Karin Kammann Trauerrednerin www.die
Transcrição
Karin Kammann Trauerrednerin www.die
Karin Kammann Trauerrednerin Dipl.Theol www.die-trauerrednerin.de [email protected] www.karin-kammann.de [email protected] Kuhdyck 45 a 47669 Wachtendonk Tel.:+49 2836 971059 Fax.:+49 2836 971057 Karin Kammann Dipl Theol. / Rednerin / Privat Pastorin / Coach Praxis für Coaching und Lebensberatung Trauerreden und Trauerbegleitung Mein Angebot: • Trauerreden * • Gestalten der Trauerfeier durch gemeinsam gefundene Rituale • Persönliche Begleitung auf dem Trauerweg • Sterbebegleitung • Auf Wunsch auch Seminare, Workshops sowie Vorträge zu Sterben, Trauer und Tod. * mit ausführlichem Trauervorgespräch, schriftliche Abfassung und Übergabe an die Angehörigen Stationen: • 1979 Arbeit im Ev. Bethesda Krankenhaus innere Medizin Begegnung mit Sterben, Tod und Abschied • 1981 Studium Ev. Theologie in Wuppertal Theologie und Philosophie in Heidelberg • 1986 Erstes Theologisches Examen Mitarbeit in der Ev. Ehe- und Lebensberatung Wuppertal • 1991 Vikariat in Duisburg, Sondervikariat Ev. Akademie Mülheim Ruhr Trauerreden, Umgang mit Ritualen, Trauerarbeit, Seminare und Tagungen • 1993 Ordination und Zweites Theologisches Examen Klinische Seelsorge Ausbildung im Predigerseminar Essen • 1994 Zusatzqualifikation Personalentwicklung & innerbetriebliche Weiterbildung • 1996 Journalistische Zusatzausbildung freie Autorin und Schriftstellerin • ab 1999 Coaching für Unternehmen Düsseldorf, Konstanz, Köln • ab 2003 Umzug an den Niederrhein: Praxis für Coaching, Begleitung und Seelsorge Trauerreden und Trauerbegleitungen als freie Theologin ehrenamtliche Engagements: Seelsorgerin bei der internationalen Internet Seelsorge Mitarbeiterin der Fairness Stiftung Der Trauer das Wort reden von Karin Kammann Schon öfter kommt es vor, dass ich auch wieder Traueransprachen verfasse und halte. Nicht für die Kirchenmitglieder, die haben ihre eigenen Pfarrer. Und die wiederum ihre eigenen Geschichten mit den Bestattern. Ich halte sie für grad mal für die, die aus der Kirche ausgetreten sind. Die keine Konfession haben oder haben müssen. Für mich ist es eine alte und gute Übung, die ich gerne mache. Trauerreden haben mit Menschen zu tun, die verschwunden sind. Die nicht mehr greifbar sind, aber irgendwie doch noch da. Daher geht es bei dieser Arbeit auch um Präsenz und Wahrnehmung. Viele fragen mich dann ganz verwundert: Trauerreden - so was machst Du gerne? Ist das nicht zu traurig? Und ich sage: Nein, nicht unbedingt. Ganz im Gegenteil, es ist hoch interessant. Gefordert wird man immer wieder durch den Anlass. Zu 95 % kenne ich die Verstorbenen nicht. Ich bespreche somit Menschen, die ich nicht kennen gelernt habe, deren Lebendigkeit sich mir entzieht und deren Berichte vom Leben mir nur aus zweiter Hand zu kommen. Filtergeschichten sozusagen, niemals unmittelbar. Nie gibt es einen direkter Eindruck. Eine Begegnung ist ausgeschlossen. So fertige ich Reden für die, deren Eindruck sich nur nach dem Verschwinden öffnet, deren Existenz nur noch aus den Rändern des Vermissens, des Fehlens sich rekonstruieren lassen kann. Eine Trauerrede ist tatsächlich eine Unbekannte ohne Gleichung in der Zeit. Eine akribische Arbeit mit Menschen, die anfangen zu trauern. Ganz dem Hier und Jetzt verpflichtet. Die Herausforderung jeder Rede ist es, den Verstorbenen vor den Augen der Trauernden wieder lebendig werden zu lassen. Ihn oder sie so ansichtig zu machen, das