Christian Boros ist Werber und Kunstsammler. Mit seinem

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Christian Boros ist Werber und Kunstsammler. Mit seinem
Christian Boros ist Werber und Kunstsammler. Mit seinem Museum im Bu
Privatmuseum. Mit dem „Bananenbunker“ fand Christian Boros die Herberge für seine Kunstsammlung. Oben am Dach baute er sich ein Traum-Penthouse.
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Der Zwangsvermittler
m Bunker schuf er sich und der zeitgenössischen Kunst ein Denkmal.
Bestseller stattete dem Ästheten einen Besuch in Berlin ab.
Text von Sebastian Loudon
Boros ColleCtion, HuBer von Wald
Berlin Mitte,
Anfang November. An einem grauen Freitagnachmittag schleichen zwei Gestalten um
den sogenannten „Bananenbunker“ in Berlin-Mitte. Es ist kalt, viel
zu kalt für diese Jahreszeit. Und es ist feucht. Der Bunker, erbaut
1942, bekam diesen liebevollen Namen in den Fünfzigerjahren, als
er der DDR-Führung als Lager für Südfrüchte diente. Nach der
Wende war er Schauplatz der härtesten Techno-Feten in Berlin. Das
Gebäude ist quadratisch angelegt, hat auf jeder Seite einen Eingang.
Die beiden Figuren im Novembernebel sind auf der Suche nach
dem einen Eingang, der in eines der spektakulärsten Penthouses
Berlins führt. Dort oben auf dem Dach des Bunkers lebt seit zwei
Jahren Christian Boros mit seiner Frau Karen Lohmann und dem
gemeinsamen siebenjährigen Sohn. „Sie sind auf der falschen Seite
des Bunkers“, sagt Boros durch das Telefon. Er klingt geduldig, die
Bestseller-Reporter sind offenbar nicht die Ersten, die sich schwer
tun, auf Anhieb den richtigen Eingang zu finden. Umgekehrt läuten auch viele Museumsbesucher irrtümlich bei den Boros‘ im
sechsten Stock an. Museum? Im Bunker? Ganz genau. Vor zwei
Jahren machten Boros und Lohmann ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst der Öffentlichkeit zugänglich. Im Berliner „Bananenbunker“. Und oben auf dem Dach stellten sie sich ihre Wohnung
hin. Mit dem Fahrstuhl geht es also durch die 3,1 Meter dicke Decke des Bunkers – bis das Loch im Stahlbeton frei war, vergingen alleine drei Monate, das wird sogar den Museumsbesuchern aus aller
Welt erzählt. Oben angekommen stehen die Besucher aus Wien vor
einer gigantischen Metall-Schiebetür. Für einen Moment fühlen sie
sich wie in einem James-Bond-Film, im Herzstück des Hauptquartiers des Bösewichts. Die Tür gleitet zur Seite, aber da steht kein Bösewicht, sondern Christian Boros, von Beruf Werber und seit 2008
Berliner Nebenerwerbs-Museumsdirektor.
Flüchtlingskind und Ästhetik-Stundent
Boros ist vielbeschäftigt – auch an diesem Freitagabend. Er muss
seinen Sohn abholen, und abends kommen Gäste. Dennoch gibt er
seinem Besuch keine Sekunde das Gefühl, er wäre nicht willkommen. Und er ist völlig unhektisch. „Bevor wir anfangen, möchte ich
noch eine Zigarette rauchen.“ Dafür gibt es nur einen Ort in dem
riesigen Loft, das man gemeinhin als atemberaubend bezeichnen
würde, nämlich unter der Edelstahl-Dunstabzugshaube in der Küche. Neben dem Herd steht bereits das geschnittene Gemüse für die
Gäste. „Heute wird groß aufgekocht“, sagt Boros, als er genüsslich
seine Zigarette raucht und zu erzählen beginnt. Von seiner Kindheit
im Flüchtlingslager, nachdem Boros‘ Eltern, als dieser sieben Jahre
alt war, aus Polen in den „goldenen Westen“ kamen. Von seiner Jugend in Köln, wo er keinen Sport betrieb, „viel zu spät“ mit Mädchen zu tun hatte, aber dafür bereits sehr früh mit Kunst in Berührung gekommen ist. Er erzählt von seinem Entschluss, bei Bazon
Brock in Wuppertal Ästhetik zu studieren, wo ihn Brock immer
einen „Zwangsbeglücker“ genannt habe. „Weil ich die Dinge, die
ich gut fand, immer unbedingt allen anderen vermitteln wollte.“
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stellen sollte. Boros, bestens bekannt mit
Wurm, war eingeladen und dachte sich
„Oh Gott, jetzt wird der Erwin eitel, jetzt
will er einen Prachtband über sein Lebens­
werk.“ Sein Vorschlag ging ins Gegenteil:
Was gibt es Ironischeres und Wahrhaftige­
res zugleich, als wenn ein erfolgreicher
Künstler in einem Buch über sein Lebens­
werk ebendieses als gescheitert oder eben
umgangssprachlich als „vergurkt“ darstellt,
dachte sich Boros und präsentierte das
„Gurkenbuch“, einen dicken Schmöker mit
einer großen Essiggurke im Relief vorne
drauf. „Ein Objekt, kein Buch“, sagt Boros
stolz, bevor er das Gespräch unterbricht:
„So, genug geraucht, setzen wir uns rüber.“
Erster oder Letzter
Wenn Boros mit seinen Ideen in eine Prä­
sentation geht, weiß er vorher schon ganz
genau: Entweder werde ich mit Abstand
Letzter, oder ich gewinne den Pitch haus­
hoch. Wie das geht, wollen wir wissen.
