Die Bedeutung des Traumes von der Antike bis zur

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Die Bedeutung des Traumes von der Antike bis zur
Die Bedeutung des Traums von der Antike bis zur Gegenwart
Vortrag an der Märztagung 2014, Sa 29.3.14
Meine Damen und Herren
ich freue mich sehr, an dieser Stelle den Einführungsvortrag unserer Tagung am ISAP
halten zu dürfen. „Die Bedeutung des Traums von der Antike bis zur Gegenwart“ - ein
etwas stolzer Titel, ich gebe es zu, auf dieser Zeitreise innerhalb von 60 Minuten werden
wir einzelne Etappen kurz etwas näher ins Auge fassen können, in der Hoffnung, Ihnen
eine Ahnung von der Bedeutung des Traumes in der menschlichen Kulturentwicklung
vermitteln zu können.
Die Bedeutung des Traumes hat mich seit meinem Studium immer wieder beschäftigt. In
der jungschen Psychologie ist die Beschäftigung mit Träumen nach wie vor ein sehr
wichtiger Weg, um mit dem Unbewussten in Kontakt zu kommen. In der heutigen Zeit
finden es meine Klienten manchmal merkwürdig, komisch, wenn ich sie nach ihren
Träumen frage. Heutzutage ist es gar nicht “in“, am morgen innezuhalten und sich kurz auf
sich selber zu besinnen, womöglich gar aufzuschreiben, welche inneren Bilder
aufgetaucht sind. Viele Menschen geben auch an, gar keine Traumerinnerung zu haben.
Wenn es ihnen dann doch gelingt, sich einen Traum wieder zu vergegenwärtigen, sind sie
oft sehr berührt von den Inhalten und der Arbeit damit, auch ganz junge Leute.
Träume kommen vor, seit es Menschen gibt, und ganz vieles spricht dafür, dass auch
unsere tierischen Vorfahren und Tiere, jedenfalls Säugetiere, träumen.
Aufzeichnungen von Träumen gibt es seit Menschengedenken, denn Träume wurden
ursprünglich als göttliche Botschaft verstanden und sehr ernst genommen. Dabei wurde
kein Unterschied gemacht zwischen Vision und Traum.
Das ist wichtig, weil auch in Jungs Verständnis Vision und Traum nahe beieinander sind
und gleich behandelt werden. Ich spreche hier von den sog „grossen Träumen“, die einer
tief im Unbewussten liegenden, archetypischen Schicht entstammen. Solche Träume
bewegen, ergreifen, erschüttern, und man erinnert sich zeitlebens daran. Schon aus der
Benützung dieser Verben wird ersichtlich, dass solche Träume etwas machen mit einem,
eine Erschütterung, die vielleicht oder hoffentlich eine Änderung im Leben anzeigt oder
bewirkt.
Die erste bekannte Aufzeichnung eines Traumes stammt aus dem Gilgamesch Epos.
Das Epos ist in Keilschrift auf Tafeln geschrieben, das in Bruchstücken in der
Tontafelbibliothek des einstigen Ninive in Assyrien gefunden wurde. Die Sage von
Gilgamesch ist aber noch viel älter als die assyrische, sie geht auf die Kultur der Sumerer
zurück, die als erste die Städte zwischen Euphrat und Tigris erbauten und die Keilschrift
erfanden. Wir sprechen von der Zeit von etwa 3000 v.Ch.
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Gilgamesch repräsentiert den ersten kämpferischen Helden. Er bricht auf, um das ewige
Leben zu finden (wahrhaft ein archetypisches Thema!). Im Lauf der langen Geschichte mit
vielen Abenteuern sucht er jenseits des Flusses des Lebens den weisen Alten
Utnapischtim auf, der Name bedeutet „der sehr Kluge“, weil er im Gegensatz zu
Gilgamesch demütig ist und dem Willen der Götter gehorcht.
Ich lese Ihnen aus dem Epos in der Nacherzählung von Heide Göttner-Abendroth vor:
„Utnapischtim sprach: „ich will dir, Gilgamesch, eine verborgene Geschichte eröffnen. Ein
Geheimnis der Götter will ich künden: Einstmals waren die Menschen in den Städten des
Landes voller Bosheit, nicht mehr sanft und liebevoll, wie Inanna-Ischtar, die Herrin aller
Götter, sie geschaffen hatte. Da beschloss die Grosse Göttin in der Ratsversammlung der
Götter, die Menschen zu strafen. Enlil, der Luftgott, hörte ihren Beschluss und beschwor
einen furchtbaren Sturm von Süden herauf. Dieser drängte die Flut des Meeres
landeinwärts, nach und nach verschlangen die Wogen alle Städte. Zugleich liess Hadad,
der Wettergott, Blitze vom Himmel fallen, viele lange Tage strömten Regen und Finsternis
hernieder. In der Ratsversammlung hatte auch Enki, der Gott der Wassertiefe, gesessen,
der alte Weise. Bevor die schreckliche Flut losbrach, schickte er mir, der ich in meiner
Stadt Schurippak König war, einen Traum:
Utnapischtims Traum:
Ich sah mich zum Süsswassermeer ziehen, dorthin wo Enki wohnt. Von dort schaffte ich
Holz und Teer herbei, entwarf den Plan eines hölzernen Hauses, das auf einem Schiff
stand, und zeichnete ihn auf. Dann baute ich dieses seltsame Hausschiff. Als es fertig war,
liess ich Frauen und Kinder, meine Verwandtschaft und Sippe ins Schiff steigen.
Handwerker jeglicher Kunst liess ich hineingehen. Dann brachte ich das Grossvieh hinein
und das kleine Getier, von jedem ein Paar. Auch von den wilden Tieren der Erde und den
Vögeln unter dem Himmel lud ich je ein Paar ein, Pflanzen aller Art nahm ich auf, so lud
ich jeglichen Lebenskeim ins Schiff. Aber Reichtum wie Silber und Gold nahm ich nicht
mit, ich brauchte ihn nicht. War mein Schiff doch schon über und über mit Reichtum gefüllt.
