Mähler, Cooperative Praxis
Transcrição
Mähler, Cooperative Praxis
METHODE Hans-Georg Mähler/Gisela Mähler Cooperative Praxis – Collaborative practice/collaborative law – So wurde die collaborative practice geboihre Parteien vor Gericht vertreten. Er sah ren. Die Gruppe um Peggy Thompson nannsich in diesem Modell als ein collaborative te ihr Modell collaborative divorce und ließ lawyer und kennzeichnete das Verfahren diesen Namen als Marke schützen.2 Kennals collaborative law. Er sah darin eine Vielzeichnend für dieses Modell ist es, dass zahl von Vorteilen: Die Parteien hätten an grundsätzlich immer Anwälte, Coaches ihrer Seite immer ihren Anwalt. Der Anwalt und Experten beteiligt sind. könnte verhandeln, ohne mit der Drohung In der Folgezeit entwickelten sich aus leben zu müssen, „dann gehen wir eben zu dieser Grundkonstellation Gericht“. Die unterschiedliche Modelle: An Viererverhandder Ostküste der USA belungen hätten, schränkte sich C.P. nach dem weil alle von der A. Wie es anfing von Stu Webb initiierten Mogleichen Grunddell im Wesentlichen auf die lage ausgingen, I. Entwicklung auf dem Beteiligung der Anwälte nämlich zu einer nordamerikanischen („collaborative law“). Seit Einigung zu Kontinent Anfang 2008 haben sich die kommen, eine Die „Erfindung“ von collaboNew Yorker beispielsweise positive, zurative law wird einem Anwalt aber auch interprofessionell kunftsweisende aus Minneapolis, Stuart G. Hans-Georg Mähler für die collaborative practice Energie.1 Gisela Mähler Webb zugeschrieben. Er war geöffnet. In Texas wird ein Stu Webb Familienanwalt und Mediator. Als Anwalt Modell favorisiert, in dem ein neutraler fand in seiner Heimatstadt Kollegen, die hatte er die Erfahrung gemacht, dass es ihm Coach für beide Parteien zuständig ist. In sich auf dieses Modell einließen. Und er und seinen Klienten besser ging, wenn er San Diego hat es sich eingebürgert, dass hielt Vorträge darüber, sodass das Modell nicht zu Gericht ging und mit seinem ansich alle professionell potentiell beteiligten auch in anderen Regionen der USA Einwaltschaftlichen Kollegen nicht strategisch Professionen (Anwälte, Coaches, gegebegang fand. Der Beginn wird herkömmlich distributiv verhandelte, sondern mit ihm nenfalls Kinderexperten und Finanzexperauf das Jahr 1990 datiert. Es war etwa zur zusammen andere Fähigkeiten seines anten) eingangs vorstellen und die Konfliktgleichen Zeit, als uns hier in Deutschland waltschaftlichen Selbstverständnisses aktiparteien im Fortgang des Verfahrens je die Mediationswelle erreichte. vierte, nämlich seine Fähigkeit, die Situatinach Bedarf die eine oder andere BerufsWenig später, nämlich 1992, taten sich on zu analysieren und kreativ nach Zugruppe auswählen.3 Psychologen in Californien zusammen, kunftsalternativen zu suchen. Er fragte Das collaborative divorce Modell benämlich Peggy Thompson und Rodney Nursich, ob sich Kollegen finden würden, die greift sich systemisch. So begründet se, zu welchen Mitte der 90er Jahre die Sozidarin übereinstimmten, ausschließlich auf Thompson den interdisziplinären Teamalarbeiterin Nancy Ross stieß. Sie entwieine Einigung hinzuarbeiten und ihr Manaspekt: „We believe it takes a system to ckelten ein Modell, wie unter psychologidat niederlegten, falls es nicht zu einer Einichange a system. Divorcing couples have schen Gesichtspunkten das Paar und die gung käme und der Rechtsstreit vor einem been operating, often for quite some time, Eltern bei Trennung und Scheidung zuGericht ausgetragen werden müsste. In within a disfunctional system. We help sammenarbeiten könnten. Auf jeder Seite diesem Fall würden anderweitige Anwälte them to regulate and re-form themselves stand ein „divorce coach“. Hinzugezogen into a functional system that can effectivly wurde in der Regel ein neutraler „child speprovide parenting for children after the cialist“ und ein neutraler „financial specia1 Schreiben von Stu Webb an den Richter des Minnedivorce.