Im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie ist Korruption
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Im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie ist Korruption
12 Titelthema Sind überlastete Ärzte mit mäßigen Verdiensten anfällig für versteckte Formen der Korruption? Übersehen sie „häufig die Fallen der Korruption“, wie es die Geschäftsführerin der Berliner Kaiserin-Friedrich-Stiftung, Gisela Albrecht, kürzlich formulierte? Im Rahmen des 41. Symposiums für Ärzte und Juristen der Stiftung brachte sie auf den Punkt, worüber immer wieder heftig gestritten wird: Die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie, Kooperationsverträge mit Apotheken und naheliegenden Krankenhäusern, welche die Entscheidungsfreiheit von Ärzten einengen und darüber hinaus auch Gefahren der Korruption bergen. Das Titelthema fasst einige Aussagen des Symposiums von Ärzten und Juristen zusammen und wirft auch einen Blick in die kürzlich stattgefundene Anhörung des Bundestagsgesundheitsausschusses zum Thema „Korruption im Gesundheitswesen“. Der Hintergrund ist ein Gesetzesantrag der SPD-Bundestagsfraktion, mit dem ein eigener Korruptionsstraftatbestand für niedergelassene Ärzte geschaffen werden soll. KVBlatt 05.2012 Titelthema KVBlatt 05.2012 41. Symposium für Ärzte und Juristen Foto: da vinci design GmbH Im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie ist Korruption nicht weit „Ärztliche Entscheidungsfreiheit wird im Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie immer weiter eingeschränkt“, glaubt die Geschäftsführerin der Berliner Kaiserin-Friedrich-Stiftung, Gisela Albrecht. Die frühere ärztliche Direktorin der Dermatologischen Klinik im Spandauer Vivantes-Krankenhaus erntete auf dem 41. Symposium für Ärzte und Juristen viel Beifall für ihre Feststellung, dass Ärzte „gerade in der Situation einer Überlastung und auch mäßiger Verdienste auf der Suche nach Auswegen häufig die Fallen der Korruption übersehen“. Gefahren der versteckten Korruption aufzuzeigen und dafür zu sensibilisieren hatte sich die Kaiserin-Friedrich-Stiftung mit ihrem diesjährigen Symposium Ende Februar vorgenommen. Korruption in der Medizin lässt sich nach Meinung des Arztes und Theo logen Professor Eckard Nagel (Uni klinik Essen) nicht auf ein verkürztes monetäres Spannungsfeld reduzie ren. Für ihn sind „Gefahren der Korrup tion“ bereits im Widerspruch zwischen „ökonomischer Rationalität und ärzt lichem Behandlungsauftrag“ ange legt. So zieht für ihn die Bestimmung im SGB, dass Leistungen ausreichend, zweckmäßig und vor allem wirtschaft lich erbracht werden müssten, das Kon fliktfeld der Regressforderungen bei Arzneimittelrichtgrößenüberschreitung nach sich. Auch erschwerten Regelleis tungsvolumen eine freie Therapieent scheidung des Arztes. Seine Schluss folgerung: Konstruktive Elemente des Behandlungsauftrags, die sich aus der ArztPatientenBeziehung, aus dem Recht auf freie Arztwahl, aus der Ent scheidungsfreiheit des Arztes und aus der Therapiefreiheit ergeben, müssten gegen „ökonomische Zwänge, zum Bei spiel durch Abhängigkeit des Einkom mens von wirtschaftlicher Performance, und eine gegensteuernde Regulierung, z. B. bei Regressforderungen (…), ver teidigt werden“. Nagel gehört dem Deutschen Ethikrat und auch dem Prä sidiumsvorstand des Deutschen Evan gelischen Kirchentages an. Unterstützung erhielt Nagel durch den Juristen Professor Jochen Taupitz, der in seinem Vortrag Budgetierungen und Honorarverteilungsmechanis men ebenso wie „knebelnde Selektiv verträge“ oder ökonomische Anreize der Pharmaindustrie zu den „Gefähr dungen der ärztlichen Entscheidungs freiheit“ rechnet. Aus rechtlicher Sicht subsummiert er hierunter aber auch eine „Defensivmedizin zur Vermeidung von Strafbarkeit und Haftung“ sowie Bürokratie und Dokumentation. Gleich wohl will er andererseits auch das ärzt liche Berufsethos bzw. die Berufung auf das individuelle Gewissen unter dem Aspekt der Gefährdung ärztlicher Thera piefreiheit diskutiert wissen: „Immerhin setzen auch sie der Freiheit Grenzen!