Als ich erwachte, spürte ich noch den Hauch des Gottes um mich.
(Gefühlstonus eines Traumes, in der Arbeit mit Träumen auch heute sehr wichtig!)
Ihm, den ich schon immer verehrte, gehorchte ich. Ich führte alles genauso aus, wie er es
mir im Traum eingegeben. Aber ich wusste nicht wozu. Das Volk verlachte mich, die
Ältesten der Stadt stellten mich zur Rede wegen meines sonderbaren Tuns. Ich konnte
ihnen nicht antworten, denn die Götter antworteten mir auch nicht. Doch das Fragen war
nicht meine Aufgabe, ich überliess die Weisheit den Göttern. (Demut, unbedingte
Annahme der Traumbilder als Gebot.)
In der Folge erzählt Utnapischtim die ganze weitere Geschichte der schrecklichen
Sturmflut, wobei alles Land, alle Menschen und alle Tiere vernichtet wurden. Am siebten
Tag wurde das Meer ruhig. Utnapischtim schaut aus der Luke des Hausschiffes und sieht
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nur noch Schlamm und eine Wasserwüste, bis schliesslich nach Tagen des Herumtreibens
auf der Wasseröde eine Insel auftaucht, die Kuppe eines Berges. Utnapischtim lässt am 7.
Tag eine Taube losfliegen, die jedoch zurückkehrt, am nächsten Tag eine Schwalbe, usw.,
bis ein Rabe auf dem Boden scharren kann, weil das Wasser abgeflossen ist, und einen
Wurm frisst und nicht mehr zurückkehrt. So lässt er dann alle Wesen hinaus in alle vier
Himmelsrichtungen, tritt selber hinaus auf den festen Boden und bringt den Göttern sofort
aus Zedernholz und Myrrhe ein Duftopfer dar.
(Eine neue Welt wird erschaffen, eine Art von zweiter Schöpfung oder
Schöpfungsgeschichte.)
Sie kennen diese Geschichte und diesen Traum aus der Bibel, die dort als Sintflut-Sage
mit der Arche Noah beschrieben wird. Die Autoren der hebräischen Bibel haben den
sumerischen Mythos übernommen und abgeändert, die Grosse Göttin Inanna wird durch
den Gott Jahwe ersetzt.
Aus diesem frühen Beispiel sehen wir, dass der Traum als göttliche Botschaft
verstanden wird. Es sind ausgezeichnete Menschen, die in den Genuss solcher
Botschaften kommen, so wird denn darauf verwiesen, dass Utnapischtim ein König ist. >
in den antiken Kulturen werden Träume mantisch aufgefasst, das bedeutet, als Orakel
(Mantik bedeutet Wahrsagekunst). Der Wille der Götter und der Lauf des Schicksals tat
sich nach dieser Auffassung durch Träume kund.
Lassen Sie mich noch kurz weiter auf die Fortsetzung der Sage eingehen.
Gilgamesch versteht den Sinn der Geschichte nicht und will aus selbstsüchtigen Gründen
unbedingt weiterhin die Unsterblichkeit erlangen. Aus Mitleid nennt ihm Utnapischtim ein
Wunderkraut, das neue Jugend schenkt. Gilgamesch findet es und hält es fortan auf
seiner Schiffsreise fest umklammert, bei Tag und Nacht, um es ja nicht zu verlieren.
Schliesslich sehen sie an einem besonders heissen Tag ein Stück Land auftauchen, mit
einem Kühle und Erholung verheissenden Teich. Gilgamesch will sich darin erfrischen und
versteckt das Kraut ganz sorgfältig unter Steinen am Ufer und deckt diese mit Moos und
Zweigen zu. Während er badet, riecht eine Schlange den Duft des Krautes, schleicht
heran, kriecht unter die Steine und isst es auf! Dadurch wird sie sofort wieder jung und
wirft ihre alte Haut ab.
Gilgamesch verliert auf undramatische Weise seine Wunderpflanze. Er hat die natürliche
Verbindung mit der Erde verloren und sich an das Kraut wie an einen Fetisch geklammert.
Die kleine Schlange macht ihm vor, worauf es ankommt, nämlich auf Umwandlung,
Wandlung.
So kommt es, dass die Schlange, welche die alte Haut abstreifen kann, ein Symbol für
Wandlung, für Tod und Erneuerung ist. Sie gehört zum Anfang und zum Ende der Welt denken Sie nur an die Uroborus-Schlange.
Die Schlange spielt aber auch eine zentrale Rolle in den Heiligtümern der Antike.
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Ich möchte
mich im
Folgenden mit
dem
berühmten
Tempelschlaf
von
Epidauros
und anderen
Kultstätten
beschäftigen,
wo der
entscheidende
Traum die Heilung brachte. (Blütezeit ca 700 v.Ch. bis ca 450 n.Ch., Wurzeln reichen bis
3000 v.Chr., Abb. der schlafenden Frau, unterirdisches Heiligtum im Fels, Hypogäum in
Saflieni, Jungsteinzeit 3500 v.Ch.)
In der Antike wurde kein Unterschied gemacht zwischen Leib und Seele, Körper und Geist
sind eins. Krankheit wird von Göttern geschickt, und nur die Götter können sie heilen.
In den antiken Heilstätten wurde eine ausgesprochene Homöopathie betrieben: das
Göttliche (die Krankheit) wurde durch das Göttliche geheilt (meistens die Erscheinung des
Gottes im Traum). Der Traum war die Medizin, die zur Heilung führte.
Im alten Griechenland waren die Heiligtümer meistens dem Gott Asklepios geweiht.
Aislapios, wie er ursprünglich hiess, ist ein alter chthonischer Gott oder Dämon, der an
Quellen und Haine gebunden ist, wo es ein Orakel hat. Seine wichtigen Attribute sind die
Schlange und der Hund.