“4 list“. Ihr Versuch allerdings, mit Anwälten sota Supreme Courts Sandy Keith vom 14.2.1990. Hiervon ausgehend hat sich ein „Legozusammenzuarbeiten, scheiterte zumeist, 2 IACP History, www.collaborativepractice.com/ T2.asp?T=History. Modell“ (Nancy Cameron)5 entwickelt. Bei weil die Anwälte gewohnt waren, strate3 Aus der vielzähligen Literatur seien 4 Bücher herausdiesem Modell verstehen sich die professigisch distributiv mit den Mitteln des Rechgegriffen: Tesler, Collaborative Law, Chicago, 2001; onell Beteiligten als ein Netzwerk, auf das tes zu kämpfen. Die erarbeiteten ErgebnisShields, Ryan, Smith, Collaborative Family Law: Another die Konfliktpartner, soweit sie konkret se trugen nicht durch. Als nun das von Stu Way to Resolve Family Disputes, Scaborough, Toronto, 2003; Cameron, Collaborative Practice: Deepening the professionelle Unterstützung benötigen, Webb entwickelte Modell des collaborative Dialogue, Vancouver, 2004; Webb, Ousky, The Collaboraals Ressource zurückgreifen. Von dem San law Mitte der 90er Jahre in Californien Eintive Way to Divorce, New York, 2006. Bei Google finden Diego-Modell unterscheidet es sich dazug hielt, trafen sich die genannten Psychosich unter collaborative practice ca. 13,5 Mio. Eintragundurch, dass eine gemeinsame Vorstellung logen und, auf Initiative der Rechtsanwälgen. Für den Einstieg empfehlen wir das Buch von Cameron. S. auch Pirrie, ZKM 2008, 8 ff. zu Beginn entfällt. Es ist inzwischen ein tin Pauline Tesler, die collaborative lawyers 4 Collaborative review volume 4 issue 2, interview of weit verbreitetes Modell. Es deckt sich auch und fanden eine gemeinsame Ebene, interPeggy Thompson, PhD by Pauline Tesler, J. D. mit unserem Selbstverständnis in der BRD. professionell miteinander zu kooperieren. 5 Anm. 3, S. 13. Die Anfänge von Cooperativer Praxis (C. P.; engl.: collaborative practice, collaborative law) reichen in das Jahr 1990 zurück. Das Verfahren hat nun auch in Deutschland Fuß gefasst. Es hat seinen Nährboden in der Mediation. An die Stelle des Mediators treten je nach Bedarf der Konfliktpartner die am Verfahren beteiligten Berufsgruppen: Anwälte und Coaches der Konfliktpartner sowie neutrale Experten. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 3/2009 1 METHODE II. Internationale und europäische Entwicklung Die Zahl der praktizierenden Gruppen in den einzelnen Regionen wuchs in den 90er Jahren kontinuierlich. Als die Kanadier hinzukamen, brauchte man eine breitere internationale Form. So wurde im Jahre 2000 die International Academy of Collaborative Professionals (IACP) ins Leben gerufen.6 Diese Organisation wuchs rasant und hat heute weltweit etwa 4000 Mitglieder. Nach Europa kam C. P. vor 5/6 Jahren. Die ersten Seminare in Österreich7 und der Schweiz8 fanden 2003, 2004 statt. Heute gibt es Praxisgruppen darüber hinaus z.B. in Irland, Schottland, England, in den Niederlanden, in Belgien, Frankreich, der Tschechei und der Slowakei. Der erste Europäische Kongress mit weltweiter Beteiligung fand 2007 in Wien, der zweite Europäische Kongress 2008 in Cork (Irland) statt. Die Europäer aus den genannten Ländern einschließlich Deutschland haben sich als eigene Gruppierung erstmals gemeinsam im September 2008 in der Nähe von München getroffen, das zweite Treffen fand im Februar 2009 in Paris statt, das dritte wird im Herbst dieses Jahres in Edingburgh sein. Der dritte Europäische Kongress ist vom 10.