VG Mainz Urteil v. 22.03.2010, Az. 6 K 1135/08.

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VG Mainz Urteil v. 22.03.2010, Az. 6 K 1135/08.
MAI 2010
WINHELLER RECHTSANWÄLTE
V O L LT E X T S E R V I C E
Kein Onlineverkauf von Losen durch „Aktion
Mensch“
VG Mainz Urteil v. 22.03.2010, Az. 6 K 1135/08
Tatbestand
Der Kläger ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein mit Sitz in Mainz. Er
veranstaltet die ZDF-Fernsehlotterie Aktion Mensch. Unter www.aktionmensch.de betreibt er eine Website, auf der Interessenten Lose auswählen und
Einzugsermächtigungen zur Bezahlung erteilen können. Gemäß der
gegenwärtigen Ausgestaltung der Website kommt die verbindliche Bestellung
bzw. der Spielvertrag erst dann zustande, wenn nach Auswahl der Lose und
Erteilung der Einzugsermächtigung im Internet der Interessent die Bestellung
telefonisch oder bei Durchführung des Post-Ident-Verfahrens zur Überprüfung
der Volljährigkeit schriftlich bestätigt. Mit seiner Klage will der Kläger erreichen,
dass in Zukunft im Internet eine unmittelbare Bestellung ohne zusätzliche
telefonische oder schriftliche Bestätigung erfolgen kann.
Mit Schreiben vom 29. September 2008 beantragte der Kläger bei dem
Beklagten neben der Lotteriegenehmigung und der Befreiung vom FernsehWerbeverbot die Feststellung, dass es ihm gestattet ist, Bestellungen von Losen
und Einzugsermächtigungen anzunehmen, die der Aktion Mensch auf ihren
eigenen Websites erteilt werden. Zur Begründung machte er geltend, dass der
reine Internet-Versandhandel von Losen – wie bei ihm – nicht unter das
Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages falle. Dies gelte umso mehr, als
von
den
Aktion
Mensch-Losen
keinerlei
Suchtgefahr
ausgehe.
Selbstverständlich werde sichergestellt, dass ausschließlich Bestellungen von
volljährigen Personen angenommen würden.
Mit Bescheid vom 5. Dezember 2008 erteilte der Beklagte dem Kläger die
Lotteriegenehmigung sowie die beantragte Befreiung.
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Mit weiterem Bescheid ebenfalls vom 5. Dezember 2008 lehnte der Beklagte
den auf Feststellung gerichteten Antrag ab. Zur Begründung führte der Beklagte
aus, dass gemäß § 3 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag ein Glücksspiel dort
veranstaltet bzw. vermittelt werde, wo dem Spieler die Teilnahme am Spiel
eröffnet werde. Nach § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag sei das Veranstalten
oder Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen im Internet verboten. Die
Gestaltung des Internetauftritts des Klägers erfülle den Tatbestand des
Veranstaltens, weil die gesamte Abwicklung der Lotterie, Angebot, Bestellung
und Zahlung bzw. Erteilung der Einzugsermächtigung über das Internet erfolge.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Internetverbot bestünden nicht. So
habe das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde eines
gewerblichen Spielvermittlers für die staatlichen Lotterien nicht zur
Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht habe den Vertrieb
über das Internet als besonders bedenklich bewertet. Es werde in diesem
Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Veranstaltung im
Internet nur dann nicht vorliege, wenn der Kunde mindestens eine Handlung
außerhalb des Internets vornehmen müsse, damit der Spielvertrag zustande
komme. Unzulässig sei dagegen die Verbindung einer Losbestellung im Internet
mit gleichzeitiger Erteilung einer Einzugsermächtigung zur Bezahlung.
Der Kläger hat am 30. Dezember 2008 Klage erhoben. Zur Begründung schildert er zunächst seine gemeinnützigen Aktivitäten sowie die geschichtliche
Entwicklung der Aktion Mensch und der dazugehörigen Fernsehlotterie. Im
Übrigen trägt er Folgendes vor: Die Auffassung des Beklagten, dass sein Internetvertrieb unter das Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages falle, sei
unzutreffend.