ein Erkennen sich vollzieht. Ein Wiedersehen als Abschied. Das ist für mich die Grundherausforderung: Dass ich einem Menschen portraitiere. Als Schraffur, nie ganz erschöpfend. Es ist zugleich der Akt, einen Menschen in einer letzten, öffentliche Sprachhandlung sie zu würdigen. Seiner letzten. Erst über die Ränder einer Existenz hinaus entsteht der Eindruck einer Person. Aus den Gesprächen, die man mit den Hinterbliebenden führt. Manchmal auch aus Bilder, die man einsehen kann. Aber immer noch aus diesem Echo der Seele, das mir in den Gesprächen entgegen kommt. Aus dem, was jetzt fehlt und gestern noch da war. Ein echtes Inter-esse, ein Dazwischen Sein. Manchmal muss man detektivisch unterwegs sein. Sehr genau hinhören auf die Zwischentöne; es aushalten und nicht mit vorschnellen Schablonen hantieren, bis sich ein erstes Bild eines Menschen sich zusammen setzt. Manchmal ist es auch nur ein Fragment, eine kleine Besonderheit wie die, dass ein Selbstmord noch nicht mal in der Zeitung berichtet wurde. Vergessen bis über den Tod hinaus ... das war der Schlüssel, um eine Person in ihrer Tat zu verstehen. Sie zu würdigen und so lieferte ich in der Ansprache die Nachricht nach, die die Zeitung nicht bringen wollte. Immer findet sich, was mich berührt. Und so lange bleibe ich auch im Gespräch. Bis bei mir der Eindruck wächst, ich kann etwas sagen. So lange sitze ich da als eine Fremde in einer Familie oder auch mitten drin, umgeben von fremden Menschen, die mir Geschichten erzählen, um die ich sie nicht gebeten habe. Eine merkwürdige Situation ist das, schnell vertraut und nah. Das zu leisten ist nicht einfach und das wieder umzusetzen in Worte ist oft eine Herausforderung, der man gewachsen sein muss. Gehört habe ich schon, dass man inzwischen auch Trauerreden zum Discount-Preis bekommen kann. Für 100 Euro gibt es eine Auflistung der Lebensdaten. Von Geburt bis Ausgang. Sie wird wie ein Lebenslauf dem Toten beigelegt. Herunter gelesen wie eine Agenda oder die Aufstellung einer Fußballmannschaft. Schon morgen spielt ihr wieder ... mach es gut. Hier am Niederrhein haben wir inzwischen bis zu zehn Trauerredner, die sich um diese Arbeit mühen. Das ist viel für diesen Bezirk und es wird wohl weiter zunehmen. Zu finden sind pensionierte Lehrer ebenso wie ein Krankenpfleger, der sich in seinen Nachtschicht im Krankenhaus vorbereitet. Auch eine Kunsttherapeutin, die dadurch Werbung für Ihre Malkurse betreibt, sowie viele andere tummeln sich in diesem Metier. Das Berufsbild des Trauerredners ist nicht beschrieben. Es ist gut so, weil nun viele unterschiedliche Berufe sich dort zusammen finden, eben auch die entlaufene Pastorin, wie ich es bin. Sicherlich gibt es – ebenso wie bei den Pfarrern – auch schwarze Schafe. Die sich versuchen möchten, es aber nicht gelernt haben. Die meinen, das Ablesen einer Biographie genüge. Oder die ihre Textbausteine und Trauer-Versatzstücke im Computer gespeichert haben und damit bestehen möchte. Nein, es geht immer und unausweichlich um die Person dort. Die im Sarg ebenso wie die auf den Bänken und Stühlen vor mir. Unerträglich wird eine Ansprache, wenn sie die Distanz nicht wahren kann. Wenn der Redner sich selbst als Betroffener ausgibt, ohne es zu sein. Solches habe ich einmal bei einem Pfarrer erlebt und es war ein schlimmes Erleben, dem ich beiwohnte. Sicherlich rhetorisch überzeugend war diese Darbietung, aber das Grundgebot eine guten Trauerrede aufs Schlimmste