Bericht zur Konferenz

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Bericht zur Konferenz
UN Frauenpolitik aktuell
Brennpunkte Ägypten, Libyen, Syrien und Nordirak
Schriftenreihe 2016 Nr. 1
AMICA
UN-Frauenpolitik international
Impressum
Herausgeberin:
AMICA e.V.
Habsburgerstraße 9
79104 Freiburg im Breisgau
Telefon: +49 (0) 761 55 69 251
E-Mail: [email protected]
www.amica-ev.org
Redaktion:
Heide Serra
Layout:
AMICA e.V.
Fotos: AMICA e.V. und Stephan Röhl
CC-Lizenz (CC BY-SA 3.0) www.stephan-roehl.de
Titelseite:
Generation Frieden? Junge Libyerinnen. Foto: AMICA e.V.
Seite 2/3: Team AMICA. M. Gargoum und N. Zuijdgeest.
Grußwort Rainer Suchan, Studioleiter SWR. G. Michel und F.
ElMadani. Panel Ägypten: Moderation Martina Schmid, SWR.
Karin Nordmeyer, UN Women Deutschland (v.l.n.r.)
Druck: Cewe Print
Auflage: 100
März 2016
© AMICA e.V.
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AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
Konferenzbericht
Inhalt
Grußwort ...............................................................................................................5
Einleitung/Introduction.................................................................................... 6/7
Meilensteine der UN-Frauenpolitik......................................................................8
Summary: UN Women‘s Policy - Milestones.................................................... 11
Länderbeispiel Ägypten: Frauen im öffentlichen Raum.................................. 12
Summary Egypt: Women in Public.................................................................... 15
Länderbeispiel Libyen: Riskantes Engagement für Frauenrechte.................. 16
Summary Libya: Dangerous Commitment to Women‘s Rights....................... 19
Länderbeispiel Syrien/Nordirak: Brutaler Krieg gegen Frauen und Kinder... 20
Summary Syria/ Northern Iraq: Cruel War against Women and Children..... 24
Die politische Perspektive/ The Political Perspective...............................26/27
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UN-Frauenpolitik international
Wir müssen uns von Hoffnung tragen lassen.
We have to let ourselves be carried by hope.
Sabah Al Hallak. Syrian Women‘s League
Konferenzbericht
Grußwort
Die Stärkung und Verteidigung der Frauenrechte hat gerade auch mit Blick auf die aktuellen Krisen wieder eine hohe Bedeutung erlangt. Während wir in Europa in den vergangenen Jahren in puncto Frauenrechte erfreulicherweise einige Fortschritte erzielt haben, geht die Entwicklung in einigen Ländern des Nahen Ostens teilweise dramatisch in die entgegengesetzte
Richtung.
Die Hilfsorganisation AMICA e.V. leistet in Krisenregionen und Nachkriegsgebieten einen unschätzbaren Dienst. Traumatisierten Frauen und Mädchen bietet AMICA psychosoziale, medizinische und rechtliche Hilfestellung, um sie stark zu machen
für ein selbstbestimmtes Leben.
Die Tagung „UN-Frauenpolitik aktuell - Brennpunkte in Ägypten, Libyen und Syrien“ der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation
mit AMICA e.V. will für die aktuellen Entwicklungen sensibilisieren. 20 Jahre nach Verabschiedung der Pekinger Aktionsplattform und 15 Jahre nach Annahme der Resolution des UN-Sicherheitsrates zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“ erscheint es
mir wichtiger denn je, an diese internationalen Zielvereinbarungen zu erinnern und eine Bilanz zu ziehen.
Ich habe daher sehr gerne die Schirmherrschaft für diese Tagung übernommen. Sie ist ein wertvoller Impuls und eine Ermutigung dafür, dass wir uns weltweit weiter für das Ideal einer vollständigen Gleichberechtigung von Frauen und Männern
einsetzen.
Winfried Kretschmann
Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg
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UN-Frauenpolitik international
Einleitung
Das Jahr 2015 setzte neue Maßstäbe im Hinblick auf
die auf Frauen ausgerichtete Politik der Vereinten Nationen. Einige Meilensteine der vergangenen Jahre wurden neu bewertet und neue Ziele gesteckt. Die Konferenz nahm den Internationalen Tag gegen Gewalt an
Frauen am 25. November zum Anlass, um die Forderungen und Abkommen auf höchster politischer Ebene mit
der Realität in heutigen Krisenregionen zu vergleichen.
Einführung: Instrumente der UN-Frauenpolitik
Die Konferenz gliederte sich in einen Einführungsvortrag, der einen Überblick über die wichtigsten Instrumente der Vereinten Nationen im Hinblick auf Frauen
gab. Das Augenmerk galt insbesondere der UNSicherheitsrats­resolution 1325, den neuen nachhaltigen
Entwicklungszielen (v.a. mit den Zielen 5 Gender Equality und 16 Peace and Justice) und der Aktionsplattform von
Peking aus dem Jahr 1995.
Länderpanels: Ägypten, Libyen, Syrien/Irak
Drei Länderpanels beleuchteten in Kurzreferaten die
Situation der Frauen in Ägypten, Libyen und der Region Syrien/Nordirak. Zu den ReferentInnen gehörten
Fachleute und AktivistInnen aus Ägypten, Libyen, den
Niederlanden, der Schweiz, Syrien sowie Deutschland. Im Anschluss an die Impulsreferate analysierten
sie über den Stand der Umsetzung der poltischen Instrumente mit Blick auf die aktuelle Lage in den jeweiligen Ländern.
Dabei wurde deutlich, dass Frauen weltweit und vor
allem in Krisenregionen verschiedensten Formen von
Bedrohung und Gewalt ausgesetzt sind. Sie sind noch
immer nicht angemessen in politischen Gremien, an
gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen und an
Friedensverhandlungen beteiligt. Teilweise bringt sie
ihr Engagement in Lebensgefahr. Forderungen nach
mehr Schutz, wie sie die Resolution 1325 ausspricht,
könnten aber auch einen nachteiligen Effekt haben
und Frauen aus dem öffentlichen Raum verdrängen.
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Diskussion: Schutz von Zivilisten ernstnehmen
Andererseits tragen die UN-Instrumente zu einer kritischen Wahrnehmung und Erforschung geschlechtsspezifischer Kriegsgewalt bei und haben letztlich auch
dazu geführt, dass diese heute als Kriegsverbrechen
bewertet wird.
Die Tatsache, dass sich in der arabischen Welt eine
neue Generation junger weiblicher und männlicher
Aktivisten für Gleichberechtigung und gegen Gewalt
einsetzt, gibt Anlass zur Hoffnung und stellt zudem
eine vielversprechende neue Strategie dar, wenn es um
die Stärkung der Rechte von Frauen und um die Verwirklichung der Gleichberechtigung geht. Eine wichtige Rolle spielen zivilgesellschaftliche Organisationen,
die Tabuthemen aufgrifen und Impulse geben. Die
Länderbeiträge beleuchteten auch einen Teil der
Fluchtursachen für Frauen und Mädchen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wichtige Instrumente der UN-Frauenpolitik wie die Resolution 1325
auf UN-Ebene wie auch auf nationaler Ebene nicht ausreichend umgesetzt werden, um sowohl Frauen und Mädchen als auch Männer und Jungen vor Gewalt zu schützen.
Die Konferenz wurde von AMICA e. V. und der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg e. V. veranstaltet. Gefördert aus Mitteln
des Auswärtigen Amts, des Kirchlichen Entwicklungsdienstes
durch Brot für die Welt-Evangelischer Entwicklungsdienst und der
Stadt Freiburg im Breisgau.
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Konferenzbericht
Introduction
The year 2015 was important for women‘s rights. Several
milestones of the United Nation‘s policy for women were
revisited, new goals were set. The Conference took place
on the International Day for the Elimination of Violence against Women, November 25th, and compared
agreements on the highest political level with the situation
in current crisis regions.
Introduction: UN Women‘s Policy
The keynote lecture presented the main instruments of the
United Nations policy with regard to women and particularly discussed UN Security Council Resolution 1325,
the new Sustainable Development Goals (with special regard to Goal 5 Gender Equality and Goal 16 Peace and
Justice) as well as the Beijing Platform for Action which
was adopted in the year 1995 at the Fourth World Conference on Women.
In the Arab world a new generation of young female and
male activists is getting engaged for gender equality and
against violence, which sounds like a promising new strategy to support the rights of women and to achieve equality. Civil society organizations play an important role
since they are discussing taboos and inspiring new forms
of approach. The discussions also illustrated a number of
reasons why women and girls become refugees.
In summary it can be said that important instruments
such as the Resolution 1325 are not sufficiently implemented at UN level as well as at national levels to protect
women and girls as well as men and boys from all forms
of violence.
Panels on Egypt, Libya, Syria/ Northern Iraq
Three countries were the focal point of interest in the second part of the conference. Experts and activists from
Egypt, Libya, the Netherlands, Switzerland, Syria and
Germany discussed the situation of women in current
conflict regions and with regard to the polictical instruments at UN level.
Women worldwide and especially in crisis regions are exposed to various forms of threats and violence. They are
still underrepresented in political bodies, decision-making processes, and in peace negotiations. Some female
actvists face considerable danger due to their commitment. Asking for more protection of women as for example in Resolution 1325, however, could have negative effects since higher security standards might ban women
from public places.
Discussion: Protection of Civilians
The conference was organized by AMICA e.V. and the Heinrich Böll
Foundation Baden-Württemberg e.V. Financed by the Federal Forein Office, Bread for the World – Protestant Development Service,
and the city of Freiburg im Breisgau.
On the other hand, the UN instruments are contributing
to a critical perception and analysis of gender-based violence in conflict and to the classification as a war crime.
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UN-Frauenpolitik international
Wahlplakat in Libyen 2012. Nach der Revolution ging
jeder 2. Listenplatz an eine Frau. Foto : AMICA e.V.
Meilensteine der UN-Frauenpolitik
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist noch in keinem Staat der Welt erreicht. Bis 2014 haben zwar 143 Länder Gleichstellung in ihre Verfassungen aufgenommen. Tradierte kulturelle und religiöse Haltungen messen Frauen jedoch weiterhin einen geringeren Menschenrechtswert als Männern
zu. Gewalterfahrungen und Bedrohungen schränken sie in allen Lebensbereichen ein.
