Nur Befürworter von Abtreibungen erwünscht

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Nur Befürworter von Abtreibungen erwünscht
Nr. 113 | 1. Quartal 2015 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– €
B 42890
LEBENSFORUM
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Ausland
Abtreibung - ein
Menschenrecht?
Ausland
Österreich streitet
über Suzidhilfe
Medizin
»Pille danach« wird
zum Kassenknüller
Kommunalpolitik
Nur Befürworter von
Abtreibungen erwünscht
LebensForum 113
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)
1
INH ALT
LEBENSFORUM 113
Zum Abschuss freigegeben
Dr. med. Claudia Kaminski
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
EDITORIAL
3
TITEL
»Dreckig, feige und gemein«
Stefan Rehder
4
»Du sollst nicht töten«
Peter Winnemöller
8
BIOETHIK-SPLITTER
10
4-9
AUSLAND
Anfang des Jahres hat der »Fall Hollemann« ganz München in helle Aufregung versetzt.
Was wie eine Posse wirkt, wirft eine grundsätzliche Frage auf: Können Lebensrechtler in
Deutschland noch ein öffentlichen Amt bekleiden?
»Je suis Vincent Lambert«
Georg Dietlein
15
Zwei Lesarten zur »Würde am Ende
des Lebens«
Stephan Baier
17
DANIEL RENNEN
Abtreibung als neues Menschenrecht? 12
Stephan Baier
20 - 21
Hormonpräparate wie die »Pille
danach« sind keine Smarties,
sind nach ihrer Rezeptfreigabe
aber ähnlich stark gefragt.
MEDIZIN
20
Notwendige Evaluierung
Stellungnahme
22
»Große Besorgnis«
Medienstatement mehrerer Verbände
23
Das Impfdilemma
Alexandra Maria Linder M. A.
24
GESELLSCHAFT
Erklärtes Rechtssubjekt: der
ungeborene Mensch
Dr. med. Maria Overdick-Gulden
27
BÜCHERFORUM
KURZ VOR SCHLUSS
LESERBRIEFE
IMPRESSUM
30
32
34
35
2
17 - 19
DANIEL RENNEN
»Pille danach«: Der Sturm bricht los
Stefan Rehder
In Österreich
wackelt der bisherige
Konsens über die Ablehnung
der Euthanasie gewaltig.
LebensForum 113
E DITOR IA L
12 - 14
Die Sozialisten im EU-Parlament lassen nicht
locker. Das Ziel: Abtreibung soll als Menschenrecht anerkannt werden.
27 - 29
Lesenswert: 12 Autoren nehmen aus unterschiedlichen Perspektiven das Abtreibungsgeschehen unter die Lupe.
LebensForum 113
Zum Abschuss
freigegeben
ser sollen offenbar
vermummte Gestalten erscheinen,
die, mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails
bewaffnet, vor
Liebe Leserin, lieber Leser,
Abtreibungspraxen aufmarschiewas wäre eigentlich in Deutschland
ren. Dabei ist die
los, wenn ein für fachlich geeignet gehalWirklichkeit eitener Politiker sich für das Amt des Gene ganz andere:
sundheits- und Umweltreferenten einer
Es sind die Ledeutschen Großstadt bewürbe und Gegbensrechtler, die
ner ihm die Mitgliedschaft in einem Verjedes Jahr im September in Berlin mit
ein vorhielten, der die ersatzlose Streieinem friedlichen Schweigemarsch dachung des Paragrafen 218 aus dem Strafran erinnern, dass das »Recht auf Legesetzbuch (StGB) fordert? Ein Sturm
ben« auch ungeborenen Menschen zubräche los. Leitartikler würden sich die
kommt. Und es sind Lebensrechtler, die
Finger wund schreiben. Das Grundrecht
dabei von der Polizei vor gewaltsamen
auf Meinungsfreiheit würde in Stellung
Übergriffen von Abtreibungsbefürworgebracht und darauf verwiesen, dass an
tern geschützt werden müssen. Dass zu
Recht und Gesetz sich auch halten köndiesen Gegendemonstrationen ein Bündne, wer persönlich eine andere als die dernis aufruft, dem auch »pro familia« anzeit geltende rechtliche Regelung bevorgehört, sei hier nur der Vollständigkeit
zugt. Von der Errichhalber erwähnt.
tung einer »MeinungsDie Strategie, die
diktatur« wäre die Rehinter einer solchen
»Mit welchem Argument ließe Falsch-Etikettierung
de. Vermutlich würde
sogar daran erinnert,
ist so durchsichsich das Töten rechtfertigen?« steht,
»dass nur tote Fische
tig wie primitiv. Wer so
mit dem Strom schwimetikettiert wird, soll in
men« und dass erst der
die Schmuddel-Ecke
»Rechtsbruch« einen Politiker für ein Amt
abgeschoben und aus dem gesellschaftlidisqualifiziere und nicht etwa schon sein
chen Diskurs verbannt werden. Auf diese
»kritisches Bewusstsein«.
Weise will man sich die AuseinandersetVon alledem war in dem »Fall Hollezung mit den Argumenten der derart Etimann« jedoch nichts zu lesen. Der Grund:
kettierten ersparen. Lebensrechtler könHerr Hollemann ist eben nicht Mitglied
nen eine solche Vorgehensweise nicht tobei »pro familia«, die, obwohl sie für die
lerieren, wohl aber verstehen. Denn mit
Abschaffung des Paragrafen 218 StGB
welchem Argument ließe sich auch das
eintritt, nicht nur Beratungsstellen unTöten unschuldiger und wehrloser Menterhält, die Schwangerenkonfliktberatunschen im Mutterleib rechtfertigen?
gen durchführen, bei denen das geltenZu Diffamierung und Ausgrenzung
de Recht beachtet werden muss, sondern
greift, wem es an Argumenten mangelt.
auch selbst Einrichtungen unterhält, in
Das mag funktionieren. Zugleich ist es
denen Abtreibungen vorgenommen weraber das öffentliche Eingeständnis der
den. Herr Hollemann ist einfaches Miteigenen Schwäche.
glied der »Aktion Lebensrecht für Alle«, die für das Lebensrecht eines jeden
Ihre
Menschen eintritt – ganz gleich ob geboren oder ungeboren, behindert oder
unbehindert, schwach oder stark, krank
oder gesund. Und da gelten nun einmal
andere Maßstäbe.
Claudia Kaminski
Da werden LebensschutzorganisatioBundesvorsitzende der ALfA
nen wie die ALfA mal eben als »radikale
Abtreibungsgegner« etikettiert: Vor dem
geistigen Auge der Leserinnen und Le3
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
TI T EL
»Dreckig, feige
und gemein«
Januar 2015: Der ÖDP-Politiker Markus Hollemann gilt als Wunschkandidat der CSU für das Amt
des Gesundheits- und Umweltreferenten der Stadt München. Münchner Medien, allen voran die
»Süddeutsche Zeitung«, skandalisieren seine Mitgliedschaft in der Aktion Lebensrecht für Alle
(ALfA) e. V. und schrecken dabei auch vor Diffamierungen nicht zurück. Ob hier Journalisten selbst
Politik machten oder sich »nur« benutzen ließen, muss vorerst offen bleiben.
Von Stefan Rehder
M
anchmal ist das Leben ziemlich absurd. Seit Anfang des
Jahres zählt der protestantische Bürgermeister der südbadischen Gemeinde Denzlingen, Markus Hollemann
(ÖDP), zu den wohl bekanntesten Mitgliedern der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) in Deutschland. Und das, obwohl er als Lebensrechtler noch nie öffentlich in Erscheinung getreten war. Er
stand keinem Regionalverband der ALfA
vor, bekleidete auch kein anderes Ehrenamt in der Lebensrechtsorganisation, bestritt keine Podiumsdiskussionen zu Le4
bensrechtsthemen und rief zu nichts auf,
was ihm den Ruf eines Lebensrechts-Aktivisten hätte einbringen können. Selbst
in der ALfA kannte so gut wie niemand
seinen Namen: »Markus wer?«
Auf seiner Internetseite kann man über
sein Engagement Folgendes lesen: »Als
gläubige Christen ist mir und meiner
Frau der Lebensschutz ein wichtiges Anliegen. Meine Frau begleitet schwerkranke und sterbende Menschen. Die tägliche
Konfrontation mit dem Tod lässt uns die
Würde und Einmaligkeit eines jeden Lebens in besonderer Weise wertschätzen.
Vor einigen Jahren hat meine Frau für
uns eine passive Familienmitgliedschaft
bei dem überkonfessionellen Verein Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) abgeschlossen. ALfA setzt sich unter anderem
für Inklusion, gegen Euthanasie und Eugenik sowie den Schutz allen Lebens ein.
Wir wollten damit unsere Unterstützung
für das Lebensrecht eines jeden einzelnen symbolisieren – egal, ob geboren,
ungeboren, behindert, krank oder alt.«
Die Mitgliedschaft in einer Lebensrechtsorganisation ist in Deutschland
(noch) nicht verboten. Das ist auch bei
LebensForum 113
LebensForum 113
WWW.MARKUS-HOLLEMANN.DE
muss, die sich radikaler und nicht mehr
tolerierbarer Mittel bedienen«. So lehne er es »zum Beispiel ab, wenn Frauen
vor Arztpraxen, die entsprechende Eingriffe vornehmen, aggressiv bedrängt«
würden. »Die Organisation ALfA, die
Markus Hollemann, ÖDP
Markus Hollemann auf seiner Weibsite unterstützte, wurde in den Münchner
Medien mit solchen radikalen Praktiken
und extremen Standpunkten in Verbindung gebracht.«
Mit anderen Worten: Auch der CSUPolitiker und Zweite Bürgermeister der
Allen voran von der »Süddeutschen
Zeitung« (SZ). »Designierter Gesundheitsreferent« und »Sympathie für radikale Abtreibungsgegner« überschrieb
das Blatt am 28. Januar einen Artikel
von Dominik Hutter und Josef Kelnberger im München-Teil der SZ. »Wer abtreibt, begünstigt auch Euthanasie sowie
die Forschung an widerstandsunfähigen
Menschen; und als Familie darf nur anerkannt werden, was auf der Ehe zwischen
Mann und Frau aufbaut: Es sind Sätze,
wie diese, die die radikalen Abtreibungsgegner von der ›Aktion Lebensrecht für
alle‹ in Misskredit gebracht haben«, beginnt der Beitrag in dem Blatt, das sich
für eine Qualitätszeitung hält. Und weiter heißt es: »Beim ›Marsch für das Leben‹, den der Dachverband der Organisation schon mehrmals in Berlin veranstaltet hat, haben im vergangenen Jahr
etwa 1.000 Gegendemonstranten gegen
das reaktionäre Familienbild der selbsternannten Lebensschützer demonstriert.
Nun ist das Thema auch im Münchner
Rathaus angekommen: Markus Hollemann, den der Stadtrat an diesem Mittwoch zum neuen Umwelt- und Gesundheitsreferenten wählen soll, ist Mitglied
der ›Aktion Lebensrecht‹.«
Die Wirklichkeit ist freilich eine ganz
andere. »Ein Staat, der seinen Bürgern
›gestattet‹ unschuldige und wehrlose ungeborene Kinder im Mutterleib zu töten,
M(E)ISTER EISKALT
der ALfA nicht anders. Ganz im Gegenteil sogar: Staatliche Stellen haben die
ALfA stets als gemeinnützig anerkannt,
weshalb Zuwendungen, Mitgliedsbeiträge und/oder Spenden denn bislang auch
bei jedem Finanzamt steuermildernd geltend gemacht werden können. Nur Gesundheits- und Umweltreferent der Stadt
München kann man, wie der »Fall Hollemann« zeigt, selbst als passives ALfAMitglied offenbar nicht werden.
»›Etwas ist faul im Staate Deutschland‹, möchte man – William Shakespeares Tragödie ›Hamlet‹ abwandelnd –
ausrufen«, schrieb die Bundesvorsitzende der ALfA, Dr. med. Claudia Kaminski, kürzlich im »LebensZeichen«, einem
8-Seiter, mit dem die ALfA vierteljährlich Spender über die Arbeit des Vereins
und seiner Regionalverbände informiert.
Was sich Ende Januar in München zugetragen habe, sei »tatsächlich« ein »Trauerspiel«, so die Ärztin, die an dieser Stelle gleich noch die »Kurzfassung« des Inhalts des Dramas für all jene nachreichte, welche die, so Kaminski weiter, »bühnenreife Inszenierung« verpasst hätten:
»1. Akt: In München, Bayerns rotschwarz regierter Hauptstadt, gilt es, das
Amt des Umwelt- und Gesundheitsreferenten neu zu besetzen. Das Vorschlagsrecht liegt bei der CSU. Als ihr Wunschkandidat gilt der ÖDP-Politiker Markus
Hollemann, Bürgermeister der südbadischen Gemeinde Denzingen.
2. Akt: Die Grünen im Stadtrat, die
der ÖDP in inniger Feindschaft zugetan
sind, äußern Bedenken gegen den Kandidaten. In München angesiedelte Medien – allen voran die ›Süddeutsche Zeitung‹ – werfen Hollemann die Mitgliedschaft in der ›Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.‹ und die finanzielle Unterstützung der ›Christian Solidarity International‹ (CSI) vor, einer Organisation, die
sich für von Islamisten verfolgte Christen
einsetzt. Die ALfA erhält das Etikett ›radikale Abtreibungsgegner‹, die CSI wird
als ›islamfeindlich‹ tituliert.
3. Akt: Die SPD droht dem Vernehmen nach daraufhin mit dem Bruch der
Koalition. Die CSU lässt Hollemann fallen. Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU) drängt den ÖDP-Politiker zur Aufgabe seiner Kandidatur.«
Dem Rechtsanwalt und Münchner
Urgestein war das Ganze offenbar zumindest peinlich. Gegenüber der katholischen Zeitung »Die Tagespost« erklärte er: »Ich persönlich spreche mich
eindeutig für den Schutz des ungeborenen Lebens aus.« Er, Schmid, sei allerdings der Meinung, dass man eine »klare Grenze zu Abtreibungsgegnern ziehen
Sitz der Süddeutschen Zeitung im Münchner Stadtteil Zamdorf
Bayerischen Landeshauptstadt wirft der
ALfA keineswegs vor, Frauen vor Abtreibungspraxen in seiner Heimatstadt
»aggressiv bedrängt« zu haben, sondern
behauptet lediglich, dass die von Hollemann unterstützte Lebensrechtsorganisation von »Münchner Medien« damit
»in Verbindung gebracht« worden sei.
kann denselben Bürgern schlecht verbieten, sich selbst töten zu lassen«, schrieb
etwa die Bundesvorsitzende der ALfA,
Claudia Kaminski, im »LebensForum«.
Und weiter: »Denn wo bereits die ungeplante Existenz eines anderen Menschen
die Tötung zu rechtfertigen scheint, stürzt
jedes noch so gute Argument gegen die
5
TIT EL
eigene Auslöschung – und davon gibt es
zahlreiche – unweigerlich ins Leere« (vgl.
LF Nr. 109, S. 3).
Evidente »Sätze wie diese« eignen sich
nicht zur Skandalisierung und können daher auch niemanden in Misskredit bringen. Das geschieht erst durch den Beitrag
der SZ-Autoren selbst, der mit »Schmieren-Journalismus« fast noch freundlich
umschrieben wäre. Denn anstatt belastbare Fakten zu präsentieren, die einsichtig machen könnten, warum ein Mitglied
der ALfA unmöglich Gesundheits- und
Umweltreferent der Stadt München werden könne, beschränken sich Hutter und
Kelnberger darauf, Stimmung zu erzeugen (»Sätze wie diese«, »Misskredit«)
und Etiketten (»radikal«, »reaktionär«)
zu verteilen.
Kein Wort darüber, dass der »Marsch
für das Leben« jedes Jahr von einem großen Polizeiaufgebot geschützt werden
muss, weil einige der Gegendemonstranten auch vor Gewalt nicht zurück-
schrecken und die friedlich demonstrierenden Lebensrechtler mit Farbbeuteln
und Wasserbomben attackieren oder gar
die Reihen der Polizisten durchbrechen
und Lebensrechtlern gewaltsam die weißen Holzkreuze entreißen, die sie schweigend durch die Straßen der Bundeshauptstadt tragen.
»In die Nähe von
Rechtsextremen gerückt«
Ja, Hutter und Kelnberger scheuen
sich nicht einmal, die ALfA in die Nähe von Rechtsextremisten zu rücken. So
schreiben sie: »Auch Marcus Buschmüller von der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus warnt vor der
›Aktion Lebensrecht‹. Die Übergänge
zu christlichem Fundamentalismus und
rechtsgerichtetem Antifeminismus seien
fließend, sagt er. So sei die stellvertretende Aktions-Vorsitzende Alexandra Linder im April 2010 in München zusammen mit der ›ultrarechten homosexuellenfeindlichen Autorin‹ Christa Meves
aufgetreten.«
Dass der Beitrag von Hutter und Kelnberger sowie andere, die ihm noch folgen sollten, in Teilen von Politik, Medien und Gesellschaft Diskussionen ausgelöst und die Frage aufgeworfen hat,
wie ein fairer Umgang der Medien mit
Menschen aussehen müsse, die Positionen vertreten, welche Journalisten nicht
teilen, mag erfreulich sein, den durch die
Beiträge Diffamierten ist damit freilich
nicht geholfen.
Allen anderen voran natürlich Markus
Hollemann. »Ein Aufrechterhalten der
Kandidatur« hätte angesichts der »medialen Diskussion die Stadtgesellschaft
und auch den Münchner Stadtrat gespalten. Das ist das Letzte, was ich will.
INFO
»Niemand hat uns um eine Stellungnahme gebeten«
Mit diesem Leserbrief wandte sich die Vorsitzende des ALfA-Regionalverbandes München, Antonia Egger, an die »Süddeutsche Zeitung«. Der Leserbrief wurde von der SZ nicht veröffentlicht. »LebensForum« veröffentlicht ihn im Wortlaut:
Mit größtem Befremden habe ich den Artikel »Designierter Gesundheitsreferent: Sympathie für radikale Abtreibungsgegner« in der Ausgabe der
Süddeutschen Zeitung vom 28. Januar 2015 zur Kenntnis genommen. Ich
bin 48 Jahre alt, von Geburt an querschnittgelähmt und deshalb ständig
auf den Rollstuhl angewiesen. Hinzu kommt eine spastische Behinderung der rechten Hand. Trotz dieser Einschränkungen lebe ich ausgesprochen gerne und habe sogar ein Fachhochschulstudium der Informatik absolviert und abgeschlossen.
Da es mir ein Anliegen ist, auch andere Menschen in ihrer Liebe zum Leben zu bestärken, engagiere ich mich seit Jahren in der »Aktion Lebensrecht für Alle«, derzeit als 1. Vorsitzende des Regionalverbandes München. Die Einschätzungen unserer Arbeit, die der Artikel zum Ausdruck
bringt, muss ich entschieden zurückweisen.
Kernbereiche unserer Aktivitäten sind Öffentlichkeitsarbeit zu allen Themen des Lebensschutzes und Hilfe für schwangere Frauen und Mütter
in Not. Wir veranstalten Informationsabende mit renommierten Ärzten,
Professoren und Fachleuten für soziale Probleme. Unsere gut besuchten
Infostände in der Münchner Innenstadt, beim Streetlife-Festival, auf dem
Corso Leopold, bei Fachmessen etc. werden stets von den zuständigen
Behörden genehmigt und freundlich unterstützt.
Bei all unseren Aktionen orientieren wir uns ganz klar an den Vorgaben
des Grundgesetzes und an allgemein christlichen Grundsätzen. Wir nehmen das von der Verfassung garantierte Menschenrecht und das Fünfte
Gebot ernst und werben friedlich und sachlich fundiert für Verbesserungen im Schutz bedrohten Lebens.
Nie haben wir gewalttätige Demonstrationen angezettelt. Wir wurden
im Gegenteil bei unseren friedlichen »Märschen für das Leben« wiederholt von linksradikalen Gegnern angepöbelt, ohne uns davon provozieren
zu lassen. Dass in dem Artikel zwar die 1.000 Gegendemonstranten gegen den »Marsch für das Leben« 2014 in Berlin erwähnt werden, nicht
6
aber die 5.000 Demonstranten, zeugt von unglaublicher Voreingenommenheit. Sympathien mit rechtsradikalen Gruppierungen sind uns fremd.
Ich frage mich, was an unserer Arbeit »radikal«, »fundamentalistisch«
und »frauenfeindlich« sein soll. Darf man heutzutage für ungeborene Kinder und ihre Eltern nicht mehr beten? Darf man eine Frau, die im Begriff
ist, ihr ungeborenes Kind dem Tod preiszugeben, nicht vor einem Schritt
bewahren, der unumkehrbar ist und aufgrund der körperlichen und physischen Folgeschäden, die in der Öffentlichkeit fast immer verschwiegen
werden, oft ein Leben lang bitter bereut wird?
Der Anfang des Artikels »Wer abtreibt, begünstigt auch Euthanasie sowie die Forschung an widerstandsunfähigen Menschen; und als Familie darf nur anerkannt werden, was auf der Ehe zwischen Mann und Frau
beruht« wirkt wie ein Zitat. In Wirklichkeit ist er eine freie Erfindung der
Verfasser oder ihrer Informanten. Im Übrigen überschüttet der Artikel die
ALfA geradezu mit wild zusammengeklaubten populären Totschlag-Wörtern wie »extrem«, »(rechts-)radikal«, »antifeministisch«, »ultrarechts«
und »wertkonservativ« und »christlich«, ohne für diese Einschätzung irgendwelche Beweise anzuführen.
Damit betet die SZ unkritisch die Verdächtigungen unserer Gegner nach.
Niemand hat vor Abfassung des Artikels mit uns Kontakt aufgenommen,
um uns um eine Stellungnahme zu bitten. Ich halte dieses Vorgehen für
journalistisch äußerst fragwürdig. Nach wie vor sind wir jederzeit zu einem Dialog mit allen Interessierten über unsere Anliegen bereit. Es wäre erfreulich, wenn unsere Gegner für unsere Ziele wenn schon nicht Zustimmung, so doch wenigstens Achtung aufbringen könnten und ein wenig von der Toleranz, die sie uns täglich predigen. Gerade die Deutschen
samt ihren Medien sollten sich prüfen, ob im Bereich Lebensschutz nicht
ein Aufgabenfeld liegt, das sie mit größerem Ernst angehen sollten. Wir
setzen uns mit guten Argumenten für eine gute Sache ein.