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Sein Internetangebot beschränke sich auf einen reinen Internetversandhandel. Er biete über das Internet lediglich die
Möglichkeit der Online-Bestellung und Online-Bezahlung von Losen an. Auch führe die Bestellung des Loses noch nicht
zur Teilnahme an der Lotterie. Zuerst müsse nämlich der Lastschrifteinzug erfolgreich durchgeführt werden. Dieser
zeitliche Ablauf und Medienbruch führe dazu, dass keine Online-Spielsituation gegeben sei. Das Internet werde allein
als Kommunikationsmedium für die Bestellung des Loses genutzt. Darüber hinaus werde die Lotterieveranstaltung nicht
im Internet sondern im Fernsehen mit erheblicher zeitlicher Verzögerung ausgespielt. Diese zeitliche Streckung zwischen dem Bestellvorgang und der Teilnahme am Spiel werde nicht von dem Veranstaltungs- und Vermittlungsbegriff
im Sinne des § 3 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag erfasst. Auch im Falle des abschließenden Vertragsschlusses über
das Internet werde im Übrigen – wie bereits jetzt - eine Altersverifikation durch das Schufa-Verfahren und im Falle eines
negativen Ergebnisses durch das Post-Ident-Verfahren durchgeführt. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass gemäß der
Begründung zum Glücksspielstaatsvertrag das Glücksspiel im Internet habe verboten werden sollen, weil es suchtgefährdend sei und eine Begrenzung des Glücksspiels bei Internetangeboten nicht zu erreichen sei. Dieser Ansatzpunkt
komme bei seiner Lotterie nicht zum Tragen. Der Gesetzgeber habe im Glücksspielstaatsvertrag zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den Soziallotterien um Lotterien mit geringem Gefährdungspotential handle. Dazu zähle auch
die Lotterie Aktion Mensch. Die Lotterie Aktion Mensch weise keine Suchtgefahr auf. So finde die Geld- und Traumhausziehung nur einmal wöchentlich statt. Der Höchstgewinn sei auf 1 Mio. € begrenzt. Auch finde keine JackpotVerlosung statt. Eine extensive Auslegung und Anwendung des Internetverbots auf sein Internetangebot sei vor diesem
Hintergrund unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig. Diese Rechtsauffassung vertrete auch der Chef der
Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz. Selbst wenn eine Suchtgefährlichkeit seiner Lotterie unterstellt werde, sei
das ausnahmslose Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Lotterien im Internet nicht zu rechtfertigen. Es sei
gemeinschaftsrechtswidrig und verfassungswidrig. Es lägen bereits keine belastbaren Erkenntnisse dafür vor, dass
Lotterien wie Lotto 6 aus 49 ein erhebliches Suchtpotential in sich bergen würden. Erst recht sei die Aktion MenschLotterie nicht suchtgefährlich. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass gerade die Veranstaltung oder Vermittlung von solchen nicht suchtgefährlichen Lotterien im Internet eine spezifische Suchtgefahr begründeten. In Folge
dessen diene das Verbot der Veranstaltung und Vermittlung solcher Lotterien im Internet keinem legitimen Ziel. Weder
in der wissenschaftlichen Suchtliteratur, noch in sonstigen relevanten Veröffentlichungen oder Entscheidungen fänden
sich irgendwelche einschlägigen Aussagen zu dem Bereich der Soziallotterien. Er verweise deshalb auf die einschlägigen Aussagen zu den sonstigen Lotterien. Da dem Gesetzgeber keine ausreichenden Informationen zu den Suchtgefahren einzelner Arten von Glücksspielen vorgelegen hätten, habe er ohne korrekte Entscheidungsgrundlage über das
Internetverbot entschieden. Ein gesetzgeberischer Einschätzungsspielraum in Bezug auf eine Lotteriesucht oder eine
Suchtgefährlichkeit der Veranstaltung oder Vermittlung von Lotterien im Internet habe daher gar nicht vorgelegen. Es
sei nicht zu erkennen, dass die Landesparlamente dem generellen Internetverbot zugestimmt und dieses undifferenziert auch auf die Veranstaltung und Vermittlung von Lotterien im Internet erstreckt hätten, wenn ihnen die wirkliche
Lage und die wirkliche Position der angeführten Suchtexperten bekannt und bewusst gewesen wäre. Es könne insbesondere ausgeschlossen werden, dass die Landesparlamente bei Kenntnis der wirklichen Sachlage beschlossen hätten, die Veranstaltung von Soziallotterien wie der Aktion Mensch-Lotterie im Internet zu verbieten. Selbst wenn man
davon ausgehe, dass der Gesetzgeber eine Suchtgefahr bei der Veranstaltung und Vermittlung von Lotterien im Internet habe annehmen dürfen, so sei das Internetverbot gleichwohl nicht haltbar, da es keinen verfassungsrechtlich legitimen Zielen diene. Es bestünden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die mit dem Glücksspielstaatsvertrag angestrebte
Aufrechterhaltung des staatlichen Lotteriemonopols einschließlich des Internetverbots nach der gesetzgeberischen
Zielsetzung nicht der Suchtprävention diene, sondern in unzulässiger Weise fiskalische Ziele verfolge. Das fiskalisch
motivierte staatliche Lotteriemonopol richte sich nicht eigentlich gegen die Soziallotterien (Aktion Mensch, Goldene 1,
Glücksspirale), wie sich schon daraus ersehen lasse, dass die Soziallotterien erlaubnisfähig seien und auch in Bezug
auf die Fernsehwerbung privilegiert würden. Er, der Kläger, werde daher zwar durch das staatliche Monopol nicht in
seinen Grundrechten verletzt. Verletzt werde er in seinen Grundrechten aber durch das ausnahmslose Internetverbot.
Das Internetverbot diene der Absicherung des staatlichen Lotteriemonopols und sei ebenso fiskalisch motiviert wie das
staatliche Lottovermittlungsmonopol selbst. Insoweit verweise er auf zahlreiche Äußerungen von Politikern und auch
den staatlichen Lotteriegesellschaften selbst sowie auf den Inhalt der parlamentarischen Beratungen zum Glücksspielstaatsvertrag. Außerdem fehle es in Deutschland an einer kohärenten und systematischen Ausgestaltung des Glücksspielwesens wie es der EuGH als Voraussetzung von Glücksspielmonopolen gefordert habe. Schließlich sei ein Internetverbot auch nicht erforderlich. Weder sei es aus Gründen des Jugendschutzes erforderlich noch aus Gründen der
„Anonymität“ und der „fehlenden sozialen Kontrolle“. Schließlich stelle das ausnahmslose Verbot der Veranstaltung und
Vermittlung von Lotterien im Internet auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Berufs- und allgemeine Handlungsfreiheit dar. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass die unterschiedslose Einbeziehung sämtlicher Lotterien in
das Internetverbot auch nicht durch eine Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt sei.