Er ist der Sohn der Koronis und des Apoll. Seine Mutter will schwanger einen anderen
Mann heiraten, da ereilt sie die göttliche Rache und wird getötet. Kurz davor rettet Apoll
seinen Sohn und übergibt ihn der Obhut des Kentauren Chiron. Chiron selber ist durch
die vergifteten Pfeile des Herakles unheilbar verwundet, gleichzeitig ist er ein Heilkundiger
(das ist der Ursprung des archetypischen Bildes des verwundeten Heilers). Asklepios ist
also ein Halbgott, der die Heilkunst vom Kentauren Chiron erlernt hat. Zu Lebzeiten ist er
als Arzt äusserst erfolgreich und soll gar Tote wieder zum Leben erweckt haben.
Weil er damit zu sehr in die göttliche Vorsehung hineinfunkte wurde er schliesslich von
Zeus mit seinen Blitzen erschlagen. Durch seine Fulmination wurde Asklepios in den Kreis
der Götter aufgenommen und in das Sternbild des Serpentarius, des Schlangenträgers,
versetzt.
Abb: Asklepios als bärtiger, starker Gott.
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Marmorstatue des Museo Nazionale di Napoli.
Ursprung: Asklepieion der Tiberinsel in Rom
Die Verbindung von oben und unten ist bei
Asklepios augenscheinlich. Einerseits mit dem
Reich der grossen Mutter verbunden, erreicht er
schliesslich den Himmel. Sein Stab mit der sich
empor windenden Schlange symbolisiert diese
Verbindung der Gegensätze oben und unten, Hell
und Dunkel, Leben und Tod.
Im Heiligtum wird er von seiner Begleiterin Hygieia
begleitet, die eine besonders gute Beziehung zu
den Schlangen hat und diese mit sanfter Hand
füttert.
Abb: Hygieia mit Asklepios, die
Schlange fütternd.
Marmorrelief 47x60cm,
wahrscheinlich aus der Gegend
von Saloniki. Es ist deutlich
sichtbar, dass der Asklepiosstab ein
Baum ist. Ottomanisches Museum
Istanbul.
Dieses Symbol der
Lebenserneuerung (Baum mit
Schlange) hat seinen Ursprung
genau im Gilgamesch-Epos. Das
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Lebenskraut wird zum Lebensbaum, der oben mit unten verbindet.
Die am Baum empor kriechende Schlange kann als Symbol für einen
Bewusstseinsprozess betrachtet werden (die sich erhebende Schlange im Kundalini-Yoga,
in der Bibel: der Baum der Erkenntnis!).
Asklepios hat viele Kinder. Der Kinderreichtum des Gottes ist wesentlich, weil
Fruchtbarkeit und Erneuerung eng mit der Heilung zusammenhängen. Viele Male
erscheint er mit einem Knaben, dem Telesphoros. Das Kind ist Leben und Licht bringend.
Asklepios selber kann als Knabe oder als Säugling erscheinen - ein Hinweis auf das uns
wohlbekannte „göttliche Kind“, das Dritte, das Lichtbringende, und er wird, gar nicht
erstaunlich, später vielerorts auch Jesus gleichgesetzt.
Entsprechend den Asklepieien in Griechenland gab es in Ägypten die Serapeien (bis ca
400 n.Chr.), in denen der Heilschlaf betrieben wurde. Auch Sarapis ist ein chthonischer
Gott, der oft in Begleitung von Isis erscheint, und auch er hat einen kindlichen Begleiter,
den Harpokrates, den Sohn von Isis und Osiris, wieder in der Bedeutung des göttlichen
Kindes.
Wie muss man sich nun dieses Inkubationsritual vorstellen, das an diesen Heilstätten
betrieben wurde? Es kamen viele Heilung suchende Pilger von nah und fern, die
Unterkunft im Gästehaus fanden. Zuerst fanden Waschungen und Reinigungsrituale statt.
Das Bad hatte reinigende Wirkung auf Körper und Seele, es machte die Seele frei für den
Verkehr mit dem Gott bzw. für unbeschränkte Traumerlebnisse.
Dann wurden die Orakel befragt - etwa durch Vogelschau, durch Wahrsagung aus
Eingeweiden, eventuell wurden Tiere geopfert und auf deren Fell geschlafen. In späterer
Zeit verbrachten die Kranken längere Zeit im Asklepieion, um sich vorzubereiten, bis sich
eine günstige Konstellation ereignete.
Nach der Verrichtung von Voropfern für Hypnos, dem Gott des Schlafes, und für Oneiros,
dem Gott des
Traumes, wurde im
Allerheiligsten
geschlafen.
Abb. Hypnos, 4.Jh
v.Chr., Bronze.
Spätklassische Zeit.
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Der Gott des Schlafes erscheint hier als schöner Jüngling (British Museum London). Milde
und Stille sprechen aus diesem Kopf, der an den Schläfen Flügel trägt. Ovid schreibt, der
Gott Hypnos wohne in einer Höhle am Ufer des Lethebaches, wohin niemals die Sonne
gelange. Am Eingang der Höhle stünden Mohn und tausenderlei Kräuter, aus denen die
Nacht ihre Schlummersäfte gewinne.
Auf anderen Abb hält Hypnos denn auch oft Mohnstengel in den Händen, was die
Kenntnis der Opiate im Altertum bezeugt. Und wir können uns gut vorstellen, dass auch in
den Heiligtümern Betäubungsmittel verwendet wurden.
Das Allerheiligste ist der Abaton (Abaton bedeutet „nicht von Unberufenen zu betretener
Raum“). Nachdem der Gott durch ein Orakel zu erkennen gab, dass er im Traum
erscheinen werde, durfte man als Gerufener auf einem Lager, einer Kline, übernachten.
Incubare bedeutet „im Heilraum schlafen“.
Der Inkubant wurde geheilt, wenn ihm Asklepios im Traum erschien. Er konnte auch in
einer Vision erscheinen, als bärtiger Mann, oder als Knabe, oder in seiner Tiergestalt als
Schlange oder als Hund. Häufig erschien er in Gesellschaft seiner weiblichen Begleiterin,
dann berührte er den kranken Körperteil, oder manchmal gab er Verordnungen.
So verschrieb er das Komponieren von Musik oder das Dichten von Oden.