Ein Beitrag von Karin Nordmeyer
In ihrem Gründungsdokument haben die Vereinten
Nationen die Gleichberechtigung von Mann und Frau
und das Gebot der Nichtdiskriminierung festgeschrieben. Seitdem arbeiten sie an der Verbesserung der Situation von Frauen. Die 1949 geschaffene Kommission
für die Rechtsstellung der Frau, kurz: Frauenrechtskommission oder CSW, soll die politische, wirtschaftliche und soziale Rechtsstellung der Frau verbessern.
Ihre Empfehlungen sind jedoch nicht bindend.
Konvention gegen die Diskriminierung der Frau
Die 1. Weltfrauenkonferenz fand 1975 in Mexiko statt.
Die folgenden zehn Jahre wurden zur UN-Frauendekade erklärt, in der zwei weitere Weltfrauenkonferenzen
folgten: 1980 in Kopenhagen und 1985 in Nairobi. 1979
wird das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women
– kurz CEDAW) von der Generalversammlung angenommen.
Es ist das erste bindende Übereinkommen für Frauenrechte, mit einer Berichtspflicht der Vertragsstaaten
und einer Überprüfung durch den CEDAW-Ausschuss.
Im November 2015 haben 189 Staaten die Anti-Diskriminierungskonvention ratifiziert.
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Im Gegenwind: Aktionsplattform von Peking
Auf der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking
wurden nach zähem Ringen die beiden Abschlussdokumente, eine Erklärung und eine Aktionsplattform,
beschlossen. Die Aktionsplattform nennt zwölf Handlungsfelder und fordert spezifische Maßnahmen zur
Lösung der wesentlichen Probleme.
Auf der 59. CSW im März 2015 nahm man eine Bewertung der Umsetzung vor. Die Staaten bekräftigten alle
Ziele von 1995 und verpflichteten sich erneut zur
Durchsetzung der Gleichstellung der Geschlechter
und des Gender Mainstreamings in allen Bereichen.
Sie würdigten die Rolle der Zivilgesellschaft bei der
Umsetzung der Aktionsplattform und erkannten die
wichtige Rolle an, die Männer und Jungen dabei übernehmen.
Es herrschte jedoch „die allgemeine Sorge, eine Neuverhandlung der Beschlüsse könnte durch fundamentalistische und religiöse frauenfeindliche Strömungen
vieler Regierungen nur zu einem Rückschritt führen.
Gegenstand der Kritik aus dem konservativen Lager
sind vor allem die reproduktiven und sexuellen Selbstbestimmungsrechte für Frauen.“ Insgesamt verläuft
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Konferenzbericht
der Umsetzungsprozess der Forderungen zu politischer und wirtschaftlicher Teilhabe von Frauen deutlich zu langsam.
Globale Entwicklung: nur mit Frauen machbar
Auch in der Globalen Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung spielen Frauen eine entscheidende Rolle.
Viele der Zielsetzungen beziehen sich speziell auf die
Gleichberechtigung und die Stärkung von Frauen. Ziel
5 der nachhaltigen Entwicklungsziele, kurz: SDGs,
lautet: „Geschlechtergleichstellung erreichen und alle
Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“. Ziel 5 wird als reines Genderziel gesehen, da es
speziell auf geschlechterspezifische Anliegen abzielt.
Tatsächlich aber gibt es noch viel zu tun:
• Mehr Frauen müssen an Wahlen teilnehmen, sich zur Wahl stellen und politische Positionen ausfüllen.
• Frauen müssen eine angemessene Arbeit finden und
Vermögenswerte sammeln können.
• Frauen müssen Institutionen und Politik beeinflussen können.
• Die Belastung von Frauen durch unbezahlte Pflegetätigkeiten muss anerkannt, verringert und umverteilt werden.
• Frauen brauchen Unterstützung für Leitung von Aktionen in der humanitären Hilfe, einschließlich der
Konfliktprävention und den Bemühungen für Frieden und Sicherheit.
Verwüstet: Bengasi, Liyben 2015. Foto: Verfasser unbekannt
• Frauen brauchen ein Ende der Gewalt und ein größeres Bewusstsein für deren Ursachen und Folgen,
um Gewalt zu verhindern und auf sie zu reagieren.
• Regierungen müssen die Bedürfnisse von Frauen
und Mädchen in ihre Planung und Haushaltsausgaben einbe­ziehen.
• Zudem sind Männer und Jungen dazu aufgerufen,
sich für Geschlechtergerechtigkeit stark zu machen.
Frauen in bewaffneten Konflikten
Frauen und Mädchen fallen in aktuellen bewaffneten
Konflikten wenigstens drei ‚Rollen‘ zu: Sie sind Opfer
insbesondere von sexualisierter Kriegsgewalt, sie sind
Kombattantinnen in den female brigades des IS oder
der Al-Shaabab-Milizen und sie setzen sich für den Aufbau und die Gestaltung der Nachkriegsgesellschaften
als Teilnehmerinnen an Friedensverhandlungen und/
oder „Trümmerfrauen“ ein. Die neuen Aggressionsformen in den gegenwärtigen Konflikten finden nicht länger auf isolierten Schlachtfeldern zwischen bewaffneten Soldaten statt, sondern beziehen gezielt die
Zivilbevölkerung in ihre Terrorakte mit ein.
Dies hat zur Folge, dass sehr viele Frauen und Kinder
zu Opfern werden. Die Täter suggerieren dabei in den
häufig patriarchalen Gesellschaften, dass Männer ihre
Familien, ihre Frauen und Kinder nicht schützen können. Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt als
Teil der Kriegsstrategie zielen auf die Demoralisierung
der Gegner und werden auch zur Rekrutierung von
Mädchen mit Wasserkansiter Damaskus, Syrien 2015. Foto: Lens Young Damashqui
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UN-Frauenpolitik international
Kämpfern, zur Einschüchterung oder Vertreibung der
Bevölkerung und sogar zur Erzielung von Einkünften
durch den Handel mit Frauen eingesetzt. Sie destabilisieren Völkergemeinschaften und entlassen vormalige
Kriegsteilnehmer häufig brutalisiert. Diese Verrohung
schwappt nach den beendeten Kriegshandlungen in
die neu aufzubauenden Gesellschaften. In Nachkriegsregionen steigt häusliche Gewalt signifikant an. Die an
Frauen und Mädchen verübte sexualisierte Gewalt
stellt ein massives Sicherheitsproblem dar und zeitigt
spürbare ökonomische Folgen.
Überprüfung an, und die deutsche Zivilgesellschaft
wird ihre Forderungen aus den Erfahrungen der Hilfsarbeit in Kriegsgebieten in diesen Prozess einbringen.
Denn eines steht fest: Wir brauchen Frauen für Frieden, wir brauchen Frauen für Entwicklung.
Der Vortrag stand in zeitlich dichtem Zusammenhang mit der
Veröffentlichung des Artikels von Karin Nordmeyer "20 Jahre
Weltfrauenkonferenz" in der Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen 6/2015, S.261-265.
UN-Resolution 1325: Frauen, Frieden, Sicherheit
Mit der Resolution 1325 ›Frauen, Frieden und Sicherheit‹ beschließt der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober
2000 ein wegweisendes Dokument, das in den nachfolgenden Jahren durch sieben ergänzende Resolutionen
in seiner Wirksamkeit weiter spezifiziert wird. Seither
sind Fortschritte bei der Dokumentation, Untersuchung, Aufklärung und Bestrafung sexualisierter
Kriegsgewalt zu verzeichnen. Wesentliche Fortschritte
konnten auch durch das Jugoslawien-Tribunal und den
Internationalen Strafgerichtshof sowie durch verschiedene Opferschutzprogramme erreicht werden.
Der Kampf gegen die Straflosigkeit geht jedoch weiter,
da die überwiegende Zahl der Taten nicht verfolgt
wird. Auch von den Friedensverhandlungen sind Frauen weiterhin weitgehend ausgeschlossen, obwohl die
UN-Resolution 1325 die Beteiligung von Frauen nachdrücklich einfordert. Weniger als drei Prozent der Unterzeichner von Friedensabkommen sind Frauen. Es
werden deutlich zu wenige Frauen von ihren Regierungen für Friedensmissionen vorgeschlagen und eingesetzt. Seit der Annahme von Resolution 1325 ist der
Anteil der unterzeichneten Friedenserklärungen, die
einen Verweis auf Frauen enthalten, von 11 auf 27 Prozent gestiegen ist.
Bis heute haben erst 54 Staaten einen Nationalen Aktionsplan zur Resolution 1325 aufgelegt. Der deutsche
Nationale Aktionsplan von 2012 steht im Jahr 2016 zur
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Karin Nordmeyer ist Vorsitzende
von UN WOMEN Nationales Komitee Deutschland e.V. und Mitglied
im Beirat Zivile Krisenprävention
der Bundesregierung.
Karin Nordmeyer is president of
UN WOMEN National Comitee
Germany and a member of the
advisory board Civil Crisis Prevention of the federal government.
Foto: Stephan Röhl
Konferenzbericht
Summary
UN Women‘s Policy: Milestones
No state has yet achieved full gender equality even though, by 2014, 143 countries included equal
rights of women and men in their constitutions. Traditional cultural and religious attitudes are conceding women a lower human rights value than men. Violence and threats limit them in all ways of life.
By Karin Nordmeyer
In its founding document, the United Nations codified
the principles of equality and of non-discrimination between men and women. Since then, the UN has been working to improve the situation of women, worldwide. In
1949, the Commission on the Status of Women (CSW)
was formed to review and attempt to improve the political, economic and social status of women.
CEDAW: Convention against Discrimination
The Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW) was adopted by
the General Assembly, in 1979. It is considered to be the
first binding convention on women‘s rights, with reporting obligations for member states and a review by the
CEDAW Committee. By November 2015, 189 states ratified the CEDAW.
Women in armed conflicts
In the current conflicts, women and girls take on at least
three different roles: They are victims particularly of sexualised violence, they are combatants in the female brigades of the IS or the Al-Shaabab militias, and they are
committed to reconstructing post-conflict societies as
participants in peace negotiations and or Trümmerfrauen. New forms of aggression are no longer limited to battlefields and armed soldiers. Terror is targeted towards the
civilian population. Rape and sexual violence are a part of
the war strategy, intended to intimidate or displace local
communities. As a new form of violence, income is generated through the illicit trafficking of women.
