Koreanischer Tiger in Duisburg

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Koreanischer Tiger in Duisburg
weisspunkt dezember 2012
standort duisburg
Koreanischer Tiger in Duisburg
Ronald Langnäse lehrt die traditionelle koreanische Kampfkunst Kuk Sool Won
Südkorea – Land der Gegensätze. Einerseits hat sich das Land in nur wenigen Jahrzehnten vom armen Arbeiter- und Bauernstaat
zu einem der am höchsten entwickelten, reichen Industriestaaten entfaltet. Andererseits zeigt sich das Land in weiten Teilen
der Bevölkerung noch stark mit alten, überlieferten koreanischen Traditionen, deren Ursprünge teilweise im Buddhismus liegen,
verwurzelt. Dazu gehören neben den traditionellen Künsten wie Tanz, Theater und Musik insbesondere das Kuk Sool Won, die
koreanische Kampfkunst. Diese Sportart ist bisher in Deutschland noch wenig verbreitet, doch der Sachtlebener Ronald Langnäse
unterrichtet als Meister des Kuk Sool Won diese akrobatische Kampfkunst im Homberger Kuk Sool Won Sport Center.
Die Trainingshalle ist mit weichen roten Matten ausgelegt. An einer Wand prangen die
Fahnen von Süd-Korea, des koreanischen Kuk
Sool Won Verbandes und die Fahne des Gastgeberlandes, Deutschland. „Vor jedem Training verbeugen wir uns gemeinsam vor diesen
Fahnen und zeigen so unsere Achtung. Erst
dann begrüßen mich die Schüler“, erklärt Ronald Langnäse die Zeremonie, die sich jeweils
zu Beginn und Ende des Trainings abspielt. Die
Anzüge der Sportler sind schwarz und tragen
neben dem bekannten Ying-Yang Emblem in
rot und blau weitere koreanische Schriftzeichen. Auffällig sind die unterschiedlichen
Gurtfarben, die von weiß, gelb, orange, grün,
blau über rot, braun und schwarzbraun bis hin
zu schwarz den jeweiligen Ausbildungsstand
der Sportler kennzeichnen. „Im Sommer habe
ich den dritten Dan erreicht und bin damit im
traditionellen Kuk Sool Won System sozusagen zum Assistenten des Lehrmeisters geworden,“ erzählt Ronald Langnäse, der bereits seit
über zwanzig Jahren bei Sachtleben arbeitet,
zunächst als Handwerker in der Dünnsäurerückgewinnungsanlage, später, nach Abschluss einer Techniker-Ausbildung, dann in
der Schwefelsäurefabrik. Seit Februar 2012
koordiniert Ronald Langnäse den Einsatz der
Fremdfirmen während laufender Projekte mit
Hauptaugenmerk auf Arbeitssicherheit und ist
für die Arbeitsvorbereitung in der Schwefelsäurefabrik verantwortlich.
Kuk Sool Won vor der Haustür
Lehrmeister und Inhaber des Homberger
Kuk Sool Won Sport Center ist Kun Kyo Oh,
der mit Erreichen des 9. Dans den Titel eines
„Bu Sa Beom Nim“ Ronald Langnäse zeigt
seinen Schülern einen korrekt ausgeführten Yeop
Cha Gi, zu Deutsch ein Fußkantentritt mit der
Seite.
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Großmeisters trägt. Er gründete die Sportschule vor 41 Jahren und unterrichtete neben Kuk
Sool Won auch Taekwondo und Kickboxen.
„Bereits als Jugendlicher hat mich seine Ausstrahlung geprägt und meinem Leben positive
Impulse gegeben. Denn seine Art, immer wieder individuell auf seine Schüler einzugehen,
sie zu motivieren, zu fördern aber auch zu fordern, ist einzigartig.“ Mittlerweile hat sich
Meister Oh, wie er von seinen Schülern genannt wird, aus der aktiven Kuk Sool Won Trainerarbeit zurückgezogen und hat Ronald
Langnäse die Ausbildung in Homberg übertragen. Zwei weitere ehemalige Schüler haben
inzwischen eigene Kuk Sool Won-Schulen in
Kamp-Lintfort und Rheinhausen gegründet.
