- Verlag Systemische Medizin

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Regulation des Abwehr-Qi
Akupunkturbehandlung
von Schlafstörungen
– Regulation des Abwehr-Qi und Stärkung
von Gehirn und Rückenmark
Gao Xi-yan 高希言, Ren Shan 任珊 & Wang Pei-yu 王培育
Henan College o f Traditional Chinese Medicine, Zhengzhou,
Henan 450008, China
Schlafstörungen sind eine häufige Erkrankung und
entstehen aus Schlafmangel oder schlechter
Schlafqualität heraus. Der Patient wird seine Übermüdung nicht mehr los und kann körperliche Kraft
und Energie nicht regenerieren. Leichte Fälle von
Schlaflosigkeit zeichnen sich aus durch: Einschlafschwierigkeiten, ungenügende Schlaftiefe, Schlafen
mit intermittierenden Wachphasen und die Unfähigkeit wieder einschlafen zu können. Schwere Fälle leiden unter totaler Schlaflosigkeit die ganze Nacht.
Aufgrund fehlenden Schlafes und schlechter
Schlafqualität klagt der Patient tags auch über Mattigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen, Herzklopfen und Ruhelosigkeit. Die Autoren
haben in ihrer langjährigen klinischen Erfahrung bei
der Behandlung von Schlaflosigkeit sehr gute Erfolge
erzielt, indem sie mit Akupunktur das Abwehr-Qi reguliert haben, Gehirn gestärkt und den Geist beruhigt haben. Die therapeutische Wirksamkeit wurde
durch klinische Beobachtungen an verschiedenen
Zentren bestätigt.
Das Abwehr-Qi regulieren und Yin
und Yang ausbalancieren
Schlaflosigkeit kann verschiedene Ursachen haben
wie zum Beispiel nervöse Ängstlichkeit und Übermüdung, die innerlich Herz und Milz verletzen. Dadurch kann nicht genügend Blut hergestellt werden
und das Herz und der Geist werden nicht genügend
ernährt. Angst und Schrecken oder übermäßige sexuelle Aktivität beeinträchtigen die Niere und verursachen geistige Ruhelosigkeit aufgrund von HerzZTCM 1/2012
Feuer und eine schlechte Koordination zwischen
Herz und Niere. Auch eine schwache körperliche
Konstitution mit Herz- und Gallenblasen-Schwäche,
eine Depression mit aufsteigendem Leber-Yang und
eine Disharmonie zwischen Milz und Magen aufgrund von unregelmäßigen Mahlzeiten können die
Ursache sein. Alle aufgezählten Ätiologien und Pathologien können zu einer Dysfunktion des AbwehrQi und Unterernährung von Gehirn und Rückenmark führen und dadurch eine Schlaflosigkeit verursachen.
Das Abwehr-Qi erfüllt im Körper eine Schutzfunktion und ist Teil des „menschlichen Qi“. Die Zirkulation des Abwehr-Qi ist eine regelmäßige Aktivität des „menschlichen Qi“. Der Schlaf des Menschen
ist eng mit der Zirkulation des Abwehr-Qi verknüpft
und die Qiao-Leitbahnen stehen in direkter Beziehung zur Zirkulation des Abwehr-Qi. Im Lingshu
steht folgendes: Wenn das Abwehr-Qi tagsüber im
Yang-System zirkuliert, dann herrscht eine „YangQi- Fülle“ und auch Fülle in der Yangqiao-Leitbahn,
der Mensch sieht lebendig aus, hat funkelnde Augen
und keine Neigung zu schlafen. Wenn des Nachts
das Abwehr-Qi im Yin-System zirkuliert, dann ist
Yin-Qi in Fülle und die Yin-Qiao-Leitbahn ist gefüllt. Der Mensch sieht matt und schläfrig aus und
schließt seine Augen. Auch das Lingshu in seiner
Abhandlung über Kälte- und Hitzeerkrankungen
bestätigt uns, dass „ wenn das Yang-Qi in Fülle ist,
sich die Augen öffnen und, wenn das Yin-Qi in Fülle ist, sich die Augen schließen“. Ein Mensch im besten Alter besitzt normalerweise genügend Qi und
Blut, eine normale Zirkulation von Ying und Wei,
und hat folglich tagsüber genügend Energie zum Ar7
Internationale Artikel
beiten und einen tiefen Schlaf in der Nacht, sagt das
Lingshu. Alte Menschen, deren Ying und Wei schon
abnimmt, deren Zirkulation von Ying und Wei nicht
mehr gut ist, werden tagsüber an Mattigkeit und
nachts unter Schlaflosigkeit leiden (auch Lingshu).