Resolution 1325: Women, Peace and Security
No Global Development without Women
Resolution 1325 on Women, Peace and Security is a
ground-breaking document, issued by the UN Security
Council on 31 October 2000. Since then, progress has
been made in the fields of detection, documentation, investigation, and punishment of sexual violence in conflict. Ending impunity of the perpetrators, however, is
still necessary since a vast number of atrocities are not
pursued. In peace negotiations, women are still largely
excluded even though the resolution calls for their participation. Less than three percent of the signatories of peace agreements are women. Governments propose far
too few women for peacekeeping missions.
To date, only 54 countries adopted a National Action
Plan for implementing UNSCR 1325. The German National Action Plan of 2012 will be reviewed in 2016. German civil society organiations will share their experiences from years of working in war zones and conflict areas,
since one thing is beyond doubt: We need women for peace, we need women for development.
According to the Global Agenda 2030 for sustainable development women play a vital role and many of the objectives are specific to gender equality and empowerment.
Target 5 of the Sustainable Development Goals (or SDGs)
demands „gender equality and empowerment of all women and girls“. Target 5 is seen as pure gender goal, as it
aims specifically to address gender inequality concerns.
The presentation was held shortly after the publication of the
article by Karin Nordmeyer „20 Years World Conference on Women“ in the Journal of the United Nations and its specialized
agencies 6/2015, p.261-265.
Fearing Pushback: Beijing Platform for Action
At the fourth World Conference on Women in Beijing in
1995, two final documents, a declaration and a platform
for action, were adopted. The Platform for Action names
twelve critical areas of concern and calls for specific measures to solve essential problems.
During the 59th CSW meeting in March 2015, the implementation of the Platform of Action was evaluated. The
member states reaffirmed all goals and their commitment
to the enforcement of gender equality and gender mainstreaming. There was general concern, that perhaps due
to fundamentalist and misogynist tendencies of many governments re-negotiating would lead to a loss of achievements. The implementation process of the political and
economic participation of women is proceeding too slowly.
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UN-Frauenpolitik international
Starke Ägypterinnen: Aktivistinnen 2015. Foto: AMICA e.V.
Länderbeispiel Ägypten
Frauen im öffentlichen Raum
Sexuelle Belästigung ist in Ägypten weit verbreitet. Studien berichten, dass fast jede Frau durch Blicke,
Bemerkungen oder Berührungen bedrängt wird. Nachdem schwache Gesetze nachgebessert wurden,
fordern zivile Organisationen nun die Bestrafung der Täter. Gemeinsam mit Bibliotheken, Unis, Cafes
oder Firmen richten sie „sichere Plätze“ und „sichere Unternehmen“ ein. Vor allem aber engagieren
sie sich gegen die gesellschaftliche Akzeptanz von Übergriffen und Gewalt. Es darf allerdings nicht
dazu kommen, dass politische Instrumente wie die UN-Resolution 1325 dazu missbraucht werden,
Frauen im Namen von Schutz und Sicherheit wieder aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.
Nach Beiträgen von Mohammed ElKhateeb und Dr. Annemarie Sancar
Im Jahr 2008 zeigten Studien , dass in Ägypten 83%
1
der einheimischen Frauen und 98% der Ausländerinnen von einer Form von sexueller Belästigung betroffen waren, 46% der Ägypterinnen und 52% der Ausländerinnen sogar täglich. Das allgemeine Erscheinungsbild
oder die Kleidung spielten dabei keine Rolle: 72% der
befragten Frauen waren verschleiert. Auch hat die
ökonomische Situation nichts mit den Übergriffen
oder mit häuslicher Gewalt zu tun. Diese betreffen
auch betuchten Familien und sind ein gesamtgesellschaftliches Problem. Studien der Frauenbewegung in
Ägypten sowie der UN haben ergeben, dass viele Männer Belästigungen als „normales Verhalten“ einstufen.
1 UN Women. Study on Ways and Methods to Eliminate Sexual
Harassment in Egypt.
Egyptian Center For Women‘s Rights. Clouds in Egypt‘s Sky. Sexual
Harassment from Verbal Harassment to Rape.
Prepared by Rasha Mohammad Hassan
12
Die Erstattung von Anzeigen bei der Polizei gestaltete
sich als schwierig, weil die Rechte der Opfer von den
Vollzugsbeamten nur mangelhaft durchgesetzt wurden. In 81% der Fälle von sexueller Belästigung gab es
Zeugen, die aber nicht handelten oder zu einer Aussage bereit waren. Ältere Gesetze galten als schwach und
enthielten nicht einmal den Begriff „sexuelle Belästigung“, was die Strafverfolgung der Täter erschwerte.
Dennoch gab es Klagen vor Gericht. Das erste erfolgreiche Verfahren war der Fall von Noha Roushdy (2008).
Rechtsreform definiert Belästigung neu
Nach geltendem ägyptischem Recht kann sexuelle Belästigung in Form von verbaler Belästigung, durch bestimmtes Verhalten, am Telefon und Online auf Basis
von Artikel 306 (a) und 306 (b) des Strafgesetzbuches
mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf
Jahren und mit einer Geldstrafe bis zu 50.000 Ägypti-
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Konferenzbericht
schen Pfund betraft werden. Ein neues Gesetz definiert nun zum ersten Mal sexuelle Belästigung, erläutert die Handlung aber nicht genau und deckt nur die
sexuelle Belästigung von einem männlichen Täter gegen ein weibliches Opfer ab. Andere Formen von Belästigung werden nicht beschrieben.
Zivile Organisationen arbeiten daran, die gesellschaftliche Akzeptanz von sexueller Belästigung in Ägypten
zu beenden. Noch immer bestreiten viele Menschen,
dass es sexuelle Belästigung in Ägypten überhaupt
gibt. Dies zeigt auch der Fall eines Mädchens, das gegen seine Peiniger klagte. Eine Journalistin lud sie zu
einem Gespräch ein. Daraufhin verlangten Teile der
Bevölkerung Sanktionen gegen die Journalistin, angeblich weil sie die Geschichte falsch darstellte. Das
Problem der Belästigung und Gewalt muss jedoch
wahrgenommen werden, um es erfolgreich bekämpfen zu können.
Null Toleranz und Meldesystem für Betroffene
Die Organisation HarassMap schuf daher ein anonymes Melde-System von Belästigungen via Internet
oder SMS. Die Meldungen werden auf einer interaktiven Landkarte (der sog. HarassMap, zu Deutsch „Karte der Belästigungen“) dargestellt. Die Ergebnisse
nutzt die Organisation, um in Gemeinden Aufklärung
zu betreiben und Unterstützer zu mobilisieren. So sollen Stereotypen aufgebrochen werden, die Belästigern
noch immer Ausreden liefern. Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen die Menschen dazu bewegen, gegen Übergriffe vorzugehen. Viele Freiwillige mischten sich auch
während der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in
Kairo unter die Menge, um Demonstrantinnen zu
schützen. In den letzten Jahren wurde so aus einem
Tabu ein Thema, das viel diskutiert und von etlichen
Initiativen in Angriff genommen wird.
Der öffentliche Raum gehört allen
Themen wie Schutz und Sicherheit, wie sie z.B. in der
UN-Resolution 1325 aufgegriffen werden, werfen
gleichzeitig eine Reihe von Fragen auf: Muss man Frauen nun mehr schützen? Wird der öffentliche Raum immer gefährlicher? Werden Frauen dadurch nicht in die
sogenannten geschützten Räume zurückgedrängt? Ihre
Sicherheit darf keinesfalls dazu führen, dass patriarchalische Werte sich wieder durchsetzen und kulturell normal werden. Geschlechtergerechtigkeit kann sich nur
weiterentwickeln, wenn Frauen der Zugang zum öffentlichen Raum nicht verschlossen wird.
Die UN-Resolution 1325 ist kein Ziel, sondern ein Instrument, welches Machtverhältnisse nicht automatisch ändert. Dafür bedarf es politischer und gesellschaftlicher Prozesse. Sehr interessant ist darum auch
die Frage, wann die UN-Resolution 1325 nicht erwähnt
wird und warum in bestimmten Situationen nicht darauf Bezug genommen wird. Ebenso gilt es auf der
UN-Ebene zu beobachten, wen die Regierungen zu
Frauenkonferenzen schicken und wen zu Wirtschaftsbzw. Klimakonferenzen. Letztlich bestimmen die
Machtverhältnisse, durch wen und wie die Frauenpolitik der Vereinten Nationen umgesetzt wird.
Gewalt gegen Frauen wird zunehmend nur noch als individuelle physische Gewalt betrachtet, die Grundursachen wie z.B. soziokulturelle und wirtschaftliche
Fragen geraten in Vergessenheit. Armutsbekämpfung
und die wirtschaftliche Förderung von Frauen in
Ägypten sind sehr wichtig, da eine große Schere zwischen Arm und Reich klafft. Maßnahmen können jedoch auch heikel sein, wie die Unterstützung, welche
Neben der Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger
verfolgt HarassMap zwei weitere Strategien: die Schaffung von sicheren Orten (Safe Areas) und sicheren Unternehmen (Safe Corporates). Schrittweise sollen so
sichere Straßen und Stadtviertel entstehen. Für die
Safe Areas sucht sich HarassMap kleine Unternehmen,
Cafés, Restaurants, Kioske und Taxifahrer als Partner,
um eine Null-Toleranz-Politik gegen sexuelle Belästigung durchzusetzen. Für die Safe Corporates werden
mittlere bis große Unternehmen gewonnen, um Arbeitsplätze in Ägypten sicherer zu machen. Ein weiterer Ort, an dem in Ägypten derzeit neue Geschlechterrollen ausgehandelt werden, ist der Kulturbereich,
insbesondere das Theater.
Panel zu Ägypten Foto: AMICA e.V.
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Gegen Belästigung: Eindrücke aus Ägypten. Raise your Voice: Kampagne der HarassMap. Die Organisation setzt auf eine Interaktive Karte und Aufklärung. Fotos: AMICA e.V./ HarassMap
die Schweiz Fischhändlerinnen in Ägypten gewährte.
Neben allen anderen Aufgaben mussten die Frauen auch
noch etwas Geld verdienen und hatten keine Zeit und
keinen Raum mehr, sich sozial auszutauschen, was wiederum zu vermehrter Isolation und Konkurrenz führt.
