heft 1
trägen (z. B. in Vertriebs-, Lizenz- und Beschaffungsverträgen) anzutreffen.
Wettbewerbsabsprachen setzen im Normalfall
ein Dauerschuldverhältnis voraus. In Zielschuldverhältnissen sind sie selten anzutreffen. Kauf- und
Werkverträge enthalten deshalb kaum je Wettbewerbsabsprachen.46
Vertragsklauseln werden bisweilen als schwarze,
graue, rote und weisse Klauseln bezeichnet, um
damit eine prägnante Aussage zur Zulässigkeit zu
machen.
Schwarze Klauseln enthalten unzulässige Kernbeschränkungen. Im europäischen Kartellrecht führen schwarze Klauseln dazu, dass eine Vereinbarung in der Gesamtheit nicht unter eine GVO fällt.47
Im Normalfall ist bei einer schwarzen Klausel auch
eine Einzelfreistellung ausgeschlossen. Im schweizerischen Kartellrecht bewirken Kernbeschränkungen die Vermutung, dass wirksamer Wettbewerb
beseitigt ist. Auf die Marktanteile der beteiligten
Unternehmen kommt es dabei nicht an. Im schweizerischen Kartellrecht sind schwarze Klauseln
selbst für Kleinstunternehmen grundsätzlich untersagt.48
Als graue Klauseln werden im europäischen Kartellrecht Abreden bezeichnet, die nach der anwendbaren GVO zwar ebenfalls unzulässig sind. Eine
graue Klausel führt im Unterschied zu einer schwarzen Klausel jedoch nicht zum Verlust der Freistellung für die gesamte Vereinbarung. Vielmehr ist
nur die betreffende Klausel nicht durch die GVO
freigestellt, während die GVO für die übrige Vereinbarung grundsätzlich anwendbar bleibt.49 Graue
Klauseln sind z. B. Wettbewerbsverbote, die für
länger als fünf Jahre oder für unbestimmte Dauer
eingegangen werden50, sowie den Abnehmer bindende, nachvertragliche Wettbewerbsverbote51.
In Art. 12 der Vertikalbekanntmachung werden
für das schweizerische Kartellrecht neben schwarzen auch rote Klauseln aufgeführt. Rote Klauseln
sind z. B. die Beschränkung von Querlieferungen
zwischen Händlern eines selektiven Vertriebssystems oder Wettbewerbsverbote, die für mehr als
fünf Jahre oder für eine unbeschränkte Zeit eingegangen werden.52 Bei roten Klauseln liegt zwar
eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung
vor.53 Sie bewirken jedoch keine Vermutung, dass
wirksamer Wettbewerb beseitigt ist und sie unter-
46 Zu den Wettbewerbsverboten beim Unternehmenskauf siehe
hinten III.10.
47 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 69.
48 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 263.
49 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 73.
50 Art. 5 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO.
51 Art. 5 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO.
52 Graber/Krauskopf, 793 f.
53 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 261.
recht 2014
Heft 1
stehen nicht dem mit direkten Sanktionen bedrohten Art. 5 Abs. 4 KG.
Im europäischen Kartellrecht gab es früher auch
weisse Klauseln, die ausdrücklich zulässig waren.54
Heute kennen weder das europäische noch das
schweizerische Kartellrecht weisse Klauseln.
8.
Prüfschema
Die konkrete Prüfung der kartellrechtlichen Klauseln muss sich am anwendbaren Kartellrecht orientieren. Für das schweizerische Kartellrecht ist
dies der Art. 5 KG, für das europäische Kartellrecht
der Art. 101 AEUV.
Das Prüfschema gemäss Art. 5 KG ist mehrstufig.55 Vereinfacht sind nacheinander die folgenden
Fragen zu stellen: Liegt ein Bagatellfall vor, der nicht
vom Kartellverbot erfasst wird? Wird der wirksame
Wettbewerb durch die Abrede beseitigt, was in
den Fällen von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG vermutet
wird? Wird der wirksame Wettbewerb zwar nicht
beseitigt, aber doch erheblich beeinträchtigt? Lässt
sich die Beeinträchtigung durch wirtschaftliche Effizienz rechtfertigen?
Wann eine Wettbewerbsbeschränkung den
Wettbewerb erheblich beeinträchtigt, wird im
schweizerischen Kartellrecht nach quantitativen
und nach qualitativen Kriterien beurteilt.56 Quantitative Kriterien stellen auf die Beeinträchtigung des
Wettbewerbs und damit auf die Marktanteile ab,
qualitative Kriterien auf die Bedeutung der betroffenen Wettbewerbsparameter. Einschränkungen
der wichtigsten Wettbewerbsparameter wie Preis
und Kundenkreis stellen deshalb bei einer rein qualitativen Beurteilung unabhängig von den Marktanteilen immer eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung dar.57 Die aktuelle Praxis nähert sich
dem europäischen Kartellrecht an,58 welches zumindest im Bereich der absolut untersagten Kernbeschränkungen von qualitativen Kriterien ausgeht.
Ob wirksamer Wettbewerb beseitigt oder nur
erheblich beeinträchtigt wird, ist in doppelter Hinsicht relevant. Zum einen lassen sich Abreden, welche den Wettbewerb beseitigen, nicht mit wirtschaftlicher Effizienz rechtfertigen.59 Zum anderen
sind nur den Wettbewerb beseitigende Abreden
mit direkten Sanktionen bedroht.60
Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 103.
Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 658 f.; Weber/Vlcek,
Tafel 23.
56 Zum Ganzen siehe Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG
N 148 ff. und Weber/Volz, Rz. 2.322 ff.
57 So insbesondere Zäch, Rz. 388 ff. unter Berufung auf eine Auslegung der Vertikalbekanntmachung.
58 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 167.
59 Art. 5 Abs. 2 lit. b KG.
60 Siehe hinten II.13.
54
55
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Eine wichtige Rolle spielt die Beweislast.61 In zivilrechtlichen Verfahren ist Art. 8 ZGB massgebend,
d. h., die Wettbewerbsbeschränkung ist von derjenigen Partei zu behaupten und zu beweisen, die
sich darauf beruft. Umgekehrt ist die wirtschaftliche Effizienz einer nachgewiesenen Wettbewerbsbeschränkung von derjenigen Partei zu beweisen,
welche sich auf die Gültigkeit der Abrede beruft.
Die Beweislastregeln gelten insbesondere für die
gesetzliche Vermutung gemäss Art. 5 Abs. 3 und
4 KG. Ist die Vermutungsbasis nachgewiesen, so
hat ein Gericht davon auszugehen, dass wirksamer
Wettbewerb beseitigt ist, sofern der Beweis des
Gegenteils nicht gelingt.62 Die Vermutung kann z. B.
durch den Nachweis widerlegt werden, dass zu
wenig Marktteilnehmer eingebunden sind63 oder
dass die Abrede von den Parteien nicht beachtet
wird.64 Führen Abreden jedoch zu einer Marktabschottung des schweizerischen Marktes, ist der
Gegenbeweis, dass wirksamer Wettbewerb vorliegt, von vornherein ausgeschlossen.65
Im europäischen Kartellrecht wird zwischen einer Gruppenfreistellung und einer Einzelfreistellung unterschieden. In der Praxis ist zunächst zu
prüfen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung durch
eine GVO freigestellt ist.66 Eine GVO gelangt nur
zur Anwendung, wenn die Marktanteile der beteiligten Unternehmen gewisse Schwellenwerte nicht
überschreiten (je nach GVO zwischen 20% und
30%). Ein Sachverhalt kann in den Anwendungsbereich mehrerer GVO fallen. Dann ist zu prüfen,
welche Verordnung zur Anwendung gelangt.67 Die
Vertikal-GVO hat nachrangige Geltung.68
Ist keine GVO anwendbar, ist zu prüfen, ob die
Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung erfüllt
sind. Diese ergeben sich aus Art. 101 Abs. 3 AEUV.69 Wettbewerbsbeschränkungen sind dann
vom Kartellverbot ausgenommen, wenn sie zur
Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und zur Förderung des technischen Fortschritts beitragen und die Marktgegenseite am erzielten Gewinn angemessen beteiligen. Dies gilt
allerdings nur, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung dieser Ziele unerlässlich ist
und wenn der Wettbewerb für die betroffenen Waren nicht vollständig ausgeschaltet wird.70
61 Ausführlich dazu Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG
N 622 ff.
62 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 658 ff.; Weber/Vlcek,
Tafel 25, Fn 2; Zäch, Rz. 450.
63 Zäch, Rz. 476.
64 Zäch, Rz. 487.
65 Zäch, Rz. 486.
66 Dietze/Jannsen, Rn. 158.
67 Siehe dazu Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 55 ff.
68 Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO.
69 Zur direkten Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 3 AEUV und
zum System der Legalausnahme siehe hinten II.12.
70 Zum Ganzen siehe Ellger in Immenga/Mestmäcker, Art. 101
Abs. 3 AEUV, Rn. 128 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 106 ff.
5
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Bei einer Einzelfreistellung haben die GVO Ausstrahlungswirkung. So kann bei einer nur geringfügigen Überschreitung der Marktanteile mit einer
Freistellung gerechnet werden.71 Dies gilt aber
auch umgekehrt, und es ist unwahrscheinlich, dass
eine Kernbeschränkung die Kriterien einer Einzelfreistellung erfüllt.72
9.
Marktanteile
Bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten sind die Marktanteile der involvierten Unternehmen von zentraler Bedeutung. Vom Marktanteil hängt ab, ob das Kartellrecht auf einen
bestimmten Sachverhalt überhaupt Anwendung
findet oder ob Marktmacht als Voraussetzung des
Missbrauchstatbestands vorliegt. Im europäischen
Kartellrecht ist eine Gruppenfreistellung nur möglich, wenn die in der entsprechenden GVO erwähnten Marktanteile nicht überschritten werden. Und
bei der Fusionskontrolle schliesslich dreht sich bei
der materiellen Beurteilung alles darum, ob es zu
einer unerwünschten Konzentration von Marktanteilen kommt.
Um den Marktanteil eines Unternehmens zu bestimmen, muss man den relevanten Markt in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht abgrenzen.73
In sachlicher Hinsicht gehören Güter oder Dienstleistungen dann zum gleichen Markt, wenn sie aus
der Sicht der Abnehmer austauschbar sind.74 Der
gleiche Ansatz gilt für die Bestimmung des örtlich
und zeitlich relevanten Marktes.
Für die Ermittlung der Marktanteile braucht es
ökonomische Kompetenz. Diese Aufgabe obliegt
deshalb nicht in erster Linie dem Juristen, und er
darf sie nicht ohne Unterstützung wahrnehmen. In
der Regel kennen die Unternehmen ihre Konkurrenten und den eigenen Marktanteil aber relativ
genau.
Marktanteile können sich verändern. Eine ursprünglich zulässige Abrede kann deshalb im Verlauf der Zeit unzulässig werden, z. B. weil sie aus
dem Anwendungsbereich einer GVO herausfällt.
10.
Anwendung des Kartellrechts auf KMU
Das Kartellrecht bezweckt, die Wirksamkeit des
Wettbewerbs zu schützen. Entsprechend beschäftigt sich das Kartellrecht nicht mit Tatbeständen,
welche aufgrund ihrer geringen Bedeutung keine
Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 121.
Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 122.
73 Zum Vorgehen siehe CH: Weber/Volz, Rz. 2.30 ff.; EU: Dietze/
Jannsen, 371 ff.
74 Weber/Volz, Rz. 2.318.
71
72
6
recht 2014
Heft 1
Gefährdung des Wettbewerbs darstellen können.
Wo die Grenzwerte liegen, wird von den verschiedenen Kartellrechtsordnungen unterschiedlich definiert.
Im Bereich des Kartellverbots kann davon ausgegangen werden, dass unterhalb eines gemeinsamen Marktanteils von 10% keine kartellrechtsrelevante Beeinträchtigung des Wettbewerbs
vorliegt.75 Dies gilt nicht für Kernbeschränkungen
wie Preis- und Gebietsabsprachen, welche auch
im Bagatellbereich unzulässig bleiben.76 Zudem haben die Wettbewerbsbehörden Ermessen und können auch bei tieferen Werten von einer Beeinträchtigung ausgehen.77
Für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn
Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von unter CHF 2 Mio. hat die Weko besondere Regeln erlassen. Die Weko betrachtet Wettbewerbsabreden, an welchen ausschliesslich Kleinstunternehmen beteiligt sind, als unerheblich.78 Aber auch
das gilt nicht für Kernbeschränkungen wie Preisund Gebietsabsprachen79, weshalb der Nutzen dieser Sonderregelung beschränkt ist.
11.
Auslegung und Ermessen
Das Kartellrecht arbeitet mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen und gibt den rechtsanwendenden Organen viel Ermessen. Es ist nicht
immer klar, ob ein bestimmtes Verhalten zulässig
oder verboten ist. In diesem Zusammenhang
werden die Begriffe «Per-se-Verbot» und «Rule of
Reason» verwendet.80 Mit einem Per-se-Verbot
wird eine Wettbewerbsabrede als kartellrechtswidrig erklärt. Eine allfällige Rechtfertigung wird
nicht geprüft.81 Bei einer Rule of Reason ist eine
Klausel nicht von vornherein kartellrechtswidrig,
sondern die rechtsanwendende Behörde muss im
Einzelfall ermitteln, ob die Klausel wettbewerbspolitisch schädlich ist.82 Unter dem Schlagwort
«More Economic Approach» schliesslich wird
gefordert, dass der Ökonomie bei der Kartell75 CH: Ziffer 3 KMU-Bekanntmachung; EU: Ziffer 7 De-minimisBekanntmachung.
76 CH: Ziffer 3 Abs. 2 sowie Ziffer 5 KMU-Bekanntmachung; EU:
Ziffer 11 De-minimis-Bekanntmachung.
