THAILAND-RUNDSCHAU
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THAILAND-RUNDSCHAU
THAILAND-RUNDSCHAU der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft e.V., Köln Jahrgang 23 November 2010 ISSN: 0934-8824 Nr. 3 THAILANDRUNDSCHAU DEUTSCH-THAILÄNDISCHE GESELLSCHAFT e.V. Ehrenpräsident: Der Botschafter des Königreiches Thailand in Deutschland Präsidentin: Prof. Dr. Frauke Kraas Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Dr. h.c. K.-H. Pfeffer Schatzmeister: Günter Blindert Vorstandsmitglieder: Dr. Christoph Brümmer Dr. Arnd D. Kumerloeve Impressum und Inhalt Inhalt Nr. 3 – 2010 Vorwort 83 Zum Tode unseres langjährigen Präsidenten Prof. Dr.-Ing. Helmut Eggers Frauke Kraas 84 Ihre Königliche Hoheit gab uns die Ehre Jürgen H. Hohnholz 85 100 Jahre Carl Werner Drewes Arnd D. Kumerloeve 92 Bangkok: Megastadt auf dem Weg in die Postmoderne Frauke Kraas 94 »Essen wie die Tiger« Marin Trenk 101 Nachhaltige Landnutzung und ländliche Entwicklung in Bergregionen Südostasiens – SFB564 Holger Fröhlich und Karl Stahr 109 Thailands Demokratie in der Krise: Ursachen und Konsequenzen Holger Alisch 114 "Die zweite Generation - Wo bin ich Zuhause?" Frauke Kraas 117 Aus Eka Donner’s Tagebuch Arnd D. Kumerloeve 118 RUNDSCHAU -IMPRESSUM Herausgeber und Verlag: Deutsch-Thailändische Gesellschaft e.V. Redaktion: Prof. Dr. Frauke Kraas, 50923 Köln (ViSdP) unter Mitarbeit von Dr. Arnd D. Kumerloeve, Köln, und Prof. Dr. Karl-Heinz Pfeffer, Tübingen Layout: Anke Dick-Follmann, Rodgau Druck Druckerei Koges, Bonn ISSN: 0934-8824 Geschäftsstelle, Bibliothek und Redaktionsbüro Johann-Bensberg-Straße 49 51067 Köln ! +49 (0)221 / 68 00 210 Fax: +49 (0)221 / 96 90 287 E-Mail: [email protected] Internet: http:// www.dtg.eu THAILAND-RUNDSCHAU, die Zeitschrift der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft e.V., erscheint dreimal im Jahr im Umfang von je ca. 40 Seiten. Der Bezugspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Redaktionsschluss: für Heft 1-2011: 01.02.2011 für Heft 2-2011: 01.06.2011 für Heft 3-2011: 15.10.2011 Namentlich gekennzeichnete oder aus anderen Publikationen übernommene Beiträge dienen ausschließlich der Information unserer Leser und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Gesellschaft wieder. Titelphoto: Bangkok – Blick über die heterogene Megastadt, Photo © Frauke Kraas Innenphoto: Eindruck von der Insel Koh Samet, Photo © Anke DickFollmann THAILAND-RUNDSCHAU Vorwort Liebe Freunde und Mitglieder der DTG! Ein Wort in eigener Sache vorweg! Sie haben den langen Bericht in der letzten Thailand-Rundschau gelesen: Nicht allein auf den Jahrestagungen und – alle zwei Jahre – den DTG-Symposien bietet sich die Gelegenheit zum direkten Gespräch und Austausch der DTG-Mitglieder miteinander, sondern auch in unseren DTGRegionalgruppen (früher wurden sie als sog. „Stützpunkte“ bezeichnet, eine Terminologie, die wir uns entschlossen haben zu ändern). Höchst erfreulicherweise gibt es inzwischen in acht Städten um aktive DTGMitglieder herum kleinere und größere Gruppen von Freunden und Bekannten, die sich zu gemeinsamen Gesprächsrunden und Essen, kulturellen Aktivitäten und Veranstaltungen treffen. Wir berichten gerne in der Thailand-Rundschau darüber! Bitte machen Sie innerhalb Ihres Freundes- und Bekanntenkreises Werbung für unsere DTG, denn es wäre schön, wenn die Regionalgruppen weiter wachsen und die DTG damit noch lebendiger an verschiedenen Standorten in Deutschland vertreten sein könnte. Gerne erhalten Sie von der Geschäftsstelle entsprechende Flyer und Informationsmaterialien – lassen Sie es uns wissen. Für unsere Firmenmitglieder besteht die Möglichkeit, in der Thailand-Rundschau zu inserieren. Ein kleiner Ausblick sodann auf das kommende Jahr 2011! Bitte notieren Sie sich bereits heute Ort und Zeitpunkt unserer nächsten DTG-Mitgliederversammlung 2011 mit Symposium zum Thema „Wirtschaftsstandort Thailand: Landwirtschaft, Industrie, Tourismus, Handel“ am 21.05.2011 im Rautenstrauch-Joest Museum in Köln. Nachdem wir in den zurückliegenden Symposien die Entwicklungen in Kultur und Politik unseres Partnerlandes in den Vordergrund gestellt hatten, widmen wir uns 2011 zentralen Fragen der Wirtschaft, wobei alle Sektoren einbezogen und in Vorträgen von Fachleuten thematisiert werden sollen. Wir freuen uns schon jetzt auf Ihre Teilnahme – und werden Sie rechtzeitig über das detaillierte Programm einschließlich profilierter Referenten informieren. Mit Blick auf das nahende Jahresende sei Ihnen und Ihren Familien – im Namen des gesamten DTGVorstands – nun ein Frohes Weihnachtsfest sowie gutes, gesundes und erfolgreiches Neues Jahr 2011 gewünscht! Mit besten Grüßen, im Namen des gesamten Vorstands, Ihre Frauke Kraas 83 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Zum Tode unseres langjährigen Präsidenten Prof. Dr.-Ing. Helmut Eggers Universitätsprofessor em. Dr.-Ing. Helmut Eggers ! 24.2.2010 Die Mitglieder der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft trauern um Ihren langjährigen Präsidenten Prof. Dr.-Ing. Helmut Eggers, der am 24. Februar 2010 nach schwerer Krankheit verstorben ist. Im Namen der Mitglieder und des Vorstandes sei seiner Familie und seinen Angehörigen unser großes Mitgefühl und der herzliche Dank für viele Jahre großen Engagements für die DTG zum Ausdruck gebracht. Helmut Eggers wurde am 15. Juni 1940 in Hamburg geboren. Sein Vater fiel im Krieg in Russland. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens an der Universität Karlsruhe arbeitete und promovierte Eggers im Bereich der Wasserwirtschaft und Hydrologie am Theodor-Rehbock-Flussbau-Labor bei Prof. Mosonyi. Von 1978 bis 1980 arbeitete Eggers als Associate Professor, gefördert durch eine Gastdozentur des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), am renommierten Asian Institute of Technology (AIT) in Bangkok, von wo aus er auf den Lehrstuhl für Landwirt- 84 schaftlichen Wasserbau und Kulturtechnik an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn berufen wurde. Hier wirkte er von 1980 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005. In der Zeit von 1988 bis 1992 wurde er - bei Beurlaubung in Bonn - als Vice President for Academic Affairs an das Asian Institute of Technology berufen. Hier gehörte Eggers in führender Position zu einer bemerkenswerten Zahl von deutschen Wissenschaftlern, die am AIT seit den 1970er Jahren in Lehre, Forschung und Wissenschaftsmanagement tätig waren. Seine vielfältigen internationalen Forschungsarbeiten, vor allem in Ländern Afrikas und Asiens, trugen Eggers hoheV wissenschaftliche Reputation, zahlreiche nationale und internationale Ehrungen sowie Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Vereinigungen ein. Neben der Forschung und Lehre an der Universität Bonn hat Helmut Eggers den sehr erfolgreichen internationalen Masterstudiengang "Agrarwissenschaften und Ressourcenmanagement in den Tropen und Subtropen" (ARTS) an der Landwirtschaftlichen Fakultät mitbegründet. Geprägt von seinen intensiven wissenschaftlichen und persönlichen Erfahrungen aus den vielen Jahren in Thailand, engagierte Helmut Eggers sich intensiv in unserer Deutsch-Thailändischen Gesellschaft, zuerst aktiv im Beirat und von 1997 bis 2003 als ihr Präsident. Dabei wurde er stets sehr tatkräftig unterstützt von seiner Frau Roswitha, die nicht nur zahlreiche, sehr gastfreundliche Vorstandssitzungen mit selbst zubereitetem thailändischen Essen gestaltete, sondern viele Jahre lang umfangreiche DTG-bezogene Korrespondenz und Kommunikation von ihrem Mann übernahm. Die herzliche und fürsorgliche Atmosphäre vieler Sitzungen im Hause Eggers wird dem Vorstand und Beirat stets dankbar in Erinnerung bleiben! Am 24. Februar 2010 ist Helmut Eggers nach langer, schwerer Krankheit gestorben. Seiner Frau sowie seinen Kindern und Enkelkindern gilt unser herzliches Mitgefühl. Frauke Kraas THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Ihre Königliche Hoheit gab uns die Ehre Jürgen H. Hohnholz Du lieber Himmel, was für eine antiquierte Überschrift zu einem Beitrag in der ThailandRundschau, den Besuch der Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn betreffend, die zwei Tage in Tübingen weilte. Und doch: gerade weil sie so wenig dem Gemeinbild einer Kronprinzessin in ihrer natürlichen und liebenswerten Art entspricht, wurde der Kontrast sogar von der Tübinger Presse bemerkt und hervorgehoben. Neben einem Empfang im malerischen Rathaus der Stadt Tübingen und dem obligatorischen Eintrag in das Goldene Buch planten wir einen Rundgang durch die reizvolle Altstadt mit Besuch der fürstlichen Grablege in der Stiftskirche und im historischen studentischen Karzer, in dem "gesessen" zu haben, sich manche wissenschaftliche Koryphäe als Ehre anrechnete . Im Anschluß an die Tagung der Nobelpreisträger in Lindau hatte sich die Prinzessin vorgenommen, nach 28 Jahren wieder einmal Tübingen zu besuchen und dabei gleich mit einem privaten Besuch bei uns zu Haus in Ofterdingen - ein selbständiges Dorf! bei Tübingen - zu verbinden. Welche hochrangige Kronprinzessin besucht schon einen einfachen Professor in einem Dorf auf dem Land, also stimmt doch die Überschrift? - Wir korrespondieren schon seit mehr als 30 Jahren miteinander, das Fachgebiet der Geographie stellte den Kontakt her, und ich hatte die Gelegenheit, sie schon mehrfach in Bangkok zu besuchen. Höhepunkt des Stadtbesuches bildete das Schloßmuseum, in dem der Rektor der Universität nach einem offiziellen Empfang im Fürstenzimmer des Schlosses Ihre Königliche Hoheit persönlich führen und ihr die ältesten Kunstwerke der Menschheit vorstellen würde. Fernerhin stand ein Mittagessen im Landgasthaus "Schwärzloch" auf dem Programm, erbaut im Jahre 1085 und seit fast 200 Jahren das beliebteste Nahziel für Studenten, Professoren und Bürger der Stadt. Eine Führung durch das bekannte Zisterzienser-Kloster Bebenhausen und ein Abendessen im dortigen "Grünen Saal" des Königlichen Jagdschlosses rundeten den offiziellen Besuch IKH in Tübingen ab. Gemeinsam mit meinem Kollegen, Herrn Prof. Pfeffer, dem Vizepräsidenten der DTG, entwarfen wir ein Programm für den offiziellen Besuch am Dienstag, den 29. Juni 2010, das vorsah, jene Orte zu betrachten, die Ihrer Königlichen Hoheit vor so vielen Jahren entgangen waren. Bereits 3 Wochen vor dem großen Ereignis tauchte ein Erkundungskommando der Thailändischen Botschaft in Tübingen auf, geleitet von dem stellvertretenden Botschafter, der sich das vorgelegte Programm von Bangkok aus hatte genehmigen lassen, und man hakte Punkt für Punkt auf einer Der Erkundungstrupp in Bebenhausen 85 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer sind im Hotel reserviert, gibt es dort einen Fahrstuhl, wie viele Stufen müssen im Schloßmuseum und in der Stadt bewältigt werden? Und vieles mehr, nichts blieb dem Zufall überlassen. Die von Navigationsgeräten geleiteten Fahrer notierten sich die kritischen Punkte, kurzum, die Botschaft leistete eine generalstabsmäßige Vorarbeit. Man suchte uns auch in Ofterdingen auf, inspizierte Haus und Garten und war von dem Ergebnis durchaus angetan. Der ausführliche Bericht der Botschaft an den Palast wurde dort in ein minutiöses Ablauf-Programm umgesetzt: Der Anreisetag, der 28.06.10, war mit dem Besuch in Ofterdingen als "privat" ausgewiesen und der 29. als "offiziell". Und so geschah es dann auch. Ihre Königliche Hoheit hatte den Wunsch geäußert, die Tübinger Universitätsaugenklinik zu besuchen, um sich dort über die modernsten Methoden von RetinaImplantationen kundig zu machen, denn hier arbeitet man daran, mit Mikrochips die Sehfähigkeit von erblindeten Menschen wieder teilweise herzustellen. Es kann der Universitätsleitung nicht hoch genug angerechnet werden, daß man von dort aus, in vorbildlicher Zusammenarbeit mit der Botschaft und den Tübinger Planern, alle Wünsche genauestens und mit erheblichem Engagement erfüllte.. Ein Streichquartett des Tübinger Studentenorchesters 86 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 IKH im Fachgespräch in Ofterdingen Die Prinzessin reiste direkt von Lindau kommend in der Augenklinik an, schon 20 Minuten vorher erschien ein Vorkommando und vergewisserte sich, daß alles seine gute Ordnung hatte, daß das Empfangskomitee bereit stand und der Ort der Präsentation funktionsbereit war. Auf die Minute pünktlich - Pünktlichkeit ist immer noch die Höflichkeit der Könige - rauschte die Kavalkade bei der Klinik an: Polizei mit Blaulicht vorweg, dann der Führungswagen, es folgten die Wagen 1 bis 4 und der Wagen mit den Sicherheitsbeamten, kurzum: das war richtig eindrucksvoll und der empfangende Professor gestand hinterher, daß er in seiner langjährigen Tätigkeit an dieser Klinik noch nie so ein Spektakel erlebt hatte. sie sämtliche Wartenden mit Handschlag, begann sofort ein angeregtes Gespräch mit den Fachleuten und verfolgte aufmerksam die fachliche Präsentation von Retina-Implantationen. Die vorgestellten Ergebnisse beeindruckten nicht nur IKH, sondern auch das gesamte Gefolge, das sich aus 9 Personen des Palastes, 3 thailändischen Pressevertretern und 14 Delegierten der Thailändischen Botschaft und Konsulate zusammensetzte. Nach einer kleinen Ruhepause im Hotel fuhr die Prinzessin, begleitet von ihren drei engsten Mitarbeitern, nach Ofterdingen. Wie üblich, sicherten wieder ein Vorkommando und zwei deutsche Sicherheitsbeamte die Lage, bevor die Königliche Hoheit sehr gelöst und offensichtlich erwartungs- Ganz im Gegensatz zu diesem Aufwand erschien dann die Prinzessin. Freundlich lächelnd begrüßte In Ofterdingen 87 THAILAND-RUNDSCHAU voll aus dem Wagen stieg. Nach Besichtigung des Hauses fand der weitere Abend im engsten Familienkreis der Gastgeber und drei weiteren Thailandkennern bei angeregten Gesprächen und dem Austausch von Erinnerungen statt. So frei und voll ihren Scharm entfaltend kann man die Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn eigentlich nur im Ausland erleben. Die Zeit verstrich wie im Flug. Am nächsten Tag verlief der "offizielle" Teil genau wie geplant. Die reich geschmückten Gräber der Württembergischen Fürsten und Könige wurden gebührend bewundert, der kuriose Karzer führte in das vergangene Studentenleben ein, Schwärzloch war ein voller Erfolg, man hatte sich dort größte Mühe gegeben, und wir hatten das gesamte Ausflugslokal ganz für uns, denn eigentlich ist Dienstag Ruhetag, und selbst der auf dem Hof hinter dem Haus auftretende Stallgeruch schockte das Gefolge nicht. Bei Ihrer Königlichen Hoheit ist es an Überraschungen dieser Art durchaus gewöhnt, denn Prinzessin Sirindhorn kümmert sich, - ebenso wie die gesamte Königliche Familie, - in vorbildlicher Weise um die unterpriviligierten Bergvölker im Norden des Landes und stattet dort regelmäßig Besuche ab. Man hatte sich auch in Bebenhausen viel Mühe gegeben, das ehrwürdige Zisterzienser-Kloster führte in das Mönchsleben im späten Mittelalter ein 3 / 2 0 1 0 und das Königliche Jagdschloß unter anderem in die Zeit nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, als hier der erste Landtag Württembergs residierte. Besonders erstaunt