Die obigen Aussagen belegen, dass die Yinqiao- und
Yangqiao-Leitbahnen eine sehr enge Beziehung zum
Schlaf haben.
Die Yangqiao-Leitbahn herrscht über Bewegung,
während die Yinqiao-Leitbahn über die Ruhe herrscht.
Durch die Yangqiao- und Yinqiao-Leitbahnen wirkt
das Abwehr-Qi in seiner mal erregenden und mal
hemmenden Funktion. Die Anpassungsfähigkeit des
menschlichen Körpers an die Außenwelt hängt von
der Funktion des Abwehr-Qi ab. Normalerweise ist
der Mensch tagsüber aktiv und schläft nachts. Folglich ‑ so besagt es das Lingshu in seiner Abhandlung
über das Große Rätsel ‑ zirkuliert das Abwehr-Qi im
Yin in der Nacht und im Yang am Tag. Die Yang-Leitbahnen beinhalten drei Leitbahnen, und der
Yangqiao-Meridian zweigt von der Taiyang-Leitbahn
des Fußes ab, während die Yin-Leitbahnen auch drei
Leitbahnen beinhalten und vom Shaoyin-Meridian
des Fußes abzweigen. Die am häufigsten verwendeten
Punkte dieser zwei Leitbahnen sind alle mit den Nieren verknüpft. Das Abwehr-Qi, das sich äußerlich
zeigt ist Yang-Qi, aber sein Ursprung liegt im NierenQi. Aus diesem Grund zirkuliert das Abwehr-Qi im
Yinqiao und Yangqiao und nimmt die Niere als Angelpunkt.
Gemäß der Abhandlung zur Zirkulation des Abwehr-Qi im Lingshu beginnt diese an den Augen
und breitet sich über die Yang-Leitbahnen von Händen und Füßen aus, zur Yang-Qiao Leitbahn (die
vom Fuß abzweigt) und zwar vom Kopf zu den Füßen und dann aufwärts zum Kopf, hauptsächlich
über den Fuß-Shaoyin- und den Yinqiao-Meridian.
Obige Aussage suggeriert, dass das Yang-Qi im
Oberen dominiert, während es im Unteren geringer
wird, während das Yin-Qi im Unteren dominiert
und im Oberen geringer wird. Die Yang-Qi-Zirkulation variiert sowohl tags und nachts als auch morgens und abends. Die Ling Shu-Abhandlung zur
Zirkulation des Qi während der Zeitperioden des
Tages besagt, dass „der Morgen dem Frühjahr entspricht, der Mittag dem Sommer, der späte Nachmittag dem Herbst und die Mitternacht dem Winter.“ Fülle und Abnahme des menschlichen Qi verändern sich mit den unterschiedlichen Tageszeiten.
Das Qi des Menschen entsteht am Morgen, wächst
zu Mittag, nimmt am Spätnachmittag ab und ruht
an Mitternacht. Die moderne Medizin hat bewiesen,
dass das Hormon-, Immun- und Gefäßsystem des
8
menschlichen Körpers alle physiologischen zirkadianen Rhythmen folgen. Zum Beispiel verändern
sich die Menge und Konzentration von Acetylcholin
und kortikalen Hormonen im menschlichen Körper
mit der Tageszeit. Die Wirkweise des Nieren-Qi auf
das Abwehr-Qi kann auf diese Weise verstanden
werden.