77 In der schweizerischen Lehre wird kritisiert, dass die KMUBekanntmachung im Vergleich zur europäischen De-minimisBekanntmachung weniger Rechtssicherheit vermittle (Ammann/
Strebel, 228 ff.; Neff in BSK KG, Einleitung KMU-BM, N 1 ff.).
78 Ziffer 5 KMU-Bekanntmachung.
79 Ziffer 5 lit. a KMU-Bekanntmachung.
80 Im schweizerischen Kartellrecht z. B. im Zusammenhang mit
Art. 3 Abs. 2 KG (siehe Hilty in BSK KG, Art. 3 Abs. 2 KG N 46); im
europäischen Kartellrecht im Zusammenhang mit der Frage, ob
Koppelungsgeschäfte per se verboten sind oder nur wenn sie den
Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigen (Wirtz in Mäger [Hrsg.],
6. Kapitel, Rn. 93).
81 Zäch, Rz. 171.
82 Zäch, Rz. 170.
recht 2014
Heft 1
rechtsanwendung eine grössere Bedeutung zukommen soll.83
Ist eine bestimmte Abrede nur verboten, wenn
sie sich bei einer ökonomischen Betrachtung
negativ auf den Wettbewerb und letztlich die
Wohlfahrt auswirkt, so mag das für die direkt betroffenen Unternehmen vorteilhaft sein. Auf die
Berechenbarkeit der Rechtsanwendung hat ein
grosses Ermessen jedoch einen negativen Einfluss.84
Kartellrechtlichen Fragestellungen liegen handfeste wirtschaftliche Interessen zugrunde. Vieles
ist umstritten und wenig ist wirklich klar. Entsprechend zahlreich sind die juristischen Publikationen
zu kartellrechtlichen Fragestellungen.85 Dass die
Verfasser solcher Publikationen gleichzeitig oft
auch Interessenvertreter sind, erschwert die Suche nach objektiven Anhaltspunkten.86 Das gilt für
das schweizerische Kartellrecht noch viel mehr als
für das europäische, wo sich eine gefestigte Praxis entwickeln konnte.
12.
Vorabklärungen bei den Kartell­
behörden
Es gibt weder für das schweizerische noch für das
europäische Kartellrecht eine Möglichkeit, Vertragsklauseln durch die Kartellbehörden verbindlich prüfen oder genehmigen zu lassen. Anders
war die Rechtslage im europäischen Kartellrecht
bis zum 1. Mai 2004. Bis dahin erfolgte die Freistellung einer Wettbewerbsabrede vom Kartellverbot mit einer ausdrücklichen Entscheidung der
Kommission.87 Seither gilt im europäischen Kartellrecht jedoch das System der Legalausnahme.88
Eine behördliche Entscheidung muss und kann
nicht mehr eingeholt werden.89 Vielmehr gilt die
Freistellung direkt, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Allerdings müssen die Parteien in
eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko prüfen, ob dies der Fall ist.90
Im schweizerischen Kartellrecht kann beim Sekretariat der Weko eine kostenpflichtige Beratung
in Anspruch genommen werden.91 Die Antwort
weist den Gesuchsteller auf kartellrechtliche Pro-
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
bleme hin. Sie bindet allerdings die Weko nicht und
wird auch nicht publiziert.92 Zudem besteht nach
Art. 49a Abs. 3 lit. a KG die Möglichkeit, Wettbewerbsbeschränkungen zu melden. Dadurch werden jedoch lediglich direkte Sanktionen vermieden.
Auf eine allfällige zivilrechtliche Unwirksamkeit der
betroffenen Klausel hat eine solche Meldung keine
Auswirkungen.93
13.
Verwaltungs­ und Strafsanktionen
Im schweizerischen Kartellrecht sind die Verwaltungs- und Strafsanktionen in den Art. 49a–57 KG
geregelt. Verwaltungssanktionen richten sich gegen die beteiligten Unternehmen, Strafsanktionen
nur gegen die involvierten natürlichen Personen.94
Die in Art. 49a KG erwähnten Tatbestände sind mit
einer direkten Verwaltungssanktion belegt. Das
betrifft qualifizierte horizontale und vertikale Abreden gemäss Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 KG sowie
den Missbrauch von Marktmacht gemäss Art. 7
KG. In allen anderen Fällen erfolgt eine Sanktion
nach Art. 50 KG und setzt demnach voraus, dass
die Weko vorgängig eine Anordnung erlassen hat.
Verwaltungssanktionen können bis zu 10% des
Umsatzes betragen, der in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz vom Unternehmen
im relevanten Markt erzielt wurde.95 Bei der Mehrzahl der bisher von der Weko rechtskräftig entschiedenen Verfahren beläuft sich die Busse auf
Beträge unter CHF 1 Mio.96 Die höchste, rechtskräftig verfügte Busse betrifft mit CHF 2 500 000.–
Publigroupe.97 Die höchste je verfügte, allerdings
vom Bundesgericht wieder aufgehobene Busse
betraf mit CHF 333 Mio. das Verhalten von Swisscom im Zusammenhang mit den Terminierungsgebühren.98
Im europäischen Kartellrecht kann die Kommission Sanktionen erlassen, wenn der gemeinsame
europäische Markt betroffen ist.99 Die Kommission
kann alle kartellistischen Wettbewerbsbeschränkungen100 direkt mit einer Geldbusse von bis zu
Bangerter in BSK KG, Art. 23 KG N 51.
Tagmann/Zirlick in BSK KG, Art. 49a KG N 236.
94 Zäch, Rz. 1104.
95 Art. 49a Abs. 1 KG, Art. 50 KG, Art. 3 der Verordnung über die
Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen vom
12. März 2004.
96 Siehe die Zusammenstellung der Bussen bei Tagman/Zirlick
in BSK KG, Art. 49a KG N 119.
97 BGer 2C_484/2010, Urteil vom 29. Juni 2012 i. S. Publigroupe SA.
98 BGE 137 II 199.
99 Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten
Wettbewerbsregeln.
100 Anders als in der Schweiz gilt dies nicht nur für die besonders
qualifizierten Abreden. Zu den Unterschieden des Sanktionssystems in der Schweiz und der EU grundlegend Zäch/Künzler.
92
93
Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 141.
Bosch/Dallmann, 145; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel,
Rn. 141; Zäch, 172; Zäch, Harmonisierung, 197.
85 Siehe die aktuellste Zusammenstellung der Literatur zum materiellen Kartellrecht bei Weber/Volz, 47 f.
86 Zürcher, 4.
87 Dietze/Jannsen, Rn. 165.
88 Dietze/Jannsen, Rn. 165.
89 Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten
Wettbewerbsregeln; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 31.
90 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 118.
91 Art. 23 Abs. 2 KG.
83
84
7
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
10% des Gesamtumsatzes im vorausgegangenen
Geschäftsjahr belegen.101
Daneben kann auch jede Wettbewerbsbehörde
eines betroffenen Mitgliedsstaates ein Verfahren
führen. Es besteht im europäischen Kartellrecht
ein System der parallelen Zuständigkeiten.102
Spielt sich das sanktionierte Verhalten im Anwendungsbereich verschiedener Kartellrechtsordnungen ab, fällt jede zuständige Behörde eine
Sanktion aus. So wurden im Vitaminkartell, an welchem Roche beteiligt war, zwischen 1999 und
2007 die folgenden kumulierten Bussen verfügt:
USA (USD 500 Mio.), EU (EUR 462 Mio.), Kanada
(CAD 48 Mio.), Australien (AUD 15 Mio.), Brasilien
(USD 6 Mio.), Korea (USD 1.56 Mio.) und Mexiko
(USD 50 000).103
14.
Zivilrechtliche Nichtigkeit
Eine Kartellrechtsverletzung begründet nach
schweizerischem Recht eine Widerrechtlichkeit
und führt damit gemäss Art. 20 OR zur Nichtigkeit
der betroffenen Abrede.104 Für das europäische
Recht ergibt sich die Rechtsfolge der Nichtigkeit
direkt aus der gesetzlichen Bestimmung von
Art. 101 Abs. 2 AEUV. Im Übrigen erfolgt die zivilrechtliche Behandlung kartellrechtswidrigen Verhaltens jedoch nach dem Zivilrecht der involvierten Mitgliedsstaaten.105 Nichtigkeit tritt nicht nur
bei einer Verletzung des Kartellverbots ein, sondern auch bei missbräuchlichen Abreden marktbeherrschender Unternehmen.106
Im schweizerischen Zivilrecht bewirkt nur die
Verletzung der schweizerischen Rechtsordnung
eine Widerrechtlichkeit. Trotzdem kann auch die
Verletzung von ausländischem Kartellrecht zur
Nichtigkeit führen, denn dies begründet allenfalls
eine ebenfalls von Art. 20 OR erfasste Sittenwidrigkeit.107 Zudem ist Art. 19 IPRG zu beachten. Danach gelangt zwingendes ausländisches Recht zur
Anwendung, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich
überwiegende Interessen einer Partei es gebieten
8
101 Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten
Wettbewerbsregeln.
102 Johanns in Mäger (Hrsg.), 12. Kapitel, Rn. 123; zum Grundsatz
«ne bis in idem» im europäischen Kartellrecht siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 63.
103 Zitiert nach Dr. Bruno Meier, Referat «Unternehmen im Fokus
kartellrechtlicher Ermittlungen: Das Vitaminkartell», Kontaktstudium Kartellrecht, Universität Konstanz, 10. September 2012.
104 BGE 134 III 442 (Entscheidung «Konsortium Resh-Abfälle»).
105 Johanns/Mäger in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 1.
106 CH: Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17, N 60; EU: Wirtz
in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 129.
107 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 19.
recht 2014
Heft 1
und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen
Zusammenhang aufweist.108
Aus einem nichtigen Vertrag erwächst kein Erfüllungsanspruch. Die Nichtigkeit wirkt ex tunc109
und ist absolut und unheilbar. Sie ist von Amtes
wegen zu beachten und jedermann kann sich jederzeit darauf berufen.110 Folgeverträge sind jedoch von der Nichtigkeit nicht betroffen. Sie sind
im schweizerischen Recht grundsätzlich gültig.111
Betrifft die Nichtigkeit nur einzelne Teile des
Vertrags, so liegt Teilnichtigkeit vor. Für diesen Fall
enthält das schweizerische Recht eine Entscheidungsregel. Die Nichtigkeit betrifft primär nur die
betroffenen Vertragsteile und erstreckt sich nur
dann auf den Gesamtvertrag, wenn anzunehmen
ist, die Parteien hätten den Vertrag ohne die nichtigen Teile nicht abgeschlossen.112 Massgebend
ist der hypothetische Parteiwille. Es ist also zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen der Teilmangel schon bei Vertragsabschluss
bewusst gewesen wäre.113 Entsteht durch die Teilnichtigkeit eine Lücke, so ist diese nach Massgabe
des hypothetischen Parteiwillens zu ergänzen.114
Bei mehreren zulässigen Ersatzregeln ist jene Variante zu wählen, welche der unwirksamen Vertragsabrede am nächsten kommt.115
Im Bereich des Kartellrechts dürfte Teilnichtigkeit die Regel sein.116 Um den wirksamen Wettbewerb zu schützen, genügt es, die Nichtigkeit auf
jene Teile des Vertrages zu beschränken, die tatsächlich gegen das Kartellgesetz verstossen. So
wäre eine kartellrechtswidrige Preisvorgabe für
den Zwischenhändler nicht beachtlich, der Vertriebsvertrag im Übrigen jedoch gültig. Dies gilt
insbesondere auch für Abreden, welche unter
missbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht von
der Gegenpartei übermässige Zugeständnisse verlangen. Bei solchen Abreden umfasst die Nichtigkeit nur den unangemessenen Teil, und es erfolgt
eine Reduktion auf das kartellrechtlich zulässige
Mass.117
Gestützt auf einen nichtigen Vertrag erbrachte
Leistungen sind nach den Regeln der Vindikation
108 Zur Anwendung von Art. 19 IPRG auf das Kartellrecht siehe
Mächler-Erne in BSK IPRG, Art. 19 IPRG N 24; Zenhäusern, 114.
109 Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 36 ff.; Weber/
Volz, Rz. 3.445; Zäch, Rz. 857.
110 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 53.
111 Zäch, Rz. 869 f. Als Folgeverträge werden Verträge bezeichnet, die eine beteiligte Partei in Durchführung der wettbewerbswidrigen Absprache mit ihren eigenen Kunden oder Lieferanten
abschliesst.
112 Art. 20 Abs. 2 OR.
113 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 63.
114 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 64.
115 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 64.
116 Zum Folgenden siehe Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17
KG N 42 ff.; Weber/Volz, 3.442 sowie für die EU: Fort in Mäger
(Hrsg.) 11. Kapitel, Rn. 9 ff.
117 Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 42 ff.; Zäch,
Rz. 875 f.
recht 2014
Heft 1
und der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten. Dies ist jedoch dann nicht möglich,
wenn in Erfüllung des nichtigen Vertrages Leistungen erbracht worden sind, die nicht zurückerstattet werden können. In diesem Fall ist die Bereicherung entweder objektiv zu schätzen oder aber sie
bestimmt sich nach dem Wert, den ihr die Parteien
in ihrer nichtigen Vereinbarung zugemessen haben.118 Mit diesem Argument hat das Bundesgericht in der Entscheidung «Konsortium Resh-Abfälle» die an sich nichtige Entschädigungsforderung
derjenigen Konsortialpartnerin geschützt, die sich
aus dem Entsorgungsgeschäft zurückzog und dafür entschädigt werden wollte.119 Dem stand auch
Art. 66 OR nicht entgegen, denn diese Bestimmung schliesst nur die Rückforderung des eigentlichen Gaunerlohns aus und gelangt im Bereich des
Kartellrechts im Normalfall nicht zur Anwendung.120
15.