Angesichts der in diesem Totalverbot liegenden Schwere des Eingriffs sei ein undifferenziertes Internetverbot, das
pauschal alle Glücksspielarten ohne Rücksicht auf ihre Suchtgefährlichkeit erfasse, unzulässig. Dem Gesetzgeber
hätten sich mehrere Möglichkeiten angeboten, eine sachangemessene differenzierende Regelung zu treffen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids des Beklagen vom 5. Dezember 2008 festzustellen, dass er berechtigt ist, die Bestellung von Losen für seine Lotterie über das Internet in der Form der gleichzeitigen Erteilung einer Einzugsermächtigung
durch die Lotterieteilnehmer zu ermöglichen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 5. Dezember 2008 den Beklagten zu verpflichten, für die mit Bescheid vom 5. Dezember 2008 genehmigte Veranstaltung einer Lotterie ergänzend die Ermöglichung der Bestellung
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von Losen über das Internet in der Form der gleichzeitigen Erteilung einer Einzugsermächtigung durch die Lotterieteilnehmer (Internetvertrieb) zu genehmigen,
äußerst hilfsweise,
unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 5. Dezember 2008 den Beklagten zu verpflichten, über seinen
Antrag auf Veranstaltung einer Lotterie im Hinblick auf die beantragte Genehmigung der Ermöglichung der Bestellung
von Losen über das Internet in Form der gleichzeitigen Erteilung einer Einzugsermächtigung durch die Lotterieteilnehmer (Internetvertrieb) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Vertrieb von Losen im Internet unter das Internetverbot falle, da die wesentlichen Verkaufsschritte über das Internet vollzogen würden. Abgesehen von der Altersverifikation seien weitere, außerhalb des Internets stattfindende Schritte nicht notwendig. Dies werde dadurch ersichtlich, dass der Loskäufer nach
Beendigung des Bestellvorganges die Nachricht erhalte, dass sein Auftrag bereits nach positiv durchgeführtem PostIdent-Verfahren ausgeführt werde. Sobald das Alter bestätigt sei, könnten also beliebig viele Lose im Internet bestellt
und dort auch bezahlt werden. Das Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages sei damit einschlägig. Das Internetverbot sei nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe auf Grund hinreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu
Recht davon ausgehen können, dass der Vertrieb von Glücksspielen über das Medium des Internets erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung berge, so dass dieser Vertriebsweg umfassend und für jeden Anbieter
solcher Glücksspiele verboten werden müsse. Selbst wenn man davon ausgehe, dass von einer Soziallotterie keine
hohe Suchtgefahr ausgehe, seien Lotterien – genau wie andere Glücksspiele auch – abstrakt suchtgefährdend. Die
Suchtgefährlichkeit von Lotterien habe das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 28. Juni 2006 eindeutig bejaht. In dem dortigen Fall sei es ebenfalls um eine private Soziallotterie gegangen. Zudem weise der Vertrieb von
Glücksspielen über das Internet spezifische Gefahren auf, was auch das Bundesverfassungsgericht erkannt habe. Er
verweise insoweit auf den Beschluss vom 14. Oktober 2008. Es sei auch nicht zutreffend, dass durch das Glücksspielmonopol nur fiskalisch motivierte Ziele verfolgt würden. Auf Äußerungen von Politikern in diesem Zusammenhang
komme es für die Auslegung des Gesetzes nicht an. Letztlich liege auch kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten des
EG-Vertrages vor. Denn es liege bereits kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor. Der Kläger sei ein gemeinnütziger
Verein deutschen Rechts. Er habe seinen Sitz in Deutschland. Das Dienstleistungsangebot des Klägers richte sich
ausschließlich an Personen, die ihren Aufenthaltsort in Deutschland hätten. Es handle sich mithin um einen rein innerdeutschen Sachverhalt ohne Bezug zum europäischen Ausland. Im Übrigen sei das Internetverbot auch mit Europarecht vereinbar.
Auf dieses Vorbringen entgegnet der Kläger noch Folgendes:
Es liege sehr wohl ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor. Zahlreiche Lose für seine Lotterien würden von Lotterieteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der EU bestellt. In den letzten drei Jahren (ab 20. Februar 2007) seien rund
48.000 Lose von Lotterieteilnehmern aus anderen EU-Mitgliedstaaten erworben worden. Auch erfolgten zahlreiche
Zugriffe auf seine Internetlotterieseiten aus EU-Mitgliedstaaten, vor allem aus Österreich, aus den Niederlanden und
aus Luxemburg. Der grenzüberschreitende Bezug im Sinne der Dienstleistungsfreiheit liege hier als sogenannte Korrespondenzdienstleistungsfreiheit vor. Die Grenzüberschreitung folge in einem solchen Fall daraus, dass die Dienstleistung selbst die Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten überschreite. So sei es hier. Die Bestellung von Losen auf seiner
Website durch ausländische Lotterieteilnehmer bei gleichzeitiger Erteilung einer Einzugsermächtigung stelle eine
Dienstleistung im Sinne der Artikel 56, 57 EU-Arbeitsweisevertrag (AEUV) dar. Erfolge diese Bestellung auf seiner
Website durch Österreicher, dann überschreite die Dienstleistung die Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten der EU.
Damit sei der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet. Aus binnenmarktrechtlicher Sicht entscheidend
sei die Grenzüberschreitung der mit der Website untrennbar verknüpften Dienstleistung. Dies werde auch nicht dadurch
in Frage gestellt, dass die Website auf eine Nutzung von Deutschen in Deutschland abstelle. Ohnehin werde bei
Dienstleistungen im Internet, das naturgemäß ein grenzüberschreitendes Medium darstelle, unionsrechtlich eine Eröffnung des Anwendungsbereichs der Dienstleistungsfreiheit bejaht. Die damit eröffnete Korrespondenzdienstleistungsfreiheit werde durch das Internetverbot für ihn aufgehoben.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22. März 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat weder mit dem Hauptantrag noch mit den Hilfsanträgen Erfolg.