Während des Schlafes wird das Abwehr-Qi in den
fünf Zang- und sechs Fu-Organen auf bewahrt, was
dem Yang-Qi entspricht, das während dieser Zeit
untertaucht. Seine Schutzfunktion ist dann am geringsten, ganz im Gegenteil zu tagsüber, wenn der
Mensch klaren Kopfes einer Aktivität nachgeht. Aus
praktischen Gründen ist es wichtig, die physiologischen Phänomene des menschlichen Körpers zu erklären, basierend auf dem Verständnis von TagesYang und Nacht-Yin. Wenn das Abwehr-Qi im YangSystem verbleibt und nicht ins Yin eindringen kann,
treten Symptome auf, die auf eine Koordinationsstörung zwischen Herz und Niere verweisen, wie zum
Beispiel Ruhelosigkeit und Schlafstörungen. Oder es
tritt ein fiebriges Gefühl in den Handflächen und
Fußsohlen auf, weil die drei Yang-Leitbahnen der
Hand über das Zentrum der Handfläche ins Yin
übergehen und die drei Yang-Leitbahnen des Fußes
über das Zentrum der Fußsohle ins Yin übergehen,
hauptsächlich über die Shaoyin-Leitbahnen von
Hand und Fuß. Aufgrund der Koordinationsstörung
zwischen Herz und Niere und dem Aufflammen von
Herz-Feuer aufgrund von Nieren-Yin-Mangel kann
das Yang nicht untertauchen und es treten Symptome wie trockener Hals und Zunge, wackelige Zähne,
Tinnitus, rote Augen, Ruhelosigkeit und Schlafstörungen auf. Die Behandlung fußt auf der Differenzierung der Shaoyin-Leitbahnen von Hand und Fuß,
und zwar das Herz-, die Nieren- und die YinqiaoLeitbahn. Das Abwehr-Qi erreicht die Nieren vom
Fußzentrum aus entlang der Yinqiao- und Fuß-Shaoyin-Leitbahnen und gelangt hoch zum Auge entlang der Yinqiao- und Hand-Shaoyin-Leitbahnen.
Folglich koordiniert die Yinqiao-Leitbahn die Beziehung zwischen Herz und Nieren. Die Beziehung
zwischen der Yinqiao- und Yangqiao-Leitbahn und
der Zirkulation des Abwehr-Qi kann die verschiedenen Erscheinungen des ab- und zunehmenden Yin
und Yang in der Physiologie und Pathologie des
menschlichen Körpers erklären. Das Yin steigt auf,
während das Yang absinkt, jedes herrscht zu seiner
Zeit und stellt ein Gleichgewicht untereinander her,
aber verhilft auch Gehirn und Geist zum normalen
Zustand. Folglich haben Yinqiao- und YangqiaoLeitbahnen eine ganz bestimmte Wirkung auf die
Schlafregulation.
ZTCM 1/2012
Regulation des Abwehr-Qi
Im Lingshu ist beschrieben, dass bei einer Schlaflosigkeit aufgrund von Fülle im Yangqiao-Meridian
die Shaoyin-Leitbahn gestärkt werden sollte, weil
das Yang sonst nicht ins Yin eintauchen kann. Die
Taiyang-Leitbahn sollte dabei sedierend behandelt
werden. Wenn aber Schläfrigkeit aufgrund von
Fülle im Yinqiao-Meridian auftritt, dann sollte die
Shaoyin-Leitbahn sedierend behandelt werden und
die Taiyang-Leitbahn gestärkt werden. Genauer
ausgedrückt beziehen sich die Shaoyin- und Taiyang-Leitbahnen auf die zwei Punkte Zhaohai (Ni 6)
und Shenmai (Bl 62), die beide den Anfang von
Yinqiao- und Yangqiao-Leitbahn darstellen. Shenmai (Bl 62) gehört zur Blasen-Leitbahn des FußTaiyang, und verbindet sich mit der Yangqiao-Leitbahn; und Zhaohai (Ni 6) gehört zur Nieren-Leitbahn des Fuß-Shaoyin, und verbindet sich mit der
Yinqiao-Leitbahn. Die Kombination dieser zwei
Punkte kann eine Stärkung der Yinqiao-Leitbahn
bewirken und eine Mäßigung der Yangqiao-Leitbahn, sodass das Abwehr-Qi von Yin ins Yang
kommt, und einen friedlichen Schlaf fördern. In
Wangs Bericht werden 78 Fälle von Schlaflosigkeit
zufällig in eine Behandlungsgruppe (40 Fälle), und
eine Kontrollgruppe (38 Fälle) unterteilt.3 Die Behandlungsgruppe wurde an Zhaohai (Ni 6) stärkend
akupunktiert, während Shenmai (Bl 62) reduziert
wurde, in Kombination mit einigen symptomatischen Punkten. Die Kontrollgruppe wurde über
Akupunktur an symptomatischen Punkten behandelt. Die Ergebnisse zeigten, dass der Anteil der erfolgreich Behandelten in der Behandlungsgruppe
62,5% betrug, bei einer Gesamtwirkrate von 97,5%.
