Konstitution über die Kirche - Katholische Pfarrgemeinde Heilig

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Konstitution über die Kirche - Katholische Pfarrgemeinde Heilig
Heinz-Jürgen Görtz (Katholische Pfarrgemeinde Heilig-Geist, Hannover-Bothfeld, 01.09.2013)
1
Kirche Sein in Zeiten des Umbruchs – eine Vergewisserung im Licht der Dogmatischen
Konstitution über die Kirche Lumen Gentium des II. Vatikanischen Konzils
Es ist spürbar: Wir erleben gegenwärtig große Veränderungen in unserer Kirche. Manche
sprechen geradezu von einer „Zeit des Umbruchs“:
- In den Ortskirchen, d.h. in den Bistümern, aber auch in den Pfarrgemeinden vor Ort,
lässt sich dieser Umbruch etwa an den sinkenden Zahlen der formalen
Kirchenmitgliedschaft oder der sogenannten praktizierenden Christen oder der Priester
festmachen. Damit hängen nicht zuletzt die Fusionen von Pfarrgemeinden zu immer
größeren Gebilden zusammen. Sie haben da ja schon Ihre eigenen Erfahrungen
gemacht.
- In der Weltkirche zeigt sich der Umbruch in der Kirche etwa am ungewöhnlichen
Rücktritt vom Amt des Papstes durch Benedikt XVI. und an dessen Hintergründen,
aber auch am neuen Gesicht, das Papst Franziskus der Kirche mit seinen Worten und
Gesten gibt.
- Schließlich geschieht das, was da an Umbruch in den Ortskirchen und in der
Weltkirche zu beobachten ist, nicht in einem luftleeren Raum. Unsere Kirche findet
sich dabei, wie immer schon in ihrer Geschichte, in den Wandel der Gesellschaft
verstrickt, in der sie lebt.
- Ein Phänomen als Beispiel, das unmittelbar die Situation vieler Pfarrgemeinden
trifft: „Wir sind doch eine Familie“, pflegten wir im Blick auf die Vertrautheit und
Zugehörigkeit eben zur „Pfarrfamilie“ zu sagen. Was hat sich nun aber gesellschaftlich
nicht alles im „vertrauten“ Beziehungs- und Zugehörigkeitsgefüge von „Familie“
verändert! Da wollen viele unterschiedliche „Familien-Projekte“ ausbalanciert werden.
Und da müssen wir uns doch kaum wundern, dass „unsere Pfarrfamilie“ vor ähnlichen
Aufgaben steht und vergleichbare Arbeit zu leisten hat.
In dieser Situation des „Umbruchs“ oder des „Übergangs“ mit ihren „Abschieden“, die da von
Vertrautem und Liebgewordenem zu nehmen sind, und mit den „Hoffnungen“ auf das, was
die Zukunft eröffnen mag, in jedem Fall aber mit vielen Fragen, die aufgeworfen werden, - in
dieser Situation bedürfen wir der „Vergewisserungen“, was wir an „unserer Kirche“ haben
und was wir von ihr zu halten haben.
Solche Fragen der Vergewisserung werden heutzutage im kirchlichen Leben und in der
Theologie, die dieses Leben mit ihrer Arbeit begleitet, - in der Regel - im Licht des II.
Vatikanums angegangen. Und wenn Papst Franziskus nur wenige Wochen nach seinem
Amtsantritt beklagt hat, dass „bislang noch nicht alles getan worden [sei], was der Heilige
Geist im Konzil gesagt habe“ 1, dann ist das Konzilsjubiläum offensichtlich ein guter Anlass,
sich neu auf die Verlautbarungen des Konzils zu besinnen - erst recht in einer „Heilig GeistPfarrgemeinde“, die ihrerseits ihr Jubiläum feiert.
Im Bistum Hildesheim haben wir das übrigens vor fast 25 Jahren schon einmal getan, auf der
Diözesansynode 1989/90.2 Wir müssen also gar nicht wieder ganz von vorn beginnen, - auch
um das Leitmotiv des Dialogprozesses im Bistum für das Jahr 2013, „die Kirche sei der Rede
wert“, vor Missverständnissen zu schützen. Zu klären wäre ja: Für welche Kirche und für
welche Rede gilt das?
1
Kipa (Katholische Internationale Presse Agentur), Rom 16.04.2013 (kipa/cic/bal).