zeigte sich das Gefolge über die äußerste Schlichtheit der Kammern der Abgeordneten. Allerdings war eine der Kammern noch so gestaltet, wie sie zu Mönchszeiten ausgesehen haben mag, mit schlichtem Holzbett, bedeckt mit Stroh, die der Dekan der Philosophischen Fakultät der Chulalongkorn Universität sogleich der damaligen Opposition im Landtag zuwies. Empfangen wurde die Prinzessin im Kloster und Schloß von einem Streichquartett des Tübinger Studentenorchesters, das die "Prinzessinnenhymne" spielte, unvergeßlich, wie sich eine Dame des Gefolges schamhaft eine Träne der Rührung aus den Augen wischte. Beim Abendessen im Grünen Saal des Schlosses, das von der Konsulin Thailands in Stuttgart ausgerichtet wurde, spielte das Quartett, die bekanntesten Volkslieder Deutschlands und trug so erheblich zum festlichen Charakter des Abends bei. Man kann wohl mit Recht feststellen, daß der Besuch Ihrer Königlichen Hoheit, Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn in Tübingen für sie und alle Beteiligten ein voller Erfolg wurde. © Christoph Mischke, BLICK Redaktion, Göttingen © Christoph Mischke, BLICK Redaktion, Göttingen 88 3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU Göttingen, BLICK Abdruck des Artikels und der vorstehenden beiden Bilder nach freundlicher Genehmigung von Christoph Mischke, BLICK Redaktion 89 THAILAND-RUNDSCHAU Reutlinger General-Anzeiger 90 3 / 2 0 1 0 3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU Reutlinger General-Anzeiger Reutlinger General-Anzeiger Abdruck der vorstehenden drei Artikel mit freundlicher Genehmigung des Reutlinger General-Anzeigers 91 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 100 Jahre Carl Werner Drewes Arnd D. Kumerloeve Das Stipendienprogramm der DTG ist somit nur eine der – wenn auch für uns besonders wesentlichen – Konsequenzen dieses überzeugten und beispielhaften Handelns. Seit 1982 gibt das Programm jungen Menschen aus Thailand, die Deutsch im Haupt- oder Nebenfach studieren, die Gelegenheit, Deutschland kennenzulernen. Am Anfang besuchen sie einen vierwöchigen Intensivkurs an einem hiesigen Goethe-Institut und vertiefen dann anschließend als Praktikanten in zwei Monaten ihre jeweiligen beruflichen Kenntnisse. Es soll dieses oft behandelte DTG-Programm hier nicht weiter vertieft werden (vgl. www.dtg.eu). Stellen wir uns die Deutsch-Thailändische Gesellschaft (DTG) als einen Tisch vor, rechteckig im klassischen Stil mit vier Beinen, vier Pfeilern. Jede Organisation wird von Menschen getragen und ausgehend von diesem Bild sind es vier Personen, die als die wichtigsten Eckpunkte für das Leben der DTG gelten können: Hellmut Girardet, Gerta Tzschaschel, Carl Werner Drewes und Hans Christian Lankes. Es gibt eine Reihe weiterer wichtiger Namen, die in fast 50 Jahren eine große Rolle gespielt haben (und sie werden zu gegebener Zeit an anderer Stelle gewürdigt), aber diese vier Personen haben sich in ganz besonderem Maße in die Arbeit der DTG „eingebrannt“. Hier und jetzt gilt es, an Carl Werner Drewes zu erinnern und ihn zu ehren. Er wurde am 19. November 2010 vor 100 Jahren geboren und verstarb am 14. August 1987 in Österreich. Er war Thailand in ganz außerordentlicher Weise verbunden und hat gegen Ende seines Lebens mehr und mehr Aktivitäten dem Ziel gewidmet, eine feste und krisensichere Grundlage der deutsch-thailändischen Beziehungen zu schaffen, womit er genau das getan hat, was auch die DTG in ihrer Arbeit zu erreichen versucht. Es hat ihn der Gedanke geleitet, daß er seine Erfolge mit anderen teilen müsse - „Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt. Das Geld, das ich in Thailand erworben habe, soll auch in Thailand bleiben“. Bildung war für ihn – wohl begründet - der wichtigste Ansatzpunkt und so ermöglichte er durch seine Spenden das Stipendienwerk der DTG und hat aus diesem Gefühl heraus bei vielfältigen anderen Anlässen im Sinne des erwähnten Ziels gewirkt und gespendet. 92 Carl Werner Drewes gehörte zu jenem Kreis von Geschäftsleuten, die schon vor dem 2. Weltkrieg enge Beziehungen zu Thailand aufgebaut haben. Im Alter von 26 Jahren verlegte er seinen Wohnsitz von Hamburg nach Bangkok, arbeitete kaufmännisch für verschiedene Firmen, u.a. für Agfa und wurde schließlich führender Gesellschafter der Fa. „Kosmos Ltd. Part.“, die er später in „Eurothai Industrial Supply Co., Ltd.“ umbenannte und die sich in erster Linie auf den Einkauf und Vertrieb von Hopfen, Malz sowie Brauereimaschinen und entsprechendem Zubehör spezialisierte (Kooperation mit Singha-Bier, Boon Rawd Brewery). So wurde er im Laufe der Zeit auch zu einem der wichtigen Mitglieder der Deutsch-Thailändischen Handelskammer (GTCC) und damit der BusinessCommunity von Bangkok. Er lebte insgesamt mehr als 50 Jahre in Thailand und war unter den deutschen Geschäftsleuten zum Schluß einer der legendären „Old-Timer“. Seine Verbundenheit mit Thailand – man kann es gar nicht oft genug sagen – war enorm und so verwundert es nicht, daß er nach seinem Tode in einer großen Würdigung der ‚Bangkok Post‘ als „Adopted Son of Thailand“ bezeichnet worden ist. Ein großartigeres Kompliment einer wichtigen Zeitung des Gastlandes ist kaum vorstellbar. Alle, die mit ihm zu tun hatten, schildern Carl Werner Drewes als einen sehr liebenswürdigen und geistreichen Gastgeber und Gesprächspartner. Im Kreise seiner „Peers“ in Bangkok war er berühmt für seine Fertigkeiten im Schach und im Skat – aus diesem Umfeld gibt es eine ganze Reihe von köstlichen Anekdoten. Auch eine fundierte Bildung hat ihn ausgezeichnet – es wird berichtet, daß er z.B. ohne Unterbrechung lange Texte von Goethe oder Gedichte von Christian Morgenstern zitieren konnte. Thailand war für ihn nie nur ein geschäftlicher oder gesellschaftlicher Standort, sondern er liebte das Land, seine Menschen und ihr Wesen. Mit viel THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Gespür und Behutsamkeit hat er hanseatische Werte mit asiatischen Verhaltensweisen verbunden. Unterhält man sich mit Menschen, die ihn gekannt haben, so sieht man in ihm eine seltene Mischung aus Gelassenheit und Souveränität, aus Würde und Ironie. Nachdem 1982 seine erste Frau Clara in Bangkok verstorben war, heiratete er 1984 erneut und lebte dann bis zu seinem Tode abwechselnd in Bangkok und Wien mit seiner zweiten Frau Edeltraud E. Drewes-Strieve. Sie besuchte die DTG anläßlich der Mitgliederversammlung 1999 und erzählte einiges aus dem gemeinsamen Leben. Im Jahre 2008 ist sie in Wien verstorben. Carl Werner Drewes blieb der Arbeit der DTG bis zu seinem Tode verbunden, ohne sich jedoch jemals in die Durchführung des Programms einzumischen. Überzeugend und souverän wie hier war er es auch in seiner sonstigen Spendenbereitschaft. So ließ er 1983 anläßlich der Internationalen Gartenbauausstellung in München im Westpark eine neun Meter hohe Thai-Sala aufstellen, in der u.a. bis heute regelmäßig das SongkranNeujahrsfest gefeiert wird. So spendete er mehrere Millionen für die Renovierung des Turms von St. Michaelis, dem Wahrzeichen seiner Heimatstadt Hamburg. Und ganz in dieser Tradition eines Mäzenatentums finanzierte er ein Grundstück für die Thai-Deutsche Kulturstiftung an der Kreuzung Sri Ayuthaya/Piyathai in Bangkok und ließ dort ein Haus für die Stiftung und das Goethe-Institut restaurieren. Heute steht an diesem Ort seine Büste gemeinsam mit einer Erinnerungstafel an den Beginn der Bauarbeiten 1986. Bundeskanzler Helmut Kohl war zu jener Zeit vor Ort und sagte u.a. in einer Rede: „Im Leben der Völker sind die kulturellen Beziehungen …. von größter Bedeutung. Deshalb ist dieser Tag auch für uns ein guter Tag, der ohne die großartige und uneigennützige Geste von Ihnen, Herr Drewes und Ihrer Gattin überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Ich möchte dafür unseren herzlichen Dank aussprechen.“ So wie Carl Werner Drewes in Thailand vielfach geehrte wurde, versteht es sich vor diesem Hintergrund fast von selbst, daß ihm in Deutschland das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen worden ist. Anläßlich seines hundertsten Geburtstages denkt die Deutsch-Thailändische Gesellschaft voller Dankbarkeit an ihn. Bangkok – Blick über die heterogene Megastadt Zum Titelbild der aktuellen Thailand-Rundschau Der Blick von einem Hotel an der Yaowarat Road nach Nordosten zeigt eine faszinierende Aussicht auf Bangkok: Im Vordergrund, vor allem auf der linken (nördlichen) Seite bis weit über die Bildmitte hinaus sind an den markanten gelben und roten Staffeldächern zahlreiche Kloster- und Tempelgebäude erkennbar - Zeugen aus der Zeit der Entstehungsgeschichte Bangkoks, als die Kloster- und Tempelanlagen, damals zumeist noch am Rand der damaligen Bebauung gelegen, einen großen Teil der Fläche der thailändischen Hauptstadt einnahmen. Im Zuge der Stadtausdehnung, vor allem in der 1960er und 1970er Jahren, wurden die vormaligen ein- und zweistöckigen Wohngebäuden und Shophouses dann durch mehrstöckige Häuser ersetzt. Diese bauliche Nachverdichtung erfolgte in sehr unterschiedlicher Weise, mit verschiedenartigsten Baustilen, -materialien, -höhen, durch individuelle Bauherren oder Investorengemeinschaften: Ein sehr heterogenes Bebauungsmosaik entstand. Seit der 1980er Jahren und vor allem seit dem Einsetzen des enormen Wirtschaftsbooms 1987/88 erfolgte dann eine weitere Nachverdichtung durch erneut höhere, moderne Wohn- und Bürohochhäuser (linke Bildmitte und außen-rechter Bildvordergrund) bzw. eine völlig neue Hochhausbebauung im großen Stil (Bildhintergrund), weitflächig im Bereich zwischen Rama IV- und Petchaburi Road sowie um die Sukhumvit Road und den Makkasan-Bahnhof. Rechts neben dem höchsten Gebäude, dem Baiyoke II-Tower, sieht man, verdeckt hinter einem schwarzen Baukörper, die Spitze des Baiyoke I-Tower, der 1988 das seinerzeit höchste Gebäude Thailands war. Seither wurden mehr als 250 Hochhäuser ähnlicher Höhe gebaut. Insgesamt entstanden in Bangkok seit 1988 mehr als doppelt soviel Büro- und Wohnfläche wie in der ganzen 200jährigen Geschichte Bangkoks vor 1988. Dieser Bauboom war zugleich Anlass und Beschleunigungsfaktor der sog. Asienkrise von 1997 sowie Motor der zunehmend globalisierten Entwicklung der thailändischen Hauptstadt. Bangkok ist über die Hauptstadt hinaus heute eine der führenden Megastädte im Großraum Südostasiens, wichtiges Infrastruktur-Drehkreuz in Asien, Knotenpunkt wirtschaftlichen Wachstums – und zweifellos Motor auch der gesellschaftlichen wie politischen Entwicklungen des gesamten Königreichs. Frauke Kraas 93 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Bangkok: Megastadt auf dem Weg in die Postmoderne Frauke Kraas Die thailändische Hauptstadt Bangkok ist seit Jahrzehnten die Megastadt mit dem weltweit ausgeprägtesten Primatstadtcharakter: In der Provinz (Changwat) Bangkok lebte 2007 mit offiziell ca. 5,72 Mill. Einwohnern (NSO 2008), realistischen Schätzungen zufolge mehr als 8 Mill. Menschen, knapp ein Zehntel der Landesbevölkerung; für 2010 wird die Zahl auf 6,98 Mio. Einwohner geschätzt (UN 2010: 44). Im gesamten megaurbanen Großraum Bangkok (Bangkok Metropolitan Region, d.h. in der Provinz Bangkok, Samut Prakan, Nonthaburi, Pathum Thani, Nakhon Pathom und Samut Sakhon) konzentrieren sich mehr als 10,07 Mio. Menschen (2007; NSO 2008). Alle höherrangigen politischen, wirtschaftlichen, administrativen und zivilgesellschaftlichen Institutionen sowie der weitaus größte Teil der Industrieunternehmen befinden sich im Großraum Bangkok (Bronger/Strelow 1996, Kraas 1996, McGee 1995). Weitere regional bedeutsame Städte, darunter Chiang Mai, Khon Kaen, Hat Yai, Chon Buri, Nakhon Sri Thammarat, treten an Größe und Bedeutung demgegenüber erheblich zurück. Wie sensibel die Megastadt als Gesamtsystem auf wirtschaftliche Veränderungen reagierte, zeigte sich sowohl im Wirtschaftsboom seit 1987/88 als auch 1997/98 während der sog. „Asienkrise“: Die sozioökonomischen Auswirkungen des enormen wirtschaftlichen Wachstums konzentrierten sich räumlich fast ausnahmslos auf den Ballungsraum Bangkok. Innerhalb des vor den 1980er Jahren bereits bebauten Stadtgebietes setzte ein rasanter Neubau von Büro- und Wohngebäuden ein und innerhalb des äußeren "Wachstumsgürtels" fand eine großflächige Ausweitung der Bebauung in die fruchtbare Schwemmlandebene des Maenam Chao Phraya statt, während die übrigen Provinzen Thailands fast nur in Tourismuszentren am Wachstum teilhaben konnten. Aber auch die Konsequenzen der „Asienkrise“ wurden überwiegend im Großraum Bangkok beobachtet: Die mit Abstand meisten Unternehmensschließungen und Entlassungen von Arbeitskräften erfolgten hier, unzählige Bauvorhaben wurden eingestellt, und massive Leerstände im Büro- und Wohnungssektor konzentrierten sich auf Bangkok. Bangkoks Modernisierung seit 1987/88 Fasst man die Entwicklung des Großraums Bangkok seit Einsetzen des Wirtschaftsbooms 1987/88 zusammen, so sind vor allem folgende Charakteristika hervorzuheben: Zweifellos erfuhr die Abb. 1: Heterogene Bausubstanz und -alter südlich der Altstadt 94 3 / 2 0 1 0 Abb. 2: Kontrast zwischen Tradition und Moderne am World Trade Center thailändische Hauptstadt im Zuge des rasanten Wirtschafts- und Infrastrukturwachstums durch Kapital-, Wissens- und Bevölkerungszustrom eine ungeheure Reorganisation und Modernisierung (Abb. 1). Aus der thailändischen Metropole wurde eine international wettbewerbsfähige Megastadt, deren Bedeutung und Reichweite innerhalb Südostasiens enorm gewachsen ist. Seit 1987/88 verdoppelte sich nicht nur die Zahl der Wohneinheiten und es verbreiterte sich die gesamte industrielle Produktion, sondern es veränderten sich massiv mit diversifizierter Einkommens- und Bildungssituation auch die städtischen Lebensstile: Internationalisierung von Handel und Konsum (Abb. 2), globales Freizeit- und Erholungsverhalten sind ebenso anzutreffen wie moderne Architektur und eine reiche Kunstszene. THAILAND-RUNDSCHAU Dabei verlief die Stadtentwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten weitgehend ohne steuernde Lenkung. Obwohl seit Ende der 1950er Jahre von mehreren thailändischen Behörden, zumeist im Rahmen ausländisch unterstützter Entwicklungszusammenarbeit konkrete Pläne und Zonierungsvorschläge zur Steuerung der Entwicklung ausgearbeitet waren, wurde kein Plan je offiziell als verbindlich beschlossen oder umgesetzt. Zur schwachen ordnungspolitischen Steuerung trugen eine sehr hierarchische, überwiegend personengebundene Entscheidungsfindung (ausgeprägte Patron-Klient-Beziehungen), ein stark zersplitterter Verwaltungsapparat ohne klare Aufgabenverteilung und mangelnde Kooperation der behördlichen Abteilungen sowie eine erhebliche Zunahme privatwirtschaftlicher Investoren aus dem In- und Ausland bei. Die räumliche Ausdehnung des Stadtgebietes erfolgt seit Anfang der 1980er Jahre vor allem entlang von Verkehrsachsen in die südöstlichen und nördlichen Nachbarprovinzen. Abb. 4: Verkehrsstau auf dem Autobahnring um Bangkok Abb. 3: Sozio-ökonomische Disparitäten auf engstem Raum am Westufer des Maenam Chao Phraya Mangelnde Reglementierung sowie Bodenspekulation ohne Erschließung oder