Dieses entscheidende Erlebnis geschah nachts, die Heilung erfolgte nachts, ob der
Inkubant nun wirklich schlief oder vor Erregung schlaflos war, im letzten Fall eben nicht
durch einen Traum, sondern durch eine Vision.
Es gab keine Traumdeuter, aber PriesterInnen, welche die Kranken begleiteten. Nach der
Heilung war der Patient verpflichtet, seinen Traum aufschreiben zu lassen. Die
inschriftlichen Fixierungen auf Stein oder Lehm als Votive hiessen charisteria (Dankopfer).
In Epidauros, einem wunderschönen Ort auf dem Hügel mit Blick auf das fruchtbare Tal
bis zum Meer, gibt es beinahe 2000 Bruchstücke von Stelen, etwa 70
Krankengeschichten sind rekonstruierbar. (Der Legende nach soll Hippokrates aus den
Inschriften der Asklepiosheiligtümer seine Heilkunst gelernt haben.)
Zum Heiligtum gehörte auch die Tholos, ein Rundbau mit labyrinthischem Fundament,
welches von Wasser durchflossen war. Das Wasser spielte eine wichtige Rolle. Alle
chthonischen Gottheiten haben ihr Heiligtum an einer Quelle, durch die Beziehung zum
Gott wird sie als Heilquelle oder als Lebenswasser betrachtet. In enger Beziehung dazu
gehört der schlangenumwundene Baum.
Zusammengefasst: in den Asklepios Heiligtümern gab es eine Tagwelt mit Musik, Theater
und Gesang, während nachts die Seele trunken wurde für den Inkubationsschlaf und den
heilenden Traum.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass diese Rituale verwandt waren mit gewissen
Mysterien und Initiationsritualen. Auch da ist die Erscheinung des Gottes in der Vision oder
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im Traum des Inkubanten in der Nacht das Entscheidende (z.B. unten in einer Höhle),
bevor er wie ein Neugeborener wieder in die Tagwelt aufgenommen wurde. In diesen alten
Ritualen ist die Todes- und Geburtssymbolik ganz wichtig. Heilung ist verbunden mit
Wiedergeburt und Erneuerung.
Hier möchte ich eine Verbindung zu CGJung knüpfen, der gesagt hat, dass die
menschliche Psyche eine natürliche religiöse Funktion hat. Keine Patienten können
wirklich geheilt werden, die nicht den Zugang zu eben dieser genuinen Funktion gefunden
hätten.
Auch aus der altägyptischen Zeit sind Stelen überliefert, auf denen Traumberichte
eingekritzt sind. Berühmt ist der Traum von Thutmosis IV um 1400 v.Ch. Als er noch als
junger Bursche in der Nähe der kaum mehr sichtbaren Sphinx von Gizeh auf Jagd ging
und sich ermüdet in den Schatten legte, habe ihm der Sonnengott Harachte im Traum
Königswürde und Ruhm verheissen, wenn er die Sphinx aus dem Sand ausgraben und in
ihrer vollen Würde wieder erstellen liesse. Er wurde Pharao, und noch in seinem ersten
Regierungsjahr hat er vor der Sphinx eine Kapelle und die Stele mit den Traumberichten
errichten lassen.
Der Traum hat in Mythen und Religionen einen ausgesprochen bedeutenden Stellenwert.
Im Traum werden
wichtige Botschaften
empfangen, von den
Göttern, von einem
Gott, von Engeln oder
von Dämonen.
Betrachten wir nun
ein Beispiel aus der
Bibel, aus dem A.T. ,
Buch Genesis,
Jakobs Traum. So
berührende,
bewegende und
Leben verändernde
Träume haben immer
Künstler zur
Darstellung angeregt.
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Abb: Jusepe de Ribera (1588-1652), in Neapel genannt „lo Spagnoletto“, dieses Bild
„Jakobs Traum“ befindet sich im Prado in Madrid.
Der von Strapazen gezeichnete Mann befindet sich auf der Flucht vor Esau (mit einem
Trick hatte er ihn um ihres Vaters Segen gebracht und ihn an seiner Stelle erhalten). Am
Wegrand ist er bei einem Baumstrunk übermüdet hingesunken, hat den Kopf auf einen
mit dem Gewand belegten Stein gelegt. In der hell ansteigenden Wolkenbahn hinter ihm
und durch das Licht auf seinem durchgeistigten Gesicht wird das innere Geschehen
malerisch zum Ausdruck gebracht.
Abb: der Inhalt des Traumes von Jakob wird im Blatt aus dem 12. Jh. der Lambeth-Bibel
aus Canterbury wunderschön dargestellt.
Jakobs Himmelsleiter ist eine Vision des Aufstiegs in den Himmel. Im Traum sieht Jakob
die Engel die Himmelsleiter auf- und niedersteigen. Ganz oben erscheint ihm Gott selber,
ein beschriebenes Band haltend (ego sum Deus...) Rechts oben sehen wir Abraham, der
bereit ist, seinen Sohn Isaac zu opfern, aber der Engel mit erhobenem Schwert hindert ihn
daran. Anstatt des Sohnes wird der Schafbock im Gebüsch geopfert werden.
Jakob ist der
Sohn des
Isaac. Der
Herr selber
steht bei
ihm und sagt,
er wolle ihm
und seinen
Nachkommen
dieses Land
geben, ihnen
beistehen
und sie
beschützen.
Als er am
Morgen
erwacht,
weiss er,
dass sich Gott
ihm
kundgetan
hat. Er
nimmt den
Stein, richtet
ihn zur Stele
auf und
nennt ihn
„Bethel“,
das bedeutet
„Haus
Gottes“. Als er
später an
den heiligen
Ort
wiederkehrt,
begiesst er
das steinerne
Mal mit Öl
(Szene links).
Der Traum
hat Jakobs
Leben
verändert,
gewandelt.
Er hat
erfahren,
dass die Kraft
vom Herrn
aus geht, und
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dass er von ihm beschützt wird.
Gehen wir
noch zu
einer
Illustration
zu einem
Traum aus
dem N.T.,
nämlich zu
diesem
wunderschöne Relief von der Kathedrale Saint-Lazare in Autun im Burgund.