Bistum Hildesheim (Hg.), Kirche und Gemeinde. Gemeinschaft mit Gott, miteinander, für die Welt.
Diözesansynode Hildesheim 1989/90, Hildesheim 1990 (bes. Zweiter Synodaler Schritt: Unser Wegweiser – Die
Heilige Schrift und das Konzil, 20-25). - In der Initiative des Bistums für den Prozess einer „Lokalen
Kirchenentwicklung“ findet sich allerdings kein ausdrücklicher Hinweis auf das Konzil; das gilt für den
grundlegenden Fastenhirtenbrief des Bischofs 2011 und auch für die „Orientierungen“ der Hauptabteilung
Pastoral 2013.
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2
I
„Das Mysterium der Kirche“ oder
„Hin zu einer Kirche, die aus der Nähe ihres Herrn lebt“
Was da in solchen Zeiten des Umbruchs alles in Kirche und Gesellschaft geschieht, ist kaum
zu übersehen. Und wohin das alles führt, ist nicht abzusehen. Umso mehr vertrauen wir
darauf, - „wohin sollten wir sonst auch gehen?“ (vgl. Joh 6,68) - dass wir als Seine Kirche
vom Geist des Gottes Jesu Christi geführt werden. Diese Glaubensgewissheit ruft uns das II.
Vatikanische Konzil in Erinnerung, dass wir, insofern wir Kirche sind, Christus gehören, dass
Er uns nahe ist und dass es mit uns als Seiner Kirche darum geht, allen Menschen das
auszurichten, d.h. ihnen vor Augen zu führen und mit ihnen zu leben, was es mit Christus auf
sich hat.
Damit setzt denn auch die Kirchenkonstitution Lumen gentium ein:
„Da Christus das Licht der Völker ist, wünscht dieses im Heiligen Geist versammelte
[…] Konzil dringend, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der
Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie der ganzen Schöpfung das Evangelium
verkündet [vgl. Mk 16,15]. Da aber die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament
bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit
des ganzen Menschengeschlechts ist, möchte sie […] ihr Wesen und ihre universale
Sendung ihren Gläubigen und der gesamten Welt eingehender erklären.“ (LG 1)
Christus also ist das „Licht der Völker“, nicht die Kirche. Kirche ist vielmehr in dem Sinne
„relativiert“, dass sie „Seine Kirche“ ist, Kirche Jesu Christi.
Das Konzil greift hier zunächst auf ein Bild der Kirchenväter zurück, die vom „mysterium
lunae“, vom „Geheimnis des Mondes“ gesprochen haben. 3 Nach diesem Bild ist die „Kirche
nur wie der Mond, der kein eigenes Licht hat, sondern nur das von der Sonne geborgte Licht
widerstrahlen kann“. Das Konzil macht also deutlich, dass die Kirche nicht um ihrer selbst
willen da ist, sondern um Gottes und der Menschen willen, um des Heils und der Hoffnung
des Menschen willen. 4 Wenn sie „um sich selbst kreist“, so Papst Franziskus mit hörbarem
Bezug auf das Konzil, dann glaubt sie, „- ohne dass es ihr bewusst wäre -, dass sie eigenes
Licht hat. Sie hört auf, das ‚Geheimnis des Lichts’ zu sein“. 5
Um Gottes und der Menschen willen ist Kirche da: Und Gott sucht die „Gemeinschaft“ mit
dem Menschen. Eben das hat das Konzil als das Geschehen und den Sinn von Gottes
Offenbarung noch einmal ganz neu aufgeschlossen:
Er hat „sich selbst“ offenbart, heißt es da (DV 2), damit wir „im Heiligen Geist
Zugang zum Vater haben“ (vgl. Eph 2,18) (so auch LG 4). „[A]us überströmender
Liebe“ „redet“ Gott „die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33, 11; Jo 15, 14-15) und
verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3, 38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und
aufzunehmen.“ Die „Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil
des Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich der
Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist.“
3
Vgl. Hugo Rahner, Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter, Salzburg 1964, 91-173.
Vgl. Walter Kardinal Kasper, Katholische Kirche. Wesen-Wirklichkeit-Sendung, Freiburg 2011, 111.