“ Also müsse man fragen, welche Gren zen oder Einschränkungen sachgerecht seien und wem sie nützten. 13 14 Titelthema KVBlatt 05.2012 Kaiserin-Friedrich-Stiftung Fortsetzung von Seite 13 Freiheit vom Recht und Schutz im Recht? Taupitz, er ist Geschäftsführender Direk tor des Instituts für deutsches, euro päisches und internationales Medizin recht in Mannheim, verweist auch auf den „ewigen Spagat“ zwischen Hand lungsfreiheit und Rechtssicherheit. Ärzte verlangten einerseits Freiheit vom Recht, andererseits aber auch Schutz im Recht. So mancher Konflikt spiele sich in rechtlichen Grauzonen ab. Rechtliche Grauzonen sind für ihn allerdings nicht per se schon etwas Schlechtes. Viel mehr könnte sich in ihnen das Recht weiterentwickeln, indem es beispiels weise einer geänderten Praxis folge und ihr rechtliche Anerkennung zukom men lasse. Schließlich legte Taupitz seinen Zuhö rern ans Herz, auch über Selbstgefähr dungen der Ärzteschaft nachzuden ken. So seien rigidere Gesetze oder Einschränkungen der ärztlichen Ent Die Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen besteht seit über 100 Jahren; seit 1903 als Stiftung. Kuratorium: Vorsitzender des Vorstands: Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Karsten Vilmar, Geschäftsführerin: Dr. med. Gisela Albrecht Hauptzweck der Stiftung ist die ärztliche Fortbildung. Das „Symposium für Ärzte und Juristen“ wurde in diesem Jahr zum 41. Mal veranstaltet. Daneben bietet die Stiftung auch zahlreiche andere Fortbildungen, Diskussionsveranstaltungen und Kurse an, darunter r Wiedereinstiegskurs für Ärztinnen und Ärzte nach einem berufsfreien Intervall r Das deutsche Gesundheitssystem für ausländische Ärzte sowie r Klinische Fortbildungen für verschiedene Arztgruppen Fragen beantwortet c.schroeter@kaiserinfriedrichstiftung.de Im Internet gibt es Informationen unter www.kaiserin-friedrich-stiftung.de noch immer gäbe es keine entspre chende Bestimmung in der Muster berufsordnung. Das Wohl des Patienten, die Wissenschaft und das Ethos Ärztliche Entscheidungsfreiheit zwi schen Medizin und Ökonomie – wie facettenreich dieses Thema ist, doku „Ärzte, die am Verkauf der medizinischen Leistung gut verdienen, sind an den geweckten Begehrlichkeiten nicht ganz unbeteiligt. Für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist das fatal.“ (Prof. Lothar Weißbach) scheidungsfreiheit „oft Reaktionen auf Fehlverhalten oder Skandale“. Folglich müssten die „Ärzte alles daran set zen, dass Fehlverhalten vermieden wird oder in den eigenen Reihen geklärt und verfolgt wird.“ Sonst verliere „das Prinzip der ärztlichen oder kassenärzt lichen Selbstverwaltung seine Berech tigung“. „Warum“, so fragt er, „gibt es keine standesrechtliche Pflicht, den Ver dacht auf ärztliches Fehlverhalten bei der Ärztekammer anzuzeigen?“ So sei die Hamburger Bürgerschaft in dieser Frage bereits 1984 vorgeprescht, aber mentiert die Zusammenfassung des Vortrags von Professor Lothar Weiß bach, Mediziner und Wissenschaft licher Vorstand der Stiftung Männer gesundheit in Berlin. Er glaubt, dass „das Urvertrauen des Patienten in den Altruismus des Arztes, dieses ganz besondere schützenswerte Arzt PatientenVerhältnis, von vielen Seiten korrumpiert (wird)“. Die Diskrepanz zwischen dem suggerierten Anspruch auf maximale Versorgung einerseits und der in medizinischer Hinsicht besten Versorgung andererseits bringe den Arzt in ein Dilemma: „Wenn er seinem ethischen Auftrag gemäß zum Wohle des Patienten handeln will – nach den Prinzipien der evidenzbasierten Medi zin – muss er die Erwartungen des Patienten häufig enttäuschen. Erwiese nermaßen“, so Weißbach, „ist der Ver zicht auf Intervention häufig die bessere medizinische Entscheidung.