In der Zusammenarbeit mit ägyptischen Partnern ist
es deshalb vor allem wichtig, lokale Strukturen wie Dialogforen und Lernplattformen zu nutzen. Auf niedrigschwelligem Niveau treffen dort weibliche wie
männliche Schlüsselpersonen aufeinander und üben
miteinander politische Partizipation und neue Geschlechterrolleein. Erfreulicherweise steigt in Ägypten die Zahl der jungen Männer und Ehrenamtlichen,
die sich für gesellschaftliche Reformen und gegen Gewalt und Belästigungen einsetzen.
Mohammed ElKhateeb ist Vorstandsmitglied von HarassMap. Er
studiert Environmental Governance in Freiburg im Breisgau.
Mohammed ElKhateeb is board
member of HarassMap. He is studying Environmental Governance
in Freiburg i. Br.
Foto: privat
Dr. Annemarie Sancar leitet das
Programm Gender und Friedensförderung von KOFF/swisspeace. Acht
Jahre lang saß die Sozialanthropologin im Berner Stadtparlament
und ist Vorstandmitglied bei WIDE
(Women in Development Europe).
Dr. Annemarie Sancar runs the
program Gender and Peacebuilding at KOFF/swisspeace. For eight
years, the social anthropologist
was a member of the city council of
Bern, currently a member of WIDE
women in development Europe. Foto: AMICA e.V.
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Konferenzbericht
Summary Egypt
Women in Public
Sexual harassment is widespread. Studies report that almost all women are affected. After weak laws
have been amended, civil organizations are demanding the punishment of perpetrators. They strive to
create an environment that does not tolerate abuse and violence. Instruments such as UN Resolution
1325 must not be abused to limit the freedom of women in the name of protection and safety.
According to contributions by Mohammed ElKhateeb und Dr. Annemarie Sancar
Studies from 2008 revealed that 83% of the Egyptian
women and 98% of female foreigners experienced some
form of sexual harassment. 46% of Egyptian women and
52% of foreign women experienced harassment even
daily. The general appearance and clothes played no role
in attracting or distracting sexual harassment: 72% of
women of the study were veiled. Moreover, the economic
situation has nothing to do with the attacks or with domestic violence either, since this is a general social problem. Many men see harassment as „normal behavior“.
Re-Defining Sexual Harassment
Reporting proved to be difficult, since police officers poorly enforced the rights of victims. In 81% of the cases of sexual harassment witnesses were reluctant to help or to
testify. Older laws were considered weak and did not
even including the term „sexual harassment“. Under current Egyptian law sexual harassment can entail imprisonment from six months up to five years and fines up to
50,000 Egyptian Pound. A new law defines sexual harassment for the first time but does not describe the act in
detail. It only covers sexual harassment by a male harasser against a female victim. Other forms of sexual harassment remain not clearly worded in the law’s manuscript.
Zero Tolerance and Reporting System
In Egypt, civil society organizations are committed to end
sexual harassment. Harassmap, when launched in 2010,
made an anonymous reporting system available. Testimonies appear on an interactive map. The organization is
also raising awareness in communities. Currently, Safe
Areas and Safe Corporates are established with the help
of libraries, shops, cafes or universities. During the demonstrations in Cairo, volunteers engaged in protecting
female demonstrators from the mass mob assaults.
The Public Space Belongs to Everyone
Issues such as safety and security, as addressed by UNSCR 1325, raise a number of questions: Do we need to
increase the protection of women? Is the public space becoming more dangerous? Are women now forced to retreat to so-called protected areas? The issue of safety must
not encourage at all patriarchal values and render
them culturally normal. Gender equality can only be
developed further if women‘s access to the public space
is not limited.
UN Resolution 1325 is not a goal but an instrument and
it does not automatically change gendered power relations.
Transformation requires longterm political and social
processes. Therefore, it is very interesting to observe when
and under which circumstances Resolution 1325 is not
referred to and who is attending conferences at UN level.
Adressing Root Causes of Inequality and Violence
Violence against women is increasingly regarded only as
individual physical violence. Root causes such as sociocultural and economic issues are ignored. Poverty reduction and economic empowerment for women in Egypt
are crucial, since the differences between the rich and the
poor are huge. Projects, however, can be tricky and unintentionally increase isolation and competition.
In cooperation with Egyptian partners, it is especially important to make use of local structures such as dialogue
forums and learning platforms. Another place for such encounters is the cultural sector and especially the theater.
The good news is: The number of young men and volunteers in general, working for social reforms and against violence and harassment, is constantly increasing.
AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
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UN-Frauenpolitik international
Länderbeispiel Libyen:
Riskantes Engagement für Frauenrechte
Der Bürgerkrieg bringt das Leben im Land zum Erliegen. Universitäten und Schulen sind geschlossen,
viele Menschen haben aus Angst vor der Gewalt ihre Häuser verlassen und sind zu Binnenvertriebenen geworden. Frauen werden nicht müde, ihre Forderungen in der Lokalpolitik, in Friedensverhandlungen oder der verfassunggebenden Versammlung vorzutragen. Ihr Engagement ist gefährlich: In Libyen wurden bereits fünf Menschenrechtlerinnen ermordet. Dennoch sind gerade junge Männer
durchaus bereit, sich für Demokratie und gegen Gewalt einzusetzen. Eine wichtige Rolle in der Stabilisierung und Befriedung des Landes spielt die Zivilgesellschaft.
Nach Beiträgen von Marrwan Gargoum, Heide Serra, Fathia ElMadani, Nicolien Zuijdgeest
In Bengasi begann die Revoluion mit der Stimme ei-
ner Frau, so erzählt man es sich in der Stadt. Besonders
Frauen und junge Menschen beteiligten sich an der
Demokratiebewegung und gingen teils hohe Risiken
ein. Offene Kritik war aufgrund der Überwachung
während der Diktatur schwierig. Diese Erfahrung
machte auch die Rockband Guys Underground, die
ihre Kritik geschickt verpackte. Die Band tritt seit 2008
auf. „Manche Texte waren politisch, andere nicht“ , so
der Bassist und Leadsänger Marrwan Gargoum. Der
Song My Father always says erzählt beispielsweise von
der Auswanderung der Jugend nach Europa und der
Suche nach Arbeit, da die Lage zu Gaddafis Zeiten so
schlecht war.
Enttäuschte Revolutionäre
Nach dem Sturz Gaddafis war die Lage in Libyen zunächst relativ stabil. Die Menschen träumten davon,
das Land wieder aufzubauen. Die Hoffnung auf Frühling ist inzwischen jedoch verblasst. Neben Syrien ist
Libyen zum zweiten großen Brennpunkt geworden,
seit Mitte 2014 herrscht Krieg. Trotz ihres unermüdlichen Einsatzes haben Frauen durch die aktuelle Gesetzgebung sogar Rechte verloren. Im ersten gewählten Parlament nach der Revolution waren nur 33
Frauen unter den 200 Abgeordneten vertreten. Auch
in anderen Institutionen sind es nur 10%, weil von
zehn Sitzen nur einer für Frauen reserviert wurde.
Betrachtet man das Land heute, entsteht der falsche
Eindruck, der Diktator habe so viel für die Emanzipation von Frauen getan, dass sich ihre Lage seit der Revolution zusehends verschlechtere. Tatsächlich war
die Einbeziehung von Frauen in den Sicherheitsapparat der Gaddafi-Ära nichts weiter als ein geschickter
politischer und ideologischer Schachzug, dessen Folgen Frauen in Libyen noch heute benachteiligen.1
1 In dem Bericht Women, Peace and Security in Libya von 2015 erläutert
UNDP die Auswirkungen von Gaddafis Frauenpolitik auf das heutige
Libyen: Die Mitglieder seiner weiblichen Leibgarde seien im Grunde nichts
anderes als Sexsklavinnen gewesen, was es nun erschwere, weibliche
Sicherheitskräfte zu etablieren. Der Bevölkerung fehle das Vertrauen in
Frauen in Uniform. Einen anderen Aspekt sexueller Ausbeutung unter
Gaddafi schildert die Journalistin Annick Cojean in ihrem Buch „Niemand
hört mein Schreien. Gefangen im Palast Gaddafis“. http://www.aufbau-ver-
Frauendemo in Bengasi am 8. März. Foto: Nataj
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AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
Gegen Gewalt: Strasenaktion für die SOS-Hotline Foto: Hope Charity
Konferenzbericht
Stimme vieler Libyerinnen: Fathia ElMadani (li) mit Nicolien Zuijdgeest Foto: AMICA e.V.
Der Frauenbewegung könne gar nicht Schlimmeres
passieren, als dass Diktatoren und Kriegsherren sie für
ihre Sache einspannen, so eine Teilnehmerin.
Opfer des Bürgerkriegs: die Bevölkerung
In Libyen bekämpfen sich zwei Regierungen und es
bleibt abzuwarten, ob der neue Friedensplan etwas daran ändern wird. Darüberhinaus steigt die Zahl der Milizen ständig. Terroristen breiten sich aus „wie Krebs“,
darunter auch der Islamische Staat (kurz: IS). Extremisten agieren gegen die Rechte und die Freiheit von
Frauen und wollen ihre Teilhabe an der Politik und
dem öffenlichen Leben verhindern.
Allein in Bengasi gibt es inzwischen 100.000 Binnenvertriebene, Menschen, die im eigenen Land zu
Flüchtlingen geworden sind. Die zwei wichtigsten
Universitäten der Stadt sind geschlossen, Studierende
warten seit eineinhalb Jahren auf eine Fortsetzung ihrer Ausbildung. Im Herbst 2015 wurde mit dem Bildungsminister beschlossen, die Schulen für Collegestudenten wieder zu öffnen. Die Umsetzung diese
Vorhabens wird schwierig, denn in vielen Schulen haben vertriebene Familien eine Bleibe gefunden. Für
manche Studenten wird es daher keine Vorlesungen,
sondern nur Examen geben.
Bildung ist jedoch enorm wichtig. „Wenn wir aufhören
würden, geben wir uns auf und das bedeutet auch, dass
lag.de/index.php/niemand-hort-mein-schreien.html
wir unsere Kinder aufgeben“, erklärte Gargoum, der
zugleich für die Frauenorganisation Nataj arbeitet. „Sie
sollen das ABC lernen und nicht, Waffen zu unterscheiden. In Libyen gibt es Sechsjährige, die den Klang
verschiedener Waffen auseinanderhalten können.“
Zivilgesellschaft als Motor der Veränderung
Die libysche Zivilgesellschaft drängt daher auf die Umsetzung internationaler Abkommen wie der UN-Resolution 1325 oder CEDAW. Die Organisationen kämpfen dafür, dass Frauenrechte in die libysche Verfassung
aufgenommen werden. Im Land wächst zudem die
Zahl der Frauen, die sich über ihre Rechte informieren
und diese auch durch den Staat gewahrt sehen wollen.