Zivilrechtliche Klagen
Im schweizerischen Kartellrecht kann bei Behinderung durch unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen gemäss Art. 12 KG auf Beseitigung, Unterlassung, Schadenersatz, Genugtuung sowie
Gewinnherausgabe geklagt werden. Zivilrechtliche
Verfahren zur Durchsetzung des Kartellrechts haben in der Schweiz allerdings eine geringe Bedeutung.121 Dies steht im Kontrast zur Situation in den
USA. Dort werden zwischen 90% und 95% der
kartellrechtlichen Streitigkeiten in Zivilverfahren geführt, wobei Schadenersatzklagen im Vordergrund
stehen.122
Im europäischen Kartellrecht erfolgt der privatrechtliche Rechtsschutz vor den Gerichten der Mitgliedsstaaten und die Verfahren werden nach einzelstaatlichem Recht geführt.123 Die europäischen
Kartellbehörden beurteilen die private Kartellrechtsdurchsetzung im Vergleich zu den USA als unterentwickelt und möchten sie fördern.124
Auch im Bereich der privaten Kartellrechtsdurchsetzung können schweizerische Unternehmen im
Ausland in Verfahren verwickelt werden oder selber solche Verfahren führen. So klagten zwei in
der Schweiz domizilierte Gesellschaften beim
Landgericht Hamburg auf Feststellung, es bestehe
keine Lieferpflicht, nachdem sie von einer italienischen Gesellschaft wegen einer Lieferverweigerung abgemahnt worden waren. Parallel dazu klagte
118
119
120
121
122
123
124
BGE 129 II 320; BGE 134 III 443.
BGE 134 III 438.
BGE 134 III 445.
Jacobs/Giger in BSK-KG, Vor Art. 12–17 KG N 8; Jacobs, 209.
Fort in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 24.
Dietze/Janssen, Rn. 637.
Fort in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 26.
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
die italienische Gesellschaft in Italien auf Schadenersatz und Erteilung einer Patentlizenz.125
III.
Beurteilung typischer Klauseln
1.
Vertriebsverträge
Mit einem Vertriebsvertrag strukturiert ein Unternehmen seine Absatzkanäle im vertikalen Verhältnis. Im schweizerischen Kartellrecht erfolgt die Beurteilung von Vertriebsverträgen gemäss Art. 5
Abs. 4 KG sowie anhand der Vertikalbekanntmachung. Im europäischen Kartellrecht ist insbesondere die Vertikal-GVO einschlägig.
Vorab ist zwischen Wiederverkaufs- und Agenturverträgen zu unterscheiden. Die Anwendung
von Kartellrecht setzt voraus, dass selbständige
Unternehmen interagieren.126 Agenten gelten im
Verhältnis zum Geschäftsherrn nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts.127 Das trifft
nur so lange zu, wie der Agent für den Verkauf der
Handelsware kein finanzielles oder geschäftliches
Risiko übernimmt.128
Insbesondere folgende Klauseln in Vertriebsverträgen sind kartellrechtlich relevant:
Preisbindung: Als Preisbindung gilt eine Massnahme, welche den Händler darin beschränkt, seinen Wiederverkaufspreis frei festzusetzen.129 Unzulässig ist insbesondere die Vorgabe eines
Mindestverkaufspreises oder eines Festpreises.
Aber auch indirekte Preisabsprachen sind untersagt. Das gilt für Vorschriften über die Bandbreite
des Wiederverkaufspreises, über die Marge des
Händlers,130 über den Endkunden zu gewährende
Rabatte oder über Rückvergütungen, wenn der
Händler ein bestimmtes Preisniveau einhält.131
Höchstpreisbindungen hingegen sind im Normalfall kartellrechtlich unbedenklich.132
Preisempfehlung: Mit einer Preisempfehlung
wird einem Händler die Anwendung bestimmter
Preise nicht vorgeschrieben, sondern lediglich
empfohlen. Preisempfehlungen sind nur unzulässig, wenn sie durch Ausübung von Druck oder das
Setzen von Anreizen wie eine Preisbindung wir-
125 EuGH Rs. C-133/11 vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und
Fofitec/Ritrama, besprochen bei Peter, 2 ff.
126 Siehe vorne II.4.
127 Ruggli, 166.
128 Dietze/Janssen, Rn. 289 f.; im schweizerischen Kartellrecht
fehlen vergleichbar klare Aussagen zu diesem Thema (Ruggli, 159).
129 Zäch, Rz. 464.
130 Ein Preisklausel, welche den Einkaufspreis des Händlers als
Prozentsatz des Endkundenpreises definiert, ist deshalb unzulässig.
131 CH: Krauskopf/Schaller in BSK-KG, Art. 5 KG N 401 ff.; Mäger
in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 180; Weber/Volz, Ziffer 2.190 ff.
132 CH: Zäch, Rz. 465; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel,
Rn. 182.
9
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
ken.133 Wird eine Preisempfehlung nicht ausdrücklich als unverbindlich bezeichnet, so gilt das als Indiz für deren Verbindlichkeit.134
Alleinvertrieb: Beim Alleinvertrieb sichert der
Lieferant dem Händler zu, im Vertragsgebiet nur
einen einzigen Händler zu beliefern, und der Händler verpflichtet sich, nicht ausserhalb des ihm zugewiesenen Gebietes zu verkaufen.135 Alleinvertriebssysteme sind zulässig, sofern nur der aktive
Verkauf untersagt wird.136 Damit allerdings von einem Alleinvertriebssystem ausgegangen werden
kann, darf ein Gebiet nicht mehreren Händlern zugewiesen werden, was vertraglich sicherzustellen
ist.137 Marktmächtige Unternehmen dürfen grundsätzlich keine exklusiven Vertriebsverträge abschliessen, da für sie eine Belieferungspflicht besteht.138
Verbot des passiven Verkaufs: Unzulässig ist es
hingegen, neben dem aktiven auch den passiven
Verkauf zu verbieten. Unter passivem Verkauf versteht man die Belieferung von Kunden in einem
fremden Gebiet auf deren Anfrage hin.139
Selbstvorbehalt des Lieferanten: Der Lieferant
kann sich den eigenen Vertrieb im zugewiesenen
Gebiet neben dem Händler vorbehalten140 oder er
kann darauf verzichten. Beides ist zulässig. Im
schweizerischen Kartellrecht ist der Verzicht des
Lieferanten sogar dann zulässig, wenn er sich auch
auf passive Verkäufe bezieht.141
Selektiver Vertrieb: Beim selektiven Vertrieb beschränkt der Lieferant den Vertrieb auf eine Gruppe
zugelassener Einzelhändler, welche bestimmte Kriterien qualitativer oder quantitativer Art erfüllen
müssen wie z. B. Vorschriften bezüglich Verkaufsberatung, Service, Gestaltung der Verkaufsräumlichkeiten oder Mindestbezugsmengen. Im
Gegenzug verpflichtet sich der Einzelhändler, die
Vertragswaren nur an Endkunden und andere
zugelassene Einzelhändler zu verkaufen.142 Mit
einem selektiven Vertriebssystem kann der Lieferant erreichen, dass seine Händler gewisse
Standards einhalten müssen, und er kann die sonst
10
133 CH: Ziffer 15 Abs. 2 Vertikalbekanntmachung; Leitentscheidung Hors-Liste Medikamente RPW 2010/4, 649 ff. mit einer Beurteilung durch Giger, Vertikale Abreden, 866 f.; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 181 sowie der Wortlaut von Art. 4 lit. a
Vertikal-GVO.
134 Dazu sowie zu weiteren Indizien für die Verbindlichkeit siehe
Weber/Volz, Rz. 2.237 ff.
135 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 139; Zäch, Rz. 62.
136 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b Vertikal-Bekanntmachung, EU: Art. 4
lit. b i) Vertikal-GVO.
137 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 148.
138 Siehe dazu hinten III.11 sowie für das europäische Recht Dietze/
Janssen, Rn. 546.
139 Zäch, Rz. 469.
140 Für das europäische Kartellrecht siehe Vertikal-Leitlinien,
Rn. 51.
141 Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 17. Mai 2010 i. S. Jovani; wiedergegeben und kommentiert bei Giger, «Jovani».
142 Zäch, Rz. 66; für das europäische Recht siehe die Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 lit. e Vertikal-GVO.
recht 2014
Heft 1
unzulässige und auch für passive Verkäufe geltende
Einschränkung machen, dass nur an Endkunden
oder andere zugelassenen Einzelhändler verkauft
werden darf.
Abreden über selektive Vertriebssysteme gelten im europäischen Kartellrecht entweder gar
nicht als wettbewerbsbeschränkend143 oder aber
sie können durch die Vertikal-GVO oder eine
Legalausnahme freigestellt sein.144 Im schweizerischen Kartellrecht gelten selektive Vertriebssysteme von vornherein nur dann als unerheblich,
wenn die Art der vertriebenen Produkte ein selektives Vertriebssystem erfordert145 wie z. B. bei
technisch komplexen Produkten oder Markenprodukten.146
Die Kriterien für die Auswahl der Händler müssen diskriminierungsfrei angewendet werden.147
Zwar darf der Lieferant pro Gebiet nur einen Einzelhändler exklusiv zulassen. Es muss den anderen zugelassenen Händlern jedoch möglich sein,
nicht nur passiv, sondern auch aktiv in andere Gebiete hinein zu verkaufen.148 Ebenfalls unzulässig
sind Wettbewerbsverbote, die es den zugelassenen Händlern untersagen, Marken bestimmter konkurrierender Anbieter zu verkaufen.149
Internetvertrieb: Ein vollständiges Verbot, Vertragsprodukte über das Internet zu verkaufen, ist
grundsätzlich unzulässig,150 respektive nur ausnahmsweise aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Sicherheit möglich.151 Hingegen ist
es zulässig, dem Händler bestimmte Vorgaben hinsichtlich Internetauftritt und Präsentation der Produkte zu machen, insbesondere bei selektiven
Vertriebssystemen.152 Es ist auch zulässig, vom
Händler zu verlangen, dass er neben dem Internetvertrieb ein Ladengeschäft betreibt (sog. Brickstore-Klausel).153 Reine Internethändler können damit ausgeschlossen werden. Ebenso kann der
Internethandel über Auktionsplattformen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.154
143 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 160; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 299.
144 Art. 4 lit. c Vertikal-GVO; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel,
Rn. 161 ff.
145 Ziffer 14 i) Vertikalbekanntmachung; Weber/Volz, Rz. 2.356 ff;
kritisch Giger, 871 f.
146 Giger unter Verweis auf die europäische Rechtsprechung, 872;
Weber/Volz, Rz. 2.358.
147 Weber/Volz, Rz. 2.359.
148 Für das europäische Kartellrecht siehe die Vertikal-Leitlinien,
Rn. 176 sowie Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 165.
149 Graber/Krauskopf, 794; Ziffer 12 lit. h Vertikalbekanntmachung;
Art. 5 Abs. 1 lit. c Vertikal-GVO;
150 Für das europäische Kartellrecht siehe Mäger in Mäger (Hrsg.),
4. Kapitel, Rn. 173; kritisch zur Übernahme der europäischen
Praxis im schweizerischen Recht siehe Neff in BSK KG, Ziffer 3
Vert-BM N 4.
151 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 58.
152 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 94 ff.
153 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 94 f.; Mäger in Mäger (Hrsg.),
4. Kapitel, Rn. 173.
154 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 109 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.),
4. Kapitel, Rn. 177.
recht 2014
Heft 1
Bei einer über das Internet eingehenden Bestellung eines Kunden aus einem anderen Vertragsgebiet wird von einem passiven Verkauf ausgegangen,155 welcher nicht untersagt werden darf. Der
Internetvertrieb wird nur dann als aktiver Vertrieb
beurteilt, wenn sich der Internetauftritt explizit an
Kunden aus einem anderen Vertragsgebiet wendet, beispielsweise durch den Einsatz von Suchmaschinen- oder Bannerwerbung.156
Dem Händler darf nicht vorgeschrieben werden, für den Internethandel an sich oder für Käufer aus anderen Vertragsgebieten höhere Preise
zu verlangen (Dual Pricing).157 Ebenso ist es unzulässig, Anfragen aus anderen Vertragsgebieten automatisch auf die Webseite des Herstellers oder
anderer Händler umzuleiten oder die Transaktion
abzubrechen.158
Alleinbezug: Dabei verpflichtet sich ein Abnehmer, seinen gesamten Bedarf beim Lieferanten
zu decken.159 Alleinbezugsverpflichtungen werden
als Wettbewerbsverbote betrachtet und sind deshalb unzulässig, wenn der Bezug mehr als 80%
des Bedarfs des Abnehmers deckt oder mehr als
fünf Jahre dauert.160 Ob die «englische Klausel»161
das Wettbewerbsverbot aufhebt, ist fraglich.162
Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihren
Vertragspartnern grundsätzlich keine Alleinbezugsverpflichtung auferlegen.163
Mindestabnahmeverpflichtung: Dafür gelten die
gleichen Regeln wie für den Alleinbezug.164
Verwendungsbeschränkungen: Eine Verwendungsbeschränkung kann dem Abnehmer die
Weiterverarbeitung verbieten (Weiterverarbeitungsverbot) oder eine solche zur Pflicht machen
(Weiterverarbeitungsgebot).165 In beiden Fällen
handelt es sich um Wettbewerbsbeschränkungen.
Ein Verarbeitungsverbot stellt keine unzulässige
Kundenkreisbeschränkung dar, ein Verarbeitungsgebot möglicherweise jedoch schon.166
Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 174.
Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 130 ff. mit einer ausführlichen
Analyse der heute gebräuchlichen Werbemittel, Mäger in Mäger
(Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 175.
157 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 81; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 173.
158 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 78 ff.
159 Zäch, Rz. 68.
160 CH: Ziffer 6 Vertikalbekanntmachung und Ziffer 12 Abs. 2 lit. f
Vertikalbekanntmachung; Neff in BSK KG, Ziffer 6 Vert-BM N 2;
EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 119.
161 Zur englischen Klausel siehe hinten III.11.
162 CH: Neff in BSK KG, Ziffer 6 Vert-BM N 2; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 129.
163 Siehe hinten III.11.
164 Dietze/Janssen, Rn. 274.
165 Zum Ganzen siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Ziffer
Rn. 195 ff.