„Mit meinem Trainingsangebot möchte ich
speziell die Jugendlichen aus unserem Stadtteil
ansprechen, sich diesen Sport einmal genauer
anzusehen“, begründet der 45-Jährige seine
Motivation, das regelmäßige Training der Kinder neben seinen Aufgaben bei Sachtleben zu
übernehmen. „Auch wenn der Titel
Kampfsport eher Angriff und Aggression vermuten lässt, verbirgt sich hinter Kuk Sool Won
eine komplexe Kombination aus Sport, Technik, Disziplin und medizinischem Wissen.“
Tim Lenzen absolviert bei Sachtleben eine
Ausbildung zum Mechatroniker im dritten
Ausbildungsjahr. Seit zwei Jahren trainiert er
regelmäßig auch Kuk Sool Won. „Durch das
Training hat sich meine Körperhaltung erheblich verbessert und meine Einstellung grundlegend geändert. Schon hierdurch signalisiere
ich in einer brenzligen Situation: Ich leiste Widerstand! Ich bin kein Opfer!“, so der 20-Jährige, „und bislang konnte ich damit noch jede
Situation gewaltfrei entschärfen.“ Denn vor
einem handgreiflichen Konflikt geht es für die
Kontrahenten immer zuerst darum abzuschätzen, wer wohl der Stärkere sei. Wer in dieser
Situation Rückgrat zeigt und vermeidet, die
Opferrolle zu übernehmen, macht es dem
Gegner schwer, seine Siegchancen abzuschätzen.
Sicherheit und Selbstbewusstsein
Kuk Sool Won fördert den Charakter und
stärkt das Selbstbewusstsein, beruhigt die Nerven und baut die mentale und physische Kraft
des Menschen auf. Über die Aktivierung der
Muskeln wird die verborgene, innere Kraft entwickelt, gebündelt und so die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert. Darüber hinaus vermittelt Kuk Sool Won detailliertes Wissen über
Akkupressur, Akkupunktur, Chiropraktik und
Heilkräuter. „Vor allem aber fordert Kuk Sool
Won Selbstdisziplin, Selbstbeherrschung und
Selbstkontrolle, Loyalität sowie Respekt gegenüber anderen Menschen“, bekräftigt Ronald Langnäse.
Dabei ist Kuk Sool Won eine noch recht junge Sportart, die erst vor wenigen Jahrzehnten
in Korea entwickelt wurde. Kuk Sool Won beinhaltet Techniken aus nahezu allen bekannten
asiatischen Kampfsportarten, wie Karate,
Kung Fu, Judo, Hapkido und Kendo und basiert daher weitgehend auf alten Traditionen
und Techniken. Tatsächlich gilt Kuk Sool Won
mit 270 Zielpunkten auf dem Körper des Gegners und 3608 Techniken als eines der vollkommensten Kampfkunst-Systeme zur Selbstverteidigung und Körperschulung. Die Betonung von schnellen und fließenden
Bewegungen macht aus Kuk Sool Won einen
extrem dynamischen Kampfstil.
Absolute Körperbeherrschung
Barfuß haben sich die Schüler inzwischen in
der Halle mit Laufen und Sprungübungen aufgewärmt und sind entsprechend außer Atem.
„Kuk Sool Won erlaubt es uns, unsere Pulsund Atemfrequenz innerhalb kurzer Zeit wieder zu kontrollieren. Dazu trainieren wir be-
Kuk Sool Won liegt in der Familie: Tochter Anna trainiert den Yeop Cha Gi (Fußkantentritt mit der Seite)
gemeinsam mit ihrem Vater Ronald Langnäse im Homberger Kampf-Sport Center.
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stimmte Atemtechniken, die durch Armbewegungen unterstützt werden“, so Ronald
Langnäse. Lockerungsübungen, Dehnen und
Sprungkrafttraining gehören ebenso zu jedem
Training wie verschiedene Falltechniken, bei
denen das gekonnte, schmerzfeie Abrollen
und Abfedern des Körpers geübt wird. Kuk
Sool Won legt besonderen Wert auf Hand und
Fußtechniken. Während Fußtritte vom Kickboxen oder Taekwondo bekannt sind, erlauben
es die zunächst unscheinbar wirkenden Handtechniken, den Gegner innerhalb kürzester
Zeit wirkungsvoll außer Gefecht zu setzen. Dabei geht es vor allem um die genaue Kenntnis
der Anatomie, also wo der Gegner zu fassen
ist, welche Schmerzpunkte in Reichweite sind
und wie daraus die größtmögliche Wirkung
erzielt werden kann. „In einer richtigen Auseinandersetzung wäre dies für den Gegner sehr
schmerzhaft und die Fehde wohl schnell beendet. Hier in der Halle schlägt der Trainingspartner mit der freien Hand auf die Matte, sobald
es weh tut“, erklärt der Trainer, „aber jeder
muss selber spüren, wie weit er gehen kann.“
Dennoch entspricht die koreanische Kampfkunst dem buddhistischen Wertesystem, nach
dem weder die eigene Person noch der Angreifer dauerhaft verletzt werden soll.