Antonia Egger, München
LebensForum 113
ARCHIV
bekundete, dass er immer noch glaube,
»dass Herr Hollemann der Stadt gerade im Umweltbereich wichtige Impulse hätte geben können«. Es gebe für ihn
HARALD BISCHOFF
Ich wollte im Gegenteil mit diesem personellen Vorschlag Ökonomie und Ökologie miteinander versöhnen und ideologische Gräben schließen. Ich bin des-
Josef Schmid, CSU
Claudia Kaminski
halb mit Herrn Hollemann in einem persönlichen Gespräch übereingekommen,
dass er seine Kandidatur zurückzieht«,
erklärt Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid hinterher auf seiner Facebook-Seite.
Der bodenständige Metzgersohn bedauerte sogar »die Entwicklung« und
»überhaupt keinen Grund, an der persönlichen Integrität von Markus Hollemann zu zweifeln. Viele Angriffe gegen
ihn – vor allem in den sozialen Netzwerken – empfinde ich als unfair und über die
Maßen aggressiv«, so Schmid.
Durchstehen wollte oder konnte
Schmid die Kampagne gegen den ÖDP-
Politiker, die dem Vernehmen nach von
Münchner Grünen angezettelt wurde,
nicht. Aus Münchner CSU-Kreisen verlautete später, die SPD habe der CSU
schließlich mit dem Bruch der Koalition gedroht. Schmid habe letztlich vor der
Wahl gestanden, Hollemann zur Aufgabe
seiner Kandidatur zu drängen oder aber
seinen eigenen Hut zu nehmen. Dann
hätte ein anderer »Hollemann entsorgt«.
Mit seinem Namen einstehen will für diese Behauptung allerdings niemand.
Das gilt auch für andere Lesarten der
Causa. Nach einer von ihnen soll die passive ALfA-Mitgliedschaft von Hollemann
gar nicht das tatsächliche Problem, sondern nur ein Vorwand gewesen sein. Das
eigentliche Problem sei vielmehr, dass
Hollemann Mitglied der ÖDP sei, einer
Partei, mit der die Grünen darüber stritten, wer von ihnen die »wahre Öko-Partei« sei. Sollte dies zutreffen, dann wäre die »Süddeutsche Zeitung« nicht einmal der Urheber der Kampagne gegen
Hollemann gewesen, sondern hätte sich
bloß benutzen lassen. Einen schlimmeren Vorwurf als diesen kann man einem
Medium beinah nicht machen. Oder wie
es einer formuliert, der namentlich nicht
genannt werden will: »Dreckig, feige und
gemein zu sein« werde in Journalistenkreisen »immer noch goutiert«. Nur
»dumm« zu sein, das ginge »gar nicht«.
INFO
Diffamiert und abgeschossen
Die katholische Zeitung »Die Tagespost« (DT) kommentierte den »Fall Hollemann« in Gestalt ihres Chefredakteurs Markus Reder
in ihrer Ausgabe vom 30.01.2015. »LebensForum« dokumentiert den Kommentar mit freundlicher Genehmigung der DT im Wortlaut:
Von Markus Reder
Von einer Provinzposse kann man nicht sprechen. Schon deshalb nicht,
weil die bayerische Landeshauptstadt nun mal keine Provinz ist. Mehr
noch: Die Vorgänge um die Besetzung der Stelle des Münchner Gesundheitsreferenten sind von derart grundsätzlicher Bedeutung, dass einem
graust. Wenn Schule macht, was sich da abgespielt hat, können bekennende Christen Engagement in politischen Ämtern künftig vergessen.
Getrieben von wüsten, völlig unhaltbaren Anwürfen einer linken politischen Allianz und medialer Hetze lässt die CSU binnen weniger Stunden
ihren Wunschkandidaten fallen. Verbrochen hat der ÖDP-Politiker Markus Hollemann nichts. Er ist bekennender Christ, setzt sich für das Lebensrecht Ungeborener ein und zeigt sich solidarisch mit verfolgten Christen im Ausland. Das ist alles, aber das reicht. Seit dem »Fall Hollemann«
weiß man: Mehr braucht es nicht, um in Windeseile abserviert zu werden. Nicht ohne dass einem zuvor der gute Ruf genommen wird, indem
linke Ideologen christliches Engagement in die rechtsradikale Schmuddelecke stellen.
Das ist ein Musterbeispiel für jenen Kopf-ab-Journalismus, der immer
mehr um sich greift. An die Stelle sorgfältiger Berichterstattung und differenzierter Betrachtung tritt der ideologisch motivierte, öffentlich exerzierLebensForum 113
te Rufmord. Dabei arbeiten die Ideologen in Parteien und Medienhäusern
Hand in Hand, um ihnen unliebsame Personen auszuschalten. Auf diese
Weise verschieben Stimmungs- und Meinungsmächtige die Koordinaten
dessen, was als »politisch korrekt« gilt und als hoffähig, sprich amtsfähig,
akzeptiert wird. Inzwischen reicht es also, für den Schutz des Lebens einzutreten und für durch Islamisten verfolgte Christen zu spenden, um in der
rechten Ecke versenkt zu werden.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass es unter Lebensschützern auch schräge Vögel gibt. Die »Aktion Lebensrecht für Alle« (ALfA) gehört sicher nicht
dazu. Was jeder unschwer feststellen kann, der sich fair mit ihrer Arbeit
beschäftigt. Die ALfA ist eine überkonfessionelle Lebensschutzorganisation, die in Fragen des Lebensrechts mit den Positionen der Katholischen
Kirche übereinstimmt. Wenn man das heute nicht mehr tun darf, ohne politisch erledigt zu werden, nennt man das wohl »Gesinnungsterror«. Was
sich in München abgespielt hat, ist ein erschreckender Präzedenzfall, der
zeigt, wie es um Lebensrecht und Meinungsfreiheit bestellt ist. Über Politikverdrossenheit und Frust über die etablierten Parteien braucht sich da
keiner mehr wundern. All jenen in Parteien und Redaktionen, die Abtreibung als Menschenrecht proklamieren und Andersdenkende mundtot machen wollen, sei ein Blick ins Gesetzbuch empfohlen. Abtreibungen sind
rechtswidrig, heißt es da. Das gilt, auch wenn sie straffrei sind.
7
TI T EL
»Du sollst nicht töten«
Anlässlich der Eröffnung der diesjährigen bundesweiten »Woche für das Leben« veranstaltete der
Bundesverband Lebensrecht (BVL) erstmals eine Fachtagung in Hamburg, wo die von den
beiden christlichen Kirchen ins Leben gerufene Woche eröffnet wurde. Impressionen von vor Ort.
Von Peter Winnemöller
E
rstmals hat der Bundesverband
Lebensrecht (BVL) begleitend
zur bundesweiten Eröffnung der
»Woche für das Leben« eine Fachtagung veranstaltet. Die »Woche für das
Leben«, eine gemeinsame Veranstaltung
der Deutschen Bischofskonferenz (DBK)
und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), wurde in diesem Jahr mit
einem ökumenischen Gottesdienst in der
Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg
und einer anschließenden Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie
Hamburg eröffnet.
Die Fachtagung des BVL war um die
Programmpunkte der offiziellen Eröffnungsveranstaltung von DBK und EKD
herum angeordnet, so dass die Teilnehmer der Fachtagung auch an der offiziellen Eröffnung teilnehmen konnten.
Dabei bewies der BVL große Flexibilität, denn die anberaumte Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie
machte es nötig, das Nachmittagsprogramm um etwa eine Stunde nach hinten zu verschieben. Die Teilnehmer begrüßten dies ausdrücklich. Wünschenswert wäre es natürlich, wenn DBK und
EKD als Ausrichter der »Woche für das
Leben« und der BVL als Ausrichter der
Fachtagung sich vorher abstimmen könnten. Auch böte eine gemeinsame Einladung oder eine gegenseitige Einladung
zu beiden Veranstaltungen allen Teilnehmern die Möglichkeit, beide Veranstaltungen zu besuchen.
So nahmen zwar fast alle Teilnehmer
der Fachtagung auch an der offiziellen
Eröffnung von DBK und EKD teil, umgekehrt aber gab es keinen Gegenbesuch.
Im Hinblick auf die hochkarätigen Vorträge, die der BVL organisiert hatte, war
dies durchaus bedauerlich. Trotzdem war
die Fachtagung in den Räumen der »CityChurchHamburg« sehr gut besucht.
»Du sollst nicht töten! Dies ist keine Erfindung von christlichen Lebensschützern oder gar des Bundesverbandes Lebensrecht. Dies ist ein göttliches
8
Gebot, das seit Jahrtausenden gilt.« Mit
diesen Worten begrüßte der Vorsitzende des BVL, Martin Lohmann, die Teilnehmer der Fachtagung. Und fügte hinzu, statt Sterbehilfe sei Lebenshilfe gefragt. Dazu solle diese Zusammenkunft
ihren Beitrag leisten.
Auf der Fachtagung in Hamburg sprachen der Frauenarzt Dr. Michael Kwiorr und die Professoren Manfred Spieker und Axel W. Bauer. Der Schwerpunkt
lag auf der gesellschaftlichen Diskussion um den assistierten Suizid. In seinem
Grußwort wies der Philosoph Robert
Spaemann darauf hin, dass der Suizid in
unserer Rechtsordnung nicht erlaubt sei
und auch gar nicht erlaubt werden könne. Dass der Selbstmord moralisch geächtet bleibe, sei für die menschliche
Gemeinschaft von größter Wichtigkeit.
Das Grußwort wurde von Alexandra Ma-
»Robert Spaemann
schickte ein Grußwort«
ria Linder, Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA, verlesen. Der erste
Vortrag fiel etwas aus der Reihe, hatte
jedoch einen sehr aktuellen Bezug. Michael Kwiorr stellte die neuen Schwangeren-Bluttests vor. Mit diesen neuartigen Testmethoden kann aus dem Blut von
schwangeren Frauen DNA des ungeborenen Kindes gewonnen werden. Mit diesen Informationen kann schon heute in
einer sehr frühen Phase der Schwangerschaft, nämlich etwa der zehnten Schwangerschaftswoche, festgestellt werden, ob
bei einem Kind Trisomie 21 vorliegt. Die
Tests stellen eine massive Gefahr für Menschen mit Behinderungen dar.
Diese Tests, erläuterte Kwiorr, seien
bereits Realität. Sie seien auf dem Markt
und würden in der Praxis angewandt.
Dies sei geschehen, ohne dass es eine
vorherige ethische Debatte gegeben habe. Es sei aber dringend an der Zeit, eine solche zu führen. Die Testverfahren
dürften auf keinen Fall Kassenleistungen
werden. Im Kern handele es sich bei den
Bluttests um Auswahlverfahren. Welches
Kind darf leben und welches Kind nicht?
Diese Frage stehe im Grunde hinter jedem Test dieser Art. Im Falle einer festgestellten Trisomie 21 würden in Deutschland inzwischen 95 Prozent aller Kinder
abgetrieben.
Ein solches Auswahlverfahren, erläuterte der Mediziner, sei eine »slippery slope«, was im Deutschen mit »schiefe Ebene« übersetzt wird. Wenn wir erst einmal anfangen, auf diese Weise zu selektieren, begeben wir uns auf einen gefährlichen Weg. Der Test auf Trisomie 21 sei
nur der Anfang. Es werde zukünftig noch
weitere Tests geben. Da das menschliche
Genom entschlüsselt sei, bestehe die Gefahr, dass künftig schon eine Veranlagung
zu bestimmten Krebsarten oder anderen
Erkrankungen eine Abtreibung nach sich
zöge. Das hieße Kinder zu töten, nur weil
sie eine gewisse Wahrscheinlichkeit besäßen, eine bestimmte Krankheit zu bekommen. Eine gesellschaftliche Diskussion über diese Frage und ihre Konsequenzen sei unbedingt erforderlich. Kwiorr
forderte das Auditorium auf, sich selbst
einzubringen. Ärzte, Politiker und die
Öffentlichkeit müssten für das Thema
sensibilisiert werden.
Die Tagung wurde nach dem Gottesdienst und dem Podium in der Katholischen Akademie mit einem Vortrag von
Professor Spieker fortgesetzt. Mit »Selbsttötung als neues Menschenrecht?« stellte
Spieker gleich schon in der Überschrift
die entscheidende Frage. Einem Überblick über die Formen der Sterbehilfe folgte eine Einführung in die Grundrechtssystematik.
Grundrechte sind keine positiv gesetzten Rechtsakte, vielmehr bestehen
sie »als unmittelbar geltendes Recht«.
Dies sei zu erkennen an der Tatsache,
LebensForum 113
zulehnen, liege doch genau diese in der
Logik des assistierten Suizids. Wenn ein
assistierter Suizid scheitere oder auch nur
das Risiko dazu bestehe, sei genau dieses
aktive Eingreifen des Arztes die logische
Konsequenz. Am Ende führte Spieker die
christliche Alternative der Sterbebegleitung aus. Schon 1992 hatte Papst Johannes Paul II. auf die Notwendigkeit der
Hospizbewegung hingewiesen. Das Ster-
ARCHIV
ARCHIV
dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sich zu den Grundrechten bekenne, wie in Art. 1, Abs. 2 GG zu
lesen sei. Daraus ergebe sich die Konsequenz, führte der Sozialethiker weiter
aus, dass Grundrechte eben nicht wieder
verschwinden können. Wohl aber könnten neue Formulierungen hinzukommen.
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wurde in Deutschland »nach den
bitteren Erfahrungen mit den tödlichen
Menschenversuchen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern«, so
Spieker wörtlich, dem Recht auf Leben,
das schon die Weimarer Reichsverfas-
Alexandra Maria Linder
Martin Lohmann
sung kannte, hinzugefügt.
Einem vermeintlichen Recht auf
Selbsttötung erteilte der Sozialethiker
eine klare Absage. Dabei bezog er sich auf
die Einschränkungen, die der Art. 2, Abs.
3 GG der freien Entfaltung der Persönlichkeit setzt. Dabei handele es sich um
die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz. Der
Suizid sei zumindest immer eine Verletzung der Rechte anderer, da er die sozialen Beziehungen zerstört. Die Beihilfe
zum Suizid, der zwar selber nicht strafbar sei, aber dennoch niemals Anspruch
auf Legalität erheben könne, dürfe auf
keinen Fall explizit erlaubt werden. Eine
organisierte Beihilfe zum Suizid suggeriere soziale Akzeptanz. Darüber hinaus
entstehe ein sozialer Druck auf all jene,
die ihr Weiterleben in Leiden schwerer
Krankheit als Belastung für ihr Umfeld
wahrnehmen. »Eine tödliche Falle der
Selbstbestimmung: sie mündet in Selbstentsorgung«, betonte Spieker.
Das Ende der Fahnenstange ist damit
allerdings noch lange nicht erreicht. Trotz
aller Beteuerung, aktive Sterbehilfe abLebensForum 113
ben müsse ebenso wie die Beerdigung ein
soziales Ereignis werden, betonte Spieker. Beispielhaft stehe dafür das Sterben
dieses Papstes. Seine letzten Worte »Ich
bin froh, seid ihr es auch!« seien ein großes Vermächtnis für die Wiederbelebung
der ars moriendi, für eine Kultur des Lebens, die dem Leiden und Sterben nicht
ausweicht, schloss Manfred Spieker seinen Vortrag.
Nahtlos schloss sich daran der Vortrag
von Professor Axel W. Bauer an. Der Medizinethiker aus Heidelberg bringt sich
seit längerem sehr aktiv in die Diskussion um den assistierten Suizid ein. Mit
seinem Buch »Wir sollen sterben wollen« hat er bereits 2013 gemeinsam mit
Andreas Krause Landt ein Standardwerk
zum Thema vorgelegt. Bauer erinnerte
daran, dass Anfang 2013 ein Gesetz verhindert werden konnte, dass nur die gewerbliche Suizidbeihilfe verboten und alle anderen Formen legitimiert hätte. Dabei spiele die gewerbliche Suizidbeihilfe in Deutschland praktisch keine Rolle.
Genauso gut hätte man das Falschparken auf dem Mars verbieten können.
Laut Bauer sei das Gesetzgebungsverfahren gestoppt worden, weil die Bundeskanzlerin im Wahljahr keinen Streit
mit den Kirchen hätte gebrauchen können. Das damals geplante Gesetz nann-
te er einen Gesetzestrojaner. Als Gründe für die nur scheinbare rechtliche Begrenzung gab Bauer insbesondere die demographische Entwicklung und die fortschreitende Medizin an. So würden die
jetzt 45- bis 55-Jährigen zwar durchaus
älter, aber dann die Krankheiten, die man
heute mit 75 bekommt, mit 85 bekommen. Die Folge seien steigende Pflegekosten in der letzten Lebensphase. Es
sei eine Illusion zu glauben, wir würden
künftig nicht nur später, sondern auch in
einem kerngesunden Zustand sterben.
Das Problem der Renten-, Krankheitsund Pflegekosten werde eskalieren, wenn
2030 rund ein Viertel der Bevölkerung in
einem Alter von 65 bis 85 Jahren sei. In
dieser Lage, so Bauer, käme ein angeblich selbstbestimmter Freitod der älteren Generation passend. Dazu verwies
er auf den Roman »Schöne neue Welt«
von Aldous Huxley, der, 1932 erschienen,
für das Jahr 2540 prophezeite, dass man
dann freiwillig aus dem Leben scheide,
bevor man ernsthaft erkranke und Kosten verursache. Wir seien, so Bauer, diesem ernüchternden Gesellschaftsentwurf
gefährlich nahe gekommen.
Massive Kritik äußerte der Medizinethiker auch an dem Gesetzentwurf
von Taupitz, Wiesing, Jox und Borasio,
die insbesondere für zwei Gruppen den
assistierten Suizid freigeben wollen. Dies
seien zum einen nahe Angehörige, welche selber emotional involviert seien und
mitlitten, zum anderen Ärzte als privilegierte Suizidassistenten. Angehörige, deren Mitleid mit einem Leidenden auch
eigenes Leid sei, könnten zu tödlichem
Mitleid neigen oder als Erben davon betroffen sein, dass durch lange Pflegezeiten das Vermögen des Erblassers erheblich geschmälert wird. Dieser Gruppe,
hielt Bauer fest, solle man am allerwenigsten die Beteiligung am Suizid erlauben dürfen. Die Konsequenzen für ärztliche Suizidhelfer ließen sich kaum ausloten. So müssten angehende Ärzte dann
künftig Suizidassistenz im Studium lernen. Eine vorgeschlagene Änderung des
Betäubungsmittelgesetzes mache den
Tod auf Rezept dann zur grausigen Wirklichkeit. »Wer die Suizidbeihilfe effektiv
einschränken möchte, der muss sie ohne Ausnahme verbieten«, schloss Bauer.
Den Abschluss der Tagung bildete ein
kurzer Bericht aus der Hospizbewegung.
Nach den Vorträgen zog Hartmut Steeb
ein kurzes Fazit aus dem Gehörten und lud
die Teilnehmer besonders zum »Marsch
für das Leben« am 19. September in Berlin ein. Es sei sehr wichtig, auch öffentlich
und zahlreich für das Recht auf Leben eines jeden Menschen sichtbar zu werden.
9
BI O ET HI K - SPLIT TE R
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DANIEL RENNEN
Paris (ALfA). Die Französische Nationalversammlung hat das 2005 eingeführte, nach dem UMP-Abgeordneten
Jean Leonetti benannte Leonetti-Gesetz
geändert, das die Rechte von Patienten
am Lebensende regelt und Ärzte zum
Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen verpflichtet, wenn der Patient dies
scheidend betrachtete Neuerung in einem Gesetzentwurf auf. In ihr warnten
der Primas der Katholischen Kirche in
Frankreich, Philippe Kardinal Barbarin,
der Präsident des Evangelischen Bundes in Frankreich, Francois Clavairoly,
der Metropolit der Orthodoxen, Emanuel von Frankreich, sowie der Oberrabiner Haim Korsia und der Vorsitzende
der Vereinigung der Moscheen Frankreichs Mohammed Moussaoui vor einem Missbrauch der tiefen Sedierung,
bei der dem Patienten ein das Zentralnervensystem dämpfendes Beruhigungsmittel verabreicht wird. Zwar könne aus
medizinischer Sicht die Notwendigkeit
einer solchen Sedierung bestehen. Allerdings bestehe die Gefahr, dass eine solche Sedierung nicht nur zur Entlastung
des Patienten angewandt werde, sondern
um seinen Tod herbeizuführen.
Holland: Jeder dritte Arzt für Sterbehilfe
bei Lebensmüden
Frankreich: Tiefe Sedierung auf Wunsch
wünscht. Mitte März stimmten die Abgeordneten für eine Ergänzung des Gesetzes, das Patienten unter bestimmten
Bedingungen nun auch das Recht auf eine »kontinuierliche tiefe Sedierung« einräumt. Abgelehnt wurde dagegen mit 89
zu 70 Stimmen ein Änderungsvorschlag
des sozialistischen Abgeordneten JeanLouis Touraine, der eine Legalisierung
aktiver Sterbehilfe zum Ziel hatte. Touraine hatte seinen Vorschlag mit Gefahren
begründet, die mit illegal durchgeführter Sterbehilfe verbunden seien und diese auf rund 4.000 Fälle im Jahr beziffert.
Ärztlich assistierter Suizid und die Tötung auf Verlangen sind in Frankreich verboten. Ein Arzt, der Beihilfe zur Selbsttötung leistet, muss bei einer Verurteilung mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren rechnen.
Vor der Abstimmung hatten führende katholische, evangelische, jüdische
und muslimische Religionsvertreter in
Frankreich Kritik an dem Entwurf für
das neue Sterbehilfegesetz geübt. In einer gemeinsamen Erklärung riefen die
Vertreter der monotheistischen Religionen zum Widerstand gegen die als ent-
Amsterdam (ALfA). Rund ein Drittel der Ärzte in den Niederlanden ist
bereit, auch psychisch kranken Lebensmüden und Menschen mit Frühformen
der Demenz bei einem Suizid zu assistieren. Das geht aus einer erst jetzt im
Journal of Medical Ethics veröffentlichten Studie hervor. Für die Studie hatten
die Autoren um Eva Bolt vom EMGO
Institute of Health and Care Research
zwischen Oktober 2011 und Juni 2012
insgesamt 2.500 Hausärzte sowie Fachärzte verschiedener Spezialgebiete befragt.
noch 450 gewesen. Seit dem Jahr 2010,
in dem die Organisation 257 Menschen
bei einem Suizid unterstützt hat, hat sich
demnach die Zahl der von »Exit« durchgeführten Suizidbegleitungen mehr als
verdoppelt.