Abb: es ist ein steinernes Kapitell, dem Meister Gislebertus zugesprochen.
Dargestellt sind die drei Weisen aus dem Morgenland, die gekommen waren, in
Bethlehem den neugeborenen König zu ehren (gemäss Matthäus 2, 1-12). Nun haben sie
einen gemeinsamen Traum, in dem ein Engel erscheint, der sie davor warnt, den Herodes
zu benachrichtigen und sie anweist, wieder in ihre Heimatländer zurück zu kehren. Der
Stern, der sie zum Gottessohn geführt hat, steht über ihnen und wird sie wieder geleiten.
Die drei Weisen liegen, wie üblich im Mittelalter, gemeinsam unter einer Decke. Sie
schlafen - aber ihre Augen sind offen, ein Zeichen dafür, dass sie im Traum sehen, was
der Engel gebietet.
Diese Beispiele zeigen wieder, dass im Traum oder der Vision wichtige,
zukunftsweisende Eingebungen vermittelt werden. Träume können also eine
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entscheidende Wende für das Leben eines einzelnen bedeuten, aber sie können einem
auserwählten Träumer auch das Schicksal der Völker voraussagen. Solche
prophetischen Träume werden in alten Kulturen auch von Stammesältesten, von
Häuptlingen oder von Schamanen geträumt. Die Botschaft von den Göttern wird
vorzugsweise an ausgezeichnete Menschen vermittelt, welche sie dann an die
Gemeinschaft weiter geben.
Kehren wir nochmals zurück nach Griechenland, denn die griechischen Vorstellungen
über den Traum haben unsere westliche Kultur massgebend geprägt.
Die griechische Sage berichtet, dass der sanfte Schlaf, Hypnos, und der mitleidlose Tod,
Thanatos, Zwillingsbrüder aus dem Schoss der Königin der Nacht seien.
Abb:
Blatt des
Asmus
Jacob
Carstens
(1754-1798), einem idealen Vertreter des deutschen Klassizismus. Goethe hat diese
Zeichnung für das Grossherzogliche Schlossmuseum in Weimar erworben, wo sie sich
noch heute befindet.
Wir sehen die kräftig gebaute, nackte Frau, die Königin der Nacht, ihre Schleier
ausbreitend. Sie sitzt auf einem Polster und hält zwischen ihren Beinen den Knaben Tod
mit der gesenkten Fackel, an den linken Oberschenkel geschmiegt lehnt der Knabe Schlaf
mit den Mohnsamenkapseln.
Schlaf und Tod als Geschwister, diese Vorstellung hat unsere Kultur sehr lange geprägt.
Heute wissen wir, dass der Schlaf alles andere als todesähnlich ist. Bei den Germanen
waren die Geschwister Schlaf und Tod die „Sendboten“, später „Sandmann“, auch bei uns
noch als „Sandmännli“ angerufen für guten Schlaf.
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Bei Homer ist der Traum immer ein personifiziertes, göttliches, geflügeltes Wesen,
welches dem Träumer am Kopfende des Bettes erscheint. Träume werden von Zeus oder
anderen Göttern geschickt. Je nach Trauminhalt empfiehlt es sich, dem betreffenden Gott
ein Opfer zu bringen.
Interessant bei Euripides ist die Erwähnung der dunklen Träume. Diese ordnet er dem
unteren Bereich zu. Um sie von sich abzuwenden, soll man in den Opfern die Herrin Erde
anflehen! Er nennt die Erde „die Mutter der schwarzgeflügelten Träume“.
Auch für die Pythagoräer bedeutete der Traum die Verbindung zum Göttlichen und der
Welt der Unsterblichkeit. Bis weit in die Römerzeit war es wichtig, sich durch die
entsprechenden Rituale auf die Nacht und den Schlaf einzustellen, ganz wie in den
Asklepios-Heiligtümern.
Plato hat eine Abhandlung über die Inhalte der Träume geschrieben, er ordnet sie drei
Bereichen zu: so kann ein Trauminhalt dem Bereich der Vernunft zugehören, das logische
Denken betreffen, oder 2. dem Bereich des Gefühls, das kann Liebe und Zuwendung zu
den Mitmenschen betreffen, oder, 3., dem Bereich des Tierischen, womit das Triebhafte
gemeint ist. Diese Unterteilung mutet schon sehr modern an.
Mit Aristoteles und Artemidor von Daldis folgt die Wende im Verständnis der Träume:
beide halten sie nicht mehr von Gott gesandt.
Artemidor von Daldis hat etwa 150 nach Christus ein grosses Werk über die
Traumdeutung geschrieben. Auf seinen Reisen versuchte er, die damals existierenden
Aufzeichnungen über Träume zusammen zu tragen. Er war der Traumdeuter seiner Zeit,
und bringt bei seinen Deutungen die Symbole der Träume mit dem Wesen des Träumers,
mit seiner Lebensgeschichte, und mit der Stimmung, in der geträumt wurde, in
Zusammenhang. Dieses Traumverständnis berührt uns, gehen wir doch in der heutigen
Psychotherapie von den gleichen Fakten aus. Andererseits ist das Werk von Artemidor
auch voller stereotyper Deutungen. So gilt der Rücken und alle rückwärtigen Körperteile
als Symbol der Alters, und so wie sie im Traum erscheinen, so wird es einem im Alter
ergehen. Träume werden bei ihm somit auch prophetisch aufgefasst.
Auch Aristoteles hat ein Werk über die Wahrsagung aus Träumen verfasst. Er führt die
Träume auf dämonischen Ursprung zurück. Diese Abwertung des Traumes hatte einen
nachhaltig negativen Einfluss auf die Geschichte des Abendlandes.
In der Zeit der Spätantike, teilt Augustinus, der noch stark von Aristoteles beeinflusst ist,
die Träume in zwei Kategorien ein:
- Traum als göttliche Offenbarung
- Traum als teuflische Illusion
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Wie Sie sicher wissen, entsagte er sich jeder sexuellen Versuchung, dafür träumte er
nachts regelmässig davon. Das liess ihn verzweifelt fragen, ob man für die eigenen
Träume verantwortlich sei.