166 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Ziffer Rn. 195 ff.; ob OEMKlauseln jedoch mit einer Beschränkung des Ersatzteilhandels
gleichzusetzen sind (BSK KG-Neff, Ziffer 12 Vert-BM N 20), ist
fraglich.
155
156
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Ersatzteilhandel: Es darf einem Lieferanten von
Ersatzteilen nicht untersagt werden, diese an Endverbraucher, Reparaturbetriebe und andere Dienstleister zu liefern.167
Einschränkung des Komponentenhandels: Bei
Komponenten, die zur Weiterverarbeitung geliefert werden (insb. bei sog. OEM-Verträgen), ist es
zulässig, den Weiterverkauf dieser Komponenten
an Konkurrenten des Herstellers zu verbieten.168
Verbot von Unterhändlern: Das an den Händler
gerichtete Verbot, Unterhändler einzusetzen,
schränkt dessen Abnehmerkreis ein und gilt deshalb im europäischen Kartellrecht als unzulässige
Kundenkreisbeschränkung.169
Sprunglieferungsverbot: Die einem Grossisten
auferlegte Verpflichtung, nicht direkt an Endverbraucher zu liefern, ist zulässig.170
Wettbewerbsverbot: siehe hinten III.10.
Meistbegünstigungsklausel: Das Versprechen
des Lieferanten an den Abnehmer, anderen Abnehmern keine günstigeren Konditionen einzuräumen, ist zulässig.171
2.
Franchiseverträge
Mit einem Franchisevertrag überlässt der Franchisegeber dem Franchisenehmer eine Geschäftsbezeichnung oder eine Marke, ein Organisations- und
Marketingkonzept sowie Geschäftsmethoden und
Know-how zur Herstellung und zum Vertrieb von
Waren oder Dienstleistungen.172 Franchiseverträge
werden im schweizerischen und im europäischen
Kartellrecht nach den Bestimmungen über den vertikalen Vertrieb geprüft.173
Allerdings sind in Franchiseverträgen weitergehende Einschränkungen des Wettbewerbsverhaltens möglich als in gewöhnlichen Vertriebsverträgen. Mit dem Franchising begriffsnotwendig
verbundene Klauseln sind zulässig. Dies gilt insbesondere für Anweisungen zur Ausstattung des
Geschäfts, für Bezugspflichten, welche durch
eine Qualitätssicherung begründet sind, und für
Konkurrenzverbote.174 Vertragliche Abreden, die
darüber hinausgehen wie z. B. die Aufteilung von
167 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. e Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4
lit. e Vertikal-GVO.
168 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b iv) Vertikalbekanntmachung; EU:
Art. 4 lit. b iv) Vertikal-GVO sowie Ellger in Immenga/Mestmäcker,
VO (EU) 330/2010 Art. 4, Rn. 82 ff.
169 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 191.
170 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b ii) Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4
lit. b ii) Vertikal-GVO.
171 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 185.
172 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 103; Zäch, Rz. 72.
173 CH: Art. 5 KG, grundlegend Vogel; EU: Art. 101 und die Vertikal-GVO.
174 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 106.
11
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Märkten, sind jedoch auch in Franchiseverträgen
unzulässig.175
Auch eine Preisbindung lässt sich nicht kartellrechtskonform durchsetzen,176 selbst wenn eine
einheitliche Preispolitik für ein Franchisingsystem
von Bedeutung ist und sich in der Praxis beobachten lässt.177 Die Empfehlung von Richtpreisen ist
hingegen möglich.178
3.
Lizenzverträge
Mit einem Lizenzvertrag wird eine als Patent oder
als Know-how geschützte Technologie gegen Bezahlung einer Lizenzgebühr zum Zweck der Weiterverwendung und insbesondere der Produktion
an den Lizenznehmer lizenziert. Lizenzverträge
werden von den Wettbewerbsbehörden grundsätzlich als wettbewerbsfördernd betrachtet, weil
sie die Innovation und die Verbreitung von Technologien fördern und Effizienzgewinne ermöglichen.179
Auf europäischer Ebene ist im Bereich der Lizenzverträge die TT-GVO zu beachten. Sie gilt für
Patent- und Know-how-Lizenzen sowie für Urheberrechtslizenzen im Bereich der Software,180 nicht
jedoch für Markenlizenzen und allgemeine Urheberrechtslizenzen.181 Im Vergleich zur Vertikal-GVO
lässt die TT-GVO mehr zu. So ist es insbesondere
auch möglich, den passiven Verkauf zu untersagen. Im schweizerischen Kartellrecht sind Lizenzverträge mangels Fallrecht und Verlautbarungen
der Weko einer allgemeinen Beurteilung nach
Art. 5 KG zu unterziehen, wobei die TT-GVO rechtsvergleichend beigezogen werden kann.182
Im Bereich der Lizenzverträge besteht die Besonderheit, dass Wettbewerbswirkungen, die sich
ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das
geistige Eigentum ergeben, nicht unter das Kartellrecht fallen.183 Es besteht allerdings die Gefahr,
dass der Lizenzgeber vom Lizenznehmer unter Berufung auf sein geistiges Eigentum Wettbewerbsbeschränkungen verlangt, die nicht mit der Ausübung berechtigter immaterialgüterrechtlicher
Positionen zu rechtfertigen sind.
Illustrativ ist der Entscheid des EuGH in Sachen
Windsurfing International (WSI), bei dem es um
einen kartellrechtswidrigen Lizenzvertrag über ein
patentrechtlich geschütztes Rigg (Mast und Segel)
Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 107; Vogel, Rz. 721 ff.
Vogel, Rz. 585 ff.
Vogel, Rz. 203 ff.; Zäch, Rz. 465.
178 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 106.
179 TT-Leitlinien, Rn. 17.
180 Art. 1 Abs. 1 lit. b TT-GVO.
181 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 24.
182 Neff in BSK KG, Vert-BM Ziff 8 N 8; grundlegend Hilty.
183 CH: Art. 3 Abs. 2 KG; EU: Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel,
Rn. 15 ff.
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12
recht 2014
Heft 1
für Windsurfer ging.184 Mit diesem wurden die Lizenznehmer verpflichtet, die nicht patentrechtlich
geschützten Bretter durch WSI genehmigen zu lassen. Zudem mussten sie die Lizenzgebühren auf
der Basis des Gesamtwertes der Windsurfer (also
inklusive der Bretter) abrechnen. Weiter durften
sie die von ihnen in Lizenz produzierten Riggs nicht
als Komponenten (d. h. ohne die Bretter) anbieten,
die Produktion musste in Deutschland erfolgen,
und auf dem Brett musste der Vermerk «lizenziert
durch WSI» angebracht werden. Und schliesslich
mussten die Lizenznehmer die Wortmarken von
WSI anerkennen und sich verpflichten, die lizenzierten Patente nicht anzugreifen. Alle diese Bedingungen waren nicht durch die Ausübung der
Immaterialgüterrechte am patentgeschützten Rigg
gerechtfertigt und damit unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen.
Insbesondere folgende Abreden in Lizenzverträgen sind kartellrechtlich relevant:
Preisbindung: Jede direkte und indirekte Preisbindung in Lizenzverträgen ist unzulässig.185 In Lizenzverträgen zwischen Wettbewerbern sind sogar Preisempfehlungen und die Festsetzung von
Höchstpreisen untersagt.186 Auch Preisüberwachungssysteme können indirekt eine Preisbindung
bewirken.187
Im Übrigen können die Parteien die Festsetzung
der Lizenzgebühren frei regeln.188 Möglich sind
Pauschalzahlungen oder absatzabhängige Lizenzgebühren. Letztere können in Form von Pauschalen pro verkauftes Produkt oder als Prozentsatz
des Verkaufserlöses ausgestaltet werden.189 Allerdings ist in jedem Fall zu prüfen, ob nicht indirekt
eine unzulässige Preisabrede bewirkt wird. Insbesondere die Berechnung der Lizenzgebühren anhand der erzielten Verkaufserlöse (Running Royalties) wird im europäischen Kartellrecht von der
Kommission als kritisch beurteilt, jedenfalls was
Lizenzverträge zwischen Wettbewerbern betrifft.190
Exklusivlizenz: Damit verpflichtet sich der Lizenzgeber, im bezeichneten Bereich keine Lizenzen an
Dritte zu erteilen und auf die Eigenproduktion zu
verzichten.191 Zwischen Wettbewerbern stellen
wechselseitige Exklusivlizenzen eine unzulässige
Marktaufteilung dar.192 Im Übrigen sind Exklusiv184 EuGH, Rs. 193/83 (Windsurfing International), Slg. 1986 643 ff.
in Sachen Windsurfing International.
185 CH: Art. 5 Abs. 3 KG; EU: Art. 4 Abs. 1 lit. a (Wettbewerber)
und Art. 4 Abs. 2 lit. a (Nichtwettbewerber) TT-GVO.
186 TT-Leitlinien, Rn. 79 und Art. 4 Abs. 2 lit. a TT-GVO e contrario.
187 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 50.
188 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 94 ff.
189 TT-Leitlinien, Rn. 156.
190 TT-Leitlinien, Rn. 80; kritisch dazu Gehring in Mäger (Hrsg.),
5. Kapitel Rn. 51.
191 TT-Leitlinie, Rn. 162.
192 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 62.
recht 2014
Heft 1
lizenzen im Rahmen der TT-GVO zulässig.193 Selbst
wenn die Marktanteilsschwelle überschritten wird,
besteht für Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern die Aussicht auf eine Einzelfreistellung.194 Zwischen Nichtwettbewerbern kann dem
Lizenznehmer neben dem aktiven während der
ersten zwei Jahre auch der passive Verkauf untersagt werden.195
Alleinlizenz: Im Unterschied zur Exklusivlizenz
behält sich der Lizenzgeber bei der Alleinlizenz die
Eigenproduktion vor.196 Alleinlizenzen sind kartellrechtlich weniger problematisch als Exklusivlizenzen, da sie die Handlungsfähigkeit des Lizenzgebers nicht beeinträchtigen.197
Outputbeschränkung: Darunter wird die Festsetzung der unter der Lizenz zu produzierenden
Stückzahlen verstanden.198 In Lizenzverträgen
zwischen Nichtwettbewerbern sind Outputbeschränkungen im Anwendungsbereich der TT-GVO
zulässig.199 Ebenfalls zulässig ist eine Outputbeschränkung zulasten des Lizenznehmers in einem
Lizenzvertrag zwischen Wettbewerbern.200 Hingegen sind Outputbeschränkungen zwischen Wettbewerbern, die neben dem Lizenznehmer auch
den Lizenzgeber binden, unzulässig201, denn sie
sind mit einem Mengenkartell gleichzusetzen.202
Field-of-use-Klausel: Damit wird dem Lizenznehmer die Beschränkung auferlegt, die lizenzierte
Technologie nur in den definierten Anwendungsbereichen oder Produktenmärkten zu nutzen.203
Die Klausel ist keine unzulässige Marktaufteilung,
wenn die Technologie die Herstellung differenzierbarer Produkte ermöglicht.204 Die Differenzierbarkeit muss sich dabei anhand objektiver Kriterien
nachvollziehen lassen (z. B. 4-Zylinder- anstatt 6-Zylinder-Motoren).205
Field-of-use-Klauseln sind auch zwischen Wettbewerbern grundsätzlich zulässig206, zwischen
Nichtwettbewerbern möglicherweise sogar oberhalb der Marktanteilsschwelle der TT-GVO.207
193 Für das europäische Kartellrecht siehe Art. 4 Abs. 1 lit. c TTGVO (für Wettbewerber) und Art. 4 Abs. 2 lit. b TT-GVO (für Nichtwettbewerber) sowie Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 61 ff.
194 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 64.
195 Art. 4 Abs. 2 lit. b ii) TT-GVO.
196 TT-Leitlinien, Rn. 162.
197 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 66 f.
198 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 54.
199 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 60.
200 Art. 4 Abs. 1 lit. b TT-GVO.
201 Art. 4 Abs. 1 lit. b TT-GVO.
202 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kernbeschränkungen, Rn. 16; Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel,
Rn. 55.
203 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 68.
204 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kernbeschränkungen, Rn. 31.
205 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 69.
206 Art. 4 Abs. 1 lit. c i) TT-GVO.
207 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 72.
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
F&E-Beschränkung: Beschränkungen der eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit sind
sowohl zwischen Wettbewerbern als auch zwischen Nichtwettbewerbern unzulässig, es sei
denn, sie seien aus Gründen des Know-how-Schutzes zwingend erforderlich.208
Rücklizenz an Verbesserungen: Die Verpflichtung des Lizenznehmers, dem Lizenzgeber eine
Exklusivlizenz an von ihm selber entwickelten, abtrennbaren Verbesserungen der Technologie einzuräumen oder die Rechte daran auf den Lizenzgeber zu übertragen, sind von der TT-GVO nicht
freigestellt (graue Klausel).209 Hingegen kann vom
Lizenznehmer die Einräumung einer nicht exklusiven Rücklizenz verlangt werden.210
Nichtangriffsabrede: Ebenfalls als nicht freigestellte, graue Klausel gilt die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Gültigkeit der Immaterialgüterrechte des Lizenzgebers nicht anzugreifen.211
Hingegen kann dem Lizenzgeber für diesen Fall
ein Kündigungsrecht eingeräumt werden.212 Nichtangriffsklauseln bezüglich Know-how sind hingegen möglich.213
Qualitätsvorschriften und Bezugspflicht: Qualitätsvorschriften des Lizenzgebers und die damit
verbundene Verpflichtung des Lizenznehmers zum
Bezug von Komponenten und Rohstoffen sind nur
dann zulässig, wenn sie erforderlich sind, um einen bestimmten Mindeststandard abzusichern.214
Trifft diese Voraussetzung nicht zu, so bestimmt
sich die Zulässigkeit einer Bezugspflicht nach den
für Vertriebsverträge geltenden Regeln.215
Wettbewerbsverbot: siehe dazu hinten III.10.