5
So in der Rede Kardinal Jorge M. Bergoglios während einer der Generalverdammlungen im Vor-Konklave;
den spanischen Text siehe http://www.valoresreligiosos.com.ar/ver_nota.sap?Id=33864. (dt. Übers. Norbert
Arntz); s. dazu jetzt auch die Dokumentation von Peter Hünermann, Was ich beim Konsistorium gesagt hätte, in:
Theologische Quartalschrift 193 (2013) 175-180.
4
Gott offenbart sich, heißt demnach: In Christus teilt Gott sein Leben mit dem Menschen.
Und in Christus wird umgekehrt dem Menschen die Gemeinschaft mit Gott erschlossen, auf
dass er sein Leben mit Gott teilen kann, - und das ist ein Leben, das wir suchen, weil es ein
wirkliches Leben ist und ein Leben in Fülle, eben ein in diesem Sinne gelingendes, weil
„geistesgegenwärtiges“ Leben.
3
„Zeichen und Werkzeug“ und also „Sakrament“ des im Geist gegenwärtigen und Leben neu
erschließenden Christus-Geschehens zu sein, diese Aufgabe der Kirche erhält dann unter den
heutigen Zeitverhältnissen in der Tat eine „noch dringlichere Bedeutung“, wie es in Lumen
Gentium heißt, auf dass „alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und
kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind,“ in alledem und diese Bande kritisch
vertiefend auch noch einmal die „volle Einheit in Christus“ erfahren. (vgl. LG 1)
Mit dem Kapitel über dieses „Mysterium der Kirche“ setzt das Konzil im I. Kapitel von
Lumen Gentium das Vorzeichen schlechthin vor allem anderen. Und wenn wir uns in diesen
Zeiten des Umbruchs unserer selbst als Kirche neu vergewissern wollen, dann steht dies oben
an:
Wir wollen, wie die Synode formuliert hat, „[h]in zu einer Kirche, die aus der Nähe ihres
Herrn lebt“. „Das Konzil ermutigt uns, darauf zu vertrauen, dass Christus uns nahe ist und mit
uns geht, um uns aus unseren Enttäuschungen herauszuführen.“ Die Nähe des Herrn, seine
Gegenwart, erfahren wir immer wieder kraft des Heiligen Geistes - jetzt in dieser Feier der
Eucharistie, in Wort und Sakrament, und in der Begegnung mit dem anderen, wo immer wir
das, was uns widerfährt, und die, die uns begegnen, offen und aufmerksam, will wiederum
sagen kraft des Heiligen Geistes, eben „geistesgegenwärtig“, wahrnehmen. 6
Die Bitte um den Geist, seine Herabrufung (Epiklese) auf das Geschehen, das wir hier feiern,
und auf uns selbst, auf unser Leben „in den gewöhnlichen Verhältnissen der Welt“ (LG 35),
diese Bitte „prägt“ unser Kirche-Sein; und so kommt sie denn aus tiefstem „Grund“.
II
Die Kirche als Gemeinschaft des „Volkes Gottes“ oder
„Hin zu einer Kirche, in der wir Gott und einander nahe sind“
Ein Zweites können wir vom Konzil in unseren Zeiten des Umbruchs neu lernen - oder
müssen es überhaupt erst lernen. Worum es da geht, stellt Lumen Gentium schon durch seinen
Aufbau klar. Bevor von den verschiedenen Handelnden in der Kirche die Rede ist, - von der
„hierarchischen Verfassung der Kirche, besonders vom Bischofsamt“ (vgl. LG III), von den
„Laien“ (LG IV) und von den Ordensleuten (vgl. LG VI7), wird zuerst die Vorgabe des sich in
Christus mit-teilenden göttlichen Handelns herausgestellt, eben das „Mysterium der Kirche“
(LG I), und wird dann noch erst das „Volk Gottes“ als Handlungssubjekt der Kirche
eingeführt. (LG II) In seine Hände legt Christus, entäußert er, sein Tun und sein Werk.
6
In solcher „Geistesgegenwart“ lernten wir nämlich wahrzunehmen, wie das Konzil in der Pastoralkonstitution
sagt, dass sich „der Sohn Gottes […] in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“
hat, (vgl. GS 22) sei er uns noch so „anders“ und „fremd“ in seiner ihm ganz eigenen Freiheit und individuellen
Würde; und dann lernten wir auch zu „verstehen, dass die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften über
eigene Gesetze und Werte verfügen, die vom Menschen schrittweise zu erkennen, zu gebrauchen und zu
gestalten sind“ (GS 36), m.a.W. der „Autonomie der irdischen Dinge“ in Neuzeit und Moderne Rechnung zu
tragen.