geschlossene Bebauung von Flächen führten dazu, dass ein ungeregeltes Nutzungsmosaik entstand, d.h. ein unmittelbares Nebeneinander unterschiedlichster Flächennutzungen und mit großen baulichen Gegensätzen (Abb. 3): Landwirtschaftlich genutzte Flächen liegen somit heute direkt benachbart zu industrieller Produktion, Freizeitparks und Wohngebieten, oft in sehr kleinräumiger Vermischung, so dass Flächennutzungskonflikte nahezu „vorprogrammiert“ sind. Zu den größten Problemen Bangkoks zählen trotz Modernisierungsprozessen auch weiterhin unterschiedlichste Überlastungserscheinungen: Verkehrsstaus 95 THAILAND-RUNDSCHAU Abb. 5: Sukhumvit Road: Verkehrsträger auf zwei „Stockwerken“ 3 / 2 0 1 0 und Nahrungsmittel) sowie die Art der Nutzung von Raum und Zeit. Die neuen Sozialschichten prägen und tragen, bestimmen und finanzieren das moderne Bangkok. Aber erhebliche, wachsende sozio-ökonomische Disparitäten und soziale Polarisierung sind nicht nur innerhalb Bangkoks sowie vor allem zwischen den ländlichen Peripherien und der Hauptstadt zu beobachten – wie in den politischen Auseinandersetzungen unübersehbar wirksam ist, die letztlich auch aus zunehmender Ungleichheit zwischen städtischen Eliten und der ländlichen Bevölkerung erwachsen. Vor dem Hintergrund der jüngsten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen im Großraum Bangkok, die teilweise durchaus an vergleichbare Entwicklungen in anderen Megastädten der Industrie- und Schwellenländer erinnern (Kraas 2004, 2007), stellt sich die Frage, ob Bangkok sich nicht bereits auf dem Weg zu einer postmodernen Stadtentwicklung befindet? Mit dieser Frage verbinden sich die Entscheidungen, in welcher Weise die für die weitere Entwicklung der thailändischen Hauptstadt verantwortlichen Akteure ihre raumentwicklungspolitischen Präferenzen ausrichten könnten. Auch lassen sich gewisse Zukunftsvisionen und -szenarien ableiten. Bangkoks Übergang zur Postmoderne? (Abb. 4), hohe Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, Abwasser- und Abfallentsorgungsprobleme, Landabsenkungen durch starke Grundwasserentnahme und Hochhausbebauung sowie erhebliche Verkehrsstaus, selbst wenn sich durch den Bau von modernen Massenverkehrssystemen die Situation etwas entspannt hat (Abb. 5). In den letzten 20 Jahren verschärften sich zudem die Unterschiede zwischen den Lebenswelten: Zur angestammten Bevölkerung traten durch Zuwanderung neue Bevölkerungsgruppen aus den ländlichen Provinzen, neue ethnische und sprachliche Minderheiten sowie neue Sozial-, Einkommensund Verhaltensgruppen mit eigenen Lebensstilen und –präferenzen hinzu (Askew 1994, 2002, Sopon 1992). Mit steigendem wirtschaftlichem Wohlstand verändern sich besonders für die Mittel- und Oberschichten die Ansprüche an die Wohnfläche, den Ressourcenverbrauch (vor allem: Wasser, Energie 96 Der US-amerikanische Geograph Edward Soja stellte in einer visionären Monographie zur Theorie postmoderner Urbanisierung (2000) sechs charakteristische Prozesse heraus, die symptomatisch für eine postmoderne Stadt sind. Sinngemäß sind dies: (1) der Umbau vormals fordistisch geprägter Produktion zu flexiblen Produktionssystemen, (2) der Umbau einer Stadt zu einer sog. „global city“, (3) die Errichtung urbaner Großinfrastrukturen, (4) die Zunahme städtischer Polarisierung und sozialer Segregation, (5) die Sicherung der Ordnung in der Stadt durch private Sicherheitssysteme und (6) ein Bruch mit ursprünglichen Vorstellungen über das „Urbane“. Für Soja dient die global ausgerichtete Megastadt Los Angeles als Paradebeispiel insofern, als hier die vom Konsum geprägte und von ihm abhängige Stadt mit künstlichen Konsumund Freizeitwelten und ausgeprägter Konsumarchitektur sehr augenfällig zutage tritt. Gemessen an den genannten Kennzeichen befindet sich auch Bangkok auf dem Weg in die Postmoderne: 1. Teile der thailändischen Wirtschaft beginnen sich seit wenigen Jahren jenseits der dominierenden, arbeitsintensiven industriellen Pro- 3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU duktion – die von hohen Beschäftigtenzahlen mit oft Abb. 6: Neue Großinfrastrukturen sollen die Verkehrsüberlastung in Bangkok lindern helfen nur geringem Ausbildungsgrad und Massenproduktion gekennzeichnet ist - einer dienstleistungsorientierten Produktion zuzuwenden, bei der höhere Bildung, Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sowie Konsum- wie Telekommunikationsorientierung gefragt sind (Schiller/Mildahn/ Revilla Diez 2009). So hat sich beispielsweise ein humankapitalintensiver Sektor der Automobil- und Elektronikindustrie etabliert; aber auch hochqualitative Design- und Kosmetikprodukte, erzeugt in flexibler Marktanpassung, erreichen inzwischen international wettbewerbsfähiges großregional bedeutsame Institutionen. GleichNiveau. zeitig sind zunehmende Polarisierungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt erkennbar. 2. In Bangkok haben sich inzwischen, wenn auch bisher erst wenige Funktionen einer großregio3. Deutlich tritt in Bangkok seit einigen Jahren ein nal, weniger bisher auch global bedeutsamen erheblicher Umbau der städtischen Gliederung Stadt angesiedelt. Zu diesen gehören etwa inhervor: Nicht mehr ein einziger Kern bildet das ternationale Finanz- und Versicherungsunterwirtschaftliche Zentrum (etwa die Altstadt oder nehmen, wenige „Kommandozentralen“ internaein „central business district“), sondern mehrere tional operierender Unternehmen, das Konwirtschaftliche Zentren entwickelten sich - etwa gresszentrum, der internationale Flughafen oder die Bereiche um Central, Sukhumvit, Silom oder Sathorn. Große Infrastrukturneubauten, wie Abb. 7: Heterogenes Landnutzungsmosaik im "urban fringe" von Bangkok: der neue Flughafen SuLandwirtschaft und Brachflächen in direkter Nachbarschaft zu dichter Wohnbebauung und Industrieunternehmen vannabhumi, neue Autobahnkreuze oder Hafenneubauten wurden errichtet (Abb. 6). Moderne, großflächige - innenstädtische wie suburbane - Wohnquartiere wurden gebaut, die oft quasi wie Satellitenstädte mit einem hohen Grad an wirtschaftlicher und organisatorischer Unabhängigkeit ausgestattet sind, d.h. mit eigenen Einkaufszentren, Schulen, Krankenhäusern oder Freizeit- und Erlebniswelten. Großprojekte, wie etwa Muang Thong Thani, belegen die eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Staates bzw. einer 97 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 bachten, so etwa durch kontrollierten bzw. kontrollierbaren Zugang zu Wohngebieten, Einkaufszentren und Freizeiteinrichtungen. Auch eine Kontrolle von zumindest Teilen der Stadt durch private Sicherheitssysteme ist zu finden – wie etwa in sog. „gated communities“ (Abb. 8) und Apartmenthochhäusern, z.B. entlang der Sukhumvit Road oder großflächigen Wohnkomplexen entlang der Ausfallachsen zum Eastern Seaboard. Was speziell das Merkmal der Konsum- und Freizeiteinrichtungen angeht, so ist Bangkok ungewöhnlich gut ausgestattet: Das Einkaufszentrum Central World z.B. ist mit mehr als 550.000 m2 der derzeit größte „lifestyle shopping complex“ in Südostasien, in dem über 500 Geschäfte, mehr als 50 Restaurants und 20 Kinos sowie zwei Department Stores, zudem in Verbindung mit dem Bangkok Convention Centre und dem World Hotel Bangkok zu finden sind. Weitere große Komplexe, wie das Siam Paragon oder das Mah Boon Krong Shopping Centre, The Emporium, Siam Centre oder Amarin Plaza, belegen die mehrkernige Struktur der Konsumzentren in der Stadt. Stadtverwaltung und sind Elemente postmoderner Fragmentierung der Städte in multizentrische Strukturen und unabhängige Siedlungsbereiche („Heteropolis“). Wenn auch in Bangkok sog. „gated communities“, d.h. bewachte und nur für autorisierte Bevölkerungsgruppen zugängliche Wohngebiete, bisher im Vergleich zu anderen Weltregionen (etwa Nord- und Südamerika) noch wenig anzutreffen sind, und auch „High-tech“-Korridore, wie z.B. Silicon Valley/USA, Orange County/USA oder Cyberjaya/Malaysia, bisher nicht errichtet wurden, so wird doch deutlich, wie sehr eine „Verinselung“ der Stadtstruktur in völlig unterschiedliche Nutzungen auch in Bangkok längst eingesetzt hat (Abb. 7). Hierzu zählt auch die Zunahme städtischer Polarisierung zwischen Teilräumen und Angehörigen unterschiedlicher Einkommens-, Bildungs- und Lebensstilgruppen sowie Bevölkerungsgruppen unterschiedlichster Herkunft, Machtbefugnisse und Integrationschancen. Gerade die unteren Einkommensgruppen werden hierdurch – allen Aufwertungsund sozialen Hilfsprojekten zum Trotz – letztlich zunehmend marginalisiert, selbst wenn es Beispiele gelungener Vorgehensweise gibt, die von gewisser Teilhabe am Wirtschaftswachstum zeugen mögen. 4. Zumindest teilweise ist auch in Bangkok bereits eine Privatisierung öffentlichen Raumes zu beoAbb.8: 98 5. Am wenigsten greifbar ist in Bangkok noch der Bruch mit gängigen Vorstellungen über die Aufgaben und Funktionen sowie den Verständnis von „Urbanität“: Während diese im „traditionellen“ Sinne die Stadt als einen Inbegriff wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Entfaltung und Freiheit verstand („Stadtluft macht frei“), so Postmoderne Luxusvillen in einer "gated community" THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 beginnen sich aktuelle städtische Wirklichkeiten inzwischen von diesem eher „europäischbürgerlichen“ Konzept zu entfernen. Der zunehmende Verlust an Ursprünglichkeit, Authentizität und urbanem, historischem Kulturerbe (Tiamsoon 2009; Abb. 9), mangelhafter Fähigkeit zu sozialem Ausgleich, nachlassende Integrationsfähigkeit und nachlassende Steuerbarkeit städtischer Entwicklung führen dazu, dass über „Stadt“ als komplexes Gefüge neu nachgedacht werden muss. Für Bangkok bedeutet dies durchaus konkret, dass sich die für die weitere städtische Entwicklung verantwortlichen Akteure – von Verwaltung, Wissenschaftlern und Planern über die Entscheidungsträger der Privatwirtschaft bis hin zu Aktiven in zivilgesellschaftlichen Gruppen (Nicht-Regierungsorganisationen wie Nachbarschaften) - in Querschnittsgremien über die unterschiedlichen Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung Bangkoks verständigen müssten. Abb. 9: Urbanes Erbe im Schatten postmoderner Bauentwicklun- gen am Maenam Chao Phraya Entwicklung von Visionen? Inwiefern lassen sich aus den vorausgegangenen Gedanken und Beobachtungen Anregungen für die zukünftige Entwicklung der thailändischen Hauptstadt ableiten und – in gewissem Maße – Zukunftsvisionen formulieren? Zunächst muss gesagt werden, dass es sich bei der Bezeichnung, dem Konzept und der Theorie einer „postmodernen Stadtentwicklung“ nicht um eine zwangsläufig „gegebene“ Wirklichkeit, auch nicht eine in sich schlüssige Theorieofferte handelt. Auch kann gefragt werden, ob es sich nicht eher um eine Konstruktion von Wirklichkeit und eine (zumindest fragwürdige) Übertragung von Beobachtungen in Nordamerika auf Bangkok handelt? Bei aller möglichen Zurückhaltung der Konzeption und Vorsicht einer Übertragbarkeit gegenüber ist jedoch anzuerkennen, dass sich in Bangkok seit einigen Jahren in erheblichem Maße Entwicklungen beobachten lassen, die sich auch in anderen Megastädten der Welt finden. Entsprechend sollte – wie bei anderen Megastädten weltweit auch – über einige für die zukünftige Entwicklung Bang- koks wesentliche Rahmenbedingungen nachgedacht werden: 1. Mehr als früher sind Städte und Megastädte das Ergebnis von Entscheidungen und Handlungen vielzähliger Akteure – Individuen, Gruppen, Interessensgemeinschaften, strategischen Allianzen, Parteien etc. Und so wäre es auch für Bangkok sinnvoll, dass überinstitutionell legitimierte Vertreter aus den Bereichen von Verwaltung, Planung, Aristokratie, Militär, Sangha, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in einen Dialog über Rolle und Entwicklungsrichtung der thailändischen Hauptstadt im internationalen und nationalen Rahmen eintreten würden – als ein räumlich fokussierter Teil der längst die gesamte thailändische Gesellschaft betreffenden Diskussion. Dies würde einem (post)modernen, multiperspektivischen 99 THAILAND-RUNDSCHAU Verständnis von Stadtentwicklung entsprechen – auch wenn es zumindest für Bangkok ein neuer, unkonventioneller Weg des Austausches von Vorstellungen und Interessen wäre. In Zukunft kann es weder allein um die Stärkung reglementierenden Eingreifens von Verwaltungen und Regierungen „von oben“ noch allein um Strategien der Befähigung und Machtverstärkung („enabling“ und „empowerment“) bereits bestehender Formen der Selbstorganisation und Selbststeuerung „von unten“ gehen, wie sie z.B. als private-publicpartnerships, Nachbarschaftsverbindungen und community-based networks (squatters movements, women´s refuges etc.) auch in Bangkok existieren. Vielmehr sind komplexe, übergreifende Ansätze zu entwickeln, die vor allem auf die Abwendung sozialer Verwundbarkeit, die Entwicklung und Stärkung sozial angepasster Steuerungsformen und die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen zielen. Das aus europäischer Sicht nahe liegende Ziel, neben offiziellen Verwaltungen eine breite und ausreichende Partizipation demokratisch legitimierter Akteure sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen zu sichern, wird aber angesichts stark hierarchisch strukturierter und handelnder Administration und Steuerung voraussichtlich auf absehbare Zeit noch ein nur in geringem Masse realistischer Wunsch bleiben. 2. Ebenfalls für Bangkok neu wäre es, wenn Entwicklungsvisionen aus einer Balance von „Innen-„ und „Außensicht“ heraus entwickelt würden, d.h. wenn Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung – unter Einbeziehung der Mittelebenso wie der Unterschichten – ebenso einfließen würden wie Kenntnisse über die notwendige Ausstattung einer wettbewerbsfähigen globalen Metropole. Hierzu zählen Mindeststandards an Lebensqualität ebenso wie ein gewisses Maß an Authentizität der Stadtentwicklung, Kultur- und Kunstszene sowie Konsum- und Freizeitangebote. 3. Voraussichtlich werden sich bei Zukunftsvisionen absehbar tradierte, unterschiedliche Grundvorstellungen der Landesentwicklung an der zentralen Frage scheiden, ob man (a) vorrangig die Hauptstadt stärken soll, damit Thailand international wettbewerbsfähiger wird, und zugleich dann für einen regionalen Ausgleich zwischen den Provinzen sorgen soll, oder ob man (b) vorrangig eine Dezentralisierungsstrategie wählt, bei der Finanzmittel und Entscheidungs- 3 / 2 0 1 0 befugnisse gezielt von der Hauptstadt weggeleitet werden, damit die peripheren Landesteile eine verstärkte direkte Chance auf Teilhabe an den sozioökonomischen Entwicklungen Thailands erhalten. Literatur Askew, M. (1994): Interpreting Bangkok: The Urban Question in Thai Studies. Bangkok. Askew, M. (2002): Bangkok. Place, practice and representation. London. Bronger, D., M. Strelow (1996): Manila - Bangkok Seoul. Regionalentwicklung und Raumwirtschaftspolitik in den Philippinen, Thailand und Südkorea. Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg 272. Kraas, F. (1996): Bangkok. Ungeplante Megastadtentwicklung durch Wirtschaftsboom und soziokulturelle Persistenzen. Geographische Rundschau 48 (2): 89-96. Kraas, F. (2004): Aktuelle Urbanisierungsprozesse in Südostasien. Geographica Helvetica 59 (1): 30-43. Kraas, F. (2007): Megacities and Global Change in East, Southeast and South Asia. Asien 103: 922. McGee, T.G. (1995): Metrofitting the Emerging Mega-Urban Regions of ASEAN: An Overview. In: McGee, T.G., Robinson, I.M. (eds.): The Mega-Urban Regions of Southeast Asia. Vancouver: 3-26. NSO (National Statistical Office) (2008): Key Statistics of Thailand 2008. Bangkok. Schiller, D.; Mildahn, B.; Revilla Diez, J. (2009): Barriers against the transfer of knowledge between universities and industry in newlyindustrialised countries: an analysis of university-industry linkages in Thailand. In: Varga, A. (ed.): Universities, Knowledge Transfer and Regional Development. Cheltenham: 295-320. Soja, E.W. (2000): Postmetropolis. Critical studies of cities and regions. Oxford. Sopon Pornchokchai (1992): Bangkok Slums. Review and Recommendations. Bangkok. Tiamsoon Sirisrisak (2009): Conservation of Bangkok old town. Habitat International 33: 405–411. UN (United Nations) (2010): World Urban Prospects. The 2009 Revision. Highlights. New York. Abb. 1-9: © Frauke Kraas Prof. Dr. Frauke Kraas arbeitet als Stadt- und Sozialgeographin an der Universität zu Köln. Seit 1989 engagiert sie sich für die Deutsch-Thailändische Gesellschaft, 1991-1993 im Beirat, seit 1993 Mitglied des Vorstands, von 1997 bis 2009 als Vizepräsidentin, seit 2009 als Präsidentin. 100 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 »Essen wie die Tiger« Die Regionalküche des Isaan und die Politik der Ernährung in Thailand Marin Trenk In kulinarischer Hinsicht durchzieht Thailand eine Linie, die die südliche Landeshälfte, also Bangkok und die Zentralprovinz sowie den eigentlichen Süden, vom Norden und Nordosten scheidet. In den beiden südlichen Regionalküchen ist Reis das Grundnahrungsmittel, Fischsauce (nam plaa) ist als Gewürz unverzichtbar, und viele Gerichte werden mit Kokosmilch zubereitet. In den beiden nördlichen Regionalküchen dagegen bildet „Klebreis“ die Grundlage jeder Mahlzeit, es wird mit plaaraa, einer Variante der Fischsauce gekocht, und Kokosmilch findet außer bei der Zubereitung von Süßspeisen keine Verwendung. Außerdem wird im Norden rohes Fleisch geschätzt, während es in den anderen Landesteilen verpönt ist. Ein Aspekt steht quer zu dieser kulinarischen Nord-Süd-Teilung: Während man die chilibegeisterte thailändische Küche insgesamt als scharf bezeichnen kann, tun sich zwei Regionen durch besondere Schärfe hervor: der Süden und der Isaan. Demgegenüber tut sich die Küche Bangkoks und der Zentralprovinz durch einen verschwenderischen Umgang mit Zucker hervor, der vor fast keinem Gericht mehr halt macht. Dieser Trend erfasst allerdings zunehmend ganz Thailand. Wenn ein Reisender am Busbahnhof von Chiang Rai, im äußersten Norden Thailands, oder in Krabi, tief im Süden, ankommt, kann er seinen Hunger an Essensständen stillen, die typische zentralthailändische Speisen anbieten. An beiden Orten findet er auch Garküchen des Isaan vor. Gerichte des Nordens und Südens dagegen findet man außerhalb ihrer Heimatregionen nur gelegentlich. Auf die zentralthailändische und isaanische Küche dagegen stößt man in allen Landesteilen. Bei diesen beiden expansiven Küchen haben wir es freilich mit zwei sehr unterschiedlichen Phänomenen zu tun. Dass einige Speisen aus der Küche des politischen Zentrums des Landes im gesamten Königreich geschätzt werden, ist nicht verwunderlich. Erstaunlich ist die Verbreitung der Küche des Isaan, Thailands marginalisiertem Nordosten (zu dessen Geschichte siehe Grabowsky 1995). Viele Thai sehen im Nordosten eine rückständige Provinz, und das bäuerliche Essen des Isaan galt besonders in Bangkok lange Zeit als ungenießbar. Trotzdem hat sich ahaan Isaan, die regionale Ess- kultur, über ganz Thailand verbreitet. In jüngster Zeit konnten sich Isaan-Restaurants sogar am Siam Square in Bangkok etablieren, dem kommerziellen Herz der Mega-Metropole. Wie konnte es soweit kommen? Die „extreme Cuisine“ des Isaan Um die Mitte des 19. Jahrhunderts notierte der Bischof Pallegoix (1976: 16), dass sich die Ernährung der „Lao“ von jener der Thai unterscheide. Das Grundnahrungsmittel der Lao, wie man damals neben den heutigen Laoten auch die Bewohner des Isaan sowie ganz Nordthailands nannte, sei Klebreis und ihr Lieblingsessen fermentierter Fisch; mit Chili vermischt, verstünden sie daraus eine Sauce zu bereiten, die sie zu ihrem Reis essen würden. Daneben schätzten sie den Genuss von Schlange, Eidechse, Frosch und Ratte so sehr, dass sie sich damit begnügten, diese Tiere einfach auf den Grill zu legen. Der Franzose hat mit dieser knappen Bemerkung zwei wesentliche Aspekte der Isaan-Küche benannt und bereits deren Neigung zur „extreme cuisine“ erkannt (vgl. Hopkins 2004). Seither wurde zur lokalen Esskultur wenig geschrieben und noch weniger geforscht. Besucher aus dem Westen, farang, die es als Entwicklungshelfer (Comeaux 2002: 135-142) oder, in steigender Zahl, als Ehemänner in den Isaan verschlagen hat, delektieren sich gerne an den vermeintlich abstoßenden Facetten der Esskultur vor Ort. Der Wahl-Isaaner Ruffert etwa meint, dass einem nach 101 THAILAND-RUNDSCHAU dem Verzehr von Papayasalat „die Flammen aus dem Hals schlagen“ (Ruffert o. J.: 80) würden. Auch scheinen ihm gewohnte Beschränkungen und Tabus zu fehlen, so dass der lokale Appetit vor kaum etwas das Kreucht und Fleucht Halt mache, seien es Ratten, Reptilien oder Insekten: „Auf den Märkten und am Straßenrand bieten fliegende Händler all das, was wir normalerweise mit der Fliegenklatsche erschlagen oder mit der Spraydose erledigen, als Delikatesse an“ (Ruffert o. J.: 82). Sehr gründlich sind dagegen die Studien zweier französischer Wissenschaftler ausgefallen, die eine Bestandsaufnahme der Alltags- und Festtagsküche zweier Dörfer in der Provinz Khon Kaen bieten (Levy-Ward 1993; Formoso 1993). Am nachhaltigsten könnte aber ein Roman die Wahrnehmung der Ernährungsgepflogenheiten des Isaan geprägt – und in die Irre geführt haben. A Child of the Northeast von Kampoon Boontawee (1976/1991) spielt im frühen 20. Jahrhundert und handelt von einer Zeit der anhaltenden Trockenheit und folglich großen Not für die Bevölkerung eines Dorfes in der Provinz Ubon. In dieser Erzählung, die ähnlich behäbig wie die Flüsse des Isaan daherkommt und dabei eine Fundgrube für die lokale Essordnung ist, scheinen die Menschen schlichtweg alles Essbare zu vertilgen. Neben Grillen und Zikaden werden mit gutem Appetit auch deren Eier verspeist, laab wird nicht nur von Fröschen, Geckos oder Chamäleons, sondern auch vom Skorpion und der Tarantula zubereitet, ja selbst Eulen werden für ein Curry nicht verschmäht. Kampoon betont zwar, für wie köstlich den Isaanern diese Speisen gelten (1991: 35, 179, 239, 403). Trotzdem kann beim Lesen das Missverständnis entstehen, die schiere Not habe die Menschen des Isaan in eine besonders hemmungslos omnivore Spezies verwandelt, und nicht vielmehr die lokalen Geschmackspräferenzen. Der amerikanische Ethnologe Marvin Harris (1988) hat in seinem populären Werk Wohlgeschmack und Widerwillen den recht ethnozentrischen Fehlschluss, dass „dem Menschen“ Insekten eigentlich nicht schmecken würden, sogar zur einzig angemessenen wissenschaftlichen Sichtweise erklärt (1). Ahaan Isaan: Das rohe und das gekochte Laab Der Isaan, die Volksrepublik Laos und der Norden Thailands um Chiang Mai herum bilden die einzige Region der Welt, deren Grundnahrungsmittel Klebreis (kao niao) ist. Klebreis wird nicht gekocht, sondern gewöhnlich über Nacht in Wasser eingeweicht und dann morgens als erstes in jedem Haushalt im Dampf gegart. Er wird zu allen Mahlzeiten in geflochtenen Körbchen aufgetragen und daraus mit der Hand gegessen, wobei er zu kleinen Bällchen geformt wird, mit denen die übrigen Speisen aufgenommen werden, sofern sie nicht zu flüssig sind. 102 3 / 2 0 1 0 Neben Klebreis als der Grundlage jeder Mahlzeit stellt paa daek (auf Thai plaa raa genannt, „vergammelter Fisch“) das prägende Ingredienz der Isaan-Küche dar. Dabei handelt es sich um fermentierten Fisch oder eine fermentierte Fischsauce, die eine intensiv riechende und schmeckende Variante der herkömmlichen thailändischen nam plaa darstellt. Im Isaan werden beide Fischsaucen verwendet, wobei paa daek vielen lokalen Gerichten eine dunkle Färbung und fast erdige Geschmacksnote verleiht, die sich deutlich von dem vergleichsweise lieblichen Ton vieler thailändischer Speisen abhebt. Wenn thailändisches Essen ein sehr gewürzintensives Zusammenspiel von Schärfe, Säure und Süße ist, dann gilt für die Küche des Isaan, dass sie nicht nur schärfer und säuerlicher ist, sondern einen ausgesprochenen Zug zum Herben und Bitteren aufweist. Sogar die Verwendung von Galle als Gewürz kennt diese Küche. Deswegen erschließt sich die Isaan-Küche dem Neuling nicht so leicht. Im Isaan steht somtam täglich auf dem Speiseplan, es ist das bekannteste und beliebteste Gericht. Som tam (wörtlich: sauer, gestampft) ist ein Salat auf der Basis von grüner Papaya und wird mit paa daek in einem Mörser angemacht. Somtam ist ein herber und wahrlich scharfer Genuss, da gewöhnlich fünf bis zehn Chili pro Portion verwendet werden. Papayasalat mit Klebreis gilt als Alltagsessen; wenn es dazu noch mariniertes gegrilltes Huhn gibt, haben wir eine Kombination vor uns, die vielfach als der Inbegriff des kulinarischen Isaan gilt. Obwohl es sich bei somtam um einen Salat handelt, wird das Gericht nicht als Salat (yam) klassifiziert, sondern bildet eine eigene Kategorie von Speisen. Dies unterstreicht den besonderen Status, der dem Gericht zukommt. Die für die zentralthailändische Küche wichtige Kategorie yam oder Salat, zu der einige der markantesten Gerichte des Landes zählen, spielt im Isaan eine bescheidene Rolle. Salate klassifiziert man im Isaan gewöhnlich nicht als yam. Ein Beispiel ist sup noomai, ein Salat aus fermentiertem Bambus, der eine eigene, sup genannte Speisenkategorie begründet. Wichtiger ist, dass viele Salate auf der Basis von Fleisch oder Fisch im Isaan nicht als yam gelten. Darunter sind viele Gerichte, durch die sich die Küche des Isaan hervortut und die zum Kern ihrer kulinarischen Identität gehören, allen voran laab. Marco Polo berichtete, Bewohner der südchinesischen Provinz Yunnan würden aus kleingehackter roher Leber und anderen Innereien mit viel Pfeffer, Knoblauch und Kräutern ein Gericht zubereiten, das bei allen sozialen Gruppen sehr beliebt sei (vgl. Brennan 1981: 19f.). Da die Thai aus Südchina stammen, könnte dies der erste Hinweis auf den Genuss von laab unter den dortigen Taisprachigen oder benachbarten Völkern sein. 3 / 2 0 1 0 Laab gibt es in zwei Arten, entweder gekocht oder roh. Für gekochtes laab (laap suk) wird Fleisch gehackt, kurz aufgekocht und schließlich mit getrocknetem Chili, Fischsauce und Limettensaft abgeschmeckt, wobei reichlich Minze dem Gericht seinen frischen Geschmack verleiht. Dabei werden Schärfe und Säure durch kao khua ausgeglichen, Klebreis, der ohne Fett geröstet und dann zerstoßen wird. Erst kao khua, der überraschend nussig schmeckt, macht laab zu dem großen und charakteristischen Gericht des Isaan. Laab, das meist lauwarm serviert wird, lässt sich aus allen Fleischsorten herstellen, wobei zur Herstellung nur Chili, Limetten und kao khua unverzichtbar sind, ansonsten aber zahllose Variationen davon existieren. Bei dem nam tok („Wasserfall“) genannten Gericht handelt es sich um eine Version von laab auf der Basis von gegrilltem Fleisch und bei tap waan auf der Basis von Leber. Das rohe laab (laap dip; auch goy genannt), das Carpaccio des Isaan, wird aus dem Fleisch von Rind oder Wasserbüffel und bisweilen von Fisch und sogar Schwein (aber keinesfalls von Huhn) zubereitet. Bei rohem laab, das traditionell eine den Männern vorbehaltene Festspeise gewesen war, zu der man reichlich Selbstgebrannten (lao kao) trank, tobt sich die Neigung zum extremen Essgenuss aus: So ist es nicht unüblich, das fertige Gericht durch den Zusatz von Blut, Galle oder kii pia, einer grünlichen Magenflüssigkeit, abzuschmecken (wobei mit Galle und kii pia bisweilen auch das gekochte laab gewürzt wird). Die Zubereitung dieser virilen Sorte von laab gilt als Männersache. Zu rohem wie zu gekochtem laab isst man immer reichlich Kräuter und rohes Gemüse. Während die im Wok gerührten Gerichte, wie sie für die Zentralprovinz typisch sind, in der Küche des Isaan fehlen, spielen Curries (gaeng), ähnlich wie in den anderen Regionalküchen, eine wichtige Rolle. Curries sind häufig rein vegetarisch, andere dagegen mischen (wenig) Fleisch mit (viel) Gemüse, und sie werden immer mit der intensiven Fischsauce plaa raa und häufig mit herben und bitteren Kräutern abgeschmeckt, die ihnen einen unverwechselbaren Geschmack geben. Die Curries des Isaan würden bei uns eher als Suppen gelten, sie haben nichts mit dem thailändischen Curry gemein, das mit Kokosmilch zubereitet wird. Daneben gibt es noch Gerichte vom Typ der thailändischen tom yam (wörtlich: „gekochter Salat“, weil sie zwar gekocht, aber scharf und sauer wie ein Salat sind), die sich nicht immer klar von einem Curry abgrenzen lassen, und die im Isaan einfach tom („Gekochtes“) heißen. Am bekanntesten ist tom saeb, eines der raren Gerichte der Region, das eine lange Garzeit benötigt. Dabei handelt es sich um eine Art Saures Lüngerl oder Beuschel, Isaan-style. Lunge, sowie Herz, Magen und Därme werden zu einer reichhaltigen, säuerlich und scharf schmeckenden Suppe gekocht. Tom saeb zählt man im Isaan zu den großen Delikatessen, die bei THAILAND-RUNDSCHAU keiner wichtigen Feier fehlen dürfen. Auch tom saeb wird gelegentlich mit Gallenflüssigkeit (dii) abgeschmeckt. Mit somtam, laab, sup, gaeng und tom haben wir einige der wichtigsten, aber noch keineswegs alle Speisetypen der Isaan-Küche kennen gelernt. Neben den zahlreichen Dips (nam prik, wörtlich: Chiliwasser), die zumeist mit der Fischsauce paa daek angemacht werden und häufig so gehaltvoll sind, dass sie als eigenständige Gerichte angesehen werden müssen, spielt noch Gegrilltes (yaang), im Dampf Gegartes (neung) und in Blättern Gedünstetes (mok) eine wichtige Rolle, die hier nur angedeutet werden kann. Und die Insekten, für deren Verzehr der Isaan so verschrien ist? Insekten finden nur bisweilen Eingang in die erwähnten Speisen, etwa wenn die begehrten Ameiseneier zu einem Curry verarbeitet werden. Zwar isst man im Isaan begeistert und ganz selbstverständlich vielerlei Arten von Insekten, aber sie gelten eher als Snacks, die man zwischen den Mahlzeiten genießt. Reis auf den Feldern, Fische im Wasser & Coke im Kühlschrank Die Bedeutung des Essens für die Menschen des Isaan kann man sich gar nicht groß genug vorstellen. Als Fremder wird man immer wieder darauf angesprochen, ob man die einheimischen Speisen essen könne – ahaan gin pen bo? Das Seltsame an dieser Frage ist, dass sie nicht darauf zielt, ob einem das Essen schmeckt, sondern ob man im Stande ist, es zu sich zu nehmen. Dabei mag die Schärfe eine Rolle spielen, aber mehr noch die Erfahrung, dass Fremde ihre Küche, die über die Schärfe hinaus zu extremen Geschmäckern neigt, häufig in Bausch und Bogen ablehnen. Es gehört zu den erstaunlichen Erfahrungen einer Feldforschung im Isaan, dass viele der dort eingeheirateten Fremden selbst nach Jahren die Küche kaum kennen und sich weigern, von den meisten Speisen, die in ihren Familien täglich gegessen werden, überhaupt zu probieren. Heute ist diese Cuisine allerdings tiefgreifenden Prozessen des Wandels ausgesetzt. Bevor ich mich diesen zuwende, muss ich zunächst einen Faktor der Beharrung ansprechen. Auf der berühmten Stele von Sukhotai aus dem Jahr 1292, die von der Macht des Königs und vom Wohlstand seines Königreichs kündet, heißt es: „Zur Zeit König Ramkamhaengs blüht Muang Sukhotai. In den Gewässern gibt es Fische, in den Feldern gibt es Reis.