Papst fordert mehr Palliativmedizin
Papst Franziskus hat dazu aufgerufen,
die Palliativmedizin zu stärken. Vor Mitgliedern der Päpstlichen Akademie für
das Leben ermutigte Franziskus Ärzte
und Studenten, sich auf dieses Fachgebiet zu spezialisieren. Die Palliativmedizin kümmere sich um Menschen, die
von der »heilenden Medizin« vernachlässigt würden, und sei Ausdruck der Wertschätzung für die Person, so Franziskus.
Nur weil sie keine Leben retten, seien
schmerzlindernde Behandlungen nicht
weniger wert, sagt der Papst.
KOREAN CULTURE AND INFORMATION SERVICE (JEON HAN)
Frankreich führt »Recht auf
tiefe Sedierung« ein
Schweiz: »Exit« meldet Rekorde
bei Mitgliedern und Suiziden
Zürich (ALfA). Die Schweizer Suizidbegleitungsorganisation »Exit« hat eigenen Angaben zufolge 2014 einen neuen
Mitgliederrekord aufgestellt. Demnach
erlebte die Organisation im vergangenen
Jahr mit 13.500 Neuanmeldungen einen
wahren Boom. Wie »Exit« mitteilte, seien dies rund zwei Drittel mehr Neumitglieder als im Jahr 2013 gewesen. Die Organisation, die die Zahl ihrer Mitglieder
nun mit 81.000 beziffert, will 2014 auch
mehr Menschen als jemals zuvor bei einem Suizid begleitet haben. Demnach hat
»Exit« 2014 insgesamt 583 Personen bei
einem Suizid unterstützt. 2013 seien es
Papst Franziskus
Zugleich hob das Oberhaupt der Katholischen Kirche hervor, dass auch die
Palliativmedizin nicht Pflege von alten
und kranken Menschen durch die Familie ersetzen könne. In seiner Ansprache wandte sich der Papst auch gegen ein
ausschließlich auf Wirtschaftlichkeit und
Effizienz zielendes Denken und Handeln
im Gesundheitswesen. Wirtschaftlichkeit
und Effizienz dürften nicht die einzigen
Kriterien sein, nach denen die medizinische Versorgung erfolge. Ein Staat dür-
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LebensForum 113
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fe nicht das Ziel haben, mit der Medizin
Geld zu verdienen. Die oberste Pflicht
sei es vielmehr, die menschliche Person
zu schützen.
Patientenschützer für
mehr Suizidprävention
Berlin (ALfA). Die Vorsorge für suizidgefährdete ältere Menschen müsse
verbessert werden. Angesichts der hohen Selbsttötungsraten müsse dringend
ein »Aktionsprogramm Suizidprophylaxe 60plus« aufgelegt werden, fordert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Begründung: »Der
Anteil der Über-60-Jährigen an der Bevölkerung beträgt 27 Prozent.« Mit 45
Prozent sei sie jedoch die größte Gruppe unter den Menschen, die Suizid begehen.
Luxemburg plant Verbot
von Leihmutterschaft
burtliche Kindstötung in einem Bundesland vornehmen, in dem sie nicht wohnten.
Luxemburg plant ein Verbot der Leihmutterschaft. Bislang ist Leihmutterschaft
in Luxemburg rechtlich nicht geregelt.
Parteiübergreifendes Ziel ist es, Leihmutterschaftsverträge wie in Deutschland für
sittenwidrig zu erklären. Der zuständige
Parlamentsausschuss will nun Stellungnahmen von Organisationen einholen,
die sich mit dem Thema befassen. Derzeit ist die Leihmutterschaft in zahlreichen EU-Staaten verboten, so in Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland,
Italien, Lettland, Portugal, Schweden,
Tschechien und Ungarn.
In Spanien sind zwar Leihmutterschaften nicht verboten, wohl aber Leihmutterschaftsverträge. Norwegen verbietet
die Leihmutterschaft im eigenen Land,
toleriert diese aber, sofern sie im Ausland
herbeigeführt wird und die Leihmutter
nicht auf der Geburtsurkunde erscheint.
In Belgien, Griechenland und Großbritannien werden nur nicht-kommerzielle
Leihmutterschaften geduldet. Gesetzlich nicht geregelt ist die Leihmutterschaft außer in Luxemburg auch in Estland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien und Slowenien.
Spaniens Regierung für kleine
Korrektur bei Abtreibung
Madrid (ALfA). Nach ihrem Verzicht
auf eine umfassende Reform der Abtreibungsgesetze wollen Spaniens Konservative nun eine Mini-Korrektur vom Parlament verabschieden lassen. Die Volks-
Wiesbaden (ALfA). In Deutschland
hat die Zahl der dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden gemeldeten vorgeburtlichen Kindstötungen erstmals die
Marke von 100.000 unterschritten. Laut
dem Amt wurden den Statistikern 2014
rund 99.700 Abtreibungen gemeldet. Das
entspricht, verglichen mit dem Vorjahr,
einem Rückgang um rund drei Prozent.
Knapp drei Viertel (73 Prozent) der
Frauen, die 2014 eine vorgeburtliche
Kindstötung durchführen ließen, waren
zwischen 18 und 34 Jahre alt, 16 Prozent
zwischen 35 und 39 Jahre. Rund acht
Prozent der Frauen waren 40 Jahre und
älter. Vier Prozent waren unter 18 Jahre alt. Rund 39 Prozent der Frauen hatten vor der Abtreibung noch keine Lebendgeburt. 96 Prozent der gemeldeten
vorgeburtlichen Kindstötungen wurden
nach der Beratungsregelung vorgenommen. Medizinische und kriminologische
Indikationen waren in vier Prozent der
Fälle die Begründung für die Abtreibung.
Die meisten Abtreibungen (68 Prozent)
wurden mit der Absaugmethode (Vakuumaspiration) durchgeführt, bei 18 Prozent wurde die Abtreibungspille Mifegyne verwendet. Die Eingriffe erfolgten
überwiegend ambulant – rund 79 Prozent in gynäkologischen Praxen und 18
Prozent ambulant im Krankenhaus. Sieben Prozent der Frauen ließen die vorge-
DANIEL RENNEN
Abtreibungszahlen erstmals
unter 100.000
Alberto Ruiz Gallardón
partei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy legte kürzlich einen Entwurf
vor, wonach abtreibungswillige Mädchen
zwischen 16 und 18 Jahren künftig die Erlaubnis der Eltern benötigen. Das Vorhaben solle noch im Frühjahr beschlossen werden, sagte der PP-Fraktionschef
Rafael Hernando. Rajoy hatte vor den
letzten Parlamentswahlen versprochen,
die 2010 von den Sozialisten eingeführte Fristenregelung wieder abzuschaffen.
Nach massiver Kritik in den Medien, Protesten bei Teilen der Bevölkerung sowie
in den eigenen Reihen gab Rajoy dieses
Vorhaben jedoch wieder auf. Justizminister Alberto Ruiz Gallardón, der bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet hatte, erklärte daraufhin seinen Rücktritt und zog sich völlig
aus der Politik zurück (vgl. »LebensForum« Nr. 111, S. 16f.).
Leihmütter: Verbot in Luxemburg geplant
Leihmutterschaften sind ethisch unter
anderem umstritten, weil Wissenschaftler
davon ausgehen, dass das Kind bereits im
Mutterleib eine Bindung zu der es austragenden Leihmutter aufbaut, die aber
in aller Regel im späteren Leben nicht
als Bezugsperson fungieren soll und will.
Außerdem verpflichten viele Leihmutterverträge die Leihmutter, das Kind abzutreiben, wenn die späteren sozialen Eltern dies, etwa nach Diagnose einer Fehlbildung, verlangen.
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LebensForum 113
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DANIEL RENNEN
AUSL AND
Abtreibung als neues
»grundlegendes Menschenrecht«?
Vor allem Linke und Liberale drängen im Europäischen Parlament immer vehementer darauf,
Abtreibung europaweit sowie im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe
auch in anderen Teilen der Welt durchzusetzen. Europäische Christdemokraten und
Konservative zeigen sich in beiden Fragen gespalten.
Von Stephan Baier
O
bgleich die Abtreibungsgesetzgebung unstrittig nicht in die
Zuständigkeit der Europäischen
Union, sondern in die ihrer 28 Mitgliedstaaten fällt, propagiert eine Mehrheit
im Europäischen Parlament seit vielen
Jahren deren Legalisierung: nicht nur
für jene wenigen EU-Mitgliedstaaten,
die das ungeborene Leben noch mit den
Mitteln des Strafrechts schützen, sondern auch als Bedingung in der Entwicklungszusammenarbeit. Lange waren die
in Brüssel und Straßburg tagenden Europaparlamentarier bemüht, ihre offensive Abtreibungspolitik zu chiffrieren:
von »sexueller und reproduktiver Gesundheit« war in den Menschenrechtsberichten und in zahlreichen Erklärungen des Europäischen Parlaments dann
die Rede. Kecker, weniger getarnt setzte
12
der Bericht der portugiesischen Sozialistin Edite Estrela über »Rechte auf dem
Gebiet der sexuellen und reproduktiven
Gesundheit« an. Zu keck offenbar, denn
er wurde nach monatelanger Kontroverse
und massiven öffentlichen Protesten am
10. Dezember 2013 mit denkbar knapper Mehrheit (334 gegen 327 Stimmen)
endgültig abgelehnt.
Fünfzehn Monate später gelang nun
dem belgischen Sozialisten Marc Tarabella, woran seine Fraktionskollegin aus
Portugal gescheitert war: Das Europäische Parlament verabschiedete Tarabellas Bericht »über die Gleichstellung von
Frauen und Männern in der EU«, in dem
Abtreibung – erneut unter der genannten
Chiffre – als »grundlegendes Menschenrecht« bezeichnet wird. In dem am 10.
März in Straßburg gebilligten Text ver-
weist das Europäische Parlament aber
auch ausdrücklich darauf, »dass Frauen
nicht zuletzt durch den einfachen Zugang zu Empfängnisverhütung und Abtreibung die Kontrolle über ihre sexuelle
und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte haben müssen;
unterstützt daher Maßnahmen und Strategien zur Verbesserung des Zugangs von
Frauen zu Dienstleistungen der sexuellen
und reproduktiven Gesundheit«. Durch
die Vokabel »müssen« wird der Satz zu
einer unmittelbaren Rüge für EU-Mitgliedstaaten wie Irland, Polen und Malta, in denen Frauen eben keinen »einfachen Zugang zu … Abtreibung« haben.
Immerhin votierten 200 Europaabgeordnete gegen diese Formulierung in
Artikel 45, darunter die meisten Christdemokraten und Konservativen. Sogar
LebensForum 113
»Was wird mit Frauen, die
lieber bei den Kindern bleiben«
von Kindern und die Vollbeschäftigung
von Frauen: »Was wird mit Frauen, die
lieber bei ihren Kindern bleiben?« Die
konservative Slowakin Jana Zitnanská kritisierte, dass Mutterschaft keine Würdigung findet, und forderte Pensionen für
Mütter. Ihr Landsmann und Fraktionskollege Branislav Skripek fragte: »WarLebensForum 113
um vergisst man das wichtigste Recht: das
Recht auf Leben?« Die EU solle die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in der Abtreibungsfrage respektieren. AfD-Mandatar Bernd Lucke merkte an, »dass es
den fundamentalen Menschenrechten
widerspricht, ein ungeborenes Kind töten zu können«.
Der christdemokratische Ungar József
Nagy erinnerte daran, dass Abtreibung
in die Zuständigkeit der Staaten, nicht
der EU fällt. Die kroatische Christdemokratin Marijana Petir erinnerte nicht
bloß an das Subsidiaritätsprinzip, sondern versuchte ihre Kollegen davon zu
gisch« als der Estrela-Bericht. Sollte jedoch der Abtreibungs-Passus (also Artikel 45) angenommen werden, dann könne
sie den Bericht nur ablehnen, denn es sei
ihr »eine Herzensangelegenheit, für das
Lebensrecht zu sprechen«. Die öffentlich einsehbare Liste der namentlichen
Abstimmungen zeigt, dass Frau Niebler
Wort hielt: Sie stimmte zunächst gegen
Artikel 45, am Ende dann gegen den Tarabella-Bericht insgesamt.
Die Abstimmungsliste zeigt auch klar,
wie die Fraktionen in der Abtreibungsfrage ticken: Linke und Liberale votierten in großer Geschlossenheit dafür. So
PABLO GARRIGOS
acht Sozialisten wichen an dieser Stelle
von ihrer Fraktionslinie ab und stimmten gegen diese Abtreibungspropaganda.
Doch angesichts der Spaltung, die in der
Abtreibungsfrage offenbar quer durch die
christdemokratische EVP-Fraktion wie
auch durch die konservative ECR-Fraktion geht, hatten Sozialisten (S&D), Grüne
(Verts/ALE), Liberale (ALDE) und Kommunisten (GUE/NGL) eine satte Mehrheit für den Abtreibungs-Passus in Artikel 45 (440 Ja-Stimmen) wie für den Tarabella-Bericht insgesamt (441 Ja- gegen
205 Nein-Stimmen bei 52 Enthaltungen).
In Artikel 46 findet sich hier die Behauptung, »dass die Abtreibungsraten unabhängig davon, ob Abtreibung legal oder
illegal ist, ähnlich hoch beziehungsweise
in den Ländern mit einem Abtreibungsverbot sogar höher sind«. Weiter werden
»Präventions-, Bildungs- und Informationsmaßnahmen für Jugendliche, junge
Erwachsene und Erwachsene« gefordert,
»damit ein hohes Maß an sexueller und
reproduktiver Gesundheit in der Öffentlichkeit vorhanden ist«. Damit wird die
Türe dafür geöffnet, bei Minderjährigen
– etwa in den Schulen – Abtreibung offensiv zu bewerben.
Der Abstimmung war am Abend des 9.
März in Straßburg eine kontroverse Debatte vorangegangen. Auch hier trat die
Christdemokratie gespalten auf, während
Sozialisten, Liberale, Grüne und Kommunisten geschlossen für »Tarabella«
warben. Es waren so wenige Europaabgeordnete, die den Abtreibungs-Passus
der Entschließung kritisierten, dass es
sich lohnt, sie namentlich zu erwähnen:
Da war die konservative Polin Jadwiga
Wiśniewska, die vor der Zerstörung der
Familie warnte und eine Aufwertung der
Mutterschaft forderte. Mireille D‘ Ornano
von der französischen »Front National«
warf dem Bericht vor, Kinder und Familien zu bekämpfen. Ihr Parteifreund Aymeric Chauprade fragte angesichts zahlreicher Plädoyers für die Fremdbetreuung
Gleich und gleich gesellt sich gern: Maria Noichl und Marc Tarabella
überzeugen, dass das Recht auf Leben
ein Grundrecht ist: »Wir werden keine
Gleichstellung erreichen, wenn wir das
Lebensrecht einschränken.« Es gab jedoch auch viel Applaus für Tarabella aus
der EVP: Die bulgarische Christdemokratin Mariya Gabriel etwa sah im Plädoyer für umfassende Fremdbetreuung von
Kleinkindern und Vollbeschäftigung für
Frauen ein Bemühen, »das wirtschaftliche Potenzial voll auszuschöpfen«. Die
französische Christdemokratin Constance
Le Grip freute sich über das gemeinsame
Vorgehen gegen »Geschlechter-Stereotypen«. Und die italienische Christdemokratin Barbara Materia warb offensiv
um Zustimmung: »Frauen sollen einen
Beitrag leisten zur europäischen Wirtschaft.« Wortführerin der EVP-Fraktion war die CSU-Europaabgeordnete
Angelika Niebler. Sie würdigte, Tarabellas Bericht sei »weitaus weniger ideolo-
stimmte kein Mandatar der Sozialisten
und der Kommunisten gegen »Tarabella«; von den Grünen nur einer (Klaus
Buchner von der ÖDP). Diese Geschlossenheit auf der linken Seite des Straßburger Vielvölkerparlaments hatte sich in der
Debatte abgezeichnet: Bei der kommunistischen Links-Fraktion, bei Grünen
und Liberalen gab es nur Zustimmung zu
Gender-Mainstreaming, Abtreibungspropaganda und Frauen-Vollbeschäftigung.
Die österreichische Grüne Ulrike Lunacek erklärte etwa, zur Gleichheit gehöre
»der Zugang von Frauen zu Möglichkeiten, einer Schwangerschaft ein Ende zu
setzen«. Die christdemokratische EVP
zeigte sich gespalten: 94 für »Tarabella«, 97 dagegen, 16 Enthaltungen. Unter den Nein-Stimmen waren auch EVPFraktionschef Manfred Weber sowie alle
Mandatare von CDU, CSU und der österreichischen ÖVP.
13
AUSL AND
geborenen auch strafrechtlich geschützt
ist, verändern, sondern global wirken. Es
geht hier ausdrücklich um »die weltweite
Achtung der sexuellen und reproduktiven
Gesundheit«. Familienplanung und Abtreibung seien »wichtige Faktoren, um das
Leben von Frauen zu retten«. Dies soll
JENNIFER JACQUEMART
Bereits zwei Tage nach der Verabschiedung des Tarabella-Berichts billigte das
Europäische Parlament den vom italienischen Sozialisten Pier Antonio Panzeri
eingebrachten »Jahresbericht 2013 über
Menschenrechte und Demokratie in der
Welt«. Darin finden sich dutzende For-
Respektiert auch nicht die Kompetenzgrenzen des EU-Parlaments: Edite Estrela
derungen, die gesellschaftlich konsensfähig und rechtlich unumstritten sind.
Aber auch ein neuerliches Plädoyer für
die Abtreibung: »Das Europäische Parlament bedauert, dass die Körper von
Frauen und Mädchen, insbesondere was
ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte betrifft, noch immer als Schauplatz
ideologischer Grabenkämpfe fungieren,
»Abtreibung soll die Entwicklungsund Außenpolitik der EU prägen«
und fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die unveräußerlichen Rechte von Frauen und Mädchen auf körperliche Unversehrtheit und eigenständige
Entscheidung anzuerkennen, unter anderen im Zusammenhang mit dem Recht
auf Zugang zu einer freiwilligen Familienplanung, dem Recht auf ungefährliche
und legale Abtreibung ...«
Dieser Bericht will nicht nur die Abtreibungsgesetzgebung jener EU-Staaten, in denen das Lebensrecht der Un14
künftig die Entwicklungs- und die Außenpolitik der EU prägen: Der Text betont im Zusammenhang mit Familienplanung und Abtreibung, »dass diese Maßnahmen im Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit mit Drittländern ... stehen müssen«. Doch nicht nur in Sachen
Familienplanung und Abtreibung soll
nach Panzeri die Welt an Europas Ideologie genesen: Auch die Interessen von
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen (abgekürzt
LGBTI) sollen Eingang in die Entwicklungspolitik finden, etwa in allen »politischen und die Menschenrechte betreffenden Dialogen mit Drittstaaten sowie
auf multilateralen Foren«. Die EU solle
überdies »Organisationen unterstützen,
die sich für LGBTI-Rechte einsetzen«.
Einen durchgehend kinder- und familienfeindlichen, ideologischen Duktus
hat der Entwurf eines Berichts der bayerischen SPD-Europaabgeordneten Maria
Noichl, der im Mai im »Ausschuss für die
Rechte der Frau und die Gleichstellung
der Geschlechter« und anschließend im
Juni im Plenum des Europäischen Parlaments diskutiert und verabschiedet werden soll. Hier wird unter der Überschrift
»Globaler Blick« mit Stoßrichtung auf
die Entwicklungshilfe behauptet, »dass
der allgemeine Zugang zu sexueller und
reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten ein grundlegendes Menschenrecht ist«. Die europäische Entwicklungszusammenarbeit soll
deshalb die »Wichtigkeit von Familienplanungsdiensten« sehen. Mit Blick auf
Europa selbst fordert Noichls Entwurf
die EU-Kommission auf, »das Konzept
des Gender Mainstreaming in allen Bereichen als auch durch einzelne gezielte und konkrete Maßnahmen zu verfolgen« sowie »die Mitgliedstaaten bei der
Sicherstellung von qualitativ hochwertigen, geographisch angemessenen und
niedrigschwellig zugänglichen Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte, sicherer und legaler Abtreibung und Verhütungsmittel« zu unterstützen.
Für die Abstimmung nicht relevant,
gleichwohl aber aufschlussreich, ist die
Begründung, die Frau Noichl ihrem Berichtsentwurf angefügt hat. Darin heißt
es: »Die derzeitigen, rückwärtsgewandten Tendenzen in der europäischen Gesellschaft wirken sich auch auf die Gesundheit und die damit verbundenen Rechte
von Frauen und Männern aus. Für ein verantwortungsvolles und sicheres Sexualleben muss jedoch der Zugang zu Information und Vorsorge sowie zu sicherer, effektiver und erschwinglicher Verhütung,
sicherer und legaler Abtreibung und Sterilisation sowie die Unterstützung bei Adoption gesichert sein.« In den kommenden
Wochen – bis zur Abstimmung im Juni –
wird sich zeigen, ob der Noichl-Bericht das
Schicksal des Estrela-Berichts teilen wird
oder doch eher jenes von Marc Tarabella.
IM PORTRAIT
Stephan Baier
Der Autor, 1965 in Roding (Bayern) geboren, ist Österreich- und Europa-Korrespondent der überregionalen katholischen
Tageszeitung »Die
Tagespost«. Nach
dem Studium der
Theologie in Regensburg, München und Rom arbeitete er zunächst
als Pressesprecher für die Diözese Augsburg, dann fünf Jahre lang als Pressesprecher und Parlamentarischer Assistent für Otto von Habsburg im Europäischen Parlament. Baier, Autor mehrerer
Sachbücher, ist verheiratet und Vater
von fünf Kindern.
