Kartellrecht in der Vertragspraxis
Transcrição
Kartellrecht in der Vertragspraxis
recht 1/14 www.recht.recht.ch Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis 32. Jahrgang Inhalt Abhandlungen 1 Stämpfli Verlag Urs Egli Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis (1. Teil) 16 Claudia M. Mordasini-Rohner Gerichtliche Fragepflicht und Untersuchungs maxime in familienrechtlichen Verfahren 27 Sandra Hotz Zwischen Informed Consent und Verbot: Wertungs widersprüche in der Reproduktionsmedizin? Von verbotener Leihmutterschaft und Eizellenspende über die Samenspende bis hin zu pränatalen Gentests 37 Martina Caroni Inländerdiskriminierung am Beispiel des Familiennachzuges Impressum Schriftleitung: lic. iur. Thomas Schneider Stämpfli Verlag AG, Wölflistrasse 1 Postfach 5662, CH-3001 Bern Tel. 031 300 62 15, Fax 031 300 66 88 E-Mail: [email protected] www.recht.recht.ch Adressänderungen und Inserataufträge sind ausschliesslich an den Stämpfli Verlag AG, Postfach 5662, 3001 Bern, zu richten. Die Aufnahme von Beiträgen erfolgt unter der Bedingung, dass das ausschliessliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung an den Stämpfli Verlag AG übergeht. Der Verlag behält sich alle Rechte am Inhalt der Zeitschrift «recht» vor. Insbesondere die Vervielfältigung auf dem Weg der Fotokopie, der Mikrokopie, der Übernahme auf elektronische Datenträger und andere Verwertungen jedes Teils dieser Zeitschrift bedürfen der Zustimmung des Verlags. Die Zeitschrift erscheint sechsmal jährlich, im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Abonnementspreise 2014 AboPlus (Zeitschrift + Onlinezugang) Schweiz: Normalpreis CHF 175.50, für immatrikulierte Studenten CHF 143.– Ausland: CHF 185.– Onlineabo: CHF 137.– Einzelheft: CHF 22.– Die Preise verstehen sich inkl. Versandkosten und 2,5% resp. für Onlineangebote 8% MWSt. Abonnemente: Tel. 031 300 63 43, Fax 031 300 63 90, [email protected] Inserate: Tel. 031 300 63 82, Fax: 031 300 63 90, [email protected] © Stämpfli Verlag AG Bern 2013 Gesamtherstellung: Stämpfli Publikationen AG, Bern Printed in Switzerland, ISSN 0253-9810 Herausgeber und Redaktion Privatrecht Strafrecht WOLFGANG ERNST Professor für Römisches Recht und Privatrecht, Universität Zürich FELIX BOMMER Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und Internationales Strafrecht, Universität Luzern ROLAND FANKHAUSER Professor für Zivilrecht und Zivilprozessrecht, Universität Basel PETER JUNG Professor für Privatrecht, Universität Basel SABINE GLESS Ordinaria für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität Basel Öffentliches Recht CHRISTOPH MÜLLER Professor für Vertragsrecht, Privatrechtsvergleichung und Europäisches Privatrecht, Universität Neuenburg MARTINA CARONI Ordinaria für öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, Universität Luzern ALEXANDRA RUMOJUNGO Professorin für Zivilrecht, Universität Freiburg BERNHARD RÜTSCHE Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Universität Luzern Wirtschaftsrecht DANIELA THURNHERR Professorin für Öffentliches Recht, insb. Verwaltungsrecht und öffentliches Prozessrecht, Universität Basel PETER JUNG Professor für Privatrecht, Universität Basel PETER V. KUNZ Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung, Universität Bern ROGER ZÄCH Professor em. für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht, Universität Zürich recht 2014 Heft 1 Urs Egli Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis (1. Teil)* Das Kartellrecht schränkt die Vertragsfreiheit ein. Das ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. Dieser Aufsatz vermittelt gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die wichtigsten problematischen Klauseln und gibt eine Anleitung, wie sie nach schweizerischem und europäischem Kartellrecht zu prüfen sind. Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Kartellrechtliche Grundlagen 1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts 2. Schweizerisches und europäisches Kartellrecht 3. Rechtsquellen 4. Adressaten des Kartellrechts 5. Die drei Säulen des Kartellrechts 6. Das Kartellverbot 7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen 8. Prüfschema 9. Marktanteile 10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU 11. Auslegung und Ermessen 12. Vorabklärungen bei den Kartellbehörden 13. Verwaltungs- und Strafsanktionen 14. Zivilrechtliche Nichtigkeit 15. Zivilrechtliche Klagen III. Beurteilung typischer Klauseln 1. Vertriebsverträge 2. Franchiseverträge 3. Lizenzverträge 4. Technologiepools 5. Zuliefer- und Subunternehmerverträge 6. Arbeitsgemeinschaften 7. Kooperationsverträge 8. Unternehmenskaufverträge 9. Joint-Venture-Verträge 10. Wettbewerbsverbote im Besonderen 11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende Unternehmen IV. Empfehlungen I. Einleitung Die Vertragsfreiheit ist ein Grundpfeiler der liberalen Wirtschaftsordnung. Sie besagt, dass die Parteien ihre vertraglichen Rechte und Pflichten in den Grenzen des Gesetzes frei regeln können.1 Das Kartellrecht begrenzt die Vertragsfreiheit der Parteien. Bei der Vertragsgestaltung sind die Dr. iur. Urs Egli, Rechtsanwalt und Gründungspartner der epartners Rechtsanwälte AG, Zürich * Der 2. Teil folgt in recht Heft 2/14. 1 Grundlegend Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 5 ff. Schranken des Kartellverbots zu beachten. Für marktmächtige Unternehmen besteht ein Kontrahierungszwang, und die Fusionskontrolle kann die Verfügung über Unternehmen verbieten. Exemplarisch für die Bedeutung des Kartellrechts bei der Vertragsgestaltung ist der Sachverhalt, welcher der CEPSA-Entscheidung des EuGH zugrunde lag:2 Die spanische Mineralölhändlerin CEPSA schloss mit Tobar 1996 einen zehnjährigen Tankstellenvertrag ab. CEPSA stellte die Zapfsäulen und Kraftstofftanks zur Verfügung, und Tobar verpflichtete sich im Gegenzug, den Kraftstoff exklusiv von CEPSA zu beziehen. Tobar hielt sich nicht daran und berief sich auf die Nichtigkeit des Alleinbezugsvertrages wegen eines Verstosses gegen das europäische Kartellrecht. Bei der Gestaltung und der Verhandlung von Verträgen muss der Jurist die Grenzen des Zulässigen aufzeigen. Die Spezialdisziplin des Kartellrechts wird jedoch nur von den Mitarbeitern der Wettbewerbsbehörden und spezialisierten Wirtschaftsanwälten wirklich verstanden.3 Bei der Vertragsredaktion und in Verhandlungssituationen ist aber nicht immer ein Kartellrechtsspezialist verfügbar. Deshalb muss jeder Jurist, der mit Verträgen zu tun hat, über ein kartellrechtliches Grundwissen verfügen. Dieses kann er sich anhand der aktuellen juristischen Literatur4 selber aneignen, wobei der Besuch einer Weiterbildung den Einstieg sicher erleichtert.5 Im Folgenden werden unter II. die wichtigsten kartellrechtlichen Regeln dargestellt, die im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung relevant sind. EuGH, Urteil v. 11. September 2008, Rs. C-279/06 – CEPSA. Votum von J. Zürcher anlässlich der Tagung der Studienvereinigung Kartellrecht und des Instituts für Wirtschaftsrecht der Universität Bern vom 21. Juni 2013, zitiert bei Prangenberg, Rz. 62. 4 Als Einstieg für den Praktiker eignen sich für die Schweiz Weber/Volz und für das europäische Kartellrecht Dietze/Janssen. Für Detailabklärungen können der von Amstutz/Reinert herausgegebene Basler Kommentar zum Kartellgesetz und die von Mäger herausgegebene, mit zahlreichen Zitaten versehene Darstellung des europäischen Kartellrechts beigezogen werden. 5 Der Verfasser besuchte einen CAS-Lehrgang zum europäischen Kartellrecht an der Universität Konstanz. 2 3 1 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Anschliessend wird unter III. gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die kartellrechtlich problematischen Klauseln vermittelt. Beides erfolgt unter Berücksichtigung des schweizerischen und des europäischen Kartellrechts. Dadurch soll ein mit der Vertragsredaktion befasster Jurist in die Lage versetzt werden, kartellrechtlich kritische Klauseln erstens zu erkennen und zweitens nach den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen im Detail zu prüfen. II. Kartellrechtliche Grundlagen 1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts In Bezug auf die räumliche Geltung des Kartellrechts gilt das Auswirkungsprinzip. Das Kartellrecht findet auf alle Sachverhalte Anwendung, die sich auf den Wettbewerb der betroffenen Rechtsordnung auswirken.6 Auf den Handlungsort kommt es dabei nicht an.7 Bei der Vertragsredaktion kann vom Juristen nicht immer abgeschätzt werden, welche Kartellrechtsordnungen betroffen sind. So kann beispielsweise auch ein Kooperationsvertrag zwischen einem schweizerischen und einem deutschen Hersteller den amerikanischen oder den brasilianischen Markt beeinflussen. Sich bei der Kartellrechtsprüfung nur auf das schweizerische Kartellrecht zu beschränken, ist deshalb nicht ausreichend. Mit einer Orientierung am europäischen Kartellrecht kann ein Schweizer Jurist jedoch die kartellrechtlichen Risiken kontrollieren. Die wichtigen Kartellrechtsordnungen gleichen sich, und das europäische Kartellrecht ist ein modernes und strenges Kartellrecht. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass Klauseln auch nach anderen Kartellrechtsordnungen zulässig sind, wenn dies nach europäischem Kartellrecht der Fall ist. Zudem spielt sich der schweizerische Aussenhandel ohnehin zu einem grossen Teil im europäischen Raum ab. Diese Überlegungen gelten nicht für Fusionskontrollverfahren. Dafür sind in jedem Fall Kartellrechtsspezialisten beizuziehen, welche in der betroffenen Rechtsordnung praktisch tätig sind. 2 6 CH: Art. 2 Abs. 2 KG; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 21. 7 Illustrativ zum Auswirkungsprinzip sind die folgenden Entscheide: zur extraterritorialen Anwendung des US-Kartellrechts siehe Hartfort Fire Insurance Co. vs California, 509 U. S. 764 (1993); für die Schweiz siehe die Verfügung der Wettbewerbskommission vom 30. 11. 2009 in Sachen Gaba/Gebro, RPW 2010/1 65 ff. recht 2014 2. Heft 1 Schweizerisches und europäisches Kartellrecht Das europäische und das schweizerische Kartellrecht sind seit der letzten Revision im Jahr 2004 im Bereich der materiellen Regeln praktisch deckungsgleich, auch wenn die Normtatbestände anders aufgebaut sind.8 Die Harmonisierung des schweizerischen und des europäischen Wettbewerbsrechts ist zudem ein zentrales Anliegen der schweizerischen Wettbewerbskommission (Weko).9 Unterschiede bestehen im Verfahrensrecht und bei den Sanktionen. So sind im schweizerischen anders als im europäischen Kartellrecht nicht alle Verstösse mit einer direkten Sanktion bedroht, sondern nur die Verletzung der qualifizierten Bestimmungen von Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie Art. 7 KG.10 Für den Schweizer Juristen hat diese materielle Übereinstimmung von schweizerischem und europäischem Kartellrecht den Vorteil, dass er bei der Auslegung des schweizerischen Kartellrechts die reichhaltige europäische Praxis und Literatur beiziehen kann. 3. Rechtsquellen Das schweizerische Kartellrecht ist im Kartellgesetz (KG) kodifiziert. Daneben hat die Weko diverse Bekanntmachungen erlassen, insbesondere die Vertikalbekanntmachung11 und die KMU-Bekanntmachung12. Bekanntmachungen sind keine Gesetze, sondern eine Zusammenstellung der Verwaltungspraxis einer Behörde.13 Sie binden weder die Unternehmen noch die Zivilgerichte.14 Für die Weko sind sie aufgrund des Vertrauensprinzips jedoch praktisch bindend.15 Die Grundsätze des europäischen Kartellrechts sind in den Artikeln 101–106 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom 1. Dezember 2009 geregelt.16 Daneben hat die Europäische Kommission mehrere Verordnungen mit Gesetzescharakter erlassen, welche im Zusammenhang mit der kartellrechtskonformen Vertrags- 8 Zum Ganzen siehe Sturny 107 ff.; Zäch, Harmonisierung, mit einer detaillierten Analyse und einer synoptischen Darstellung. 9 Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden vom 28. Juni 2010, einleitende Bemerkungen VI. und VII. 10 Siehe dazu hinten II.13. 11 Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden vom 28. Juni 2010. 12 Bekanntmachung betreffend Abreden mit beschränkter Marktwirkung vom 19. Dezember 2005. 13 Neff in BSK KG, Art. 6 KG N 23. 14 Neff in BSK KG, Art. 6 KG N 27. 15 Borer, Art. 6 KG N 3. 16 Mit dem sog. Vertrag von Lissabon wurde der EG-Vertrag umbenannt und neu strukturiert. Inhaltlich entsprechen die Bestimmungen den früheren Art. 81 und 82 EGV. recht 2014 Heft 1 gestaltung von grosser Bedeutung sind, insbesondere die Vertikal-GVO17, die Spezialisierungs-GVO18, die TT-GVO19 sowie die F&E-GVO20. Überdies äussert sich auch die Europäische Kommission in Leitlinien zur Auslegung ihrer Gesetze. Von Bedeutung sind die De-minimisBekanntmachung21, die Vertikal-Leitlinien22, die TT-Leitlinien23 sowie die Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit.24 Die Leitlinien haben wie die Bekanntmachungen der Weko keinen Gesetzescharakter.25 4. Adressaten des Kartellrechts Das Kartellrecht richtet sich an Unternehmen. Der Unternehmensbegriff ist funktional auszulegen. Erfasst wird jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von der Rechtsform.26 Insbesondere findet das Kartellrecht auch auf die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand Anwendung.27 Hingegen sind konzerninterne Transaktionen vom Anwendungsbereich des Kartellrechts ausgenommen.28 5. Die drei Säulen des Kartellrechts Das Kartellrecht beruht auf drei Säulen: dem Kartellverbot, dem Verbot des Missbrauchs von Marktmacht und der Fusionskontrolle. Das Kartellverbot erfasst horizontale und vertikale Absprachen über das Wettbewerbsverhalten. Horizontale Absprachen werden zwischen Unternehmen auf der gleichen Marktstufe (Konkurrenten) getroffen, vertikale Absprachen zwischen Un17 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen. 18 Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen. 19 Verordnung (EU) Nr. 772/2004 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen. 20 Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung. 21 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäss Art. 81 Abs. 1 EGV nicht spürbar beschränken, 2001/C 368/07. 22 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, 2010/C 130/01. 23 Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EGV auf Technologietransfer-Vereinbarungen, 2004/C 101/02. 24 Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, 2011/C 11/01. 25 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 13. 26 CH: Art. 2 Abs. 1 KG und Lehne in BSK KG, Art. 2 KG N 14 f.; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 15. 27 CH: Art. 2 Abs. 1 KG; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 15 f. Dies gilt im europäischen Kartellrecht allerdings nicht, wenn Beschaffungen im Hinblick auf die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolgen (Mäger in Mäger [Hrsg.], 1. Kapitel, Rn. 15). 28 CH: Lehne in BSK KG, Art. 2 KG N 27 ff.; EU: Emmerich in Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 49 ff. Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis ternehmen verschiedener Marktstufen, also z. B. zwischen einem Hersteller und einem Distributor. Das Kartellverbot ist bei der Vertragsgestaltung von zentraler Bedeutung. Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre Marktmacht nicht dazu missbrauchen, andere Unternehmen zu behindern und die Marktgegenseite zu benachteiligen.29 Das Missbrauchsverbot untersagt marktbeherrschenden Unternehmen bestimmte Geschäftspraktiken, die für andere, nicht marktbeherrschende Unternehmen zulässig sind. Dies schränkt die Vertragsfreiheit marktbeherrschender Unternehmen zusätzlich ein. Mit der Fusionskontrolle schliesslich soll das Entstehen von Marktstrukturen verhindert werden, welche für den Wettbewerb negativ sind (Monopole und Oligopole).30 Im Bereich der Unternehmenskaufverträge hat die Fusionskontrolle eine grosse Bedeutung. Untersteht eine Transaktion der Fusionskontrolle, so werden der Ablauf und die Strukturierung der Transaktion dadurch entscheidend beeinflusst und die Verfügung über ein Unternehmen kann sogar gänzlich untersagt werden. 