Didaktik lyrischer Texte - Didaktik der deutschen Sprache und Literatur
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Didaktik lyrischer Texte - Didaktik der deutschen Sprache und Literatur
Universität Bayreuth Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Staatsexamenskolloquium Dozentin: C. Wührl Referenten: Maria Langner, Roland Braun SS 2010 31.5.2010 Didaktik lyrischer Texte Im Kulturdiskurs der Erwachsenen spielt Lyrik nur eine marginale Rolle, dabei ist Lyrik in Form des „Kinderstubenreims“ und des traditionellen Bilderbuchs die erste literarische Ausdrucksform, der Heranwachsende begegnen. (ABRAHAM/KEPSER, 2006) Zielsetzungen des Lyrikunterrichts nach HASSENSTEIN: • Die Schüler sollen eine Auswahl von Gedichten als Angebot kennenlernen, Handwerkszeug zu deren Erschließung kennen lernen und Hinweise dafür bekommen, wie man bei entsprechendem Bedürfnis als privater Leser seine Beschäftigung mit Lyrik ausweiten und intensivieren kann • Schüler sollen am Umgang mit Gedichten exemplarisch lernen, wie man Texte interpretiert • Schüler sollen durch Lektüre entsprechender Gedichte ihr historisches Verständnis schärfen • Schüler sollen durch den Umgang mit Gedichten ästhetisch und moralisch sensibilisiert werden • Schüler sollen angesichts der Vieldeutigkeit lyrischer Gedichte und ihrer Aufnahme durch die Rezipienten lernen, Vieldeutigkeit zu ertragen und für die wechselseitige Verständigung fruchtbar zu machen • Schüler sollen durch den Umgang mit Lyrik ihr eigenes Ausdrucksvermögen erweitern • Wenn Schüler versuchen, sich lyrisch, zu artikulieren, können sie im Umgang mit dem Material Widerstand der Sprache, der Vers- und Reimordnung erfahren, wie sic Kreativität innerhalb vorgegebener Regeln entfalten kann 1. Auswahl der Texte Unterteilung nach H. REGER (1994): • Gebrauchsverse (Kindergebete, Lieder) • Erlebnis- und Stimmungslyrik (Naturgedichte, Dinggedichte) • Reflexionslyrik (vgl. Hesse, Fried) • Geschehnislyrik (Erzählgedichte, Balladen) • Sprachspiele (Piktogramme, Lautgedichte) 1.1 Kanonisierte Lyrik - PAYRHUBER (2000): Existenz eines eingeschränkten heimlichen Schulkanons • Angeführt von Guggenmos und Krüss • Stimmungsvolle und lehrreiche Naturgedichte • Kein Gedicht, das nach Mitte der 1980er Jahre veröffentlicht wurde Universität Bayreuth Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Staatsexamenskolloquium Dozentin: C. Wührl Referenten: Maria Langner, Roland Braun SS 2010 31.5.2010 - Gedichtauswahl in aktuellen Sprach- und Lesebüchern der Sekundarstufen wenig zielgruppenspezifisch: • Intentionale Erwachsenenlyrik überrepräsentiert • Keine großen Veränderungen im Korpus • Befindlichkeiten von Autoren, die weit entfernt von der Lebensphase der Schüler entfernt sind 1.2 Deutschsprachige Liedtexte - Zeitgenössische pädagogische Strömung des „praktischen“ Lernens - Gegenwartsbedeutung lyrischer Texte verschiebt sich für Jugendliche in den Bereich der populären Musik. (ABRAHAM/KEPSER, 2006) Auseinandersetzung im Deutschunterricht mit deutschsprachigen Liedtexten sinnvoll „Das Lied bietet auf der Grundlage des tatsächlichen lyrischen Alltagskonsums der Heranwachsenden dem Lehrer die vielfältigsten und motivierendsten Unterrichtsmöglichkeiten.“ (SPINNER, 1981) ABER: Rock- und Popmusik in den Lehrplänen nur in Ausnahmefällen als Möglichkeit angegeben - Vielfältige Gemeinsamkeiten zwischen Lyrik und Liedtexten unter thematischen Aspekten, aber auch im Bezug auf formale und sprachliche Gestaltungsmittel „Unter den Schlagertexten gibt es auch geistvolleres als das, was Marianne Rosenberg trällert.