Die mit dem Hauptantrag verfolgte Feststellungsklage ist gemäß § 43 VwGO zulässig. Zwischen den Beteiligten liegt
ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor, weil die Anwendung einer Rechtsnorm - § 4 Abs. 4 des am 1. Januar
2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (GlüStV) – auf einen bestimmten, bereits überschaubaren Sachverhalt streitig ist. So hatte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2008
ein entsprechendes Feststellungsbegehren des Klägers unter Hinweis auf das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV
abgelehnt.
Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Denn angesichts der für ihn unklaren
Rechtslage muss er für sein weiteres Vorgehen wissen, ob das von ihm beabsichtigte Verfahren mit der Rechtslage in
Einklang steht oder nicht. Das Feststellungsinteresse besteht auch gerade gegenüber dem Beklagten. Gemäß § 12
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Abs. 1 Nr. 1 des Landesgesetzes zu dem Glücksspielstaatsvertrag (LGlüG) ist hier für die Erteilung der Erlaubnis und
der damit zusammenhängenden Entscheidungen und Aufsichtsmaßnahmen das Finanzministerium zuständig.
Die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 VwGO greift nicht ein, da es dem Kläger nicht zuzumuten ist, eine Untersagungsverfügung abzuwarten und dann gegen diese im Wege der Anfechtungsklage vorzugehen. Es muss für ihn die
Möglichkeit bestehen, vor Einführung einer neuen Vorgehensweise im Internet Rechtsklarheit zu erlangen, zumal im
Rahmen eines Anfechtungsprozesses gegen eine eventuelle Untersagungsverfügung nicht gewährleistet wäre, dass zu
dem eigentlichen Streitpunkt vorgestoßen wird. Denn eine Untersagungsverfügung könnte auch aus anderen Gründen
rechtswidrig sein.
Auch eine Verpflichtungsklage kommt nicht in Betracht. Der Kläger ist bereits in Besitz der Lotterieerlaubnis nach §§ 4
Abs. 1, 12, 13 GlüStV. Eine zusätzliche Genehmigung für das beabsichtigte Vorgehen des Klägers ist nicht vorgesehen. Steht das Internetverbot des § 4 Abs 4 GlüStV dem streitigen Internetvertrieb nicht entgegen, kann der Kläger
diesen vielmehr ohne weitere Genehmigung unmittelbar durchführen.
Die danach zulässige Feststellungsklage ist jedoch unbegründet.
Die Bestellung von Losen über das Internet in der Form der gleichzeitigen Erteilung einer Einzugsermächtigung durch
die Lotterieteilnehmer ist nicht zulässig. Diese Vorgehensweise verstößt gegen § 4 Abs. 4 GlüStV.
Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV ist das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten. Weder der Begriff des Veranstaltens noch der Begriff „im Internet“ ist im Glücksspielstaatsvertrag oder im Ausführungsgesetz des Landes definiert. Was den Veranstaltensbegriff angeht, hat es der Gesetzgeber offensichtlich für entbehrlich
gehalten, diesen im Gesetz zu definieren, da der strafrechtliche Veranstalterbegriff des § 284 StGB (unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels) durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist. So nimmt auch die Gesetzesbegründung zu § 4 GlüStV Bezug auf den im Strafrecht anzuwendenden weiten Veranstalterbegriff und auf § 284 StGB (vgl.
Landtag Rheinland-Pfalz, Drucksache 15/1454). Veranstalter im Sinne des § 284 StGB ist, wer verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Glücksspiels schafft und der Bevölkerung den Abschluss von
Spielverträgen ermöglicht. Die Veranstaltung ist mithin die Schaffung des äußeren Rahmens für die Abhaltung des
Glücksspiels und die Ermöglichung des Abschlusses von Spielverträgen für die Bevölkerung. Eine Veranstaltung in
diesem Sinne liegt hier unstreitig vor. Sie soll auch „im Internet“ stattfinden. Wesentliches und maßgebliches Element
des Veranstaltungsbegriffs im Zusammenhang mit dem Internet ist die Ermöglichung des Abschlusses von Spielverträgen, also die Ermöglichung der Teilnahme am Spiel. Dies erschließt sich zunächst aus dem gesetzgeberischen Zweck
des § 4 Abs. 4 GlüStV. Das Internetverbot dient der Sicherstellung der Ziele des § 1 GlüStV (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 4 GlüStV, Landtag Rheinland-Pfalz, Drucksache 15/1454). Danach sind Ziele des Staatsvertrages die
Verhinderung des Entstehens von Glücksspielsucht, die Begrenzung des Glücksspielangebots, die Gewährleistung des
Jugend- und Spielerschutzes sowie Schutz der Spieler vor betrügerischen Machenschaften. In diesem Zusammenhang, vor allem vor dem Hintergrund der Suchtprävention, macht das Internetverbot nur Sinn, wenn es an der Ermöglichung der Teilnahme ansetzt. Nur an dieser Stelle kann der potentielle Spieler vom Spielen abgehalten werden. Von
einer Veranstaltung im Internet kann daher nicht nur bei den eigentlichen Online-Glücksspielen mit sofortiger Ausspielung im Internet gesprochen werden, sondern auch bei Glücksspielen, deren Teilnahmemöglichkeit im Internet eröffnet
wird, deren Ausspielung aber -wie es etwa auch bei Lotto wäre – außerhalb des Internets stattfindet. Dies wird auch
durch die Norm des § 3 Abs. 4 GlüStV bestätigt, wonach ein Glücksspiel dort veranstaltet wird, wo dem Spieler die
Möglichkeit zur Teilnahme eröffnet wird. Diese Vorschrift regelt zwar nur in örtlicher Hinsicht den Veranstaltungsort, es
lässt sich der Norm jedoch entnehmen, dass es dem Gesetzgeber maßgeblich auf die Ermöglichung zur Teilnahme
ankommt. Auch das Bundesverfassungsgericht spricht im Zusammenhang mit § 4 Abs. 4 GlüStV vom Abschluss der
Spielverträge im Internet und von der Teilnahme an Glücksspielen per Internet (Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 1
BvR 928/08 – Rn. 40 und 48, juris). Es führt weiterhin aus, dass das Beschneiden der Möglichkeiten des Internetglücksspiels bedeute, die Umstände der Teilnahme für den Einzelnen zu erschweren und ihm den Vorgang des Spielens bewusster zu machen (Beschluss vom 14. Oktober 2008, aaO, Rn. 40). Auch daraus ergibt sich, dass es im Rahmen des Internetverbots um die Möglichkeit der Teilnahme im Internet geht, letztlich um den Vertriebsweg „Internet“
(schon in seinem Urteil vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 – juris spricht das Bundesverfassungsgericht in Verbindung mit dem Internet von „Vertriebsweg“).