“ Mit Reis und Fisch haben wir das alte thailändische Ernährungsmuster vor uns, das im Isaan seine Gültigkeit nicht verloren hat. Obwohl es sich häufig nicht rechnet, baut auf dem Lande so gut wie jede Familie ihren Reis an, und darüber hinaus bieten die überfluteten Reisfelder mit den benachbarten Gewässern einen 103 THAILAND-RUNDSCHAU kaum versiegenden Strom von Essbarem an. In der bäuerlichen Kultur des Isaan kommt dem Jagen und Sammeln kulinarisch noch eine erstaunliche Bedeutung zu. Dennoch zeichnen sich bei der alltäglichen Ernährungsweise drastische Veränderungen ab. Auch wenn die herkömmliche Struktur der Mahlzeiten weitgehend intakt ist, sind Prozesse ihrer Auflösung unübersehbar. In traditionellen Agrargesellschaften, stellt Sidney Mintz (1992) fest, besteht eine Mahlzeit immer aus einem Grundnahrungsmittel in Gestalt eines komplexen Kohlenhydrats, dem eine oder mehrere geschmacksintensive Beilagen zugeordnet werden, die diese kohlehydratreiche Speise überhaupt erst schmackhaft machen. Mintz nennt dies das Core-Fringe-Model der menschlichen Ernährung, wie es über Jahrtausende hinweg Bestand hatte. Im Isaan ist dieses „core“ natürlich der Klebreis, zu dem gewöhnlich einige Gerichte als „fringe“ gereicht werden, die man in Thailand pauschal gap kaao (wörtlich: mit Reis) nennt. Während sich früher der Tag in drei Mahlzeiten dieser Art gliederte, kann dies heute nicht mehr als selbstverständlich gelten. Manche Erwachsenen und viele Kinder bevorzugen ein schnelles Frühstück nach westlichem Vorbild und trinken morgens Kaffee oder Milch und essen dazu Cornflakes. Schulkinder bekommen in Thailand neben Milch auch eine Schulspeisung, und das bedeutet im Isaan, dass sie mittags zumeist ein thailändisches Essen mit Reis vorgesetzt bekommen, und nicht Klebreis mit den gewohnten Speisen (vg. Hetzelt 2009). Aber auch die verbliebenen Mahlzeiten haben sich geändert. Während es Fleisch früher nur zu festlichen Anlässen gab, sind heute Schweinefleisch, Geflügel und Zuchtfische billig zu haben. Nach meinem Eindruck wird im Isaan zwar nicht zu allen Mahlzeiten, aber zumindest einmal täglich Fleisch gegessen, wenn auch bei weitem nicht in den aus dem Westen vertrauten Mengen. Die lokale Vorliebe für rohes und gekochtes Gemüse ist von dieser Entwicklung unbeeinflusst geblieben. Ein weiterer Effekt dieser Entwicklung ist, dass die ausgesprochenen Festspeisen des Isaan, wie laab oder tom saeb, ihren exklusiven Charakter eingebüßt haben und heute im Alltag gegessen werden. Manche Mütter klagen, wie Nora Hetzelt (2009) bei ihrer Feldforschung in der Provinz Nong Bua Lamphu zu hören bekam, dass ihre Kinder abends kaum noch Appetit hätten und keinen Klebreis essen wollten. In den Regalen der kleinen Dorfläden nehmen Snacks bereits den meisten Raum ein, und die Kühltruhen quellen über vor Coke und Limonaden. Selbst in den ärmeren Familien scheinen Kinder selten auf die täglichen Softdrinks, Snacks und Süßigkeiten verzichten zu müssen. Da Snacks in Thailand nicht als richtiges Essen gelten, nehmen sie die Eltern nicht ernst und schreiten nicht ein, wenn sich ihre Kinder vor dem A- 104 3 / 2 0 1 0 bendessen noch Tüten davon einverleiben. Eher scheinen viele Erwachsene ähnlich unbekümmert mit dem steigenden Angebot an Süßem umzugehen. Die gravierendste Folge dieser mehrfachen Veränderungen ist mit dem bloßen Auge erkennbar: Auch im Isaan, mit seinen eher schmalgliedrigen Menschen, sind in der Zwischenzeit immer mehr Kinder übergewichtig. Während sich also die Grundstruktur der Mahlzeit im großen Ganzen kaum gewandelt hat, finden immer mehr Fleisch und Fett den Weg in die Küche, wodurch sich das Verhältnis von Reis (kaao) zu Beilagen (gap kaao) zum Teil drastisch verschoben hat. Die ehemaligen Festtagsspeisen haben viel von ihrer Exklusivität verloren und sind alltäglich geworden. Im öffentlichen Raum hat die thailändische Küche neben der einheimischen einen festen Platz, und der Schulspeisung kommt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung und Verankerung thailändischer Essmuster zu. Schließlich übernehmen industriell erzeugte Snacks einen wachsenden Anteil an der täglichen Kalorienzufuhr. Dadurch erhöht sich der Anteil von Zucker und Fett an der Ernährung noch mehr, was zu einer weiteren Auflösung der alten Ernährungsmuster beiträgt. Zukünftig wird die Küche des Isaan sicher keine so uneingeschränkte Rolle wie in der Vergangenheit mehr spielen. Ausgrenzung und Aneignung: “If you can’t beat them – eat them!” Mit der Herausbildung des modernen thailändischen Nationalstaats ging eine Fixierung von Reis (kaao jao) und Fischsauce (nam plaa) als den Grundlagen der „thailändischen Küche“ einher. Folglich stießen insbesondere die Säulen der laotischen Küche, Klebreis und fermentierter Fisch (plaaraa), auf Ablehnung. Sie wurden – und werden zum Teil bis in die Gegenwart hinein – mit den unterschiedlichsten Argumenten bekämpft, darunter zunehmend auch medizinischen (vgl. Lefferts 2005). Die Kanadierin Marilyn Walker, die in den 1980er Jahren die kulinarische Kultur von Bangkoks besserer Gesellschaft einer gründlichen Studie unterzog, kommt zu dem Schluss, dass der Isaan, den sie Bangkoks „barbaric ’other’“ nennt, kulinarisch vor allem mit Unterschicht (1991: 190ff.) assoziiert werde. Daneben aber konnte sie beobachten, wie die vermeintlich simple und rustikale Esskultur anfing, eine erstaunliche Verführungskraft auf sämtliche Bevölkerungsschichten zu entfalten (2). Wie es zu diesem Sinneswandel und Siegeszug kommen konnte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Natürlich kam ahaan Isaan zunächst mit der Migrationswelle gen Süden, die seit den 1950er Jahren ungelernte Arbeitskräfte in steigender Zahl nach Bangkok spült. Was aber geschah dann? Brachten die „Maids“ ihr Essen von der Straße in die feinen Häuser, oder fütterten die 3 / 2 0 1 0 Kindermädchen bereits die Kleinen mit ihren heimischen Spezialitäten? Wahrscheinlich konnten viele Thai, die neuen Genüssen gegenüber aufgeschlossen sind, über kurz oder lang dem Duft von grüner Papaya und würzig gegrilltem Huhn auf ihren Straßen einfach nicht widerstehen. Sicher ist, dass das Paradegericht des Isaan, somtam mit Klebreis und gegrilltem Huhn, spätestens seit den 1970er Jahren „extrem populär in Bangkok“ (Walker 1991: 191) ist. Auch dauerte es nicht lange, bis Isaan-Food zunehmend als schick und sanuk erachtet wurde. Auf Matten sitzen, Klebreis mit der Hand essen und dazu Gerichte genießen, die mit wenig Fett (keine Kokosmilch!) und ohne Zucker zubereitet werden, erschien gesünder und authentischer als die gewohnte Nahrung. Vielen galt die Küche des Isaan deswegen geradezu als Thai tae, „echt Thai“ (Walker 1991: 195f.). Doch ähnlich, wie man im gleichen Zeitraum in Deutschland von der italienischen Küche vor allem Pizza, Spaghetti und Tiramisu übernahm, wurden auch aus der Küche des Isaan nur einige wenige Gerichte übernommen und gleichzeitig „thai-isiert“. An erster Stelle steht die Metamorphose von somtam Lao zu der somtam Thai genannten Version. Somtam Thai wird ohne die charakteristische plaaraa und mit weniger Chili zubereitet und schmeckt durch die Zugabe von getrockneten Garnelen, gerösteten Erdnüssen und Palmzucker in der Regel fast lieblich. Die beiden Varianten entsprechen somit recht gut dem Charakter ihrer jeweiligen Cuisine. Mit dem Papayasalat ging die Verbreitung von gegrilltem Huhn einher. Daneben fand mit koo muu yaang, Schweinenacken, der in einer Mischung aus gestampftem Knoblauch, Pfeffer, Kori- THAILAND-RUNDSCHAU hai („Der Tiger weint“) genannt wird. Zu Gegrilltem gibt es Dippsaucen (nam jim), die, nicht anders als die Marinaden, zunehmend süßer ausfallen. Auch dies ist eine weitgehende Konzession an den vorherrschenden thailändischen Geschmack. Außerdem wurde laab übernommen. Das laab des Isaan, sei es aus Geflügel, Schwein oder Rind, besteht gewöhnlich aus einer Mischung von Muskelfleisch und Innereien. Gerade die Innereien aber, wie auch die Haut bei laab aus Schweinefleisch, gelten zunehmend als verzichtbar. Außerdem lassen sich natürlich auch hier der Schärfegrad reduzieren und die verwendeten Kräuter variieren. Aber es wäre undenkbar, laab mit Galle oder kii pia anzumachen, den im Isaan beliebten, extremen Ingredienzien. Vor allem aber wird laab unter keinen Umständen roh verzehrt! Hand in Hand mit diesen Speisen verbreitete sich Klebreis. Noch vor nicht langer Zeit als schlechterdings ungenießbar abgelehnt und bekämpft (Lefferts 2005), haben neuerdings viele Thai an kao niao Geschmack gefunden. Dazu hat sicher beigetragen, dass Klebreis sich als praktisches Fingerfood erweist. Während der älteren Generation jeder Papayasalat nach wie vor als ein Isaan-Gericht gilt, sehen die Jüngeren darin – in den Worten einer jungen und beruflich selbständigen Frau aus Bangkok – einfach „a Thai national dish“. Neben somtam, gegrilltem Huhn und Klebreis zählt auch laab zu den anerkannten Nationalgerichten, mit denen neuerdings das Thailändische Fremdenverkehrsbüro für die kulinarische Kultur des Königreichs wirbt. Ähnlich wie es Appadurai (1988) für Indien analysierte, ist im heutigen Thailand eine „Nationalküche“ im Entstehen begriffen, in die einige Gerichte des Isaan Eingang gefunden haben. Durch diesen Prozess freilich wurden gewisse Speisen zunehmend „ent-ethnisiert“ und „ent-regionalisiert“, wie man es vor allem an der Dreier-Combo um somtam herum beobachten kann. Wenn Thai heute dieses verbreitete und äußerst beliebte Gericht bestellen, tun sie es zunehmend weniger im Bewusstsein, ein Regionalgericht des Nordostens vor sich zu haben. Lasst uns Gekochtes essen! anderwurzel, Fischsauce und Palmzucker eingelegt wurde, eine weitere Spezialität des Isaan breiten Anklang. Ähnlich beliebt ist ein vergleichbares Grillgericht aus Rindfleisch, das seua rong In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Phase der pauschalen Ausgrenzung der „barbarischen foodways“ des Isaan (Walker 1991: 191) durch eine Phase der selektiven Aneignung abgelöst, die zur Thai-isierung einiger ausgesuchter Gerichte führte. Dabei wurde aus der laotischen Küche des Isaan, mit ihrer Lust an rohen Speisen, gerade das Rohe verbannt. 105 THAILAND-RUNDSCHAU Für somtam Thai etwa wurde die „rohe“ plaaraa des Isaan durch die „gekochte“ thailändische Fischsauce nam plaa ersetzt. Allerdings haben in der Zwischenzeit viele Thai an plaaraa und somtam Lao Geschmack gefunden. Folglich wurde plaaraa insgesamt vom einem rohen in ein gekochtes Nahrungsmittel überführt, und heute kommt sie gewöhnlich pasteurisiert auf den Markt. Schwieriger war es bei laap. Hier fand eine Aufspaltung in ein gutes (gekochtes!) und ein schlechtes (rohes!) laab statt. Während das gekochte laab zu einem Nationalgericht aufstieg, wurde das rohe laab zum Ziel nationaler Kampagnen. Heute wird in Thailand der Kampf gegen die „laotischen“ Andersesser und Rohfleischfresser des Isaan allerdings nicht mehr mit kulturellen, sondern mit medizinischen Argumenten geführt. Seit über 30 Jahren bekämpft das Gesundheitsministerium das als unverantwortlich wahrgenommene Essverhalten der Bewohner des Isaan. Aber wie die Statistik zeigt, geschah dies bislang ohne nennenswerten Erfolg. Man schätzt, dass bis zu 6 Millionen Menschen im Land von Parasiten befallen sind, die durch den Verzehr von rohem Süßwasserfisch übertragen werden können. Durch diese Infektion mit Leberparasiten (es handelt sich um opisthorchis viverrini, den Leberegel) kann es zu einem bösartigen Tumor der Gallenwege kommen, dem Cholangio- oder Gallengangskarzinom. Während in der westlichen Welt auf 100.000 Menschen ein bis zwei solcher Fälle kommen, sind es im Isaan bei Männern 80 und bei Frauen 40 (wobei die doppelt so hohe Rate bei Männern deutlich deren Präferenz für Rohes reflektiert). Damit hat Thailand die meisten Patienten weltweit mit diesem Krebstypus – und fraglos ein echtes Gesundheitsproblem. Deswegen startete im Sommer 2009 die National Cancer Institute Foundation zusammen mit dem Pharmakonzern Bayer Thai die Pilotkampage „Kin Sook Saeb Lai – Than Pai Ma-Reng Tub (Let’s eat cooked food to prevent Liver Cancer)“(3). Wörtlich übersetzt lautet der laotische Name der Kampagne etwa „Das Essen von Gegartem/ Gekochtem schmeckt gut – zur Verhinderung von Leberkrebs“. Aber wieso geht es hier pauschal um Gekochtes, und nicht einfach um die Meidung von rohem Süßwasser-Fisch? Die nationale Kampagne „Lasst uns Gekochtes zur Verhinderung von Leberkrebs essen!“ wird in der Öffentlichkeit auch wesentlich als gegen alle rohen und fermentierten Speisen der Isaan-Küche gerichtet verstanden. Ein Artikel in der Bangkok Post vom 11. September 2009 fängt unter der Überschrift Overcoming a raw deal mit den Worten „Forking into uncooked Isan fare comes with the risk of getting liver cancer“ an und warnt am Ende pauschal vor dem Verzehr von plaaraa. 106 3 / 2 0 1 0 Leedom Lefferts, ein seit 40 Jahren über Thailand arbeitender amerikanischer Ethnologe, hat die Geschichte der offiziellen „Stigmatisierung“ von Klebreis und fermentiertem Fisch durch die thailändische Politik untersucht. Er sieht auch im Falle des Klebreises die „Medizin im Dienste der nationalen politischen Integration“ (Lefferts 2005: 254). Als nämlich Ende des 20. Jahrhunderts Diabetes vom Typ II immer verbreiteter auftrat, rieten Ärzte ihren Patienten aus dem Isaan, doch weniger Klebreis und mehr gewöhnlichen Reis zu essen. Denn Klebreis enthalte viel Zucker. Bedauerlicherweise aber, so Lefferts, habe man sie nicht vor dem übermäßigen Konsum von Softdrinks oder den zunehmend süßer ausfallenden Gerichten der thailändischen Küche gewarnt. Unübersehbar ging es um eine Politisierung von Ernährung und Essen in Thailands Nordosten. Essen wie die Tiger Zur Kernidentität der khon Isaan gehören die laotische Sprache, die eigenständige Küche und ihre Musik. Neben der Küche ist in den letzten Jahren auch diese Musik in ganz Thailand immer beliebter geworden. In den Liedern stößt man auf eine weitere Art, wie mit diesem Angriff auf die eigenen Esstraditionen umgegangen wird. Die unter dem Künstlernamen „Saomaat Mega Dance“ bekannt gewordene Sängerin verkörpert selbstbewusst und selbstironisch den neuen Isaan. Ihr Lied Sao Lad Phrao, „Mädchen aus Lad Phrao“ (einem Stadtteil von Bangkok), in dem sich der Isaan selber auf die Schippe nimmt, wurde 2008 ein Riesenerfolg. „Das Mädchen aus Lad Phrao“ ist eine Putzhilfe, die beim Familienbesuch wie eine Diva durch den ländlichen Isaan stöckelt. Das Lied ist in einem wilden Gemisch aus Thai, Lao und Englisch verfasst, mit dem Refrain baan nook, baan nook. So nennt man in Bangkok das flache Land jenseits der Metropole, und besonders die Isaaner gelten als khon baan nook, also als Provinzler und Hinterwäldler. Da hier der Isaan sich und seine Eigenwilligkeiten verspottet, darf das Essen nicht fehlen. In dem Song etwa wird aus ahaan peun baan (wörtlich: Essen des Hauses), dem Ausdruck für einheimisches, lokales Essen, durch ein Wortspiel – peun heißt auch Fußboden – die Übersetzung Food Floor House. Davon heißt es: Taan mai daai, taan mai daai, kann ich nicht essen, kann ich nicht essen! Warum sie das lokale Essen verschmäht, verrät ihre Frage „What is sleep in the Hai, ti sai somtam Lao?