Meistbegünstigungsklausel: Die Zusage des Lizenzgebers, dem Lizenznehmer immer die günstigsten Lizenzbedingungen zu gewähren, kann im
Rahmen von Lizenzverträgen gültig vereinbart werden.216
Verbot der Unterlizenzierung: Das Verbot der
Unterlizenzierung durch den Lizenznehmer kann
zulässig vereinbart werden.217
Längstlaufklausel: Darunter wird die Abrede verstanden, dass sich die Lizenzdauer um die Schutzdauer des ergänzten Schutzrechts verlängert,
wenn der Lizenzgeber dem Lizenznehmer Verbes-
208 Art. 4 Abs. 1 lit. d TT-GVO und Art. 5 Abs. 2 TT-GVO sowie
Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 86 f.
209 Art. 5 Abs. 1 lit. a und b TT-GVO.
210 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 89.
211 Art. 5 Abs. 1 lit. c TT-GVO.
212 Art. 5 Abs. 1 lit. c TT-GVO.
213 TT-Leitlinie, Rn. 112.
214 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 99.
215 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 99.
216 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kernbeschränkungen, Rn. 73; Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel,
Rn. 101.
217 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 92; Klawitter in Wiedemann (Hrsg.) § 13, Rn. 287.
13
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
serungen hinsichtlich der Technologie mitteilt.
Diese Abrede ist zulässig.218
Klausel betreffend Schutzrechtsvermerke: Der
Lizenznehmer kann verpflichtet werden, Lizenzvermerke oder Marken auf der lizenzierten Technologie anzubringen, jedoch nur auf dieser und nicht
auf Erzeugnissen, die vom Schutzrecht nicht erfasst sind.219
Geheimhaltungsklausel: Geheimhaltungsklauseln sind zulässig, denn sie sind für den Lizenzgeber unerlässlich, um seine Technologie zu schützen.220 Das gilt auch für vertragsüberdauernde
Geheimhaltungspflichten.221
Nutzungsverbot nach Vertragsablauf: Das Verbot, die lizenzierte Technologie nach Vertragsablauf weiter zu nutzen, ist nur zulässig, wenn die
Technologie zu diesem Zeitpunkt noch geschützt
ist.222
4.
14
Technologiepools
recht 2014
Heft 1
Werden im Pool hingegen Technologien zusammengefasst, die sich ergänzen und die für die Produktion wesentlich sind, so kann der Pool durch
Senkung der Transaktionskosten eine wettbewerbsfördernde Wirkung haben.228 Weiter gilt,
dass mit zunehmender Marktmacht auch die Gefahr einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung
ansteigt. Pools mit grosser Marktmacht müssen
zudem offen sein und die Gleichbehandlung gewährleisten und sie dürfen fremde Technologien
nicht übermässig abschotten.229
Mit Technologiepools nicht vereinbar sind Exklusivitätsklauseln, mit welchen sich die Mitglieder verpflichten, Produkte nur innerhalb des Pools
weiterzuentwickeln und ausserhalb des Pools
keine Lizenzen zu erteilen.230 Ebenso darf ein Pool
keine ungültigen Patente schützen.231
5.
Zuliefer­ und Subunternehmerverträge
In einem Technologiepool bündeln Lizenzgeber ihre
Technologien zu einem Technologiepaket zwecks
Lizenzierung an die Poolmitglieder und an Dritte.223
Kartellrechtlich sind einerseits die Zulässigkeit der
Poolgründung an sich sowie andererseits der Inhalt der Lizenzverträge betreffend Weiterlizenzierung des Technologiepakets zu prüfen. Für das europäische Kartellrecht hat die Kommission in den
TT-Leitlinien Richtlinien zur Beurteilung der Zulässigkeit von Technologiepools erlassen. Die Gründung von Technologiepools fällt nicht in den Anwendungsbereich der TT-GVO und muss im
Einzelfall geprüft werden, die Weiterlizenzierung
hingegen schon.224 Im schweizerischen Kartellrecht erfolgt die Prüfung nach Art. 5 KG, wobei
dies zu vergleichbaren Ergebnissen wie im europäischen Kartellrecht führen sollte.225
Technologiepools haben eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung und sind unzulässig, wenn
sie zu einem Preiskartell oder zu einer Behinderung des Wettbewerbs, insbesondere des Innovationswettbewerbs, führen.226 Diese Gefahr ist
grösser, wenn am Pool Technologien beteiligt sind,
die unter sich substituierbar oder für die Produktion nicht relevant sind. Solche Pools werden von
der Kommission als unzulässig beurteilt.227
Mit einem Zuliefervertrag beauftragt der Auftraggeber den Zulieferer, nach seinen Weisungen Waren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen.232 Beim Subunternehmervertrag handelt der
Subunternehmer ebenfalls im Interesse des Auftraggebers. Er tritt jedoch im Gegensatz zum Zulieferer in direkten Kontakt mit dem Kunden des
Auftraggebers.
Zuliefer- und Subunternehmerverträge regeln
die Beschaffung und nicht den Vertrieb. Es geht
um die Herstellung optimaler Produktionsbedingungen, d. h. um die Realisierung von Effizienzgewinnen233 und nicht um die Strukturierung von Absatzkanälen. Zuliefer- und Subunternehmerverträge
sind kartellrechtlich deshalb weniger problematisch
als Vertriebsverträge. Sie werden im schweizerischen Kartellrecht nach den allgemeinen Regeln
von Art. 5 KG geprüft. Im europäischen Kartellrecht
ist die Zulieferbekanntmachung zu beachten.234
Insbesondere folgende Abreden sind in Zuliefer- und Subunternehmerverträgen235 kartellrechtlich relevant:
Know-how-Schutz: Dabei geht es um Bestimmungen, wonach die vom Auftraggeber stammenden Kenntnisse und Betriebsmittel (Know-how,
Pläne etc.) nur im Interesse des Auftraggebers verwendet werden dürfen. Solche Klauseln sind zu-
218 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 103; Klawitter in Wiedemann (Hrsg.) § 13, Rn. 290.
219 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 98.
220 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 93.
221 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 93.
222 TT-Leitlinien, Rn. 156.
223 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 112; TT-Leitlinien, 210.
224 TT-Leitlinien, 212.
225 Heinemann, 42.
226 TT-Leitlinien, 213.
227 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 114.
TT-Leitlinien, 215 ff.
TT-Leitlinien, 224.
TT-Leitlinien, 227.
231 TT-Leitlinien, 229.
232 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und
b KG 1. HS N 51; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110.
233 Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG
1 HS N 61.
234 Bekanntmachung der Kommission vom 18. Dezember 1978
über die Beurteilung von Zulieferverträgen, Abl. 1979 C 1/2.
235 Nachfolgend gemeinsam Zulieferverträge.
228
229
230
recht 2014
Heft 1
lässig, ebenso wie Vertraulichkeitsklauseln und
Verwertungsverbote zulasten des Zulieferers.236
Technische Verbesserungen: Die Verpflichtung
des Zulieferers, technische Verbesserungen dem
Auftraggeber zur Verfügung zu stellen, ist zulässig.237 Hingegen darf dem Zulieferer nicht untersagt werden, die Resultate der eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu verwerten,
sofern diese Resultate selbständig verwertbare Ergebnisse darstellen.238
Exklusivität: Ein Zulieferer kann sich auch verpflichten, nur einen einzigen Auftraggeber zu beliefern. Im europäischen Kartellrecht ist eine solche Alleinbelieferungsverpflichtung durch die
Vertikal-GVO freigestellt,239 wenn weder der Zulieferer noch der Auftraggeber mehr als 30%
Marktanteile halten.240
Wettbewerbsverbote: siehe dazu hinten III.10.
6.
Arbeitsgemeinschaften
In einer Arbeitsgemeinschaft (auch Konsortium genannt) schliessen sich mehrere Unternehmen projektbezogen zusammen, um ein bestimmtes Vorhaben gemeinsam durchzuführen.241 Handelt es
sich dabei um Unternehmen, die auf unterschiedlichen sachlichen und räumlichen Märkten tätig
236 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und
b KG 1. HS N 70; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110 f.
237 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110 f.
238 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und
b KG 1. HS N 70; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 111.
239 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 155 ff.
240 Da sich mit der Belieferungspflicht der Lieferant und nicht der
Abnehmer verpflichtet, gelangen die Einschränkungen der Vertikal-GVO bezüglich Wettbewerbsverbote nicht zur Anwendung
(siehe dazu hinten III.10).
241 Böni/Wassmer, Rz. 5.
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
sind, fehlt es von vornherein an einer Wettbewerbsbeschränkung.242 Handelt es sich bei den
Konsortialpartnern um tatsächliche oder potenzielle Konkurrenten, so ist zu prüfen, ob der Zusammenschluss eine unzulässige Marktabsprache darstellt. Dies ist nicht der Fall, wenn die beteiligten
Unternehmen erst durch die Kooperation überhaupt in der Lage sind, das Projekt durchzuführen.243 Dann führt die Arbeitsgemeinschaft nicht
zu einer Bündelung von Angeboten, sondern zu einem zusätzlichen Angebot, was kartellrechtlich positiv zu bewerten ist.
Ob die Konsortialpartner für sich allein marktfähig sind, wird anhand objektiver Kriterien geprüft
wie z. B. der technischen Kompetenz oder des finanziellen und personellen Aufwands.244 Die Prüfung erfolgt immer in Bezug auf ein konkretes Projekt. Es kann also sein, dass Konkurrenten lediglich
das konkrete Projekt nicht allein durchführen können, sonst aber grundsätzlich als Konkurrenten am
Markt teilnehmen.245
Bei Arbeitsgemeinschaften besteht die Gefahr,
dass sie als Plattformen für Preisabsprachen oder
den Austausch vertraulicher Informationen dienen.246
Fortsetzung folgt in Heft 2/14.
Dazu und zum Folgenden siehe Lübbig in Wiedemann, Rn. 228.
Dazu sowie zum Folgenden siehe CH: Böni/Wassmer, Rz. 7;
EU: Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 30;
Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 85.
244 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 88.
245 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 87.
246 Weber/Volz, Rz. 2.132; zu den Möglichkeiten der Preisabsprache siehe insbesondere Böni/Wassmer.
242
243
15
recht
2/14
www.recht.recht.ch
Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis
32. Jahrgang
Inhalt
Abhandlungen
49
Vito Roberto/Marisa Walker
AGB-Kontrolle nach dem revidierten Art. 8 UWG
67
Urs Egli
Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
(2. Teil)
76
René Wiederkehr
Die Beschwerdebefugnis des Konkurrenten
Eine Übersicht über die neuere Rechtsprechung und
Doktrin zu Art. 48 Abs. 1 VwVG und Art. 89 Abs. 1 BGG
92
Marcel Brun
Gefahr der Verpolizeilichung des Vorverfahrens
Orientierung
100
Stämpfli Verlag
Alain Griffel
«Vom Wert einer guten Gesetzgebung»
Impressum
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recht 2014
Heft 2
Urs Egli
Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
(2. Teil)*
Das Kartellrecht schränkt die Vertragsfreiheit ein. Das ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen.
Dieser Aufsatz vermittelt gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die wichtigsten problematischen Klauseln und gibt eine Anleitung, wie sie nach schweizerischem und europäischem Kartellrecht
zu prüfen sind.
Inhaltsübersicht
I. Einleitung
II. Kartellrechtliche Grundlagen
1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts
2. Schweizerisches und europäisches Kartellrecht
3. Rechtsquellen
4. Adressaten des Kartellrechts
5. Die drei Säulen des Kartellrechts
6. Das Kartellverbot
7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen
8. Prüfschema
9. Marktanteile
10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU
11. Auslegung und Ermessen
12. Vorabklärungen bei den Kartellbehörden
13. Verwaltungs- und Strafsanktionen
14. Zivilrechtliche Nichtigkeit
15. Zivilrechtliche Klagen
III. Beurteilung typischer Klauseln
1. Vertriebsverträge
2. Franchiseverträge
3. Lizenzverträge
4. Technologiepools
5. Zuliefer- und Subunternehmerverträge
6. Arbeitsgemeinschaften
7. Kooperationsverträge
8. Unternehmenskaufverträge
9. Joint-Venture-Verträge
10. Wettbewerbsverbote im Besonderen
11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende
Unternehmen
IV. Empfehlungen
Literaturverzeichnis
7.
Kooperationsverträge
7.1
Vorbemerkungen
«Kooperationsvertrag» ist ein unscharfer Begriff.
Er wird in der Vertragspraxis für die unterschiedlichsten Formen der Zusammenarbeit verwendet.
Was der Vertragszweck ist, erschliesst sich erst
bei einer Analyse der vertraglichen Leistungen. So
kommt es vor, dass selbst Vertriebs- oder ZulieDr. iur. Urs Egli, Rechtsanwalt und Gründungspartner der epartners Rechtsanwälte AG, Zürich
* Der 1. Teil ist in recht Heft 1/14, Seite 1–15 erschienen.
ferverträge als Kooperationsverträge bezeichnet
werden. Kooperationsverträge haben oft einen gesellschaftsrechtlichen Aspekt. Immer handelt es
sich um Dauerschuldverhältnisse. Kooperationsverträge sind sowohl in horizontalen wie auch in
vertikalen Verhältnissen anzutreffen. Letzteres ist
z. B. der Fall, wenn ein Auftraggeber und sein Zulieferer im Rahmen einer F&E-Kooperation die Entwicklung ihrer jeweiligen Produkte aufeinander abstimmen.