Dabei arbeiten Frauenorganisationen auf mehreren
Ebenen. Auf der praktischen Ebene beraten sie Klientinnen, ermutigen und stärken diese und entwickeln
neue Ressourcen und Kompetenzen. Eine Frauenorganisation in Tripolis baute 2015 eine SOS-Hotline für
Gewaltopfer auf und bewarb diese im Radio, im Fernsehen und durch Aktionen auf der Straße. Frauen sollen in Krisen künftig per Handy Hilfe holen und psychosoziale Beratung erhalten können. Zum anderen
sind zivile Organisationen Sprachrohr für Frauen, sie
beziehen öffentlich Stellung und üben politischen
Druck aus. Die Leiterin von Nataj, Fathia ElMadani,
sprach beispielsweise als Mitglied einer vierzigköpfigen Delegation in Genf über Frieden und Sicherheit.
AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
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UN-Frauenpolitik international
Libysche Aktivistinnen leben mit einem nicht unerheblichen Risiko: In Libyen wurden bereits fünf engagierte Frauen ermordet, darunter die Menschenrechtlerin Salwa Bugagis aus Bengasi. „Ich würde lügen,
wenn ich behaupte, ich fühle mich sicher“, so ElMadani, die mit Bugagis eng befreundet war.
Gewaltverbrechen gegen Frauen aufklären
Die fehlende Dokumentation von Gewalt, die sich speziell gegen Frauen richtet, stellt ein massives Hindernis bei der Erlangung von Gerechtigkeit und der Versorgung der Betroffenen dar. Während des Bürgerkriegs
in Libyen wurde Berichten zufolge vor allem im Westen sexualisierte Gewalt als Waffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Die Recherche gestaltet sich jedoch
enorm schwierig, eine systematische und umfassende
Dokumentation steht noch aus. Nach wie vor gibt es
keine verlässlichen Daten, weil sich Betroffene aufgrund der starken Tabuisierung kaum an Behörden
oder Verwandte wenden. Auch in der aktuellen Situation steigt die Gewalt – auch häusliche Gewalt– wieder an. 70% der libyschen Haushalte sind in irgendeiner Form von Gewalt betroffen.
In Jordanien fand im Herbst 2015 ein Expertentreffen
statt, an dem auch libysche Rechts- und Traumaspezialisten teilnahmen. Mithilfe des International Protocol
on the documentation and investigation of sexual violence in conflict (kurz: London-Protokoll)2 soll sexualisierte Kriegsgewalt in Zukunft besser dokumentiert
werden. Das London-Protokoll enthält neben einem
theoretischen Teil eine praktische Anleitung, wie Zeugen befragt, Beweismaterial gesammelt und sicher archiviert werden kann. So bleibt die juristische Relevanz erhalten und der „Kultur der Straflosigkeit“ kann
auf lange Sicht ein Ende gemacht werden.
Prozesse, die Frieden und Demokratie bringen sollen,
erfordern einen langen Atem. Gesellschaftliche Umwälzungen dauern unter Umständen eine Generation
oder länger. Auch in Libyen wächst die Bereitschaft
unter jungen Männern, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. „Wir als junge Menschen haben an der Revolution teilgenommen und wir werden das neue Libyen
aufbauen“, so Gargoum.
2 https://www.gov.uk/government/publications/international-protocol-on-the-documentation-and-investigation-of-sexual-violence-in-conflict
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AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
Fathia El Madani gründete und leitet die
Frauenorganisation Nataj. Ihren Werdegang beschreibt die Spezialistin für Frauenrechte so: from housewife to activist.
Fathia El Madani is a specialist in women‘s rights and founder and director
of the women‘s organisation Nataj.
Foto: AMICA e.V.
Marrwan Gargoum studiert in Bengasi
Medizin. Der Bassist und Leadsänger
der Band Guys Underground arbeitet für
die Organisation Nataj.
Marrwan Gargoum is studying medicine.
The bassist und lead singer of the band
Guys Underground is working for Nataj.
Foto: AMICA e.V.
Nicolien Zuijdgeest arbeitet als Arabistin
und Trainerin für Organisation (Entwicklung/Team Building). Ihre Kindheit verbrachte sie in den Arabischen Emiraten.
Nicolien Zuijdgeest works as Arabist
and trainer for organizations (development/ team builidng). She spent her
childhood in the United Arab Emirates.
Foto: AMICA e.V.
Heide Serra leitet den Bereich Öffentlichkeitsarbeit bei AMICA e.V. Sie befasst sich vor allem mit Trauma und
Rechten von Frauen in Krisenregionen.
Heide Serra is head of public relations
at AMICA e.V. She focuses on trauma
and the rights of women in crisis regions.
Foto: Stephan Röhl
Konferenzbericht
Summary Libya
Dangerous Commitment to Women‘s Rights
The civil war petrifies life in Libya. Universities and schools are closed, the number of internally displaced persons is increasing daily. Women are demanding to be heard in local politics, peace negotiations or the constituent assembly. Their work is dangerous: In Libya, five prominent human rights
activists have been assassinated to date. Among the young men the willingness to work for democracy
and against violence is growing. Civil society plays an important role in peacebuilding in Libya.
According to contributions by Marrwan Gargoum, Heide Serra, Fathia ElMadani, Nicolien Zuijdgeest
In Bengasi, the revolution began with the voice of a wo-
man. Women and young people actively participated in
demonstrations and actions, taking considerable risks.
Due to surveillance, open criticism was difficult in the
Gaddafi era.
Disappointed revolutionaries
After the fall of the regime, the situation was initially relatively stable, as people dreamed of rebuilding their country. This hope, however, has now faded away. Since summer 2014, war has erupted in Libya. Despite tireless efforts,
women have lost many of their rights under the current legislation. In the first parliament after the revolution, only
33 of 200 members were women. In other institutions only
one out of ten seats was or is reserved for women.
This creates the false impression that Gaddafi did so much
in favor of the emancipation of women that since the revolution they are rapidly loosing ground. Yet, the inclusion of women in the security forces of the Gaddafi era and
as part of his entourage was nothing more than a clever
political and ideological maneuver.1
Victims of War: Libya‘s Population
In Libya, two governments are fighting over power and it
remains unclear whether the new peace plan will be successful. The number of militias is growing on a daily basis. Terrorist groups, including the Islamic State (IS), are
spreading throughout the country, acting against the
rights and freedom of women, and striving to prevent
their participation in politics and public life.
In Benghazi alone, 100,000 persons have lost their homes. The two most important universities are closed. Since one and a half years, students are waiting to continue
1 The UNDP report Women, Peace and Security in Libya 2015
explains the effects of Gaddafi‘s policy on women in today‘s Libya: It is
difficult to integrate women in security forces since the population
lacks confidence in women in uniform. Another aspect of sexual
exploitation under Gaddafi is described by journalist Annick Cojean
in her book „Gaddafi‘s Harem“. their studies. Access to education, however, is extremely
important. „If we stop, we give up ourselves and that means we also give up our children,“ activist Marrwan Gargoum says. „They should rather learn the ABC and not
how weapons sound. In Libya, there are six-year-old
who can tell one gun from another just by the blast.“
Civil Society as Agent of Change
Libyan civil society organizations are calling for the implementation of international agreements such as the
UNSCR 1325 and CEDAW. Women‘s organizations are
working on several levels: On the practical level, they advise clients, encourage and strengthen women and help
them to develop new resources and skills. A women‘s organization in Tripoli built an SOS -helpline for victims of
violence and promoted it via radio, TV and through street
actions. On the other hand, civil organizations speak up for
women‘s rights and exert political pressure. The founder of
the women‘s organisation Nataj, Fathia ElMadani, was a
member of a delegation negotiating peace and security in
Geneva. Female Libyan activists face a considerable risk
due to their prominent work: Five women including human rights activist Salwa Bugagis from Benghazi were assassinated . „I would be lying if I said I feel safe,“ ElMadani admits, who was a close friend of Bugagis.
Documenting Violence against Women
The lack of documentation of gender-based violence is a
major obstacle to justice. There is a scarcity of reliable
data due to stigmatization of women who therefore do
not confide in authorities or even relatives. 70% of Libyan households have experienced some form of violence,
including domestic violence.
Building peace and democracy requires a lot of patience.
Social transformation can take more than a generation to
unfold. Despite the war, willingness to combat violence in
society is growing among young Libyan men. „We as
young people have participated in the revolution and we
are going to build a new Libya,“ says Gargoum.
AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
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UN-Frauenpolitik international
Länderbeispiel Syrien und Nordirak
I will shoot you: Junge bei Damaskus, Syrien. Foto: Lens Young dimashqi
Brutaler Krieg gegen Frauen und Kinder
Der Bürgerkrieg in Syrien fordert Jahr für Jahr Tausende ziviler Opfer. Rein rechnerisch gesehen, ist es
für ein Kind in einer besetzten Stadt wie Aleppo sicherer, mit der Waffe in der Hand an der Front zu
kämpfen, als sich zu Hause aufzuhalten. Doch erst der äußerst brutale Terror des Islamischen Staates
(IS) und die Ankunft tausender Flüchtlinge in Europa haben die Gewalt im Nahen Osten zum zentralen
Thema gemacht. Vom Krieg und seinen Folgen sind Frauen und Kinder besonders betroffen. 1000 jesidischen Frauen, die in den Händen des IS waren, bietet eine Initiative des Landes Baden-Württemberg dagegen eine außergewöhnliche Chance.
Nach Beiträgen von Laila Alodaat und Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan
Frauen in Syrien haben schon sehr lange mit gewalt-
tätigem Extremismus zu kämpfen. Viele der Syrerinnen und Syrer, die, inspiriert durch die Revolutionen
in Ägypten und Libyen, auf die Straße gingen und
Freiheit forderten, wurden verfolgt, beschossen, gekidnappt, gefoltert und getötet. Auch sexuelle Gewalt
wird in syrischen Gefängnissen schon sehr lange praktiziert. Viele Menschen haben Angst, vor Gericht zu
gehen, weil sie jederzeit Opfer der Polizeigewalt werden können.