6. Das Kartellverbot Kartelle im eigentlichen Sinn sind horizontale Abreden zwischen konkurrierenden Unternehmen.31 Besonders anfällig für Kartellabsprachen sind homogene Güter wie Benzin, Heizöl, Mehl, Bier, Sand, Kies, Zement sowie gewisse Versicherungsund Bankprodukte.32 Der Hauptzweck einer Kartellabsprache besteht darin, den Wettbewerb zu beschränken. Kartellabsprachen werden meistens heimlich getroffen und nicht schriftlich in Verträgen niedergeschrieben. Das Kartellverbot untersagt grundsätzlich Preisabsprachen, die Aufteilung von Märkten sowie die Einschränkung von Produktions-, Bezugs- oder Liefermengen. Unter einer Preisabsprache wird jede direkte oder indirekte Festsetzung von Preisen oder Preiselementen verstanden.33 Preisabsprachen werden sowohl im schweizerischen wie auch im europäischen Kartellrecht bereits im Gesetzestext erwähnt.34 Sie werden von der europäischen Kommission mit Nachdruck verfolgt und mit hohen Bussen belegt.35 Art. 7 Abs. 1 KG und Art. 102 AEUV. Meinhardt/Waser/Bischof in BSK KG, Art. 10 KG N 11 ff. 31 Zäch, Rz. 49. 32 Siehe die beispielhafte Aufzählung homogener Güter bei Zäch, Rz. 437. 33 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 374; Zäch, Rz. 454. 34 Art. 5 Abs. 3 lit. a KG; Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV. 35 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 11. 29 30 3 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Bei Gebietsabsprachen ist eine Rechtfertigung hingegen eher denkbar. So sind im europäischen Kartellrecht Gebietsabsprachen zwischen Konkurrenten im Rahmen von Lizenzverträgen unter bestimmten Umständen zulässig,36 und im schweizerischen Kartellrecht kann der Nachweis geführt werden, dass wirksamer Wettbewerb durch die Gebietsabsprache nicht beseitigt wird.37 Mit Mengen- oder Quotenkartellen38 wird das Güterangebot künstlich verknappt.39 Darunter fällt auch die Vereinheitlichung von Produktions- und Stillstandzeiten und der konzertierte Abbau von Produktionskapazitäten40 sowie die Beschränkung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit.41 Solche Abreden finden sich beispielsweise in Kooperations-, Joint-Venture- und Spezialisierungsvereinbarungen.42 Und schliesslich untersagt das Kartellverbot auch den Austausch von Informationen zwischen konkurrierenden Unternehmen, denn es besteht die Befürchtung, dass es aufgrund des Informationsaustausches zu koordiniertem Verhalten zwischen den Wettbewerbern kommen wird.43 Grundsätzlich unzulässig ist der Austausch strategischer Daten, die als Geschäftsgeheimnisse anzusehen sind. Dazu zählen Preise, Kundenlisten, Produktionskosten, Mengen, Umsätze, Verkaufszahlen, Kapazitäten, Qualität, Marketingpläne, Risiken, Investitionen und Technologien.44 7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen Das Kartellverbot untersagt nicht nur Kartelle im eigentlichen Sinn, sondern jede Abrede, welche eine Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Eine solche liegt vor, wenn die Handlungsfreiheit der Wettbewerbsteilnehmer in Bezug auf einen oder mehrere Wettbewerbsparameter (z. B. Preis, Marktgebiet, Kundenkreis, Absatzmengen) beschränkt wird.45 Wettbewerbsabsprachen finden sich meistens als Nebenabreden in Austausch- und Gesellschaftsverträgen. Im Unterschied zu Kartellen im eigentlichen Sinn bilden sie nicht den Hauptzweck des Vertrages. Wettbewerbsabsprachen sind sowohl in horizontalen Verträgen (z. B. in Kooperationsverträgen) wie auch in vertikalen Ver- 36 37 38 39 40 41 42 43 4 44 45 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 74. Zäch, Rz. 459. Art. 5 Abs. 3 lit. b KG; Art. 101 Abs. 1 lit. b AEUV. Zäch, Rz. 456. Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 15. Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 17. Zäch, Rz. 456. Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 65. Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 24. Borer, Art. 5 KG N 6; Zäch Rz. 379. recht 2014 Heft 1 trägen (z. B. in Vertriebs-, Lizenz- und Beschaffungsverträgen) anzutreffen. Wettbewerbsabsprachen setzen im Normalfall ein Dauerschuldverhältnis voraus. In Zielschuldverhältnissen sind sie selten anzutreffen. Kauf- und Werkverträge enthalten deshalb kaum je Wettbewerbsabsprachen.46 Vertragsklauseln werden bisweilen als schwarze, graue, rote und weisse Klauseln bezeichnet, um damit eine prägnante Aussage zur Zulässigkeit zu machen. Schwarze Klauseln enthalten unzulässige Kernbeschränkungen. Im europäischen Kartellrecht führen schwarze Klauseln dazu, dass eine Vereinbarung in der Gesamtheit nicht unter eine GVO fällt.47 Im Normalfall ist bei einer schwarzen Klausel auch eine Einzelfreistellung ausgeschlossen. Im schweizerischen Kartellrecht bewirken Kernbeschränkungen die Vermutung, dass wirksamer Wettbewerb beseitigt ist. Auf die Marktanteile der beteiligten Unternehmen kommt es dabei nicht an. Im schweizerischen Kartellrecht sind schwarze Klauseln selbst für Kleinstunternehmen grundsätzlich untersagt.48 Als graue Klauseln werden im europäischen Kartellrecht Abreden bezeichnet, die nach der anwendbaren GVO zwar ebenfalls unzulässig sind. Eine graue Klausel führt im Unterschied zu einer schwarzen Klausel jedoch nicht zum Verlust der Freistellung für die gesamte Vereinbarung. Vielmehr ist nur die betreffende Klausel nicht durch die GVO freigestellt, während die GVO für die übrige Vereinbarung grundsätzlich anwendbar bleibt.49 Graue Klauseln sind z. B. Wettbewerbsverbote, die für länger als fünf Jahre oder für unbestimmte Dauer eingegangen werden50, sowie den Abnehmer bindende, nachvertragliche Wettbewerbsverbote51. In Art. 12 der Vertikalbekanntmachung werden für das schweizerische Kartellrecht neben schwarzen auch rote Klauseln aufgeführt. Rote Klauseln sind z. B. die Beschränkung von Querlieferungen zwischen Händlern eines selektiven Vertriebssystems oder Wettbewerbsverbote, die für mehr als fünf Jahre oder für eine unbeschränkte Zeit eingegangen werden.52 Bei roten Klauseln liegt zwar eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung vor.53 Sie bewirken jedoch keine Vermutung, dass wirksamer Wettbewerb beseitigt ist und sie unter- 46 Zu den Wettbewerbsverboten beim Unternehmenskauf siehe hinten III.10. 47 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 69. 48 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 263. 49 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 73. 50 Art. 5 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO. 51 Art. 5 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO. 52 Graber/Krauskopf, 793 f. 53 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 261. recht 2014 Heft 1 stehen nicht dem mit direkten Sanktionen bedrohten Art. 5 Abs. 4 KG. Im europäischen Kartellrecht gab es früher auch weisse Klauseln, die ausdrücklich zulässig waren.54 Heute kennen weder das europäische noch das schweizerische Kartellrecht weisse Klauseln. 8. Prüfschema Die konkrete Prüfung der kartellrechtlichen Klauseln muss sich am anwendbaren Kartellrecht orientieren. Für das schweizerische Kartellrecht ist dies der Art. 5 KG, für das europäische Kartellrecht der Art. 101 AEUV. Das Prüfschema gemäss Art. 5 KG ist mehrstufig.55 Vereinfacht sind nacheinander die folgenden Fragen zu stellen: Liegt ein Bagatellfall vor, der nicht vom Kartellverbot erfasst wird? Wird der wirksame Wettbewerb durch die Abrede beseitigt, was in den Fällen von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG vermutet wird? Wird der wirksame Wettbewerb zwar nicht beseitigt, aber doch erheblich beeinträchtigt? Lässt sich die Beeinträchtigung durch wirtschaftliche Effizienz rechtfertigen? Wann eine Wettbewerbsbeschränkung den Wettbewerb erheblich beeinträchtigt, wird im schweizerischen Kartellrecht nach quantitativen und nach qualitativen Kriterien beurteilt.56 Quantitative Kriterien stellen auf die Beeinträchtigung des Wettbewerbs und damit auf die Marktanteile ab, qualitative Kriterien auf die Bedeutung der betroffenen Wettbewerbsparameter. Einschränkungen der wichtigsten Wettbewerbsparameter wie Preis und Kundenkreis stellen deshalb bei einer rein qualitativen Beurteilung unabhängig von den Marktanteilen immer eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung dar.57 Die aktuelle Praxis nähert sich dem europäischen Kartellrecht an,58 welches zumindest im Bereich der absolut untersagten Kernbeschränkungen von qualitativen Kriterien ausgeht. Ob wirksamer Wettbewerb beseitigt oder nur erheblich beeinträchtigt wird, ist in doppelter Hinsicht relevant. Zum einen lassen sich Abreden, welche den Wettbewerb beseitigen, nicht mit wirtschaftlicher Effizienz rechtfertigen.59 Zum anderen sind nur den Wettbewerb beseitigende Abreden mit direkten Sanktionen bedroht.60 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 103. Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 658 f.; Weber/Vlcek, Tafel 23. 56 Zum Ganzen siehe Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 148 ff. und Weber/Volz, Rz. 2.322 ff. 57 So insbesondere Zäch, Rz. 388 ff. unter Berufung auf eine Auslegung der Vertikalbekanntmachung. 58 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 167. 59 Art. 5 Abs. 2 lit. b KG. 60 Siehe hinten II.13. 54 55 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Eine wichtige Rolle spielt die Beweislast.61 In zivilrechtlichen Verfahren ist Art. 8 ZGB massgebend, d. h., die Wettbewerbsbeschränkung ist von derjenigen Partei zu behaupten und zu beweisen, die sich darauf beruft. Umgekehrt ist die wirtschaftliche Effizienz einer nachgewiesenen Wettbewerbsbeschränkung von derjenigen Partei zu beweisen, welche sich auf die Gültigkeit der Abrede beruft. Die Beweislastregeln gelten insbesondere für die gesetzliche Vermutung gemäss Art. 5 Abs. 3 und 4 KG. Ist die Vermutungsbasis nachgewiesen, so hat ein Gericht davon auszugehen, dass wirksamer Wettbewerb beseitigt ist, sofern der Beweis des Gegenteils nicht gelingt.62 Die Vermutung kann z. B. durch den Nachweis widerlegt werden, dass zu wenig Marktteilnehmer eingebunden sind63 oder dass die Abrede von den Parteien nicht beachtet wird.64 Führen Abreden jedoch zu einer Marktabschottung des schweizerischen Marktes, ist der Gegenbeweis, dass wirksamer Wettbewerb vorliegt, von vornherein ausgeschlossen.65 Im europäischen Kartellrecht wird zwischen einer Gruppenfreistellung und einer Einzelfreistellung unterschieden. In der Praxis ist zunächst zu prüfen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung durch eine GVO freigestellt ist.66 Eine GVO gelangt nur zur Anwendung, wenn die Marktanteile der beteiligten Unternehmen gewisse Schwellenwerte nicht überschreiten (je nach GVO zwischen 20% und 30%). Ein Sachverhalt kann in den Anwendungsbereich mehrerer GVO fallen. Dann ist zu prüfen, welche Verordnung zur Anwendung gelangt.67 Die Vertikal-GVO hat nachrangige Geltung.68 Ist keine GVO anwendbar, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung erfüllt sind. Diese ergeben sich aus Art. 101 Abs. 3 AEUV.69 Wettbewerbsbeschränkungen sind dann vom Kartellverbot ausgenommen, wenn sie zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und zur Förderung des technischen Fortschritts beitragen und die Marktgegenseite am erzielten Gewinn angemessen beteiligen. Dies gilt allerdings nur, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung dieser Ziele unerlässlich ist und wenn der Wettbewerb für die betroffenen Waren nicht vollständig ausgeschaltet wird.70 61 Ausführlich dazu Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 622 ff. 62 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 658 ff.; Weber/Vlcek, Tafel 25, Fn 2; Zäch, Rz. 450. 63 Zäch, Rz. 476. 64 Zäch, Rz. 487. 65 Zäch, Rz. 486. 66 Dietze/Jannsen, Rn. 158. 67 Siehe dazu Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 55 ff. 68 Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO. 69 Zur direkten Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 3 AEUV und zum System der Legalausnahme siehe hinten II.12. 70 Zum Ganzen siehe Ellger in Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 3 AEUV, Rn. 128 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 106 ff. 5 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Bei einer Einzelfreistellung haben die GVO Ausstrahlungswirkung. So kann bei einer nur geringfügigen Überschreitung der Marktanteile mit einer Freistellung gerechnet werden.71 Dies gilt aber auch umgekehrt, und es ist unwahrscheinlich, dass eine Kernbeschränkung die Kriterien einer Einzelfreistellung erfüllt.72 9. Marktanteile Bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten sind die Marktanteile der involvierten Unternehmen von zentraler Bedeutung. Vom Marktanteil hängt ab, ob das Kartellrecht auf einen bestimmten Sachverhalt überhaupt Anwendung findet oder ob Marktmacht als Voraussetzung des Missbrauchstatbestands vorliegt. Im europäischen Kartellrecht ist eine Gruppenfreistellung nur möglich, wenn die in der entsprechenden GVO erwähnten Marktanteile nicht überschritten werden. Und bei der Fusionskontrolle schliesslich dreht sich bei der materiellen Beurteilung alles darum, ob es zu einer unerwünschten Konzentration von Marktanteilen kommt. Um den Marktanteil eines Unternehmens zu bestimmen, muss man den relevanten Markt in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht abgrenzen.73 In sachlicher Hinsicht gehören Güter oder Dienstleistungen dann zum gleichen Markt, wenn sie aus der Sicht der Abnehmer austauschbar sind.74 Der gleiche Ansatz gilt für die Bestimmung des örtlich und zeitlich relevanten Marktes. Für die Ermittlung der Marktanteile braucht es ökonomische Kompetenz. Diese Aufgabe obliegt deshalb nicht in erster Linie dem Juristen, und er darf sie nicht ohne Unterstützung wahrnehmen. In der Regel kennen die Unternehmen ihre Konkurrenten und den eigenen Marktanteil aber relativ genau. Marktanteile können sich verändern. Eine ursprünglich zulässige Abrede kann deshalb im Verlauf der Zeit unzulässig werden, z. B. weil sie aus dem Anwendungsbereich einer GVO herausfällt. 10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU Das Kartellrecht bezweckt, die Wirksamkeit des Wettbewerbs zu schützen. Entsprechend beschäftigt sich das Kartellrecht nicht mit Tatbeständen, welche aufgrund ihrer geringen Bedeutung keine Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 121. Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 122. 73 Zum Vorgehen siehe CH: Weber/Volz, Rz. 2.30 ff.; EU: Dietze/ Jannsen, 371 ff. 74 Weber/Volz, Rz. 2.318. 71 72 6 recht 2014 Heft 1 Gefährdung des Wettbewerbs darstellen können. Wo die Grenzwerte liegen, wird von den verschiedenen Kartellrechtsordnungen unterschiedlich definiert. Im Bereich des Kartellverbots kann davon ausgegangen werden, dass unterhalb eines gemeinsamen Marktanteils von 10% keine kartellrechtsrelevante Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorliegt.75 Dies gilt nicht für Kernbeschränkungen wie Preis- und Gebietsabsprachen, welche auch im Bagatellbereich unzulässig bleiben.76 Zudem haben die Wettbewerbsbehörden Ermessen und können auch bei tieferen Werten von einer Beeinträchtigung ausgehen.77 Für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von unter CHF 2 Mio. hat die Weko besondere Regeln erlassen. Die Weko betrachtet Wettbewerbsabreden, an welchen ausschliesslich Kleinstunternehmen beteiligt sind, als unerheblich.78 Aber auch das gilt nicht für Kernbeschränkungen wie Preisund Gebietsabsprachen79, weshalb der Nutzen dieser Sonderregelung beschränkt ist. 11. Auslegung und Ermessen Das Kartellrecht arbeitet mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen und gibt den rechtsanwendenden Organen viel Ermessen. Es ist nicht immer klar, ob ein bestimmtes Verhalten zulässig oder verboten ist. In diesem Zusammenhang werden die Begriffe «Per-se-Verbot» und «Rule of Reason» verwendet.80 Mit einem Per-se-Verbot wird eine Wettbewerbsabrede als kartellrechtswidrig erklärt. Eine allfällige Rechtfertigung wird nicht geprüft.81 Bei einer Rule of Reason ist eine Klausel nicht von vornherein kartellrechtswidrig, sondern die rechtsanwendende Behörde muss im Einzelfall ermitteln, ob die Klausel wettbewerbspolitisch schädlich ist.82 Unter dem Schlagwort «More Economic Approach» schliesslich wird gefordert, dass der Ökonomie bei der Kartell75 CH: Ziffer 3 KMU-Bekanntmachung; EU: Ziffer 7 De-minimisBekanntmachung. 