“ (FRITZSCHE, 1994) Aktuelle Rock- und Popmusik Motivation durch Freizeitbezug und Interesse Rezeptionskompetenzen durch private Beschäftigung mit den Liedtexten Gemeinsamkeiten von Gedichten und aktuellen deutschsprachigen Liedern bezüglich Themen und Gestaltungsmitteln Integration aktueller Lieder in den Lyrikunterricht (Begründung nach PICHOTTKY) 1.3 Poetry Slam - 1986: Erster Poetry Slam in Chicago durch Marc Kelly Smith Innerhalb weniger Jahre weltweite Verbreitung - 1997: Erster National Poetry Slam in Deutschland - Tradition der Kabarett-Kunst des frühen 20. Jahrhunderts (Surrealismus, Dadaismus), der Beat Generation und der Pop-Musik (Rap, Spoken Word) Universität Bayreuth Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Staatsexamenskolloquium Dozentin: C. Wührl Referenten: Maria Langner, Roland Braun SS 2010 31.5.2010 - „Performance ist eine komplexe Handlung, durch die eine poetische Botschaft gleichzeitig übertragen und wahrgenommen wird“ (ZUMTHOR, 2007) - Vorteil: Gleichermaßen Lerngegenstand als auch Lernmedium Poetry Slam • Lernmedium Schüler erkennen poetische Gestaltungsmittel Lerngegenstand • Schüler erproben adressatenbezogenes Schreiben Verknüpfung zur Tradition mündlicher Dichtung (Erklärung nach ANDERS/BRIESKE, 2007) 2. Organisation des Unterrichts 2.1 Lyrik als Einzelstunde - Sporadisch oder nach festem Stundenplan im Unterricht verankert („Dienstag ist Lyriktag!“) Verlaufsmodell: Einstimmung – Gedichtvortrag durch den Lehrer – stilles Lesen – Sicherung des inhaltlichen Verständnisses – Erschließung des Gedichts als Inhalt-Form-Einheit – Gedichtvortrag durch Schüler - KORTE (2002): Starke Kritik am Konzept • Beschäftigung mit Lyrik wird als lästige Pflichterfüllung erlebt • Beschäftigung bleibt völlig unsystematisch • Kein nachhaltiger Lernerfolg • Keine Steigerung der Lesemotivation 2.2 Lyrik im Rahmen von Themenblöcken - Vor allem in der Primarstufe verankert Herstellen von Themenblöcken als fächerverbindende Arrangements (Jahreszeiten, Feste, Naturerscheinungen, etc.) - Chance, neben dem kognitiven Zugang emotionale und ästhetische Sichtweisen auf unsere Welt zu eröffnen - Defizite in der unterrichtlichen Praxis: • Gefahr, den Lyrikunterricht gänzlich für außerliterarische Intentionen zu instrumentalisieren • Gedicht dient lediglich als motivierender Impuls • Fachfremde Lehr- und Lernziele (HSK, Religion, Gesundheitserziehung) • Fachbereichsfremde methodische Überlegungen („Der Bär ist nicht dumm und dreht sich erst mal um.“) • „Auch wenn der vaterländische Deutschunterricht inzwischen überwunden ist: versifizierte Fabeln und moralisierede Kindergedichte verführen viele Lehrkräfte immer noch dazu, gut gemeinte Ermahnungen in den Mittelpunkt ihrer Lyrikstunden zu stellen, ohne das Gedicht als ästhetisches Gebilde ernst zu nehmen.“ (ABRAHAM/KEPSER, 2006) Universität Bayreuth Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Staatsexamenskolloquium Dozentin: C. Wührl Referenten: Maria Langner, Roland Braun SS 2010 31.5.2010 2.3 Lyriksequenzen - Heute überwiegende Empfehlung in der Didaktik - Reihe von Unterrichtsstunden, in der mehrere Gedichte hinter und nebeneinander angeboten werden - Strukturierung der Texte nach Themen, Motiven, Formen (Untergattungen, Genres), Autoren, Strömungen/Epochen Kombinationen aus mehreren Aspekten sind zu bevorzugen 3. Methodische Ausrichtung des Lyrikunterrichts 3.1 Werkimmanente Interpretation (bis 1960er Jahre) - Oberstes Ziel: Sensibilisierung für die Trias „Inhalt – Gestalt – Gehalt“ Werkimmanenter Interpretationsansatz - Im Mittelpunkt: Ausdrucksstarker Gedichtvortrag zunächst durch die Lehrkraft und dann durch die Schüler 3.1 Von der Interpretation zur Analyse (1970er Jahre) - Verlagerung zu Analysemodellen Marxistisch-sozialgeschichtliche Modelle • Bevorzugung von zwei lyrischen Subgenres: a) (Trivialer) Schlagertext Demonstration der ideologischen Manipulation b) Politische Lyrik Sensibilisierung für sozialgeschichtliche Wandlungsprozesse • Spielt nur etwa zehn Jahre lang eine Rolle Strukturalistische Modelle • • • Poetologische Beschreibungen im Fordergrund Analyseaufträge: „Bestimme Reim, Metrum und rhetorische Figuren in dem folgenden Gedicht!