Diskriminierende Gesellschaften
Syrische und irakische Gesetze diskriminieren Frauen.
Diese soziale Gewalt werde von der Regierung tole-
20
riert, so die Menschenrechtsanwältin Laila Alodaat:
„Denn so macht sich die Gesellschaft über andere Themen Sorgen statt um die Tatsache, dass die Menschen
von ihrer eigenen Regierung verfolgt werden.“1
Wie viele syrische Aktivistinnen und Aktivisten beklagt Alodaat die Tatsache, dass sich die Welt erst mit
dem Aufkommen des IS für die Region interessiere.
Tatsächlich ermordeten das Assad-Regime und andere
Gruppen bis Juni 2014 150.000 Menschen. Pro Woche
wurden in Syrien ca. 600 Fassbomben abgeworfen,
d.h. 100 jeden Tag. Die UN-Resolution 1325 fordert
1 Alodaat bezieht sich in ihrem Beitrag auf Informationen aus der
Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen aus der Region und auf den
Bericht Strategies for Change Conference der Women‘s International League
for Peace and Freedom von 2015.
AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
Konferenzbericht
zwar, dass Länder Nationale Aktionspläne verabschieden, die der Umsetzung dienen. Dies wird die Probleme jedoch nicht lösen. „Wenn Menschen unter solchen
Umständen leben und ich hingehe und sage: Kann ich
mehr Frauen in eurem Gemeinderat haben?, werden
sie mir sagen, ich soll verschwinden“, so Alodaat.
Die Entstehung des Islamischen Staates kam für sie
nicht überraschend. Erstaunlich sei allerdings, was aus
dem IS geworden ist. „Eine Gruppe von Kriminellen
wird zum politischen Entscheidungsträger und diktiert die Politik in Europa, in Syrien, rund um Syrien
und für Millionen Flüchtlinge.“ Der Hauptgrund für
die Entstehung der Terrororganisation ist der ungelöste Konflikt, der seit 1400 Jahren zwischen Schiiten und
Sunniten schwelt. Selbst wenn der IS als Gruppe zerstört wird, folgen vermutlich andere nach. Im Nahen
und Mittleren Osten gebe es keine demokratischen
Gesellschaften und das Bewusstsein für Demokratie,
Pluralismus, Emanzipation liege erst in den Anfängen,
erläutert der Psychologe und Trauma-Experte Professor Kizilhan: „Ich habe keine gute Prognose.“
Krieg ist Männersache
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Kontrolle von
Waffen und Waffenlieferungen an Kriminelle. In den
vergangenen fünf Jahren wurden enorme Mengen Waffen an die verschiedenen Konfliktparteien in Syrien
verkauft. Das erzeugt eine Gesellschaft, die von Kleinwaffen bestimmt wird – in den Händen von Männern
außer Kontrolle.
Frauen dagegen tragen kaum zur Gewalt oder zu den
Kämpfen bei. Syrien und der Irak weisen die niedrigsten Raten von bewaffneten Frauen auf. Eine sehr kleine Ausnahme bilden die kämpfenden Kurdengruppen.
Frauen: Unsichtbare Opfer
Dies hat gravierende Folgen: Das Rechtssystem in Syrien ist in den vergangenen fünf Jahren vollständig zusammengebrochen. Ein Mann, der eine Waffe hat und
dem Unrecht widerfährt, übt Selbstjustiz. Dies ist zwar
nicht der richtige Weg, Frauen haben jedoch nicht einmal dazu die Möglichkeit. Durch den Krieg verlieren
sie ihre politische Stellung, ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und müssen zudem Einschnitte im Recht auf
Gesundheit hinnehmen.
Im Irak hätten 80% der Frauen, die während der
Schwangerschaft und Geburt starben, durch Zugang
zum Gesundheitssystem gerettet werden können.
Aber der massive Einsatz von Sprengstoff in dicht bewohnten Gebieten verhinderte, dass Frauen ihre Häuser verlassen konnten und zwang sie zu Hausgeburten.
Zwischen Februar 2014 und Februar 2015 zerstörte das
Assad-Regime 83 Krankenhäuser - und das in einer der
gefährlichsten Gegenden der Welt.
Darin sieht Alodaat2 keinen Zufall: „Es ist ein Angriff
auf das Gesundheitssystem, unter dem Zivilisten überproportional leiden.“ Bewaffnete finden einen Weg
oder treiben das Geld auf, um sich behandeln zu lassen, Zivilisten nicht. Wenn das Gesundheitssystem angegriffen wird, betrifft das Frauen um so mehr. Der
Schutz von Zivilisten muss also endlich ernst genommen werden.
Frauen sind auch im Verwaltungssystem überproportional benachteiligt, welches ebenfalls zusammenbricht, wenn das Rechtssystem kollabiert. Seit Jahren
gibt es in Syrien und dem Irak Probleme mit der Registrierung von Ehen, Todesfällen und Geburten. Frauen,
die ohnehin wenig Rechte haben, entzieht das den Beweis und den Zugang zu Erbansprüchen, Versorgungsleistungen usw.
Es muss demnach verstärkt an der Prävention gearbeitet werden, wobei gerade nationale Gesetze angewendet werden. Im Irak gibt es beispielsweise ein Gesetz
für Frauenschutzhäuser. Nach jahrelangem Druck willigte die Regierung in den Bau ein, aber die Häuser bieten keinerlei Privatsphäre, keine Anonymität und setzten die Frauen der gleichen Gefahr aus, in der sie sich
zuvor befanden. Daher stehen die Schutzhäuser im Irak
leer. Alodaat fordert Unterstützung für Regierungen,
damit diese bestehende Gesetze richtig umzusetzen.
Sonderkontingent Jesidinnen:
Chance für 1000 Frauen und Mädchen
Eine Chance für Frauen aus dem Nordirak und Syrien
bietet ein Projekt des Landes Baden-Württemberg. Im
Rahmen des Sonderkontingents werden 1000 schutzbedürftige, vorwiegend jesidische Frauen nach Deutschland gebracht. Dafür wurden 95 Mio. Euro bereitgestellt. Neben Baden-Württemberg wollen Niedersachsen
und Schleswig-Holstein ebenfalls Frauen aufnehmen.
Diese waren in den Händen des IS und sind aufgrund
einer psychischen oder körperlichen Erkrankung, die
durch die Haft entstanden ist, behandlungsbedürftig.
Bislang wurden insgesamt 1403 Frauen untersucht. In
einem Flüchtlingscamp in der Region leben jeweils
etwa 18.000 Menschen. In der Gegend um Dohuk gibt
es etwa 24 solcher Camps. Bei einer Bevölkerung von
5,5 Mio. bedeutet dies einen Zustrom von 1,5 Mio.
Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak selbst.
2 Alodaat zitiert für die Zahlen die UN Assistance Mission im Irak sowie die
Organisation Physicians for Human Rights.
AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
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UN-Frauenpolitik international
Syrische Flüchtlinge: Informelle Zeltlager im Libanon Foto: AMICA e.V.
Zerstörtes Haus in Syrien Foto: Lens young Dimashqi‎
Natürlich wäre es besser, wenn die Menschen dort
blieben und man lokale Projekte unterstützen würde,
räumt Kizilhan ein. Allerdings würden die Frauen, die
im Rahmen des Sonderkontingents nach Deutschland
gebracht würden, mit größter Wahrscheinlichkeit vor
Ort nicht überleben.
Dies verdeutlicht der Fall eines 16jährigen Mädchens,
das mit seiner Schwester in Gefangenschaft geraten
war. Das Mädchen konnte fliehen, erlitt jedoch einen
Albtraum oder psychotischen Schub, wodurch sie
glaubte, der IS stünde vor ihrem Zelt. Daraufhin übergoss sie sich mit Benzin und zündete sich an. Sie wolle
hässlich sein, begründete sie ihre Verzweiflungstat.
Wenn sie hässlich wäre, würde sie nicht berührt.
„Wenn wir sie nicht geholt hätten, wäre sie jetzt schon
tot“, so Kizilhan. Das Mädchen lebt nun in Stuttgart,
wurde inzwischen zwölfmal operiert und fängt an,
Deutsch zu lernen. „Das sind Geschichten, die für mich
wichtig sind.“
Faschistische Gesinnung: Terrorgruppe IS
Die Jesiden betrachten das Vorgehen des IS als den 73.
Genozid in ihrer Geschichte. Die Bevölkerung im Irak
ist religiös, ethnisch und kulturell stark durchmischt.
Christen sind von Terror und Verfolgung genauso betroffen wie Schiiten. Während des osmanischen Reiches wurden etwa 1,8 Mio. Menschen zwangsislamisiert. 1,2 Mio. Jesiden wurden während dieser Zeit
ermordet. Es gibt Hunderte von Fatwas, darunter eine
aus dem Jahr 1724 von einem Imam aus Istanbul, der
sagt, die Jesiden seien Ungläubige, die getötet werden
dürfen, ihr Hab und Gut dürfe beschlagnahmt werden.
Der IS arbeitet mit einer faschistischen Ideologie, so
Kizilhan, die alle anderen Religionen, auch die Schiiten, nicht als Religion anerkennt. Die Täter gingen
morgens los und vergewaltigten eine Frau, köpften einen Mann und kehrten abends als liebender Vater und
Ehemann nach Hause. Das entspricht dem Phänomen
des Nazi-Regimes in Deutschland: der Entmenschlichung von Menschen.
An einem weiteren Fallbeispiel erläutert Kizilhan dies:
Eine 26-jährige Frau mit zwei Kindern im Alter von
fünf und sieben Jahren erzählte bei der Untersuchung,
wie sie im Gebiet Sinja gefangen genommen und
mehrfach verkauft wurden. Eine Tochter zeigte immer
wieder das Bild ihrer zweijährigen Schwester auf dem
Smartphone. Das Kind wurde auf extrem brutale Weise zu Tode gefoltert. Als die Frau mit der Ermordung
ihres Sohns bedroht wurde, ließ sie sich vergewaltigen.
Sie hat keine Angehörigen mehr, ihre ganze Familie
wurde ermordet. Sie und ihre Kinder leiden sehr unter
den Folgen der Erlebnisse.