76 CH: Ziffer 3 Abs. 2 sowie Ziffer 5 KMU-Bekanntmachung; EU: Ziffer 11 De-minimis-Bekanntmachung. 77 In der schweizerischen Lehre wird kritisiert, dass die KMUBekanntmachung im Vergleich zur europäischen De-minimisBekanntmachung weniger Rechtssicherheit vermittle (Ammann/ Strebel, 228 ff.; Neff in BSK KG, Einleitung KMU-BM, N 1 ff.). 78 Ziffer 5 KMU-Bekanntmachung. 79 Ziffer 5 lit. a KMU-Bekanntmachung. 80 Im schweizerischen Kartellrecht z. B. im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 KG (siehe Hilty in BSK KG, Art. 3 Abs. 2 KG N 46); im europäischen Kartellrecht im Zusammenhang mit der Frage, ob Koppelungsgeschäfte per se verboten sind oder nur wenn sie den Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigen (Wirtz in Mäger [Hrsg.], 6. Kapitel, Rn. 93). 81 Zäch, Rz. 171. 82 Zäch, Rz. 170. recht 2014 Heft 1 rechtsanwendung eine grössere Bedeutung zukommen soll.83 Ist eine bestimmte Abrede nur verboten, wenn sie sich bei einer ökonomischen Betrachtung negativ auf den Wettbewerb und letztlich die Wohlfahrt auswirkt, so mag das für die direkt betroffenen Unternehmen vorteilhaft sein. Auf die Berechenbarkeit der Rechtsanwendung hat ein grosses Ermessen jedoch einen negativen Einfluss.84 Kartellrechtlichen Fragestellungen liegen handfeste wirtschaftliche Interessen zugrunde. Vieles ist umstritten und wenig ist wirklich klar. Entsprechend zahlreich sind die juristischen Publikationen zu kartellrechtlichen Fragestellungen.85 Dass die Verfasser solcher Publikationen gleichzeitig oft auch Interessenvertreter sind, erschwert die Suche nach objektiven Anhaltspunkten.86 Das gilt für das schweizerische Kartellrecht noch viel mehr als für das europäische, wo sich eine gefestigte Praxis entwickeln konnte. 12. Vorabklärungen bei den Kartell behörden Es gibt weder für das schweizerische noch für das europäische Kartellrecht eine Möglichkeit, Vertragsklauseln durch die Kartellbehörden verbindlich prüfen oder genehmigen zu lassen. Anders war die Rechtslage im europäischen Kartellrecht bis zum 1. Mai 2004. Bis dahin erfolgte die Freistellung einer Wettbewerbsabrede vom Kartellverbot mit einer ausdrücklichen Entscheidung der Kommission.87 Seither gilt im europäischen Kartellrecht jedoch das System der Legalausnahme.88 Eine behördliche Entscheidung muss und kann nicht mehr eingeholt werden.89 Vielmehr gilt die Freistellung direkt, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Allerdings müssen die Parteien in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko prüfen, ob dies der Fall ist.90 Im schweizerischen Kartellrecht kann beim Sekretariat der Weko eine kostenpflichtige Beratung in Anspruch genommen werden.91 Die Antwort weist den Gesuchsteller auf kartellrechtliche Pro- Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis bleme hin. Sie bindet allerdings die Weko nicht und wird auch nicht publiziert.92 Zudem besteht nach Art. 49a Abs. 3 lit. a KG die Möglichkeit, Wettbewerbsbeschränkungen zu melden. Dadurch werden jedoch lediglich direkte Sanktionen vermieden. Auf eine allfällige zivilrechtliche Unwirksamkeit der betroffenen Klausel hat eine solche Meldung keine Auswirkungen.93 13. Verwaltungs und Strafsanktionen Im schweizerischen Kartellrecht sind die Verwaltungs- und Strafsanktionen in den Art. 49a–57 KG geregelt. Verwaltungssanktionen richten sich gegen die beteiligten Unternehmen, Strafsanktionen nur gegen die involvierten natürlichen Personen.94 Die in Art. 49a KG erwähnten Tatbestände sind mit einer direkten Verwaltungssanktion belegt. Das betrifft qualifizierte horizontale und vertikale Abreden gemäss Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 KG sowie den Missbrauch von Marktmacht gemäss Art. 7 KG. In allen anderen Fällen erfolgt eine Sanktion nach Art. 50 KG und setzt demnach voraus, dass die Weko vorgängig eine Anordnung erlassen hat. Verwaltungssanktionen können bis zu 10% des Umsatzes betragen, der in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz vom Unternehmen im relevanten Markt erzielt wurde.95 Bei der Mehrzahl der bisher von der Weko rechtskräftig entschiedenen Verfahren beläuft sich die Busse auf Beträge unter CHF 1 Mio.96 Die höchste, rechtskräftig verfügte Busse betrifft mit CHF 2 500 000.– Publigroupe.97 Die höchste je verfügte, allerdings vom Bundesgericht wieder aufgehobene Busse betraf mit CHF 333 Mio. das Verhalten von Swisscom im Zusammenhang mit den Terminierungsgebühren.98 Im europäischen Kartellrecht kann die Kommission Sanktionen erlassen, wenn der gemeinsame europäische Markt betroffen ist.99 Die Kommission kann alle kartellistischen Wettbewerbsbeschränkungen100 direkt mit einer Geldbusse von bis zu Bangerter in BSK KG, Art. 23 KG N 51. Tagmann/Zirlick in BSK KG, Art. 49a KG N 236. 94 Zäch, Rz. 1104. 95 Art. 49a Abs. 1 KG, Art. 50 KG, Art. 3 der Verordnung über die Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen vom 12. März 2004. 96 Siehe die Zusammenstellung der Bussen bei Tagman/Zirlick in BSK KG, Art. 49a KG N 119. 97 BGer 2C_484/2010, Urteil vom 29. Juni 2012 i. S. Publigroupe SA. 98 BGE 137 II 199. 99 Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln. 100 Anders als in der Schweiz gilt dies nicht nur für die besonders qualifizierten Abreden. Zu den Unterschieden des Sanktionssystems in der Schweiz und der EU grundlegend Zäch/Künzler. 92 93 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 141. Bosch/Dallmann, 145; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 141; Zäch, 172; Zäch, Harmonisierung, 197. 85 Siehe die aktuellste Zusammenstellung der Literatur zum materiellen Kartellrecht bei Weber/Volz, 47 f. 86 Zürcher, 4. 87 Dietze/Jannsen, Rn. 165. 88 Dietze/Jannsen, Rn. 165. 89 Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln; Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 31. 90 Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 118. 91 Art. 23 Abs. 2 KG. 83 84 7 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis 10% des Gesamtumsatzes im vorausgegangenen Geschäftsjahr belegen.101 Daneben kann auch jede Wettbewerbsbehörde eines betroffenen Mitgliedsstaates ein Verfahren führen. Es besteht im europäischen Kartellrecht ein System der parallelen Zuständigkeiten.102 Spielt sich das sanktionierte Verhalten im Anwendungsbereich verschiedener Kartellrechtsordnungen ab, fällt jede zuständige Behörde eine Sanktion aus. So wurden im Vitaminkartell, an welchem Roche beteiligt war, zwischen 1999 und 2007 die folgenden kumulierten Bussen verfügt: USA (USD 500 Mio.), EU (EUR 462 Mio.), Kanada (CAD 48 Mio.), Australien (AUD 15 Mio.), Brasilien (USD 6 Mio.), Korea (USD 1.56 Mio.) und Mexiko (USD 50 000).103 14. Zivilrechtliche Nichtigkeit Eine Kartellrechtsverletzung begründet nach schweizerischem Recht eine Widerrechtlichkeit und führt damit gemäss Art. 20 OR zur Nichtigkeit der betroffenen Abrede.104 Für das europäische Recht ergibt sich die Rechtsfolge der Nichtigkeit direkt aus der gesetzlichen Bestimmung von Art. 101 Abs. 2 AEUV. Im Übrigen erfolgt die zivilrechtliche Behandlung kartellrechtswidrigen Verhaltens jedoch nach dem Zivilrecht der involvierten Mitgliedsstaaten.105 Nichtigkeit tritt nicht nur bei einer Verletzung des Kartellverbots ein, sondern auch bei missbräuchlichen Abreden marktbeherrschender Unternehmen.106 Im schweizerischen Zivilrecht bewirkt nur die Verletzung der schweizerischen Rechtsordnung eine Widerrechtlichkeit. Trotzdem kann auch die Verletzung von ausländischem Kartellrecht zur Nichtigkeit führen, denn dies begründet allenfalls eine ebenfalls von Art. 20 OR erfasste Sittenwidrigkeit.107 Zudem ist Art. 19 IPRG zu beachten. Danach gelangt zwingendes ausländisches Recht zur Anwendung, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten 8 101 Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln. 102 Johanns in Mäger (Hrsg.), 12. Kapitel, Rn. 123; zum Grundsatz «ne bis in idem» im europäischen Kartellrecht siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 1. Kapitel, Rn. 63. 103 Zitiert nach Dr. Bruno Meier, Referat «Unternehmen im Fokus kartellrechtlicher Ermittlungen: Das Vitaminkartell», Kontaktstudium Kartellrecht, Universität Konstanz, 10. September 2012. 104 BGE 134 III 442 (Entscheidung «Konsortium Resh-Abfälle»). 105 Johanns/Mäger in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 1. 106 CH: Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17, N 60; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 129. 107 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 19. recht 2014 Heft 1 und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist.108 Aus einem nichtigen Vertrag erwächst kein Erfüllungsanspruch. Die Nichtigkeit wirkt ex tunc109 und ist absolut und unheilbar. Sie ist von Amtes wegen zu beachten und jedermann kann sich jederzeit darauf berufen.110 Folgeverträge sind jedoch von der Nichtigkeit nicht betroffen. Sie sind im schweizerischen Recht grundsätzlich gültig.111 Betrifft die Nichtigkeit nur einzelne Teile des Vertrags, so liegt Teilnichtigkeit vor. Für diesen Fall enthält das schweizerische Recht eine Entscheidungsregel. Die Nichtigkeit betrifft primär nur die betroffenen Vertragsteile und erstreckt sich nur dann auf den Gesamtvertrag, wenn anzunehmen ist, die Parteien hätten den Vertrag ohne die nichtigen Teile nicht abgeschlossen.112 Massgebend ist der hypothetische Parteiwille. Es ist also zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen der Teilmangel schon bei Vertragsabschluss bewusst gewesen wäre.113 Entsteht durch die Teilnichtigkeit eine Lücke, so ist diese nach Massgabe des hypothetischen Parteiwillens zu ergänzen.114 Bei mehreren zulässigen Ersatzregeln ist jene Variante zu wählen, welche der unwirksamen Vertragsabrede am nächsten kommt.115 Im Bereich des Kartellrechts dürfte Teilnichtigkeit die Regel sein.116 Um den wirksamen Wettbewerb zu schützen, genügt es, die Nichtigkeit auf jene Teile des Vertrages zu beschränken, die tatsächlich gegen das Kartellgesetz verstossen. So wäre eine kartellrechtswidrige Preisvorgabe für den Zwischenhändler nicht beachtlich, der Vertriebsvertrag im Übrigen jedoch gültig. Dies gilt insbesondere auch für Abreden, welche unter missbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht von der Gegenpartei übermässige Zugeständnisse verlangen. Bei solchen Abreden umfasst die Nichtigkeit nur den unangemessenen Teil, und es erfolgt eine Reduktion auf das kartellrechtlich zulässige Mass.117 Gestützt auf einen nichtigen Vertrag erbrachte Leistungen sind nach den Regeln der Vindikation 108 Zur Anwendung von Art. 19 IPRG auf das Kartellrecht siehe Mächler-Erne in BSK IPRG, Art. 19 IPRG N 24; Zenhäusern, 114. 109 Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 36 ff.; Weber/ Volz, Rz. 3.445; Zäch, Rz. 857. 110 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 53. 111 Zäch, Rz. 869 f. Als Folgeverträge werden Verträge bezeichnet, die eine beteiligte Partei in Durchführung der wettbewerbswidrigen Absprache mit ihren eigenen Kunden oder Lieferanten abschliesst. 112 Art. 20 Abs. 2 OR. 113 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 63. 114 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 64. 115 Huguenin in BSK OR I, Art. 19/20 OR N 64. 116 Zum Folgenden siehe Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 42 ff.; Weber/Volz, 3.442 sowie für die EU: Fort in Mäger (Hrsg.) 11. Kapitel, Rn. 9 ff. 117 Jacobs/Giger in BSK KG, Vor Art. 12–17 KG N 42 ff.; Zäch, Rz. 875 f. recht 2014 Heft 1 und der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten. Dies ist jedoch dann nicht möglich, wenn in Erfüllung des nichtigen Vertrages Leistungen erbracht worden sind, die nicht zurückerstattet werden können. In diesem Fall ist die Bereicherung entweder objektiv zu schätzen oder aber sie bestimmt sich nach dem Wert, den ihr die Parteien in ihrer nichtigen Vereinbarung zugemessen haben.118 Mit diesem Argument hat das Bundesgericht in der Entscheidung «Konsortium Resh-Abfälle» die an sich nichtige Entschädigungsforderung derjenigen Konsortialpartnerin geschützt, die sich aus dem Entsorgungsgeschäft zurückzog und dafür entschädigt werden wollte.119 Dem stand auch Art. 66 OR nicht entgegen, denn diese Bestimmung schliesst nur die Rückforderung des eigentlichen Gaunerlohns aus und gelangt im Bereich des Kartellrechts im Normalfall nicht zur Anwendung.120 15. Zivilrechtliche Klagen Im schweizerischen Kartellrecht kann bei Behinderung durch unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen gemäss Art. 12 KG auf Beseitigung, Unterlassung, Schadenersatz, Genugtuung sowie Gewinnherausgabe geklagt werden. Zivilrechtliche Verfahren zur Durchsetzung des Kartellrechts haben in der Schweiz allerdings eine geringe Bedeutung.121 Dies steht im Kontrast zur Situation in den USA. Dort werden zwischen 90% und 95% der kartellrechtlichen Streitigkeiten in Zivilverfahren geführt, wobei Schadenersatzklagen im Vordergrund stehen.122 Im europäischen Kartellrecht erfolgt der privatrechtliche Rechtsschutz vor den Gerichten der Mitgliedsstaaten und die Verfahren werden nach einzelstaatlichem Recht geführt.123 Die europäischen Kartellbehörden beurteilen die private Kartellrechtsdurchsetzung im Vergleich zu den USA als unterentwickelt und möchten sie fördern.124 Auch im Bereich der privaten Kartellrechtsdurchsetzung können schweizerische Unternehmen im Ausland in Verfahren verwickelt werden oder selber solche Verfahren führen. So klagten zwei in der Schweiz domizilierte Gesellschaften beim Landgericht Hamburg auf Feststellung, es bestehe keine Lieferpflicht, nachdem sie von einer italienischen Gesellschaft wegen einer Lieferverweigerung abgemahnt worden waren. Parallel dazu klagte 118 119 120 121 122 123 124 BGE 129 II 320; BGE 134 III 443. BGE 134 III 438. BGE 134 III 445. Jacobs/Giger in BSK-KG, Vor Art. 12–17 KG N 8; Jacobs, 209. Fort in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 24. Dietze/Janssen, Rn. 637. Fort in Mäger (Hrsg.), 11. Kapitel, Rn. 26. Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis die italienische Gesellschaft in Italien auf Schadenersatz und Erteilung einer Patentlizenz.125 III. Beurteilung typischer Klauseln 1. Vertriebsverträge Mit einem Vertriebsvertrag strukturiert ein Unternehmen seine Absatzkanäle im vertikalen Verhältnis. Im schweizerischen Kartellrecht erfolgt die Beurteilung von Vertriebsverträgen gemäss Art. 5 Abs. 4 KG sowie anhand der Vertikalbekanntmachung. Im europäischen Kartellrecht ist insbesondere die Vertikal-GVO einschlägig. Vorab ist zwischen Wiederverkaufs- und Agenturverträgen zu unterscheiden. Die Anwendung von Kartellrecht setzt voraus, dass selbständige Unternehmen interagieren.126 Agenten gelten im Verhältnis zum Geschäftsherrn nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts.127 Das trifft nur so lange zu, wie der Agent für den Verkauf der Handelsware kein finanzielles oder geschäftliches Risiko übernimmt.128 Insbesondere folgende Klauseln in Vertriebsverträgen sind kartellrechtlich relevant: Preisbindung: Als Preisbindung gilt eine Massnahme, welche den Händler darin beschränkt, seinen Wiederverkaufspreis frei festzusetzen.129 Unzulässig ist insbesondere die Vorgabe eines Mindestverkaufspreises oder eines Festpreises. Aber auch indirekte Preisabsprachen sind untersagt. Das gilt für Vorschriften über die Bandbreite des Wiederverkaufspreises, über die Marge des Händlers,130 über den Endkunden zu gewährende Rabatte oder über Rückvergütungen, wenn der Händler ein bestimmtes Preisniveau einhält.131 Höchstpreisbindungen hingegen sind im Normalfall kartellrechtlich unbedenklich.132 Preisempfehlung: Mit einer Preisempfehlung wird einem Händler die Anwendung bestimmter Preise nicht vorgeschrieben, sondern lediglich empfohlen. Preisempfehlungen sind nur unzulässig, wenn sie durch Ausübung von Druck oder das Setzen von Anreizen wie eine Preisbindung wir- 125 EuGH Rs. C-133/11 vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec/Ritrama, besprochen bei Peter, 2 ff. 126 Siehe vorne II.4. 127 Ruggli, 166. 