Es kommt vorliegend mithin entscheidend darauf an, ob die beabsichtigte Vorgehensweise des Klägers die Möglichkeit
zur Teilnahme an der Lotterie im Internet eröffnet. Dies ist der Fall. Angebot, Bestellung und Bezahlung finden im Internet statt. Durch die Bestellung und die Erteilung der Einzugsermächtigung hat der Spielinteressent alles Erforderliche
getan, um an der Lotterie teilzunehmen. Er braucht keine weitere Handlung außerhalb des Internets vorzunehmen.
Sein Los wird nach Einzug des Entgelts automatisch an der Ausspielung teilnehmen. Dass der tatsächliche Einzug des
Entgelts erst einige Tage nach Erteilung der Einzugsermächtigung erfolgt, ist in vorliegendem Zusammenhang unerheblich. Auch und gerade die Erteilung der Einzugsermächtigung ist eine typische und gängige Bezahlmethode des
Internets.
Nach alledem steht das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV der beabsichtigten Vorgehensweise des Klägers entgegen. Es ist auch nicht möglich, die Norm des § 4 Abs. 4 GlüStV einschränkend dahingehend auszulegen, dass sie für
eine Lotterie wie die des Klägers nicht gilt. Das Internetverbot fällt unter die allgemeinen Vorschriften des Staatsvertrages. Zudem ist in § 13 Abs. 1 GlüStV ausdrücklich geregelt, dass eine Erlaubnis für Lotterien mit geringerem Gefährdungspotential, zu denen die Lotterie des Klägers gehört, nicht erteilt werden darf, wenn die Veranstaltung u. a. § 4
Abs. 4 GlüStV widerspricht. Der Gesetzgeber hat mithin auch im Zusammenhang mit den sogenannten Soziallotterien
ausdrücklich auf das Internetverbot Bezug genommen. Auch in der Gesetzesbegründung heißt es letztlich, dass § 4
Abs. 4 GlüStV das generelle Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet enthält und
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sich auf alle Arten der im Staatsvertrag geregelten Glücksspiele erstreckt (vgl. Landtag Rheinland-Pfalz, Drucksache
15/1454). Weder Wortlaut noch Systematik noch Gesetzesbegründung lassen eine einschränkende Auslegung des § 4
Abs. 4 GlüStV zu.
Die Norm des § 4 Abs. 4 GlüStV verletzt den Kläger auch nicht in seinem Grundrecht aus Artikel 12 GG.
Zunächst ist allerdings festzustellen, dass der Kläger sich als gemeinnütziger Verein auf Artikel 12 GG berufen kann
(vgl. Artikel 19 Abs. 3 GG). Denn er veranstaltet die Lotterie wie ein Privater (vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 22. Dezember 1993 – 11 C 46/92 –, juris, sowie VG München, Urteil vom 25. Januar 2001 – M 29 K 95.6137
–, juris, für die Veranstaltung einer Lotterie durch eine gemeinnützige, rechtsfähige Stiftung des Bürgerlichen Rechts).
Durch das Internetverbot wird auch in die Berufsfreiheit des Klägers eingegriffen. Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit ist
jedoch gerechtfertigt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 (aaO) für
die gewerbliche Vermittlung von Lottoprodukten im Internet entschieden. Es hat dazu Folgendes ausgeführt:
Die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin sind allerdings gerechtfertigt.
Um vor dem grundrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Bestand zu haben, bedarf ein Eingriff einer
gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 15, 226 <231>; 82, 209 <224>), die den Anforderungen der Verfassung an
grundrechtsbeschränkende Normen genügt. Die eingreifende Vorschrift muss kompetenzgemäß erlassen worden sein,
durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende
Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (vgl. BVerfGE
95, 193 <214>).Daran gemessen sind die in zulässiger Weise angegriffenen Vorschriften verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
aa) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin entsprechen die Regelungen der Kompetenzordnung der Verfassung. Von einer möglichen Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hat der Bund jedenfalls nicht in
der Weise Gebrauch gemacht, dass den Ländern der Erlass der angegriffenen Vorschriften verwehrt wäre (Art. 72 Abs.
1 GG). Zwar finden sich in den §§ 33c ff. der Gewerbeordnung (GewO) Regelungen zu Spielgeräten sowie anderen
Spielen mit Gewinnmöglichkeiten. § 33h GewO stellt jedoch klar, dass diese Vorschriften auf die Veranstaltung von
Lotterien und Ausspielungen grundsätzlich nicht anwendbar sind.
