Mecki wird 60

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Mecki wird 60
Mecki wird 60 –
Herzlichen Glückwunsch!
Unvorstellbar, aber es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der es keine Fernseher gab, und
diese Zeit liegt noch gar nicht so lange zurück. Jedenfalls nicht aus meiner Perspektive.
Damals sammelte sich die Familie an den Abenden in der guten Stube, machte die eine
oder andere Handarbeit, womöglich unterhielt man sich sogar, und manchmal saß man
auch stumm um das einzige gemeinsame Radio und lauschte gebannt Sendungen wie
DDiicckkii DDiicckk DDiicckkeennss oder GGeessttaatttteenn,, m
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mee iisstt CCooxx. Um ja keine Folge zu versäumen,
wurde regelmäßig eine Radiozeitung gekauft. Die Auswahl war damals nicht groß, und
unsere Familie entschied sich für die HörZu. Die erschien immer, wenn ich mich recht erinnere, zum Wochenende, und ich durfte in das kleine Geschäft an der Ecke gehen und sie
holen – heiß ersehnt, denn diese Zeitschrift hatte eine Seite, die auch ziemlich verständlich war, wenn man noch nicht lesen konnte: die Seite mit Mecki und Micki und dem
Schrat (seinetwegen wünschte ich mir eine echte Schlaf-Mütze) und manchmal auch mit
Charly Pinguin, obwohl der damals keine so große Rolle spielte, und all den vielen anderen liebenswerten Wesen, von denen es immer mehr gab.
Mecki war fester Bestandteil einer Kindheit in den fünfziger Jahren. Gleichzeitig waren es
die ersten Comics, die man kannte, und es dauerte nicht lange, da wurde er in einem beispiellosen Aufstieg zur stacheligen Kultfigur. Zugrunde lag dieser Figur eine Igelpuppe der
Firma Diehl, die 1949 bereits zum Maskottchen wurde, doch sogar schon vor dem Krieg
gab es schwarzweiße, später farbige Bildpostkarten, die Mecki und Micki zeigten, eine
rundliche, gemütliche und vor allem häusliche Igelfrau, immer im Hintergrund als gutmütige Hausfrau und liebenswerte Ehefrau Meckis, wie es dem Frauenideal der 1950er Jahre
entsprach.
Erzählt wurden die Geschichten von Eduard Rhein, von 1946–
1965 Chefredakteur bei der HörZu. Er gab dem Igel aus dem
Film „Wettlauf zwischen Hase und Igel“ den Namen Mecki und
bald entwickelte sich das putzige Tier zum wirklichen Redaktionsmaskottchen und Redaktionsigel. In Heft 43 im Jahr 1949
erschien Mecki auf der Titelseite, und bald wurde sein „Vater“
gefunden: Ferdinand Diehl, der die Rechte an dieser Figur nachweisen konnte. Und er nutzte sie: Bald erteilte er die Lizenz zu
einer Meckipuppe an die weltbekannte Firma Steiff. 1951 wurde
nicht nur ich geboren, sondern auch die erste Meckipuppe von
Steiff auf den Markt gebracht. Bald sollte sie von hier aus in die
ganze Welt wandern.
© Mit freundlicher Genehmigung der Firma Steiff
Anfangs erschienen kleine abgeschlossene Geschichtchen,
eine Seite lang, bei denen die kurzen Texte – wie im Bilderbuch – in die Bilder integriert waren; es gab keine Sprechblasen, wie sonst bei Comics so oft üblich. Allmählich entwickelten sich etwas längere
Geschichten, und Heft 43/1953 war der Beginn einer umfangreichen Fortsetzungsgeschichte über Mecki und die Welt des Zirkus. Die Texte standen nun unterhalb der Bilder, und diese Form wurde bis Ende 1969 beibehalten. Von Nummer 2/1956 an gab es nur
noch Fortsetzungsgeschichten, die sich teilweise über ein halbes Jahr erstreckten, und im
gleichen Jahr erschien Mecki erstmals in Farbe – eine kleine Sensation für uns alle, die wir
den wöchentlichen Erlebnissen entgegenfieberten. Wir waren nicht verwöhnt.
Neben den Seiten in der HörZu erschienen schon früh Bücher mit Meckis Abenteuern, die
später immer wieder neu verlegt wurden und längst unter die Kinderbuch-Klassiker einzureihen sind. Eine der schönsten Ausgaben hat 2007 im Esslinger Verlag begonnen:
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Durch Reinhold Escher und Prof. Wilhelm Petersen hatten die Geschichten von Mecki eine
einmalige Umsetzung erfahren. Reinhold Escher (1905–1994) darf man mit Recht als Pressezeichner betiteln. Er arbeitete als Illustrator bei Zeitungen und Zeitschriften, schrieb
und illustrierte kleine Tiergeschichten und lieferte der Deutschen Wehrmacht launige Bilder.
© Mit freundlicher Genehmigung der Firma Steiff
Eduard Rhein, der 1993 im Alter von 92 Jahren starb,
bewies ein besonderes Händchen für die zeichnerische
Umsetzung des Diehl-Igels. Ihm ist zu verdanken, dass die
genialen Zeichner Reinhold Escher und Prof. Wilhelm
Petersen mit der bildnerischen Realisierung beauftragt
wurden und den vermutlich erfolgreichsten deutschen
Comic aller Zeiten schufen. Ab Heft 38/1951 war Mecki
fester Bestandteil von HörZu, sein Bild fand sich bald auf
allen möglichen Werbeartikeln für die Radiozeitschrift,
und durch die von Steiff auf den Markt gebrachten
Figuren wuchs seine Beliebtheit ins Unendliche.