Im europäischen Kartellrecht sind für horizontale Kooperationen einerseits die Leitlinien über
die horizontale Zusammenarbeit zu beachten. Andererseits sind im Bereich der Produktion die Spezialisierungs-GVO und im Bereich von Forschung
und Entwicklung die F&E-GVO einschlägig.247 Für
F&E-Kooperationen im vertikalen Verhältnis kann
aber auch die Vertikal-GVO zur Anwendung gelangen. Das ist dann der Fall, wenn der Auftraggeber
die Entwicklungsleistung bezahlt und lediglich bei
der Spezifikation der Ergebnisse mitwirkt. Welche
GVO Anwendung findet, ist von Bedeutung, da unter der Vertikal-GVO dem Auftragsentwickler strengere Wettbewerbsbeschränkungen auferlegt werden können als unter der F&E-GVO. Insbesondere
ist ein Konkurrenzverbot zulasten eines Auftragsentwicklers unter der Vertikal-GVO zeitlich unbegrenzt zulässig.248
Im schweizerischen Kartellrecht werden Kooperationsverträge nach Art. 5 KG beurteilt. Von der
Normsetzungskompetenz gemäss Art. 6 Abs. 1
lit. a und b KG wurde noch kein Gebrauch gemacht.
Kartellrechtlich wenig problematisch sind F&EKooperationen im Bereich der Grundlagenforschung, die Zusammenarbeit von Auftraggebern
mit spezialisierten Forschungsinstituten, reine
Auftragsentwicklungen sowie F&E-Vereinbarungen ohne gemeinsame Verwertung.249 Besonders
strenge Regeln gelten demgegenüber für Kooperationen zwischen Wettbewerbern. Insgesamt gilt,
dass es bei Kooperationsverträgen stärker auf die
247
248
249
Zum Ganzen siehe Brandi-Dohrn.
Brandi-Dohrn, 1353; siehe auch hinten III.10.
Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 156.
67
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Beurteilung des Einzelfalls ankommt. Entsprechend ist die Rechtsunsicherheit grösser.
Bei einer umfangreichen und langdauernden Kooperation kann die Gründung eines Joint Ventures
eine Alternative zum Abschluss eines Kooperationsvertrages sein. Sind grosse Unternehmen beteiligt, so ist ein Fusionskontrollverfahren durchzuführen. Dieses hat den Vorteil, dass die Zulässigkeit
der Kooperation durch die Kartellbehörden vorgängig geprüft wird.250
7.2
F&E-Kooperationen
Insbesondere die folgenden Klauseln sind kartellrechtlich relevant:251
Zugang zu den F&E-Ergebnissen: Die F&E-GVO
verlangt, dass alle beteiligten Unternehmen den
gleichen Zugang zu den Ergebnissen haben.252
Einschränkung der F&E-Tätigkeit: Die Parteien
dürfen sich bei ihrer F&E-Tätigkeit nur im sachlichen Anwendungsbereich der Forschungskooperation beschränken.253
Verwendungsbeschränkungen: Die Verwertung
der Ergebnisse muss nach Ablauf der Vereinbarung frei möglich sein. Dies geht so weit, dass sich
die Parteien Zugang zu vorbestehendem Knowhow gewähren müssen, sofern dieses für die Verwertung erforderlich ist.254 Hochschulen oder andere Unternehmen, die F&E-Dienstleistungen
anbieten, können sich jedoch verpflichten, die Ergebnisse nur für weitere Forschung zu verwenden.255
Produktionsbeschränkung: Die Beschränkung
der Produktion ist nicht zulässig.256 Ausgenommen
sind zulässige Absprachen zur gemeinsamen Verwertung.
Absprachen zur gemeinsamen Verwertung: Unter der Verwertung werden die Herstellung und
der Vertrieb der Produkte, aber auch die Lizenzierung der entwickelten Technologien verstanden.
Zur Kooperation können die Parteien entweder eine
gemeinsame Organisation mit der Verwertung beauftragen oder aber, was weitaus häufiger der Fall
ist, sich bestimmte Gebiete, Kunden oder Anwendungsbereiche auf dem Weg der Spezialisierung
selber vorbehalten. Letzteres kann auch dadurch
geschehen, dass nur eine beteiligte Partei die Vertragsprodukte herstellt und vertreibt und die anderen Parteien gänzlich darauf verzichten.257
Siehe hinten III.9.
Die nachfolgende Darstellung orientiert sich hauptsächlich an
der F&E-GVO.
252 Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO.
253 Art. 5 lit. a F&E-GVO.
254 Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO.
255 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 162.
256 Art. 5 lit. b F&E-GVO.
257 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 160.
250
251
68
recht 2014
Heft 2
Preisabsprachen: Die Festsetzung von Preisen
ist unzulässig.258
Verkaufsbeschränkungen: Aktive Verkaufsbeschränkungen sowie das Verbot der Unterlizenzierung sind zulässig, sofern Gebiete oder Kundenkreise einer Partei auf dem Weg der Spezialisierung
zugewiesen sind.259 Dies gilt sogar für die Einschränkung des passiven Verkaufs.260
Field-of-use Klauseln sind zulässig.261
Wettbewerbsverbot: Haben die Parteien eine
gemeinsame Verwertung vorgesehen, so sind
Wettbewerbsverbote zulässig und die Parteien
können sich verpflichten, während des Verwertungszeitraums keine Produkte zu verkaufen, welche die gemeinsam entwickelten Produkte konkurrenzieren.262
Nichtangriffsabrede: Nichtangriffsabreden im
Bezug auf geistiges Eigentum sind grundsätzlich
unzulässig. Eine Ausnahme besteht während der
Entwicklungsphase und nur in Bezug auf Rechte,
welche für die Kooperation von Bedeutung sind.263
Dauer der Kooperation: Nichtwettbewerber können sich hinsichtlich der F&E-Tätigkeit für die gesamte, zeitlich unbegrenzte Dauer der Kooperation
vertraglich binden. Ist anschliessend eine gemeinsame Verwertung vorgesehen, so darf diese maximal sieben Jahre dauern, beginnend mit dem Datum des ersten Inverkehrbringens.264 Handelt es
sich bei den Kooperationspartnern hingegen um
Wettbewerber, so gilt dies nur, wenn ihr gemeinsamer Marktanteil 25% nicht übersteigt.265
7.3
Spezialisierungen
Absprachen über die Produktion werden im Rahmen von Spezialisierungsvereinbarungen getroffen.266 Unternehmen können die Produktion zusammenlegen (gemeinsame Produktion), sie
können einseitig oder gegenseitig auf die Produktion bestimmter Komponenten verzichten und
diese Komponenten von der anderen Partei beziehen (Spezialisierung) und sie können Komponenten – z. B. bei Produktionsengpässen – bei der
jeweils anderen Partei beziehen (Zuliefervereinbarungen zur Produktionsausweitung).267
258 Art. 6 lit. c F&E-GVO; im schweizerischen Kartellrecht soll eine
Rechtfertigung einer Preisfestsetzung nicht von vornherein ausgeschlossen sein (Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1
lit. a und b KG 1.HS N 19).
259 Art. 5 lit. e F&E-GVO.
260 Art. 5 lit. d F&E-GVO.
261 Art. 5 lit. b iii) F&E-GVO.
262 Art. 5 lit. b iv) F&E-GVO.
263 Art. 6 lit. a F&E-GVO.
264 Art. 4 Abs. 1 F&E-GVO.
265 Art. 4 Abs. 2 F&E-GVO.
266 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 426; Weber/Volz,
Rz. 2.206.
267 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 30.
recht 2014
Heft 2
Spezialisierungsvereinbarungen lassen sich oft
aus ökonomischen Gründen rechtfertigen.268 Solche Vereinbarungen dürfen aber nicht zu einer Zunahme der Marktmacht der beteiligten Unternehmen führen.269 Zudem kommt es darauf an, wie
gross der Kostenblock der ausgelagerten Produktionskosten im Vergleich zu den Gesamtkosten ist.
Machen die Produktionskosten einen Grossteil der
Gesamtkosten aus, so werden Marktverschliessungseffekte befürchtet. Für marktbeherrschende
Unternehmen ist das Eingehen einer Spezialisierungsvereinbarung a priori ausgeschlossen.270
Gemäss der Spezialisierungs-GVO können Alleinbezugs- und Alleinbelieferungspflichten vorgesehen werden.271 Ebenfalls ist es in bestimmten
Grenzen zulässig, dass die beteiligten Unternehmen die betroffenen Produkte gemeinsam vertreiben.272 Die Exklusivität der Zusammenarbeit darf
jedoch nur das Eingehen weiterer Spezialisierungskooperationen ausschliessen. Die Belieferung der
eigenen Kunden der beteiligten Unternehmen darf
nicht beschränkt werden.273
Kernbeschränkungen wie die Festsetzung der
Preise, die Beschränkung der Produktion sowie die
Markt- und Kundenaufteilung sind auch in Spezialisierungsvereinbarungen grundsätzlich nicht zulässig.274 Innerhalb einer gemeinsamen Produktion
dürfen die Parteien aber Preise und Produktionskapazitäten vereinbaren.275
7.4
Einkaufskooperationen
Ob eine Koordination des Einkaufs den Wettbewerb beschränkt, hängt von der Nachfragemacht
der Einkaufskooperation auf dem Beschaffungsmarkt ab.276 Im europäischen Kartellrecht werden
Einkaufskooperationen als unproblematisch betrachtet, wenn ihr Marktanteil 15% nicht übersteigt.277 Weiter ist relevant, ob sich Unternehmen
an der Einkaufskooperation beteiligen, die auf ihren eigenen Verkaufsmärkten marktmächtig
sind.278 Auch eine Rolle spielt, wie hoch der Anteil
der Kosten der eingekauften Komponenten an den
Gesamtkosten ist. Ein hoher Kostenanteil führt zur
268 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 426, Weber/Volz,
Rz. 2.208.
269 Dazu und zum Folgenden siehe Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 37.
270 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel 3, Rn. 54.
271 Art. 1 Abs. 1 Spezialisierungs-GVO.
272 Art. 2 Abs. 3 lit. b Spezialisierungs-GVO.
273 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 43.
274 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 160;
Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 47 ff.
275 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 47 f.
276 Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1.
HS N 89 ff.; Weber/Volz, Rz. 2.188.
277 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 195.
278 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 61.
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Kostenangleichung auf den Verkaufsmärkten279
und fällt damit negativ ins Gewicht.
Einkaufskooperationen können im europäischen
Kartellrecht unter eine Legalausnahme fallen. Dies
ist der Fall, wenn sich infolge niedrigerer Einkaufspreise oder Transport- und Logistikkosten Leistungsgewinne und Einsparungen realisieren lassen, die angemessen an die Marktgegenseite
weitergegeben werden.280
Bisweilen auferlegen Einkaufskooperationen ihren Mitgliedern einen Bezugszwang. Dies ist nur
dann zulässig, wenn der Bezugszwang wirtschaftlich notwendig ist, z. B. weil Investitionen in die Kooperation amortisiert werden müssen oder weil
sich die beabsichtigten Grössenvorteile nur so realisieren lassen.281 Nicht zulässig sind Abreden,
welche die an der Kooperation beteiligten Unternehmen in der Verwendung der eingekauften Komponenten sowie in der Preis- und Absatzpolitik beschränken.282
7.5
Verkaufskooperationen
Eine Verkaufskooperation kann sich entweder auf
sämtliche Vertriebsfunktionen oder nur auf Teile
davon beziehen, beispielsweise nur auf die Logistik- oder Wartungsleistungen, den Kundendienst
oder die Werbung.283 Verboten und nur in Ausnahmefällen freistellbar sind Verkaufskooperationen,
bei denen die Verkaufspreise festgesetzt werden.284 Vereinbarungen über andere Vertriebsfunktionen ohne Festsetzung der Verkaufspreise sind
im europäischen Kartellrecht nur dann kartellrechtlich problematisch, wenn die gemeinsamen Marktanteile 15% übersteigen.285
8.
Unternehmenskaufverträge
Bei Unternehmenskaufverträgen ist zu prüfen, ob
ein Fusionskontrollverfahren durchzuführen ist. Ist
dies der Fall, so muss ein Kartellrechtsspezialist
beigezogen werden und der Vertrag ist von der Bedingung abhängig zu machen, dass die zuständigen Fusionskontrollbehörden den Zusammenschluss genehmigen. Weiter soll der Vertrag eine
gegenseitige Beistandspflicht für das Fusionskontrollverfahren enthalten und regeln, wer gegenüber
279 Leitlinien über die Horizontale Zusammenarbeit, Rn. 214 und
222.
280 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 64.
281 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 65; Schroeder in Wiedemann (Hrsg.), § 8, Rn. 90 f.
282 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 65.
283 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 225.
284 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 70 ff.
285 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 75.
69
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
den Behörden für die Verfahrensführung zuständig ist (in der Regel der Erwerber).
Die Fusionskontrolle knüpft an zwei Kriterien
an. Zum einen muss ein Zusammenschlusstatbestand vorliegen. Zum anderen müssen die beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen
erreichen.