„Ich habe nie in meinem Leben in einer an­
deren Agentur gearbeitet, nicht einmal ein
Praktikum habe ich gemacht. Das heißt,
mir hat niemand jemals gesagt: Das geht
nicht, oder: So können wir das nicht ma­
chen. Nachdem mir dieser Abschleifungs­
prozess gefehlt hat und ich als Student oh­
nehin nicht viel zum Leben gebraucht
habe, ging ich immer kompromisslos ins
Viva liebt dich
Rennen. Und bald hat man von uns erwar­
„Unser Auftrag lautete: Zeig der deutschen
tet, dass wir Terror machen, wenn wir
Jugend, wie toll Viva ist“, erinnert sich
Boros. „Und wir haben dem Kunden gesagt: unsere Pappen hochhalten.“ Ecken und
Kanten, das macht für Boros den Erfolg
Entschuldigt, aber in den Augen eines
aus – den der Kunst, den der Werbung und
Sechzehnjährigen ist Viva nicht toll. Ers­
tens ist MTV viel toller, und zweitens inter­ auch seinen eigenen. „Wenn ich kein Profil
habe, kann ich auch keine Spuren hinter­
essiert er sich ohnehin viel mehr für Pet­
lassen.“ Aus dieser Überzeugung resultiert
ting als fürs Fernsehen.“ Betretene Stille,
seine tiefe Abneigung, die Werbelinie von
nachdenkliches Schweigen, bis Boros fort­
Marktforschung abhängig zu machen.
fuhr: „Die imperativen Muster – ich sage
„Solche Aufträge nehme ich gar nicht an.
dir, was du von mir halten sollst – das
funktioniert nicht mehr.“ Das Ergebnis: Das Das ist ungefähr so, wie wenn ein Künstler,
um Erfolg zu haben, nur mehr gelbe Bilder
erste Sujet für Viva zeigte ein Pärchen, das
malt, weil er weiß, dass gerade gelbe Bil­
fummelnd unter einer Bettdecke versteckt
der angesagt sind. Wenn man in der Wer­
war. Ganz nebenbei ein Fernseher, auf dem
bung immer nur das produziert, was das
Viva lief. Und unten der simple Slogan:
normale Rezeptionsbewusstsein fordert,
Viva liebt dich. „Was wir damals der
dann befriedigt man zwar existierende Er­
Jugend gesagt haben, war: Wir sind nicht
wartungen, aber man überrascht nie, man
wichtig. Ihr seid es, die wichtig sind. Und
schafft nichts Neues, nichts – im wahrsten
wir sind für euch da.“ Bescheidenheit und
Sinne des Wortes – Merkwürdiges.“ Genau
Selbstironie – das sind die Hebel, mit de­
nen die Agentur Boros Communications ihr dieser Mut zu neuen Wegen ist für Boros
das, was die Werbung von der Kunst ler­
Ziel der Relevanzmachung verfolgt. Ande­
nen muss. Und was er selbst aus der Kunst
res Beispiel: Der österreichische Künstler
gelernt hat. Allerdings schränkt er ein:
Erwin Wurm bat zum Wettbewerb für ein
Buch, das sein bisheriges Lebenswerk dar­ „Werbung muss zwar mutig, darf aber nie
Huber von Wald (2)
„Werbung muss mutig,
darf aber niemals leichtsinnig sein.“ Christian Boros
Die Studienwahl erfolgte sehr zum Leidwe­
sen seiner Eltern, die nicht in den Westen
gekommen waren, damit ihr Sohn einen so
brotlosen Weg einschlägt. Diese Sorge war
unbegründet. Um sein Studium zu finanzie­
ren, begann Boros in Wuppertal als Werber
in Eigenregie. Was ihn dazu legitimierte?