128 Dietze/Janssen, Rn. 289 f.; im schweizerischen Kartellrecht fehlen vergleichbar klare Aussagen zu diesem Thema (Ruggli, 159). 129 Zäch, Rz. 464. 130 Ein Preisklausel, welche den Einkaufspreis des Händlers als Prozentsatz des Endkundenpreises definiert, ist deshalb unzulässig. 131 CH: Krauskopf/Schaller in BSK-KG, Art. 5 KG N 401 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 180; Weber/Volz, Ziffer 2.190 ff. 132 CH: Zäch, Rz. 465; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 182. 9 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis ken.133 Wird eine Preisempfehlung nicht ausdrücklich als unverbindlich bezeichnet, so gilt das als Indiz für deren Verbindlichkeit.134 Alleinvertrieb: Beim Alleinvertrieb sichert der Lieferant dem Händler zu, im Vertragsgebiet nur einen einzigen Händler zu beliefern, und der Händler verpflichtet sich, nicht ausserhalb des ihm zugewiesenen Gebietes zu verkaufen.135 Alleinvertriebssysteme sind zulässig, sofern nur der aktive Verkauf untersagt wird.136 Damit allerdings von einem Alleinvertriebssystem ausgegangen werden kann, darf ein Gebiet nicht mehreren Händlern zugewiesen werden, was vertraglich sicherzustellen ist.137 Marktmächtige Unternehmen dürfen grundsätzlich keine exklusiven Vertriebsverträge abschliessen, da für sie eine Belieferungspflicht besteht.138 Verbot des passiven Verkaufs: Unzulässig ist es hingegen, neben dem aktiven auch den passiven Verkauf zu verbieten. Unter passivem Verkauf versteht man die Belieferung von Kunden in einem fremden Gebiet auf deren Anfrage hin.139 Selbstvorbehalt des Lieferanten: Der Lieferant kann sich den eigenen Vertrieb im zugewiesenen Gebiet neben dem Händler vorbehalten140 oder er kann darauf verzichten. Beides ist zulässig. Im schweizerischen Kartellrecht ist der Verzicht des Lieferanten sogar dann zulässig, wenn er sich auch auf passive Verkäufe bezieht.141 Selektiver Vertrieb: Beim selektiven Vertrieb beschränkt der Lieferant den Vertrieb auf eine Gruppe zugelassener Einzelhändler, welche bestimmte Kriterien qualitativer oder quantitativer Art erfüllen müssen wie z. B. Vorschriften bezüglich Verkaufsberatung, Service, Gestaltung der Verkaufsräumlichkeiten oder Mindestbezugsmengen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Einzelhändler, die Vertragswaren nur an Endkunden und andere zugelassene Einzelhändler zu verkaufen.142 Mit einem selektiven Vertriebssystem kann der Lieferant erreichen, dass seine Händler gewisse Standards einhalten müssen, und er kann die sonst 10 133 CH: Ziffer 15 Abs. 2 Vertikalbekanntmachung; Leitentscheidung Hors-Liste Medikamente RPW 2010/4, 649 ff. mit einer Beurteilung durch Giger, Vertikale Abreden, 866 f.; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 181 sowie der Wortlaut von Art. 4 lit. a Vertikal-GVO. 134 Dazu sowie zu weiteren Indizien für die Verbindlichkeit siehe Weber/Volz, Rz. 2.237 ff. 135 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 139; Zäch, Rz. 62. 136 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b Vertikal-Bekanntmachung, EU: Art. 4 lit. b i) Vertikal-GVO. 137 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 148. 138 Siehe dazu hinten III.11 sowie für das europäische Recht Dietze/ Janssen, Rn. 546. 139 Zäch, Rz. 469. 140 Für das europäische Kartellrecht siehe Vertikal-Leitlinien, Rn. 51. 141 Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 17. Mai 2010 i. S. Jovani; wiedergegeben und kommentiert bei Giger, «Jovani». 142 Zäch, Rz. 66; für das europäische Recht siehe die Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 lit. e Vertikal-GVO. recht 2014 Heft 1 unzulässige und auch für passive Verkäufe geltende Einschränkung machen, dass nur an Endkunden oder andere zugelassenen Einzelhändler verkauft werden darf. Abreden über selektive Vertriebssysteme gelten im europäischen Kartellrecht entweder gar nicht als wettbewerbsbeschränkend143 oder aber sie können durch die Vertikal-GVO oder eine Legalausnahme freigestellt sein.144 Im schweizerischen Kartellrecht gelten selektive Vertriebssysteme von vornherein nur dann als unerheblich, wenn die Art der vertriebenen Produkte ein selektives Vertriebssystem erfordert145 wie z. B. bei technisch komplexen Produkten oder Markenprodukten.146 Die Kriterien für die Auswahl der Händler müssen diskriminierungsfrei angewendet werden.147 Zwar darf der Lieferant pro Gebiet nur einen Einzelhändler exklusiv zulassen. Es muss den anderen zugelassenen Händlern jedoch möglich sein, nicht nur passiv, sondern auch aktiv in andere Gebiete hinein zu verkaufen.148 Ebenfalls unzulässig sind Wettbewerbsverbote, die es den zugelassenen Händlern untersagen, Marken bestimmter konkurrierender Anbieter zu verkaufen.149 Internetvertrieb: Ein vollständiges Verbot, Vertragsprodukte über das Internet zu verkaufen, ist grundsätzlich unzulässig,150 respektive nur ausnahmsweise aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Sicherheit möglich.151 Hingegen ist es zulässig, dem Händler bestimmte Vorgaben hinsichtlich Internetauftritt und Präsentation der Produkte zu machen, insbesondere bei selektiven Vertriebssystemen.152 Es ist auch zulässig, vom Händler zu verlangen, dass er neben dem Internetvertrieb ein Ladengeschäft betreibt (sog. Brickstore-Klausel).153 Reine Internethändler können damit ausgeschlossen werden. Ebenso kann der Internethandel über Auktionsplattformen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.154 143 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 160; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 299. 144 Art. 4 lit. c Vertikal-GVO; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 161 ff. 145 Ziffer 14 i) Vertikalbekanntmachung; Weber/Volz, Rz. 2.356 ff; kritisch Giger, 871 f. 146 Giger unter Verweis auf die europäische Rechtsprechung, 872; Weber/Volz, Rz. 2.358. 147 Weber/Volz, Rz. 2.359. 148 Für das europäische Kartellrecht siehe die Vertikal-Leitlinien, Rn. 176 sowie Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 165. 149 Graber/Krauskopf, 794; Ziffer 12 lit. h Vertikalbekanntmachung; Art. 5 Abs. 1 lit. c Vertikal-GVO; 150 Für das europäische Kartellrecht siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 173; kritisch zur Übernahme der europäischen Praxis im schweizerischen Recht siehe Neff in BSK KG, Ziffer 3 Vert-BM N 4. 151 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 58. 152 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 94 ff. 153 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 94 f.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 173. 154 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 109 ff.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 177. recht 2014 Heft 1 Bei einer über das Internet eingehenden Bestellung eines Kunden aus einem anderen Vertragsgebiet wird von einem passiven Verkauf ausgegangen,155 welcher nicht untersagt werden darf. Der Internetvertrieb wird nur dann als aktiver Vertrieb beurteilt, wenn sich der Internetauftritt explizit an Kunden aus einem anderen Vertragsgebiet wendet, beispielsweise durch den Einsatz von Suchmaschinen- oder Bannerwerbung.156 Dem Händler darf nicht vorgeschrieben werden, für den Internethandel an sich oder für Käufer aus anderen Vertragsgebieten höhere Preise zu verlangen (Dual Pricing).157 Ebenso ist es unzulässig, Anfragen aus anderen Vertragsgebieten automatisch auf die Webseite des Herstellers oder anderer Händler umzuleiten oder die Transaktion abzubrechen.158 Alleinbezug: Dabei verpflichtet sich ein Abnehmer, seinen gesamten Bedarf beim Lieferanten zu decken.159 Alleinbezugsverpflichtungen werden als Wettbewerbsverbote betrachtet und sind deshalb unzulässig, wenn der Bezug mehr als 80% des Bedarfs des Abnehmers deckt oder mehr als fünf Jahre dauert.160 Ob die «englische Klausel»161 das Wettbewerbsverbot aufhebt, ist fraglich.162 Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihren Vertragspartnern grundsätzlich keine Alleinbezugsverpflichtung auferlegen.163 Mindestabnahmeverpflichtung: Dafür gelten die gleichen Regeln wie für den Alleinbezug.164 Verwendungsbeschränkungen: Eine Verwendungsbeschränkung kann dem Abnehmer die Weiterverarbeitung verbieten (Weiterverarbeitungsverbot) oder eine solche zur Pflicht machen (Weiterverarbeitungsgebot).165 In beiden Fällen handelt es sich um Wettbewerbsbeschränkungen. Ein Verarbeitungsverbot stellt keine unzulässige Kundenkreisbeschränkung dar, ein Verarbeitungsgebot möglicherweise jedoch schon.166 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 174. Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 130 ff. mit einer ausführlichen Analyse der heute gebräuchlichen Werbemittel, Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 175. 157 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 81; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 173. 158 Bühlmann/Schirmbacher, Rz. 78 ff. 159 Zäch, Rz. 68. 160 CH: Ziffer 6 Vertikalbekanntmachung und Ziffer 12 Abs. 2 lit. f Vertikalbekanntmachung; Neff in BSK KG, Ziffer 6 Vert-BM N 2; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 119. 161 Zur englischen Klausel siehe hinten III.11. 162 CH: Neff in BSK KG, Ziffer 6 Vert-BM N 2; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 129. 163 Siehe hinten III.11. 164 Dietze/Janssen, Rn. 274. 165 Zum Ganzen siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Ziffer Rn. 195 ff. 166 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Ziffer Rn. 195 ff.; ob OEMKlauseln jedoch mit einer Beschränkung des Ersatzteilhandels gleichzusetzen sind (BSK KG-Neff, Ziffer 12 Vert-BM N 20), ist fraglich. 155 156 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Ersatzteilhandel: Es darf einem Lieferanten von Ersatzteilen nicht untersagt werden, diese an Endverbraucher, Reparaturbetriebe und andere Dienstleister zu liefern.167 Einschränkung des Komponentenhandels: Bei Komponenten, die zur Weiterverarbeitung geliefert werden (insb. bei sog. OEM-Verträgen), ist es zulässig, den Weiterverkauf dieser Komponenten an Konkurrenten des Herstellers zu verbieten.168 Verbot von Unterhändlern: Das an den Händler gerichtete Verbot, Unterhändler einzusetzen, schränkt dessen Abnehmerkreis ein und gilt deshalb im europäischen Kartellrecht als unzulässige Kundenkreisbeschränkung.169 Sprunglieferungsverbot: Die einem Grossisten auferlegte Verpflichtung, nicht direkt an Endverbraucher zu liefern, ist zulässig.170 Wettbewerbsverbot: siehe hinten III.10. Meistbegünstigungsklausel: Das Versprechen des Lieferanten an den Abnehmer, anderen Abnehmern keine günstigeren Konditionen einzuräumen, ist zulässig.171 2. Franchiseverträge Mit einem Franchisevertrag überlässt der Franchisegeber dem Franchisenehmer eine Geschäftsbezeichnung oder eine Marke, ein Organisations- und Marketingkonzept sowie Geschäftsmethoden und Know-how zur Herstellung und zum Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen.172 Franchiseverträge werden im schweizerischen und im europäischen Kartellrecht nach den Bestimmungen über den vertikalen Vertrieb geprüft.173 Allerdings sind in Franchiseverträgen weitergehende Einschränkungen des Wettbewerbsverhaltens möglich als in gewöhnlichen Vertriebsverträgen. Mit dem Franchising begriffsnotwendig verbundene Klauseln sind zulässig. Dies gilt insbesondere für Anweisungen zur Ausstattung des Geschäfts, für Bezugspflichten, welche durch eine Qualitätssicherung begründet sind, und für Konkurrenzverbote.174 Vertragliche Abreden, die darüber hinausgehen wie z. B. die Aufteilung von 167 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. e Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4 lit. e Vertikal-GVO. 168 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b iv) Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4 lit. b iv) Vertikal-GVO sowie Ellger in Immenga/Mestmäcker, VO (EU) 330/2010 Art. 4, Rn. 82 ff. 169 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 191. 170 CH: Ziffer 12 Abs. 2 lit. b ii) Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 4 lit. b ii) Vertikal-GVO. 171 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 185. 172 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 103; Zäch, Rz. 72. 173 CH: Art. 5 KG, grundlegend Vogel; EU: Art. 101 und die Vertikal-GVO. 174 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 106. 11 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Märkten, sind jedoch auch in Franchiseverträgen unzulässig.175 Auch eine Preisbindung lässt sich nicht kartellrechtskonform durchsetzen,176 selbst wenn eine einheitliche Preispolitik für ein Franchisingsystem von Bedeutung ist und sich in der Praxis beobachten lässt.177 Die Empfehlung von Richtpreisen ist hingegen möglich.178 3. Lizenzverträge Mit einem Lizenzvertrag wird eine als Patent oder als Know-how geschützte Technologie gegen Bezahlung einer Lizenzgebühr zum Zweck der Weiterverwendung und insbesondere der Produktion an den Lizenznehmer lizenziert. Lizenzverträge werden von den Wettbewerbsbehörden grundsätzlich als wettbewerbsfördernd betrachtet, weil sie die Innovation und die Verbreitung von Technologien fördern und Effizienzgewinne ermöglichen.179 Auf europäischer Ebene ist im Bereich der Lizenzverträge die TT-GVO zu beachten. Sie gilt für Patent- und Know-how-Lizenzen sowie für Urheberrechtslizenzen im Bereich der Software,180 nicht jedoch für Markenlizenzen und allgemeine Urheberrechtslizenzen.181 Im Vergleich zur Vertikal-GVO lässt die TT-GVO mehr zu. So ist es insbesondere auch möglich, den passiven Verkauf zu untersagen. Im schweizerischen Kartellrecht sind Lizenzverträge mangels Fallrecht und Verlautbarungen der Weko einer allgemeinen Beurteilung nach Art. 5 KG zu unterziehen, wobei die TT-GVO rechtsvergleichend beigezogen werden kann.182 Im Bereich der Lizenzverträge besteht die Besonderheit, dass Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben, nicht unter das Kartellrecht fallen.183 Es besteht allerdings die Gefahr, dass der Lizenzgeber vom Lizenznehmer unter Berufung auf sein geistiges Eigentum Wettbewerbsbeschränkungen verlangt, die nicht mit der Ausübung berechtigter immaterialgüterrechtlicher Positionen zu rechtfertigen sind. Illustrativ ist der Entscheid des EuGH in Sachen Windsurfing International (WSI), bei dem es um einen kartellrechtswidrigen Lizenzvertrag über ein patentrechtlich geschütztes Rigg (Mast und Segel) Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 107; Vogel, Rz. 721 ff. Vogel, Rz. 585 ff. Vogel, Rz. 203 ff.; Zäch, Rz. 465. 178 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 106. 179 TT-Leitlinien, Rn. 17. 180 Art. 1 Abs. 1 lit. b TT-GVO. 181 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 24. 182 Neff in BSK KG, Vert-BM Ziff 8 N 8; grundlegend Hilty. 183 CH: Art. 3 Abs. 2 KG; EU: Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 15 ff. 175 176 177 12 recht 2014 Heft 1 für Windsurfer ging.184 Mit diesem wurden die Lizenznehmer verpflichtet, die nicht patentrechtlich geschützten Bretter durch WSI genehmigen zu lassen. Zudem mussten sie die Lizenzgebühren auf der Basis des Gesamtwertes der Windsurfer (also inklusive der Bretter) abrechnen. Weiter durften sie die von ihnen in Lizenz produzierten Riggs nicht als Komponenten (d. h. ohne die Bretter) anbieten, die Produktion musste in Deutschland erfolgen, und auf dem Brett musste der Vermerk «lizenziert durch WSI» angebracht werden. Und schliesslich mussten die Lizenznehmer die Wortmarken von WSI anerkennen und sich verpflichten, die lizenzierten Patente nicht anzugreifen. Alle diese Bedingungen waren nicht durch die Ausübung der Immaterialgüterrechte am patentgeschützten Rigg gerechtfertigt und damit unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen. Insbesondere folgende Abreden in Lizenzverträgen sind kartellrechtlich relevant: Preisbindung: Jede direkte und indirekte Preisbindung in Lizenzverträgen ist unzulässig.185 In Lizenzverträgen zwischen Wettbewerbern sind sogar Preisempfehlungen und die Festsetzung von Höchstpreisen untersagt.186 Auch Preisüberwachungssysteme können indirekt eine Preisbindung bewirken.187 Im Übrigen können die Parteien die Festsetzung der Lizenzgebühren frei regeln.188 Möglich sind Pauschalzahlungen oder absatzabhängige Lizenzgebühren. Letztere können in Form von Pauschalen pro verkauftes Produkt oder als Prozentsatz des Verkaufserlöses ausgestaltet werden.189 Allerdings ist in jedem Fall zu prüfen, ob nicht indirekt eine unzulässige Preisabrede bewirkt wird. Insbesondere die Berechnung der Lizenzgebühren anhand der erzielten Verkaufserlöse (Running Royalties) wird im europäischen Kartellrecht von der Kommission als kritisch beurteilt, jedenfalls was Lizenzverträge zwischen Wettbewerbern betrifft.190 Exklusivlizenz: Damit verpflichtet sich der Lizenzgeber, im bezeichneten Bereich keine Lizenzen an Dritte zu erteilen und auf die Eigenproduktion zu verzichten.191 Zwischen Wettbewerbern stellen wechselseitige Exklusivlizenzen eine unzulässige Marktaufteilung dar.192 Im Übrigen sind Exklusiv184 EuGH, Rs. 193/83 (Windsurfing International), Slg. 1986 643 ff. in Sachen Windsurfing International. 