–13. Juni 2010 in München geplant. Er wird unter dem Titel Challenging Conflict stehen. Unter diesem Titel haben kürzlich Gary Friedman und Jack Himmelstein, die zu Beginn der 90er Jahre die Mediation in die BRD gebracht haben, ein vom International Institute for Conflict Prevention & Resolution (CPR) preisgekröntes Buch veröffentlicht.9 Beide haben sich inzwischen auch der C. P. zugewandt und haben zugesagt, bei dem Kongress als Key-Speaker aufzutreten. III. Entwicklung in Deutschland Wir haben die amerikanische und europäische Entwicklung deshalb etwas genauer beschrieben, weil wir uns vor diesem Hintergrund fragten, mit welcher Intention wir die ersten Ausbildungen in der Bundesrepublik organisieren wollten:10 Als Teilnehmer luden wir zu den Seminaren ausschließlich ausgebildete oder in Ausbildung befindliche Mediatoren ein. Dies, weil der Mediation die gleiche Haltung zugrunde liegt und in der Ausbildung viel Vorwissen abgerufen werden kann. Mediation als Voraussetzung für C. P. ist nunmehr auch satzungsmäßig für die BRD festgeschrie2 ben. Wir haben gleichzeitig darauf geachtet, dass die Teilnehmer einen interprofessionellen Hintergrund (vor allem als Anwälte, Psychologen, Coaches und Kinderexperten) mitbringen und haben nicht nur Familienmediatoren, sondern auch Wirtschaftsmediatoren einbezogen. Dies deshalb, weil die Methode offensichtlich nicht nur bei Trennung und Scheidung, bei der sie entwickelt wurde, sondern überall da erfolgreich eingesetzt werden kann, wo Beziehungskonflikte (z.B. erbrechtliche Auseinandersetzungen, Nachfolgeregelungen, Konflikte auf der Führungsebene von Unternehmen, insbesondere Gesellschafterstreitigkeiten usw.) eine bedeutsame Rolle spielen. Die Anwendung von C. P. auch bei Wirtschaftskonflikten charakterisiert eine gegenwärtig weltweite Entwicklung. Als Trainer haben wir gezielt erfahrene Praktiker gewonnen, die die Interprofessionalität des Verfahrens (Anwalt/Coach/[Kinder-] Experte) repräsentierten.11 Seit August 2007 haben drei (dreitägige) Seminare stattgefunden, es sind 90 Personen aus der Bundesrepublik ausgebildet, davon mehr als 60 aus München. Inzwischen sind das „Münchner Netzwerk für Cooperative Praxis“ und auch die „Deutsche Vereinigung für Cooperative Praxis“ gegründet worden.12 Diese stehen im regen Austausch mit den Verantwortlichen in Österreich, der Schweiz und auch den anderen europäischen Ländern, ebenso wie mit der IACP. Schwierigkeiten gab es mit der Eindeutschung der Ursprungsbezeichnung. „Collaboration“ hat in der deutschen Sprache aufgrund unserer Geschichte einen negativ besetzten Klang. Das Verfahren wurde deshalb „Cooperative Praxis“ benannt. Als Konsensverfahren hat es die Akzeptanz der Unterschiedlichkeit zur Grundlage. Es zielt auf die Verknüpfung der unterschiedlichen Interessen für eine Zukunftsgestaltung nach den Kriterien von Möglichem, Notwendigem und Wünschenswertem ab. ' Wie in der Mediation wird auch die Vertraulichkeit geschützt. Alle professionell Beteiligten, also Anwälte, Coaches und Experten beenden ihr Mandat, wenn der C. P.