Merkblatt zur BK Nr. 2104: Vibrationsbedingte

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Merkblatt zur BK Nr. 2104: Vibrationsbedingte
Merkblatt zur BK Nr. 2104:
Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die
zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich waren oder sein können
(Bek. des BMA vom 10.7.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1979)
Vibrationen sind mechanische Schwingungen, die durch hohe Frequenzen mit
niedriger Amplitude, Erschütterungen solche, die durch niedrige Frequenzen mit
hoher Amplitude gekennzeichnet sind. Beide Begriffe überlappen sich.
I. Gefahrenquellen
Vibrierende, von Hand geführte technische Werkzeuge und Maschinen können
Durchblutungsstörungen an den Fingern verursachen. Nach praktisch-klinischen
Erfahrungen werden diese Störungen bei Vibrationen mit Frequenzen
hauptsächlich im Bereich von etwa 20 bis 1 000 Hz beobachtet.
Derartige Vibrationen treten auf z. B. bei der Bedienung von hochtourigen
Bohrern, Meißeln, Fräsen, Sägen, Schneide-, Schleif- und Poliermaschinen sowie
Niethämmern und Anklopfmaschinen, ferner bei Handrichtern.
Bevorzugt eingesetzt werden diese pneumatisch oder motorbetriebenen
Arbeitsmittel in der Forstwirtschaft, dem Hoch- und Tiefbau, der
metallverarbeitenden Industrie und im Schiffsbau.
II. Pathophysiologie
Durch die Einwirkung von Vibrationen kann es an der betroffenen Hand zu
Schäden an den Gefäßen und/oder peripheren Nerven kommen. Die
Krankheitsbezeichnung "Vibrationsbedingtes Vasospastisches Syndrom (VVS)"
drückt die ursächlichen Beziehungen aus. Früher verwendete Synonyme waren
meist deskriptiver Art: "Weißfinger-Krankheit", "traumatisches RaynaudPhänomen". Im Schrifttum finden sich ferner die Bezeichnungen "Traumatic
Vasospastic Disease (TDV)" bzw. "Vibration Induced White Finger (VWM)" sowie
Vibrations-Syndrom.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Das Krankheitsbild mit anfallsartig und örtlich begrenzt auftretenden Störungen
der Durchblutung und Sensibilität an den Händen tritt im allgemeinen nach
einigen Monaten bis Jahren auf. Es besteht eine Abhängigkeit von Dauer und
Intensität der täglichen Exposition. Meist treten die Beschwerden im
Winterhalbjahr bei Arbeitsbeginn auf. Typischerweise werden die Anfälle durch
Kälteeinfluß begünstigt, in fortgeschrittenen Stadien auch unabhängig von der
Arbeit.
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Die Anfallshäufigkeit variiert von vereinzeltem bis zu täglich mehrmaligem
Auftreten. Die Dauer der vasomotorischen Störungen beträgt einige Minuten bis
mehrere Stunden und kann durch Aufwärmen verkürzt werden.
Die Symptome der chronisch-intermittierend auftretenden
Durchblutungsstörungen sind örtlich begrenzt auf den Teil der Hand, der die
Vibrationen hauptsächlich aufnimmt. In den meisten Fällen sind betroffen die
Finger II bis V der Halte- und Bedienungshand. Nur ausnahmsweise treten
Beschwerden im Daumen und in der Hohlhand auf. Die überwiegende Zahl der
Patienten gibt einseitig bestehende Störungen der Durchblutung und Sensibilität
an: Absterbe- und Kältegefühl bei Weißwerden der Finger mit Schwäche und
Steifigkeit. Cyanotische Verfärbung und spätere Rötung mit Wärmegefühl sind
nicht obligat. Paraesthesien in Form von Nadelstichen werden oft beschrieben.
Die Ausbreitung und Rückbildung dieser Mißempfindungen erfolgt innerhalb von
Minuten von den Fingerspitzen nach proximal. Komplikationen infolge trophischer
Störungen treten bei vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen praktisch
niemals auf. Zwischen den nur anfallsweise auftretenden
Durchblutungsstörungen sind die davon betroffenen Personen beschwerdefrei.
Die Diagnose der Erkrankung ist im beschwerdefreien Intervall schwierig:
Inspektion und Palpation ergeben keine für die Krankheit charakteristischen
Veränderungen. Sie sind aus differential-diagnostischen Gründen jedoch wichtig.