185 CH: Art. 5 Abs. 3 KG; EU: Art. 4 Abs. 1 lit. a (Wettbewerber) und Art. 4 Abs. 2 lit. a (Nichtwettbewerber) TT-GVO. 186 TT-Leitlinien, Rn. 79 und Art. 4 Abs. 2 lit. a TT-GVO e contrario. 187 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 50. 188 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 94 ff. 189 TT-Leitlinien, Rn. 156. 190 TT-Leitlinien, Rn. 80; kritisch dazu Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 51. 191 TT-Leitlinie, Rn. 162. 192 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 62. recht 2014 Heft 1 lizenzen im Rahmen der TT-GVO zulässig.193 Selbst wenn die Marktanteilsschwelle überschritten wird, besteht für Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern die Aussicht auf eine Einzelfreistellung.194 Zwischen Nichtwettbewerbern kann dem Lizenznehmer neben dem aktiven während der ersten zwei Jahre auch der passive Verkauf untersagt werden.195 Alleinlizenz: Im Unterschied zur Exklusivlizenz behält sich der Lizenzgeber bei der Alleinlizenz die Eigenproduktion vor.196 Alleinlizenzen sind kartellrechtlich weniger problematisch als Exklusivlizenzen, da sie die Handlungsfähigkeit des Lizenzgebers nicht beeinträchtigen.197 Outputbeschränkung: Darunter wird die Festsetzung der unter der Lizenz zu produzierenden Stückzahlen verstanden.198 In Lizenzverträgen zwischen Nichtwettbewerbern sind Outputbeschränkungen im Anwendungsbereich der TT-GVO zulässig.199 Ebenfalls zulässig ist eine Outputbeschränkung zulasten des Lizenznehmers in einem Lizenzvertrag zwischen Wettbewerbern.200 Hingegen sind Outputbeschränkungen zwischen Wettbewerbern, die neben dem Lizenznehmer auch den Lizenzgeber binden, unzulässig201, denn sie sind mit einem Mengenkartell gleichzusetzen.202 Field-of-use-Klausel: Damit wird dem Lizenznehmer die Beschränkung auferlegt, die lizenzierte Technologie nur in den definierten Anwendungsbereichen oder Produktenmärkten zu nutzen.203 Die Klausel ist keine unzulässige Marktaufteilung, wenn die Technologie die Herstellung differenzierbarer Produkte ermöglicht.204 Die Differenzierbarkeit muss sich dabei anhand objektiver Kriterien nachvollziehen lassen (z. B. 4-Zylinder- anstatt 6-Zylinder-Motoren).205 Field-of-use-Klauseln sind auch zwischen Wettbewerbern grundsätzlich zulässig206, zwischen Nichtwettbewerbern möglicherweise sogar oberhalb der Marktanteilsschwelle der TT-GVO.207 193 Für das europäische Kartellrecht siehe Art. 4 Abs. 1 lit. c TTGVO (für Wettbewerber) und Art. 4 Abs. 2 lit. b TT-GVO (für Nichtwettbewerber) sowie Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 61 ff. 194 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel Rn. 64. 195 Art. 4 Abs. 2 lit. b ii) TT-GVO. 196 TT-Leitlinien, Rn. 162. 197 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 66 f. 198 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 54. 199 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 60. 200 Art. 4 Abs. 1 lit. b TT-GVO. 201 Art. 4 Abs. 1 lit. b TT-GVO. 202 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kernbeschränkungen, Rn. 16; Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 55. 203 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 68. 204 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kernbeschränkungen, Rn. 31. 205 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 69. 206 Art. 4 Abs. 1 lit. c i) TT-GVO. 207 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 72. Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis F&E-Beschränkung: Beschränkungen der eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit sind sowohl zwischen Wettbewerbern als auch zwischen Nichtwettbewerbern unzulässig, es sei denn, sie seien aus Gründen des Know-how-Schutzes zwingend erforderlich.208 Rücklizenz an Verbesserungen: Die Verpflichtung des Lizenznehmers, dem Lizenzgeber eine Exklusivlizenz an von ihm selber entwickelten, abtrennbaren Verbesserungen der Technologie einzuräumen oder die Rechte daran auf den Lizenzgeber zu übertragen, sind von der TT-GVO nicht freigestellt (graue Klausel).209 Hingegen kann vom Lizenznehmer die Einräumung einer nicht exklusiven Rücklizenz verlangt werden.210 Nichtangriffsabrede: Ebenfalls als nicht freigestellte, graue Klausel gilt die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Gültigkeit der Immaterialgüterrechte des Lizenzgebers nicht anzugreifen.211 Hingegen kann dem Lizenzgeber für diesen Fall ein Kündigungsrecht eingeräumt werden.212 Nichtangriffsklauseln bezüglich Know-how sind hingegen möglich.213 Qualitätsvorschriften und Bezugspflicht: Qualitätsvorschriften des Lizenzgebers und die damit verbundene Verpflichtung des Lizenznehmers zum Bezug von Komponenten und Rohstoffen sind nur dann zulässig, wenn sie erforderlich sind, um einen bestimmten Mindeststandard abzusichern.214 Trifft diese Voraussetzung nicht zu, so bestimmt sich die Zulässigkeit einer Bezugspflicht nach den für Vertriebsverträge geltenden Regeln.215 Wettbewerbsverbot: siehe dazu hinten III.10. Meistbegünstigungsklausel: Die Zusage des Lizenzgebers, dem Lizenznehmer immer die günstigsten Lizenzbedingungen zu gewähren, kann im Rahmen von Lizenzverträgen gültig vereinbart werden.216 Verbot der Unterlizenzierung: Das Verbot der Unterlizenzierung durch den Lizenznehmer kann zulässig vereinbart werden.217 Längstlaufklausel: Darunter wird die Abrede verstanden, dass sich die Lizenzdauer um die Schutzdauer des ergänzten Schutzrechts verlängert, wenn der Lizenzgeber dem Lizenznehmer Verbes- 208 Art. 4 Abs. 1 lit. d TT-GVO und Art. 5 Abs. 2 TT-GVO sowie Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 86 f. 209 Art. 5 Abs. 1 lit. a und b TT-GVO. 210 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 89. 211 Art. 5 Abs. 1 lit. c TT-GVO. 212 Art. 5 Abs. 1 lit. c TT-GVO. 213 TT-Leitlinie, Rn. 112. 214 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 99. 215 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 99. 216 Fuchs in Immenga/Mestmäcker, VO (EG) 772/2004 Art. 4 Kernbeschränkungen, Rn. 73; Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 101. 217 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 92; Klawitter in Wiedemann (Hrsg.) § 13, Rn. 287. 13 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis serungen hinsichtlich der Technologie mitteilt. Diese Abrede ist zulässig.218 Klausel betreffend Schutzrechtsvermerke: Der Lizenznehmer kann verpflichtet werden, Lizenzvermerke oder Marken auf der lizenzierten Technologie anzubringen, jedoch nur auf dieser und nicht auf Erzeugnissen, die vom Schutzrecht nicht erfasst sind.219 Geheimhaltungsklausel: Geheimhaltungsklauseln sind zulässig, denn sie sind für den Lizenzgeber unerlässlich, um seine Technologie zu schützen.220 Das gilt auch für vertragsüberdauernde Geheimhaltungspflichten.221 Nutzungsverbot nach Vertragsablauf: Das Verbot, die lizenzierte Technologie nach Vertragsablauf weiter zu nutzen, ist nur zulässig, wenn die Technologie zu diesem Zeitpunkt noch geschützt ist.222 4. 14 Technologiepools recht 2014 Heft 1 Werden im Pool hingegen Technologien zusammengefasst, die sich ergänzen und die für die Produktion wesentlich sind, so kann der Pool durch Senkung der Transaktionskosten eine wettbewerbsfördernde Wirkung haben.228 Weiter gilt, dass mit zunehmender Marktmacht auch die Gefahr einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung ansteigt. Pools mit grosser Marktmacht müssen zudem offen sein und die Gleichbehandlung gewährleisten und sie dürfen fremde Technologien nicht übermässig abschotten.229 Mit Technologiepools nicht vereinbar sind Exklusivitätsklauseln, mit welchen sich die Mitglieder verpflichten, Produkte nur innerhalb des Pools weiterzuentwickeln und ausserhalb des Pools keine Lizenzen zu erteilen.230 Ebenso darf ein Pool keine ungültigen Patente schützen.231 5. Zuliefer und Subunternehmerverträge In einem Technologiepool bündeln Lizenzgeber ihre Technologien zu einem Technologiepaket zwecks Lizenzierung an die Poolmitglieder und an Dritte.223 Kartellrechtlich sind einerseits die Zulässigkeit der Poolgründung an sich sowie andererseits der Inhalt der Lizenzverträge betreffend Weiterlizenzierung des Technologiepakets zu prüfen. Für das europäische Kartellrecht hat die Kommission in den TT-Leitlinien Richtlinien zur Beurteilung der Zulässigkeit von Technologiepools erlassen. Die Gründung von Technologiepools fällt nicht in den Anwendungsbereich der TT-GVO und muss im Einzelfall geprüft werden, die Weiterlizenzierung hingegen schon.224 Im schweizerischen Kartellrecht erfolgt die Prüfung nach Art. 5 KG, wobei dies zu vergleichbaren Ergebnissen wie im europäischen Kartellrecht führen sollte.225 Technologiepools haben eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung und sind unzulässig, wenn sie zu einem Preiskartell oder zu einer Behinderung des Wettbewerbs, insbesondere des Innovationswettbewerbs, führen.226 Diese Gefahr ist grösser, wenn am Pool Technologien beteiligt sind, die unter sich substituierbar oder für die Produktion nicht relevant sind. Solche Pools werden von der Kommission als unzulässig beurteilt.227 Mit einem Zuliefervertrag beauftragt der Auftraggeber den Zulieferer, nach seinen Weisungen Waren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen.232 Beim Subunternehmervertrag handelt der Subunternehmer ebenfalls im Interesse des Auftraggebers. Er tritt jedoch im Gegensatz zum Zulieferer in direkten Kontakt mit dem Kunden des Auftraggebers. Zuliefer- und Subunternehmerverträge regeln die Beschaffung und nicht den Vertrieb. Es geht um die Herstellung optimaler Produktionsbedingungen, d. h. um die Realisierung von Effizienzgewinnen233 und nicht um die Strukturierung von Absatzkanälen. Zuliefer- und Subunternehmerverträge sind kartellrechtlich deshalb weniger problematisch als Vertriebsverträge. Sie werden im schweizerischen Kartellrecht nach den allgemeinen Regeln von Art. 5 KG geprüft. Im europäischen Kartellrecht ist die Zulieferbekanntmachung zu beachten.234 Insbesondere folgende Abreden sind in Zuliefer- und Subunternehmerverträgen235 kartellrechtlich relevant: Know-how-Schutz: Dabei geht es um Bestimmungen, wonach die vom Auftraggeber stammenden Kenntnisse und Betriebsmittel (Know-how, Pläne etc.) nur im Interesse des Auftraggebers verwendet werden dürfen. Solche Klauseln sind zu- 218 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 103; Klawitter in Wiedemann (Hrsg.) § 13, Rn. 290. 219 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 98. 220 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 93. 221 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 93. 222 TT-Leitlinien, Rn. 156. 223 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 112; TT-Leitlinien, 210. 224 TT-Leitlinien, 212. 225 Heinemann, 42. 226 TT-Leitlinien, 213. 227 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 114. TT-Leitlinien, 215 ff. TT-Leitlinien, 224. TT-Leitlinien, 227. 231 TT-Leitlinien, 229. 232 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1. HS N 51; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110. 233 Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1 HS N 61. 234 Bekanntmachung der Kommission vom 18. Dezember 1978 über die Beurteilung von Zulieferverträgen, Abl. 1979 C 1/2. 235 Nachfolgend gemeinsam Zulieferverträge. 228 229 230 recht 2014 Heft 1 lässig, ebenso wie Vertraulichkeitsklauseln und Verwertungsverbote zulasten des Zulieferers.236 Technische Verbesserungen: Die Verpflichtung des Zulieferers, technische Verbesserungen dem Auftraggeber zur Verfügung zu stellen, ist zulässig.237 Hingegen darf dem Zulieferer nicht untersagt werden, die Resultate der eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu verwerten, sofern diese Resultate selbständig verwertbare Ergebnisse darstellen.238 Exklusivität: Ein Zulieferer kann sich auch verpflichten, nur einen einzigen Auftraggeber zu beliefern. Im europäischen Kartellrecht ist eine solche Alleinbelieferungsverpflichtung durch die Vertikal-GVO freigestellt,239 wenn weder der Zulieferer noch der Auftraggeber mehr als 30% Marktanteile halten.240 Wettbewerbsverbote: siehe dazu hinten III.10. 6. Arbeitsgemeinschaften In einer Arbeitsgemeinschaft (auch Konsortium genannt) schliessen sich mehrere Unternehmen projektbezogen zusammen, um ein bestimmtes Vorhaben gemeinsam durchzuführen.241 Handelt es sich dabei um Unternehmen, die auf unterschiedlichen sachlichen und räumlichen Märkten tätig 236 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1. HS N 70; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110 f. 237 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 110 f. 238 CH: Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1. HS N 70; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 111. 239 Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 155 ff. 240 Da sich mit der Belieferungspflicht der Lieferant und nicht der Abnehmer verpflichtet, gelangen die Einschränkungen der Vertikal-GVO bezüglich Wettbewerbsverbote nicht zur Anwendung (siehe dazu hinten III.10). 241 Böni/Wassmer, Rz. 5. Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis sind, fehlt es von vornherein an einer Wettbewerbsbeschränkung.242 Handelt es sich bei den Konsortialpartnern um tatsächliche oder potenzielle Konkurrenten, so ist zu prüfen, ob der Zusammenschluss eine unzulässige Marktabsprache darstellt. Dies ist nicht der Fall, wenn die beteiligten Unternehmen erst durch die Kooperation überhaupt in der Lage sind, das Projekt durchzuführen.243 Dann führt die Arbeitsgemeinschaft nicht zu einer Bündelung von Angeboten, sondern zu einem zusätzlichen Angebot, was kartellrechtlich positiv zu bewerten ist. Ob die Konsortialpartner für sich allein marktfähig sind, wird anhand objektiver Kriterien geprüft wie z. B. der technischen Kompetenz oder des finanziellen und personellen Aufwands.244 Die Prüfung erfolgt immer in Bezug auf ein konkretes Projekt. Es kann also sein, dass Konkurrenten lediglich das konkrete Projekt nicht allein durchführen können, sonst aber grundsätzlich als Konkurrenten am Markt teilnehmen.245 Bei Arbeitsgemeinschaften besteht die Gefahr, dass sie als Plattformen für Preisabsprachen oder den Austausch vertraulicher Informationen dienen.246 Fortsetzung folgt in Heft 2/14. Dazu und zum Folgenden siehe Lübbig in Wiedemann, Rn. 228. Dazu sowie zum Folgenden siehe CH: Böni/Wassmer, Rz. 7; EU: Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 30; Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 85. 244 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 88. 245 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 87. 246 Weber/Volz, Rz. 2.132; zu den Möglichkeiten der Preisabsprache siehe insbesondere Böni/Wassmer. 