“ (was schläft im Hai – dem Tonkrug, in dem traditionell fermentierter Fisch, plaaraa, aufbewahrt wird – , das man in somtam Lao gibt?). Dieser Satz wurde durch das Lied in ganz Thailand bekannt. Am Ende freilich wird klar, dass das Mädchen aus Lad Phrao seiner Küche – und damit dem Isaan, seinen Wurzeln, seiner Identität – keineswegs entfremdet ist. Denn kaum zurück im geliebten Bangkok, stärkt sie sich als erstes in einem „Raan Laab“, einem kleinen Lokal 3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU in aller Öffentlichkeit Bier und Schnaps, wie man dies bislang nur von den Männern kannte. Dabei scheint das von thailändischer Seite weiterhin ausgegrenzte rohe laab, und hier besonders das laab von Rind und Wasserbüffel, auf dem besten Weg zu sein, zum identitätsstiftenden Gericht zu werden. Die khon Isaan, erzählte mir der Koch eines kleinen Lokals in Pha Kao in der Provinz Loei, essen nun einmal wie die Tiger, gin meuan seua. Sie bräuchten für die Zubereitung ihrer Speisen nicht unbedingt Feuer, denn wie den Tigern schmecke es ihnen auch roh. Allen Kampagnen zum Trotz: Der kulinarische Isaan bleibt in Thailand auf dem Vormarsch. Die Schlacht gegen Klebreis etwa ist verloren (4). Klebreis findet man in ganz Thailand als praktische Beilage zu allerlei Snacks. Das einst anrüchige Grundnahrungsmittel des Isaan ist selbst zu einem gesamtthailändischen Snack geworden und hat einen neuen Platz in der nationalen Esskultur gefunden. Die Kette 7Eleven bietet neuerdings sogar Klebreis-Hamburger in den Geschmacksnoten muu yaang oder laab an. in dem laab serviert wird, und zwar mit einer Portion somtam Lao, die mit ganzen plaaraa-Stücken angemacht ist! Der selbstironische Song erfreut sich im Isaan großer Beliebtheit. Als aber im März 2009 bei einem Konzert in Kalasin eine Sängerin aus Bangkok Sao Lad Phrao anstimmte, erstarrten die zuvor ausgelassen agierenden Zuhörer. Anscheinend war den Musikern nicht klar, dass das populäre Lied als geradezu beleidigend empfunden werden musste, wenn eine thailändische Band es spielte. Plaaraa wird eigentlich roh gegessen, auch wenn zunehmend mehr Leute aus gesundheitlichen Gründen „gekochte“ plaaraa vorziehen. Andere dagegen reagieren wie französische Bauern, denen EU-Bürokraten vorschreiben wollen, ihren Käse aus pasteurisierter Milch herzustellen. Während in der thailändischen Küche aus dem Tierreich eigentlich nur Garnelen und Austern als tauglich für den rohen Verzehr gelten (und neuerdings natürlich Sushi!), kommt rohem Fleisch und Fisch im Isaan ein hoher Stellenwert zu. Dabei war Rohes traditionell eher den Männern vorbehalten und bildete den Höhepunkt der Festspeisen. Frauen dagegen, vor allem wenn sie noch im gebärfähigen Alter waren, mieden rohes Fleisch und vor allem laab, dem frisches Blut beigegeben wurde, laab leuat (vgl. Formoso 1993). Eine der bemerkenswertesten Veränderungen im Essverhalten der Bewohner des Isaan betrifft diese Zuordnung von Gekochtem zu den Frauen und Rohem zu den Männern. Zunehmend mehr Frauen, ältere als auch jüngere, essen rohes laab und trinken dazu Bereits das sorgfältig aufbereitete Kochbuch The Food of Thailand: Authentic Recipes from the Golden Kingdom (Hutton 1994: 18) bemerkte, dass in Bangkok zunehmend auch die besten Köche nach ihrer Fähigkeit beurteilt würden, somtam und laab zu bereiten. Heute gibt es nicht nur nach laab schmeckende Kartoffelchips oder laab als Pizzabelag, sondern der Geschmack des Isaan – und das heißt vor allem: laab – fasziniert die kreativen Köche des Landes. Ein Restaurant in Bangkoks schickem Suan Lum Night Bazaar serviert „Laap Toot“, das sind kleine Kügelchen aus laab, die zuvor frittiert wurden. Ein für sein Fusion Food bekanntes Lokal experimentiert mit Sushi à la Isaan, wobei verschiedene, nach der Art von laab gewürzte Fleischsorten auf Röllchen aus Klebreis serviert werden. Und die Gastronomie des Sheraton Pattaya offeriert ihren Gästen „Thai-style (!) spicy tuna laab“ (wie in der Bangkok Post vom 4. Dezember 2009 zu lesen). Das Restaurant „Bo.lan“ (bolan lässt sich mit traditionell übersetzen) stand im Sommer 2009 im Rampenlicht des kulinarischen Bangkok. Obwohl nicht auf die Küche des Isaan spezialisiert, gibt es dort Klebreis, und auf der Karte stehen Gerichte wie nam tok neua. Dabei handelt es sich um eine laab-Version auf der Basis von gegrilltem Rindfleisch. Während man im Isaan dafür das Fleisch gründlich gart, ziehen die Köche des „Bo.lan“ ein Filetsteak vor, das gerade einmal „rare“ gebraten wird, innen also noch roh ist. Einen Schritt weiter geht der Starkoch Ian Chalermkittichai, der es in New York mit dem Restaurant „Kittichai“ zu Ruhm und Vermögen brachte und heute ein „Resort“ in dem bei Thai und ausländischen Touristen gleichermaßen beliebten Badeort Hua Hin betreibt. Dort kommt sogar das rohe Fisch-laab auf den Tisch – er nennt 107 THAILAND-RUNDSCHAU es Goy Tuna. Als goy bezeichnet man im Isaan das rohe laab. Isaan-Sushi, fast blutiges nam tok sowie laab und goy aus Thunfisch. Es ist eine schöne Ironie, wie hier die kulinarische Globalisierung einer Regionalküche zur Seite springt. Da rohe Speisen wie Carpaccio oder Sushi in der gehobenen Abteilung der globalisierten Gastronomie zurzeit hoch im Kurs stehen, scheint es durchaus möglich, dass auf diesem Umweg die verfemten rohen Gerichte des Isaan auch in Thailand zu neuem Ansehen kommen. Anmerkungen (1) Wie Harris (1988) glaubt, neigen an tierischen Proteinen Unterversorgte dazu, wahllos über alles herzufallen, seien dies nun Insekten oder die eigenen Artgenossen. Sobald sich aber mit geringerem Aufwand Fleisch oder Geflügel erzeugen lasse, würden sie sich davon abwenden. - Nach dieser Theorie dürften heute im Isaan niemandem mehr Insekten schmecken. In Wirklichkeit nimmt der Verzehr von Insekten in ganz Thailand zu. (2) Die Geschichte der USA bietet reiches Anschauungsmaterial, wie einzelne Gerichte aus verachteten Einwandererkulturen - sei es China, Italien oder Mexiko - übernommen wurden und zu Lieblings- und sogar Nationalspeisen aufstiegen, wie Chop Suey, Pizza und Chili con Carne. (3) Folgenden beiden Webseiten wurden alle Informationen entnommen: www.nci.go.th sowie www.bayer.co.th (4) Leedom Lefferts erzählte mir beim Essen in einer „Soi“ Bangkoks am 3. April 2010, dass er in einer Schule in Khon Kaen Plakate gesehen habe, die für drei Sachen warben: Vor dem Essen die Hände zu waschen, nicht mit der Hand zu essen und nur Gegartes zu essen. Die beiden letzten Punkte führen also ungerührt die Kampagne gegen Isaans Esskultur weiter, obwohl Klebreis heute im ganzen Land beliebt ist. Literatur Appadurai, Arjun (1988): How to Make a National Cuisine: Cookbooks in Contemporary India. Comparative Studies in Society and History 30: 3-24. Brennan, Jennifer (1981) The Original Thai Cookbook. New York. GD/Perigee Book. Comeaux, Blaine L.(2002): Two Years in the Kingdom. The Adventures of an American Peace 3 / 2 0 1 0 Corps Volunteer in Northeast Thailand. New York u. a.: Writers Club Press. Formoso, Bernard (1993): Les Repas de Fete des Paysans Isan du Nord-Est de la Thailande. In: N. Krowolski (ed.), Autour Du Riz. Le repas chez quelques populations d'Asie du Sud-Est ; pp. 83-118. Paris: Editions L’Harmattan. Grabowsky, Volker (ed.) 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Nach einer insgesamt 18monatigen Feldforschung in den letzten Jahren schreibt er zurzeit an einer Kulinarischen Ethnographie Thailands. 108 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Nachhaltige Landnutzung und ländliche Entwicklung in Bergregionen Südostasiens – SFB564 Ein Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft stellt sich vor Holger Fröhlich und Karl Stahr Seit zehn Jahren arbeitet der Sonderforschungsbereich 564 (SFB), ein Verbundforschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an der Universität Hohenheim für die wissenschaftliche Grundlage einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen und verbesserter Lebensbedingungen in den Bergregionen Südostasiens. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über das Projekt. Beiträge in kommenden Ausgaben werden einzelne Schwerpunkte der Forschungsarbeit vorstellen. Die Bergregionen Südostasiens – Hot Spots in Umweltfragen und ländlicher Entwicklung Während der letzten 20 Jahre haben viele Länder Südostasiens eine rasche ökonomische Entwicklung erlebt; Thailand seit Anfang der 1980er Jahre bis zur Finanzkrise 1997 mit seither stetiger aber moderater Wachstumsdynamik. Vietnam erlebte ebenso seit Beginn der 1980er Jahre eine rasche Entwicklung. Das Land durchlief nach dreißig Jahren kollektiver Agrarwirtschaft eine landwirtschaftliche Transformation, als Landnutzungsrechte nach und nach an private Haushalte vergeben wurden. Dieser Prozess erfuhr eine Beschleunigung, als die Regierung 1986 mit dem Reformprozeß „Doi Moi“ (lit. Erneuerung) einen deutlichen Wechsel in Richtung marktorientierter Ökonomie auf Basis privater Besitzrechte vollzog. Südostasien konnte vom Wirtschaftswachstum profitieren, für Agrarprodukte erschlossen sich neue Märkte, die Nachfrage nach hochwertigen Agrarprodukten wie tropische Früchte, Gemüse und Fleisch stieg, während die Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft zunahmen. Ländliche Entwicklung in Nordvietnam (Bachmann 2006). Dennoch ist bis heute die ländliche Armut ein weit verbreitetes Problem der Bergregionen, deren Einwohner, oftmals ethnischen Minderheiten zu- gehörig, nicht gleichermaßen vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren konnten. Dies liegt zum einen in der ökonomischen und sozialen Isolation der Bergregionen, zum anderen daran, dass die traditionellen Reisanbauregionen, also die Tiefländer, die Zielgebiete der Grünen Revolution waren. Gleichzeitig kreierte die ökonomische Integration zuvor noch isolierter ländlicher Regionen neuen Bedarf an Konsumgütern, Transport und Bildung, welcher die Bedeutung von Geldmitteln in der ländlichen Wirtschaft deutlich erhöhte. Auch das Bevölkerungswachstum der Bergregionen ist bis heute sehr hoch. Ursachen dafür sind hohe Geburtenraten und Migration aus weniger entwickelten Ländern, wie Myanmar und Laos und speziell in Vietnam ein Umsiedlungsprogramm der Regierung. Dadurch wanderten in Nordvietnam zwischen 1960 und 1975 etwa 1 Millionen Kinh, eine Bevölkerungsgruppe aus dem Tiefland in die Berge, wo die Bevölkerung zwischen 1960 und 1984 um 300% anwuchs. Umsiedlung in Muong Lum, Son La, Nordvietnam (Fröhlich 2008). Der hohe Bevölkerungsdruck und die zunehmende Marktanbindung der Bergregionen haben zur Aufgabe des traditionellen Wanderfeldbaus geführt: Ein System kurzzeitiger Ackerkultur einer Fläche mit langjährigen Phasen der Brache, die den Wiederaufwuchs der natürlichen Vegetation erlaubt, in welchen sich die durch den Feldbau beanspruchten Böden erholen können. An dessen Stelle ist im Zuge der Intensivierung die permanente Ackernutzung der Steillagen getreten, während die Talsohlen und Unterhänge der Bergregionen traditionell für Nassreisanbau genutzt werden. Die Verkürzung und schließlich die Aufgabe der Brachezeiten führt bis heute vielerorts zum Verlust von wertvollem Boden, Pflanzennährstoffen, und damit Ertragseinbußen, Ernährungsunsicherheit, Armut und weiterer Landverknappung. In Vietnam wird 109 THAILAND-RUNDSCHAU die Hälfte der Landesfläche für Ackerbau in den zum Teil sehr steilen Bergregionen genutzt. In der Son La Provinz, der Untersuchungsregion in Vietnam, gibt es noch 10% Wald und etwa 80% der Böden sind degradiert. 3 / 2 0 1 0 keine allgemeingültigen Lösungen um die ländliche Existenzgrundlage zu verbessern und dabei zugleich den Ressourcenschutz in den Bergregionen zu entwickeln. The Uplands Program Feldbau (hier Mais Monokultur) auf Steilhängen fördert Bodenerosion. (Schreinemachers 2009) Die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen für eine nachhaltige Land- und Ressourcennutzung und nachhaltige ländliche Entwicklung bearbeitet der Hohenheimer SFB, in Südostasien unter dem Namen „The Uplands Program“ bekannt, gemeinsam mit seinen Fachkollegen an PartnerUniversitäten in Thailand und Vietnam mit je einem Hauptuntersuchungsgebiet in Nordvietnam in der Son La Provinz und in Nordthailand in der Chiang Mai und Mae Hong Son Provinz, neben weiteren weniger intensiv beforschten Gebieten. Überschwemmungen sind die regelmäßige Folge geringerer Wasserspeicherkapazität der Böden. Die Übernutzung der natürlichen Ressourcen wirkt sich so schließlich auf die ökonomische Entwicklung der Bergregionen aus. In den stärker marktorientierten Bereichen der Bergregionen im Umfeld größerer Städte, wie Chiang Mai in Nordthailand, konzentrieren sich die Umweltprobleme sehr viel stärker durch den starken Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in Folge der Intensivierung der Landwirtschaft, dem damit verbundenen Verlust an Biodiversität und der Schadstoffkontamination der Gewässer und Grundwässer mit Eintritt in die Nahrungskette. Hier bewirken geänderte landwirtschaftliche Managementsysteme eine Vielfalt rechtlicher Rahmenbedingungen (Rechtspluralismus). Z.B. besteht traditioneller Nassreisanbau mit gemeinschaftlichem Wassermanagement neben Gewächshäusern für Gemüse und Blumen mit individuellem Wassermanagement. Der starke Einsatz von Pestiziden im Gemüseanbau stellt ein Risiko für Mensch und Umwelt dar. (Schreinemachers 2005) Die Bergregionen Südostasiens sind fragile Ökochoren hoher natürlicher Biodiversität, Vielfalt der Böden und des Klimas, sowie von ethnischer, kultureller und sozialer Vielfalt. Die Probleme der ländlichen Armut und die Ökologie sind weit komplexer, als hier angedeutet werden kann. Es gibt 110 Forschungsregionen des SFB in Thailand und Vietnam (dunkelgrau). Die Landwirtschaft in den Hauptuntersuchungsgebieten unterscheidet sich im Grad der Marktintegration und den Herausforderungen für nachhaltige Landnutzung: Im marktfernen Arbeitsgebiet, Chieng Koi, in Vietnam haben die Farmer den traditionellen Wanderfeldbau zugunsten permanenter Ackerkultur aufgegeben. Die Degradation der Böden läuft rasch ab, das Ausmaß der Produktionsverluste wird derzeit noch und auf kurze Sicht