Bedeutsam ist die Arbeitsanamnese und die genaue Beschreibung der
Beschwerden im zeitlichen und örtlichen Verlauf. Die Durchführung eines
Provokationstests (z. B. Kaltwassertest bei 12° C) ist erforderlich. Eine
Objektivierung der arbeitsbedingten Durchblutungsstörung wird ermöglicht durch
die Messung der Hauttemperatur, die Bestimmung der Wiedererwärmungszeit,
den Fingernagel-Preßversuch und neurologische Untersuchungen mit Prüfung
der Sensibilität und Motorik. Ergänzend können sphygmomanometrische
Untersuchungen und speziellere Tests, die jedoch standardisiert sein sollten,
durchgeführt werden. Röntgenaufnahmen der Hand zeigen keine für diese
Erkrankung spezifischen Veränderungen.
IV. Weitere Hinweise
Die chronisch-rezividierend und örtlich begrenzt auftretenden vibrationsbedingten
Störungen der Durchblutung und Sensibilität sind aufgrund von Arbeitsanamnese,
Beschwerdebild und Lokalbefund und nach Provokationstests zu diagnostizieren.
Mit Hilfe des Krankheitsverlaufes und der erhobenen Befunde lassen sich
differentialdiagnostisch andere, nicht beruflich verursachte periphere
Durchblutungsstörungen abgrenzen: Der klassische M. Raynaud (typischerweise
symmetrischer Befall der Finger jüngerer Frauen, infolge emotionaler oder KälteReize), vasospastische Erkrankungen wie Akrocyanose, Livedo reticularis und
familiär gehäuft zu beobachtende sog. kalte Hände, die allesamt bei
Kälteexposition auftreten, chronische Erkrankungen der Arterien (z. B.
Thrombangiitis obliterans) und Zustände nach Ergotamin-Medikation bzw.
Noradrenalin. Das Raynaud’sche Phänomen beobachtet man meist als plötzlich
auftretendes und zunehmende Beschwerden verursachendes Symptom bei
systematischen Erkrankungen ungünstiger Prognose (Kollagenosen, Myelome).
Ähnliche Symptome treten auf bei hämatologischen Erkrankungen, wobei
Dysproteinämien und Kyroglobuline nachweisbar sind. Prädisponierende
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Faktoren für die Manifestation arbeitsbedingter Durchblutungsstörungen sind
Kälteexposition (auch in der Freizeit), Nikotinabusus und eine noch nicht weiter
abgeklärte individuelle Disposition, wobei das Alter offensichtlich keinen Einfluß
hat.
Die Prognose der Erkrankung ist abhängig von der Dauer des Bestehens und
dem Schweregrad der Beschwerden. Die intermittierenden
Durchblutungsstörungen sind anfangs reversibel und verlieren sich bei fehlender
Exposition. Auch noch in fortgeschrittenen Fällen kann die Unterlassung der
gefährdenden Tätigkeit zu einer Besserung der Erkrankung hinsichtlich Intensität,
Häufigkeit und Ausmaß der Beschwerden führen.
V. Literatur
lwata, H.; Dupius, H.; Freund, J. L.; Hartung, E.: Bei Hand-Arm-Schwingungen
auftretende Erkrankungen. Arbeitsmed., Sozialmed., Präventivmed., 12, 295-296,
1973
Klosterkötter, W.: Kriterien für vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen bei
beruflichen Tätigkeiten. In: Ergonomische Aspekte der Arbeitsmedizin.
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin, Jahrestagung
1975, S. 191-199, Gentner-Verlag, Stuttgart
Laarmann, A.: Berufskrankheiten nach mechanischen Einwirkungen. EnkeVerlag, Stuttgart, 1977
Lidström, J.-M.: Periphere Kreislauf- und Nervenfunktionsstörungen bei
Personen, die Vibrationseinwirkungen über die Hände ausgesetzt sind.
Arbeitsmed., Sozialmed., Präventivmed., 11, 142-144,1974
McCallum, R. L: Vibration Syndrome. Brit. J. industr. Med. 28, 90-99, 1971
Jancik, G.: Durchblutungsstörungen der Hände durch Vibrationen bei Holz- und
Metallarbeitern. Verhandlungsbericht über den 13. Kongreß für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin 1973 in Düsseldorf.
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