LebensForum 113
AUSL AND
»Je suis Vincent Lambert«
Beim 10. »Marche pour la Vie« in Paris gingen mehr als 45.000 Menschen für den Schutz des menschlichen Lebens auf die Straßen. Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr dabei das Thema Sterbehilfe.
Von Georg Dietlein
J
e suis Charlie«? Non! Je suis Vincent Lambert! – In diesem Jahr haben sich die Organisatoren des 10.
»Marsches für das Leben« in Paris
den berühmten »Je suis«-Slogan, der zur
Zeit überall en vogue ist, geschickt zu eigen gemacht. Nein, wir sind nicht Charlie.
Wir sind Vincent Lambert! Damit erinnerten die 45.000 Demonstranten in Paris an das Schicksal des 38-jährigen Koma-Patienten Vincent Lambert, der zum
Symbol der französischen SterbehilfeDebatte geworden ist. Vincent Lambert
war vor einigen Jahren mit dem Motorrad schwer verunglückt und liegt seitdem
im Koma. Vincent kann zwar seine Augen bewegen und ist schmerzempfindlich.
Kommunizieren kann man aber mit ihm
nicht. Im Februar 2014 stellten die Ärzte
auf Wunsch der Ehefrau die künstliche
Ernährung ein. Hiergegen klagten Vincents Eltern und gewannen in der ersten
Instanz. Doch Vincents Ehefrau und die
behandelnden Ärzte gingen in Berufung.
Mittlerweile liegt der Fall beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
der vermutlich in den nächsten Wochen
ein abschließendes Urteil über das LeLebensForum 113
bensschicksal Vincent Lamberts treffen
wird. Viviane Lambert, Vincents Mutter,
ging beim diesjährigen »Marche pour la
Vie« in der ersten Reihe mit und betonte: »Wir kämpfen für Vincent, aber zugleich für die Gesellschaft. Es geht hier
um eine Tür, die geöffnet wird. Heute ist
es Vincent. Aber er ist nicht der Erste und
er wird nicht der Letzte sein.«
EIN MARSCH DER SUPERLATIVE
Wer schon einmal am jährlich stattfindenden »Marsch für das Leben« in Berlin
teilgenommen hat, für den ist Paris gleichsam die Superlative. Etwa 6.000 Menschen
waren im vergangenen September in Berlin für die Würde des menschlichen Lebens auf die Straßen gegangen. In Paris
waren es am vergangenen Sonntag zwischen dem Place Denfert-Rochereau und
dem Hotel des Invalides im Süden von
Paris bereits mehr als 45.000 Demonstranten – Tendenz: steigend. Die europäische Lebensrechtsbewegung befindet sich
zurzeit in einem starken Aufwärtstrend.
Das belegen die Zahlen aus den Vorjahren.
Im Jahr 2012 gingen in Berlin immerhin
3.000, in Paris bereits 20.000 Demonstranten für den Wert des menschlichen
Lebens auf die Straßen. Zwei Jahre später (2014) betrugen die Teilnehmerzahlen bereits jeweils das Doppelte. Wenn
nur jeder Zehnte, der zum »Marsch für
das Leben« in Berlin oder Paris eingeladen wurde, diese Einladung auch angenommen hat, bekommt man eine Ahnung davon, welche Sprengkraft dieser
Marsch bereits in den Köpfen der Menschen entfaltet hat und in Zukunft wohl
auch noch weiter entfalten wird.
Die Bedeutung des jährlichen Lebensmarsches in Paris unterstrich auch der Primas von Frankreich und Erzbischof von
Lyon, Philippe Kardinal Barbarin, der
am »Marche pour la Vie« im vergangenen Jahr teilgenommen hatte: »Diese Demonstration ist von großer symbolischer
Bedeutung und wirkt sich mehr aus, als
man denkt. Sie weist darauf hin, dass die
Unterdrückung menschlichen Lebens, das
seinen Lauf begonnen hat, tiefes Unrecht
darstellt, einen Akt schrecklicher Schwere.« Zum »Marsch für das Leben« in Paris hatte neben zahlreichen französischen
Bischöfen auch Papst Franziskus aufge15
AUSL AND
rufen. Er ermutigte die Teilnehmer, eine »Zivilisation der Liebe« und »Kultur
des Lebens« zu erbauen. Als eine junge
Dame bei der Kundgebung zu Beginn
des Marsches »Vive le Pape« ins Mikrofon rief, applaudierte die ganze Menge.
KERNTHEMA: STERBEHILFE
Im Mittelpunkt des Pariser »Marsches
für das Leben« stand in diesem Jahr das
Thema Sterbehilfe – auf Französisch »euthanasie«, ein ziemlich klares und unge-
sein kann, wenn ein solcher ausdrücklicher Patientenwille nicht vorliegt: Soll
dann die Entscheidung über Leben und
Tod den nahen Verwandten oder einem
Ärzteteam überlassen werden? Droht
so nicht gerade die Aussortierung alter,
kranker, schwacher und besonders hilfsbedürftiger Menschen, eben Euthanasie –
wie im Falle von Vincent Lambert? Auch
die jüngsten Pläne François Hollandes,
den assistierten Suizid oder sogar aktive
Sterbehilfe quasi durch die Hintertür zu
legalisieren, sollten einen nachdenklich
Beeindruckte nicht nur den Autor: Das authentische Zeugnis vieler junger Menschen
schöntes Wort, das bei uns Deutschen Erinnerungen an unsere dunkle Vorgeschichte weckt. Nicht nur in Deutschland, wo
der Deutsche Bundestag bis zum Herbst
dieses Jahres über eine Reform des Verbotes des ärztlich assistierten Suizids beraten möchte, sondern auch in Frankreich
polarisiert dieses Thema. Der Fall Vincent Lambert beschäftigt in diesen Tagen
ganz Frankreich und war in der vergangenen Woche auch Thema im französischen Parlament. Dabei ist das gesetzliche Sterbehilfeverbot in Frankreich sogar noch strenger ausgeprägt als bei uns
in Deutschland: In Frankreich sind aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung – auch durch Nicht-Ärzte – streng
verboten. Die passive Sterbehilfe, also
das »Sterben lassen« (wie im Fall Vincent Lamberts), wurde 2005 durch das
»Loi Leonetti« unter bestimmten Bedingungen erlaubt, nämlich dann, wenn eine
entsprechende Willensäußerung des Patienten vorliegt. Der Fall Lambert zeigt
nun aber auf, wie schwer die Situation
16
stimmen. In Frankreich droht ein ethisches Tabu zu brechen, dessen Konsequenzen wir in den Benelux-Staaten bereits heute »bewundern« können.
VIELE RELIGIÖS
MOTIVIERTE TEILNEHMER
Vergleicht man den Pariser mit dem
Berliner »Marsch für das Leben«, so
springt nicht nur die wesentlich höhere
Teilnehmerzahl ins Auge, sondern auch
die Zusammensetzung der Demonstranten: katholische Priester und Ordensleute, erkennbar an Soutane und Ordenshabit, zahlreiche katholische Jugendliche mit
entsprechenden Symbolen und Fahnen,
eine eigene Gebetsgruppe mit ca. 1.000
Teilnehmern am Ende des Marsches. Etwa zwei Drittel der Demonstranten seien
praktizierende Katholiken und kämen aus
religiösen Gründen nach Paris, erzählten
mir Teilnehmer des Marsches. Besonders
auffällig war der hohe Anteil Jugendlicher
beim Marsch. Etwa jeder zweite Teilneh-
mer zählte zur Altersklasse U30. Zahlreiche Männer und Frauen hatten ihre ganze Familie mit nach Paris gebracht. Entsprechend jugendgerecht war der Marsch
gestaltet worden. Die kilometerlange
Menschenversammlung wurde aufgelockert durch tönende Mobile, auf denen
junge Menschen Zeugnis für den Wert
des menschlichen Lebens abgaben und
die Demonstranten anschließend durch
moderne Musik in Stimmung brachten.
Die Themen des Pariser Marsches unterschieden sich nicht wesentlich von den
Themen, die auch beim »Marsch für das
Leben« in Berlin eine Rolle spielen: Abtreibung, vorgeburtliche Selektion, aktive und passive Sterbehilfe, Euthanasie.
Vermutlich war nicht nur die hohe
Teilnehmerzahl in Paris dafür verantwortlich, dass – im Gegensatz zu Berlin –
keine Gegendemonstrationen zu vermelden waren. Die »Manifestation« verlief
gänzlich ohne gewaltsame Vorkommnisse. Offensichtlich ist das Verständnis für
die unantastbare Würde und den Wert
jedes einzelnen Menschen bei den Franzosen noch tiefer verwurzelt als bei uns
Deutschen. Dafür spricht auch die unterschiedliche Zahl der lebendgeborenen Kinder in den zwei Nachbarländern:
Während in Deutschland pro 1.000 Einwohner im Jahr etwa acht Kinder geboren werden, liegt die Geburtenziffer in
Frankreich noch einmal 50 Prozent höher.
Mich persönlich hat es sehr beeindruckt, dass in Paris so viele junge Menschen auf die Straßen gegangen sind
und dabei keine Kosten und Mühen gescheut haben, um sich für den Wert des
menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende einzusetzen.
Das stimmt mich sehr hoffnungsvoll.
Letztlich werden es diese jungen Menschen sein, die Gleichaltrige von einem
geplanten Schwangerschaftsabbruch abbringen können. Ich wünsche mir für jeden einzelnen Jugendlichen, der in Paris
beim »Marche pour la Vie« mitgegangen
ist, dass er mit anderen jungen Menschen
befreundet ist, die sein persönliches Lebenszeugnis vom Wert des menschlichen
Lebens und von der Schönheit der Familie offenherzig annehmen. Das authentische Zeugnis so vieler junger Menschen
in Paris kann eigentlich keinen Menschen
kalt lassen – auch nicht in Deutschland.
Und so war auch für mich persönlich der
»Marche pour la Vie« nicht nur mit Lächeln und Freude verbunden, sondern
auch mit der einen oder anderen Träne.
Denn der erbitterte Kampf für den Wert
jedes menschlichen Lebens ist auch in
Deutschland Pflicht eines jeden Christen – unsere Mission und meine Mission.
LebensForum 113
Zwei Lesarten zur
»Würde am Ende des Lebens«
In Österreich gibt es einen breiten Konsens für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung.
Die weltanschauliche Bruchlinie durch Regierung, Parlament und
Bioethikkommission wird an der Kontroverse um die Suizidbeihilfe sichtbar.
Von Stephan Baier
D
ie parteienübergreifende Ablehnung der Euthanasie schien in
Österreich – nicht zuletzt aus
historischen Gründen – ein unerschütterbarer Konsens. Doch der gerät nun
ins Wanken, denn spätestens seit die am
Bundeskanzleramt angesiedelte Bioethikkommission sich des Themas annahm,
ist es dem freien Spiel der parteipolitischen und ideologischen Kräfte ausgeliefert. Dabei begann alles mit ganz viel
gutem Willen: Die zur christdemokratischen Parteienfamilie Europas zählende
ÖVP wollte in den Koalitionsverhandlungen Ende 2013 den Weg dafür bereiten,
das Verbot der Euthanasie in Österreichs
Bundesverfassung zu verankern. Im Regierungsübereinkommen mit der Sozialdemokratie heißt es wörtlich: »Sterbebegleitung, Hospiz- und Palliativversor-
gung können bis zuletzt ein hohes Maß an
Lebensqualität ermöglichen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen auch
in Zukunft ein würdevolles Sterben ermöglichen. Zugleich soll ein nachhaltiges
Bekenntnis zum Verbot der Tötung auf
Verlangen abgegeben werden.«
Weil eine einfachgesetzliche Regelung
eben nicht »nachhaltig« ist, wurden im
Dezember 2013 zwei politisch besetzte
Expertengremien zeitgleich damit beauftragt, die »Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen« zu untersuchen: die am Bundeskanzleramt angesiedelte Bioethikkommission und eine
LebensForum 113
parlamentarische Enquete-Kommission.
Diese präsentierten nun ihre Erkenntnisse: Für eine Straffreistellung der Suizidbeihilfe unter bestimmten Bedingungen
sprach sich Österreichs Bioethikkommission mit großer Mehrheit aus. Die »Tötung auf Verlangen« soll, ebenso wie die
»Verleitung zum Suizid«, dagegen weiter
strafbar sein. Bisher ist die Mitwirkung an
der Selbsttötung eines Menschen in Österreich – wie in den meisten Ländern der Europäischen Union
– verboten und
strafbar.
Wörtlich heißt es nun in der im
Februar veröffentlichten Stellungnahme
der Bioethikkommission: »Die Verleitung
zum Suizid sollte weiter unter Strafe stehen, um zu gewährleisten, dass vulnerable Menschen keinem Druck ausgesetzt
werden können. Es erscheint aber angebracht, für Angehörige und persönlich nahestehende Personen eine Straflosigkeit
vorzusehen, wenn sie einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung
leidenden Person beim Suizid Hilfe leisten.« Darüber hinaus soll nach Ansicht
der Mehrheit in der Bioethikkommission
auch »die Hilfeleistung durch Ärzte beim
Suizid in bestimmten Fällen entkriminalisiert werden«. Dies solle dem Patienten ermöglichen, »offen mit dem Arzt zu
sprechen, ohne gleich fürchten zu müssen, aufgrund akuter Selbstgefährdung
zwangsweise untergebracht
zu werden«.
Die straffreie Hilfeleistung beim Suizid solle
»in allen Fällen auf volljährige und einwilligungsfähige Personen begrenzt sein
und deren ernsthaftes Verlangen einfordern«. Diese Sicht wird in der Bioethikkommission von 16 Mitgliedern mitgetragen.
Eine Minderheit von acht Mitgliedern
– darunter die Moraltheologen Matthias
Beck (Wien) und Walter Schaupp (Graz),
der Wiener Krebsforscher Lukas Kenner
sowie die katholische Lebensrechtlerin
und Juristin Stephanie Merckens – for17
AUSL AND
wie diese Würde gesichert werden sollte:
Die Vorsitzende der Enquete-Kommission, die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gertrude Aubauer, sprach sich mehrfach öffentlich gegen eine Legalisierung
der Beihilfe zur Selbsttötung aus, während ihr Stellvertreter, SPÖ-Justizspre-
der Enquete-Kommission des Parlaments
der Ruf nach einem Rechtsanspruch auf
Palliativ- und Hospizversorgung. Diese
solle »bundesweit flächendeckend ausgebaut werden«, so die Bioethikkommission. Der Zugang zu »Palliative Care am
Lebensende« dürfe nicht vom Wohnort
oder von den finanziellen Möglichkeiten
des Betroffenen abhängen. Die EnqueteKommission forderte gar einen »Hospiz- und Palliative Care Stufenplan bis
2020«, kritisierte, dass die Hospiz- und
Palliativversorgung österreichweit erst
zu 50 Prozent gedeckt sei, wies mit konkreten Zahlen auf fehlende Betten, Palliativteams und Gelder hin, machte Vorschläge für die Finanzierung wie für die
Weiterbildung von Ärzten, Gesundheitspersonal, Psychiatern und Seelsorgern.
Die Enquete-Kommission zeigte sich
stolz auf den erreichten Konsens zu 51
Empfehlungen, doch beruht dieser Konsens eben darauf, dass das strittige Thema einfach ausgeklammert wurde. Gelöst
Lukas Kenner
Hannes Jarolim, SPÖ
beim Nein zur Tötung auf Verlangen. Die
Kommission plädiert für »die Beibehaltung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen entsprechend den derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen«. Zur Begründung heißt es in der Stellungnahme:
»Damit sollen vulnerable Gruppen auch
mit den Mitteln des Strafrechts hinreichend geschützt werden.« Lediglich der
in Krems »Ethik in der Medizin« lehrende frühere Dekan der Wiener Philosophischen Fakultät, Peter Kampits, sprach sich
dafür aus, »für Angehörige und persönlich nahe stehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie eine Tötung auf Verlangen gegenüber einer an
einer unheilbaren, zum Tode führenden
Erkrankung leidenden Person vornehmen«. In bestimmten Fällen solle auch die
Tötung auf Verlangen durch Ärzte »entkriminalisiert« werden, meint Kampits.
Auch innerhalb der parlamentarischen Enquete-Kommission mit dem
Titel »Würde am Ende des Lebens« gab
es zwei konträre Auffassungen darüber,
18
cher Hannes Jarolim, die gegenteilige
Position einnahm und dafür plädierte,
keine »Nachdenkverbote in diesem Bereich« zuzulassen. Im Gegensatz zur Bioethikkommission ließ es die parlamentarische Enquete-Kommission am Ende jedoch nicht auf eine Mehrheitsfeststellung
ankommen, sondern zielte auf den Konsens. Sie diskutierte am 23. Januar zwar
die »Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Verankerung strafrechtlicher Normen, insbesondere des Verbots der Tötung auf Verlangen und eines sozialen
Grundrechts auf würdevolles Sterben«,
vermied dann aber jegliche Empfehlung
an Regierung und Parlament.
Im Anfang März veröffentlichten Abschlussbericht heißt es nun lediglich, diese Themen seien »umfassend beleuchtet«
worden und es habe ein »Meinungsspektrum im Rahmen der Erörterungen« gegeben. Aber: »Es handelt sich hierbei um
eine rein rechtspolitische Entscheidung.«
Die parlamentarische Enquete-Kommission zitierte zwar die Empfehlung 1418
der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates aus dem Jahr 1999, die unter anderem das Verbot der vorsätzlichen
Tötung von Todkranken und Sterbenden bekräftigt, enthält sich aber – mangels Einigkeit in der Sache – einer eigenen Empfehlung an die Politik.
Nicht umstritten war in der österreichischen Bioethikkommission wie auch in
WWW.AERZTEKAMMER.AT
WWW.HANNES-JAROLIM.AT
ARCHIV
mulierte ein abweichendes Votum. Vulnerable Personen müssten vor Fremdbestimmung geschützt werden, heißt es darin. »Bei Angehörigen oder betreuenden
Ärzten der suizidwilligen Personen kann
ein solcher Suizidwunsch zu gravierenden Gewissenskonflikten führen, nicht
zuletzt aufgrund von Unkenntnis der geltenden Rechtslage.« Die Minderheit in
der Bioethikkommission spricht sich dafür aus, »die Entwicklung von verbindlichen Richtlinien für die Strafverfolgungsbehörden in Fällen des Verdachts auf Suizidbeihilfe zu prüfen«.
Weitestgehend einig sind sich die Mitglieder der Bioethikkommission dagegen
Artur Wechselberger
wurde die Frage der Suizidbeihilfe damit
nicht. Im Gegenteil: Jetzt ist das Thema
dem offenen Schlagabtausch der parteipolitischen Kräfte ausgeliefert.
Kritik am Mehrheitsvotum der Bioethikkommission kam von der Ärztekammer: Es gebe »zeitlose ethische Bindungen, die die Aufgabe der Ärzteschaft
nicht in der Herbeiführung des Todes
kranker Menschen sehen«, meinte deren Präsident, Artur Wechselberger. Leben zu beenden widerspreche dem ärztlichen Berufsethos und dürfe nicht Bestandteil ärztlichen Handelns werden.
Pflicht des Arztes sei es, Leben zu erhalLebensForum 113
G E S ELLSC H AFT
und bestmöglichem medizinischen Beistand beantworten muss, nicht aber mit
Beihilfe zum Selbstmord«. Töten könne
»niemals Ausdruck von Liebe und Mitgefühl sein«. Bischof Klaus Küng fordert
nun, »alles daranzusetzen, dass der vorhandene Konsens in Österreich, Euthanasie konsequent abzulehnen, nicht unterminiert wird«.
WWW.OEVP.AT
WWW.ETHIKRAT.ORG
durch das Mehrheitsvotum in der Bioethikkommission bestätigt: »Eine Trennung von Verleitung, die weiter unter
Strafe stehen soll, und Hilfestellung erscheint mir sinnvoll.« Letztere solle »in
genau umschriebenen Ausnahmefällen«
durch Angehörige, Nahestehende und
Ärzte möglich sein. Von der parlamentarischen Enquete-Kommission ist die
Grün-Politikerin folgerichtig enttäuscht,
denn – so ihre Begründung – »es kann
schreckliche Ausnahmesituationen geben,
in denen Menschen aufgrund unerträglichen Leidens aus dem Leben scheiden
möchten – begleitet und in der Nähe ihrer Liebsten«. Auch die laizistische »Initiative Religion ist Privatsache« begrüßte die neue Offenheit der Bioethikkommission für den »assistierten Suizid« euphorisch und attackierte die parlamentarische Enquete-Kommission »Würde am
Ende des Lebens« als »PR-Veranstaltung
des Hospizverbandes, von Palliativmedizinern und Kirchenvertretern«.
Sankt Pöltens Bischof Klaus Küng –
in Österreichs Bischofskonferenz für Fragen der Bioethik zuständig – nannte die
WWW.KATHBILD.AT
ten und Sterbende palliativmedizinisch
zu begleiten. Für das Behindertenberatungszentrum »Bizeps« ist die Empfehlung der Bioethikkommission ein »Rückfall in eine überwunden geglaubte Phase
menschenverachtender Philosophie und
ein offener Schlag ins Gesicht von Menschen, die sich in der letzten Phase ihres
Lebens befinden«.
Dahin ist nun der jahrelange Schein
einer einhelligen Ablehnung der Suizidbeihilfe seitens der Politik. Die Aufspaltung der Bioethikkommission in Mehrheit (16) und Minderheit (8) wie die Unfähigkeit der Enquete-Kommission, zu
Peter Kampits
Bischof Klaus Küng
einer klaren Empfehlung zu kommen,
machen den Dissens offenbar. Und auch
die Regierungsparteien stehen sichtbar
auf gegensätzlichen Seiten: Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner sagte, er sei »eher skeptisch«. Seine
Partei wolle »nicht Liberalisierung um
jeden Preis«. Noch deutlicher äußerte
sich Justizminister Wolfgang Brandstetter
(ÖVP): »Ich bin davon überzeugt, dass es
ein Fehler wäre, hier Lockerungen vorzunehmen.« Dadurch würde »der psychologische Druck auf pflegebedürftige
Personen sehr stark«. Brandstetter warnte mit Blick auf Belgien und die Niederlande vor Änderungen der Gesetzeslage
in Österreich. Dagegen forderten mehrere SPÖ-Politiker, darunter Justizsprecher Jarolim, die Empfehlungen der Bioethikkommission ernsthaft zu diskutieren. Eine Verankerung des Euthanasieverbots in der Verfassung lehnt die SPÖ
ausdrücklich ab.