Abb: „der
Kupferstich
1497
Traum des Doktors“.
von Albrecht Dürer, um
Kupferstichkabinett
Basel
1494/95 war
Dürer in Venedig
gewesen und war dort der Antike begegnet, wie sie sich in der italienischen Kunst
wiederspiegelt, und beschäftigte sich mit Aktzeichnen. Die Frau im Vordergrund ist ein
Symbol der Versuchung, die den schlafenden Mann im Traum heimsucht. Dieser sitzt voll
bekleidet, das Haupt seitlich in die Kissen gelegt, auf der Bank neben dem wärmenden
Kachelofen. Ein geflügelter Dämon bläst ihm den erotischen Traum mit einem Blasebalg
ins Ohr. Wie fraglich aber die Erfüllung des Traumes ist, deutet die am Boden liegende
Kugel der Fortuna an, und der Versuch des kleinen geflügelten Amors, seine Stelzen zu
besteigen.
Descartes, der Begründer des Rationalismus, fragt nach dem Fundament der Wahrheit.
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Er philosophiert darüber, was nun wirklich ist. Im Traum erscheint uns die Welt ja als
wirklich, und erst beim Aufwachen wird sie unwirklich. Wie kann man da ganz sicher sein,
dass man im Wachen nicht bloss träumt? „Träum ich oder wach ich?“ Wie wirklich ist die
Wirklichkeit? Descartes sagt, das einzig gewisse ist, dass ich derjenige bin, der träumt.
In der Zeit der Aufklärung geht das Interesse an Träumen zurück.
Die Romantik (ca 1790-1830) wendet sich dann in einer Gegenbewegung wieder ganz
dem Irrationalen und Traumhaften zu. Den wichtigsten Beitrag zur Traumauffassung der
Romantik liefert der Naturforscher und Arzt Gotthilf Heinrich von Schubert, ein Schüler
Schellings.
Durch sein Buch „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ übte er grossen
Einfluss auf romantische Dichter aus, darunter die Brüder Schlegel, Kleist und
E.T.A.Hoffmann. Auch Novalis und Jean Paul interessieren sich plötzlich für das
Unbewusste (ein von Leibniz 1646-1716 erstmals eingeführter Begriff). Der Traum wird in
der Romantik verstanden als eine Gegenwelt zum rationalen Verständnis der Welt. Die
innere Welt ist ebenso wichtig wie die äussere. Die Romantiker postulieren eine tiefere
Schicht des Menschen, die sie Natur oder das Unbewusste nennen, und die über die
Existenz des Einzelnen hinausgeht.
Der Traum wird dann zur Möglichkeit, mit dieser Schicht in Verbindung zu treten.
Jung wird oft als „Kind der Romantik“ gesehen. Sein Konzept des Kollektiven
Unbewussten, das bei allen Menschen vorhanden ist und zur biologischen Struktur der
Psyche gehört, basiert auf diesen Gedanken.
In dieser kurzen Zeit kann ich nur einen sehr oberflächlichen Bogen spannen bis zum 20.
Jahrhundert. Zwei Philosophen, die mit ihren Gedanken massgeblich zur Entwicklung der
Psychoanalyse beigetragen haben, müssen aber unbedingt erwähnt werden.
Da ist Schopenhauer (1788-1860), der sich mit vielen psychologischen Fragestellungen
beschäftigt hat und auch eine Abhandlung über den Traum geschrieben hat. Er
unterscheidet Träume beim Einschlafen und Aufwachen von den Träumen im Tiefschlaf,
und er postuliert eine physiologische Erregung als Ursprung des Traumes. Bei der
Deutung der Träume hält er sich an Artemidor. Interessant ist seine Idee, die Träume als
„träumende Allwissenheit“ zu bezeichnen und das Bewusstsein mit Unwissenheit
gleichzusetzen.
Im Werk von Friedrich Nietzsche (1844-1900) gibt es dann viele Hinweise auf Träume
und auch auf das Unbewusste. In seiner Biographie erzählt er eigene Träume, die ihm
wichtig sind. Seine Aussage „im Schlaf und im Traum machen wir das Pensum früheren
Menschentums noch einmal durch“ ist recht bekannt. Er beschäftigt sich damit, weshalb
der Geist geneigt ist, dem Traum zu glauben, während er im Wachzustand so kritisch ist.
Er sagt sich, der Traum bringe uns „ferne Zustände der menschlichen Kultur zurück“.
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Sehr aktuell mutet folgende Aussage an: „Die längsten Zeiten hindurch hat man
bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet. Jetzt erst dämmert uns die
Wahrheit auf, dass der allergrösste Teil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst,
ungefühlt verläuft.“
Am Ende des 19. Jh. begann die Erforschung des Traumes mit den damaligen
wissenschaftlichen Kriterien. Die Medizin machte rasante Fortschritte, und der Körper und
seine Funktionen stand im Zentrum. Auch Freud war einer dieser Forscher.
Einige mögliche Traumquellen wurden entdeckt:
-äussere Sinneserregung (z.B. Geräusche, es wurden Experimente mit Kitzeln angestellt,
etc. Freud postulierte die schlaferhaltende Funktion des Traumes.)
-innere Sinneserregungen - das waren eher hypnagoge Visionen
-innerer organischer Leibreiz: Freud sagt, dass Störungen der inneren Organe als
Traumerreger wirken können. Herz- und Lungenkranke haben Angstträume,
Entzündungen bewirken Träume von Feuer, und der Einfluss von sexueller Erregung auf
die Träume ist bekannt.
-rein psychische Reizquellen, da wurde mit Hypnose experimentiert und eigentlich
geführten Tagträumen.
Freud ist aber viel weiter gegangen. Bei seiner Erforschung des Unbewussten entdeckte
er verdrängte Inhalte in Träumen. 1900 wurde seine „Traumdeutung“ veröffentlicht, ein
revolutionäres und Epoche machendes Werk. Er wendete erstmals eine
psychodynamische Betrachtungsweise an.