242 243 15 recht 2/14 www.recht.recht.ch Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis 32. Jahrgang Inhalt Abhandlungen 49 Vito Roberto/Marisa Walker AGB-Kontrolle nach dem revidierten Art. 8 UWG 67 Urs Egli Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis (2. Teil) 76 René Wiederkehr Die Beschwerdebefugnis des Konkurrenten Eine Übersicht über die neuere Rechtsprechung und Doktrin zu Art. 48 Abs. 1 VwVG und Art. 89 Abs. 1 BGG 92 Marcel Brun Gefahr der Verpolizeilichung des Vorverfahrens Orientierung 100 Stämpfli Verlag Alain Griffel «Vom Wert einer guten Gesetzgebung» Impressum Schriftleitung: lic. iur. Thomas Schneider Stämpfli Verlag AG, Wölflistrasse 1 Postfach 5662, CH-3001 Bern Tel. 031 300 62 15, Fax 031 300 66 88 E-Mail: [email protected] www.recht.recht.ch Adressänderungen und Inserataufträge sind ausschliesslich an den Stämpfli Verlag AG, Postfach 5662, 3001 Bern, zu richten. Die Aufnahme von Beiträgen erfolgt unter der Bedingung, dass das ausschliessliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung an den Stämpfli Verlag AG übergeht. Der Verlag behält sich alle Rechte am Inhalt der Zeitschrift «recht» vor. Insbesondere die Vervielfältigung auf dem Weg der Fotokopie, der Mikrokopie, der Übernahme auf elektronische Datenträger und andere Verwertungen jedes Teils dieser Zeitschrift bedürfen der Zustimmung des Verlags. Die Zeitschrift erscheint sechsmal jährlich, im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Abonnementspreise 2014 AboPlus (Zeitschrift + Onlinezugang) Schweiz: Normalpreis CHF 175.50, für immatrikulierte Studenten CHF 143.– Ausland: CHF 185.– Onlineabo: CHF 137.– Einzelheft: CHF 22.– Die Preise verstehen sich inkl. Versandkosten und 2,5% resp. für Onlineangebote 8% MWSt. Abonnemente: Tel. 031 300 63 43, Fax 031 300 63 90, [email protected] Inserate: Tel. 031 300 63 82, Fax: 031 300 63 90, [email protected] © Stämpfli Verlag AG Bern 2013 Gesamtherstellung: Stämpfli Publikationen AG, Bern Printed in Switzerland, ISSN 0253-9810 Herausgeber und Redaktion Privatrecht Strafrecht WOLFGANG ERNST Professor für Römisches Recht und Privatrecht, Universität Zürich FELIX BOMMER Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und Internationales Strafrecht, Universität Luzern ROLAND FANKHAUSER Professor für Zivilrecht und Zivilprozessrecht, Universität Basel PETER JUNG Professor für Privatrecht, Universität Basel SABINE GLESS Ordinaria für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität Basel Öffentliches Recht CHRISTOPH MÜLLER Professor für Vertragsrecht, Privatrechtsvergleichung und Europäisches Privatrecht, Universität Neuenburg MARTINA CARONI Ordinaria für öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, Universität Luzern ALEXANDRA RUMO-JUNGO Professorin für Zivilrecht, Universität Freiburg BERNHARD RÜTSCHE Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Universität Luzern Wirtschaftsrecht DANIELA THURNHERR Professorin für Öffentliches Recht, insb. Verwaltungsrecht und öffentliches Prozessrecht, Universität Basel PETER JUNG Professor für Privatrecht, Universität Basel PETER V. KUNZ Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung, Universität Bern ROGER ZÄCH Professor em. für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht, Universität Zürich recht 2014 Heft 2 Urs Egli Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis (2. Teil)* Das Kartellrecht schränkt die Vertragsfreiheit ein. Das ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. Dieser Aufsatz vermittelt gegliedert nach Vertragstypen eine Übersicht über die wichtigsten problematischen Klauseln und gibt eine Anleitung, wie sie nach schweizerischem und europäischem Kartellrecht zu prüfen sind. Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Kartellrechtliche Grundlagen 1. Extraterritoriale Geltung des Kartellrechts 2. Schweizerisches und europäisches Kartellrecht 3. Rechtsquellen 4. Adressaten des Kartellrechts 5. Die drei Säulen des Kartellrechts 6. Das Kartellverbot 7. Wettbewerbsabsprachen in Verträgen 8. Prüfschema 9. Marktanteile 10. Anwendung des Kartellrechts auf KMU 11. Auslegung und Ermessen 12. Vorabklärungen bei den Kartellbehörden 13. Verwaltungs- und Strafsanktionen 14. Zivilrechtliche Nichtigkeit 15. Zivilrechtliche Klagen III. Beurteilung typischer Klauseln 1. Vertriebsverträge 2. Franchiseverträge 3. Lizenzverträge 4. Technologiepools 5. Zuliefer- und Subunternehmerverträge 6. Arbeitsgemeinschaften 7. Kooperationsverträge 8. Unternehmenskaufverträge 9. Joint-Venture-Verträge 10. Wettbewerbsverbote im Besonderen 11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende Unternehmen IV. Empfehlungen Literaturverzeichnis 7. Kooperationsverträge 7.1 Vorbemerkungen «Kooperationsvertrag» ist ein unscharfer Begriff. Er wird in der Vertragspraxis für die unterschiedlichsten Formen der Zusammenarbeit verwendet. Was der Vertragszweck ist, erschliesst sich erst bei einer Analyse der vertraglichen Leistungen. So kommt es vor, dass selbst Vertriebs- oder ZulieDr. iur. Urs Egli, Rechtsanwalt und Gründungspartner der epartners Rechtsanwälte AG, Zürich * Der 1. Teil ist in recht Heft 1/14, Seite 1–15 erschienen. ferverträge als Kooperationsverträge bezeichnet werden. Kooperationsverträge haben oft einen gesellschaftsrechtlichen Aspekt. Immer handelt es sich um Dauerschuldverhältnisse. Kooperationsverträge sind sowohl in horizontalen wie auch in vertikalen Verhältnissen anzutreffen. Letzteres ist z. B. der Fall, wenn ein Auftraggeber und sein Zulieferer im Rahmen einer F&E-Kooperation die Entwicklung ihrer jeweiligen Produkte aufeinander abstimmen. Im europäischen Kartellrecht sind für horizontale Kooperationen einerseits die Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit zu beachten. Andererseits sind im Bereich der Produktion die Spezialisierungs-GVO und im Bereich von Forschung und Entwicklung die F&E-GVO einschlägig.247 Für F&E-Kooperationen im vertikalen Verhältnis kann aber auch die Vertikal-GVO zur Anwendung gelangen. Das ist dann der Fall, wenn der Auftraggeber die Entwicklungsleistung bezahlt und lediglich bei der Spezifikation der Ergebnisse mitwirkt. Welche GVO Anwendung findet, ist von Bedeutung, da unter der Vertikal-GVO dem Auftragsentwickler strengere Wettbewerbsbeschränkungen auferlegt werden können als unter der F&E-GVO. Insbesondere ist ein Konkurrenzverbot zulasten eines Auftragsentwicklers unter der Vertikal-GVO zeitlich unbegrenzt zulässig.248 Im schweizerischen Kartellrecht werden Kooperationsverträge nach Art. 5 KG beurteilt. Von der Normsetzungskompetenz gemäss Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG wurde noch kein Gebrauch gemacht. Kartellrechtlich wenig problematisch sind F&EKooperationen im Bereich der Grundlagenforschung, die Zusammenarbeit von Auftraggebern mit spezialisierten Forschungsinstituten, reine Auftragsentwicklungen sowie F&E-Vereinbarungen ohne gemeinsame Verwertung.249 Besonders strenge Regeln gelten demgegenüber für Kooperationen zwischen Wettbewerbern. Insgesamt gilt, dass es bei Kooperationsverträgen stärker auf die 247 248 249 Zum Ganzen siehe Brandi-Dohrn. Brandi-Dohrn, 1353; siehe auch hinten III.10. Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 156. 67 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Beurteilung des Einzelfalls ankommt. Entsprechend ist die Rechtsunsicherheit grösser. Bei einer umfangreichen und langdauernden Kooperation kann die Gründung eines Joint Ventures eine Alternative zum Abschluss eines Kooperationsvertrages sein. Sind grosse Unternehmen beteiligt, so ist ein Fusionskontrollverfahren durchzuführen. Dieses hat den Vorteil, dass die Zulässigkeit der Kooperation durch die Kartellbehörden vorgängig geprüft wird.250 7.2 F&E-Kooperationen Insbesondere die folgenden Klauseln sind kartellrechtlich relevant:251 Zugang zu den F&E-Ergebnissen: Die F&E-GVO verlangt, dass alle beteiligten Unternehmen den gleichen Zugang zu den Ergebnissen haben.252 Einschränkung der F&E-Tätigkeit: Die Parteien dürfen sich bei ihrer F&E-Tätigkeit nur im sachlichen Anwendungsbereich der Forschungskooperation beschränken.253 Verwendungsbeschränkungen: Die Verwertung der Ergebnisse muss nach Ablauf der Vereinbarung frei möglich sein. Dies geht so weit, dass sich die Parteien Zugang zu vorbestehendem Knowhow gewähren müssen, sofern dieses für die Verwertung erforderlich ist.254 Hochschulen oder andere Unternehmen, die F&E-Dienstleistungen anbieten, können sich jedoch verpflichten, die Ergebnisse nur für weitere Forschung zu verwenden.255 Produktionsbeschränkung: Die Beschränkung der Produktion ist nicht zulässig.256 Ausgenommen sind zulässige Absprachen zur gemeinsamen Verwertung. Absprachen zur gemeinsamen Verwertung: Unter der Verwertung werden die Herstellung und der Vertrieb der Produkte, aber auch die Lizenzierung der entwickelten Technologien verstanden. Zur Kooperation können die Parteien entweder eine gemeinsame Organisation mit der Verwertung beauftragen oder aber, was weitaus häufiger der Fall ist, sich bestimmte Gebiete, Kunden oder Anwendungsbereiche auf dem Weg der Spezialisierung selber vorbehalten. Letzteres kann auch dadurch geschehen, dass nur eine beteiligte Partei die Vertragsprodukte herstellt und vertreibt und die anderen Parteien gänzlich darauf verzichten.257 Siehe hinten III.9. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich hauptsächlich an der F&E-GVO. 252 Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO. 253 Art. 5 lit. a F&E-GVO. 254 Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO. 255 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 162. 256 Art. 5 lit. b F&E-GVO. 257 Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 160. 250 251 68 recht 2014 Heft 2 Preisabsprachen: Die Festsetzung von Preisen ist unzulässig.258 Verkaufsbeschränkungen: Aktive Verkaufsbeschränkungen sowie das Verbot der Unterlizenzierung sind zulässig, sofern Gebiete oder Kundenkreise einer Partei auf dem Weg der Spezialisierung zugewiesen sind.259 Dies gilt sogar für die Einschränkung des passiven Verkaufs.260 Field-of-use Klauseln sind zulässig.261 Wettbewerbsverbot: Haben die Parteien eine gemeinsame Verwertung vorgesehen, so sind Wettbewerbsverbote zulässig und die Parteien können sich verpflichten, während des Verwertungszeitraums keine Produkte zu verkaufen, welche die gemeinsam entwickelten Produkte konkurrenzieren.262 Nichtangriffsabrede: Nichtangriffsabreden im Bezug auf geistiges Eigentum sind grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht während der Entwicklungsphase und nur in Bezug auf Rechte, welche für die Kooperation von Bedeutung sind.263 Dauer der Kooperation: Nichtwettbewerber können sich hinsichtlich der F&E-Tätigkeit für die gesamte, zeitlich unbegrenzte Dauer der Kooperation vertraglich binden. Ist anschliessend eine gemeinsame Verwertung vorgesehen, so darf diese maximal sieben Jahre dauern, beginnend mit dem Datum des ersten Inverkehrbringens.264 Handelt es sich bei den Kooperationspartnern hingegen um Wettbewerber, so gilt dies nur, wenn ihr gemeinsamer Marktanteil 25% nicht übersteigt.265 7.3 Spezialisierungen Absprachen über die Produktion werden im Rahmen von Spezialisierungsvereinbarungen getroffen.266 Unternehmen können die Produktion zusammenlegen (gemeinsame Produktion), sie können einseitig oder gegenseitig auf die Produktion bestimmter Komponenten verzichten und diese Komponenten von der anderen Partei beziehen (Spezialisierung) und sie können Komponenten – z. B. bei Produktionsengpässen – bei der jeweils anderen Partei beziehen (Zuliefervereinbarungen zur Produktionsausweitung).267 258 Art. 6 lit. c F&E-GVO; im schweizerischen Kartellrecht soll eine Rechtfertigung einer Preisfestsetzung nicht von vornherein ausgeschlossen sein (Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1.HS N 19). 259 Art. 5 lit. e F&E-GVO. 260 Art. 5 lit. d F&E-GVO. 261 Art. 5 lit. b iii) F&E-GVO. 262 Art. 5 lit. b iv) F&E-GVO. 263 Art. 6 lit. a F&E-GVO. 264 Art. 4 Abs. 1 F&E-GVO. 265 Art. 4 Abs. 2 F&E-GVO. 266 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 426; Weber/Volz, Rz. 2.206. 267 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 30. recht 2014 Heft 2 Spezialisierungsvereinbarungen lassen sich oft aus ökonomischen Gründen rechtfertigen.268 Solche Vereinbarungen dürfen aber nicht zu einer Zunahme der Marktmacht der beteiligten Unternehmen führen.269 Zudem kommt es darauf an, wie gross der Kostenblock der ausgelagerten Produktionskosten im Vergleich zu den Gesamtkosten ist. Machen die Produktionskosten einen Grossteil der Gesamtkosten aus, so werden Marktverschliessungseffekte befürchtet. Für marktbeherrschende Unternehmen ist das Eingehen einer Spezialisierungsvereinbarung a priori ausgeschlossen.270 Gemäss der Spezialisierungs-GVO können Alleinbezugs- und Alleinbelieferungspflichten vorgesehen werden.271 Ebenfalls ist es in bestimmten Grenzen zulässig, dass die beteiligten Unternehmen die betroffenen Produkte gemeinsam vertreiben.272 Die Exklusivität der Zusammenarbeit darf jedoch nur das Eingehen weiterer Spezialisierungskooperationen ausschliessen. Die Belieferung der eigenen Kunden der beteiligten Unternehmen darf nicht beschränkt werden.273 Kernbeschränkungen wie die Festsetzung der Preise, die Beschränkung der Produktion sowie die Markt- und Kundenaufteilung sind auch in Spezialisierungsvereinbarungen grundsätzlich nicht zulässig.274 Innerhalb einer gemeinsamen Produktion dürfen die Parteien aber Preise und Produktionskapazitäten vereinbaren.275 7.4 Einkaufskooperationen Ob eine Koordination des Einkaufs den Wettbewerb beschränkt, hängt von der Nachfragemacht der Einkaufskooperation auf dem Beschaffungsmarkt ab.276 Im europäischen Kartellrecht werden Einkaufskooperationen als unproblematisch betrachtet, wenn ihr Marktanteil 15% nicht übersteigt.277 Weiter ist relevant, ob sich Unternehmen an der Einkaufskooperation beteiligen, die auf ihren eigenen Verkaufsmärkten marktmächtig sind.278 Auch eine Rolle spielt, wie hoch der Anteil der Kosten der eingekauften Komponenten an den Gesamtkosten ist. Ein hoher Kostenanteil führt zur 268 Krauskopf/Schaller in BSK KG, Art. 5 KG N 426, Weber/Volz, Rz. 2.208. 269 Dazu und zum Folgenden siehe Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 37. 270 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel 3, Rn. 54. 271 Art. 1 Abs. 1 Spezialisierungs-GVO. 272 Art. 2 Abs. 3 lit. b Spezialisierungs-GVO. 273 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 43. 274 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 160; Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 47 ff. 275 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 47 f. 276 Meinhardt/Hufschmid in BSK KG, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b KG 1. HS N 89 ff.; Weber/Volz, Rz. 2.188. 277 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 195. 278 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 61. Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Kostenangleichung auf den Verkaufsmärkten279 und fällt damit negativ ins Gewicht. Einkaufskooperationen können im europäischen Kartellrecht unter eine Legalausnahme fallen. Dies ist der Fall, wenn sich infolge niedrigerer Einkaufspreise oder Transport- und Logistikkosten Leistungsgewinne und Einsparungen realisieren lassen, die angemessen an die Marktgegenseite weitergegeben werden.280 Bisweilen auferlegen Einkaufskooperationen ihren Mitgliedern einen Bezugszwang. Dies ist nur dann zulässig, wenn der Bezugszwang wirtschaftlich notwendig ist, z. B. weil Investitionen in die Kooperation amortisiert werden müssen oder weil sich die beabsichtigten Grössenvorteile nur so realisieren lassen.281 Nicht zulässig sind Abreden, welche die an der Kooperation beteiligten Unternehmen in der Verwendung der eingekauften Komponenten sowie in der Preis- und Absatzpolitik beschränken.282 7.5 Verkaufskooperationen Eine Verkaufskooperation kann sich entweder auf sämtliche Vertriebsfunktionen oder nur auf Teile davon beziehen, beispielsweise nur auf die Logistik- oder Wartungsleistungen, den Kundendienst oder die Werbung.283 Verboten und nur in Ausnahmefällen freistellbar sind Verkaufskooperationen, bei denen die Verkaufspreise festgesetzt werden.284 Vereinbarungen über andere Vertriebsfunktionen ohne Festsetzung der Verkaufspreise sind im europäischen Kartellrecht nur dann kartellrechtlich problematisch, wenn die gemeinsamen Marktanteile 15% übersteigen.285 8. Unternehmenskaufverträge Bei Unternehmenskaufverträgen ist zu prüfen, ob ein Fusionskontrollverfahren durchzuführen ist. Ist dies der Fall, so muss ein Kartellrechtsspezialist beigezogen werden und der Vertrag ist von der Bedingung abhängig zu machen, dass die zuständigen Fusionskontrollbehörden den Zusammenschluss genehmigen. Weiter soll der Vertrag eine gegenseitige Beistandspflicht für das Fusionskontrollverfahren enthalten und regeln, wer gegenüber 279 Leitlinien über die Horizontale Zusammenarbeit, Rn. 214 und 222. 