“ Als Beispiele nennt Weißbachs Manu skript Prostatakrebs mit geringem Risiko, der besser überwacht als ope riert würde, oder akute Kreuzschmerzen, bei denen bildgebende Verfahren zur Diagnostik nichts nützen, wohl aber schaden könnten. Beim Patienten könne dies den Eindruck erwecken, ihm würde etwas vorenthalten. Weiß bach weiter: „Der Arzt geht den Weg des geringeren Widerstandes, wenn er die Ansprüche bedient und sogar noch mehrt. Der Patient bekommt, was er meint zu brauchen, und der Arzt ver dient dabei. Und wo die Kasse nicht zahlt, wird geIgelt.“ Vordergründig seien beide Seiten zufrieden, „aber auf diesem Weg bleibt alles auf der Stre cke, was einen guten Arzt ausmacht: das Wohl des Patienten, die Wissen schaft und das Ethos“. Lösungen? „Eine offene gesellschaftliche Diskussion über die Grenzen der Solidargemeinschaft kann das Versprechen auf Maximal versorgung relativieren“, glaubt Profes sor Weißbach und gibt auch zu beden ken: „Nur in einem Gesundheitssystem, das die Vergütung der Ärzte von der Titelthema KVBlatt 05.2012 erbrachten Leistung abkoppelt, lohnt das medizinisch sinnvolle Vorgehen mehr als das ökonomisch optimierte.“ „Und Upcoding ist Betrug“ Einen vergleichsweise großen Raum nahmen Impulsreferate und Diskus sionen über die Gefährdung ärztlicher Entscheidungsfreiheit für angestellte Ärzte im Krankenhaus ein. Schweres Geschütz fuhr hier unter anderem der frühere Chef der Chirurgischen Klinik des Kölner Krankenhauses Holweide, Prof. Hans F. Kienzle, auf: Er glaubt, dass die durch Ökonomisierung bewirk ten Fehlentwicklungen mit oft gravie renden Einschnitten „nur durch öffent lichen Druck begrenzt oder zumindest gemildert“ werden könnten. Kienzle: „War früher ein Chefarzt als verantwort licher Leiter einer Abteilung zuständig für die fachliche und menschliche Füh rung, ist er heute vorrangig Teamma nager mit weitreichenden organisato rischen und ökonomischen Aufgaben.“ Ein Entlassungszeitpunkt habe sich vielfach am Budget auszurichten, teure Operationen seinen „tunlichst zu ver meiden“, ggf. seien solche Patienten in spezialisierte Kliniken zu verlegen. Und für die „DRGAbrechnung ist eine detaillierte Dokumentation in der täg lichen Routine das Nonplusultra; Upco ding ist Betrug.“ Komplize seiner selbst Seine drastische Kritik ging noch viel weiter: „War früher der Arzt im schlech 15 ten Fall Komplize der Geräte und Phar maindustrie, wird er heute in vielfältiger Weise – meist auch indirekt und unaus gesprochen – gezwungen, abseits sei ner eigentlichen Aufgabe als Arzt Kom plize der Geschäftsführung, aber über einen hohen variablen Vergütungsanteil und zum Erhalt seines Arbeitsplatzes auch Komplize seiner selbst zu wer den.“ Seine bittere Beobachtung: „Wer nicht ins System passt, wird aussortiert: Noch nie haben so viele Chefärzte vor zeitig ihren Dienst verlassen wie heute. Viele“, so Kienzle, „gehen im Streit, weil sie den Forderungen nicht mehr Folge leisten wollen, andere im Frust, weil sie der Probleme überdrüssig sind; oft, nachdem zuvor Geschäftsführer fast im Jahresrhythmus gewechselt haben.“ Reinhold Schlitt Anzeige „ Mehr Leuten helfen können.“ Das neue GesundheitsCenter der Berliner Volksbank Als Partner des Mittelstandes stehen wir Ihnen mit Investitionskrediten, Leasing, Krediten für Energiesparmaßnahmen und unserem Know-how zur Seite. Damit Ihre Praxis mehr Spielraum hat. Wir beraten Sie gern. Mehr Infos erhalten Sie telefonisch unter (030) 30 63 - 21 91, per E-Mail unter [email protected] oder unter www.berliner-volksbank.de * 2012 ist das Internationale Jahr der Genossenschaften. Entdecken Sie hier, was es für uns bedeutet, Genossenschaftsbank zu sein.