Entgegen der Annahme, der Traum sei eine Art von Abfallkübel voller absurder Inhalte
oder nur die Reaktion auf äussere oder innere Reize betrachtet Freud den Traum als
wichtige, sinnhaltige und bedeutsame Erscheinung des Unbewussten.
Er geht davon aus, dass die Bedeutung des Traumes normalerweise verborgen ist, der
Traum ist vom manifesten Inhalt her nicht ohne weiteres verständlich. Und er nimmt an,
dass der Traum eine Wunscherfüllung darstellt.
Der Traum stellt beispielsweise eine einfache Wunscherfüllung dar, wenn wir im Schlaf
durstig sind und träumen, dass wir wunderbares kühles Wasser an einer Quelle trinken.
Oder dass wir unterwegs sind und gerade ein WC suchen und finden, wenn wir dringend
pinkeln müssten.
Aber: Die entscheidenden inhaltlichen Traumquellen sind bei Freud die dynamisch
unbewussten Wünsche aus dem Bereich der infantilen Sexualität, diese stellen die
Triebquelle dar. Es handelt sich dabei nicht nur um aktuelle, sondern auch um
vergangene, abgetane, verdrängte und überlagerte Wünsche. Das Traumgeschehen wird
vom Sexualtrieb gesteuert.
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Die vorbewussten Tagesreste, die Körperempfindungen, die unbewussten sexuellen
Wünsche, die angeregten libidinösen Ansprüche stellen das sog. latente Traummaterial
dar. Dieses wird in der Traumarbeit (Verdichtung, Verschiebung) entstellt und verhüllt und
zeigt sich so im manifesten Trauminhalt. Wir können uns einen Zensor vorstellen, der
sich um die Verwandlung der peinlichen und unterdrückten Wünsche und Gedanken
kümmert, bevor sie „so verkleidet“ im Bewusstsein auftauchen dürfen.
Die Interpretation eines Traumes ist somit immer schwierig, und es bleibt offen, ob ein
bestimmtes Traumelement wörtlich, symbolisch, positiv oder negativ verstanden werden
soll. Der Traumdeuter muss die Biographie des Träumers kennen, auch seine freien
assoziativen Gedankengänge, und er muss über ein grosses Symbolverständnis verfügen.
Nur so kann das Material aus dem Unbewussten durch die Trauminterpretation (die via
regia) bewusst werden, kann das ES ins Bewusstsein integriert werden.
Lassen Sie uns nochmals kurz zusammenfassen: Freud versteht die Träume als kausal
verursacht, und sie drücken die Erfüllung eines verborgenen Wunsches aus.
Das Unbewusste enthält alle unterdrückten Wünsche und andere unerfreuliche
Lebenserinnerungen.
Wenn der Traum einen unterdrückten Wunsch erfüllt, hat er eine Ventilfunktion. Der Trieb
wird dadurch entladen, die Spannung gemindert, und der Schlaf nicht gestört.
Deswegen hat er den Traum auch als „Hüter des Schlafes“ bezeichnet.
Ja, nun befinden wir uns im 20. Jh., und es werden vermehrt die biologischen und
neurophysiologischen Funktionen von Schlaf und Traum erforscht und untersucht. 1929
erfindet Berger das Elektroencephalogramm, das wird 1937 von Loomis für
Schlafuntersuchungen angewandt. 1953 entdecken Aserinsky und Kleitman die REMPhasen.
Mittels des EEG werden die Schlafzyklen und die verschiedenen Schlaftiefen erforscht,
welche verschiedene Arten von Hirnaktionsströmen aufweisen. Die rythmische Abfolge der
Schlafphasen erweisen sich als stabiles Merkmal aller schlafenden Menschen. In jeder
Phase finden wichtige Aufbauvorgänge im Stoffwechsel statt, welche lebensnotwendig
sind. Im Schlaf findet eine grosse Hirnaktivität statt, somit erweist sich der Schlaf
keinesfalls als Bruder des Todes!
Die REM-Phasen dauern im Durchschnitt 20 Minuten und nehmen gegen Morgen zu. Im
Labor berichten 80% der Versuchspersonen über einen Traum, wenn sie aus der REMPhase geweckt werden. Anfangs der 60-er Jahre setzte man deshalb den REM-Schlaf
dem Traumschlaf gleich. Diese Annahme erwies sich als falsch. Irgendeine Form von
psychischer Aktivität im Hirn findet immer statt, während des ganzen Schlafs. Weil die
Hirnstromaktivitätskurve in der REM-Phase derjenigen der Wachphase schon sehr ähnlich
ist, ist es leichter, sich beim Erwachen an den Traum zu erinnern.
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Soweit zum biologischen Aspekt. Weshalb wir träumen, welche Funktion der Traum hat, ist
immer noch Gegenstand vieler Untersuchungen. Freuds Theorie birgt wichtige
Erklärungen, ich möchte jetzt zum Abschluss auf CGJung eingehen.
Freud hat vor allem mit neurotischen Patienten gearbeitet, und man muss seine Befunde
auch in Zusammenhang mit den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen sehen. Jung
war lange im Burghölzli tätig und arbeitete mit psychotischen Patienten. Er war also mit
ganz anderem klinischen Material konfrontiert. Der berühmte archetypische Traum vom
Sonnenpenis eines seiner Patienten hat ihn zur Entdeckung des kollektiven Unbewussten
geführt.
Das kollektive Unbewusste ist allen Menschen gemeinsam und birgt vererbte Engramme
aus allen Phasen der Stammesgeschichte in sich. Es steht für eine tiefe archetypische
Schicht, eine Art von Mutterboden, die allem zugrunde liegt. Es repräsentiert einen uns
allen gemeinsamen Fundus, einen Schatz und eine Ressource. Man kann sich das wie
eine psychische Grundstruktur vorstellen, ein Raster von möglichem psychischem
Erleben. Archetypische Bilder, wie sie im Traum auftauchen können, sind jeweils
individuell und je nach Kultur anders gestaltet.
Das Ich-Bewusstsein ist wie eine Insel, das aus dem koll. UBW herausragt und darin
verwurzelt ist, dazwischen steht das persönliche Unbewusste mit allen Schattenseiten.