280 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 64. 281 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 65; Schroeder in Wiedemann (Hrsg.), § 8, Rn. 90 f. 282 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 65. 283 Leitlinien über die horizontale Zusammenarbeit, Rn. 225. 284 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 70 ff. 285 Gehring in Mäger (Hrsg.), 3. Kapitel, Rn. 75. 69 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis den Behörden für die Verfahrensführung zuständig ist (in der Regel der Erwerber). Die Fusionskontrolle knüpft an zwei Kriterien an. Zum einen muss ein Zusammenschlusstatbestand vorliegen. Zum anderen müssen die beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen erreichen. Als Unternehmenszusammenschluss gilt eine Fusion sowie jeder Vorgang, durch welchen die Kontrolle über ein bisher unabhängiges Unternehmen erworben wird.286 Ein Kontrollerwerb kann de jure und de facto erfolgen.287 Als Kontrollerwerb gilt deshalb nicht nur der Erwerb der Aktienmehrheit, sondern jede Transaktion, welche es dem Erwerber aufgrund der tatsächlichen Umstände ermöglicht, die wesentlichen strategischen Entscheidungen des Zielunternehmens zu beeinflussen.288 So kann auch eine Minderheitsbeteiligung verbunden mit einer besonderen Einflussnahme über einen Aktionärsbindungsvertrag oder eine finanzielle Abhängigkeit einen Kontrollerwerb darstellen.289 Auch der blosse Erwerb von Vermögen (Asset Deal) stellt einen Kontrollerwerb dar, wenn dadurch die Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines Unternehmens erworben wird.290 Die Umsatzschwellen sind im schweizerischen Kartellrecht erreicht, wenn die beteiligten Unternehmen entweder einen Umsatz von insgesamt CHF 2 Mrd. oder einen auf die Schweiz entfallenden Umsatz von CHF 500 Mio. erzielen, wobei kumulativ mindestens zwei der beteiligten Unternehmen in der Schweiz einen Umsatz von je mindestens CHF 100 Mio. erwirtschaften müssen.291 Wurde in einem Verfahren festgestellt, dass ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat, besteht die Meldepflicht für Übernahmen in diesem Markt oder in vor- oder nachgelagerten Märkten in jedem Fall.292 Im europäischen Kartellrecht liegen die Umsatzschwellen bei einem Gesamtumsatz von EUR 5 Mrd., wobei mindestens zwei der beteiligten Unternehmen in der Union einen Umsatz von je EUR 250 Mio. erzielen müssen.293 Bei internationalen Sachverhalten ist für jede beteiligte Rechtsordnung zu prüfen, ob die Aufgreifkriterien erfüllt sind. Es sind deshalb möglicherweise parallele Fusionskontrollverfahren recht 2014 durchzuführen.294 Gelangt das europäische Fusionskontrollverfahren zur Anwendung, so ersetzt es die Kontrollverfahren der Mitgliedstaaten.295 Vor Abschluss des Kontrollverfahrens besteht ein Vollzugsverbot und in Missachtung dieses Verbotes geschlossene Rechtsgeschäfte sind zivilrechtlich unwirksam.296 Andererseits müssen die beteiligten Unternehmen die Transaktion planen, was ein Minimum an Kooperation auch während des Kontrollverfahrens voraussetzt. Unter dem Schlagwort «Gun Jumping» wird diskutiert, welche Handlungen in dieser Phase noch zulässig sind und welche bereits vom Vollzugsverbot und vom Verbot des Informationsaustausches erfasst werden.297 9. Hoffet in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Rz. 10.84. Dietze/Jannsen, Rn. 676. 296 CH: Art. 34 KG; EU: Art. 7 Abs. 4 FKVO. 297 Weber/Volz, Rz. 2.953 ff. 298 Weber/Volz, Rz. 2.869. 299 Art. 1 der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (VKU). 300 Mäger in Mäger (Hrsg.), 9. Kapitel, Rn. 3. 301 Im europäischen Kartellrecht ist zudem noch zu prüfen, ob allenfalls eine mitgliedsstaatliche Fusionskontrolle Anwendung findet. 302 Mäger in Mäger (Hrsg.), 9. Kapitel, Rn. 8. 295 Art. 4 Abs. 3 KG. Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 30. Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 30. 289 Hoffet in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Rz. 10.14. 290 Für das europäische Kartellrecht: Art. 3 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (FKVO). 291 Art. 9 KG. 292 Art. 9 Abs. 4 KG. 293 Art. 1 Abs. 2 FKVO. 287 288 70 Joint-Venture-Verträge Ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) ist ein von mehreren Unternehmen gemeinsam kontrolliertes Unternehmen.298 Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens stellt einen kontrollpflichtigen Zusammenschluss dar, wenn das zu gründende Unternehmen als selbständiges Unternehmen gilt (Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen).299 Joint-Venture-Verträge sind aber auch unter dem Aspekt des Kartellverbots relevant, denn sie enthalten im Normalfall Abreden, welche das Wettbewerbsverhalten der Muttergesellschaften beschränken,300 wie z. B. exklusive Belieferungsoder Bezugspflichten und Wettbewerbsverbote. Kontrollpflichtig sind sowohl im schweizerischen wie auch im europäischen Kartellrecht nur Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen, welche zudem die Schwellenwerte erreichen. Alle anderen JointVenture-Verträge sind anhand der allgemeinen Regeln auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot zu prüfen.301 Im Vergleich dazu hat das Kontrollverfahren den Vorteil, dass die Vertragspartner eine Entscheidung der Kartellbehörden erwirken und damit Rechtssicherheit für ihre Investitionen erlangen können.302 294 286 Heft 2 recht 2014 10. Heft 2 Wettbewerbsverbote im Besonderen Ein Wettbewerbsverbot verbietet die Konkurrenzierung der Waren oder Dienstleistungen des Vertragspartners. In der schweizerischen Vertragspraxis werden Wettbewerbsverbote deshalb auch als Konkurrenzverbote bezeichnet. Sie sind insbesondere in Vertriebsverträgen, Lizenzverträgen, Franchiseverträgen, Zuliefer- und Subunternehmerverträgen, Kooperationsverträgen und in Gesellschafts- und Unternehmenskaufverträgen anzutreffen303 und kommen in der Praxis häufig vor. Ein Wettbewerbsverbot ist von einer Exklusivität abzugrenzen, wie sie z. B. bei exklusiven Bezugs- oder Belieferungspflichten anzutreffen ist.304 Exklusivität verlangt vom Vertragspartner ein aktives Verhalten, ein Wettbewerbsverbot hingegen nur eine Unterlassung. Eine Exklusivitätsverpflichtung umfasst jedoch implizit auch ein Wettbewerbsverbot, weshalb eine Bezugsverpflichtung im Umfang von mehr als 80% des Einkaufsbedarfs kartellrechtlich wie ein Wettbewerbsverbot behandelt wird.305 Wettbewerbsverbote unter Konkurrenten sind im Normalfall verboten. Sie stellen eine unzulässige horizontale Marktaufteilung dar.306 Für Wettbewerbsverbote in Vertriebs- und in Unternehmenskaufverträgen gibt es relativ klare Regeln. In allen anderen Fällen wird die Zulässigkeit eines Wettbewerbsverbots anhand einer Güterabwägung im Einzelfall geprüft. Wettbewerbsverbote in Vertriebsverträgen sind zwar zulässig, dürfen jedoch nicht für mehr als fünf Jahre und nicht auf unbestimmte Zeit vereinbart werden.307 Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind nur für maximal ein Jahr zulässig, wobei weitere Einschränkungen zu beachten sind.308 Das gilt jedoch nur für Wettbewerbsverbote, die der Abnehmer (d. h. der Händler) eingeht.309 Der Anbieter kann sich grundsätzlich ohne zeitliche Beschränkung einem Wettbewerbsverbot unterwerfen.310 Weitergehende Wettbewerbsverbote beim Vertrieb sind im Rahmen von Franchise- und Lizenzverträgen möglich. In Franchiseverträgen sind Wettbewerbsverbote während der Vertragsdauer ohne zeitliche Beschränkung zulässig.311 In LizenzBernhard, 2785. Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 131. 305 Siehe vorne III.1. 306 Bernhard, 2786. 307 CH: Ziffer 12 lit. f Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO. 308 CH: Ziffer 12 lit. g Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 3 Vertikal-GVO. 309 CH: Ziffer 6 der Vertikalbekanntmachung; EU: Art. 5 Abs. 1 lit. a und b Vertikal-GVO; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 132. 310 Auch für Konkurrenzverbote zulasten des Anbieters gelten jedoch die nachfolgend dargestellten Einschränkungen. 311 Siehe vorne III.2. 303 304 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis verträgen kann sich der Lizenznehmer verpflichten, keine fremden Technologien zu verwenden, die mit der lizenzierten Technologie konkurrieren.312 Das ist im europäischen Kartellrecht selbst oberhalb der Marktanteilsgrenzen der TT-GVO möglich.313 In Unternehmenskaufverträgen wird als Nebenabrede meistens ein Wettbewerbsverbot zulasten des Verkäufers vereinbart.314 Damit soll sichergestellt werden, dass der Verkäufer seiner Verpflichtung zur Übertragung des Unternehmens auch nachkommt und dies nicht durch eine Konkurrenzierung hintertreibt.315 Ein solches Wettbewerbsverbot gilt nicht als kartellrechtlich relevante Wettbewerbsabrede, sofern sich sein Zweck auf die Absicherung des Unternehmenskaufs beschränkt.316 Sachlich und räumlich ist das Wettbewerbsverbot auf den bisherigen Tätigkeitsbereich des Unternehmens zu begrenzen.317 Zeitlich darf es für drei Jahre vereinbart werden, sofern mit dem Unternehmen Goodwill und Know-how veräussert werden, jedoch nur für zwei Jahre, wenn lediglich Goodwill übertragen wird.318 Eine längere Dauer ist nur zulässig, wenn nachgewiesen wird, dass die Kunden dem Veräusserer länger als drei Jahre treu bleiben.319 Diese Regeln gelten auch für Abwerbeverbote und Vertraulichkeitsklauseln in Unternehmenskaufverträgen, da sie eine ähnliche Wirkung wie Wettbewerbsverbote haben.320 In den übrigen Fällen, insbesondere in Subunternehmer- und Kooperationsverträgen, sind Wettbewerbsverbote zulässig, wenn sie zur Erfüllung des Hauptzwecks erforderlich sind.321 Wettbewerbsverbote lassen sich einerseits mit dem Schutz des Know-how und andererseits mit dem Schutz der Kundenbeziehung rechtfertigen. Allgemein müssen Wettbewerbsverbote in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht erforderlich sein, um den vertraglichen Hauptzweck zu verwirklichen.322 In sachlicher Hinsicht darf sich das Wettbewerbsverbot nur auf das preisgegebene Knowhow beziehen. Ein Wettbewerbsverbot, das sich TT-Leitlinie, Rn. 196. Gehring in Mäger (Hrsg.), 5. Kapitel, Rn. 108. Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 90. 315 Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 272. 316 CH: Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 90; EU: Mäger in Mäger (Hrsg.), 8. Kapitel, Rn. 272. 317 CH: Borer/Kostka in BSK KG, Art. 32 N 91; Weber/Volz Rz. 2.974; EU: Bekanntmachung der Kommission über die Einschränkung des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind (2005/C 56/03), (zit. Bekanntmachung zu den Nebenabreden), Rn. 19. 318 CH: Weber/Volz, Rz. 2.975; EU: Bekanntmachung zu den Nebenabreden, Rn. 20. 319 Weber/Volz, Rz. 2.975. 320 Ruggli/Vischer, 301 f. 321 Zum Ganzen Bernhard, 2787 ff.; zur Zulässigkeit in Subunternehmerverträgen siehe Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113. 322 Bernhard, 2787 f.; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113. 312 313 314 71 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis auf alle Vertragsprodukte erstreckt – unabhängig davon, ob dafür vertragliches Know-how verwendet wird –, ist nach der deutschen Rechtsprechung unzulässig.323 Nachvertragliche Konkurrenzverbote sind besonders kritisch. Die deutschen Gerichte gehen unter Bezugnahme auf die Vertikal-GVO im Normalfall von einer maximal zulässigen Dauer von einem Jahr aus.324 So hat der BGH ein zweijähriges Konkurrenzverbot, welches ein Hersteller von Feuerschutztoren einem Monteur auferlegte, als ungültig beurteilt, weil es in diesem Umfang nicht erforderlich war.325 Geht es um Kundenschutz, so kann ein Wettbewerbsverbot nur für die Dauer vereinbart werden, für welche die Kundenbeziehung typischerweise Bestand hat.326 Geht es hingegen um den Schutz des Know-how, können Wettbewerbsverbote länger und unter Umständen sogar für eine unbegrenzte Dauer vereinbart werden.327 Auch bei der Beurteilung von Wettbewerbsverboten kommt es auf die Marktanteile an. Wettbewerbsverbote, die marktbeherrschende Unternehmen ihren Vertragspartnern auferlegen, werden nach einem strengeren Massstab geprüft und sind unter bestimmten Umständen sogar gänzlich unzulässig.328 Wettbewerbsverbote, an denen ausschliesslich Unternehmen mit geringer Marktmacht beteiligt sind, sind demgegenüber privilegiert. So unterliegen solche Wettbewerbsverbote keiner zeitlichen Begrenzung.329 Die kartellrechtlichen Vorschriften zu den Wettbewerbsverboten haben Auswirkungen auf die Regelung der Vertragsdauer. Enthalten Vertriebsverträge ein Wettbewerbsverbot zulasten des Händlers, so dürfen sie nur für eine maximale Dauer von fünf Jahren und insbesondere nicht auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Solche Verträge müssen zwischen den Vertragsparteien jeweils vor Ablauf von fünf Jahren neu verhandelt werden.330 11. Unzulässige Klauseln für marktbeherrschende Unternehmen recht 2014 beherrschender Unternehmen zusätzlich ein. Als marktbeherrschend gelten Unternehmen, wenn sie in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten.331 Bei der Beurteilung des Kriteriums der Marktbeherrschung spielen die Marktanteile eine wichtige Rolle. So wird bei Marktanteilen von mehr als 50% eine marktbeherrschende Stellung vermutet, wenn keine besonderen Umstände vorliegen.332 Bei einem tieferen Marktanteil müssen noch weitere Faktoren hinzutreten wie z. B. Marktzutrittsschranken für Dritte, technischer Vorsprung oder Wirtschafts- und Finanzmacht.333 Solche Konstellationen werden auch als relative Marktmacht (in vertikalen Verhältnissen) respektive überragende Marktstellung (in horizontalen Verhältnissen) bezeichnet.334 Bei Marktanteilen von unter 30% kann auch bei solchen Konstellationen nicht mehr von einer Marktbeherrschung ausgegangen werden.335 Einschränkungen für marktbeherrschende Unternehmen ergeben sich insbesondere in folgenden Bereichen: Unangemessene Preise oder Geschäftsbedingungen: 336 Marktbeherrschende Unternehmen müssen sich eine kartellrechtlich begründete Kontrolle ihrer Preise und Geschäftsbedingungen gefallen lassen. Die Missbräuchlichkeit der Preise ergibt sich aus dem Vergleich des Verkaufspreises mit den tatsächlichen Produktionskosten.337 Missbräuchlich sind beispielsweise338 die Erzielung einer überhöhten Gewinnspanne, das Verlangen von Lizenzgebühren für nicht bestehende Schutzrechte, die Verwendung unbilliger Geschäftsbedingungen, die Verrechnung überhöhter Komponentenpreise an andere Hersteller (Margin Squeeze)339 sowie die Auferlegung ungerechtfertigter Bedingungen für die Weiterverwendung (z. B. Ausfuhrverbote oder Beschränkungen des Weiterverkaufs). Predatory Pricing: 340 Kampfpreisunterbietungen zielen darauf ab, weniger leistungsstarke Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.341 Eine unzu- CH: Art. 4 KG; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 8. CH: Weber/Volz, Rz. 2.549; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 13 sowie der Leading Case des EuGH, Rs 85/76 (Hoffmann-La Roche), Slg. 1979, 461, Rn. 41. 333 CH: Weber/Volz, Rz. 2.550 mit einer Darstellung der Praxis der Weko; Zäch, Rz. 795 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 16 ff. 334 Bosch/Dallmann, 129 ff; Heizmann, 172 ff. 335 Weber/Volz, Rz. 2.551. 336 CH: Art. 7 Abs. 2 lit. c KG; EU: Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV. 337 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 61. 338 Zu den folgenden Fallgruppen siehe Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 60 ff. und Rn. 79 ff.; im schweizerischen Kartellrecht existiert keine vergleichbar detaillierte Fallpraxis (Amstutz/ Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 253). 339 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 66. 340 Art. 7 Abs. 2 lit. d KG; Art. 102 Abs. 2 lit. c AEUV. 341 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 322; Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 68. 