7
Auch dem Kapitel über die „Ordensleute“ geht das über die „allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“
(LG V) voraus.
Die Synode hat für unser kirchliches Leben daraus zwei Konsequenzen gezogen:
4
Die erste Konsequenz: „Weil wir ‚in Christus’ mit Gott und miteinander verbunden
sind, sind wir in eine Gemeinschaft gewiesen, in der es ‚anders’ zugeht als in unserer
Lebenswelt (vgl. Mt 20,26).“ In Lumen Gentium heißt es dazu, das „Volk Gottes“ sei „von
Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit“ gestiftet (LG 9). Eine
solche Gemeinschaft verstehen wir unter einer „geschwisterlichen“ Kirche. In ihr „herrscht“,
wenn überhaupt jemand oder etwas herrscht, dann sein Geist. Eine solche Kirche lebt nicht
zuletzt von „Dialog und Kommunikation“; beides haben wir offensichtlich neu einzuüben. Die Dialogprozesse, die in diesen Jahren in unseren Bistümern durchgeführt werden - und ja
auch in manchen Pfarrgemeinden -, sind in diesem Sinne Chancen „zu lernen, wie wir uns
miteinander verbinden, ohne uns zu vereinnahmen, [und] wie wir uns miteinander
auseinandersetzen, ohne uns zu trennen.“
Die zweite Konsequenz: Wer dem Geist des Gottes Jesu Christi vertraut, macht die
Erfahrung, dass ihm selbst etwas zugetraut wird. Gerade das Leitbild vom „Volk Gottes“ lässt
sehen, dass wir für unsere Kirche und Gemeinde selbst verantwortlich sind. „Alles, was das
Konzil über das ‚Volk Gottes’ sagt, richtet sich deshalb ‚in gleicher Weise an Laien,
Ordensleute und Kleriker’ (LG 30). Wir alle gehören [durch das Geistgeschehen von] Taufe
und Firmung zum Volk Gottes. Deshalb herrscht unter uns allen im Volk Gottes ‚eine wahre
Gleichheit’ (LG 32).“8
Lumen Gentium greift hier auf einen Gedanken der Kirchen der Reformation zurück, um diese
„Gleichheit“ durchzuspielen, nämlich auf das Motiv des dreifachen Amtes Jesu Christi: Alle
Getauften haben, wenn auch auf unterschiedliche Weise, an diesen Ämtern Christi Anteil.
Alle sind zur Verkündigung und zum Zeugnis und damit zur Teilhabe am prophetischen Amt
Christi berufen9, alle sind zur Lebenshingabe berufen - und dieses starke Wort, das zu
überfordern droht, meint im Kern: aus dem Geist Christi leben so leben, dass andere leben
können; ein solches Leben „kostet“ Zeit und Kraft und also eben uns selbst - alle also sind zu
solcher Lebenshingabe und zur Mitwirkung an ihrer Feier in der Liturgie und damit zum
priesterlichen Amt Christi berufen10 und alle sind zum Dienst berufen, in dem sich das
königliche Amt dessen verwirklicht, der nicht herrschen wollte, sondern dienen.11
Ohne diese Neuorientierung des Konzils sind die Dialogprozesse als Unternehmungen, die
gemeinsame Verantwortung einzuüben, nicht zu denken. Und sie werden für das Leben der
Kirche nur dann fruchtbar sein, wenn die Mahnung der Synode eingelöst wird, dass wir „ein
Mehr an Kollegialität [brauchen], an Mitsprache und Mitverantwortung, an Durchlässigkeit
der Informationen und Transparenz der Entscheidungsprozesse, als es in der Kirche von
Hildesheim und in unseren Gemeinden gegenwärtig der Fall ist. [Denn] [w]ie von Dialog und
Kommunikation, so lebt eine geschwisterliche Kirche und Gemeinde nicht weniger von der
Partizipation, von der gerechten Beteiligung aller an ihrem Leben.“
8
S. auch das Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterium Ordinis (PO 2), dass „alle, die zu diesem
Volk gehören, im Heiligen Geist geheiligt sind und sich selbst als ‚lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges
Opfer’ (Röm 12,1) darbringen.“ (s.u. Anm. 10)
9
Vgl. LG 12 spricht in diesem Zusammenhang vom sensus fidelium“, „vom übernatürlichen Glaubenssinn des
ganzen Volkes“.