…
cc) Die zu prüfenden Vorschriften beachten auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
(1) Der Glücksspielstaatsvertrag, das Berliner Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag und das Niedersächsische Glücksspielgesetz dienen vorrangig dem Ziel, die Bevölkerung, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor den
Gefahren der Glücksspielsucht und der mit Glücksspielen verbundenen Folge- und Begleitkriminalität zu schützen (vgl.
§ 1 GlüStV, § 1 Abs. 3 NGlüSpG). Damit werden überragend wichtige Gemeinwohlziele verfolgt, die selbst objektive
Berufswahlbeschränkungen zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfGE 115, 276 <304 ff.>). Eine objektive Berufswahlbeschränkung erfolgt hier durch das Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet (§ 4
Abs. 4 GlüStV). Das Provisionsverbot (§ 13 Abs. 3 AGGlüStV Bln) betrifft zwar zunächst nur die Berufsausübung, hat
jedoch zur Folge, dass die gewerblichen Spielvermittler nicht nur in Einzelfällen zur Berufsaufgabe gezwungen werden,
und ist deshalb ebenfalls an den strengen Voraussetzungen für eine Beschränkung der Berufswahl zu messen (vgl.
BVerfGE 31, 8 <29>). Da diese Voraussetzungen angesichts der Bedeutung der verfolgten Gemeinwohlziele erfüllt
sind, sind auch die weniger strengen Erfordernisse für Beschränkungen lediglich der Freiheit der Berufsausübung durch
die angegriffenen Vorschriften erfüllt.
Insbesondere bei der Verhinderung von Glücksspielsucht und bei der wirksamen Suchtbekämpfung handelt es sich um
besonders wichtige Gemeinwohlziele. Spielsucht kann zu schwerwiegenden Folgen nicht nur für die Betroffenen selbst,
sondern auch für ihre Familien und für die Gemeinschaft führen (vgl. BVerfGE 115, 276 <304 f.>). Zwar haben unterschiedliche Glücksspielformen ein unterschiedliches Suchtpotenzial, wobei das von der Beschwerdeführerin vermittelte
Lottospiel nicht zuletzt aufgrund seiner relativ niedrigen Ereignisfrequenz weniger zu problematischem oder gar pathologischem Spielverhalten beiträgt als beispielsweise Geld- oder Glücksspielautomaten sowie Kasinospiele. Dies berührt
jedoch nicht die Legitimität der von den Landesgesetzgebern verfolgten Ziele.
Die Länder waren entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht gehalten, das Zahlenlotto als eine nach ihrem
Dafürhalten "harmlose" und nicht suchtgefährdende Art des Glücksspiels von dem Geltungsbereich des Glücksspielstaatsvertrags und der ihn ergänzenden Landesgesetze auszunehmen. Wird der Gesetzgeber - wie hier - zur Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit tätig, so belässt ihm die Verfassung bei der Prognose und Einschätzung der in
den Blick genommenen Gefährdung einen Beurteilungsspielraum, der vom Bundesverfassungsgericht bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung zu beachten ist. Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die angegriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen abgeben können (vgl. BVerfGE 117, 163 <183> m.w.N.). Hieran gemessen sind
die Erwägungen der Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie werden insbesondere durch
die Ergebnisse der von der Universität Bremen für das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und
Soziales durchgeführten Studie gestützt, der sich - trotz teilweise abschwächender Äußerungen - entnehmen lässt,
dass Lotterien in Abhängigkeit von den jeweiligen Veranstaltungsmerkmalen suchttypische Entwicklungsverläufe verursachen können. Es kommt hinzu, dass die Landesgesetzgeber davon ausgehen, eine Ausweitung des Glücksspielangebots werde die bereits jetzt gegebene Suchtgefahr zwangsläufig vergrößern (vgl. NdsLTDrucks 15/4090, S. 62).
Auch diese Prognose ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und stützt zusätzlich die Annahme einer Gefahr, zu
deren Verhinderung Eingriffe in die Berufswahlfreiheit gerechtfertigt sein können.
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(2) Die angegriffenen Regelungen sind auch zur Zweckerreichung geeignet, weil mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg
gefördert werden kann (vgl. BVerfGE 63, 88 <115>; 67, 157 <175>; 96, 10 <23>; 103, 293 <307>; 115, 276 <308>).
…
(e) Das Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet (§ 4 Abs. 4 GlüStV) ist geeignet,
problematisches Spielverhalten einzudämmen. Das Spielen per Internet ist durch ein hohes Maß an Bequemlichkeit
sowie durch eine zeitlich unbeschränkte Verfügbarkeit des Angebots gekennzeichnet. Hinzu kommt ein im Vergleich
zur Abgabe des Lottoscheins in der Annahmestelle höherer Abstraktionsgrad, der geeignet ist, das virtuelle Glücksspiel
in der Wahrnehmung des Spielers aus seinem Bedeutungszusammenhang herauszulösen und insbesondere die Tatsache des Einsatzes - und möglichen Verlustes von Geld - in den Hintergrund treten zu lassen. Die Möglichkeiten des
Internet-Glücksspiels zu beschneiden, bedeutet, die Umstände der Teilnahme für den Einzelnen zu erschweren und
ihm den Vorgang des Spielens bewusster zu machen. Hierdurch kann einem Abgleiten in problematisches Spielverhalten entgegenwirkt werden. Hinzu kommt, dass nach wie vor erhebliche Bedenken bestehen, ob sich bei einer Teilnahme an Glücksspielen per Internet der im Rahmen der Suchtprävention besonders wichtige Jugendschutz effektiv verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 115, 276 <315>). Auch zur Vermeidung derartiger Präventionslücken ist das Internetverbot das geeignete Mittel.