331 Das Missbrauchsverbot gemäss Art. 7 KG und Art. 102 AEUV schränkt die Vertragsfreiheit marktBernhard, 2778. Bernhard, 2786 f. 325 Brandi-Dohrn, 1353. 326 Bernhard, 2787; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel, Rn. 113. 327 Bernhard, 2787. 328 CH: Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 447; Weber/Volz, Rz. 2.736; EU: Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 231. 329 Weber/Volz, Rz. 2.174. Dies ergibt sich daraus, dass solche Abreden von der KMU-Bekanntmachung (CH) und der De-minimis-Bekanntmachung (EU) erfasst werden. 330 Bernhard, 2788. 323 324 72 Heft 2 332 recht 2014 Heft 2 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis lässige Kampfreisunterbietung liegt gemäss EuGH in der Regel vor, wenn Produkte unter den variablen Kosten angeboten werden. Werden Produkte über den variablen Kosten, aber unter den Gesamtkosten (Fixkosten zuzüglich variabler Kosten) angeboten, so muss dem Unternehmen zusätzlich eine Verdrängungsabsicht nachgewiesen werden können.342 Diskriminierung: 343 Eine unzulässige Diskriminierung von Handelspartnern liegt vor, wenn Geschäftspartner ohne objektive Gründe benachteiligt werden.344 Die Diskriminierung kann sich auf Preise und sonstige Geschäftsbedingungen beziehen. Als objektive, rechtfertigende Gründe kommen zum Beispiel unterschiedliche Kosten für Rohstoffe, Löhne, Produktion, Transport, Steuern, Zoll und ähnliche Faktoren in Frage.345 Exklusivität: Marktmächtige Unternehmen dürfen von ihrer Marktgegenseite keine Zusicherung der Exklusivität verlangen.346 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Exklusivität vertraglich vereinbart oder auf andere Weise faktisch erzwungen wird, etwa weil essenzielle Vergünstigungen nur bei einem exklusiven Bezug gewährt werden.347 Wettbewerbsverbot: Siehe vorne III.10. Englische Klausel: Mit dieser Abrede wird der Geschäftspartner verpflichtet, den Lieferanten über günstigere Drittangebote zu informieren, um diesem die Möglichkeit zum Mitziehen zu geben.348 Sie ist meistens mit einer Exklusivitätsverpflichtung oder einer Rabattregelung verbunden.349 Englische Klauseln dürfen von marktmächtigen Unternehmen nicht vereinbart werden.350 Rabattsysteme: Im europäischen Kartellrecht hat sich eine Praxis zur Zulässigkeit von Rabattsystemen marktbeherrschender Unternehmen entwickelt.351 Unzulässig sind Treuerabatte, die darauf abzielen, dass ein Unternehmen seinen gesamten Bedarf beim marktbeherrschenden Unternehmen deckt. Zu den Treuerabatten zählen Zielrabatte, die gewährt werden, wenn ein Kunde einen bestimmten, substanziellen Prozentsatz seines jährlichen Bedarfs beim marktbeherrschenden Unternehmen deckt. Unzulässig sind aber auch Jahresumsatzrabatte, bei denen ein Rabatt zum Jahresende rückwirkend auf die gesamte Bezugsmenge gewährt wird, wenn bestimmte Umsatzziele erreicht werden.352 Unzulässig sind auch Paketrabatte, die daran anknüpfen, dass ein Kunde mehrere Produkte aus dem Sortiment oder für mehrere geografische Märkte bestellt. Zulässig sind für marktmächtige Unternehmen somit eigentlich nur noch reine Mengenrabatte. Koppelungsgeschäfte: 353 Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre Vertragspartner nicht verpflichten, zusätzlich zum Vertragsgegenstand noch weitere Produkte oder Leistungen zu beziehen, ohne dass dazu ein sachlicher Grund besteht.354 Für die Qualifizierung als Koppelung ist es nicht entscheidend, ob sie explizit vertraglich vereinbart wird oder sich aus der Preisgestaltung oder aus technischen Massnahmen ergibt.355 Keine unzulässige Koppelung liegt vor, wenn die Güter von den Nachfragern entweder als ein einziges Gut betrachtet werden oder wenn sachliche Gründe für die Koppelung bestehen.356 Diese Frage stellt sich insbesondere bei der an einen Kaufvertrag gekoppelten Verpflichtung zum Bezug von Wartungs- und Serviceleistungen.357 Belieferungspflicht: Die Verweigerung oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen kann einen Missbrauch von Marktmacht darstellen.358 Sowohl nach europäischem wie auch nach schweizerischem Kartellrecht besteht somit für marktbeherrschende Unternehmen in solchen Fällen ein Kontrahierungszwang.359 Dies gilt auch für die Erteilung von Lizenzen, wenn diese für die Entwicklung eines neuen, für den Konsumenten vorteilhaften Produktes zwingend erforderlich sind.360 Bei einer eigentlichen Monopolstellung darf eine Geschäftsbeziehung nur bei objektiver Unzumutbarkeit verweigert werden.361 Das Gleiche gilt nach der Essential Facilities Doctrin für den Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung (z. B. Flug- und Siehe dazu Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 68. Art. 7 Abs. 2 lit. b KG; 344 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 155. 345 CH: Weber/Volz, Rz. 2.634 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 73 ff. 346 CH: Weber/Volz, Rz. 2.735; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 76. 347 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 77. 348 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz, Rz. 2.642. 349 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz, Rz. 2.737; Mäger in Mäger (Hrsg.), 4. Kapitel Rn. 129; Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 78. 350 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 78; weniger eindeutig für das schweizerische Kartellrecht Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 241; Weber/Volz, Rz. 2.643 und 2.737. 351 Zum folgenden Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 82 ff.; die schweizerische Praxis ist dagegen spärlich (Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 237); zur Zulässigkeit der einzelnen Rabattarten im schweizerischen Kartellrecht siehe Weber/Volz Rz. 2.637 ff. EuG, Rs T-203/01 (Michelin II), Slg. 2003, II-4071, Rn. 113. CH: Art. 7 Abs. 2 lit. f KG; EU: Art. 102 Abs. 2 lit. d AEUV. Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 90; Zäch, Rz. 700. 355 CH: Weber/Volz, Rz. 2.761 ff.; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 91. 356 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 526 ff.; Weber/Volz, Rz. 2.756 ff. und Rz. 2.770 ff. 357 Weber/Volz, Rz. 2.760; für eine unzulässige Koppelung von Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten durch einen marktbeherrschenden Maschinenhersteller siehe den Entscheid Tetrapak II (Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rn. 304). 358 So ausdrücklich Art. 7 Abs. 2 lit. a KG. 359 CH: Bucher in BSK OR I, Vor Art. 1–40 OR N 7; Weber/Volz, Rz. 2.577; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 107. 360 Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 N 148; Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 117. 361 CH: Weber/Volz, Rz. 2.586; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 110. 342 343 352 353 354 73 Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Seehäfen sowie Strom-, Gas-, Schienen- und Telekommunikationsnetze).362 Handelt es sich beim marktbeherrschenden Unternehmen weder um einen Monopolisten noch um eine «Essential Facility», sind die Interessen des Lieferanten und des Kunden gegeneinander abzuwägen.363 Objektiv gerechtfertigte Gründe für eine Lieferverweigerung sind z. B. eine finanzielle oder persönliche Unzuverlässigkeit des Vertragspartners oder die Bevorzugung der eigenen Stammkundschaft bei Lieferengpässen.364 Kein ausreichender Grund ist dagegen der Wunsch des marktbeherrschenden Unternehmens, den Konkurrenten keine Hilfestellung leisten zu müssen.365 IV. Empfehlungen Bei der Vertragsredaktion sind Grenzen einzuhalten, die durch das Kartellrecht gesetzt werden. Wenn der Vertragsredaktor über Kartellrechtskenntnisse verfügt, kann und soll er den Vertrag selber kartellrechtlich prüfen. Bei besonders komplexen Fragestellungen sowie für eine Vertretung in förmlichen Kartell- oder Fusionskontrollverfahren ist in jedem Fall ein Kartellrechtsspezialist zu mandatieren. Bei der Kartellrechtsprüfung sind zuerst alle Vertragsbestimmungen zu identifizieren, welche direkt oder indirekt das Wettbewerbsverhalten einer der Vertragsparteien betreffen. Sie sind daran zu erkennen, dass sie sich nicht mit der vertraglichen Kernleistung befassen, sondern mit der Gestaltung von Geschäftsbeziehungen gegenüber Dritten. Sie betreffen meistens den Vertrieb. Wettbewerbsbeschränkungen sind beispielsweise Preisabsprachen, Preisbindungen der zweiten Hand, Einschränkungen von Produktions-, Bezugs- oder Liefermengen, die Aufteilung von Märkten nach Gebieten oder Geschäftspartnern, die Vereinbarung von Exklusivität, Alleinbezugsoder Mindestabnahmeverpflichtungen, Vorschriften zur Ausgestaltung des Vertriebs, Wettbewerbs- oder Konkurrenzverbote, Zusicherungen einer Meistbegünstigung, Einschränkungen bei der Nutzung einer lizenzierten Technologie sowie F&EBeschränkungen. Auch die Vertragsdauer ist in die Kartellrechtsprüfung einzubeziehen, weil bestimmte Abreden nur für eine beschränkte Dauer vereinbart werden dürfen. 74 362 CH: zur Praxis siehe Amstutz/Carron in BSK KG, Art. 7 KG N 147; Weber/Volz, Rz. 2.597 ff; EU: Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 113 f. 363 Weber/Volz, Rz. 2.586. 364 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 109. 365 Wirtz in Mäger (Hrsg.), 6. Kapitel, Rn. 110. recht 2014 Heft 2 Anschliessend sind die identifizierten Vertragsbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem schweizerischen und – wenn eine Wirkung auf das Ausland nicht von vornherein auszuschliessen ist – auch mit dem europäischen Kartellrecht zu prüfen. Dabei sind die unter II.8. dargelegten Prüfschemata anzuwenden. Bei der Kartellrechtsprüfung ist es wichtig, die Marktanteile der betroffenen Unternehmen zu kennen. Für marktmächtige Unternehmen gelten besonders strenge, für Unternehmen mit geringen Marktanteilen weniger strenge Regeln. Als Faustregel kann man sich für das europäische Kartellrecht die Tennis-Zählformel 15-30-40 merken: Bis 15% gilt die De-minimis-Bekanntmachung, bis 30% kommt eine Gruppenfreistellung in Frage und ab 40% muss ein Unternehmen damit rechnen, als marktbeherrschend beurteilt zu werden. Klar kartellrechtswidrige Klauseln dürfen nicht vereinbart werden. Sie nützen nichts, denn sie sind nichtig. Zudem setzen sich die betroffenen Unternehmen einem Sanktionsrisiko aus. Nicht immer wird sich aber mit Sicherheit sagen lassen, ob eine Klausel gültig oder kartellrechtswidrig ist. Bei solchen Grenzfällen liegt die Gefahr für die beteiligten Unternehmen weniger im Sanktionsrisiko366 als vielmehr darin, dass die vertragsmüde Partei die Möglichkeit hat, sich unter Berufung auf eine Teilnichtigkeit von ihren Pflichten loszusagen. Andererseits ist zu bedenken, dass sich die Unternehmen von der beabsichtigten Vertragsklausel einen Nutzen versprechen. Bei Grenzfällen kategorisch und ohne Risikoabwägung auf alle kritischen Klauseln zu verzichten, ist nicht sinnvoll. Diese sogenannte Over-Compliance ist weder betriebs- noch volkswirtschaftlich erwünscht. Wie weit man hier gehen will, ist ein unternehmerischer Entscheid, bei welchem jedoch marktmächtige oder kartellrechtlich exponierte Unternehmen besonders vorsichtig sein müssen. 366 Im europäischen Kartellrecht wird nur eine Geldbusse verhängt, wenn vorgängig die relevanten Bestimmungen durch Urteile der Gerichte oder Kommissionsentscheidungen geklärt worden sind (Zäch/Künzler, 743). Im schweizerischen Kartellrecht sind von vornherein nur die qualifizierten Abreden mit Sanktionen bedroht (siehe vorne II.13). recht 2014 Heft 2 Literaturverzeichnis Ammann Martin/Strebel Mario, Die KMU-Bekanntmachung der Weko, sic! 11 (2007) 228ff.; Amstutz Marc/Reinert Mani (Hrsg.), Basler Kommentar zum Kartellgesetz (Basel 2010); Bernhard Jochen, Grenzen vertraglicher Wettbewerbsverbote zwischen Unternehmen, in: NJW 38 (2013), 2785 ff.; Böni Franz/Wassmer Alex, Über-/Unterpreisofferten im Umfeld von Arbeitsgemeinschaften, in: Jusletter 11. November 2013; Borer Jürg, Wettbewerbsrecht I, Kommentar – Schweizerisches Kartellgesetz (KG), 3. A. Zürich 2011; Bosch Wolfgang/Dallmann Michael, Überragende Marktstellung und relative Marktmacht in den Kartellrechtsordnungen der Europäischen Union, Deutschlands und der Schweiz, in: Zäch Roger (Hrsg.), Das revidierte Kartellgesetz in der Praxis, Zürich 2006; Brandi-Dohrn Matthias, Welche kartellrechtlichen Regeln gelten für den vertikalen FuE-Auftrag? WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis 11 (2009), 1348 ff.; Bühlmann Lukas/Schirmbacher Martin, Kartellrecht und Internetvertrieb, in: Jusletter 30. Mai 2011; Von Dietze Philipp/Janssen Helmut, Kartellrecht in der anwaltlichen Praxis, 4. A. München 2011; Geiser Thomas/Krauskopf Patrick/Münch Peter (Hrsg.), Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, Basel 2005; Giger Gion, «Jovani», Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 17. Mai 2010, sic! 2011, 574 ff.; Giger Gion, Vertikale Abreden – Entwicklung im schweizerischen und europäischen Kartellrecht, sic! 14 (2010), 859 ff.; Graber Andrea/Krauskopf Patrick, Die neue Vertikalbekanntmachung – ein Leitfaden für Praktiker, sic! 12 (2008), 781 ff.; Heinemann Andreas, Schutzrechte und Wettbewerbsrecht: Perspektiven für die schweizerische Rechtsentwicklung, in: 10 Jahre sic! das Immaterialgüterrecht und seine Schnittstellen, Zürich 2008 (PMMBl 2008 I 33 ff.); Heizmann Reto A., Relative Marktmacht, überragende Marktstellung – eine Analyse nach sechs Jahren Praxis, recht 2010 172 ff.; Heizmann Reto A./Zäch Roger, Vertikale Preisempfehlungen im schweizerischen Kartellrecht, recht 2009 194 ff.; Hilty Reto M., Lizenzverträge und Art. 5 KG, in: Zäch Roger (Hrsg.), Das Kartellgesetz in der Praxis, Zürich 2006; Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Schnyder Anton K./ Berti Stephen V., Basler Kommentar Internationales Privatrecht, 2. A. Basel 2007; Urs Egli, Die Bedeutung des Kartellrechts in der Vertragspraxis Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Wiegand Wolfgang (Hrsg.), Basler Kommentar Obligationenrecht I, 5. A. Basel 2011; Immenga Ulrich/Mestmäcker Ernst-Joachim (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Band 1 EU/Teil 1, Kommentar zum Europäischen Kartellrecht, 5. A. 2012 München; Jacobs Reto, Zivilrechtliche Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, in: Zäch Roger (Hrsg.), Das revidierte Kartellgesetz in der Praxis, Zürich 2006; Mäger Thorsten (Hrsg.), Europäisches Kartellrecht, 2. A. Baden-Baden 2011; Peter Matthis, Negative Feststellungsklagen am Deliktsgerichtsstand von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO/LugÜ, in: Jusletter 12. August 2013; Prangenberg Jonas, Aktuelle Fragen des Schweizer Kartellrechts, in: Jusletter 12. August 2013; Ruggli Monika, Agentur und Kommission im Kartellrecht, sic! 2006, 159 ff.; Ruggli Monika/Vischer Markus, Konkurrenzverbote in Unternehmenskaufverträgen, SJZ 102 (2006) 294 ff.; Sturny Monique, Der Einfluss des europäischen Kartellrechts auf das schweizerische Kartellrecht, in: Cottier Thomas (Hrsg.), Europakompatibilität des schweizerischen Wirtschaftsrechts, Basel 2012, 107 ff.; Vogel Bernhard, Der Franchise-Vertrag – Wettbewerbliche Behandlung typischer Bindungen nach Schweizer Kartellrecht, Diss. Zürich 2006; Weber Rolf H./Vlcek Michael, Tafeln zum Kartellrecht, Bern 2008; Weber Rolf H./Volz Stephanie, Wettbewerbsrecht, Zürich 2013; Wiedemann Gerhard (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 2. A. München 2008; Zäch Roger, Schweizerisches Kartellrecht, 2. A. Bern 2005; Zäch Roger, Querverbindungen bzw. «Harmonisierung» des schweizerischen mit dem Europäischen Kartellrecht, in: Breuss Fritz/Cottier Thomas/Müller-Graff Peter-Christian (Hrsg.), Die Schweiz im europäischen Integrationsprozess (Baden-Baden 2008) 183 ff.; Zäch Roger/Künzler Adrian, Die Sanktionierung von wettbewerbsbeschränkenden Tatbeständen und die EMRK, in: Bechtold Stefan/Jickeli Joachim/Rohe Mathias (Hrsg.), Recht, Ordnung und Wettbewerb, Festschrift Wernhard Möschel, Baden-Baden, 2011; Zürcher Johann Jakob, Drei Jahre revidiertes Kartellrecht, SJZ 104 (2008) 1 ff.; Zenhäusern Urs, Ausländisches Kartellrecht: Fallstricke für schweizerische Unternehmen, in: Das neue Kartellrecht, Baker & McKenzie, Zürich 1996. 75