(Abb.)
Der Traum stellt bei Jung eine Mischung aus bewussten und unbewussten Inhalten dar.
Eine Hauptfunktion des Traumes ist die kompensatorische Funktion. Wenn wir in
irgendeiner Sache auf sehr einseitige Weise im BW feststecken, kann der Traum eine
andere Dimension eröffnen. Es scheint, dass der Traum ein Regulator ist im psychischen
Geschehen: die Psyche bleibt so eher im Gleichgewicht.
Der Traum kann dem bewussten Standpunkt einen neuen, weiteren Aspekt zufügen, wenn
das BW bereit ist, diese Erweiterung anzunehmen und zu integrieren, wird es wachsen.
Wir können fragen, weshalb wir etwas träumen. Die Sinnfrage ist immer wichtig. Der
Traum kann kausal sein (weshalb, verbunden mit Vergangenem), oder er kann final sein
(wozu, mit der Zukunft verbunden). Viele Male zeigt ein Traum einfach eine Situation klar
auf.
Ich möchte hier ein kurzes, einfaches Beispiel aus meiner täglichen Praxis anfügen,
selbstverständlich mit der Einwilligung des Träumers. Es handelt sich um einen 73jährigen Mann, der sich vermehrt mit dem Alter und dem Tod auseinandersetzt und viele
Ängste davor hat. Er träumt, er findet in seiner Tasche ein altes SBB-Billet, so wie man es
früher hatte, aus Karton und schon verschiedentlich gelocht. Es ist aber durchaus noch
gültig und man kann noch einige Reisen damit unternehmen. Der Träumer hat die
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Botschaft sofort verstanden: ich bin zwar aus einer anderen Zeit und etwas verbraucht,
aber ich habe noch etwas vor mir. Er war sehr bewegt von diesem Traumbild, eröffnet es
ihm doch eine Perspektive.
Beim Traum geht es darum, zuerst einmal wahrzunehmen, was er gefühlsmässig mit
einem macht und was anklingt.
In der jungschen Theorie unterscheiden wir die objektstufige Deutung und die
subjektstufige Deutung. Lassen Sie mich das kurz erklären: auf der Objektstufe nehme
ich die im Traum vorkommenden Figuren als real, also wenn ich beispielsweise von
meiner Mutter träume, die erkrankt ist, beziehe ich das auf das reale objektive
Aussenleben und befürchte vielleicht, dass sie wirklich erkranken wird. Das wäre eine
recht verbreitete Art, Träume prophetisch aufzufassen. In Wirklichkeit treten prophetische
Träume eher selten auf. Subjektstufig würde die erkrankte Mutter etwas Innerseelisches
bedeuten, die eigene verinnerlichte Mutter, und könnte etwa bedeuten, dass ich mir selber
zuwenig mütterlich schaue, weil da etwas erkrankt ist.
Auf der Subjektstufe nehme ich alle auftretenden Orte, Landschaften und Figuren als Teile
meiner eigenen Persönlichkeit wahr, die können bewusst und unbewusst sein. Ein
Traummotiv könnte beispielsweise auch sein, dass ich ein Kind erwarte. Dies kann bei
einer jungen Frau durchaus bedeuten, dass dieses Ereignis real eintreffen wird, es kann
aber auch bedeuten, dass ein inneres Kind wichtig werden wird, ein geistiges, das könnte
ein Projekt sein, um das ich mich werde kümmern müssen.
Ein weiteres Beispiel: wenn ich von einem schlimmen Erdbeben träume, kann das wirklich
ein äusseres drohendes Ereignis ankündigen, etwa eine Kündigung, oder das Ende einer
Beziehung, andererseits wird das auch eine innere Entsprechung haben, und vermeintlich
feststehende innere Werte können massiv erschüttert werden, und die Person der
Träumerin oder des Träumers in eine tiefe Krise geraten. In meiner psychotherapeutischen
Praxis stelle ich oft fest, dass sich Subjekt- und Objektstufe nicht ausschliessen, sondern
ergänzen, und eine Deutung auf beiden Ebenen möglich ist.
Jung: „Die ganze Traumschöpfung ist im Wesentlichen subjektiv, und der Traum ist jenes
Theater, wo der Träumer Szene, Spieler, Souffleur, Regisseur, Autor, Publikum und Kritiker
ist. Diese einfache Wahrheit ist die Grundlage jener Auffassung des Traumsinnes, die ich
als Deutung auf der Subjektstufe bezeichnet habe. Diese Deutung fasst, wie der Terminus
sagt, alle Figuren des Traumes als personifizierte Züge der Persönlichkeit des Träumers
auf.“ (GW8)
Im jungschen Denken ist der Kontext ganz wichtig, die Kenntnis der Lebensgeschichte
und der aktuellen Umstände. Die im Traum auftretenden Inhalte werden nicht als als
Bilderrätsel aufgefasst, aber es braucht ein gutes Symbolverständnis. Der Traum birgt in
sich eine ins Bewusstsein drängende Energie, und die Symbole beinhalten neben einem
bewussten einen noch unbekannten, geheimnisvollen Anteil, der erforscht werden möchte.
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Zum Abschluss möchte ich noch etwas persönliches anmerken. Früher dachte man, durch
eine treffende Traumdeutung könne man das Störende, „Böse“ entdecken und damit
unschädlich machen, eine heilende Katharsis würde stattfinden. Das mag manchmal auch
so sein.
Im Alltag der Praxis wissen wir aber, dass es viel mehr auf Begleitung, achtsam
Wahrnehmen, Einordnen ankommt. Meistens ist es weniger so, dass wir einen Traum mit
einer treffenden Deutung erfassen und quasi aufspiessen können, sondern wir versuchen
hineinzugehen, darüber zu fantasieren und imaginieren. So oder so:
Dem Traum bleibt in der jungschen Analyse ein ganz wichtiger Stellenwert!
lic.phil. Katharina Casanova
Psychotherapeutin FSP
Mitglied SGAP, AGAP, IAAP
Dozentin und Lehranalytikerin von ISAP Zürich
Kronenstrasse 42
8006 Zürich
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