Die Gesundheitssprecherin der »Grünen«, Eva Mückstein, sieht ihre Partei
LebensForum 113
Wolfgang Brandstetter, ÖVP
Empfehlungen der Bioethikkommission
»alarmierend«. Der »Mitwirkung beim
Selbstmord die Türe zu öffnen« sei gefährlich und »eine erste massive Aufweichung des Lebensschutzes in Bezug auf
das Ende des Lebens«. Der Arzt müsse
Sterbenden beistehen durch Schmerzlinderung, Sedierung, Erleichterung der
Atmung und andere begleitende Maßnahmen, meinte Bischof Küng, der auch
selbst Mediziner ist. Die Bitte, sterben zu
wollen, sei »fast immer ein dramatischer
Hilfeschrei, den man mit mehr Fürsorge
Ein deutliches Nein kommt auch vom
Präsidenten des Katholischen Familienverbands, Alfred Trendl: »Über Leben
und Tod zu entscheiden steht uns schlicht
nicht zu.« Trendl würdigte die Stellungnahme der Ärztekammer, »die sich ihres
Berufsethos erinnert und die Empfehlungen der Bioethikkommission ebenfalls ablehnt«. Es sei zu befürchten, dass durch
die Möglichkeit eines assistierten Suizids
der Druck auf Schwerkranke und Menschen mit Behinderung steigen könnte,
ihre Existenzberechtigung rechtfertigen
zu müssen. Die Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, warnte: »Wer die Selbstbestimmung unheilbar kranker und intensiv pflegebedürftiger Menschen schützen will, der darf gerade diese Tür nicht öffnen, auch nicht
einen kleinen Spalt. Denn so wird es erst
möglich, auf direkte oder subtile Weise
Sterbenskranken zu signalisieren, dass sie
den Mitmenschen und der Gesellschaft einen ›Dienst‹ erweisen würden, wenn sie
›freiwillig‹ vorzeitig aus dem Leben scheiden.« Die Erfahrung lehre, »dass findige
Geschäftemacher ganz schnell rechtliche
Schlupfwinkel finden, um ihre Suizidbeihilfe-Dienste anbieten zu können«. Als
Vorwand diene »dann immer die vorgebliche ›Selbstbestimmung‹ des Patienten«.
19
DANIEL RENNEN
MED I ZI N
»Pille danach«:
Der Sturm bricht los
Kaum aus der Rezeptpflicht entlassen, findet die »Pille danach« auch in Deutschland reißenden
Absatz. Nun schlagen selbst Frauenärzte und Fortpflanzungsmediziner
Alarm (s. Dokumentation Seite 22f.). Lebensrechtler hatten in den vergangenen
Jahren immer wieder vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Vergeblich. Dabei hätte ein Blick in
das benachbarte Ausland gereicht, um zu wissen, was auf Deutschland zukommt.
Von Stefan Rehder
G
erade einmal 13 Zeilen füllt
der eigentliche gesetzgeberische Akt, mit dem die »Pille danach« aus der Verschreibungspflicht entlassen wurde. In dem 94 Seiten umfassenden Protokoll der 931. Sitzung des Deutschen Bundesrats vom 6. März 2015 liest
er sich so: »Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19: Vierzehnte Verordnung
zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (Drucksache 28/15).
Es liegen keine Wortmeldungen vor. Zur
Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussempfehlungen vor. Hieraus rufe ich auf:
Ziffer 1! – Mehrheit. Ziffer 2! – Mehrheit. Wer nun der Verordnung, wie soeben festgelegt, zustimmen möchte, den
bitte ich um das Handzeichen. – Mehrheit. Dann ist so beschlossen.«
Nachdem auch der Bundesrat in Berlin der Änderung der Arzneimittelver20
schreibungsordnung zugestimmt hatte,
werden in der Zentrale des französischen
Herstellers HRA Pharma in Paris wohl
die Champagnerkorken geknallt haben.
Denn für das Unternehmen ist die Entscheidung des Bundesrats eine geldwerte.
Der Grund: Jedes Mal, wenn das hochdosierte Hormonpräparat irgendwo aus
der Rezeptpflicht entlassen wurde, schossen anschließend die Absatzzahlen durch
die Decke. Der Konzern, der zwei der
vier auf dem Markt erhältlichen Präparate mit unterschiedlichen Wirkstoffen
bestückt hat, kennt das längst.
Beispiel Norwegen: Auf der skandinavischen Halbinsel wurde die Verschreibungspflicht für die »Pille danach« im
Jahr 2000 aufgehoben. Binnen sieben
Jahren verdreißigfachte sich hier der Absatz von 5.000 auf 150.000 Packungen im
Jahr. Beispiel Schweiz: Wie die stellver-
tretende Bundesvorsitzende der ALfA,
Alexandra Maria Linder, in ihrem Buch
»Geschäft Abtreibung« schreibt, wurden in der Alpenrepublik im Jahr 2001
24.000 Packungen des Präparats verkauft.
Nach der Rezeptfreigabe im Jahr 2002
seien bereits drei Jahre später 850.000
Packungen der »Pille danach« über die
Ladentheken gereicht worden: 35 Mal so
viel wie vier Jahre zuvor. Beispiel Spanien: Auf dem Territorium der parlamentarischen Erbmonarchie wurde das Präparat 2009 aus der Rezeptpflicht entlassen.
Danach stieg der Abverkauf von 300.000
Packungen (2008) auf 775.000 Packungen im Jahr 2011.
In Deutschland, wo die »Pille danach«
nun seit dem 15. März in Apotheken frei
verkäuflich ist, dürfte die Entwicklung
ähnlich verlaufen. Nicht nur, dass es keinen einzigen Grund gibt, etwas anderes
LebensForum 113
LebensForum 113
Auch der Politik ist offenbar nicht ganz
wohl bei der Sache. Ende Februar billigte
der Gesundheitsausschuss des Deutschen
Bundestages gewissermaßen auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens
noch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen von Union und SPD zum
Gesetzentwurf der eigenen Bundesregierung. Und das sogar einstimmig. Der
Grund: Laut dem Heilmittelgewerbegesetz (HWG) können rezeptfreie Arzneimittel vom Hersteller wie in Apotheken
offensiv beworben werden. Doch für die
»Pille danach« änderten die Politiker nun
legen. Die Folge: Selbst wenn, was keinesfalls als sicher gelten kann, die Beratung in der Apotheke künftig überall eine Qualität bekäme, die der im geschützten Raum des Behandlungszimmers eines
Arztes vergleichbar wäre, so entfiele sie bei
jenen, die das Präparat auf Vorrat kauften.
Vor allem Mädchen und junge Frauen
könnten zu dem Irrtum verleitet werden,
anzunehmen, künftig »für alle Fälle« gerüstet zu sein. Und weil mit zunehmendem Gebrauch bei jedem Verhütungsmittel auch die Zahl der Anwendungsfehler
steigt und es nun einmal keinen Anlass
ST-FOTOGRAF/FOTOLIA.COM
anzunehmen; erste Zahlen weisen bereits in genau diese Richtung. Wie der
Branchendienst »Apotheke adhoc« am
28. März in Berlin unter Berufung auf
das Marktforschungsunternehmen IMS
Health berichtete, reichten heimische
Apotheker allein in den ersten zwei Wochen nach Beginn des rezeptfreien Verkaufs fast ein Drittel mehr Packungen
als im Vorjahreszeitraum über die Tresen. So verkauften die Apotheken allein
in der zwölften Kalenderwoche dieses
Jahres rund 13.500 Packungen der »Pille danach«. Hochgerechnet auf den ganzen Monat entspricht das 54.000 Packungen. Gegenüber 41.000 Packungen, die
im Vergleichsmonat des Vorjahres abgegeben worden waren, bedeutet dies einen
Anstieg um mehr als 30 Prozent.
HRA Pharma will sich damit keineswegs zufrieden geben. Laut dem Branchendienst rechnet das Unternehmen in
Deutschland mit einem noch viel höheren
Wachstumspotenzial. Bis zu 2,4 Millionen
Packungen pro Jahr, schätzt der Pharmakonzern, könne man in dem einwohnerreichsten Land Europas absetzen. Davon
sei man mit zuletzt 400.000 Packungen
im Jahr derzeit allerdings noch weit entfernt, räumt Klaus Czort, Deutschlandchef des Konzerns, ein. Anders formuliert: In Deutschland strebt HRA Pharma nicht weniger als die Versechsfachung
des Absatzes seiner als »Notfall-Verhütungsmittel« verharmlosten Präparate an.
Ein Ziel, das selbst Befürwortern der
»Pille danach« offenbar nicht ganz geheuer ist. Denn laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungs- und
Beratungsinstituts YouGov befürworten
zwar 63 Prozent der Befragten die Aufhebung der Rezeptpflicht. Genauso viele
halten jedoch ein aufklärendes Gespräch
über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Hormonpräparats vor dem Verkauf für notwendig. Das ist, folgt man
derselben Erhebung weiter, wohl auch
tatsächlich erforderlich. Denn laut der
Umfrage sind rund 15 Prozent der Befragten der irrigen Auffassung, die »Pille danach« könne andere Verhütungsmittel ersetzen.
»Es gibt offensichtlich Defizite in der
Kommunikation rund um die Wirkung
und Anwendung des Präparats, da immerhin fast jeder Siebte sich vorstellen
kann, die ›Pille danach‹ als Ersatzverhütungsmittel zu verwenden. Hier sind
auch die herstellenden Pharmaunternehmen gut beraten, ihre Informationswege anzupassen«, rät Dr. Ella Jurowskaja,
Verantwortliche für den Bereich Healthcare bei YouGov. Für die Umfrage interviewte YouGov 1.021 Personen.
Die Zahl der Teenager-Mütter wird wohl auch in Deutschland künftig zunehmen
eigens das HWG. Der Grund: Die Abgeordneten befürchten, dass Frauen andernfalls häufiger von dem Präparat Gebrauch machen könnten, als für den vorgesehen Zweck erforderlich, oder diese
gar anstelle der rezeptpflichtigen Standard-Kontrazeptiva verwendeten.
Eine Sorge, die nicht nur angesichts des
jüngsten Umfrageergebnisses alles andere als aus der Luft gegriffen ist. Sondern
auch, weil Ärzte, die die »Pille danach«
bisher verschrieben haben, immer wieder berichteten, dass nicht wenige Frauen
um die Ausstellung eines Rezeptes nachsuchen, bei denen die Gabe der »Pille danach« angesichts der fraglichen Situation gar nicht indiziert ist.
Die Gefahr, dass in Panik geratene
Frauen künftig grundlos das hochdosierte Hormonpräparat einnehmen, muss also als höchst real betrachtet werden. Hinzu kommt, dass Abtreibungsbefürworter wie »pro familia« Frauen dazu raten,
sich einen »Vorrat« des Präparats anzu-
gibt, anzunehmen, dass Deutschlands
Jugend weit weniger promiskuitiv ist als
die Englands oder Frankreichs, werden
wohl die Zahlen ungewollter Teenagerschwangerschaften auch hierzulande in
absehbarer Zeit wieder steigen.
Fragt sich nur, ob die Bundesregierung
den Mut haben wird, diese – wie von der
Bundesärztekammer gefordert – dann
auch statistisch zu erfassen. Falls ja, wäre dies nicht bloß eine Überraschung. Es
böte die – und nach Lage der Dinge wohl
auch einzige – Möglichkeit, mittels empirischer Fakten ein ideologisches Projekt
wieder zu Fall zu bringen, dessen Scheitern für jeden, der keine Scheuklappen
trägt, völlig vorhersehbar ist.
In England etwa sind nach Aufhebung
der Rezeptpflicht für die »Pille danach«
nicht nur die Teenagerschwangerschaften, sondern auch die übertragbaren Geschlechtskrankheiten rapide angestiegen.
Was zeigt: Aus der »Notfall«-Verhütung
wurde dort oft eine Regel-Verhütung.
21
MED I ZI N
Notwendige Evaluierung
Auch wer wie Lebensrechtler die »Pille danach« nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnt,
sieht deutlich mehr Regelungsbedarf als die uneingeschränkten Befürworter
dieser Präparate, zu denen auch »pro familia« zählt. »LebensForum« dokumentiert
daher nachfolgend ungekürzt die am 13. Februar veröffentlichte Stellungnahme der
Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zum Entwurf der
Änderung der Arzneimittelverordnung vom 22. Januar (Bundesrats-Drucksache 28/15).
Die Ärzteschaft hat die Entlassung der sogenannten »Notfallkontrazeptiva« (Wirkstoffe Ulipristalacetat (UPA) und Levonorgestrel (LNG)) aus der Verschreibungspflicht bisher abgelehnt. Leitgedanke war dabei, dass die Indikationsstellung für eine »Notfallkontrazeption«
zur Verhinderung unnötiger Einnahmen
durch einen Arzt erfolgen soll. Die Verschreibung dieser Wirkstoffe erfolgt bislang einhergehend mit einer umfassenden ärztlichen Beratung über Sexualität
inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption und somit im Interesse eines möglichst hohen Schutzniveaus der betroffenen – nicht selten jugendlichen – Frauen.
Durch den Verordnungsentwurf soll
den betroffenen Frauen ermöglicht werden, »Notfallkontrazeptiva« rezeptfrei in
der Apotheke zu erwerben. Damit das
Schutzniveau der betroffenen Frauen
möglichst wenig abgesenkt wird, ist die
Beibehaltung des Arztvorbehalts für eine
umfassende Beratung zu Indikation, Wirkung und Nebenwirkung der Wirkstoffe
und/oder zu Sexualität inklusive sexuell
übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption von wesentlicher Bedeutung. Eine solche ärztliche Beratung ist im Interesse der Aufklärung (vgl. § 630e BGB)
und somit des Schutzniveaus der betroffenen Frauen; sie ist nicht durch eine Information in der Apotheke zu ersetzen.
Bei einer Entlassung der Wirkstoffe aus
der Verschreibungspflicht, u. a. wegen der
Anpassung an den durch die EU-Kommission beschlossenen Zulassungsstatus
in Deutschland, tritt die Ärzteschaft nachdrücklich dafür ein, das bisher erreichte Schutzniveau der betroffenen Frauen
möglichst wenig abzusenken. Dazu sind
folgende Maßnahmen notwendig:
• Die Packungsbeilage muss insbesondere
die Empfehlung enthalten, sich bei Fragen zur Indikation, Wirkung und Nebenwirkung der Wirkstoffe und/oder
22
zu Sexualität inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption
von einem Arzt beraten zu lassen.
• Der das Notfallkontrazeptivum abgebende Apotheker weist die betroffene
Frau, der Empfehlung der Packungsbeilage folgend, darauf hin, sich insbesondere bei Fragen zur Indikation, Wirkung und Nebenwirkung der Wirkstoffe
und/oder zu Sexualität inklusive sexuell
übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption von einem Arzt
beraten zu lassen. Weiterhin soll bei unklaren Auskünften zur Regelblutung keine Abgabe
eines Notfall-
kontrazeptivums erfolgen, sondern die betroffene Frau aufgefordert werden, sich
von einem Arzt beraten zu lassen.
• Besondere Vorsichtmaßnahmen sind
bei der Abgabe von Notfallkontrazeptiva an Minderjährige zu treffen. So
sollte die Abgabe von Notfallkontrazeptiva an Minderjährige im Interesse
eines möglichst hohen Schutzniveaus
der jugendlichen Frauen nur im Kontext einer umfassenden ärztlichen Beratung über Sexualität inklusive sexuell
übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption erfolgen.
• Außerdem müssen aus Gründen der
Patientensicherheit geeignete Maßnahmen getroffen werden, um eine Bevorratung durch Patienten mit Notfallkontrazeptiva zu verhindern.
• Um sicherzustellen, dass die geplante
Neuregelung dem Ziel des Gesundheitsschutzes und somit dem Zweck der Managementregel 4 der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie nicht zuwiderläuft
(vgl. IV des Allgemeinen Teils der Begründung), legt das BfArM der Bundesregierung fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung einen Bericht
zur Evaluation der Entlassung dieser
»Notfallkontrazeptiva« aus der Verschreibungspflicht vor, in welchem die
Auswirkungen, insbesondere Angaben zu verkauften Packungen pro Jahr, Rate
der unge-
wollten
Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr und Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen vor und
fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung, dargestellt werden.
• Der mit der Entlassung aus der Verschreibungspflicht verbundene Einfluss von Marketingstrategien und kommerzieller Werbung auf eine sichere
Anwendung von Notfallkontrazeptiva muss dringend berücksichtigt werden.
Die Bundesärztekammer begrüßt ausdrücklich, dass in der Begründung zu
dem vorliegenden Verordnungsentwurf
davon ausgegangen wird, dass »für [...]
Apotheken [...] durch den Erlass dieser
Verordnung keine weiteren Kosten« entstehen, d. h., dass Apotheken wie bisher
ausschließlich im Rahmen der Packungsbeilage informieren.
LebensForum 113
»Große Besorgnis«
Kritik an der Rezeptfreigabe der »Pille danach« üben auch
Frauenärzte und Fortpflanzungsmediziner. »LebensForum«
dokumentiert nachfolgend das »gemeinsame Medienstatement des
Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) e. V., der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e. V.
und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische
Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e. V.«.
München/Berlin/Heidelberg, den 3. März
2015 – Mit großer Besorgnis sehen die
Präsidenten des Berufsverbandes der Frauenärzte, der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe und der
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin der Einführung der Rezeptfreiheit für die Notfallverhütung entgegen.
Denn in den Handlungsempfehlungen für die Beratung, die die ABDA –
Bundesvereinigung der Apothekerverbände – für die Apotheken herausgegeben hat, sind grundlegende Beratungsinhalte nicht enthalten.
Dazu zählen im Wesentlichen
• die nachlassende Wirkung von Levonorgestrel (LNG) bei einem Körpergewicht von über 75 kg
• die nachlassende Wirkung von Ulipristalacetat (UPA) bei einem Körpergewicht von über 90 kg und
• der Hinweis darauf, dass eine Kupferspirale eine sichere Alternative ist, die vom
Körpergewicht der Frau unabhängig ist.
• Auch ist eine Kupferspirale das Mittel
der Wahl, wenn der Zeitpunkt des ungeschützten Sex bereits länger verstrichen ist.
nach der Verwendung der Notfallverhütung fortsetzen. Bis zur nächsten Menstruation wirkt die Pille nicht mehr, wenn
eine Notfallverhütung verwendet wurde. Zudem schützt die Notfallverhütung
nicht bei weiteren, späteren ungeschützten Sexualkontakten im gleichen Zyklus.
Es ist zu befürchten, dass diese unverzichtbaren Informationen in den Apotheken nicht in jedem Fall mit der gebotenen
Dringlichkeit an Mädchen und Frauen
weitergegeben werden. Eine fehlerhafte
Beratung erhöht jedoch die Gefahr unerwünschter Schwangerschaften dramatisch.
Deutschland hat die weltweit niedrigste Rate an Schwangerschaftsabbrüchen bei Teenagern und eine der weltweit niedrigsten Raten an Schwangerschaftsabbrüchen überhaupt. Die Frauenärztinnen und Frauenärzte Deutschlands wünschen sich, dass das so bleibt.
Die derzeit festgelegten Inhalte für die
Beratung in den Apotheken geben Anlass
zu der Befürchtung, dass die Abbruchraten als Folge einer lückenhaften Aufklärung künftig ansteigen könnten.
Diese Fakten sind seit langem bekannt;
auch aktuelle Veröffentlichungen in der
Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ)
bestätigen dies. In den Unterlagen, die
die Apothekerkammern ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen, finden sie jedoch keine Erwähnung. Die Kupferspirale wird in den Unterlagen der Apothekerkammern nicht erwähnt. Sie ist in jedem Fall die sicherste Notfallmaßnahme
nach ungeschütztem Sex.
Zudem müssen Mädchen und Frauen
unbedingt bis zum Eintreten der nächsten Monatsblutung nichthormonell verhüten, also mit einer Barrieremethode
wie Kondom oder Diaphragma. Dies gilt
auch dann, wenn sie die Pille einnehmen
und dies – nach einem Einnahmefehler –
Zudem ist zu befürchten, dass die vorgesehene Regelung zur Abgabe der Notfallverhütung Missbrauch nicht ausreichend ausschließt. So kann nach derzeitigem Stand das Arzneimittel auch durch
Dritte gekauft werden; eine persönliche
und vertrauliche Beratung des betroffenen Mädchens bzw. der betroffenen Frau
würde dann unterbleiben. Gerade nach
einem Gewaltdelikt innerhalb gefestigter
sozialer Strukturen sehen wir hier erhebliches Gefahrenpotential für die betroffenen Mädchen und Frauen.
Des Weiteren kann Vorratshaltung mit
dem jetzigen Modell nicht ausgeschlossen
werden. UPA ist jedoch nur bei Einnahme einer einzigen 30-mg-Dosis sicher.
Wenn es höher dosiert wird und bereits
LebensForum 113
GEPLANTE REGELUNGEN SCHÜTZEN
NICHT AUSREICHEND VOR MISSBRAUCH
eine Schwangerschaft vorliegt, so besteht
die Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen. Eine solche Komplikation könnte
ausgeschlossen werden, wenn das Arzneimittel bereits in der Apotheke eingenommen werden muss.
Alle hier vorgebrachten Argumente sind
der ABDA bekannt. Sie wurden jedoch in
den Handlungsempfehlungen zur Abgabe
der Notfallkontrazeption nicht umgesetzt.
»Noch haben die Apotheker es in der
Hand, bis zur Einführung der Rezeptfreiheit und auch nach diesem Stichtag alle
von uns vorgebrachten Bedenken aufzunehmen und in den Beratungsunterlagen
für die Apotheken zu berücksichtigen«,
betonen die Präsidenten des Berufsverbandes der Frauenärzte, Dr. med. Christian Albring, der Deutschen Gesellschaft
für Gynäkologie und Geburtshilfe, Prof.
Dr. med. Diethelm Wallwiener, und der
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin, Prof. Dr. med. Thomas Rabe.