„Ästhetik ist ja nicht nur die Lehre des Schö­
nen, Wahren und Guten, sondern letztlich
die Kunst des Vermittelns, des Relevanz­
machens. Und nichts anderes sollte Wer­
bung ja auch tun, und man kann nun ein­
mal damit mehr Geld verdienen als mit
Taxifahren“, sagt Boros. Es war ein Kava­
liersstart. Sein erster Kunde: Ein Musikleh­
rer aus Wuppertal kam mit der Idee eines
deutschen Musikfernsehsenders auf ihn zu.
„Er sagte, ich müsse mir einen Namen dafür
ausdenken.“ Der Musiklehrer heißt Dieter
Gorny, der Name, den sich Boros ausge­
dacht hat, lautet, erraten: „Viva“. „Das war
mein Initialkunde, und die erste Kampagne,
die ich dafür gemacht habe, war gleichzei­
tig das härteste Stück Werbung meiner
zwanzigjährigen Laufbahn.“ Moment, das
wollen wir genauer wissen! Und siehe da,
mit der folgenden Anekdote nimmt Boros
einen Gutteil der seit Jahren laufenden
Diskussionen über Rolle und Tonalität der
Werbung vorweg.
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Huber von Wald (2)
leichtsinnig sein, denn schließlich arbeiten
wir mit dem Geld anderer Leute.“ Und
dann, nachdenkliche Kehrtwende: „Eine
langweilige Kampagne ist auch nur raus­
geschmissenes Geld.“
TV ist tot. Es lebe das Buch
Boros ist ganz verrückt nach Facebook. Er
hat mehr als zweitausend Freunde, kommu­
niziert rege mit ihnen, ist aber weit davon
entfernt, sich als Social­Media­Junkie titu­
lieren zu lassen. Seine Frau wundert sich
nur, sie ist Verweigerin. Für ihn als Werber
sind Social Media ein Riesenthema, das er
Ästhet. Der Werber und Kunstsammler Christian Boros empfängt Bestsellerim größeren Zusammenhang sehen will. Er
Chefredakteur Sebastian Loudon in seinem Loft, hoch oben auf dem Bunker.
ist sich mit Amir Kassaei, dem Kreativchef
von DDB Germany, in einem einig: „Die
Zaha Hadid, James Turrel, Jean Nouvel oder sehr visuelle Menschen.“ Die Eckpunkte
Werbung, wie wir sie kennen, ist tot. Nach
der Sammlung Boros: rund 500 Werke von
Olafur Eliasson. „Das ist pure Relevanz.
Dekaden des bezahlten Lügens muss man
57 Künstlern, darunter Namen wie Damien
Und glaubwürdig noch dazu.“ Nachsatz:
mit einer anderen Mechanik arbeiten. Und
Hirst, Olafur Eliasson, Elizabeth Peyton,
diese Mechanik heißt Relevanz.“ Die Medien „Eine Broschüre wird weggeworfen, für ein
Wolfgang Tillmans, Anselm Reyle, Manfred
Buch sagt man ‚Danke‘.“ Manchmal spielt
spielen dabei für Boros eine nachgelagerte
Pernice, Tobias Rehberger oder John Bock.