“ Bis heute Bestandteil der Curricula 3.2 Handlungs- und produktionsorientierter Lyrik-Unterricht (seit Ende der 1970er Jahre) Didaktische Konzepte: • Konzepte, die vorwiegend emotionale und imaginative Zugänge zum Gedicht suchen (z. B. SPINNER, 1997) • Konzepte, die vor allem die Freude am Gedicht fördern wollen (z.B. HAAS, 1997) • Konzepte, die vorwiegend auf das literarische Gespräch setzen (ANDRESEN, 1992) • Konzepte, die poetologische und inhaltliche Aspekte systematisch zu verknüpfen versuchen (z.B. KLIEWER 2002) • Konzepte, die eine systematische Einführung in die Poetologie verfolgen (WALDMANN, 1999) Universität Bayreuth Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Staatsexamenskolloquium Dozentin: C. Wührl Referenten: Maria Langner, Roland Braun SS 2010 31.5.2010 Gedichtspiele • • • Reimspiele, Metaphernspiele Verfassen von Elfchen Verfassen von Haikus Aktives und produktives Lesen • Aktives Hören und Sehen • Aktives Lesen • Antizipierendes Lesen • Rekonstruierendes Lesen HPU (WALDMANN, 1999) Produktive Konkretisation • Darstellende Konkretisation • Visuelle Konkretisation • Konkretisation des lyrischen Ichs • Gedichte vergleichen Produktive Veränderung • Parallelgedicht schreiben • Veränderung der Textsorte • Veränderung sprachlichstilistischer Gegebenheiten • Verändern des Aufbaus Produktive Auseinandersetzung • Produktive literarische Erörterung (kommentierende Gestaltung) • Produktive Gesamtdarstellun g (Lesetagebuch, etc.) • Nachproduktion ABER: - Historische Dimension von Literatur kommt of zu kurz - Methodenvielfalt schließt auch traditionelle Verfahren (z.B. erschließendes Unterrichtsgespräch) ein - Produktive Verfahren kein Gegensatz zu rezeptionsorientierten Methoden, sondern Ergänzung - Nach wie vor Sach- und didaktische Analyse als erster Schritt zur Zieldimension der Stunde bzw. Sequenz Universität Bayreuth Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Staatsexamenskolloquium Dozentin: C. Wührl Referenten: Maria Langner, Roland Braun SS 2010 31.5.2010 4. Vortrag von Lyrik 4.1 Auswendiglernen - erste Hälfte des 20. Jh.: Auswendiglernen und Vortragen wesentlicher Lernbereich des Deutschunterrichts - Auswendiglernen als offizielle Form der Bestrafung genutzt - Nutzen: Sehr pragmatisch als Gedächtnis-, Lern- und Gehirntraining gesehen - Häufigstes Gegenargument: Wird als nutzlose unnötige Anstrengung empfunden ABER: Poetische Fragmente haben eine „Sekundärverwendung“ Zunehmende Entfremdung vom Original, das nicht mehr im Gedächtnis präsent ist (Kritik nach FRAZ, 2006) 4.2 Gelesener Vortrag (nach Kliewer, 2002) - Neben analytischen Verfahrens des Sprechens über Texte auch Methoden des Interpretierens durch Sprechen - Inhalt und Form durch bewussten Einsatz sprecherischer Mittel erschließen (Tempo, Tonhöhe, Tonfarbe, Rhythmus) - Vortrag soll lebendig bleiben ohne ins unnatürliche Sprechen abzugleiten Literatur: Abraham, Ulf/ Kepser, Matthis: Literaturdidaktik Deutsch. Eine Einführung. Berlin: 2006². Anders, Petra/ Brieske, Rainer: Poetry Slams im Klassenzimmer. In: Deutschunterricht. Heft 6/2007. Franz, Kurt: Warum man Gedichte auswendig lernen soll. In: Franz, Kurt/Hochholzer, Ruppert (Hrsg.). Lyrik im Deutschunterricht. Grundlagen – Methoden – Beispiele. Baltmannsweiler: 2006. Kliewer, Heinz-Jürgen/Kliewer, Ursula: Gedichte im Unterricht. Grundschule und Orientierungsstufe. Hohengeren: 2002. Pichottky, Susanne: Aktuelle deutschsprachige Rock- und Popmusik im Lyrikunterricht. Baltmannsweiler: 2005. Spinner, Kaspar: Umgang mit Lyrik in der Sekundarstufe I. Baltmansweiler: 1997.