»Wir appellieren an den Vorstand der
ABDA, die Curricula, die Handlungsempfehlungen und die Checklisten für
die Dokumentation kurzfristig zu überarbeiten. Die Sicherheit der Mädchen und
Frauen und die Verhütung unerwünschter Schwangerschaften sollten an erster
Stelle stehen. Es ist nicht sinnvoll, Informationen zurückzuhalten, die in dieser
Situation von großer Bedeutung wären.«
EVALUATION SOLLTE HELFEN, SICHERHEITSLÜCKEN AUFZUDECKEN
Die drei Institutionen unterstützen
zudem die Forderung der Bundesärztekammer, die Einführung der Rezeptfreiheit für die Notfallverhütung über einen
Zeitraum von fünf Jahren hinweg durch
eine Evaluation zu begleiten. Zwischenberichte sollten in jährlichem Abstand
vorgelegt werden. Inhalte dieser Evaluation müssten sein:
• Meldungen zu Nebenwirkungen nach
Einnahme von LNG oder UPA zur
Notfallkontrazeption
• Statistik der Schwangerschaftsabbrüche bei Teenagern und bei volljährigen Frauen
• Erhebung über die Entwicklung der
Zahl der verkauften Packungen an LNG
und UPA zur Notfallkontrazeption.
Mit einer solchen Evaluation könnte überprüft werden, ob die Einführung
der Rezeptfreiheit mit Sicherheitsrisiken
für Mädchen und Frauen verbunden war.
Es könnten dann Maßnahmen getroffen
werden, um diese möglichen Sicherheitslücken aufzudecken und zu schließen.
23
MED I ZI N
Das Impfdilemma
In Deutschland geht die Angst vor einer Masernepidemie um. Nicht völlig zu Unrecht. Denn eine
Infektion mit dem Virus kann tödlich enden. Sachliche Aufklärung, fern jeder Hysterie, die bei Teilen der Befürworter wie der Gegner des Impfens gleichermaßen angetroffen werden kann, tut daher not. Was allerdings kaum einmal thematisiert wird: Für die Herstellung vieler Impfstoffe werden
Zellen abgetriebener Kinder verwendet.
Von Alexandra Maria Linder M. A.
D
eutschland sucht den Impfpass« – in dieser Kampagne suchen erwachsene Menschen ihren Impfpass tanzend unter Müslischalen und in Waschmaschinen. Anlass für
die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung initiierte Aktion ist
ein schwerer Masernausbruch in Berlin, der seit Oktober 2014 anhält. Eines
der Auslösezentren waren Asylbewerberunterkünfte, wo Menschen aus Bosnien, Herzegowina und Serbien untergekommen waren. In diesen Ländern hatte
es im Februar 2014 einen massiven Anstieg der Masernerkrankungen gegeben.
Derzeit (Stand Mitte März 2015) hat
das Robert Koch-Institut in ganz Deutschland 1.043 Masernfälle seit Jahresbeginn
registriert, die meisten davon in Berlin
(839 Erkrankte), weitere Erkrankungen
»Laut der WHO starben 2013
146.000 Kinder an Masern.«
gab es vor allem in Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Für die Stadt Berlin bedeutet diese Entwicklung den größten Masernausbruch seit 2001 (6.139 Fälle), als das Infektionsschutzgesetz eingeführt wurde.
Solche Wellen von Masernerkrankungen sind nicht neu, ähnliche Ausbrüche
gab es außer 2001 auch 2002 (4.564 Fälle), 2006 (2.308 Fälle), 2011 (1.608 Fälle) und 2013 (1.769 Fälle), meistens regional begrenzt.
Eigentlich wollte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Masernvirus, das eines der ansteckendsten Infektionskrankheiten überhaupt verursacht,
vollständig ausrotten; als Ziel hatte sich
die Weltgemeinschaft das Jahr 2020 ge24
setzt. Tatsächlich war es gelungen, die
tretenden Influenza (Grippe)-Raten, ist
weltweiten Masernerkrankungsraten zwiPanik eigentlich nicht angebracht. Denn
schen 2000 und 2013 um 75 Prozent zu
allein in den ersten sieben Wochen des
senken. Impfkampagnen konzentrieren
Jahres 2015 wurden 21.676 Fälle von Insich hier vor allem
auf Kinder in den
so genannten Entwicklungsländern,
in denen die Krankheit zur hohen Kindersterblichkeit beiträgt. Im Jahr 2013
starben laut Angabe
der WHO weltweit
146.000 Kinder an
Masern, statistisch
gesehen verläuft einer von 1.000 Krankheitsfällen tödlich.
Das Gefährliche
an dieser Krankheit
ist, dass es neben der
eigentlichen Erkrankung Folgewirkungen geben kann, die
trotz guten Krankheitsverlaufs in späteren Jahren möglicherweise tödlich
enden. Die Masernviren können sich
beispielsweise im
Gehirn festsetzen
und eine SSPE (Subakute Sklerosierende
Panenzephalitis) auslösen: Die Viren beginnen, die Nervenzellen zu schädigen, Ein Motiv der bundesweiten Impf-Kampagne der BZgA
bis das Gehirn nicht
mehr funktionsfähig ist.
fluenza, gleichfalls sehr ansteckend und
Aufgrund dieser Tatsachen gehören die
ebenfalls manchmal tödlich verlaufend,
Masern zu den meldepflichtigen Krankgemeldet. Da die Influenza aber in jedem
heiten, ebenso wie HIV, Malaria, TuberJahr in den Wintermonaten gehäuft aufkulose oder Keuchhusten. Vergleicht man
tritt, wird dies nicht als ungewöhnlich
die Masernfälle mit den gleichzeitig aufangesehen. Ebenfalls relativ hoch sind
LebensForum 113
die gemeldeten Fälle von Keuchhusten
(1.501 Fälle allein in den ersten sieben
Wochen des Jahres 2015), Tuberkulose
(575 Erkrankungen im selben Zeitraum)
oder dem Norovirus (24.062 Erkrankungen), abgesehen von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis (2014 insgesamt 5.722) oder HIV (3.525).
Die Empfehlungen zur Eindämmung
der weiteren Verbreitung reichen von den
genannten Impfpasssuchkampagnen über
eindringliche Ratschläge bis hin zu Schulund Kindergartenverboten für nicht geimpfte Kinder und der Einführung einer
Impfpflicht. Der tragische Todesfall eines Kleinkindes, das sich in Berlin-Reinickendorf in einer Kindertagesstätte an-
»Für Eltern ist es schwierig die
richtige Entscheidung zu treffen.«
gesteckt hatte, heizt die Diskussion zusätzlich an. Denn wäre dieses Kind gegen Masern geimpft gewesen, würde es
noch leben. Eine hier zu stellende Frage
wird wohlweislich nicht gestellt: Würde
das Kind noch leben, wenn es mit eineinhalb Jahren statt in einer Kita zu Hause
gewesen wäre, was medizinische Fachleute für Kinder in diesem Alter wegen des
nicht ausgereiften Immunsystems zum
Teil schon empfehlen?
Darf man eine Impfpflicht verhängen?
Unterminiert man nicht damit das Elternrecht? Viele Eltern sind gegenüber dem
Impfen vorsichtig geworden. Es mehren
sich Stimmen, die vor schweren Nebenwirkungen bis hin zu autistischen Erkrankungen warnen, welche möglicherweise durch Impfungen, vor allem die
starken Mehrfachimpfungen (gegen fünf
Krankheiten gleichzeitig), ausgelöst werden könnten. Von Impfbefürwortern zum
Teil als Spinner oder Ideologen abgetan,
findet man bei Recherchen bedenkenswerte Krankheitsfälle und wissenschaftliche Hinweise, die ernst zu nehmen und
zu erforschen angebracht wäre. Manche
Eltern aus der Generation der 60er Jahre, die selbst alle möglichen Kinderkrankheiten unbeschadet überstanden haben,
halten einige Impfungen für übertrieben und möchten ihre Kinder in dieser
Beziehung natürlich aufwachsen lassen.
Bei manchen Kinderkrankheiten ist es
jedoch schwer, sie überhaupt zu bekommen, weil es bei Kindern inzwischen eine so genannte Durchimpfungsrate von
über 90 Prozent gibt, unter anderem gegen Mumps und Röteln.
LebensForum 113
Eine weitere Frage lautet: Muss ich gegen alle möglichen Erkrankungen impfen? Für Eltern ist es schwierig, die richtige Entscheidung zu treffen. Während
die Impfbereitschaft bei Kinderlähmung
(Polio), Röteln oder Tetanus sehr hoch
ist, ist das Für und Wider im Falle von
Windpocken schwerer zu bewerten. Bei
Kindern verlaufen die Windpocken in
der Regel relativ harmlos, bei Erwachsenen dagegen gibt es Fälle von Hirnhaut- oder Lungenentzündungen, besonders gefährlich, wenn auch selten, ist die
Krankheit bei Schwangeren. Daraus ergibt sich, wenn man die Impfungen bei
Kindern nicht durchführen lässt, also ein
Folgeproblem: Hatte man als Kind keine Windpocken und wurde später nicht
dagegen geimpft, ist eine Erkrankung
im Erwachsenenalter möglich, die dann
eben weit schwerer verlaufen kann als
im Kindesalter.
Eine weitere Frage, die in keiner Impfkampagne, in keiner Zeitung, keiner Fachzeitschrift und keinem anderen Medium während der letzten Monate gestellt
wurde, lautet: Welche ethischen Gründe
könnten jemanden dazu bewegen, impfkritisch zu sein? Man muss bei diesem
Thema Ärzten und Apothekern zugutehalten, dass sie es nicht wissen, weil man
von selbst nicht darauf kommt und sich
das meistens auch nicht vorstellen kann.
Tatsache ist aber, dass sehr viele Impfstoffe mit Hilfe von Zelllinien abgetriebener Kinder hergestellt wurden und werden. Das wurde eine Zeit lang ebenfalls
als Spinnerei von Lebensrechtlern abgetan, lässt sich aber, im Gegensatz zu anderen Dingen, relativ leicht und schlüssig nachweisen.
In den Packungsbeilagen der Impfstoffe muss angegeben werden, auf welchem Medium das Virus vermehrt worden ist – um einen Impfstoff gegen ein
Virus herzustellen, ist die gängige Methode, dieses Virus zunächst zu vermehren und danach für die Herstellung abzuschwächen oder zum Beispiel nur einzelne Bestandteile davon zu verwenden.
Viren vermehren sich nur auf lebendem
Gewebe, im Gegensatz zu Bakterien, die
auf Nährlösungen wachsen können. Die
Angabe ist zum Beispiel notwendig, weil
bisherige Grippeimpfstoffe mit bebrüteten Hühnereiern hergestellt werden. Da
minimale Reste des Gewebes, in diesem
Fall des Hühnerembryos, nicht vollständig entfernt werden können, besteht in
geringem Maße eine Reaktionsmöglichkeit bei Menschen, die gegen Hühnereiweiß allergisch sind. Neben Hühnerembryonen können Zellen von Affen, Hamstern oder Hunden verwendet werden, was
seit Jahren ebenso wie zum Beispiel bei
kosmetischen Tests die Tierschützer auf
den Plan ruft. Dass die Alternative neben der ethischen Variante der Bierhefe in der Verwendung fötaler Zelllinien
besteht, wird verschwiegen. Man spricht,
zwar korrekt, aber nicht exakt, von »humanen« Zelllinien oder von »humanen
diploiden Zellen«.
Alle gängigen Zelllinien, die stetig
weiter kultiviert werden, sind mit Kürzeln versehen und finden sich mit der entsprechenden Erklärung in Zellbanken,
die sie verkaufen. Bei Impfstoffen sind
dies vor allem drei Zelllinien: MRC-5,
WI-38 und PER.C6. Hinter diesen Abkürzungen verbergen sich abgetriebene
Kinder, deren sofort nach der Abtreibung
entnommene Gewebe seitdem neben Forschungsarbeiten für die Massenproduktion von Impfstoffen verwendet werden.
Eine der älteren Linien ist MRC-5 (Medical Research Council London, Lungenzellen eines im September 1966 abgetriebenen Jungen im Alter von 14 Wochen),
nach Angaben der Verkaufsfirmen sind
diese Zellen besonders geeignet für die
Vermehrung von folgenden Viren: Varicella Zoster (Erreger von Windpocken
und Gürtelrose), Herpes simplex, Polio
und Adenoviren. Die andere ältere Linie, WI-38, stammt von einem in den
60er Jahren im 3. Monat abgetriebenen
Mädchen, wird besonders für Polio oder
Herpes empfohlen und zum Beispiel bei
dem Unternehmen ATCC für 575 Dollar pro gefrorener Portion verkauft. Die
»Die Verwendung fötaler
Zelllinien wird verschwiegen.«
meisten in Deutschland zugelassenen Virus-Impfstoffe werden mit einer dieser
beiden Linien hergestellt.
Man könnte sich darauf zurückziehen
zu sagen, diese Impfstoffe sind bewährt,
es gibt sie schon lange und es war jeweils
nur ein Kind. Bei einigen Krankheiten
(Polio, Hepatitis B) gibt es auch ethische Alternativen. In Deutschland findet
sich jedoch keine Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung ohne fötalen
Zellhintergrund, bei Windpocken ist das
weltweit der Fall. Würde das genannte
Argument weiterhin dafür genutzt, keine weitere Forschung und Produktion in
dieser Hinsicht zu betreiben und nach für
Tierschützer wie für Lebensrechtler verträglichen Alternativen zu suchen, könnte man vielleicht damit leben.
25
MED I ZI N
Die aktuelle Situation zeigt ein anderes Bild, was zu der neuesten Linie PER.
C6 führt: Diese Linie wurde von Dr. van
der Eb unmittelbar nach der Abtreibung
des betreffenden Kindes isoliert. Der Forscher erklärte in einem Vortrag vor der
amerikanischen Zulassungsbehörde FDA,
dass es sich um ein vollständig gesundes
»In menschlichen Zellen vermehren
sich Viren besonders schnell.«
Kind gehandelt habe, eine unabdingbare
Voraussetzung für die Nutzung. Aus dessen Zellen hat sich eine komplette Technologie entwickelt, die von der niederländischen Firma Crucell seit Jahren erfolgreich betrieben und vermarktet wird.
Die Zukunft legen diese Firmen also gerade und verstärkt in die Nutzung der
Kinderzellen, was angesichts der Vorteile dieser Methode auf der Hand liegt:
In menschlichen Zellen vermehren sich
Viren besonders gerne und schnell, außerdem ist die Gefahr von allergischen
Reaktionen seitens der geimpften Personen gering bis gleich null. Diese Techno-
logie ist mittlerweile so weit ausgereift,
dass viele Pharmakonzerne sie in Lizenz
kaufen, um damit neue Impfstoffe herzustellen, darunter Mehrfachimpfstoffe
für Kinder, Impfstoffe gegen Hepatitis A
und B, gegen Influenza oder Kinderlähmung. Möglichst bald soll es auch wirksame Impfungen gegen HIV oder Ebola geben (hier wird der Impfstoff gerade
produziert, um ihn für klinische Studien
zur Verfügung zu stellen), ebenfalls mit
der PER.C6-Linie, außerdem steigt der
Markt für monoklonale Antikörper, basierend auf dieser Technologie, ebenfalls
stetig. Die Firma wirbt mit »aluminiumfreien« Impfstoffen und Massenimpfungen in den Entwicklungsländern, zurzeit
ist sie Hauptlieferant einer Fünffachimpfung für UNICEF. Im Jahr 2013 wurden
nach eigenen Angaben über 111 Millionen Impfdosen in mehr als 60 Staaten
verkauft. Im Oktober 2014 änderte das
Unternehmen seinen Namen: Die Firma
Janssen gehört jetzt zu Johnson & Johnson, der unter anderem Penaten und Carefree produziert.
Die gewinnbringende Hoffnung einiger pharmakologischer Bereiche liegt
besonders in der Nutzung von Geweben
abgetriebener Kinder. Für viele Menschen verstärkt dies das Impfdilemma.
Die Empfehlung der Päpstlichen Akademie für das Leben (die einzige kirchliche Institution, die sich damit beschäftigt hat) lautet: Man kann impfen, wenn
es keine Alternativen gibt, muss sich aber
gleichzeitig dazu verpflichten, bei Aufklärung und Veränderung der Situation
mitzuwirken.
Ein Dilemma kann nicht gelöst werden. Insgesamt betrachtet, ist eine totale
Impfverweigerung ebenso wenig zu empfehlen wie die widerstandslose Hinnahme der Tatsachen.
IM PORTRAIT
Alexandra Maria Linder M. A.
Die Autorin, Jahrgang 1966, hat Romanistik und Ägyptologie studiert und sich
als Übersetzerin und Lektorin selbständig gemacht. Die
1. Stellvertretende
Bundesvorsitzende
der ALfA e. V. hat
2009 das Sachbuch »Geschäft
Abtreibung« veröffentlicht, das auch das Impfthema behandelt. Sie lebt mit ihrem Ehemann und
drei Kindern im Sauerland.
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26
LebensForum 113
DANIEL RENNEN
G E S ELLSC H AFT
Erklärtes Rechtssubjekt:
der ungeborene Mensch
Unter dem Titel »Abtreibung – Ein neues Menschenrecht?« haben deutsche Lebensrechtler gemeinsam
ein Buch herausgegeben, das unlängst bereits seine Auflage erfahren hat. In ihm nehmen zwölf Autoren
ganz unterschiedliche Aspekte des Abtreibungsgeschehens in den Blick und beleuchten seine Folgen für
Staat, Recht und Gesellschaft sowie den Einzelnen. Grund genug für eine ausführliche Rezension.
Dr. med. Maria Overdick-Gulden
D
ie Neuauflage des Titels »Abtreibung – Ein neues Menschenrecht?« ist der eindringliche Appell der zwölf Autoren des Werkes an unsere Gesellschaft, Ernst zu machen mit
dem im deutschen Grundgesetz, in der
Perspektive Europas und der Weltorganisation UNO verbürgten Grundrecht
auf Leben und Achtung vor der unantastbaren Menschenwürde eines jeden
von uns. Sein Lebensrecht ist nicht nur
unverbindlich zu zitieren, sondern in der
Lebenspraxis zu verwirklichen. Denn im
Hier und Jetzt erscheint die Wahrnehmung der Wirklichkeit des Menschenlebens gerade in seiner embryonalen Phase oft interessengeleitet: als verfügbares
»Forschungsobjekt«, hinter »psychoLebensForum 113
sozialem« Schleier missverstanden oder
durch mangelhafte Pädagogik im Unwissen belassen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof,
wie auch die Charta der Grundrechte der
EU, berücksichtigen die jeweilige nationale Rechtsordnung und legen das Recht
auf persönliche Autonomie und Freiheit
der Wissenschaft »sehr weit« aus, so Katharina Pabel kritisch, was gerade für die
unwägbar entwicklungsoffene Fortpflanzungsmedizin zutrifft. Hier gewinnt die
Eugenik an wissenschaftlichem Boden
und demzufolge an privater Akzeptanz.
Die deutsche Gesetzesnovelle von 1995
beurteilte den Tatbestand der Abtreibung im gesellschaftlichen Kompromiss
als »rechtswidrig, aber straffrei«, sollte sich im »helfen statt strafen« äußern.
In Bezug auf die Klärung der Rechtslage und der Lebensverhältnisse geschieht
kaum Aufklärung, sodass ein Nachdenken
über gewissenhaft geprüfte Entscheidung
eher unterbleibt. Der juristische Begriff
des »rechtswidrig« wird zunehmend als
»Worthülse« empfunden und letztlich
mittels des vorgeschriebenen Beratungsscheins als einziger »Rechtsunterlage« für
eine Menschentötung übersehen, so der
Richter a. D. Bernward Büchner. Was
nicht strafbar ist, wird de facto als »erlaubt« gedeutet, das Lebensrecht bleibt
unerörtert, letztendlich »im Volksmund«
verleugnet. Der Jurist Reiner Beckmann
schreibt: »Das ›Beratungskonzept‹ ist da27
GESELLSC HA FT
28
liche Nothilfe für das ungeborene Kind
soll ausgeschlossen sein! Der auf Tötung
des Ungeborenen gerichtete Arztvertrag
soll rechtswirksam sein! Die gesetzlichen
Krankenkassen bezahlen sowohl die bei
Abtreibung erforderlichen Voruntersuchungen und komplikationsbedingte
Nachbehandlungen. Für entsprechende Versorgungszentren kommen staatliARCHIV
sorge (mindestens!) zwei Menschenleben
gegenüber verpflichtet ist.
Dies dürfte inzwischen jedem Zeitgenossen bewusst sein, doch wird diese
Einsicht überlagert von dem Begriff beanspruchter »Selbstbestimmung« (Rainer
Beckmann). Zwar widerspricht die ausschließliche Selbstbezüglichkeit beim Akt
des Tötens unserem Grundgesetz Artikel
1 und dem ihm vorausliegenden philosophischen »Würdekonzept«. Der Abtreiber entfernt kein materielles Schwangerschaftsgewebe, sondern einen Menschen
in der ersten Phase seines Lebens, die
wir alle durchlebten, um uns als Menschen weiter zu entwickeln. Der Mensch
ist wesentlich geistig komponiert. Insofern ist er Person von Lebensbeginn an:
ARCHIV
her prinzipiell ungeeignet, individuellen
Rechtsschutz zu gewährleisten.« Außerdem verlangen die Besonderheiten des
Beratungsgesetzes nach BVerfGE 88,203
(280), »davon abzusehen, den nach Beratung vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch, obwohl er nicht gerechtfertigt
ist, als Unrecht zu behandeln«. Gravierend in solchem Zusammenhang ist die
faktische Nichtbeachtung der vom Gesetzgeber auferlegten Kontrollpflicht über
die Folgen eines derartigen »Schutzkonzepts« für die künftige Wahrnehmung des
Lebensrechts des Ungeborenen. Bis heute wird dieser juristischen Auflage, eine
lebensfördernde Wirkung einerseits gegenüber den lebensfeindlichen Nebenwirkungen abzuwägen, nicht entsprochen. Wie stellt sich die gesellschaftspolitische Praxis dar, nun, da man den
»demografischen Wandel« registriert?
Konsequenzen scheinen sich nicht zu ergeben.