Die beiden Quoten der Kontrollgruppe waren 31,6%
und 68,4%. Im Vergleich zwischen den beiden
Gruppen
traten
signifikante
Unterschiede
auf(P<0.01). Die Ergebnisse lassen den Schluss zu,
dass Akupunktur an Zhaohai (Ni 6) und Shenmai
(Bl 62) zur Regulation des Abwehr-Qi eine sehr gute
therapeutische Wirksamkeit bei Schlaflosigkeit besitzt. Wang Ai-cheng et al. fanden heraus, dass
Akupunktur an Shenmai (Bl 62) hauptsächlich die
zerebralen Zonen des Randsystems aktiviert (Thalamus, Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampus),
Frontallappen, und Temporallappen.4 Während der
Manipulation der Nadel wurde die zerebrale Zone
der gegenüberliegenden Seite zuerst aktiv. Während
des Nadelverbleibs verteilte sich die Aktivität langsam bis sie beide Seiten bedeckte. Daraus schließen
wir, dass die aktivierten zerebralen Regionen eventuell eine gewisse Rolle bei der Behandlung von
Schlaflosigkeit und einigen geistigen Erkrankungen spielen, indem man Shenmai (Bl 62) nadelt.
ZTCM 1/2012
Klären der Du-Leitbahn und
Regenerieren des Rückenmarks,
Stärkung von Gehirn und Beruhigen
des Geistes
In der modernen Medizin herrscht die Meinung, dass
das Schlafzentrum im Gehirn liegt und eine Schlaflosigkeit auf eine Übererregung zurückzuführen ist,
die den zerebralen Kortex im angeregten Zustand
hält. Der Impuls, der vom Schlafzentrum kommt,
wird im Kortex gehemmt und es tritt Schlaflosigkeit
auf. Die nervlichen Zentren mit Bezug zum Schlaf
sind unter anderem der untere Teil des Frontallappens, des Nucleus tractus solitarii, der obere Nucleus
der Sehnervenkreuzung, der Locus Ceruleus, die Raphe-Kerne und die Hemmzone der medullaren Retikularstruktur und des aufsteigenden medullären Retikulärsystems. Wenn man die obengenannten nervlichen Zentren auf die Körperoberfläche projiziert,
sind alle in der Nähe des Verlaufs der Du-Leitbahn
gelegen, wobei die Tiefe mit dem Ort der zerebralen
Parietallappens korrespondiert. Indem man das Leitbahn-Qi reguliert, kann die Akupunktur die zerebrale Funktion verbessern, spontane elektrische Entladungen des zerebralen Kortex hemmen und die zerebralen Funktionen ausgleichen, um dadurch die
schlaffördernde Wirkung zu erzielen.5 Im Nanjing (难
经) steht, dass „die Du-Leitbahn vom Unterbauch aufsteigt, dann hinten entlang am Inneren des Rückenmarkes verläuft hinauf bis Fengfu (LG 16), wo sie ins
Gehirn eintritt.” Auch im Su Wen (素问) gibt es eine
Aussage über einen Ast der Du-Leitbahn, die ‚zum
Scheitel aufsteigt, wo sie in die Kollateralen des Gehirns eindringt‘, was auf eine starke Zugehörigkeit
und Verbindung zwischen der Du-Leitbahn und dem
Gehirn schließen lässt. Baihui (LG 20), der sich in der
Mitte des Scheitels befindet, wird auch San Yang Wu
Hui (der Kreuzungspunkt der drei Yang-Leitbahnen
und Fünf Leitbahnen), genannt, also der Kreuzungspunkt der Du-Leitbahn mit der Fuß-Taiyang-Leitbahn, der Hand-Shaoyang-Leitbahn, der Fuß-Shaoyang-Leitbahn, und der Fuß-Jueyin-Leitbahn. Es heißt
im Lingshu, dass ‚das Gehirn das Meer des Markes ist,
sein oberster Punkt ist am Scheitel und sein unterster
Punkt ist bei Fengfu (LG 16).‘ Der Scheitel bezieht
sich hierbei auf den Punkt Baihui (LG 20), was den
Schluss zulässt, dass Baihui (LG 20) eine vielfältige
Beziehung zu verschiedenen Teilen des gesamten
Körpers hat, besonders natürlich zum Rückenmark.6