Als Unternehmenszusammenschluss gilt eine
Fusion sowie jeder Vorgang, durch welchen die
Kontrolle über ein bisher unabhängiges Unternehmen erworben wird.286 Ein Kontrollerwerb kann de
jure und de facto erfolgen.287 Als Kontrollerwerb
gilt deshalb nicht nur der Erwerb der Aktienmehrheit, sondern jede Transaktion, welche es dem
Erwerber aufgrund der tatsächlichen Umstände
ermöglicht, die wesentlichen strategischen Entscheidungen des Zielunternehmens zu beeinflussen.288 So kann auch eine Minderheitsbeteiligung
verbunden mit einer besonderen Einflussnahme
über einen Aktionärsbindungsvertrag oder eine finanzielle Abhängigkeit einen Kontrollerwerb darstellen.289 Auch der blosse Erwerb von Vermögen
(Asset Deal) stellt einen Kontrollerwerb dar, wenn
dadurch die Kontrolle über die Gesamtheit oder
über Teile eines Unternehmens erworben wird.290
Die Umsatzschwellen sind im schweizerischen
Kartellrecht erreicht, wenn die beteiligten Unternehmen entweder einen Umsatz von insgesamt
CHF 2 Mrd. oder einen auf die Schweiz entfallenden Umsatz von CHF 500 Mio. erzielen, wobei kumulativ mindestens zwei der beteiligten Unternehmen in der Schweiz einen Umsatz von je
mindestens CHF 100 Mio. erwirtschaften müssen.291 Wurde in einem Verfahren festgestellt, dass
ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat, besteht die Meldepflicht für Übernahmen
in diesem Markt oder in vor- oder nachgelagerten
Märkten in jedem Fall.292
Im europäischen Kartellrecht liegen die Umsatzschwellen bei einem Gesamtumsatz von EUR 5 Mrd.,
wobei mindestens zwei der beteiligten Unternehmen
in der Union einen Umsatz von je EUR 250 Mio. erzielen müssen.293
Bei internationalen Sachverhalten ist für jede
beteiligte Rechtsordnung zu prüfen, ob die Aufgreifkriterien erfüllt sind. Es sind deshalb möglicherweise parallele Fusionskontrollverfahren
recht 2014
durchzuführen.294 Gelangt das europäische Fusionskontrollverfahren zur Anwendung, so ersetzt
es die Kontrollverfahren der Mitgliedstaaten.295
Vor Abschluss des Kontrollverfahrens besteht
ein Vollzugsverbot und in Missachtung dieses Verbotes geschlossene Rechtsgeschäfte sind zivilrechtlich unwirksam.296 Andererseits müssen die
beteiligten Unternehmen die Transaktion planen,
was ein Minimum an Kooperation auch während
des Kontrollverfahrens voraussetzt. Unter dem
Schlagwort «Gun Jumping» wird diskutiert, welche Handlungen in dieser Phase noch zulässig
sind und welche bereits vom Vollzugsverbot und
vom Verbot des Informationsaustausches erfasst
werden.297
9.
Hoffet in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Rz. 10.84.
Dietze/Jannsen, Rn. 676.
296 CH: Art. 34 KG; EU: Art. 7 Abs. 4 FKVO.
297 Weber/Volz, Rz. 2.953 ff.
298 Weber/Volz, Rz. 2.869.
299 Art. 1 der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (VKU).
300 Mäger in Mäger (Hrsg.), 9. Kapitel, Rn. 3.
301 Im europäischen Kartellrecht ist zudem noch zu prüfen, ob allenfalls eine mitgliedsstaatliche Fusionskontrolle Anwendung findet.
302 Mäger in Mäger (Hrsg.), 9. Kapitel, Rn. 8.
295
Art. 4 Abs. 3 KG.
Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 30.
Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 30.
289 Hoffet in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Rz. 10.14.
290 Für das europäische Kartellrecht: Art. 3 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (FKVO).
291 Art. 9 KG.
292 Art. 9 Abs. 4 KG.
293 Art. 1 Abs. 2 FKVO.
287
288
70
Joint-Venture-Verträge
Ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) ist
ein von mehreren Unternehmen gemeinsam kontrolliertes Unternehmen.298 Die Gründung eines
Gemeinschaftsunternehmens stellt einen kontrollpflichtigen Zusammenschluss dar, wenn das zu
gründende Unternehmen als selbständiges Unternehmen gilt (Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen).299
Joint-Venture-Verträge sind aber auch unter
dem Aspekt des Kartellverbots relevant, denn sie
enthalten im Normalfall Abreden, welche das
Wettbewerbsverhalten der Muttergesellschaften
beschränken,300 wie z. B. exklusive Belieferungsoder Bezugspflichten und Wettbewerbsverbote.
Kontrollpflichtig sind sowohl im schweizerischen
wie auch im europäischen Kartellrecht nur Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen, welche zudem
die Schwellenwerte erreichen. Alle anderen JointVenture-Verträge sind anhand der allgemeinen Regeln auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot
zu prüfen.301 Im Vergleich dazu hat das Kontrollverfahren den Vorteil, dass die Vertragspartner eine
Entscheidung der Kartellbehörden erwirken und
damit Rechtssicherheit für ihre Investitionen erlangen können.302
294
286
Heft 2
recht 2014
10.
Heft 2
Wettbewerbsverbote im Besonderen
Ein Wettbewerbsverbot verbietet die Konkurrenzierung der Waren oder Dienstleistungen des Vertragspartners. In der schweizerischen Vertragspraxis werden Wettbewerbsverbote deshalb auch
als Konkurrenzverbote bezeichnet. Sie sind insbesondere in Vertriebsverträgen, Lizenzverträgen,
Franchiseverträgen, Zuliefer- und Subunternehmerverträgen, Kooperationsverträgen und in Gesellschafts- und Unternehmenskaufverträgen anzutreffen303 und kommen in der Praxis häufig vor.
Ein Wettbewerbsverbot ist von einer Exklusivität abzugrenzen, wie sie z. B. bei exklusiven Bezugs- oder Belieferungspflichten anzutreffen ist.304
Exklusivität verlangt vom Vertragspartner ein aktives Verhalten, ein Wettbewerbsverbot hingegen
nur eine Unterlassung. Eine Exklusivitätsverpflichtung umfasst jedoch implizit auch ein Wettbewerbsverbot, weshalb eine Bezugsverpflichtung
im Umfang von mehr als 80% des Einkaufsbedarfs
kartellrechtlich wie ein Wettbewerbsverbot behandelt wird.305
Wettbewerbsverbote unter Konkurrenten sind
im Normalfall verboten. Sie stellen eine unzulässige horizontale Marktaufteilung dar.306 Für Wettbewerbsverbote in Vertriebs- und in Unternehmenskaufverträgen gibt es relativ klare Regeln. In
allen anderen Fällen wird die Zulässigkeit eines
Wettbewerbsverbots anhand einer Güterabwägung im Einzelfall geprüft.
Wettbewerbsverbote in Vertriebsverträgen sind
zwar zulässig, dürfen jedoch nicht für mehr als fünf
Jahre und nicht auf unbestimmte Zeit vereinbart
werden.307 Nachvertragliche Wettbewerbsverbote
sind nur für maximal ein Jahr zulässig, wobei weitere Einschränkungen zu beachten sind.308 Das gilt
jedoch nur für Wettbewerbsverbote, die der Abnehmer (d. h. der Händler) eingeht.309 Der Anbieter kann sich grundsätzlich ohne zeitliche Beschränkung einem Wettbewerbsverbot unterwerfen.310
Weitergehende Wettbewerbsverbote beim Vertrieb sind im Rahmen von Franchise- und Lizenzverträgen möglich. In Franchiseverträgen sind
Wettbewerbsverbote während der Vertragsdauer
ohne zeitliche Beschränkung zulässig.311 In LizenzBernhard, 2785.
Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 131.
305 Siehe vorne III.1.
306 Bernhard, 2786.
307 CH: Ziffer 12 lit. f Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 1
lit. a Vertikal-GVO.
308 CH: Ziffer 12 lit. g Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 3
Vertikal-GVO.
309 CH: Ziffer 6 der Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 1
lit. a und b Vertikal-GVO; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel,
Rn. 132.
310 Auch für Konkurrenzverbote zulasten des Anbieters gelten jedoch die nachfolgend dargestellten Einschränkungen.
311 Siehe vorne III.2.
303
304
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
verträgen kann sich der Lizenznehmer verpflichten, keine fremden Technologien zu verwenden,
die mit der lizenzierten Technologie konkurrieren.312
Das ist im europäischen Kartellrecht selbst oberhalb der Marktanteilsgrenzen der TT-GVO möglich.313
In Unternehmenskaufverträgen wird als Nebenabrede meistens ein Wettbewerbsverbot zulasten
des Verkäufers vereinbart.314 Damit soll sichergestellt werden, dass der Verkäufer seiner Verpflichtung zur Übertragung des Unternehmens auch
nachkommt und dies nicht durch eine Konkurrenzierung hintertreibt.315 Ein solches Wettbewerbsverbot gilt nicht als kartellrechtlich relevante
Wettbewerbsabrede, sofern sich sein Zweck auf
die Absicherung des Unternehmenskaufs beschränkt.316 Sachlich und räumlich ist das Wettbewerbsverbot auf den bisherigen Tätigkeitsbereich
des Unternehmens zu begrenzen.317 Zeitlich darf
es für drei Jahre vereinbart werden, sofern mit dem
Unternehmen Goodwill und Know-how veräussert
werden, jedoch nur für zwei Jahre, wenn lediglich
Goodwill übertragen wird.318 Eine längere Dauer
ist nur zulässig, wenn nachgewiesen wird, dass
die Kunden dem Veräusserer länger als drei Jahre
treu bleiben.319 Diese Regeln gelten auch für Abwerbeverbote und Vertraulichkeitsklauseln in Unternehmenskaufverträgen, da sie eine ähnliche
Wirkung wie Wettbewerbsverbote haben.320
In den übrigen Fällen, insbesondere in Subunternehmer- und Kooperationsverträgen, sind Wettbewerbsverbote zulässig, wenn sie zur Erfüllung
des Hauptzwecks erforderlich sind.321 Wettbewerbsverbote lassen sich einerseits mit dem
Schutz des Know-how und andererseits mit dem
Schutz der Kundenbeziehung rechtfertigen. Allgemein müssen Wettbewerbsverbote in sachlicher,
räumlicher und zeitlicher Hinsicht erforderlich sein,
um den vertraglichen Hauptzweck zu verwirklichen.322 In sachlicher Hinsicht darf sich das Wettbewerbsverbot nur auf das preisgegebene Knowhow beziehen. Ein Wettbewerbsverbot, das sich
TT-Leitlinie, Rn. 196.
Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 108.
Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 90.
315 Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 272.
316 CH: Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 90; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 272.
317 CH: Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 91; Weber/Volz Rz. 2.974;
EU: Bekanntmachung der Kommission über die Einschränkung
des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind (2005/C 56/03), (zit. Bekanntmachung zu den Nebenabreden), Rn. 19.
318 CH: Weber/Volz, Rz. 2.975; EU: Bekanntmachung zu den Nebenabreden, Rn. 20.
319 Weber/Volz, Rz. 2.975.
320 Ruggli/Vischer, 301 f.
321 Zum Ganzen Bernhard, 2787 ff.; zur Zulässigkeit in Subunternehmerverträgen siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113.
322 Bernhard, 2787 f.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113.
312
313
314
71
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
auf alle Vertragsprodukte erstreckt – unabhängig
davon, ob dafür vertragliches Know-how verwendet wird –, ist nach der deutschen Rechtsprechung
unzulässig.323
Nachvertragliche Konkurrenzverbote sind besonders kritisch. Die deutschen Gerichte gehen
unter Bezugnahme auf die Vertikal-GVO im Normalfall von einer maximal zulässigen Dauer von einem Jahr aus.324 So hat der BGH ein zweijähriges
Konkurrenzverbot, welches ein Hersteller von Feuerschutztoren einem Monteur auferlegte, als ungültig beurteilt, weil es in diesem Umfang nicht erforderlich war.325 Geht es um Kundenschutz, so
kann ein Wettbewerbsverbot nur für die Dauer vereinbart werden, für welche die Kundenbeziehung
typischerweise Bestand hat.326 Geht es hingegen
um den Schutz des Know-how, können Wettbewerbsverbote länger und unter Umständen sogar
für eine unbegrenzte Dauer vereinbart werden.327
Auch bei der Beurteilung von Wettbewerbsverboten kommt es auf die Marktanteile an. Wettbewerbsverbote, die marktbeherrschende Unternehmen ihren Vertragspartnern auferlegen, werden
nach einem strengeren Massstab geprüft und
sind unter bestimmten Umständen sogar gänzlich
unzulässig.328 Wettbewerbsverbote, an denen
ausschliesslich Unternehmen mit geringer Marktmacht beteiligt sind, sind demgegenüber privilegiert. So unterliegen solche Wettbewerbsverbote
keiner zeitlichen Begrenzung.329
Die kartellrechtlichen Vorschriften zu den Wettbewerbsverboten haben Auswirkungen auf die Regelung der Vertragsdauer. Enthalten Vertriebsverträge ein Wettbewerbsverbot zulasten des
Händlers, so dürfen sie nur für eine maximale
Dauer von fünf Jahren und insbesondere nicht auf
unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Solche
Verträge müssen zwischen den Vertragsparteien
jeweils vor Ablauf von fünf Jahren neu verhandelt
werden.330
11.
Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende Unternehmen
recht 2014
beherrschender Unternehmen zusätzlich ein. Als
marktbeherrschend gelten Unternehmen, wenn
sie in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern in wesentlichem Umfang unabhängig zu
verhalten.331 Bei der Beurteilung des Kriteriums
der Marktbeherrschung spielen die Marktanteile
eine wichtige Rolle. So wird bei Marktanteilen von
mehr als 50% eine marktbeherrschende Stellung
vermutet, wenn keine besonderen Umstände vorliegen.332 Bei einem tieferen Marktanteil müssen
noch weitere Faktoren hinzutreten wie z. B. Marktzutrittsschranken für Dritte, technischer Vorsprung
oder Wirtschafts- und Finanzmacht.333 Solche Konstellationen werden auch als relative Marktmacht
(in vertikalen Verhältnissen) respektive überragende Marktstellung (in horizontalen Verhältnissen) bezeichnet.334 Bei Marktanteilen von unter
30% kann auch bei solchen Konstellationen nicht
mehr von einer Marktbeherrschung ausgegangen
werden.335
Einschränkungen für marktbeherrschende Unternehmen ergeben sich insbesondere in folgenden Bereichen:
Unangemessene Preise oder Geschäftsbedingungen: 336 Marktbeherrschende Unternehmen
müssen sich eine kartellrechtlich begründete Kontrolle ihrer Preise und Geschäftsbedingungen gefallen lassen. Die Missbräuchlichkeit der Preise ergibt sich aus dem Vergleich des Verkaufspreises
mit den tatsächlichen Produktionskosten.337 Missbräuchlich sind beispielsweise338 die Erzielung einer überhöhten Gewinnspanne, das Verlangen von
Lizenzgebühren für nicht bestehende Schutzrechte,
die Verwendung unbilliger Geschäftsbedingungen,
die Verrechnung überhöhter Komponentenpreise
an andere Hersteller (Margin Squeeze)339 sowie die
Auferlegung ungerechtfertigter Bedingungen für
die Weiterverwendung (z. B. Ausfuhrverbote oder
Beschränkungen des Weiterverkaufs).