-Prozess sein Ende gefunden hat, auch und gerade dann, wenn es entgegen der ursprünglichen Absicht nicht zu einer Einigung gekommen ist. Soweit als gesetzlich möglich, verpflichten sie sich vertraglich zur Verschwiegenheit und werden auch nicht als Zeugen benannt oder gehört. Diese Vertraulichkeitsabrede dient dazu, alle entscheidungsrelevanten Tatsachen offenzulegen als Grundlage für eine den Konfliktstoff umfassende Regelung. ' Gerade für Anwälte ist die Beendigung des Mandats bei Scheitern der Verhandlungen ein zentraler Schritt. Der damit verbundene Vorteil liegt darin, dass sich die Anwälte für den potentiellen Gang zum Gericht nicht „rechtspositionsfähig“ halten müssen und damit die Einigungsmöglichkeiten im C. P.Verfahren vertieft und erweitert werden. Einigkeit besteht darüber, dass die Anwälte ausnahmsweise vor Gericht auftreten können, wenn es sich um ein Scheidungsverfahren handelt, eine Vereinbarung ausgehandelt ist und zur Entscheidung lediglich die Scheidung als solche ansteht und vielleicht auch noch über den Versorgungsausgleich befunden werden muss. B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Mediation I. Gemeinsamkeiten Mediation und eine Anzahl anderer ADRVerfahren existierten in den USA mehr als 15 Jahre, als C. P. (1990) entwickelt wurde. Ohne Mediation ist aus unserer Sicht C. P. nicht denkbar. C. P. hat eine Vielzahl von Elementen aus der Mediation übernommen, z. B.: ' Es ist ein außergerichtliches, strukturiertes Verfahren, das in seinem Ablauf der Mediation angeglichen ist: Arbeitsbündnis/Themenbestimmung und Bestandsaufnahme/Interessenerforschung/Einigung/Implementierung ' Abgestellt wird auf die Entscheidungsverantwortlichkeit der Konfliktpartner. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 3/2009 6 www.collaborativepractice.com. 7 Begonnen im Rahmen der Anwaltlichen Vereinigung für Mediation und Kooperatives Verhandeln (AVM); www.avm.at/collaborative law; für die Region Innsbruck: www.rechtimdialog.at. 8 www.svcl.ch; für die Ostschweiz: www.cl-pool.ch. 9 Friedman, Himmelstein, Challenging Conflict; Mediation Through Understanding, Chicago, 2008. 10 Die Seminare wurden von Eidos Projekt Mediation veranstaltet. 11 Catherine Ann Connor und Randell J. Cheek. 12 Die Satzungen sind abrufbar unter dem im Aufbau befindlichen deutschen Portal www.cooperativepraxis.de. METHODE II. Unterschiede 1. Unterschiede im Hinblick auf die professionell Beteiligten Unterschiedlich sind die Aufgaben, die Rollen und das systemische Zusammenwirken der professionell Beteiligten. Nehmen wir als Beispiel den Fall von Trennung und Scheidung. Wenn denn das Netzwerk vollständig in Anspruch genommen wird, sind professionell am Verfahren beteiligt: die Anwälte und die Coaches beider Konfliktparteien sowie ein neutraler Kinderspezialist und ein neutraler Finanzexperte. Aus dem Bedarf der Parteien kann sich dies freilich z.B. auf die Anwälte beschränken; oder wenn es nur um die Kinder geht, z.B. auf den Kinderspezialisten und die Coaches. Diese professionell Beteiligten treten an die Stelle des Mediators. Sie helfen den Parteien, in einem systemisch aufeinander bezogenen Verständnis den durch die Trennung bedingten Transformationsprozess zu bewältigen. Als Hilfe zur Selbsthilfe stützen alle professionell am Verfahren Beteiligten die Autonomie der Konfliktpartner: in ihrer Dialog-, in ihrer Verhandlungs- und ihrer Gestaltungsfähigkeit.13 Hierbei sind zwei Handlungsebenen der professionell Beteiligten gravierend zu unterscheiden: die Verfahrens- und die Inhaltsebene. Auf der