Rolle. Das traditionelle Fernsehen ist für ihn Boros die Marke seiner Kunden also be­
Olafur Eliasson, den Dänen, der in Berlin
ein aussterbendes Geschäft. „Ich kenne kei­ wusst herunter, um Glaubwürdigkeit zu er­
sein Studio betreibt und unterrichtet, zählt
reichen, wie im Fall von Viva, und dann
nen mehr, der Fernsehen guckt – die Men­
Boros zu seinen engsten Freunden, und er
wieder wird ein Produkt mit allen Mitteln
schen haben so wenig Zeit, da möchten sie
erhöht, wie es nur geht. Apropos: Die Agen­ war sein erster Sammler. Die „Boros Collec­
rezipieren, was sie wollen, und nicht, was
tion“ ist der Hotspot unter den Berliner
tur der Zukunft beschreibt Boros konse­
ihnen ein Programmchef gerade serviert.“
Museen. Führungen gibt es nur nach Vor­
quenterweise als eine „Gruppe von Fach­
Auch die Funktion des Fernsehens als Trä­
anmeldung im Internet, die Werke sind
arbeitern, die daran arbeiten, eine Marke
ger einer kollektiv erlebten Öffentlichkeit
relevant zu machen, und den Inhalt um die­ nicht gekennzeichnet („Das gefällt Herrn
sieht Boros ganz stark im Abnehmen. „Das
Boros nicht“, sagt die Führerin), teilweise
se Marke herum am Köcheln halten“. Kurze
gilt vielleicht noch für den ‚Tatort‘ oder
wurden die Räume für einzelne Werke
Unterbrechung. Boros‘ Frau kommt nach
‚Wetten, dass..?‘, aber wenn Sie an einem
eigens und extrem aufwendig adaptiert. Für
Hause: „Liebste, läuft alles? Wann soll ich
Samstagabend mit 60 Freunden auf Face­
Materialfetischisten: Beim Bau wurde soge­
denn unseren Sohn abholen?“
book online sind und chatten, spüren Sie
nannter „Blauer Beton“ verwendet, der da­
die Gleichzeitigkeit und diese Gemeinschaft
mals widerstandsfähigste Baustoff, der erst
viel intensiver, als wenn Sie ahnen, dass Ihr Mit der Kunst unter einem Dach
Man kann nicht mit Boros zusammensitzen, nach 30 Jahren voll ausgehärtet ist. Man­
Nachbar auch gerade ,Wetten, dass..?‘
che Werke hingegen fügen sich perfekt in
ohne ihn über den Bunker auszufragen.
schaut.“ Eine große Zukunft steht, Boros
die existierende Architektur. Wenn Boros
„Auch hier will ich letztlich nichts anderes
zufolge, Print bevor, aber nur dann, wenn
als vermitteln.“ Seine Sammlertätigkeit wird an die jahrelangen Umbauarbeiten zurück­
es gelingt, die Haptik wirklich erlebbar zu
denkt, gerät er ins Grübeln: „Wenn ich ge­
von zwei Konstanten bestimmt, einer
machen. Aus dem Südflügel des Lofts holt
wusst hätte, wie aufwändig das wird, hätte
formalen und einer subjektiven. Erstens
er dann einen Geschäftsbericht für das
ich es nicht gemacht. Das ist das Schöne,
kaufen Boros und Lohmann ausschließlich
Vorarlberger Lichttechnik­Unternehmen
wenn man in schwarze Löcher springt.
Zumtobel. Wieder so ein Beispiel: „Ich habe Werke, die zum Zeitpunkt des Erwerbs
Man weiß nicht, wie groß die Fallhöhe ist.
nicht älter als ein Jahr sind, und zweitens:
den Herrschaften bei der Präsentation ge­
Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht
sagt, ein Geschäftsbericht wird doch sowie­ „Ich interessiere mich nur für Kunst, die ich
hineingesprungen. Jetzt bin ich froh, dass
nicht verstehe, weil nur die das Potenzial
so weggeworfen. Darauf herrschte wieder
ich es gemacht, und vor allem, dass ich es
hat, mich weiterzubringen. Alles, was ich
dieses betretene Schweigen. Und dann
schlug ich ihnen vor, etwas zu machen, das ohnehin verstehe, muss ich nicht auch noch geschafft habe.“ Auf die Frage, ob für so
ein Megaprojekt mitten in Berlin nicht auch
eben nicht weggeworfen wird.“ Der Wälzer, tautologisch wiederholen.“ Und warum die
eine Portion Größenwahn von Nöten sei,
den Boros in den Händen hält, ist mit Weiß­ enge Eingrenzung auf zeitgenössische
Kunst? „Das sind die Werkzeuge der Gegen­ kann Boros nur milde lächeln. „Nein, aber
gold verziert und beinhaltet Essays von
wart. Meine Frau und ich wollen die Gegen­ Naivität.“ Aber dann doch wenigstens Sen­
dungsbewusstsein, der Wunsch, der Welt
wart verstehen und Hilfe für die Zukunft
ein großes Statement zu hinterlassen. „Ich
suchen. Da interessiert mich das Statement
bin eben ein Zwangsbeglücker“, sagt Boros
anderer Menschen – das kann genauso ein
und lacht.
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