Nach dem Krieg illustrierte er einige Kinderbücher und Witzseiten, bis er 1948 eine Anstellung beim Axel Springer Verlag erhielt, wo er ein Jahr später bei der HörZu das Redaktionsmaskottchen Mecki kreierte. Es sollte ihn 25 Jahre lang begleiten. 1952 entstand sein
erstes Buch dazu, M
Meecckkii iim
m SScchhllaarraaffffeennllaanndd.
In den 1920er Jahren hatte Eduard Rhein den Zeichner Wilhelm Petersen kennengelernt.
Für seine Bilder im Stil alter niederländischer Meister wurde diesem 1938 der Titel eines
Professors verliehen; nach dem Krieg hatte er es aufgrund politischer Tendenzen schwer,
eine Anstellung zu finden, und Rhein ermöglichte es ihm, bei der HörZu als Illustrator zu
arbeiten. Ab Band 2, M
Meecckkii bbeeii ddeenn 77 ZZw
weerrggeenn, übernahm Petersen von Escher die Gestaltung der eigenständigen Bilderbücher, und ab Ende der fünfziger Jahre wechselten sich
die beiden in unregelmäßigem Rhythmus auch in der Zeichnung der Meckiseite ab: In Heft
33/1958 erschien Petersens erste Geschichte. Ab 1964 kamen weitere Zeichner hinzu, und
Ende 1969 wurde Mecki modernisiert und Opfer des typischen Zeitgeschmacks. Darüber
zu reden lohnt sich nicht.
In den oben aufgeführten Bänden aus dem Esslinger Verlag liegen nun die ersten beiden
Bände der Meckigeschichten vor (ursprünglich erschienen 1952 und 1953), sein „erster
(und zweiter) märchenhafter Reisebericht, aufgeschrieben von ihm
selbst“, und dieser nimmt den Leser mit auf eine Reise in das bekannte Schlaraffenland und zu den
Sieben Zwergen. Beide Bücher
gliedern sich in Kapitel von jeweils
einer Aufschlagseite, deren rechte
Seite von einer großflächigen
Zeichnung eingenommen wird, die linke von dem abgeschlossenen Abenteuer innerhalb
der Geschichte, und sie alle beginnen mit „Wie ...“: „Wie wir Schneewittchen kennenlernten“, „Wie ich der reichste Mann der Welt werden sollte“, „Wie ich die dummen Hasen
überlistete“.
Es sind in der Tat märchenhafte Reiseberichte von dem liebenswerten, immer gut gelaunten und nie um eine Lösung verlegenen Mecki, und der Leser darf sich von Anfang an in
der beruhigenden Gewissheit wiegen, dass die spannende, abenteuerliche Geschichte ein
gutes Ende haben wird. Keiner würde heute mehr solche Kinderbücher neu schreiben:
Bücher ohne jede Problematik, in einer Rollenverteilung, wie sie der Zeit entsprach, und
doch zeigt allein die Tatsache, dass Band 1 der Neuauflage bereits ein knappes Jahr nach
Erscheinen 2007 in einer zweiten Auflage gedruckt werden musste, wie beliebt auch heute die Geschichten sind – vielleicht in erster Linie von leicht wehmütigen Erwachsenen,
die sich der eigenen Kindheit erinnern, aber sicherlich auch von so manchem Kind, das
diese heile Welt genießen wird: Hier gibt es keine kaputten zerrütteten Familien, keine
Alkohol- und Drogenprobleme, hier wird niemand gemobbt und niemand ist einsam – wie
im Märchen, in der Tat. Und doch sind die Geschichten auch voller Abenteuer und Spannung, man darf mit Mecki und seinen Freunden bangen.
Am schönsten sind die Geschichten, wenn man sie vorgelesen bekommt, und dafür sind
sie in den vorliegenden Bilderbüchern auch gedacht. Der kleine Zuhörer hat derweil Zeit
genug, die farbenfrohen Bilder zu betrachten, die so gar nicht altertümlich wirken.
Sie sind eine wahre Fundgrube für den Betrachter, diese Bilder, erzählen nicht nur die
Geschichte ohne Worte, sondern bieten viele zusätzliche Einzelheiten, in denen sich die
Fantasie der Schaffenden so richtig entfalten konnte, und gerade diese Details sind oft so
viel schöner und witziger und warmherziger, als der Text es zu schildern vermag. Natürlich steht immer Mecki im Mittelpunkt, der auch die Geschichten in Ichform erzählt.
Das Schöne an diesen Geschichten: Sie sind gar nicht nur für Kinder geschrieben, dem
Erwachsenen erschließt sich oftmals eine ganz andere zusätzliche Ebene, etwa wenn –
wie in der Geschichte von den Sieben Zwergen – die lustige dottergelbe Ente eine Rolle
spielt: „Ich war nämlich früher die beliebte und in aller Welt bekannte Zeitungsente. Ich
sprang immer ein, wenn irgendwo in einer Zeitung oder Zeitschrift eine nette und interessante Nachricht fehlte oder wenn die Redakteure nicht wussten, wie sie einen leeren Zeitungsfleck füllen sollten. Dann plauderte ich lustig und amüsant drauf los wie früher der
große Münchhausen, und die Leser hatten ihre Freude daran.“
Aber eines Tages musste die Ente gehen, weil sie nicht mehr modern war. Ein Schicksal,
das in gewisser Weise auch Mecki teilte, auch wenn er weiterlebt. Doch er ist nicht mehr
das, was er mal war. Aber das ist unsere Zeit auch nicht.
Astrid van Nahl
Die Mecki-Familie – Mecki und Micki, Macki und Mucki –
gibt es in unterschiedlicher Größe bei Steiff
www.steiff.de

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