Verfahrensebene gibt es die Vereinbarung aller Beteiligten, einen Konsens zu finden. Insofern handeln die professionell Beteiligten, wie es häufig in der Literatur heißt, als Team. Auf der Inhaltsebene beraten und unterstützen Anwälte und Coaches ihre Konfliktpartner. Der Anwalt wird mit seinem Mandanten dessen Interessen und tieferliegenden Bedürfnisse herausarbeiten, die zugrundeliegenden Konflikte analysieren und sortieren, ihn über seine Rechte belehren, ihm vertragliche Erfahrungswerte aus typischen Lebenssituationen zur Verfügung stellen sowie in den Grundzügen vermitteln, was die Bedürfnisse der Kinder in der Trennung sind. Der Anwalt wird sich dafür einsetzen, dass sein Mandant für eine wechselseitig faire Einigung auch die Sichtweise des Konfliktpartners versteht. Nicht zuletzt ist er mit seinem Kollegen für die 13 Die unterschiedlichen Kommunikationsformen bei gerichtlichen Verfahren, Viererverhandlungen, Mediation und C. P. sind graphisch dargestellt bei Mähler, www.edu.Imu.de/apb/dokumente/Vertraege_wa/ maehler.pdf. rechtlich verbindliche Ausformulierung mitverantwortlich. Der Coach wird in einem vertieften Verständnis auf die persönlichen Belange seines Auftraggebers eingehen. Er schafft einen Raum, in dem die Klienten ihre Gefühle, Bedenken, Wünsche und Bedürfnisse äußern und klären können. Er gibt seinem Klienten Kommunikationsformen an die Hand, die den Prozess möglichst effektiv voranbringen. Beide Berufsgruppen geben durch das Verfahren und im Zusammenwirken ihren Klienten Halt, so dass diese ihre Potentiale für kreative Lösungen zur Geltung bringen können, und helfen ihnen überhaupt praktisch bei der Bewältigung im Durchgang der konflikthaften Situation. Weil Anwälte und gegebenenfalls Coaches für das Verfahren und dessen Ablauf zuständig sind, treffen sie sich auch ohne ihre Parteien, um je nach Phase die optimale Verfahrensform zu verabreden. Was der Mediator allein mit sich selbst ausmacht, müssen die Anwälte und Coaches miteinander abstimmen. Im Bewusstsein der unterschiedlichen Aufgaben auf der Verfahrensebene (Konsensfindung) und der Inhaltsebene (Beratung und Unterstützung ihrer Klienten) müssen Anwälte und Coaches dabei eine innere Spannung von Allparteilichkeit und Parteilichkeit ausbalancieren. Die Gefahr liegt naturgemäß darin, dass die professionell Beteiligten ihre Rollen nicht ausreichend differenzieren oder konkurrieren. Sind Anwälte und Coaches auf der Inhaltsebene ihren Parteien verpflichtet, werden Kinderspezialisten und gegebenenfalls Finanzexperten bei Trennungs- und Scheidungsverfahren von beiden Seiten gemeinsam bestellt und sind neutral. Diese Neutralität hat eine Rückkopplung auf das Gesamtverfahren, es „objektiviert“. Die Kinderspezialisten haben darüber hinaus die Aufgabe, die Stimme der Kinder im Prozess hörbar zu machen und den Eltern aufgrund ihrer Erfahrung beizustehen, Dringlichkeitsprobleme während des Trennungsprozesses zu bewältigen. Ihre Informationen geben den Konfliktpartnern und ihren Coaches die Grundlage, für die Kinder ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwickeln. Soweit Coaches bei Wirtschaftskonflikten herangezogen werden, brauchen sie ein entsprechendes wirtschaftliches Fachwissen. Dass die Abstimmung unter der Vielzahl der professionell Beteiligten manchmal schwierig werden kann, liegt auf der Hand. Zur Bewältigung dieser Situation werden deshalb zuweilen bei komplexen Sachverhalten „Case-Manager“ oder „Facilitators“ beigezogen, die die Aufgaben