durch hohe Düngergaben und robustere Neuzüchtungen abgepuffert. Im stärker marktorientierten Hauptuntersuchungsgebiet in Thailand, Mae Sa, haben Obstplantagen und saisonales Gemüse vor etwa 20 Jahren Mais und Maniok als Hauptkulturen abgelöst. Die Intensive Anwendung von Agrochemikalien ist ein Hauptproblem für nachhaltige Landnutzung. Grundsätzliche Forschungshypothese des SFBs ist dabei, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn gleichzeitig die Agrarproduktivität steigt, Ressour- 3 / 2 0 1 0 censchutz langfristig betrieben wird, außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten in den vorund nachgelagerten Bereichen des Agrarsektors entstehen und geeignete institutionelle und infrastrukturelle Rahmenbedingungen in ländlichen Räumen geschaffen werden. Die speziellen Ziele des Sonderforschungsbereichs sind die Schaffung wissenschaftlicher Grundlagen für: • • • die Entwicklung nachhaltiger Landnutzungssysteme, Produktionsverfahren und Verarbeitungsprozesse in den ökologisch empfindlichen und ökonomisch benachteiligten Bergregionen, die Erforschung von Agrarökosystemen mit vielfältigen Bezügen zwischen Ressourcenmanagement, ethnischer Vielfalt der Bevölkerung und heterogenen institutionellen Rahmenbedingungen Konzepte für ländliche Institutionen, die Probleme der ländlichen Armut und Unterernährung nachhaltig bearbeiten und die Anpassungsfähigkeit ländlicher Haushalte in einem dynamischen ökonomischen Umfeld verbessern. Verbesserte Lebensbedingungen in den Bergregionen und der Schutz der Umwelt können langfristig nur gemeinsam bestehen. Innovationen, welche die Situation verbessern sollen, können nur langfristig Bestand haben, also nachhaltig sein, wenn ökologische, soziale und ökonomische Aspekte miteinander abgestimmt werden. Weil das ein hochkomplexes Unterfangen ist, bringen die SFB Wissenschaftler ihre Fachkenntnis aus der Bodenkunde, Hydrologie, Agronomie, der Tierzucht, der Nahrungsmitteltechnologie, der Soziologie, Ökonomie und Innovationsforschung ein um so die komplexen Beziehungen zwischen Agrarökosystemen, dem Menschen und Innovationen interdisziplinär zu verstehen (Systemansatz). THAILAND-RUNDSCHAU in Vietnam eine typische Nutzung an steilen Hängen Maismonokultur, die aufgrund der geringen Bodenbedeckung zu Beginn des Wachstums sehr erosionsfördernd wirkt. Sind die Böden aufgrund von Erosion verarmt an Nährstoffen und fruchtbarem Oberboden, wird Maniok angebaut, weitere Degradation führt zu Grasland und schließlich zu unbrauchbaren Badlands und der damit endgültigen Aufgabe der Flächen. Die Forscher des SFBs entwickeln basierend auf der Erfassung der Erosionsdynamik, der Kenntnis von den Böden der Untersuchungsregion Anbauempfehlungen und Erosionsschutzmaßnahmen. Aber erst die erfolgreiche Entwicklung der Schutzmaßnahmen für eine nachhaltige Landnutzung unter den lokalen Gegebenheiten mit allen beteiligten Akteuren ermöglicht eine Praktizierung dieser „Innovationen“. Die Innovationsforscher des SFB haben z.B. herausgefunden, dass unsichere Besitzverhältnisse in Vietnam die Landwirte davon abhalten in den Schutz ihres Landes zu investieren. Partizipative Methoden – Farmer analysieren mit Forschern ihre ökonomischen Strategien und diskutieren Änderungen in der Landnutzung.(Neef 2007) Der SFB hat bei der Verfolgung seiner Ziele Forschungsschwerpunkte gebildet: Die Landwirtschaftliche Intensivierung in den Bergregionen Thailands aber auch Vietnams hat einen intensiven Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zur Folge, mit beträchtlichen Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Die SFB-Forscher untersuchen neben dem Wasserund Stoffhaushalt der Berglandschaften den Verbleib von Pestizidrückständen in Reisterrassensystemen mit integrierter Fischzucht (Vietnam) und in Thailand die Auswirkungen des erhöhten Pestizideinsatzes insbesondere durch den in letzter Zeit verstärkten Gewächshausanbau. Oftmals besteht zwischen den Bewohnern der Bergregionen und der Tiefländer ein Konflikt, in dem die Bergvölker als Verursacher von Überschwemmungen, Bodenerosion und Wasserverschmutzung gesehen werden, die Bergvölker aber selbst unter ökonomischem Druck stehen und den Fortschritt aus dem Tiefland importieren. Im Bereich des Ressourcenschutzes der Bergregionen ist die Bodenerosion und Bodenschutz ein Hauptthema. An den steilen, übernutzten Hängen der Bergregionen, wo früher Wanderfeldbau z.B. mit Trockenreisanbau mit langen Brachezeiten und Wiederbewaldung praktiziert wurde, ist heute z.B. Das aufkommende Bedürfnis der Bevölkerung nach Umweltstandards wächst (Good Agricultural Practice, GAP). Hydrologen und Sozioökonomen des SFB arbeiten gemeinsam an diesem facettenreichen Problem, z.B. an Konzepten für Umweltkompensationsprogramme, die vorsehen kön- Die unterschiedlichen Akteure in den Bergregionen, das sind die Bauern, Landwirtschaftsberater, Vertreter der Agrarverwaltung und politische Entscheidungsträger, nehmen an der Arbeit der Wissenschaftler aktiv teil (Partizipation). Das ermöglicht es den Wissenschaftlern die entscheidenden Probleme aus Sicht der Beteiligten zu erfassen, und stellt sicher, dass die Ergebnisse der Wissenschaftler (Methodenentwicklung) genutzt werden können. 111 THAILAND-RUNDSCHAU nen, dass Landwirte in den Bergländern für den Schutz von Umweltgütern, wie Boden und Wasser vergütet werden, weil sie dafür Ihren kurzfristig ertragssichernden Pestizideinsatz einschränken müssen oder Aufwand mit Bodenschutzmaßnahmen haben, die langfristig ihre Erträge sichern. Die Zahlungsbereitschaft (Willingness to Pay) der davon profitierenden Bevölkerung für sauberes Wasser und Nahrungsmittel ohne Rückstände aber auch den Schutz der Umweltgüter muss dafür ebenso untersucht werden. 3 / 2 0 1 0 auf die Umwelt. Basierend auf dem Ertrag bilden sozioökomische Modelle die unternehmerischen Entscheidungen der Landwirte ab, z.B. die Anbaukulturen im folgenden Jahr. Veredlung landwirtschaftlicher Produkte (hier: Litchitrocknung) in bäuerlichen Kooperativen. Überschwemmung und Hangrutschungen in Nordvietnam entlang der Nationalstraße 6, Son La. (Röttgers, Grafiti 2007) Besonders in den Bergregionen Nordthailands ist der Anbau tropischer Früchte eine Haupteinkommensquelle. Der SFB forscht für Innovationen im Anbau, der Weiterverarbeitung und der Vermarktung tropischer Früchte, insbesondere Litchi, Mango und Longan. Innovationen zur Wassereinsparung, zur Fruchtreifebestimmung, Veredelung und Flexibilisierung der Erntesaison können helfen, dass Einkommen der Obstbauern zu sichern. Die in den Steillagen Nordthailands weitverbreiteten Litchiplantagen bieten durch einen hohen Bedeckungsgrad der Böden einen besseren Bodenschutz, als einjährige Kulturen, wie Bergreis und Mais. Derzeitig zeichnet sich aber ein Trend zur Aufgabe von Obstplantagen ab. Die Steillagen werden zunehmend von erosionsfördernden Anbausystemen wie dem Gemüseanbau eingenommen. Ursache ist die Einkommensunsicherheit der Bauern angesichts stark fluktuierender Weltmarktpreise für Litchis. Können Innovationen, wie Wassereinsparungsmethoden in der Bewässerung von Obstbäumen oder Produktveredelung durch Litchitrocknung in bäuerlichen Kooperativen diesen Trend aufhalten? Dieser und ähnlichen Fragen, wie sich Innovationen für die ländliche Bevölkerung und die Agrarökosysteme auswirken, wie sie sich in der Fläche ausbreiten und welche Anpassungen zusammen mit den beteiligten Akteuren vorgenommen werden müssen, gehen die SFB Forscher mit Hilfe von sozioökonomischen und agrarökologischen Modellen zur Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien nach: Landnutzungsmodelle ermitteln den Effekt von Innovationen auf den Ertrag und die Auswirkung 112 Die kleinbäuerliche Tierzucht stellt für Vietnam das Rückgrat der inländischen Fleischproduktion dar und ist eine der Hauptursachen für die Anhebung der Lebensstandards in der Bergbevölkerung. Schlechter Marktzugang verhindert jedoch eine Ausschöpfung dieses Potentials. Gleichzeitig ist Vietnam durch den Anstieg des Fleischkonsums in den letzten zwei Dekaden zum Bruttofleischimporteur geworden. Der SFB erforscht die Potentiale in der Tierzucht und Tierhaltung, insbesondere mit lokalen Schweinerassen der entlegenen Bergregionen für die kleinbäuerliche Tierhaltung. Ein Schwerpunkt liegt neben Zuchtprogrammen auf den Wissens- und Innovationsnetzwerken der unterschiedlichen ethnischen Gruppen, also z.B. deren Verknüpfungsgrad mit Institutionen. Unsere Marktanalysen haben z.B. eine hohe Preiselastizität von Fleisch des an die harten Bedingungen der Bergregionen angepassten Ban-Schweins ergeben. Diese Schweinerasse ist in den urbanen Regionen Nordvietnams, insbesondere Hanois wegen seiner geschmacklichen Qualitäten sehr beliebt, die Bereitschaft für dieses Fleisch mehr zu zahlen ist hoch. Im Allgemeinen werden Produkte aus lokaler Produktion industriellen Produkten vorgezogen. SFB 564 – Zwölf Jahre Agrarforschung in Südostasien. Was bleibt? Der SFB arbeitet seit zehn Jahren an den oben kurz angerissenen Forschungsthemen gemeinsam mit seinen Partnern. Dies sind neben anderen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, in Thailand die Chiang Mai University (CMU), die Kasetsart University (KU), Mae Jo University (MJU) und Silpakorn University (SU), in Vietnam, THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Entwicklung von Sensorsystemen für ein effizientes Bewässerungsmanagement, Prozesstechnik für die Verwertung von Rückständen in der Nahrungsmittelproduktion und Optimierung der Fruchttrocknung. Die besonderen Schweinerassen der Bergregionen gelten in den urbanen Regionen als Delikatesse. (Röttgers Grafiti 2007) die Hanoi University of Agriculture (HUA), die Thai Nguyen University of Agriculture and Forestry (TUAF) und das National Institute of Animal Husbandry (NIAS). In dieser Partnerschaft hat der SFB 564 über 30 Wissenschaftler ausgebildet, die in ihren Universitäten in Südostasien weiterforschen und lehren. In Hohenheim haben bisher 42 Nachwuchswissenschaftler promoviert und die Liste der Publikationen (über 150 Artikel in referierten wissenschaftlichen Zeitschriften) wächst stetig. Extraktion von Pektin aus getrockneten Mangoschalen. Pektin ist ein weltweit nachgefragtes und knapp verfügbares Geliermittel.(Nagel 2009) Ausblick In den kommenden Ausgaben der Thailand-Rundschau sind die folgenden Themenbeiträge aus der Arbeit des Uplands Program vorgesehen: Vom Litchi-Erzeuger zum Litchi-Unternehmer – Potential kleinbäuerlicher Kooperativen im Umgang mit niedrigen Marktpreisen. Bodenschutz in Steillagen – die Folgen der Bodenerosion sind weitreichend, aber die Umsetzung von Bodenschutzmaßnahmen bleibt gering. Bodenschutz in Bergländern braucht mehr als gute Technologien. Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern. Der Transfer von Wissen und Innovation ist von Anfang an ein wichtiges Anliegen des SFB 564 gewesen. Die Forschungsergebnisse fließen auch in die fortbestehende Lehre ein. So haben die Universität Hohenheim und CMU in 2009 einen gemeinsamen Masterstudiengang „Sustainable Agriculture and Integrated Watershed Management“ (SAIWAM) zu den Themen und wissenschaftlichen Arbeitsmethoden des SFB 564 eingerichtet, der mittlerweile internationalen Zuspruch findet. Neben dem Transfer der Ergebnisse an die Partner und die Akteure in den Bergregionen zur Verstetigung seiner Forschung, arbeitet der SFB 564 in sogenannten Transferprojekten mit überregionalen und internationalen Unternehmen und nationalen Forschungseinrichtungen und Regierungsorganisationen daran, die Forschungsergebnisse für die Praxis aufzubereiten. Die Entwicklung von Prototypen steht dabei im Vordergrund: z.B. die Das Pestiziddilemma der Bergregionen – Die Agrarproduktion unterläuft eine Transformation in Richtung hochwertiger Feldfrüchte. Das erhöht das bäuerliche Einkommen, aber auch den Einsatz von Pestiziden mit nachteiligen Effekten in den Anbauregionen und den vorgelagerten Tiefländern. Alternative Strategien der Schädlingsbekämpfung und daran geknüpfte ökonomische Anreize für deren Umsetzung zeigen einen Ausweg auf. Weitere Themen sind „Potentiale kleinbäuerlicher Tierzucht in den Bergregionen Nordvietnams“ und „Innovationen in Bergländern Südostasiens – Wie Mensch und Ökosystem miteinander interagieren“. Einen umfassenden Einblick in die Thematik gibt das Buch des SFB 564: Heidhues et al. (Eds.). 2007. Sustainable Land Use in Mountainous regions of Southeast Asia. Meeting the Challenges of Ecological, Socio-Economic and Cultural Diversity. Springer, Berlin. 404p. Eine Einführung in die Forschungsarbeit gibt der Film „Research On Sustainable Development in Mountainous Regions of Southeast Asia“, auf der Homepage des SFB 564: www.uni-hohenheim.de/sfb564/ Prof. Dr. Karl Stahr ist Professor am Institut für Bodenkunde und Standortslehre der Universität Hohenheim und Sprecher des SFB 564. Dr. Holger Fröhlich ist seit 2007 Geschäftsführer des SFB 564. 