Rechtlich sieht das Programm vor, dass die Jesidinnen
nach zwei Jahren das Recht auf Familienzusammenführung haben. Tragischerweise haben in vielen Fällen
jedoch keine Familienmitglieder überlebt. In einem
während der Konferenz geführten Interview3 sagte
eine junge Frau dem ZDF: „Ich will nur die Knochen
meiner Familie bekommen.“
„Wir folgen einer einfachen Regel“, so Kizilhan. „Ich
bin der Meinung, dass wir jede Person, die dort lebensbedrohlich betroffen ist, herausholen müssen. Jedes
Leben zählt.“ Nicht in das Programm aufgenommen
würden dagegen Personen mit Demenz oder Psychosen oder auch Frauen in sehr hohem Alter. So wurde
eine 90-Jährige neun Monate lang in einem schiitischen Dorf gefangen gehalten, wo sie Schafe züchten
und Käse machen musste. „Welche Perspektive hätte
eine Frau wie sie in Deutschland?“, fragt Kizilhan.
3 http://www.zdf.de/forum-am-freitag/hilfe-fuer-jesidische-is-opfer-in-baden-wuerttemberg-von-jan-ilhan-kizilhan-41272910.html
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AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
Konferenzbericht
„Wir wollen mit diesem Projekt den Leuten helfen, die
hier eine echte Chance haben.“
Nordirak: Massiver Mangel an Therapeuten
Kritik wird am Projekt der Landesregierung unter anderem deshalb geübt, weil befürchtet wird, dass die
Frauen entwurzelt werden. Keines der Länder im Nahen Osten sei derzeit jedoch in der Lage, langfristige
und nachhaltige Hilfen für die betroffenen Frauen bereitzustellen, so Kizilhan. Im Nordirak gibt es insgesamt nur etwa 23 bis 26 Psychologen und Psychiater.
Außerdem fehlen Qualitätsstandards für Trauma-Therapien und Behandlungen, die in den Camps angeboten werden. Man benötigt mindestens drei Jahre, um
lokale Therapeuten qualitativ so gut auszubilden, dass
sie in der Lage sind, ihre Landsleute zu behandeln.
Viele Menschen in der Region leiden zudem unter
transgenerationellen Traumata. Sie sind seit Generatio­
nen traumatisiert, ohne dass ihnen geholfen wird.
Die Jesiden haben aufgrund dieser und der historischen Ereignisse das Vertrauen zu ihren muslimischen
und kurdischen Landsleuten verloren. Zu den Christen dagegen haben sie eine gute Beziehung und fassen
in Deutschland schneller Vertrauen.
Das Sonderprojekt ist auf zwei Jahre angelegt, die Behandlung auf drei Jahre. Nach zwei Jahren können die
Frauen auf freiwilliger Basis zurückkehren, wenn sie
dies wünschen und ausreichend stabil sind. Diejenigen, die hierbleiben wollen, erhalten einen regulären
Aufenthaltstitel und den gleichen Zugang zum Gesundheitssystem wie andere Flüchtlinge.
auf ein neues Leben und auf eine Flucht aus der Hölle,
in der sie gelebt haben.“ Vor allem biete das Projekt sofortige Lösungen in Notsituationen. Eine Frau, die
morgen vergewaltigt werden soll, könne schließlich
nicht 30 Jahre warten, bis sich die Gesellschaft verändert hat.
Gleichzeitig aber muss vor Ort viel mehr getan werden. Es gebe auch andere Gruppen im Irak, die ähnliche Schicksale erleiden. „Wenn wir nur denken, dass
die Jesiden bedroht werden, tragen wir zur enormen
Bedrohung vieler anderer Frauen bei“, so Alodaat.
Diese Menschen erleben verschiedene Diskriminierungsformen, nur weil sie religiösen oder ethnischen
Minderheiten angehören oder weil sie sich der politischen Opposition angeschlossen haben. Das macht sie
zur Zielscheibe.
„Wir versuchen einer abnormen Situation Sinn zu verleihen“, so Alodaat in ihrem Schlusswort. „Alles was
geschieht, die ganze Frage von sicheren Passagen für
Flüchtlinge, für diejenigen, die sich ins Meer stürzen,
um nicht unter den Trümmern zu sterben: Wie soll das
Sinn ergeben? Nichts davon ist gerecht. Menschen
werden in Massen getötet, sie werden vergewaltigt,
während einige Tausend Kriminelle eine Religion dazu
benutzen, ihre Taten zu rechtfertigen. 1,6 Milliarden
Muslime müssen sich dafür rechtfertigen und beweisen, dass sie anders sind. Nichts davon ist normal.“
Laila Alodaat arbeitet als Menschenrechtsanwältin für WILPF und ist Direktorin des Syrian Justice and Accountability Center.
Nötig: Ausbildung und Aufbauarbeit vor Ort
Grundsätzlich gilt gleiches Recht für alle, d.h. die Betreuung und Behandlung von anderen traumatisierten
Flüchtlingsfrauen könnte nach gleichem Schema und
Schlüssel ausgeweitet werden. Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind etwa 20 - 30 % der Flüchtlinge so traumatisiert, dass sie behandelt werden müssen. Allerdings wird es sehr lange dauern, bis die
Versicherungssituation angepasst und der entsprechende Zugang zum Gesundheitssystem geschaffen
ist.
In der Planung befindet sich zudem ein Projekt, in Syrien und im Nordirak drei Jahre lang an verschiedenen
Universitäten Traumatologen auszubilden, jedes Jahr
30 Menschen aus der Region. Ein System soll etabliert
werden, sodass in drei Jahren im Irak etwa 900 bis 1500
Therapeuten ausgebildet sind. Das Gleiche gilt auch
für Syrien.
Für ein „fantastisches Projekt“, hält Laila Alodaat diese
Maßnahmen. „Diese 1000 Frauen erhalten die Chance
Laila Alodaat is working as a human
rights lawyer for WILPF and is director
of the Syrian Justice and Accountability Center.
Foto: AMICA e.V.
Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan ist Psychologe und lehrt seit 2010 an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen.
Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan is psychologist. SInce 2010, he teaches at the Duale Hochschule Villingen-Schwenningen.
Foto: AMICA e.V.
KRIEGSFOTOGRAFIE
Lens young Dimashqi‎ist eine Gruppe junger syrischer Aktivisten
und Reporter, die in ihren Aufnahmen die Realität des Kriegs dokumentieren.
Lens young Dimashqi‎is a group of Syrian youth, reporters and
field activists, portraing the reality of war.
Website: www.dimashqilens.com
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UN-Frauenpolitik international
Summary Syria/ Northern Iraq
Cruel War against Women and Children
The war in Syria claims thousands of civilian casualties every year. Statistically, it is safer for a child in
an occupied city like Aleppo to pick up a gun and fight at the frontline than to stay at home. But only the
terror of the Islamic State (IS) and the arrival of thousands of refugees in Europe brought the violence
in the Middle East to the center of attention. Women and children are particularly affected. The state of
Baden-Wuerttemberg offers 1000 former IS hostages a chance for a new life.
According to contributions by Laila Alodaat und Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan
Since a long time, women in Syria have to deal with vio­
lent extremism. Many of the Syrians who called for freedom were persecuted, shot at, kidnapped, tortured, and
killed. Sexual violence is prevalent in Syrian prisons.
Many people are afraid to go to court because they could
become a victim of police brutality at any time.
Discriminatory Societies
Syrian and Iraqi laws discriminate against women. This
social violence is tolerated by the government, human
rights lawyer Laila Alodaat says. „So the people are worried about a lot of other things instead of being worried
about the fact that they are being persecuted by their own
government.“
Like many Syrian activists Alodaat critizies that the world has only become interested in the region when IS emerged. In fact the Assad regime and other groups killed up to
150.000 people until June 2014. An estimate of 600 barrel
bombs were dropped in populated areas per week, which
is around 100 per day. UNSCR 1325 demands that countries adopt national action plans to implement the resolution, yet this will not solve the problem. „If people are
living under such circumstances and I go there and say:
Can I have more women in your council?, they will tell
me to go away.“
always wrong but women do not even have access to that.
In a war, they lose their political position, their right to
freedom of movement and suffer from cuts into their right
to health.
In Iraq, 80% of the women who died during pregnancy
and childbirth could have been saved if they had had access to health care. The massive use of explosives in densely populated areas, however, prevented them from leaving their homes. For years, it is difficult in Iraq and Syria
to register marriages, births and deaths. The lack of administration deprives women who already have very few
right of access to inheritance claims, social services and
the like.
A Chance for 1,000 Yezidi Women and Girls
With a special program the State of Baden-Wuerttemberg aims at providing an opportunity for 1000 female
hostages of the IS from northern Iraq and Syria suffering
from a mental or physical illness caused by the captivity.
Over the past five years, tremendous amounts of arms
were sold to the various parties to the conflict in Syria with
almost no control. This creates a society that is dominated
by small arms - in the hands of men out of control. Women, on the other hand, contribute very little to violence
or fighting. Syria and Iraq have the lowest rates of armed
women. A very small exception are the Kurdish groups.
„We follow a simple rule,“ Professor Kizilhan who coordinates this project said. „We will get out everyone whose
life is in danger. Every single life counts.“ He is convinced
that the majority of the women would not survive if they
stayed in Northern Iraq. Like a 16-year old girl who managed to escape but during a nightmare or psychotic episode believed the IS came to her tent. She poured gasoline
over her head and body and lit herself up. She wanted to
be ugly, she explained this act of desperation. If she was
ugly, she would not be touched. Now, she lives in Stuttgart, has undergone 12 separate surgeries and is now learning German. „These are stories that are important to
me“, Kizilhan said.
Women: Invisible Victims
Fascist Ideology: Terror Group IS
War is a Male Domain
This has serious consequences: The legal system in Syria
has completely collapsed in the past five years. A man
with a gun might take the law in his own hands. This is
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The Yazidis consider the actions of the IS as the 73th
genocide in their history. The population of Iraq was a
religious, ethnic and cultural melting pot. Christians are
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Konferenzbericht
affected by the terror and persecution as well as Shiites.
During the Ottoman Empire, about 1.8 million people
were Islamized by force. 1.2 million Yazidis were killed during this time. There are hundreds of fatwas, including one
of an imam of Istanbul of the year 1724, saying that Yazidis
are infidels and must be killed and that their property
should be confiscated. The IS works with a fascist ideology,
so Kizilhan, dehumanizing other human beings.