Sishencong (EX-HN 1) ist ein Extrapunkt, der sich 1
cun anterior, posterior, links und rechts von Baihui
(LG 20) befindet, wobei die anterioren und posterio9
Internationale Artikel
ren Punkte auf der Du-Leitbahn liegen und der linke
und der rechte Punkt in der Nähe der Blasen-Leitbahn, welche sich mit den Nieren verbindet. Die DuLeitbahn geht durchs Rückenmark, gehört zu den
Nieren und geht durchs Herz hindurch. Das Qi in der
Du-Leitbahn geht durchs Haus der geistigen Aktivität, kann folglich Erkrankungen dort behandeln, um
den Geist zu beruhigen, die Intelligenz zu fördern,
das Gehirn zu stärken, den Geisteszustand zu regulieren, den Schlaf zu fördern, die Vitalkraft zu stärken und das Gedächtnis zu verbessern. Die Nadelung
von Baihui (LG 20) und Sishencong (EX-HN 1) kann
das Yin ins Yang führen und dem Abwehr-Qi helfen,
eine normale Zirkulation von Tag und Nacht herzustellen. Die normale Zirkulation am Tag und in der
Nacht, im Yin und im Yang, erreicht dann einen ausbalancierten Zustand und reguliert Schlaflosigkeit.
Abgesehen davon liegt der Punkt am Haus des Gehirns und stärkt das Yang-Qi, nährt das essentielle
Mark, nährt das Gehirn und beruhigt den Geist.
Bei der Nadelung von Baihui (LG 20) und Sishencong (EX-HN1) spürt der Patient normalerweise ein
Nadelgefühl über den gesamten Scheitel, was auch
schon formuliert wurde mit den Worten „als ob man
einen Hut aufhätte“. Ein sanft auftretendes Qi-Gefühl stellt das gewünschte Nadelgefühl dar, das im
Nei Jing (内经) „Ankommen des Qi“ genannt wird.
Ein gespanntes Nadelgefühl zeigt die Anwesenheit
von pathogenem Qi, und erfordert gewöhnlich eine
stärkende oder reduzierende Nadelstimulation, oder
ein Belassen der Nadel um das Qi in der Leitbahn zu
regulieren. Nach dem Herausziehen der Nadeln verspürt der Patient eine Erleichterung im Gehirn und
einen klaren Geist voller Kraft und Fröhlichkeit.
Auch die Moxibustion kann angewandt werden, um
das Nadelgefühl zu verstärken und die Wirksamkeit
zu verbessern. Wang et al. berichten über die Behandlung der Schlaflosigkeit in 50 Fällen durch den
Einsatz von durchdringender Nadelung von Sishencong (EX-HN 1) nach Baihui (LG 20) in Kombination
mit symptomatischen Punkten.7 Die Ergebnisse zeigen, dass 28 Fälle geheilt wurden, was 56% entspricht. In 12 Fällen gab es einen bemerkenswerten
Effekt, entsprechend 24%, in 9 Fällen gab es eine
Wirkung (18%), und in einem Fall keine Wirkung
(2%). Dies entspricht einer gesamteffektiven Wirkung von 98%, was schließen lässt, dass Sishencong
(EX-HN 1) und Baihui (LG 20) eine definitive Wirkung in der Behandlung von Schlaflosigkeit haben.
Chen et al. haben den Einfluss einer Nadelung an
Baihui (LG 20) an den BOLD-Signalen in den verschieden Arealen des Gehirns nachgewiesen.8 Während der Nadelung von Baihui (LG 20), wurde das
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Gehirn mit einem 1.5T Magnetresonanztomographen gescannt. Die Analyse der gewonnen Bilddaten
zeigt, dass eine Nadelung an Baihui (LG 20) zur Regulation der Gehirnfunktion in Verbindung steht
mit Signalveränderungen in verschiedenen Gehirnarealen. Dazu zählen der linke und rechte Gyrus superior, der rechte präzentrale Gyrus, der postzentrale Gyrus, der supramarginale Gyrus, der mittlere
Temporalgyrus, der dorsale Thalamus und der Nucleus caudatus.