Predatory Pricing: 340 Kampfpreisunterbietungen
zielen darauf ab, weniger leistungsstarke Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.341 Eine unzu-
CH: Art. 4 KG; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 8.
CH: Weber/Volz, Rz. 2.549; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 13 sowie der Leading Case des EuGH, Rs 85/76 (Hoffmann-La Roche), Slg. 1979, 461, Rn. 41.
333 CH: Weber/Volz, Rz. 2.550 mit einer Darstellung der Praxis der
Weko; Zäch, Rz. 795 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel,
Rn. 16 ff.
334 Bosch/Dallmann, 129 ff; Heizmann, 172 ff.
335 Weber/Volz, Rz. 2.551.
336 CH: Art. 7 Abs. 2 lit. c KG; EU: Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV.
337 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 61.
338 Zu den folgenden Fallgruppen siehe Wirtz in Mäger (Hrsg.),
6. Kapitel, Rn. 60 ff. und Rn. 79 ff.; im schweizerischen Kartellrecht existiert keine vergleichbar detaillierte Fallpraxis (Amstutz/
Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 253).
339 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 66.
340 Art. 7 Abs. 2 lit. d KG; Art. 102 Abs. 2 lit. c AEUV.
341 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 322; Wirtz in Mäger
(Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 68.
331
Das Missbrauchsverbot gemäss Art. 7 KG und
Art. 102 AEUV schränkt die Vertragsfreiheit marktBernhard, 2778.
Bernhard, 2786 f.
325 Brandi-Dohrn, 1353.
326 Bernhard, 2787; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113.
327 Bernhard, 2787.
328 CH: Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 447; Weber/Volz,
Rz. 2.736; EU: Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Art. 102
AEUV, Rn. 231.
329 Weber/Volz, Rz. 2.174. Dies ergibt sich daraus, dass solche
Abreden von der KMU-Bekanntmachung (CH) und der De-minimis-Bekanntmachung (EU) erfasst werden.
330 Bernhard, 2788.
323
324
72
Heft 2
332
recht 2014
Heft 2
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
lässige Kampfreisunterbietung liegt gemäss EuGH
in der Regel vor, wenn Produkte unter den variablen Kosten angeboten werden. Werden Produkte
über den variablen Kosten, aber unter den Gesamtkosten (Fixkosten zuzüglich variabler Kosten) angeboten, so muss dem Unternehmen zusätzlich
eine Verdrängungsabsicht nachgewiesen werden
können.342
Diskriminierung: 343 Eine unzulässige Diskriminierung von Handelspartnern liegt vor, wenn Geschäftspartner ohne objektive Gründe benachteiligt werden.344 Die Diskriminierung kann sich auf
Preise und sonstige Geschäftsbedingungen beziehen. Als objektive, rechtfertigende Gründe kommen zum Beispiel unterschiedliche Kosten für Rohstoffe, Löhne, Produktion, Transport, Steuern, Zoll
und ähnliche Faktoren in Frage.345
Exklusivität: Marktmächtige Unternehmen dürfen von ihrer Marktgegenseite keine Zusicherung
der Exklusivität verlangen.346 Dabei spielt es keine
Rolle, ob die Exklusivität vertraglich vereinbart oder
auf andere Weise faktisch erzwungen wird, etwa
weil essenzielle Vergünstigungen nur bei einem
exklusiven Bezug gewährt werden.347
Wettbewerbsverbot: Siehe vorne III.10.
Englische Klausel: Mit dieser Abrede wird der
Geschäftspartner verpflichtet, den Lieferanten
über günstigere Drittangebote zu informieren, um
diesem die Möglichkeit zum Mitziehen zu geben.348
Sie ist meistens mit einer Exklusivitätsverpflichtung oder einer Rabattregelung verbunden.349 Englische Klauseln dürfen von marktmächtigen Unternehmen nicht vereinbart werden.350
Rabattsysteme: Im europäischen Kartellrecht
hat sich eine Praxis zur Zulässigkeit von Rabattsystemen marktbeherrschender Unternehmen entwickelt.351 Unzulässig sind Treuerabatte, die darauf
abzielen, dass ein Unternehmen seinen gesamten
Bedarf beim marktbeherrschenden Unternehmen
deckt. Zu den Treuerabatten zählen Zielrabatte, die
gewährt werden, wenn ein Kunde einen bestimmten, substanziellen Prozentsatz seines jährlichen
Bedarfs beim marktbeherrschenden Unternehmen
deckt. Unzulässig sind aber auch Jahresumsatzrabatte, bei denen ein Rabatt zum Jahresende rückwirkend auf die gesamte Bezugsmenge gewährt
wird, wenn bestimmte Umsatzziele erreicht werden.352 Unzulässig sind auch Paketrabatte, die daran anknüpfen, dass ein Kunde mehrere Produkte
aus dem Sortiment oder für mehrere geografische
Märkte bestellt. Zulässig sind für marktmächtige
Unternehmen somit eigentlich nur noch reine Mengenrabatte.
Koppelungsgeschäfte: 353 Marktbeherrschende
Unternehmen dürfen ihre Vertragspartner nicht
verpflichten, zusätzlich zum Vertragsgegenstand
noch weitere Produkte oder Leistungen zu beziehen, ohne dass dazu ein sachlicher Grund besteht.354 Für die Qualifizierung als Koppelung ist es
nicht entscheidend, ob sie explizit vertraglich vereinbart wird oder sich aus der Preisgestaltung oder
aus technischen Massnahmen ergibt.355
Keine unzulässige Koppelung liegt vor, wenn die
Güter von den Nachfragern entweder als ein einziges Gut betrachtet werden oder wenn sachliche
Gründe für die Koppelung bestehen.356 Diese Frage
stellt sich insbesondere bei der an einen Kaufvertrag gekoppelten Verpflichtung zum Bezug von
Wartungs- und Serviceleistungen.357
Belieferungspflicht: Die Verweigerung oder der
Abbruch von Geschäftsbeziehungen kann einen
Missbrauch von Marktmacht darstellen.358 Sowohl
nach europäischem wie auch nach schweizerischem Kartellrecht besteht somit für marktbeherrschende Unternehmen in solchen Fällen ein Kontrahierungszwang.359 Dies gilt auch für die Erteilung
von Lizenzen, wenn diese für die Entwicklung eines neuen, für den Konsumenten vorteilhaften Produktes zwingend erforderlich sind.360
Bei einer eigentlichen Monopolstellung darf eine
Geschäftsbeziehung nur bei objektiver Unzumutbarkeit verweigert werden.361 Das Gleiche gilt nach
der Essential Facilities Doctrin für den Zugang zu
einer wesentlichen Einrichtung (z. B. Flug- und
Siehe dazu Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 68.
Art. 7 Abs. 2 lit. b KG;
344 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 155.
345 CH: Weber/Volz, Rz. 2.634 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 73 ff.
346 CH: Weber/Volz, Rz. 2.735; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 76.
347 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 77.
348 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz,
Rz. 2.642.
349 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz,
Rz. 2.737; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 129; Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 78.
350 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 78; weniger eindeutig
für das schweizerische Kartellrecht Amstutz/Carron in BSK KG,
Art. 7 KG N 241; Weber/Volz, Rz. 2.643 und 2.737.
351 Zum folgenden Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 82 ff.;
die schweizerische Praxis ist dagegen spärlich (Amstutz/Carron in
BSK KG, Art. 7 KG N 237); zur Zulässigkeit der einzelnen Rabattarten im schweizerischen Kartellrecht siehe Weber/Volz Rz. 2.637 ff.
EuG, Rs T-203/01 (Michelin II), Slg. 2003, II-4071, Rn. 113.
CH: Art. 7 Abs. 2 lit. f KG; EU: Art. 102 Abs. 2 lit. d AEUV.
Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 90; Zäch, Rz. 700.
355 CH: Weber/Volz, Rz. 2.761 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 91.
356 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 526 ff.; Weber/Volz,
Rz. 2.756 ff. und Rz. 2.770 ff.
357 Weber/Volz, Rz. 2.760; für eine unzulässige Koppelung von Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten durch einen marktbeherrschenden Maschinenhersteller siehe den Entscheid Tetrapak II
(Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 304).
358 So ausdrücklich Art. 7 Abs. 2 lit. a KG.
359 CH: Bucher in BSK OR I, Vor Art. 1–40 OR N 7; Weber/Volz,
Rz. 2.577; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 107.
360 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 N 148; Wirtz in Mäger (Hrsg.),
6. Kapitel, Rn. 117.
361 CH: Weber/Volz, Rz. 2.586; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 110.
342
343
352
353
354
73
Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis
Seehäfen sowie Strom-, Gas-, Schienen- und
Telekommunikationsnetze).362
Handelt es sich beim marktbeherrschenden Unternehmen weder um einen Monopolisten noch
um eine «Essential Facility», sind die Interessen
des Lieferanten und des Kunden gegeneinander
abzuwägen.363 Objektiv gerechtfertigte Gründe für
eine Lieferverweigerung sind z. B. eine finanzielle
oder persönliche Unzuverlässigkeit des Vertragspartners oder die Bevorzugung der eigenen Stammkundschaft bei Lieferengpässen.364 Kein ausreichender Grund ist dagegen der Wunsch des
marktbeherrschenden Unternehmens, den Konkurrenten keine Hilfestellung leisten zu müssen.365
IV.
Empfehlungen
Bei der Vertragsredaktion sind Grenzen einzuhalten, die durch das Kartellrecht gesetzt werden.
Wenn der Vertragsredaktor über Kartellrechtskenntnisse verfügt, kann und soll er den Vertrag
selber kartellrechtlich prüfen. Bei besonders komplexen Fragestellungen sowie für eine Vertretung
in förmlichen Kartell- oder Fusionskontrollverfahren ist in jedem Fall ein Kartellrechtsspezialist zu
mandatieren.
Bei der Kartellrechtsprüfung sind zuerst alle Vertragsbestimmungen zu identifizieren, welche direkt oder indirekt das Wettbewerbsverhalten einer
der Vertragsparteien betreffen. Sie sind daran zu
erkennen, dass sie sich nicht mit der vertraglichen
Kernleistung befassen, sondern mit der Gestaltung
von Geschäftsbeziehungen gegenüber Dritten. Sie
betreffen meistens den Vertrieb.
Wettbewerbsbeschränkungen sind beispielsweise Preisabsprachen, Preisbindungen der zweiten Hand, Einschränkungen von Produktions-, Bezugs- oder Liefermengen, die Aufteilung von
Märkten nach Gebieten oder Geschäftspartnern,
die Vereinbarung von Exklusivität, Alleinbezugsoder Mindestabnahmeverpflichtungen, Vorschriften zur Ausgestaltung des Vertriebs, Wettbewerbs- oder Konkurrenzverbote, Zusicherungen
einer Meistbegünstigung, Einschränkungen bei der
Nutzung einer lizenzierten Technologie sowie F&EBeschränkungen. Auch die Vertragsdauer ist in die
Kartellrechtsprüfung einzubeziehen, weil bestimmte Abreden nur für eine beschränkte Dauer
vereinbart werden dürfen.
74
362 CH: zur Praxis siehe Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG
N 147; Weber/Volz, Rz. 2.597 ff; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 113 f.
363 Weber/Volz, Rz. 2.586.
364 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 109.
365 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 110.
recht 2014
Heft 2
Anschliessend sind die identifizierten Vertragsbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem
schweizerischen und – wenn eine Wirkung auf das
Ausland nicht von vornherein auszuschliessen ist –
auch mit dem europäischen Kartellrecht zu prüfen.
Dabei sind die unter II.8. dargelegten Prüfschemata anzuwenden.
Bei der Kartellrechtsprüfung ist es wichtig, die
Marktanteile der betroffenen Unternehmen zu kennen. Für marktmächtige Unternehmen gelten besonders strenge, für Unternehmen mit geringen
Marktanteilen weniger strenge Regeln. Als Faustregel kann man sich für das europäische Kartellrecht die Tennis-Zählformel 15-30-40 merken: Bis
15% gilt die De-minimis-Bekanntmachung, bis
30% kommt eine Gruppenfreistellung in Frage und
ab 40% muss ein Unternehmen damit rechnen,
als marktbeherrschend beurteilt zu werden.
Klar kartellrechtswidrige Klauseln dürfen nicht
vereinbart werden. Sie nützen nichts, denn sie sind
nichtig. Zudem setzen sich die betroffenen Unternehmen einem Sanktionsrisiko aus.
Nicht immer wird sich aber mit Sicherheit sagen lassen, ob eine Klausel gültig oder kartellrechtswidrig ist. Bei solchen Grenzfällen liegt die
Gefahr für die beteiligten Unternehmen weniger
im Sanktionsrisiko366 als vielmehr darin, dass die
vertragsmüde Partei die Möglichkeit hat, sich unter Berufung auf eine Teilnichtigkeit von ihren
Pflichten loszusagen.
Andererseits ist zu bedenken, dass sich die Unternehmen von der beabsichtigten Vertragsklausel
einen Nutzen versprechen. Bei Grenzfällen kategorisch und ohne Risikoabwägung auf alle kritischen Klauseln zu verzichten, ist nicht sinnvoll.
Diese sogenannte Over-Compliance ist weder betriebs- noch volkswirtschaftlich erwünscht. Wie
weit man hier gehen will, ist ein unternehmerischer
Entscheid, bei welchem jedoch marktmächtige
oder kartellrechtlich exponierte Unternehmen besonders vorsichtig sein müssen.
366 Im europäischen Kartellrecht wird nur eine Geldbusse verhängt, wenn vorgängig die relevanten Bestimmungen durch Urteile der Gerichte oder Kommissionsentscheidungen geklärt worden sind (Zäch/Künzler, 743). Im schweizerischen Kartellrecht sind
von vornherein nur die qualifizierten Abreden mit Sanktionen bedroht (siehe vorne II.13).
recht 2014
Heft 2
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