After two years, the Yezidis women legally have the right
to family reunification. Tragically, however, in many cases no family members survived. Not included in the program are women suffering from dementia or psychosis or
very old persons. „With this project we want to help those
who have a real chance in Germany.“
Northern Iraq: Lacking Therapists and Standards
Critical voices feared that the women in the project are
uprooted. None of the countries in the Middle East, however, is currently able to provide long-term and sustainable support, says Kizilhan. In Northern Iraq, there are
only about 23 to 26 psychologists and psychiatrists and
there are no quality standards for trauma therapies and
treatments offered in the camps.
In the future, about 30 local traumatologist from Syria
and northern Iraq will be trained for three years at vari-
ous universities, establishing a system that will qualify
about 900 to 1500 therapists within three years.
„A fantastic project“, Laila Alodaat considers this program. „These 1,000 women get the chance for a new life
and escape the hell in which they lived.“ The project offers
immediate solutions in emergency situations. A woman
who is going to be raped tomorrow cannot wait 30 years
until society has changed. At the same time, more needs to
be done in the region.
„We are trying to make sense of an abnormal situation“,
Alodaat said in her closing remarks. „Everything that
happens, the whole issue of safe passage for refugees, for
those who throw themselves at sea in order not to die under the rubble: How shall all this make sense? None of
this is fair. People are killed in masses, they are raped,
while several thousand criminals make use of religion to
justify their actions. 1.6 billion Muslims must prove that
they are different. None of this is normal.“
Obdachlos: Strasenszene in Syrien. Foto:Lens young Dimashqi
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UN-Frauenpolitik international
international
Die politische Perspektive
Wer ist eigentlich verantwortlich für die Umsetzung der Resoultion 1325? Frauen und Männer müssen
die Forderungen gemeinsam verwirklichen und Ansätze kritisch hinterfragen. Deutschland braucht ein
Gewaltschutzkonzept für Flüchtlingsfrauen und -kinder. Über der Diskussion hierzulande darf aber die
katastrophale Lage in den Herkunftsländern nicht aus dem Blick geraten.
Nach einem Beitrag von Dr. Franziska Brantner
Deutschland sowie etliche andere europäische Län-
der haben Nationale Aktionspläne zur Umsetzung von
UN-Resolution 1325 verabschiedet, aber sie werden
nicht angewendet. Im Verteidigungsministerium arbeitet man an einer Neuauflage des Weißbuches zur
deutschen Sicherheitspolitik. Allerdings haben die
Verantwortlichen noch nie von der Resolution gehört.
Männer kämpfen, Frauen stiften Frieden?
Ursprünglich lag der Fokus der Resolution 1325 auf
den Frauen, mit dem Anspruch: Die Männer streiten
sich, die Frauen bringen Frieden. Frauen wurden als
rein positive Akteure gesehen. Deshalb wurde sehr viel
Zeit investiert, sie zusammenzubringen und Texte zu
erarbeiten, wie Frauen Frieden sehen und was ihre
Friedenspläne kennzeichnet. Dadurch wurde zwar die
Gefahr schnell überwunden, die Thematik nur aus der
Opfer-Perspektive zu betrachten. Doch diese Papiere
verschwanden in der Schublade. Frauen sind nicht die
besseren Menschen. Sie gehören an die Verhandlungstische, einfach weil sie die Hälfte der Menschheit ausmachen – gleichgültig ob sie später bessere oder
schlechtere Politik machen als Männer.
Scheitert die UN-Resolution 1325 also durch falsche
Lobbyarbeit? Oder liegt die mangelnde Umsetzung an
fehlender Finanzierung? Geld erhält nur, wer überzeugend darlegen kann, dass das Vorhaben hilft – und
nicht weil Menschen glauben, dass es moralisch richtig
ist. Wir brauchen Öffentlichkeit und eine Diskussion,
die Strahlkraft nach außen hat.
Außerdem ist eine gute Strategie wichtig. Zu sagen,
wir setzen auf die jungen Männer in diesen Ländern,
ist ein guter Ansatz. Das ist eine strategische Neuorientierung von 1325 und man braucht Raum für solche
Ansätze und für neue Formulierungen.
Deutschland: Gewaltschutzkonzepte für geflüchtete Frauen und Kinder fehlen
Was muss in Deutschland für geflüchtete Frauen getan
werden? Nötig sind Gewaltschutzkonzepte für Flüchtlingsunterkünfte, wie sie auch für andere Einrichtungen vorliegen, in denen sehr viele Menschen auf sehr
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engem Raum leben. Flüchtlingsheime in Deutschland
sind keine schönen Orte für viele Frauen und Kinder.
Aus Angst gehen manche nachts nicht auf die Toilette,
weil sie den Hof überqueren müssen, um zu den sanitären Einrichtungen zu gelangen. Es fehlen abschließbare Räume. Flüchtlinge – auch in Baden-Württemberg
– haben wegen Belästigungen Strafanzeigen gegen Security-Personal gestellt. Es gibt auch Vergewaltigungen und Gewalt in den Familien. Und das ist nur die
Spitze des Eisbergs.
Gewalt gegen geflüchtete Frauen existiert, wird aber
nicht so medialisiert. Die Forderung nach Schutz für
Frauen in den Unterkünften wird derzeit als Luxusdebatte angesehen, aber das ist ein Fehler. Es ist ein Standard und ein Recht. Das Bundeskinderschutzgesetz
gilt im Moment in ganz Deutschland, aber nicht in den
Flüchtlingsunterkünften. Außerdem gibt es konkrete
Handlungsanweisungen vom Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch, z.B. abschließbare Toiletten. Zudem müssten Frauenhäuser in Deutschland, die
viele der Frauen aufnehmen, finanziell besser ausgestattet werden und mehr Dolmetscher zur Verfügung
stehen. Das sind Grundlagen, die man umsetzen müsste. Wenn wir von Flüchtlingen einfordern, dass sie unsere Werte akzeptieren, dann müssen wir auch ihre
Rechte schützen.
Herkunftsländer: Die Welt schaut weg
Die Entstehung des Islamischen Staats und seines
Hauptquartiers im Irak hängt mit dem verfehlten IrakKrieg von 2003 zusammen und vielleicht noch stärker
mit der verfehlten Politik danach, durch die ein Teil
der Bevölkerung ausgegrenzt wurde. Sie hängt damit
zusammen, dass die gesamte Welt seit Jahren wegschaut, was in Syrien passiert. Es gab viele Gesprächsrunden, es gab Versuche, aber keinen wirklichen
Druck. Lange galt die Maxime Iran first, also erst die
Atomverhandlungen mit dem Iran. Man wollte den
Iran nicht kritisieren und Assad nicht weiter unter
Druck setzen.
Das waren alles Entwicklungen, die dazu beigetragen
haben, dass man dachte, der Konflikt stirbt aus. Doch
AMICA Schriftenreihe 2016|Nr. 1
Konferenzbericht
er stirbt nicht aus, er wird krimineller, er wird gewalttätiger, er wird regionaler. Daran haben wir unseren
Anteil, durch zu wenig Engagement und im Irak durch
das falsche Engagement.
Allerdings wird viel zu sehr über so genannte Pull-Faktoren diskutiert, die Flüchtlinge anziehen, und viel zu
wenig über die Push-Faktoren, die die Menschen aus
ihrer Heimat drängen. Das UNHCR ist für die meisten
Flüchtlingsunterkünfte zuständig, auch im Nordirak.
Dort herrschen katastrophale Zustände. Der Winter
kommt, aber es gibt keine Unterkunft, die Geberländer geben zu wenig, die Kassen sind leer, die Nahrungsmittelhilfen wurden gekürzt. 70% der Flüchtlinge im
Libanon leben unter der Armutsgrenze. Solange die
Menschen dort in Armut leben und ihre Kinder nicht in
die Schule gehen, kann man sich alle Debatten über Familiennachzug schenken. Das dort nicht geholfen wird,
ist fast unerträglich.
The Political Perspective
Who is responsible for implementing UN Resolution 1325? Women and men need to cooperate and be
open for critical approach. Germany lacks a program to prevent gender based violence occurring to
refugee women. We must not forget the disastrous situation in refugee camps and crisis regions.
According to a contribution by Dr. Franziska Brantner
Germany and other European countries have adopted
National Action Plans to implement UN Resolution 1325,
but they are not put into practice nor is funding adequate.
Men as warriors, women as peace-makers?
Originally, the focus was on women only, since they were
seen as peace makers and purely positive actors. Yet, women are not better than men nor is it relevant if they pursue a better policy than men. They belong at the negotiating table simply because they make up half of the
population.
We need a strategic reorientation of UN Resolution 1325,
and room for new approaches like, for example, coperating more with young men. Funding for women‘s rights
will be granted only of the approach is convincing - not
because it is morally right.
take. If we demand that refugees accept our values, we
must also protect their rights.
Syria and Iraq: Unbearable Situation
For years now, the world is ignoring what is going on in
Syria. We are discussing too much about the so-called
pull-factors that are attracting refugees, and far too little
about the push-factors that are driving people out of their
homes. The UNHCR is responsible for most refugee shelters, also in Northern Iraq, yet living conditions there are
terrible. Winter is coming, but there is no accommodation, donors are giving too little, food aid has been reduced.
70% of the refugees in Lebanon are living below the poverty line. As long as people are living under such conditions and their children are not going to school we do not
need to discuss about family reunification. It is almost
unbearable that there is no help.
Female Refugees in Germany:
Violence and Ignorance
It is important to develop concepts to prevent violence
and to protect women and children in shelters. Some female refugees do to not dare to go to the toilet at night
because they have to cross an unlit yard. Refugees brought
charges against security personnel saying that they were
harassed. There are also cases of domestic violence.
Violence against female refugees in Germany is not at the
forefront of the debate. The call for protection standards
is currently considered a luxury debate, but that is a mis-
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Dr. Franziska Brantner ist Mitglied
des Deutschen Bundestags für
Bündnis 90/Die Grünen. Vier Jahre
lang war sie Mitglied des Europäischen Parlaments.
Dr. Franziska Brantner is a member of the German parliament for
Alliance 90 / The Greens. For four
years she was member of the European Parliament.
Foto: Europäisches Parlament
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Habsburger Straße 9
79104 Freiburg
Telefon: 0761 5569251
Mail: [email protected]
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