…
(3) Die Eingriffe in die Berufsfreiheit sind zur Erreichung der von den Landesgesetzgebern angestrebten Ziele erforderlich.
Ebenso wie bei der Frage der Geeignetheit verfügt der Gesetzgeber auch bei der Einschätzung der Erforderlichkeit
über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum (vgl. BVerfGE 102, 197 <218>; 115, 276 <309>). Infolge dieser Einschätzungsprärogative können Maßnahmen, die die Landesgesetzgeber zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts wie der Abwendung der Gefahren, die mit dem Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen verbunden sind, für
erforderlich halten, verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass Beschränkungen, die als Alternativen
in Betracht kommen, zwar die gleiche Wirksamkeit versprechen, indessen die Betroffenen weniger belasten (vgl.
BVerfGE 25, 1 <12, 19 f.>; 40, 196 <223>; 77, 84 <106>; 115, 276 <309>). Solche milderen Mittel sind vorliegend nicht
gegeben.
…
(c) Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit des Verbots der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im
Internet (§ 4 Abs. 4 GlüStV) ergeben sich keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist nicht ersichtlich, welche alternativen Maßnahmen in Betracht kämen, um den spezifischen Gefährdungen des Glücksspiels bei der
Nutzung dieses Mediums wirksam zu begegnen. Wie bereits angesprochen, können im Internet die Spielverträge bequem und rund um die Uhr von zuhause aus abgeschlossen werden. Die hiermit einhergehenden Effekte der Gewöhnung und Verharmlosung sind systemimmanent, weshalb sie auch nicht durch Beschränkungen oder Auflagen ausgeglichen werden können.
…
(4) Der Eingriff in der Berufsfreiheit ist schließlich auch nicht übermäßig belastend und der Beschwerdeführerin nicht
unzumutbar. Eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der
ihn rechtfertigenden Gründe führt zu dem Ergebnis, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist (vgl. BVerfGE 113,
167 <260>).
…
(g) Nicht zu beanstanden sind die noch schwerwiegenderen Beschränkungen der unternehmerischen Tätigkeit der
Beschwerdeführerin, zu denen das Verbot der Veranstaltung und Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV führt. Die Beschwerdeführerin legt in nachvollziehbarer Weise dar, dass sie in der Folge gezwungen sein wird, ihren Geschäftsbetrieb einzustellen, weil für sie zu der Vermittlung per Internet keine Vertriebsalternativen bestehen.
Die Eingriffsintensität des § 4 Abs. 4 GlüStV bringt es mit sich, dass von der Angemessenheit der Regelung nur ausgegangen werden kann, wenn dem mit ihrer Hilfe erreichten Rechtsgüterschutz ein entsprechend hoher Stellenwert beizulegen ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend allerdings erfüllt. Wie bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der
Geeignetheit ausgeführt, können die Besonderheiten des Glücksspiels per Internet, namentlich dessen Bequemlichkeit
und Abstraktheit, problematisches Spielverhalten in entscheidender Weise begünstigen. Deshalb dient eine Begrenzung solcher Möglichkeiten unmittelbar der Spielsuchtprävention und somit einem Gemeinwohlbelang von hohem
Rang.
Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, denen sich die Kammer anschließt, sind auf den vorliegenden
Fall übertragbar. Zwar ging es in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall um das Produkt Lotto. Im
Zusammenhang mit der vom Bundesverfassungsgericht zitierten Studie der Universität Bremen spricht das Bundesverfassungsgericht jedoch allgemein von den „Lotterien“. Auch bei der Veranstaltung des Klägers handelt es sich um eine
Lotterie. Außerdem vermag das Gericht unter Suchtgesichtspunkten keine gravierenden Unterschiede zwischen Lotto
und der Lotterie des Klägers zu erkennen. Auch auf die Lotterie des Klägers treffen zahlreiche, wenn auch nicht alle,
Kriterien zur Bestimmung des Spielanreizes und damit des Gefährdungspotentials von Online-Glücksspielen zu (vgl.
dazu im einzelnen Hayer/Bachmann/Meyer, Pathologisches Spielverhalten bei Glücksspielen im Internet, Wiener Zeit-
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schrift für Suchtforschung 2005, 29). Bei den Kriterien zur Bestimmung des Gefährdungspotentials handelt es sich um
folgende:
- Verfügbarkeit und Griffnähe
- Ereignisfrequenz
- Interaktivität
- bargeldloser Zahlungsverkehr
- Anonymität
- Realitätsflucht
- Abbau von Hemmschwellen
- Vielfalt der Angebotspalette
- Vermarktung
- kundenfreundliche Angebote
Auf die vom Kläger veranstaltete Lotterie treffen die Kriterien Verfügbarkeit und Griffnähe, bargeldloser Zahlungsverkehr, Anonymität, Realitätsflucht, Abbau von Hemmschwellen, Vielfalt der Angebotspalette (vgl. www.aktion-mensch.de
unter Losauswahl), Vermarktung, kundenfreundliche Angebote zu. Wie auch bei Lotto können bei der Lotterie des Klägers zudem bestimmte Ziffern ausgewählt werden.
Die letzten sechs Ziffern eines Loses können nämlich vom Besteller bestimmt werden.