10
Vgl. LG 10 die Rede vom „gemeinsamen Priestertum der Gläubigen“; s.o. Anm. 8.
11
Vgl. Peter Walter, Kirchesein heute zwischen ortskirchlichen Erfordernissen und universalkirchlichen
Vorgaben (Diözesanversammlung Freiburg 25. bis 28. April 2013), 2. (http://www.erzbistumfreiburg.de/html/dioezesanversammlung817.html). S. dazu Heinz-Jürgen Görtz, Das kirchliche Handeln des
Laien. „Christifideles Laici“ im Kontext der „Communio-Ekklesiologie“ von „Lumen Gentium“, in: Theologie
und Philosophie 66 (1991) 177-191; LG spricht von den unterschiedlichen „Diensten“ in LG III, IV, VI.
III
„Welt-Kirche“ oder „Hin zu einer Kirche, die aus der Nähe zu den anderen lebt“
5
Wenn „unsere Kirche“ vor allem anderen „Seine Kirche“ ist, „Kirche Jesu Christi“, dann
findet sie sich - als Kehrseite desselben - gerade deshalb verstrickt in Gottes Beziehung zur
Welt, in seine Zuwendung zu seiner Menschheit. Unsere Kirche ist deshalb nicht einfach im
banalen Sinn ihrer weltweiten Verbreitung, sondern im wesentlichen Sinn „Welt-Kirche“.
Und dieser Sinn treibt uns „[h]in zu einer Kirche, die aus der Nähe zu den anderen lebt“.
Von „Entweltlichung“ kann also keine Rede sein: Papst Franziskus hat mit diesem
umstrittenen Schlagwort12 auf eine „verweltlichte Kirche“ gezielt, die „in sich, aus sich und
für sich selber lebt“. So haben für ihn denn auch die „Missstände, die sich im Laufe der Zeit
in den Institutionen der Kirche gezeigt haben“, „ihren Grund in dieser Selbstbezüglichkeit, in
einer Art theologischem Narzissmus.“ Er unterscheidet also sehr wohl eine „Kirche“, „die
Jesus in ihren eigenen Reihen festhalten […] und nicht hinausgehen lassen“ will, von der
„evangelisierende[n] Kirche, die aus sich herausgeht“, die also um Jesu Christi willen, der
„von innen anklopft, damit wir ihn hinausgehen lassen“, gar nicht anders kann, als sich der
Welt und den Menschen in ihr zu verbinden. 13
Damit trifft er den Ton der Eingangsworte der Pastoralkonstitution über die Kirche in der
Welt von heute Gaudium et Spes, wenn es da heißt:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der
Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst
der Jünger Christi, und es findet sich nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihrem
Herz seinen Widerhall fände. Ihre eigene Gemeinschaft setzt sich nämlich aus
Menschen zusammen, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer
Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen
haben, die allen vorzulegen ist. Darum erfährt sie sich mit dem Menschengeschlecht
und seiner Geschichte wirklich innigst verbunden.“ (GS 1)
Was in Christus geschieht, ist in unsere Hände gelegt. Wir sind jenes „Volk Gottes“, so sagt
es Lumen Gentium wieder biblisch, das von Christus „als Werkzeug der Erlösung
angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5,13-16) in alle Welt
gesandt“ wird (LG 9).
Auch hier zieht die Synode die Konsequenz für unser kirchliches Leben:
„Das Konzil stellt damit für uns klar: In dem Maße, in dem wir unsere Sendung
entdecken, werden wir unsere Identität als Kirche und Gemeinde Jesu Christi
entdecken. Wo wir uns nur mit uns selbst beschäftigen, verfehlen wir uns selbst.“
Unsere Gemeinschaft ist eine solche „für die Welt“. „Gemeinschaft für die Welt zu
sein, fängt damit an, Gemeinschaft mit der Welt und den Menschen zu sein. Wo wir
uns aus der Welt zurückziehen und von den Menschen trennen, trennen wir uns von
Christus selbst. Um mit Ihm zu leben, müssen wir mit ihnen leben. Wir selbst müssen
zu ihnen hingehen, um dort zu sein, wo Er ist. Ohne diesen Ortswechsel in die
Gemeinschaft mit den Menschen in der Welt bleiben wir unglaubwürdig.“
Das Konzil lässt uns schließlich auch nicht im Unklaren darüber, was solche Sendung für uns
bedeutet, was sie uns „kostet“. Denn „[d]er Weg Christi muss auch unser Weg werden (vgl.