Was fürs Auge: Action pur
Im Trainingsraum beginnt nun der interessante, für den Zuschauer spektakuläre Teil. Mit
dem Trainer werden jetzt die Tritt- und Wurftechniken geübt. Ausgerüstet mit Pratzen an
den Händen steht der Trainer vor seinen Schülern und gibt ihnen auf koreanisch Anweisungen, welche Tritte oder Schläge ausgeführt
werden sollen. Die Schlagpolster an den Händen markieren bei den Schlägen und Tritten
einerseits den Zielpunkt, fangen andererseits
aber die Energie der Faustschläge ab. „Jeder
drei Chong Kwon auf meine rechte Hand!
gen. Die einzelnen Silben stehen für bestimmte Körperteile, Drehungen oder Sprünge. Auch
Begrüßungsformen, die Zahlen von eins bis
zehn und die Bezeichnungen der Ausbildungsstufen müssen die Schüler in der Homberger
Kuk Sool Won Schule lernen. „Was sich für
Außenstehende so komplex anhört, lernen die
Kinder quasi nebenbei. Die Aussprache ist halb
so wild. Zudem erkläre ich alles auch auf
Aber achtet auf eure Deckung!“, lautet die
kurze präzise Anweisung. Mit der linken Hand
täuscht Ronald Langnäse bei der Übung selbst
einen Angriff an und erwartet von seinen
Schülern eine fließende Abwehrbewegung
mit dem Unterarm.
Kurz darauf folgen Ap Cha Gi (Fußballentritt
von vorne), Dol-A Cha Gi (Fußrückentritt gedreht) und Yeop Cha Gi (Fußballentritt von der
wie Tiger, Bär und Schlange oder Vögeln wie
dem Adler oder dem Kranich nachzuahmen.
Daraus entstanden dann fast tänzerisch wirkende Formen, die den Abschluss des Trainings
bilden. „Diese werden in fließenden Bewegungen ausgeführt und symbolisieren meist
eine Verteidigungssituation, in der sich der
Kämpfer gegen mehrere Gegner zur Wehr setzen muss“, beschreibt Ronald Langnäse diese
Übung, die große Ähnlichkeit mit dem chinesischen Schattenboxen hat.
Insbesondere diese runden, weichen, in sich
abgeschlossenen Bewegungen machen Kuk
Sool Won zu einem idealen Selbstverteidigungssystem auch für Frauen. Denn statt
Schlägen und Tritten ruckartig auszuweichen,
verfolgt Kuk Sool Won das Prinzip des Wassers
und versucht, die Kraft des Angreifers mit fließenden Bewegungen abzuschwächen. Mit
dem Prinzip des Kreises werden Tritte und Stöße bogenförmig abgefangen, um einen Angriff ins Leere laufen zu lassen. „Eine solche
Strategie schützt einerseits den Angegriffenen
vor Verletzungen und kann, richtig angewandt, den Gegner solange außer Gefecht
setzen, dass eine Flucht gelingt.“
Abschied mit förmlichem GruSS
Anatomie sehr gut: Die richtige Wahl des Schmerzpunktes erzielt die größtmögliche Wirkung ohne
bleibende Verletzungen.
deutsch, wenn jemand etwas nicht verstanden
hat“, fasst Ronald Langnäse zusammen.
Seite). Diese Tritte können in verschiedenen
Höhen und teilweise mit einem Sprung ausgeführt werden. „Das ist besonders für die Jugendlichen interessant, die mit der nötigen
Akrobatik diese Tritte selbst in Kopfhöhe ausführen. Das fordert sie heraus, sieht spektakulär aus und bringt ihnen den meisten Spaß am
Training.“
Kuk Sool Won wurde in Korea entwickelt.
Da ist es verständlich, dass Techniken, Würfe
und Schläge koreanische Bezeichnungen tra-
Mit dem Tiger vor den Spiegel
Zum Abschluss des Trainings stellen sich die
älteren Schüler gemeinsam vor die Spiegelwand, die es ihnen erlaubt, ihre Bewegungen
und Übungen selbst zu kontrollieren. Viele asiatische Selbstverteidigungstechniken wurden
von Mönchen entwickelt. Sie versuchten dabei
oft, Bewegungen und Techniken von Tieren
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Zum Abschluss des Trainings stellen sich alle
Schüler nochmals in einer Reihe auf, richten
ihren vom Training verrutschten Anzug, verbeugen sich vor Ronald Langnäse und verabschieden sich mit „An Nyoung Hee Ga Sip Si
Yo“ – zu deutsch „Tschüss und kommt sicher
nach Hause“ – bis zum nächsten Training.
Wenn jetzt Ihr Interesse für koreanische
Kampfkünste geweckt ist und Sie schon immer
etwas für Ihre Beweglichkeit tun wollten, dann
informieren Sie sich doch bei Ronald Langnäse
([email protected]) über den nächsten Trainingstermin oder schauen auf die
Homepage: www.kuksoolwonhomberg.de. n