Veranschaulichung
Fall 1: Eine Arbeiterin in Rente, 63 Jahre alt, kommt
zu ihrer ersten Konsultation am 7. März 2006. Die
Patientin berichtet, dass ihr Schlaf normal war, bis
sie kürzlich Ärger mit der Familie hatte und eine
ganze Nacht an Schlaflosigkeit litt. Auch drei Tabletten Diazepam halfen nicht. Ihr Gesichtsfarbe war
trüb, die Augenlider leicht geschwollen, sie war emotional aufgeregt, der Puls war drahtig und die Zunge
dünn-gelblich belegt.
TCM Diagnose: Eine Dysfunktion der Leber, die
das Qi nicht mehr frei fließen lassen kann, und eine
seelische Depression aufgrund von emotionalen Veränderungen, ausgelöst durch eine seelische Irritation.
Behandlungsprinzip: das Abwehr-Qi regulieren
und das Gehirn stärken, gleichzeitig Leber-Feuer sedieren um den Geist zu beruhigen.
Ausgewählte Punkte: Baihui (LG 20), Sishencong
(EX-HN 1), Shenmai (Bl 62), Zhaohai (Ni 6), Shenmen
(He 7), und Taichong (Le 3). Im Verlauf der Behandlung verblieben die Nadeln für zehn Minuten, wobei
die Patientin einschlief und zu schnarchen begann.
Sie schlief ungefähr fünf Stunden die erste Nacht danach.
Drei solche Behandlungen reichten zur Heilung.
Fall 2: Ein männlicher Parteikader, 52 Jahre alt, kam
zum ersten Mal am 5.11. 2005. Der Patient berichtete,
dass langanhaltende Belastung und Stress auf der
Arbeit zu einer seit mehr als 20 Jahren bestehenden
Schlaflosigkeit geführt hatten. Zum Einschlafen
braucht er jeden Abend Schlaftabletten. Morgens
beim Aufwachen leidet er an Schwindel und Schweregefühl im Kopf und Herzklopfen zusammen mit
einem Völlegefühl im Magen und Appetitlosigkeit.
Die Zunge ist blass, der Belag dünn und der Puls ist
fadenförmig und schwach.
TCM Diagnose: Übersteigerte nervöse Ängstlichkeit und ein Ungleichgewicht zwischen Arbeit und
Freizeit haben das Qi von Herz und Milz aufgeZTCM 1/2012
Regulation des Abwehr-Qi
braucht. Daraus entsteht ein Qi- und Blutmangel, der
das Herz nicht mehr nähren kann und Schlaflosigkeit
bedingt.
Behandlungsprinzipien: Regulation von AbwehrQi und Stärken des Gehirns, Nähren von Herz und
Beruhigen des Geistes.
Ausgewählte Punkte: Baihui (LG 20), Sishencong
(EX-HN1), Shenmai (Bl 62), Zhaohai (Ni 6), Shenmen
(He 7), Neiguan (Pe 6), und Zusanli (Ma 36). Vor der
Behandlung wurde ein Rheoenzephalogram angefertigt, wobei der systolische Spitzenwert im Blutfluss
bei 26,9 cm/s lag.
Nach 30 Akupunkturbehandlungen an den obengenannten Punkten konnte der Patient seine Schlaftabletten absetzen. Es wurden weitere 20 Behandlungen zur Konsolidierung durchgeführt. Nach insgesamt 50 Akupunkturbehandlungen waren alle
Symptome verschwunden. Das Rheoenzephalogram
zeigte eine Blutflussrate von 62,5 cm/s.
Kommentar
Schlaf spielt eine wichtige Rolle im Leben des Menschen, macht er doch 1/3 der täglichen Aktivität aus
und hält den Körper gesund. Einhergehend mit der
heutigen Beschleunigung unserer Lebensrhythmen
und wachsendem psychologischem Druck werden
Schlafprobleme zu einem großen Problem, das die
Gesundheit von Körper und Geist entscheidend beeinträchtigt. Die Behandlung der Schlaflosigkeit
bleibt meist auf der Ebene der synthetischen Sedativa
und Hypnotika stecken. Sie führen leicht zu einer
Medikamentenresistenz, Abhängigkeit und Verzicht.