Im Übrigen schließt sich das Gericht dem Verwaltungsgericht Düsseldorf an, das in seinem Urteil vom 14. März 2007
(18 K 5215/05) unter Auswertung aktueller Gutachten und Forschungsergebnisse zu dem Ergebnis gekommen ist, dass
Lotterien zwar im Vergleich zu anderen Glücksspielen ein geringeres Suchtpotential innewohne, eine Suchtgefährdung
aber doch in einem nennenswerten und in den Blick zu nehmenden relevanten Umfang vorhanden sei.
Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber gehalten war, die sogenannten Soziallotterien von dem Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV auszunehmen. Der Gesetzgeber hat den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Glücksspielmonopols kommt es im Zusammenhang mit dem Internetverbot nicht
an. Das Internetverbot dient der Sicherung der Ziele des Staatsvertrages (s.o.) und gilt unabhängig vom Glücksspielmonopol. Es hat eine eigenständige Bedeutung.
Schließlich wird der Kläger durch das Internetverbot auch nicht in seiner Dienstleistungsfreiheit aus Artikel 56 AEUV
verletzt. Die Anwendung des Artikels 56 AEUV setzt zunächst voraus, dass ein grenzüberschreitender Sachverhalt
vorliegt. Dies ist hier indessen nicht der Fall.
Zwar ist die Dienstleistungsfreiheit bereits dann betroffen, wenn nur die Dienstleistung selbst – also nicht der Leistungserbringer oder der Leistungsempfänger – die Grenze überschreitet. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die
Dienstleistung im anderen Mitgliedstaat telefonisch oder per Internet angeboten wird (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Mai
1995 in der Rechtssache C-384/93, Alpine Investment, sowie Urteil vom 6. November 2003 in der Rechtssache C243/01, Gambelli). Vorliegend wird die streitige Dienstleistung – Bestellung von Losen im Internet und Erteilung einer
Einzugsermächtigung zwecks Bezahlung im Internet – nur im Inland und damit nicht grenzüberschreitend angeboten.
Zwar kann die Website des Klägers selbstverständlich auch im Ausland aufgerufen werden, sie ist jedoch so ausgestaltet, dass nur von einem inländischen Angebot ausgegangen werden kann. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Registrierungsformular auf der Website des Klägers. Voraussetzung für die Bestellung der Lose ist die Registrierung der Kundendaten. Unter der Rubrik „Land“ ist im Registrierungsformular Deutschland zwingend vorgegeben. Ein anderes Land
kann nicht eingegeben werden (anders etwa auf der Website der ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“, wo
sich unter der Rubrik „Land“ eine Länderliste öffnet, aus der auch ein anderes Land als Deutschland ausgewählt werden kann). Aus dieser „Deutschland-Vorgabe“ auf der Website des Klägers kann nur der Schluss gezogen werden,
dass die hier streitige Dienstleistung Bestellung von Losen und Erteilung einer Einzugsermächtigung im Internet nur
Inländern angeboten wird. Bis wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung war dies in Textpassagen der Website
auch ausdrücklich ausgeführt. So hieß es dort unter „Lotterie A-Z“ bei „Auslandsbestellung“: „Falls Sie im Ausland leben
und/oder keine Bankverbindung in Deutschland haben, können Sie unseren Internet-Service leider nicht nutzen.“ Unter
„Glücksspielstaatsvertrag“ hieß es: „Die Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages verlangen außerdem, dass Sie
uns im Internet nur einen Auftrag senden können, wenn Sie einen Wohnsitz und eine Bankverbindung in Deutschland
haben“ (vgl. dazu den Screenshot im Schriftsatz des Beklagten vom 28. Mai 2009, Blatt 195 der Gerichtsakte). Die
Passagen „Falls Sie im Ausland leben“ und „wenn Sie einen Wohnsitz in Deutschland haben“ wurden mittlerweile gestrichen. Entscheidend ist jedoch, dass das Registrierungsformular als Land Deutschland weiterhin zwingend vorgibt.
Dass sich das fragliche Angebot nur an Inländer richtet, wird durch weitere Umstände bestätigt. So bietet der Kläger als
Bezahlungsmöglichkeit im Internet allein das Einzugsermächtigungsverfahren an. Dabei handelt es sich um ein ausschließlich nationales Verfahren (davon zu unterscheiden ist die SEPA-Lastschrift, die jedoch noch nicht vollständig in
Europa eingeführt ist, vgl. www.Bundesbank.de zu SEPA). Letztlich sind auch die Methoden zur Überprüfung der Volljährigkeit, das Schufa-Verfahren und das Post-Ident-Verfahren, vom Grundsatz her allein auf das Inland zugeschnitten.
Aus alledem folgt, dass die hier streitige Dienstleistung nur im Inland, also nicht grenzüberschreitend angeboten wird.
Auch vom Empfängerhorizont her kann dies nur so verstanden werden. Ein in einem anderen Mitgliedstaat Ansässiger,
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der die Website des Klägers aufruft, kann angesichts der „Deutschland-Vorgabe“ im Registrierungsformular, der Bezahlmethode und der angesprochenen Verfahren zur Überprüfung der Volljährigkeit nur zu dem Schluss gelangen,
dass sich dieses Angebot nicht an ihn richtet.
Da die hier streitige Dienstleistung – und nur auf diese ist abzustellen, nicht etwa auch auf andere grenzüberschreitende Aspekte im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers – nicht grenzüberschreitend angeboten wird, scheidet eine
Verletzung der Dienstleistungsfreiheit des Klägers aus.
Die Hilfsanträge bleiben ebenfalls ohne Erfolg. Zum einen ist eine (zusätzliche) Genehmigung nicht vorgesehen (s.o.),
zum anderen würde auch einem Verpflichtungsbegehren das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m.
§ 708 Nr. 11 ZPO.
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