haben, das Verfahren zu organisieren, denen manchmal auch die Aufgabe zugewiesen wird, unmittelbar die Leitung des Verfahrens moderierend zu übernehmen. Sie sind i.d.R. als Mediatoren ausgebildet. Auf eine Gefahr soll noch besonders hingewiesen werden: Gerade wenn und weil die professionell Beteiligten von ihrem Ursprungsberuf her zumeist viel Erfahrung mitbringen, stehen sie in der Versuchung, sich auf der inhaltlichen Ebene als „Helferkonferenz“ zu verstehen und die inhaltliche Lösung untereinander auszuhandeln, so dass die eigenverantwortliche Ergebnisfindung der Konfliktpartner überspielt zu werden droht. Auch dies ist neben dem Austausch über die Verfahrensweise und das Rollenverständnis notwendiger Bestandteil der zwischenzeitlichen Reflexion. 2. Unterschiede im Hinblick auf die Choreographie Die Choreographie in der Mediation ist einfach. Der Mediator trifft sich mit den Konfliktpartnern und begleitet sie auf dem Weg durch die einzelnen Phasen, bei der Familienmediation i.d.R. ohne Anwesenheit, aber mit Beratung parteilicher Anwälte, in der Wirtschaftsmediation i.d.R. in Anwesenheit der Anwälte. Die Choreographie in C. P. ist umso komplexer, je mehr Personen professionell beteiligt sind. In den einzelnen Phasen gibt es zur internen Vorbereitung und zum Austausch je nach Aufgabenstellung und Bedarf Zweiertreffen (Mandant/Anwalt; Klient/Coach), Dreiertreffen (Klient mit seinem Coach und Anwalt), Vierertreffen (beide Klienten und beide Anwälte; beide Klienten und beide Coaches), Sechsertreffen (beide Klienten, beide Anwälte und beide Coaches), Siebener- oder Achtertreffen (wie Sechsertreffen sowie Kinderexperte und/oder Finanzexperte, die sich zwischenzeitlich unmittelbar mit den Klienten treffen). Darüber hinaus gibt es die beschriebenen professionellen Reflexionstreffen. Diese Komplexität mag manchen abschrecken. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auf den Bedarf der Klienten ankommt und diese von Natur aus darauf achten werden, das einfachste und kostengünstigste Setting auszuwählen. Die Komplexität ist überdies nicht singulär. Sie ist auch bei herkömmlichen traditionellen Verfahren vor Gericht anzutreffen, indem Anwälte und Richter, möglicherweise durch zwei Instanzen, fallweise Sachverständige und bei Familienstreitigkeiten ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 3/2009 3 METHODE Mitarbeiter des Jugendamtes, Verfahrenspfleger, Umgangspfleger, bei Kindschaftsangelegenheiten zwischengeschaltete Beratungsstellen oder Mediator/innen in den verschiedensten Settings in Anspruch genommen werden. Das kann sich bei den Gerichtsverfahren insbesondere zu Lasten der Kinder auswirken, die bei hochstrittigen Fällen von fünf oder mehr professionell Beteiligten angehört werden, im C. P.-Verfahren aber nur einmal. C. Zur Praxis I. Kosten Abgerechnet wird i.d.R. nach Zeitaufwand, möglicherweise wird wie in der Mediation für die Anwälte ein Einmalbetrag bei dem Wunsch nach vertraglicher Gestaltung gesondert vereinbart. Zentral ist, dass die Kosten immer transparent sind. Für welche Fälle PKH verlangt werden kann, bedarf einer vertieften Prüfung. II. Geeignetheit C. P. ist außer der Mediation ein Konsensverfahren, das einem strukturierten Ablauf folgt und erlernbar ist. C. P. wird an die Stelle der traditionellen anwaltschaftlichen Viererverhandlungen oder Gerichtsverfahren treten, wenn die Parteien nicht nur die Grenzen ausloten wollen, was ihnen von Rechts wegen zusteht, sondern auf der Grundlage des