Es gibt viele alte chinesische Texte, aber auch moderne Berichte aus der Klinik, die folgern lassen, dass
eine Akupunkturbehandlung bei Schlaflosigkeit verschiedene Vorteile hat: deutlich sichtbare Wirksamkeit, einfache Anwendung, sichere und verlässliche
Durchführung und eine gute Patientenakzeptanz.9
Die Akupunktur ist eine effektive Methode zur Regulierung des Abwehr-Qi und Stärkung des Gehirns um
Schlaflosigkeit zu behandeln. Dies wurde bewiesen
durch klinische Forschungsarbeiten unter Beachtung
der acht Extra-Leitbahnen-Theorie und den Erfahrungen der alten und modernen TCM-Ärzte. Die Methode bringt stabile Erfolge und ist zudem sicher und
verläßlich.1
Bei der Anwendung dieser Methode sollten wir
auch der Auswahl von Zusatzpunkten Aufmerksam-
ZTCM 1/2012
keit schenken. Zum Beispiel bei Schlaflosigkeit mit
Herz- und Milz-Mangel sollten Xinshu (Bl 15) und
Pishu (Bl 20) hinzugefügt werden, um Herz und Milz
zu tonisieren. Bei Patienten mit einer Koordinationsstörung zwischen Herz und Nieren werden die Punkte
Xinshu (Bl 15) und Taixi (Ni 3) hinzugefügt, um Wasser (Nieren) und Feuer (Herz) auszugleichen. Bei Patienten mit aufsteigendem Leber-Yang wird Taichong
(Le 3) hinzugefügt, um die beeinträchtige Leber zu
besänftigen. Bei Patienten mit einer Disharmonie
zwischen Milz und Magen wird Zusanli (ST 36) hinzugefügt, um den Magen zu regulieren und den Mittleren Erwärmer zu beruhigen. Falls nötig, können
auch zusätzlich Ohrnadelung, Tuina und chinesische
Arzneimitteltherapie zum Einsatz kommen. Während
der Behandlung wird den Patienten geraten, eine
gute geistige Verfassung anzustreben, sich gut zu ernähren, Tee oder Kaffee vor dem Schlafengehen zu
meiden, regelmäßig Sport zu treiben, Arbeit und
Freizeit ins Gleichgewicht zu bringen und gute Lebensgewohnheiten auszubilden.
Anmerkungen
1. Gao XY, Wei YL, Shao SJ, et al. Multi-center clinical researches on the
acupuncture treatment of insomnia based on the principle of regulating defensive-qi and strengthening the brain. Chin Acupunct Moxib
2007; 27: 134-135.
2. Zhang PL, Gao XY, Wei YL, et al. Multi-center random contrast research on the acupuncture treatment of insomnia by needling at Sishencong (EX-HN1). J Tradit Chin Med 2008; 712-714.
3. Wang SG. Clinical observation on the treatment of insomnia by needling mainly at Zhaohai (KI 6) and Shenmai (BL 62). Chin Acupunct
Moxib 2005; 25: 771-772.
4. Wang AC, Wang YL, Jiang T, et al. Study on the image of fMRI on
cerebral function by acupuncture at Shenmai (BL 62). J Acupunct Research 2005; 30: 43-47.
5. Zhao ZX. Science of Clinical Somnipathy. Shanghai: The Second Military College Press; 2003: 12.
6. Gao XY, Chen YA, Xu JY. Re-understanding on the theory of the eight
extra channels. J Chin Med 2002; 17: 111-112.
7. Wang H, Zhao R. Penetrating needling from Sishencong (EX-HN1) to
Baihui (GV 20) in the treatment of insomnia for 50 cases. China Science and Technology of Traditional Chinese Medicine 2005; 12: 64.
8. C
hen HD, Yin GL, Jiang B, et al. Study on the influence of acupuncture
at Baihui (GV 20) on the cerebral function by means of fMRI. J Zhejiang Univ Tradit Chin Med 2006; 30: 656-659.
9. Zheng T. Development of clinical researches on acupuncture treatment of insomnia in recent 5 years. J Acupunt Clinic 2005; 21: 64-66.
Der Artikel erschien zuerst im Journal of Traditional Chinese Medicine
3/2010. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung.
Übersetzung ins Deutsche von Julia Kaiser.
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