Der an den hippokratischen Eid gebundene einzelne Arzt kann sich, wie
auch Hebammen und Krankenpersonal,
auf das persönliche Weigerungsrecht bei
Abtreibung berufen, dabei sollte er keinerlei Benachteiligung ausgesetzt sein.
Welche diesbezügliche Einzelerfahrung
seit 1974 gemacht wurde, liegt bis heute im Dunkeln. Schließlich betonte im
Jahr 2000 der Präsident der DGGG, dass
das Fach Gynäkologie selbst »die Last
des Tötens« auf seine Schultern nehme: »aus Verständnis und Hilfsbereitschaft für die Frauen!« Denn der Bundesgesetzgeber hatte 1992 die Organisation der Tötung Ungeborener zur »Aufgabe eines Rechtsstaates« im Sinne der
»Fürsorge« (VerfGE 88, 203, (328)) erklärt. Zeichenhaft für die faktisch mögliche Wahrnehmung des Lebensrechts
eines jeden von uns erscheint Richter
a. D. Bernward Büchner der Hinweis
auf das juristisch mögliche Weigerungsrecht des seinem Gewissen verpflichteten Apothekers (!) zum Schutz des Embryos in seiner vornidativen Lebensphase:
er hat die »Pille danach« nicht in seinem
Angebot! Bislang nicht, bleibt einzuräumen! Demgegenüber ist die resultierende juristische Problematik um das ärztliche Weigerungsrecht sehr viel komplexer. Denn Ärzte seien aufgrund derzeitiger Gesetzeslage nur noch grundsätzlich
zum Schutz des Ungeborenen verpflichtet, sie können »nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen« – ein
rechtliches »Sowohl als auch«! Jeder ärztlich Tätige weiß heute aus seinem Studium der Embryologie indessen, dass er
bei der übernommenen Schwangerenfür-
Claudia Kaminski
Giovanni Maio
Er ist ab seiner Zeugung Rechtsträger
und als solcher vom Staat in seinem Lebensrecht konsequent zu schützen. Seine
Menschenwürde ist unantastbar. Dieses
Menschenbild ist im Grundgesetz vom 8.
Mai 1949 festgehalten: als Prinzip unserer
Justiz. Diese Anthropologie ist wesentlich Seinslehre und widerspricht jedwedem Utilitarismus, gerade dem von Peter Singer, der sich einem größtmöglichen Glück der Menschheit verpflichten
(oder ausliefern) will, ungeachtet, ob es
dabei »Schwache« zu opfern gilt, die in
seinen Augen »Unglück« bedeuten. Das
ist durch die Logotherapie nach Viktor
E. Frankl längst widerlegt. »Glück« entspringt den je individuellen Sinndeutungen des menschlichen Da-Seins und ist
ein Lernprozess.
Die »Logik« der Beratungsregelung
auf dem Konzept vereinseitigter Selbstbestimmung führt darüber hinaus zur
staatlichen Billigung von Unrecht: jeg-
che Mandatsträger auf. Und was ist unter »ergebnisoffener Beratung« zu verstehen? Darf man hier überhaupt zum Erhalt des frühen Menschenlebens ermutigen und etwas dazu »sagen« oder hat
man nur schweigend anzuhören, was die
betroffene Frau aussagt – wenn sie das
überhaupt will? Soll man ihr in der Aushändigung des »Scheins« die gesetzlich
einzig benötigte Begründung der Kindestötung wortlos übergeben, vielleicht
mit einem »Au revoir!«? Auch wenn, wie
nicht selten, die Abtreibungsbegründung
von der Wortstärke des Partners oder des
familiären Umfelds geweckt und somit als
Fremdbestimmung aufgebürdet wurde?
Ausführlich berichtet der Sozialwissenschaftler Manfred Spieker über den
»Missbrauch der UNO« im Doppelsinn, denn einmal wird sie von Interessengruppen als Weg zu einem vorgeblichen »Abtreibungsrecht« benutzt, wobei Unterorganisationen und NGO’s,
UNFPA, IPPF (in Deutschland »pro familia«), WHO und allen voran CEDAW
sich bei internationalen Konferenzen in
eigenwilliger Sprache zu Frauenrechten
und sogenannter Familienplanung, vornehmlich zur »reproduktiven Gesundheit«, äußern (Konferenzen von Kairo
1994 und Peking 1995) und unter diesem
planetenweiten Dach intensive Beihilfe
erfahren. Eigentlich hatten 1948 die 51
LebensForum 113
UNO-Gründungsmitglieder die Achtung
recht nicht zu »gefährden«. Zynismus
zu dem »Kompromiss« über acht Milvor den Menschenrechten zum Schutz
pur: 1983 erhielt China den Population
lionen Abtreibungen seit 1975 mit dem
des Individuums vereinbart. Alle MenAward für die erfolgreich durchgeführte
nachfolgenden demografischen Wandel
schen sind »mit Vernunft und Gewissen
Ein-Kind-Politik, auch wenn diese eine
in unserem Land (und in Europa) kombegabt und sollen einander im Geist der
Möglichkeit der Abtreibung bis zur Gemen konnte. So manchem fällt Heinrich
Brüderlichkeit begegnen«. Entsprechend
burt beinhaltet. Aus Deutschland flieHeine ein: » (…) da bin ich um den Schlaf
betont die Charta der Kinderrechte die
ßen jährlich etwa 21 Millionen US-Dolgebracht.« Was bleibt zu tun in unserem
Verpflichtung zu einem angemessenen
lar zur Unterstützung diesbezüglicher
Land und vor allem zu ändern? »Es gibt
Schutz des Kindes »vor und nach der GeUNO-Einrichtungen: die »Pilleninduskeine Alternative zur Familie«, und hier
burt«! Heute allerdings bleibt immer öftrie« – vor allem Hersteller der frühabhaben Schulen, vor allem die Frühpädater in aktuellen Berichten das Kind unertreibenden »Pille danach« – erfährt trotz
gogik, anzusetzen, es sind frauenpolitische
wähnt und das Post-Abortion-Syndrom
relativ häufigen Versagens breite UnterNetzwerke zu gründen. Uns Bürgern, d.
(PAS) verschwiegen. Ein Trost: Es gibt
stützung von Stiftungen und Organisatih. eigentlich jedem von uns, ist sowohl
immer noch Dämme der Vernunft geonen vorwiegend aus den USA. Die Nader Einsatz für das Lebensrecht im Eingen die Unkultur des Tötens: so die »San
türliche Empfängnisregelung auf der Bazelfall (M. Grundberger) wie in der ÖfJosè-Artikel« (2011), das Vaticanum II in
sis von Vernunft und Naturrecht bleibt
fentlichkeit aufgegeben. Jeder Mensch
Gaudium et Spes (No.51 und 27) sowie
unerörtert. Inzwischen bieten Abtreihat (s)ein Gewissen und so viel Vernunft,
die einschlägigen päpstlichen Enzykliken,
bungsdienstleister wie IPPF und MSI
dass er die Begrenzung seiner Autonomie
die im Geist von »Evangelium vitae« zur
sogenannte »manuelle Vakuum-Absauanzuerkennen und sich als soziales WeVerteidigung des Menschenrechts auf Legetechniken« an, die den Uterus »reisen mit Pflichten für den Nächsten verben auffordern, ja um des Menschen wilstehen lernt. Beispielsweise kann er die
len darauf drängen. Auch im EuropaparSelektion von Menschen durch PID und
BUCHTIPP
lament lässt sich, so Dr. Peter Liese, bei
PND zurückweisen (G. Maio).
allem Pluralismus durch die klar vertreEin Ethik-Codex der Mitmenschlichtene Position eines Abgeordneten etwas
keit steht uns zur Verfügung. Durch gefür den Lebensschutz erreichen.
schultes Wissen und Gewissen beginUm die Not des Post-Abortion-Synnen wir uns als Selbst zu erfahren und
droms wissen inzwischen aufmerksame
so gesehen auch tatsächlich als »selbstInternetbenutzer. Die lange Zeit praktiernannt« zu verstehen, wie uns Populiszierte wissenschaftliche und öffentliche
ten hämisch bezeichnen. Wir wollen in
Tabuisierung dieser spezifischen Posttrauunserer Sprache verdeutlichen: Schwanmatischen Belastungsstörung nach Abtreigerschaftsabbruch ist Tötung eines unbung in Form körperlicher und vor allem
geborenen Menschen, nicht nur die Verpsychischer Störungen wie schwerer Deänderung des physischen Zustands einer
pression mit Suizidhäufung und die breit
Frau. Diesbezügliche Aufklärung ist begefächerte Nachbetreuung dieser Leiden
reits aus antiken Schriften zu erlernen,
ist inzwischen weltweit aufgebrochen, die
beim hippokratischen Ärztekreis, in der
Leiden der Frauen werden »veröffentBibel und der Didache des 2. Jahrhunlicht«. Seit 1993 bereits fordert § 2 Abs.
derts, in der Frühzeit der Moderne bei
2 Nr. 6 SchKG die Information über die
Immanuel Kant: für ihn ist der gerade geBernward Büchner/Claudia Kaminski/
psychischen Folgen der Abtreibung wähMechthild Löhr (Hrsg.): Abtreibung –
zeugte Menschenembryo »Erdenbürger«
rend der Beratung, schreibt Claudia KaEin neues Menschenrecht?
mit seinem Lebensrecht (Metaphysik der
minski (S. 209ff.).
Zweite Auflage, Beltheim, 2014.
Sitten, Rechtslehre § 28). Die ALfA ist
Doch gleichzeitig konnte sich eine in»Aktion«, indem sie bundesweit Hilfen
261 Seiten. 14,80 EUR.
ternationale Ideologie des Feminismus
bei psycho-sozialer Not oder mediziniin der deutschen Stiftung Weltbevölkescher Komplikation vermittelt. Sie ist
rung und bei »pro familia« verbreiten,
nigen«; sie brüsten sich mit weltweitem
»Aufklärung« über aktuelle Forschungsdie hartnäckig Abtreibung als FrauenErfolg solcherart »Menstruationsreguergebnisse zum Menschsein von der Zeurecht zu legalisieren versucht, schreibt
lierung« und sind aus Steuermitteln der
gung an bis zu seinem natürlichen EnAlexandra Linder. Die dabei praktizierte
EU mitfinanziert. Ist »Die EU – Komde. Und dabei sind wir durchaus »radiPerversion
reiche
so
weit,
dass
der
Proplizin
der
Abtreibungspolitik
in
Entkal« im ursprünglichen Sinn:
»verwurHamburg · Samstag, 18.04.2015 · Fachtagung zur „Woche für das Leben“
Ja zum Leben – für ein Europa
test gegen die Ein-Kind-Politik in Chiwicklungsländern?« Diese Frage stellt
zelt« (radix = Wurzel) im Grundwissen
ohne Abtreibung und Euthanasie!
Bundesverband Lebensrecht e. V. · (030) 644 940 39 · www.bv-lebensrecht.de/fachtagung
na und die
in Indien überwiegende AbSophia Kuby zu Recht. Mechthild Löhr
um die naturgemäße
einmalige Würde
treibung von Mädchen unterbleibe, um
will verfolgen, wie es trotz Grundgesetz
jedes Menschen. Wir sehen uns im Du
das international erstrebte Abtreibungszum Abschied vom Tötungsverbot und
und Ich in Augenhöhe.
„Du sollst nicht töten … lassen“ – Grenzen der Selbstbestimmung
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„Du sollst nicht töten … lassen“ –
Grenzen der Selbstbestimmung
Bundesverband Lebensrecht e. V. · (030) 644 940 39 ·
LebensForum 113
Fachtagung zur „Woche für das Leben“
Hamburg · Samstag, 18.04.2015
www.bv-lebensrecht.de/fachtagung
Ja zum Leben – für ein Europa
ohne Abtreibung und Euthanasie!
29
BÜC H ERFO RUM
B
ücher, die einzelne bioethische
Fragen behandeln oder gar einen Überblick über das immer
unübersichtlicher werdende Feld geben,
sind längst Legion. Nur
wenigen gelingt es, wie
Leuchttürme aus dem
Meer der übrigen Publikationen herauszuragen. Das von Norbert
Arnold im Auftrag der
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) herausgegebene und Anfang des Jahres im
Herder Verlag erschienene Werk »Biowissenschaften und Lebensschutz – Wissenschaft und Kirche im Dialog« ist eines
von ihnen. Es geht auf eine Tagung zurück,
zu der die KAS katholische Theologen und
Sozialwissenschaftler,
Philosophen, Juristen
und Biowissenschaftler versammelte. Gegliedert in fünf Teile
nimmt es zunächst die
»bioethische Agenda«
in den Blick. Ein zweiter Teil behandelt den
»Status des Embryos«,
bevor ein dritter die
»Forschung mit embryonalen Stammzellen«
beleuchtet. Der vierte
Teil des Buches beschäftigt sich mit dem weiten Feld »vorgeburtlicher Diagnostik«, bevor der letzte danach
fragt, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit der wissenschaftliche Fortschritt auch ein humaner
sein könne. Jedem Teil schickt der Herausgeber eine profunde Einführung voraus. Der studierte Biologe und Philosoph,
der in Gießen und Zürich als Molekularbiologe gearbeitet hat, bevor er zur KAS
wechselte, wo er heute das Team Gesellschaftspolitik leitet, verkörpert bis in seine Vita hinein das Anliegen des Buches,
das sich redlich um gegenseitige Wertschätzung und Verstehen der jeweils anderen Seite bemüht.
Ein schwieriges Unterfangen, wie einige der in diesem Buch versammelten Beiträge deutlich machen. So sieht sich etwa die Katholische Kirche, die die meisten Forschungs- und Anwendungsgebiete
der Biomedizin ablehnt – angefangen bei
der Abtreibung über die künstliche Befruchtung und die embryonale Stammzellforschung bis hin zum Klonen beim
Menschen sowie Eingriffen in die Keimbahn –, regelmäßig dem Vorwurf ausge-
setzt, sie verträte eine Sondermoral, die
nur jene binden könne, die auch ihr Credo teilten. Ein Irrtum, wie etwa der Beitrag von Eberhard Schockenhoff verdeutlicht. Zwar verpflichtet der Gedanke der Gottesebenbildlichkeit des Menschen
die Kirche in besonderer Weise öffentlich für
den Schutz des Lebens
einzutreten. Zu den gleichen Ergebnissen
kann aber auch kommen, wer sich bereitfindet, die Konsequenzen zu akzeptieren,
die sich aus dem, für Demokratien konstitutiven Gedanken der Menschenwürde ergeben. Denn konkret bedeutet »die Würde des Menschen anzuerkennen, jeden Menschen von Beginn an,
in jeder Form und bis
zu seinem Ende zu respektieren«. Aspekte der
Menschenwürde behandeln auch die Beiträge
des Philosophen Walter
Schweidler, des Theologen Stephan Ernst
und des Staatsrechtlers
Wolfram Höfling, wobei Letzterer die in Mode gekommene »Entkoppelungsthese« von
Menschenwürde und
Lebensschutz als unvereinbar mit dem Grundgesetz erweist. Der Sozialwissenschaftler Manfred Spieker zeigt in seinem Beitrag, wie
die misslungene Reform der rechtlichen
Regelung des Schwangerschaftsabbruchs
aus dem Abtreibungsstrafrecht ein vermeintliches Recht auf vorgeburtliche
Kindstötungen gemacht hat und wie sich
dies am Ende des Lebens bei der nun anstehenden rechtlichen Neuregelung der
Suizidhilfe zu wiederholen droht.
Besondere Beachtung in diesem jeden Cent werten Buch verdienen auch
die Beiträge der beiden Humangenetiker Hilger Ropers und Klaus Zerres. Zeigen sie doch nicht nur, welche Dynamik
der genetischen Diagnostik innewohnt,
sondern auch, wie schwierig sich eine
rechtliche Regulierung dieses boomenden Marktes ausnehmen würde.
Bioethischer
Dialog
30
Stefan Rehder
Norbert Arnold (Hrsg.): Biowissenschaften und Lebensschutz. Wissenschaft und Kirche im Dialog.
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2015. Gebunden.
302 Seiten. 24,99 EUR.
Im Schaufenster
Medizin zwischen
Markt und Moral
In dieser Studie zeigt
der Soziologe Fabian Karsch von der
Ludwig-Maximilians-Universität München, wie die wachsende »Medikalisierung der Gesellschaft«, die Gesundheit zu einem »Megatrend« erkoren hat, Ärzte in einen »Konflikt
zwischen Markt und Moral« treibt. Die Ausweitung der »Lifestyle-Medizin« stelle sie vor
die Entscheidung, »konträr zu ihrem tradierten humanistischen Selbstverständnis systematisch neue Erwerbsfelder« zu erschließen. Dabei zeigt der Autor, dass die Debatte über die Kommerzialisierung der Medizin
auch eine stabilisierende Funktion hat, die
das Selbstverständnis des Arztes als Heiler
stärkt und ihn gegen das neue Bild als Lifestyle-Dienstleister wappnet.
Fazit: Empfehlenswert.
reh
Fabian Karsch: Medizin zwischen Markt und
Moral. Zur Kommerzialisierung ärztlicher
Handlungsfelder. Transcript Verlag, Bielefeld 2015.
256 Seiten. 32,99 EUR.
Selbstbestimmung im Sterben
Das Buch zum Gesetzentwurf, den
vier Hochschullehrer im August vergangenen Jahres
in München vorgestellt haben (vgl. LF
Nr. 111, S. 4ff.), hat
nur 104 Seiten. Die aber haben es in sich. So
wohlklingend viele Formulierungen daherkommen, sie können alle nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier vier Gelehrte der Politik ungebeten nicht nur einen Paradigmenwechsel anraten, sondern ihr diesen auch gesetztechnisch angerichtet auf dem Silbertablett servieren. Das verlässt den Rahmen wissenschaftlich fundierter Politikberatung und
eröffnet ein neues Feld, das mit außerparlamentarischer Politikgestaltung nur unzureichend beschrieben ist.
Wer den Autoren des Buches nicht unterstellen mag, dass sie die Öffentlichkeit bewusst
LebensForum 113
über die Konsequenzen ihres Gesetzentwurfs
täuschen, kommt nicht umhin, ihnen zumindest eine Elfenbeinturmmentalität zu assistieren. Denn es ist völlig lebensfremd anzunehmen, die Einführung des ärztlich assistierten Suizids könnte Forderungen nach der Legalisierung der »Tötung auf Verlangen« zum
Verstummen bringen. Sie würde, ja muss sie
befördern. Denn Patienten, die so verzweifelt
sind, dass sie sich den Tod wünschen, werden Fragen wie die nach der »Tatherrschaft«
für juristische Feinheiten halten, um die man
sich ebenso wenig scheren müsse, wie dass
Abtreibungen in aller Regel »rechtswidrig«
sind und der Gesetzgeber hier lediglich unter
bestimmten Voraussetzungen auf Strafe verzichtet. So gut gemeint der unerbetene Vorschlag sein mag – er liefe letztlich darauf hinaus, die Ärzte die Last des Tötens ein weiteres Mal schultern zu lassen.
Fazit: Pflichtlektüre für Lebensrechtler, die
sich an der Debatte über »Sterbebegleitung«
beteiligen.
reh
Gian Domenico Borasio/Ralf Jox/Jochen Taupitz/Urban
Wiesing: Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben. Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids. Kohlhammer Verlag,
Stuttgart 2014. 104 Seiten. 12,99 EUR.
Familiengründung
mit Samenspende
Pro Jahr werden in
Deutschland etwa
1.000 Kinder nach
donogener Insemination geboren.
Die Autorin ist Therapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland sowie Vorstandsmitglied des Arbeitskreises donogene Insemination. Auch wenn der Leser hier also keine kritische Einstellung oder gar ablehnende
Haltung zu künstlicher Befruchtung sowie
zur gleichgeschlechtlichen Elternschaft erwarten kann, ist das Buch für Lebensrechtler
dennoch keineswegs uninteressant. Neben
Fakten zur Entwicklung der Samenspende
in Deutschland hellt das Buch auch ein Feld
auf, das bislang kaum erforscht ist: Nämlich
welchen Einfluss die Art der Zeugung auf die
Entwicklung der Kinder hat und wie sie darüber denken.
Fazit: Für kritische Leser.
san
Petra Thorn: Familiengründung mit Samenspende – Ein Ratgeber zu psychosozialen und rechtlichen Fragen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014.
180 Seiten. 29,90 EUR.
LebensForum 113
D
ieses Buch ist schwer erträglich. Weniger, weil der Autor
ein Verfechter des ärztlich assistierten Suizids ist, womit sich Lebensrechtler durchaus
auseinandersetzen
könnten, sondern
weil Uwe-Christian Arnold es dem kritischen Leser recht
schwermacht, seine Argumente ernst zu
nehmen. So wirft er etwa den Gegnern
des ärztlich assistierten Suizids gleich zu
Beginn vor, sie beschwörten »die fürchterlichsten Schreckensszenarien« herauf und verkündeten »als vermeintliche
›Prediger in der Wüste‹ bisweilen sogar
den ›Untergang des Abendlandes‹«, um
genau diesen Kammerton selbst anzuschlagen. Der Beleg hierzu findet sich nur eine
Buchseite weiter und
liest sich so: »Ich habe lange überlegt, ob
es sinnvoll ist, über das
heikle Thema ›Suizidbeihilfe‹ so offen zu berichten (...) Letztlich
habe ich mich dazu entschieden, weil ich hoffe, dass diese Herangehensweise einige von
Ihnen, meine verehrten
Leserinnen und Leser,
dazu ermutigt, sich aktiver für das Recht auf
Selbstbestimmung am
Lebensende einzusetzen (...) Andernfalls nämlich ist die Gefahr groß, dass Sie auf den letzten Metern Ihrer persönlichen Wegstrecke in
Bedrängnisse geraten, die Sie sich kaum
wünschen können.« Okay, hier wird nicht
mit dem ›Untergang des Abendlandes‹
gedroht. Aber wen interessiert das, wenn
stattdessen das eigene Schicksal derart
schwarzgemalt wird?
Auch scheint sich der Autor nicht entscheiden zu können, was er eigentlich will.