gesamten Konfliktstoffes im Austasten aller Ressourcen und Synergien eigenverantwortlich einen Konsens anstreben. C. P. wird im Verhältnis zur Mediation dann als geeigneter angesehen werden müssen, wenn die Parteien einen anwaltschaftlichen oder/und psychischen Begleiter an ihrer Seite brauchen. Sei es, weil sie Schwierigkeiten haben, für sich selbst einzustehen, sei es, weil die Situation wegen ihrer Komplexität nach einem Fürsprecher verlangt, sei es, weil sie psychologische Unterstützung brauchen, sei es, um in diesem Zusammenhang Expertenwissen in Anspruch zu nehmen, sei es, weil die Konfliktpartner einen sicheren Halt in einem verabredeten, auf Konsens ausgerichteten System bevorzugen. C. P. kann anstelle der Mediation treten, wenn die Kapazität des neutralen Mediators nicht ausreicht, um die Parteien zu einer eigentlich gewollten Einigung zu begleiten. Als komplexeres Verfahren kann es bei komplexeren Sachverhalten eingesetzt werden. C. P. erweitert damit den Spielraum für eine außergerichtliche Konsensfindung. 4 III. Hybride Verfahrensformen Inzwischen hat die Praxis begonnen. Aus ihr lernen wir, wie C. P. und Mediation sich gegenseitig befruchten können. So haben wir begonnen, in Mediationen Coaches hinzuzuziehen, wenn die psychische Situation der Mandanten danach ruft. Wir haben auch früher mit Beratern oder Therapeuten zusammengearbeitet, aber parallel und ohne Durchlässigkeit. Nunmehr arbeiten wir mit Coaches auch im Rahmen der Mediation transparent zusammen. Wir haben auch früher im Rahmen der Mediation Kinderexperten herangezogen. Dieser Gedanke hat sich über die C. P.-Verfahren verstärkt. Wir haben die gute Erfahrung gemacht, mit den beratenden Anwälten der Parteien im Rahmen des Mediationsverfahrens auch bei Trennung und Scheidung näher zusammenzuarbeiten, wenn die Anwälte in C. P. ausgebildet sind. Dies kann dem gemeinsamen Ziel einer Einigung sehr dienlich sein. manchen befürchtet wird, beide Verfahren ergänzen vielmehr einander. C. P. erweitert die professionellen Kompetenzen und das professionelle Angebot der Mediatoren. Dr. Gisela Mähler Dr. Hans-Georg Mähler Rechtsanwälte, Mediatoren www.eidos-projekt-mediation.de [email protected] IV. Vereinigungen Bei Mediation sind Vereinigungen wünschenswert, bei C. P. notwendig. Das ergibt sich schon daraus, dass alle professionell Beteiligten die gleichen Vollmachten brauchen und diese untereinander abgestimmt werden müssen. Es fundiert das Verfahren, wenn entsprechende Vereinbarungen für die Vierer-/Fünfer-/Sechser-Treffen für das Verfahren im Vorhinein typisiert sind und die professionell Beteiligten sich untereinander kennen. Dies ermöglicht übergeordnet einen interprofessionellen Erfahrungsaustausch, gemeinsame Fortbildungen und die Weiterentwicklung spezieller thematischer Zusammenhänge. Die örtliche Vereinigung gibt den Rückhalt für die Vernetzung auf nationaler und internationaler Ebene, v.a. mit der International Academy of Collaborative Professionals (IACP). Das gemeinsame Internetportal14 informiert die Betroffenen und die Fachöffentlichkeit. Gleichzeitig können die Betroffenen aus den im Internet veröffentlichten Listungen erkennen, wer entsprechend ausgebildet ist. V. Die Zukunft C. P. wird wie weltweit auch in der Bundesrepublik als komplementäres Verfahren seine Verbreitung finden. Wie dargelegt und in rechter Weise verstanden, konkurrieren Mediation und C. P. nicht, wie es von ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 3/2009 14 Siehe Anm. 12.