113 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Thailands Demokratie in der Krise: Ursachen und Konsequenzen Tagung der Forschungsgruppe Asien (FGA) an der Universität Trier Holger Alisch Vom 26. bis 27. Juni 2010 fand in den Räumen der Volkshochschule Trier eine Tagung zur aktuellen Thailand-Krise statt. Die Veranstaltung zu diesem in Deutschland meist nur selten beachteten Thema wurde unter der Leitung von Dr. Patrick Ziegenhain und Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener von den studentischen Mitgliedern der Forschungsgruppe Asien (FGA) an der Universität Trier organisiert. Finanzielle Unterstützung erhielt das Projekt durch den Lehrstuhl von Prof. Dr. Sebastian Heilmann, die Juniorprofessur, die Volkshochschule Trier und die Südostasien Informationsstelle im Asienhaus Essen. Dr. Ziegenhain stellte zunächst in einem Einführungsvortrag die Entwicklung Thailands als konstitutioneller Monarchie mit parlamentarischem Regierungssystem besonders seit Beginn der Regierung des ehemaligen Premierministers Thaksin Shinawatra (2001) vor. Er beschrieb dabei den tief greifenden Wandel der thailändischen Innenpolitik nach dem Militärputsch von 2006, wobei schnell deutlich wurde, dass das politische System Thailands trotz des theoretischen demokratischen Anspruches in der Praxis viele autoritäre und teilweise korrupte Züge aufweist. In der folgenden ersten Diskussionsrunde, die unter der Leitfrage, ob denn Thailand verloren sei, geführt wurde, zeigte sich, dass die Teilnehmer mehrheitlich zumindest in dem breiteren politischen Verständnis und der größeren Politisierung der thailändischen Gesellschaft einen positiven Effekt der seit 2006 nahezu ununterbrochen andauernden Auseinandersetzungen sahen. Dennoch resümierte Dr. Ziegenhain, dass die Schädigung der Demokratie durch den anhaltenden Vertrauensverlust gegenüber Regierung und Eliten keine kurzfristige, sondern eher eine dauerhafte Erscheinung sei. Nina Wiesel von der Universität Trier verglich in ihrem Vortrag die beiden Verfassungen von 1997 und 2007. Sie untersuchte dabei eingangs deren Legitimation und erklärte, dass zwar die Verfassung von 2007 bei einer Volksabstimmung unter Aufsicht des Militärs angenommen wurde, dass aber erhebliche Mängel bei der Legitimation der verfassungsgebenden Versammlung und des Verfahrens der Ausarbeitung auch im Vergleich zur Verfassung von 1997 bestünden. Bei beiden Entwürfen wären diverse Bürgerrechte wie die Versammlungs- und Redefreiheit eingeschränkt wor- 114 den. Zudem habe der Entwurf von 2007 das Parlament zugunsten unabhängiger Verfassungsorgane wie dem Verfassungsgericht geschwächt. Während auf der horizontalen Ebene der Gewaltenteilung demokratische Zugewinne in der aktuellen Verfassung zu verbuchen wären, würden diese aber durch die vertikalen Einbußen bei der Mitbestimmung deutlich übertroffen. Auch Dr. Wolfram Schaffar von der Universität Hildesheim setzte sich bei seinen Ausführungen mit Fragen des politischen Systems auseinander. Er behandelte hierbei die immer stärkere Juridifizierung der thailändischen Politik, die er in Anlehnung an die kritische Demokratietheorie als ein Problem des Systems an sich und nicht nur als funktionale Frage begriff. Der Referent schilderte in der Folge, wie es zu einer bewusst herbeigeführten Fragmentierung der Souveränität auf Kosten des Parlaments gekommen sei. Diese Ansätze für eine Zurückstufung der Legislative wären dabei in beiden Verfassungen, der von 1997 und der von 2007, zu finden. Die Diskussion, welche sich an die Erläuterungen von Dr. Schaffar anschloss, thematisierte besonders die Rolle des Verfassungsgerichts. Der Referent zog den Schluss, dass nur eine fundamentale Veränderung der Zustände der weiter wachsenden Juridifizierung Thailands Abhilfe schaffen könnte. Corinna Johannsen von der Universität Trier machte in ihrem Vortrag auf die Zerstrittenheit der thailändischen Eliten aufmerksam. Diese hätte einen erheblichen Anteil am Zustandekommen der kritischen Situation im Land gehabt. Zwar wäre die relative Einigkeit der Oberschichten, die durch die Asienkrise von 1997 hervorgerufen wurde, schnell wieder hinfällig gewesen, der innere Dauerkonflikt 3 / 2 0 1 0 sei aber erst nach dem Militärputsch von 2006 wieder wirklich offen zutage getreten. In der nachfolgenden Fragerunde wurde zwar die Notwendigkeit einer nicht geeinten Elite für den Beginn eines Transformationsprozesses von autokratischen hin zu demokratischen Systemen festgestellt, aber auch auf die Bedeutung einer Konfliktbeilegung innerhalb der Führungsschichten hingewiesen, ohne die eine langfristige politische Stabilität nicht zu erreichen wäre. Dr. Paul Chambers, Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, widmete sich bei seinen Ausführungen dem Einfluss des Militärs in der thailändischen Politik. Er hob dabei vor allem die Wichtigkeit des von Militärs geführten Thronrates hervor und verwies auf die seit den frühen 1990er Jahren gesunkene Rolle der Streitkräfte, die erst durch den Putsch und die damit erfolgte Ablösung von Premierminister Thaksin wieder deutlich angewachsen sei. Im Anschluss wurde auch die innere Zersplitterung der Armee thematisiert. Dr. Chambers verwies auf die große Rolle der verschiedenen Klassen der Militärakademie, deren Absolventen innerhalb von Heer und Polizei wichtige Seilschaften bilden würden. Bei der Gesprächsrunde, die zum Ende des ersten Tages der Veranstaltung stattfand, wurde zeitweise sehr emotional über die jüngsten Demonstrationen in Bangkok diskutiert. Dr. Oliver Pye von der Universität Bonn berichtete aus erster Hand von seinen Interviews mit Rothemden vor Ort. Außerdem wurde von Dr. Alexander Horstmann vom Max-Planck-Institut die politische Farbenlehre der beiden rivalisierenden Lager genauer betrachtet und eine teilweise Republikanisierung des sehr heterogenen roten Lagers festgestellt. Der zweite Teil der Tagung begann mit dem Vortrag von Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener von der Universität Trier, der sich intensiv mit dem Grenzkonflikt Thailands und Kambodschas auseinandersetzte. Er erinnerte an den historisch aufgeladenen Streit der beiden Länder um die Tempelanlage von Preah Vihear und thematisierte die verschiedenen Schusswechsel an der Grenze, die bislang insgesamt acht Tote und zahlreiche Verwundete gefordert hätten. Als treibende Kraft bei der Eskalation des Konfliktes machte er den autoritär regierenden kambodschanischen Premierminister Hun Sen aus. In der anknüpfenden Debatte wurde auf die innenpolitische Dimension des Streites in Thailand selbst aufmerksam gemacht. Sowohl die Rothemden wie auch die People’s Alliance for Democracy (PAD) hätten klar nationalistische Töne THAILAND-RUNDSCHAU angeschlagen und die zeitweise von der Regierung Samak Sundaravej gezeigte Kompromissbereitschaft gegenüber Phnom Penh heftig angegriffen. René Jaquett von der Universität Trier fasste bei seinen Ausführungen die Zusammenhänge zwischen den Grundsätzen der „Good Governance“ und der Ausstattung und Verfügbarkeit des Internets in Thailand zusammen. Er problematisierte die teilweise repressive Überwachungspolitik der thailändischen Regierung, die vor allem versuche, den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung im Internet zu verfolgen. Im Zuge der anschließenden Gesprächsrunde wurde deutlich gemacht, dass die regionalen Unterschiede bei der Ausrüstung mit funktionsfähigen Internetzugängen eine beträchtliche Rolle spielen würden. Auch die thailändische Regierung hätte aber unter Sicherheitsmängeln zu leiden, was sich beispielsweise an den gegenwärtigen Problemen der Internetpräsenz des thailändischen Senates äußern würde. Zuletzt stellte Karoline Herrmann (Universität Trier) den Ansatz einer Power-Sharing-Politik zur Lösung der ethnischen Konflikte in Süd-Thailand vor. Als grundlegendes Problem zur Anwendung einer solchen Strategie zur Konfliktbeilegung identifizierte sie den zentralstaatlichen und mehrheitsdemokratischen Charakter der Verfassung Thailands. In der Stärkung von konsensdemokratischen Elementen wie der Verhältniswahl sowie in der Etablierung einer demokratischen islamischen Partei, die als Gesprächspartner der Regierung in Bangkok fungieren könnte, sah die Referentin die wichtigsten Maßnahmen bei der Schaffung von Grundlagen für die Aufteilung der Regierungsgewalt mit dem Ziel einer längerfristigen Versöhnung der Konfliktparteien. Obwohl auch der Gedanke einer Föderalisierung und Machtaufteilung in Thailand von der überwiegenden Zahl der Tagungsteilnehmer als zumindest in den kommenden Jahren unwahrscheinlich zurückgewiesen wurde, machten in der Abschlussdiskussion noch einmal mehrere Referenten auch auf die gestärkte politische Streitkultur im Gefolge der Politisierung des ganzen Landes aufmerksam. Ob Thailand besonders nach dem möglichen Tod seines lange Zeit allgemein anerkannten aber schwer kranken Königs auf einen Bürgerkrieg zusteuert oder ob sich nach einer Krisenzeit doch noch eine stabilere demokratische Gesellschaft etablieren könnte, war natürlich auch abschließend von keinem Teilnehmer mit Sicherheit vorherzusehen. Holger Alisch ist wissenschaftliche Hilfskraft an der Juniorprofessur für Internationale Beziehungen/Außenpolitik an der Universität Trier. Aus dem Kreis der DTG nahm Dr. Kumerloeve an der Tagung teil. 115 THAILAND-RUNDSCHAU Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus: Auswärtiges Amt Intern, Ausgabe Juni 2010 116 3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 "Die zweite Generation - Wo bin ich Zuhause?" Seminar der Deutsch-Indonesischen (DIG) und der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft (DTG) in Köln Frauke Kraas Am 4.9.2010 veranstalteten DIG, DTG, Agisra und das Philippine Women's Forum unter der Leitung von DIG-Präsidenten Karl Mertes ein sehr gut besuchtes Seminar zur Frage der "zweiten Generation" - gemeint: zu den Kindern der seit den 1960er Jahren nach Deutschland gekommenen Migranten aus Südostasien. Während die Angehörigen der "ersten Generation" als Studierende oder als Ehepartner von Deutschen nach Deutschland kamen, sich hier einlebten und eine Familie gründeten, sind deren Kinder, zur "zweiten Generation" zählend, zumeist in Deutschland aufgewachsen und sind beruflich und familiär integriert – oft ihrerseits bereits wieder Eltern. Ihre Sozialisation unterscheidet sich erheblich von derjenigen der sog. Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum. Das Seminar richtete sich auf Fragen, welche Erfahrungen die Angehörigen der "zweiten Generation" in Deutschland gemacht und welche Verhaltensweisen sie aus den Herkunftsländern ihrer Eltern übernommen haben sowie darauf, in welcher Weise sie ihre binationalen Wurzeln empfinden, bewahren und in ihre persönliche Identität einbeziehen. Eigene Erfahrungen, aber auch Hoffnungen und Erwartungen sowie gesellschaftliche Forderungen wurden diskutiert - zudem auch die bisher ungewöhnliche, da selten gestellte Frage, welche spezifischen Wünsche und Erwartungen die deutsche Gesellschaft an sie hat. Bei den einführenden Darstellungen konzentrierte sich Jae-Soon Joo-Schauen (agisra; Informationsund Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen) auf die schwierige Pioniersituation vieler Frauen der „ersten Generation“, die durch Probleme in Bezug auf ihre Integration, Konflikte in den Familien, mangelnde Netzwerkbildung, Stigmatisierung und Vorurteile belastet ist. Wichtig wird für die „zweite Generation“ vor allem die Frage, welche Sprachkenntnisse, Netzwerke und Qualifikationen deren Kinder benötigen. Dagmar Dahmen, Leiterin der Abteilung für Ausländerangelegenheiten der Stadt Köln, erläuterte die aktuelle Situation der Umsetzung des EURechts in Bundes- und Landesrecht – mit allen Problemen des Spagats zwischen Integration und Abwehrrecht. Zentrale Bedeutung bei der geregelten Zuwanderung kommt der Frage der Sprachkenntnisse und der Berufungsberatung für Zuwanderer zu. Für die „zweite Generation“ werden Bilingualität und interkulturelle Fähigkeiten zu einer vorteilhaften Schlüsselqualifikation in einer sich zunehmend globalisierenden Welt. Frauke Kraas (DTG/Universität zu Köln) erläuterte die wesentlichen Veränderungen der Migrationsprozesse während der letzten 20 Jahre, die von verstärkter internationaler Arbeitsteilung, zunehmender Urbanisierung der Migration, diversifizierteren Formen von Migration, Transnationalität sozialer Beziehungen, Translokalität, wachsenden ethnischen Ökonomien und zunehmend globalisierter Bildungsmigration gekennzeichnet sind. Der „zweiten Generation“ kommt innerhalb dieser Trends zentrale Bedeutung insofern zu, als sie internationale und interkulturelle Brücken bauen, vermitteln und Verständnis stärken kann. Anschließend erläuterten fünf Angehörige der „zweiten Generation“ aus ihrer Sicht die Erfahrungen: Wechselnde Zugehörigkeitsgefühle im Verlauf des Lebens zu den kulturellen Wurzeln ihrer Eltern, große Internationalität des Freundeskreises, eine positive Sicht von als natürlich erfahrener Integration sowie ein großes Verständnis für die Notwendigkeit einer vorurteilslosen, enttabuisierten Diskussion aktueller Integrationsthemen standen im Vordergrund. Und: Die Frage „woher kommst Du?“ wurde von ihnen – anders als oft angenommen – nicht als unbehaglich empfunden, sondern vielmehr als Ausdruck eines natürlichen Bedürfnisses in der Auseinandersetzung mit räumlicher und sozialer Identität. © Foto: Peter Berkenkopf 117 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Aus Eka Donner’s Tagebuch Sicherlich haben unsere Leser die einführenden Worte zu „Eka Donner’s Tagebuch“ und die erste Kostprobe aus dem Tagebuch auf den Seiten 55/56 des letzten Hefts 2/2010 gelesen. Hier nun eine weitere Passage und wir erinnern uns: Es geht um die Jahre 1969-1972, es geht um „Kabi- nettstückchen“, um humorvolle Betrachtungen am Rande, um Bilder und Einschätzungen jenseits tagesaktueller Vorkommnisse. Arnd D. Kumerloeve Heiraten in Thailand - einige Beobachtungen am Rande. Der Club der Offiziersfrauen der amerikanischen Streitkräfte hat zu seinem monatlichen Mittagessen eine außergewöhnliche reizende und interessante Sprecherin eingeladen. Frau G. L. spricht über „Heirat in eine Thai-Familie“ und beginnt gleich mit einem Sinnspruch: „Der Mann ist wie die Teekanne in einem Teeservice, Die Frauen sind die Teetassen. Ein ordentliches Service sollte nur eine Kanne und viele Tassen haben.“ Wie würde es aussehen, wenn wir nur eine Tasse mit vielen Teekannen hätten?“ sagt ein Thai und bezog sich dabei auf ein altes chinesisches Sprichwort. Die Gäste werden von nah und fern kommen, um am heutigen Hochzeitsempfang für Herrn ***, Sohn des Herrn ***, und Fräulein ***, Tochter des Herrn ***, dem neuernannten Gouverneur von ***, teilzunehmen. Das Fest für tausend Leute wird im Ballsaal des Narai-Hotels stattfinden. Der Verkehr geriet stundenlang durcheinander, als sich mehr als eintausendachthundert Gäste in etwa eintausendfünfhundert Autos den Weg zum Hotel Siam Inter-Continental bahnten, um an der großen Hochzeit von *** , dem Sohn des Präsidenten der ***-Bank und Fräulein *** teilzunehmen. Der zehnstöckige Hochzeitskuchen, der fast bis zur Decke reichte, wurde von dem glücklichen Brautpaar mit einem Schwert durchteilt. Während dessen feiern Herr *** und Fräulein ***, beide in derselben Firma tätig, ihre Verlobung. Das Datum ihrer Hochzeit steht noch nicht ganz fest, beide warten noch darauf, dass ihr Astrologe die rechte Zeit herausfindet. Jeder, der jemand ist, war da. Viertausend Gäste hatte man zu der großen Hochzeit ins Dusit Hotel eingeladen und dreitausendneunhundertneunundneunzig kamen. Das mit Gold verzierte Kleid mit Seide und Wolle, mit einem hohe Kragen und langen Ärmeln, das die Braut zur Zeremonie getragen hatte, fand sie zu heiß. So vertauschte sie es gegen eines aus weißem, mit Perlen bestickten Satin Lamé. Der Stoff kam aus Frankreich, aber das Kleid war in Hongkong gearbeitet worden. Dem Brautpaar gelang es, nach einigen Stunden unbemerkt das Fest zu verlassen, und sich für eine „Rund um die Welt in dreißig Tagen“-Hochzeitsreise fertig zu machen. Die Gäste konzentrierten sich inzwischen auf das Vertilgen des zehnstöckigen Hochzeitskuchens. Wir möchten dem Chef des Steuerbüros einen dicken Kuss geben, weil er auf seinen Steuerformularen so wundervoll diskret ist. Eines der Formulare verlangt Auskunft über die Familie des Steuerzahlers und fügt hinzu, dass Einzelheiten über ALLE seine Familienangehörigen äußerst vertraulich behandelt werden. „Als Familienangehörige“, hören wir, „gelten bis zu zehn Frauen“. Und „Jemanden wie den Sohn einer Nebenfrau zu behandeln heißt, ihn abschätzig und schlecht zu behandeln“. Herr Muangsuwarn Wongsri, ein Wunderheiler, 19, ist in den nördlichen Provinzen wegen seiner Künste wohlbekannt. Einige der Leute, die er geheilt hat, haben ihm ihre Tochter zur Belohnung gegeben. Herr Chuam Polchoo jedoch ging, als er ein Bild des Wunderheilers mit seinen sechs Frauen sah, zur Polizei und sagte, die eine Frau sei seine seit einigen Jahren von zu Hause verschwundene Tochter. Er verlangte, dass die Polizei einschreite und sie zurückgebe. 118 THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0 Vorletzte Seite 119 THAILAND-RUNDSCHAU 120 3 / 2 0 1 0