Und dies, obwohl er sich beim Verfassen
seines Buches der Mitarbeit des Philosophen und Geschäftsführers der GiordanoBruno-Stiftung (GBS), Michael SchmidtSalomon, versichert hat, in deren Beirat Arnold sitzt. (Dass sein mit »Letzte
Hilfe« überschriebenes Buch ausgerechnet den Titel trägt, unter dem auch die
Kampagne der GBS firmiert, mag Zufall sein, lädt aber zu Spekulationen darüber ein, wer hier Koch und wer Kellner
ist.) »Die Erfahrungen der letzten beiden
Jahrzehnte«, in denen Arnold rund 200
Menschen beim Suizid assistiert haben
will, hätten ihn überzeugt, »dass es auch
in Deutschland möglich sein sollte, dass
Ärzte ihre Patienten bei dem Wunsch unterstützten, friedlich und selbstbestimmt
aus dem Leben zu
scheiden, ohne dafür standesrechtliche Strafe in Kauf
nehmen zu müssen.« So weit, so klar,
könnte man meinen. Der Mann will, dass
Ärzte, die Suizidhilfe leisten, nicht ihre
Approbation verlieren. Nur ist es Arnold
selbst, der Zweifel an dieser Lesart schürt.
Denn an anderer Stelle wirft er Kollegen, die sich weigern, Patienten bei einem Suizid zu assistieren, nicht nur »unterlassene Hilfeleistung« vor und fordert,
Patienten sollten diese
»auf juristischem Wege« einklagen. Er verlangt sogar, dass Ärzte, die nicht bereit seien, Beihilfe zum Suizid zu leisten, nur auf
Gebieten praktizieren
sollten, auf denen sich
die Frage nicht stelle.
Nun ist der Verzicht auf Strafe für eine Tat, die nach Ansicht der Standesvertreter der Ärzte »keine ärztliche Aufgabe«
ist, etwas völlig anderes
als die Verpflichtung zu
gerade dieser. Ein derart grober »Kategorienfehler« muss nicht
nur Schmidt-Salomon beschämen, sondern auch Arnold selbst. Schließlich widmet der Arzt in seinem Buch ein ganzes
Kapitel einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts. Das hatte 2012 entschieden, die Berliner Ärztekammer sei
nicht befugt, Arnold zu verbieten, einer
Patientin eine todbringende Substanz zu
überlassen, da ein generelles Verbot der
Suizidbegleitung gegen dessen Recht auf
Gewissensfreiheit und Freiheit der Berufsausübung verstoße. Dass ausgerechnet der derart Begünstigte meint, nun
anderen dieses »Recht« absprechen zu
können, lässt sich, wenn überhaupt, nur
schwer erklären. Ganz sicher aber nicht
mit dem Verweis auf den gesunden Menschenverstand.
Großer Unfug
Stefan Rehder
Uwe-Christian Arnold: Letzte Hilfe. Ein Plädoyer
für das Selbstbestimmte Sterben. Verlag Rowohlt,
Reinbeck 2014. 240 Seiten. 18,95 EUR.
31
KURZ VO R SC H LU S S
Tops & Flops
»
In Dänemark wird seit 2005 allen Schwangeren angeboten, testen zu lassen, ob sie
ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen werden. Bereits im Folgejahr nahmen
84 Prozent das Angebot an. Die Zahl der in
Dänemark mit Down-Syndrom geborenen
Kinder hat sich seither halbiert.«
Die Abgeordneten Corinna Rüffer (Bündnis 90/
Die Grünen), Hubert Hüppe (CDU), Dagmar
Schmidt (SPD) und Katrin Vogler (Die Linke) in
einer Pressemitteilung anlässlich einer Kleinen
Anfrage an die Bundesregierung zu Bluttests,
mit denen ungeborene Kinder auf das DownSyndrom getestet werden
»
Das Designer-Baby zeichnet sich am Horizont ab. Das muss gesellschaftlich begriffen
und diskutiert werden.«
Gerd Weimer (SPD), Behindertenbeauftragter
des Landes Baden-Württemberg, gegenüber
»Spiegel online« zu den umstrittenen Gentests
während der Schwangerschaft
»
Es kann und darf nicht sein, dass Privatunternehmen die Schwangerenvorsorge in einen Absatzmarkt verwandeln, der politisch
und berufsrechtlich weitgehend unkontrolliert und so beschleunigt ist, dass keine Zeit
zum Nachdenken bleibt.«
Die Journalistin Erika Feyerabend im Deutschen
Ärzteblatt zum selben Thema
»
Dass in Österreich noch immer zwischen
wertem und unwertem Leben unterschieden wird, ist unerträglich. Die so genannte eugenische Indikation, nach der Kinder
mit Behinderung ohne Angabe von weiteren Gründen bis zum Tag der Geburt abgetrieben werden können, muss dringend gestrichen werden.«
»
Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich, anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages am 21. März
Der Fußballbundesligist FC
Bayern München hat am
Welt-Down-Syndrom-Tag
(21.3.) ein leuchtendes Zeichen für die Inklusion von Menschen mit
Down-Syndrom gesetzt. Vor dem Bundesligaheimspiel gegen Borussia Mönchengladbach liefen die Fußballprofis beider Mannschaften mit 24
Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen mit
Trisomie 21 in die
Allianz Arena ein.
Zuvor hatten sie sich noch mit den Spielern in den Katakomben unterhalten können. In der Halbzeitpause trat dann auch
noch der 16-jährige Michael Freudlsperger gegen Bayern-Ersatztorwart Tom
Starke zum Elfmeterschießen an. Der
begeisterte Hobbyfußballer, der Träger
des Down-Syndroms ist, verwandelte auf
dem Rasen des ausverkauften Stadions
dabei zwei von drei Versuchen. »DownSyndrom-Kinder sind wunderbare Menschen, voll mit Emotionen, Freude und
Liebenswürdigkeit. Wir möchten allen
zeigen, dass sie ein wichtiger und beschützenswerter Bestandteil unserer Gesellschaft sind«, sagte FCB-Kapitän Philipp Lahm zu der Aktion. Ligaweit stand
der 26. Spieltag unter dem Motto »Mach
einen Strich durch Vorurteile«. »LebensForum« meint: Eine sehr gelungene Aktion!
reh
JE SUIYSO
EMBR
JE SUIS EMBRYO
Der Popmusiker und Brillenfan Sir Elton John (67)
hat zum Boykott des italienischen Mode-Labels Dolche & Gabbana aufgerufen. Der Grund: In
einem Interview mit der Zeitschrift »Panorama« hatten die
italienischen Modedesigner Domenico
Dolche (56) und Stefano Gabbana (52),
wie Sir John bekennende Homosexuelle, danach gefragt,
warum sie keine Kinder hätten, unter an- Sir Elton John
derem erklärt: »Ein
Kind braucht eine Mutter und einen Vater. Ich kann mir meine Kindheit ohne
meine Mutter nicht vorstellen. Ich glaube auch, dass es grausam ist, einer Mutter
ihr Kind wegzunehmen.« Die Leihmutterschaft, die immer mehr Homosexuelle in Anspruch nehmen, um sich Kinderwünsche zu erfüllen, bezeichneten sie als
»Mieten von Gebärmüttern«. Sir John,
der mit Hilfe einer Leihmutter zwei Kinder in die Welt gesetzt hatte, schrieb daraufhin auf Instagram: »Eure archaische
Denkweise ist nicht zeitgemäß, genauso wie
eure Mode. Ich werde nie wieder Dolce &
Gabbana tragen«, und versah das Ganze
mit dem Hashtag #BoycottDolceGabbana. Wie gefährlich es ist, sich eine andere Meinung als die von Sir John zu leisten, sollen die Betreffenden offenbar auf
dem Konto spüren.
reh
JE SUIS EMBRYO
DAVID SHANKBONE
Expressis verbis
JE
EMBRSUIS
YO
JE SUIS EMBRYO
JE SUIS EMBRYO
Meine biologische Mutter hat für ihre
Dienste 10.000 Dollar bekommen. Ich war
am Boden zerstört.«
Die US-Amerikanerin Jessica Kern in ihrem Blog
»I am a product of surrogacy«
32
LebensForum 113
Aus der Bibliothek
Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten (1797)
§ 28
»Gleichwie aus der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, d. i. gegen die
Menschheit in seiner eigenen Person ein Recht
(ius personale) beider Geschlechter entsprang, sich
als Personen wechselseitig einander, auf dingliche Art, durch Ehe zu erwerben: so folgt, aus der
Zeugung in dieser Gemeinschaft, eine Pflicht
der Erhaltung und Versorgung in Absicht auf ihr
Erzeugnis, d. i. die Kinder, als Personen, haben
hiermit ein ursprünglichangebornes (nicht angeerbtes) Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern,
bis sie vermögend sind,
sich selbst zu erhalten;
und zwar durchs Gesetz (lege) unmittelbar, d. i. ohne dass ein besonderer rechtlicher Akt dazu erforderlich ist.
Denn da das Erzeugte eine Person ist,
und es unmöglich ist, sich von der Erzeugung eines mit Freiheit begabten Wesens durch eine physische Operation einen Begriff zu machen: so ist es eine in
praktischer Hinsicht ganz richtige und
notwendige Idee, den Akt der Zeugung
als einen solchen anzusehen, wodurch
wir eine Person ohne ihre Einwilligung
auf die Welt gesetzt und
eigenmächtig in sie herüber gebracht haben; für
welche Tat auf den Eltern
nun die Verbindlichkeit
haftet, sie so viel in ihren
Kräften ist, mit diesem
ihrem Zustand zufrieden
zu machen. – Sie können
ihr Kind nicht gleichsam
als ihr Gemächsel (denn
ein solches kann kein mit
Freiheit begabtes Wesen
sein) und als ihr Eigentum
zerstören oder es auch
nur dem Zufall überlassen, weil an ihm nicht
bloß ein Weltwesen, sondern auch ein Weltbürger in einem Zustand herüber zogen, der ihnen nun auch nach
Rechtsbegriffen nicht gleichgültig sein
kann.«
Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe in 12 Bänden, Band VIII. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Suhrkamp, Frankfurt a. Main (15. Aufl.)
2009. 582 Seiten. 18,00 EUR.
»Die Welt. Die von morgen« (25)
Die »Welt von morgen« ist in Aufruhr. Politiker_innen aller Herren_
Frauenländer fordern, die Universität
Oxford müsse dem Humangenetiker
Charlotte Detlev Gay mit sofortiger
Wirkung die Lehrerlaubnis entziehen.
Gay hatte in einem Interview mit dem
Deutschen Ärzte_innenblatt die These
vertreten, es gebe auch eine genetisch
bedingte Form der Homosexualität,
und erklärt, sein Start-up-Unternehmen wolle einen Gentest entwickeln,
mit dem Schwangere ihr ungeborenes
Kind auf das »Homo-Gen« testen lassen können sollen. Gay begründete sein
Vorhaben mit der Behauptung, Frauen
hätten ein Recht auf reproduktive Gesundheit. Dies schließe nicht nur ein,
LebensForum 113
selbst zu bestimmen, wann und wie viele
Kinder sie in die Welt setzten. Es umfasse auch das Recht, Kinder abzutreiben, wenn ihnen das Leben mit ihnen
unzumutbar erschiene. Die Aufzucht
und Erziehung eines Kindes, das voraussichtlich homosexuell veranlagt sei,
könne nicht jeder zugemutet werden.
Der Lesben- und Schwulenverband in
Deutschland (LSVD) forderte ein weltweites Berufsverbot für den Humangenetiker und erklärte, der geplante Gentest diskriminiere Lesben und Schwule auf der ganzen Welt und dürfe daher nicht zugelassen werden. Auch gebe es kein Recht auf ein heterosexuell
veranlagtes Kind.
Stefan Rehder
KURZ & BÜNDIG
BGH: Gericht kann Lesben
Adoption verweigern
Karlsruhe (ALfA). Einem Antrag auf eine
(Stiefkind-)Adoption durch die eingetragene
Lebenspartnerin der Kindsmutter darf nur
dann entsprochen werden, wenn dem leiblichen Vater zuvor die Möglichkeit gegeben
wurde, sich an dem Adoptionsverfahren zu
beteiligen. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH). In dem den Karlsruher
Richtern zur Entscheidung vorgelegten Fall
beantragte die Lebenspartnerin die Adoption eines von der leiblichen Mutter 2010
geborenen Kindes, legte aber nicht die vom
Gesetz vorgesehene Zustimmungserklärung
des leiblichen Vaters vor. Das Kind selbst
war mittels einer »privaten Samenspende«
gezeugt worden. Die Frauen gaben an, dass
ihnen der Samenspender zwar bekannt sei,
er sie jedoch aufgefordert hätte, ihn nicht zu
benennen. Daran fühlten sie sich gebunden.
Daraufhin lehnte das Amtsgericht den
Adoptionsantrag ab. Gegen die Entscheidung legte das lesbische Paar Beschwerde
beim Familiengericht ein, das diese jedoch
zurückwies. Zu Recht, wie der Zwölfte
Zivilsenat des BGH entschied (Az: XII ZB
473/13). Die Einwilligung des leiblichen
Vaters sei gesetzlich vorgeschrieben. Das
Familiengericht müsse sicherstellen, dass
dieser kein Interesse an der rechtlichen Vaterschaft habe, ehe es einem Adoptionsantrag stattgebe.
reh
Uruguay: Abtreibungen stiegen
um mehr als 20 Prozent
Tegucigalpa (ALfA). Zwei Jahre nach der
Legalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen
in Uruguay ist die Zahl der Abtreibungen in
dem südamerikanischen Land um mehr als
20 Prozent gegenüber 2013 gestiegen. Dies
gab die Regierung
von Präsident
Tabaré Vázquez
Ende März bekannt. Laut dem
Ministerium für
Gesundheit (MOH)
wurden 2014 in
Honduras 8.500
Abtreibungen
gemeldet. 2013
waren es 6.676.
Demnach führten
im vergangenen Jahr zwölf von 1.000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren eine Abtreibung durch. Im Jahr zuvor waren es neun
pro 1.000. »Damit liegen die Prozentsätze
unter dem internationalen Durchschnitt«, so
das Ministerium.
reh
33
LESERFO RUM
Spiegel vorgehalten
In Ihrem nahezu meisterhaften Editorial »Wir sind Embryo« hält Claudia Kaminski Europa und der Welt schonungslos den Spiegel vor. Gesellschaften, die
den Mord an der Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift »Charlie Hebdo« als illegitimen Angriff auf die westliche Freiheit, die millionenfachen Tötungen wehrloser Kinder im Mutterleib jedoch gleichsam als legitimen Ausdruck jener Freiheit betrachten, messen
mit zweierlei Maß.
Schon aus Gründen der Selbstachtung
sollten wir endlich damit beginnen, beides als Verbrechen zu betrachten, statt
wie jüngst eine Mehrheit des Europäischen Parlaments ein Menschenrecht
auf Abtreibung deklamieren zu wollen.
Vielen Dank für das
großartige Editorial
von Dr. Claudia
Kaminski, das
mir aus der Seele
spricht.
debatte des Deutschen Bundestags zur
Suizidbegleitung gelesen. Sollte sich unter
den 631 Bundestagsabgeordneten wirklich niemand finden, der einen Gesetzentwurf für ein umfassendes Verbot der
Beihilfe zur Selbsttötung vorlegt, wäre
dies meines Erachtens ein Armutszeugnis für das Parlament.
Außerdem frage ich mich: Wenn vier
Hochschullehrer einen Gesetzentwurf
zur Regelung eines ärztlich assistierten
Suizids vorlegen können (vgl. LF 111, S.
4ff.), warum lassen sich in Deutschland
dann nicht auch vier Professoren(innen)
finden, die einen Gesetzentwurf für ein
Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung erarbeiten?
Barbara Wienand, Bad Hersfeld
Dr. Michaela Prusko, Trier
nen, zumindest hierzu müsste längst alles gesagt sein. Ein Irrtum, wie ich jedoch viermal im Jahr dankbar feststelle. Besonders hilfreich fand ich außer
dem wieder einmal treffenden Editorial von Claudia Kaminski in dieser Ausgabe den Beitrag von Professor von Ritter über eine am hippokratischen Eid
Maß nehmende ärztliche Sterbebegleitung.
Roman Schneider, Düsseldorf
Armutszeugnis
Mit großem Interesse und viel Gewinn
habe ich Ihre kommentierende Wiedergabe der so genannten Orientierungs-
Ein wahrer Heiliger
Zum Beitrag »Frohbotschaft des Lebens« von Johannes Paul II. (LF Nr.
113, S. 22ff.): Es
ist beeindruckend,
wie klar und deutlich dieser heilige
Mann gegen Abtreibung Stellung
nahm und auch die
damals zukünftigen negativen
Entwicklungen in
der Forschung im
Blick und vor ih- Johannes Paul II.
nen gewarnt hatte
(...). Ein wahrer Heiliger eben.
Martin Saumer, Berlin
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Dr. Karl-Heinz Neubert, Saarbrücken
Neue Facetten
Ich beziehe »LebensForum« seit mehr
als zehn Jahren und bin immer jedes
Mal aufs Neue
verblüfft, wie es
Ihrer Zeitschrift
gelingt, selbst seit
Jahren virulente
Themen wie Abtreibung, künstliche Befruchtung
und Sterbehilfe
immer neue, bedenkenswerte Aspekte abzuringen.
Man könnte mei- Prof. von Ritter
34
LebensForum 113
IM PRESSUM
IMPRESSUM
LEBENSFORUM
Ausgabe Nr. 113, 1. Quartal 2015
ISSN 0945-4586
Verlag
Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07
www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected]
Herausgeber
Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)
Kooperation
Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle
z.H. Dr. med. Karl Renner
Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf
Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected]
www.aerzte-fuer-das-leben.de
Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V.
Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin
Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax
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Stefan Rehder, M.A.
Redaktion
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LebensForum Nr. 114 erscheint am 18.06.2015. Redaktionsschluss ist der 18.05.2015.
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LebensForum 113
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LET ZT E SEI T E
Vierlinge
mit 65
Künstliche Befruchtung einer
Berliner Grundschullehrerin
hält die Republik in Atem
Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt
Deutsche Post AG (DPAG)
Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg
Von Stefan Rehder
E
Zum Hintergrund: Für die künstliche
Befruchtung reiste die Berliner Grundschullehrerin immer wieder in die Ukraine. Ein Grund: Die Eizellspende, die Annegret R. aufgrund ihres Alters – neben der
Samenspende – benötigt, um überhaupt
noch schwanger werden zu können, ist in
Deutschland aus guten Gründen verboten.
Ob das auch in Zukunft so bleiben wird,
ist allerdings ungewiss. Denn Lobbyisten der Reproduktionsmedizin machen
seit Jahren mächtig Druck, um das zu ändern. Ein Grund: Sie
würden gerne selbst
das Geld verdienen,
das die ausländische
Konkurrenz mit Invitro-Fertilisationen
nach Eizellspende
macht.
Vierlinge, wie sie
Annegret R. jetzt erwartet, sind dabei
nicht vorgesehen.
Allerdings kommt
es gar nicht selten
vor, dass Frauen,
die mehrere erfolglose Behandlungen
hinter sich haben,
aufgrund der hohen
Hormondosen, die
sie erhalten haben,
wenn sie dann doch
schwanger werden,
statt eines Kindes
sogenannte Mehrlinge erwarten. In
So lässt sich die Mutter von Vierlingen bei RTL vermarkten
der Regel werden
diese jedoch anRechte an ihrer »Story« an einen TVschließend, wie es im Fachjargon der
Sender, den manche für das AushängeReproduktionsmediziner heißt, »reduschild des Unterschichtenfernsehens halziert«. Niemand weiß, ob und wie die
ten. Nun darf die Republik wochenlang
Geschwister die Tötung ihrer Brüder
um die Vierlinge bangen und hoffen, dass
und Schwestern im Mutterleib erleben,
alle vier das russische Roulette überleben,
die einzig und allein getötet werden, um
das mit ihnen gespielt wird, und sie mögdas Risiko einer Frühgeburt und die dalichst wenig Schädigungen davontragen.
bei zu erwartenden EntwicklungsverzöRTL
s ist geradezu makaber. Eine
65-jährige Berlinerin, die in ihrem Leben bereits 13 Kindern das
Leben geschenkt hat, ist mit Vierlingen
schwanger. Nicht aufgrund eines Wunders der Natur. Sondern diesmal dank
künstlicher Befruchtung, einer Technik,
die mehr Probleme schafft, als sie löst,
eigener Sturheit sowie verantwortungsloser Mediziner im Ausland.
Und als wäre das noch nicht genug,
verkaufte die 65-Jährige auch noch die
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gerungen oder gar Schädigungen für die
verbleibenden Kinder so gering wie möglich zu halten.
Auch die Vermeidung von Kosten
spielt eine Rolle. Denn die sogenannten
»Frühchen« benötigen teure Intensivmedizin, während die Geburt nur eines
Kindes billiger kommt.
Der »Fall« der Annegret R. macht besonders anschaulich, vor welch furchtbare Entscheidungen die künstliche Befruchtung Menschen stellen kann. Entscheiden sie sich wie Annegret R. gegen
die Reduktion, setzen sie das Leben aller Kinder aufs Spiel und erhöhen deren
Risiko, mit schweren Schädigungen geboren zu werden. Willigen sie dagegen
in den Fetozid ein, müssen sie die Verantwortung für die Tötung eines oder
mehrerer Kinder tragen.
Befürworter der künstlichen Befruchtung argumentieren gerne, dass sogenannte höhergradige Mehrlingsschwangerschaften auch bei natürlicher Zeugung
vorkommen und die Probleme dann die
gleichen wären. Dabei wird allerdings
nicht nur übersehen, dass Schwangerschaften mit drei und mehr Kindern bei
einer natürlichen Zeugung nur sehr selten vorkommen und dass eine 65-Jährige überhaupt nicht schwanger geworden
wäre, sondern auch, dass der Mensch Verantwortung für seine Handlungen trägt.
So käme ja auch niemand auf die Idee
zu fordern, das lebensgefährliche Werfen
von Dachziegeln auf Passanten müsse erlaubt sein, weil Stürme auch schon einmal Ziegel vom Dach fegten, die Passanten erschlügen.
Lebensrechtler werden den Vierlingen die Daumen drücken. Die christlichen unter ihnen werden sogar für sie
und ihre Mutter beten. Und doch kommt
man nicht umhin, den Kopf über die Verantwortungslosigkeit zu schütteln, welche Annegret R. und die sie behandelnden Reproduktionsmediziner an den Tag
gelegt haben.
LebensForum 113

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