LG 8). Lumen Gentium charakterisiert diesen Weg im Rückgriff auf die Heilige Schrift:
12
13
S. dazu die Rede Benedikts XVI. an engagierte Katholiken aus Kirche und Gesellschaft in Freiburg 2011.
S. o. Anm. 5 die Rede im Vor-Konklave.
6
„Christus Jesus hat, ‚sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen’ (Phil 2,
6); um unsretwillen ‚ist er arm geworden, obgleich er doch reich war’ (2 Kor 8, 9). So
ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf,
nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und
Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten. Christus wurde vom Vater
gesandt, ‚den Armen frohe Botschaft zu bringen, zu heilen, die bedrückten Herzens
sind’ (Lk 4, 18), ‚zu suchen und zu retten, was verloren war’ (Lk 19, 10). In ähnlicher
Weise umgibt die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit
angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie
gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu
erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen.“
Es offenkundig, dass wir als diese Kirche Christi, wie das Konzil sagt, „zugleich heilig und
stets der Reinigung bedürftig“ sind und wir deshalb „immerfort den Weg der Buße und
Erneuerung“ gehen müssen. (Vgl. LG 8)
Dass dem so ist, verweist uns an das, was wir jetzt und hier als Ausdruck und Quelle unseres
Kirche-Seins miteinander feiern. Wir bedürfen dessen, dass wir durch den Empfang der
eucharistischen Gaben selbst verwandelt, Ihm gleich gestaltet werden, Brot für das Leben der
Welt - und also, in solcher Hingabe, Seine Kirche sind, „‚gleichsam das Sakrament, das heißt
Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen
Menschheit’ (LG 1).“
Auf der Suche nach einer neuen Art, („Orts“-)Kirche zu sein
In diesem durch das Christusgeschehen vertieften Sinn ist „unsere Kirche“ „Welt-Kirche“.
Wir sind Seine Welt-Kirche „vor Ort“. Lumen gentium hat uns neu bewusst gemacht, dass die
Kirche „in und aus den Ortskirchen lebt“ (vgl. LG 23):
Denn, so heißt es da, die „Kirche Jesu Christi ist wahrhaft in allen rechtmäßigen
Ortsgemeinschaften der Gläubigen anwesend, die in der Verbundenheit mit ihren
Hirten im Neuen Testament auch selbst Kirchen heißen. Sie sind nämlich je an ihrem
Ort, im Heiligen Geist und mit großer Zuversicht (vgl. 1 Thess 1,5), das von Gott
gerufene neue Volk […]. In diesen Gemeinden, auch wenn sie oft klein und arm sind
oder in der Zerstreuung leben, ist Christus gegenwärtig, durch dessen Kraft die […]
Kirche geeint wird.“ (LG 26)
Das gilt nicht nur für die Bistümer als „Ortskirchen“, sondern vielleicht gerade auch für
unsere Pfarrgemeinden vor Ort.
Es ist deshalb gut, dass unser Bischof die Initiative für einen Prozess „Lokale
Kirchentwicklung“ ergriffen hat, - wenn wir ihn denn als einen Prozess in den Spuren der
Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils aufgreifen - und damit als einen Prozess,
der die „Sehnsucht“ ernst nimmt, die die Synode artikuliert hat, die „Sehnsucht“, „auf eine
neue Art Kirche zu werden“:
„Für dieses Ziel hat uns das Konzil den Weg gewiesen: Wir sollen lernen, Kirche und
Gemeinde […] als Gemeinschaft mit Gott, miteinander und für die Welt neu zu
verstehen und tiefer zu verwirklichen. Das ist mehr als ein innerkirchliches
Reformprogramm. Das ist eine Botschaft und Verheißung für den Menschen und die
Welt von heute.“14
14
S. zum Ganzen auch den jüngsten, auf die Spannung von Geist und Recht abhebenden Diskussionsbeitrag von
Michael Böhnke: Kirche in der Glaubenskrise. Eine pneumatologische Ekklesiologie, Freiburg/Basel/Wien
2013.

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