missachtend. Das heißt: Du musst den Menschen ihre Gefühle lassen. Dieser Pfarrer nahm mit seiner Inszenierung den Trauernden die Gefühle. Denn jetzt war er der Trauernde und nicht länger mehr die Angehörigen. Und das sollte niemals geschehen. Denn es gehört zur Sensibilität des Redens, dass man die Gefühle achtet und respektiert; sie dort lässt, wo sie hin gehören. Also merke: eine gute Trauerrede erkennt man daran, dass die erste Reihe weint. Wenn nicht, so sage ich immer, habe ich etwas falsch gemacht. Denn allein der Unterschied bleibt heilsam. Ich bin nicht von diesem Tod betroffen. Ich bin nicht Trauernde. Deswegen kann ich reden - stellvertretend für die, die es jetzt, in diesem Moment nicht mehr können. Denen der Tod die Sprache verschlagen hat. Die Trauerrede ist und bleibt stets ein stellvertretendes Tun. Ein dienendes. Wer das missachtet, begreift nichts von seiner Aufgabe. Das gilt auch und erst Recht für die Pfarrer. Sicherlich gibt es auch Verunsicherungen. So wie bei meinem letzten Auftrag. Da hieß es: Passen Sie auf, Frau Kammann. Bei der Familie sind noch Rechnungen offen. Nehmen Sie besser Vorkasse. Und das tat ich, als ich die Oma zu ihrem Urnengrab begleitete. Auf die Anmietung der Trauerhalle hatte man schon verzichtet; verständlich sogar, wenn man bedenkt die Miete höher ist als meine Ansprache selber. Die Urne mit der Oma wollte man allerdings doch nicht ohne ein paar Worte selbst in die Erde versenken. Also kam ich dran. Während man mir also diskret den Umschlag mit meinem Honorar zusteckte, wartete um die Ecke eine kleine, bescheidene Trauergemeinde. Familie vertraulich dekliniert. Es waren gerade mal acht Personen. Dazwischen und besonders auffällig zwei Jugendliche. Schwarze Springerstiefel. Schwarze Jeans. Schwarze Bomberjacke. Kahle Schädel mit einer Tätowierung. Oh Mann, dachte ich. Genau die, denen ich niemals begegnen wollte. Nun standen sie in stattlicher Größe – direkt vor mir. Der eine trug die Urne in der Hand. Was sollte ich anders tun als das, was ich immer tat? Also ging ich mit, schweigend Schritt für Schritt. In meinem Kopf sammelten sich die Phantasien. Liefen voll, liefen über ... keine Antwort auf alle Fragen. Als wir ans Grab kamen, stellten sie die Urne ab. Ich hielt meine Ansprache und ging tapfer weiter .... Satz für Satz langsam, nur nicht zu schnell. Dass sie auch meine Angst nicht merken. Denn noch - bin ich nicht auf der Flucht. Als ich bis ans Ende, dort wo auch ich bete - wenn gewünscht - und noch einmal das Leben ausspanne zwischen Schuld und Vergebung, schaute ich die beiden direkt an. Ich mochte es nicht glauben. Dicke Tränen rollten über geröteten Wangen. Ja, der größte Feind sitzt immer innen. Die Gefühle, die man sonst nicht zeigen darf. Und der innere Feind war diesmal nicht zu besiegen. Gut so, dachte ich. Die Urne wurde in die Erde gesenkt und für einen Augenblick schien friedlich die Sonne auf alle Versammelten. Es war das letzte gute Werk der Oma, dachte ich noch und dann trat ich zwei Schritte zurück. Referenz Trauerrede 01 Mann, 36 Jahre, Herzstillstand Text : Mascha Kaleko - Memento Ort: Düsseldorf, Nordfriedhof Datum: 23. Januar 2006 Wir sind hier zusammen, weil wir Abschied nehmen müssen von Thomas K* Wir wollen das tun als seine Freunde und Verwandte, als seine Wegbegleiter über Jahre und Jahrzehnte als Menschen, die ihm verbunden sind und waren die dankbar sind für sein Leben und seine Gegenwart die traurig sind über s einen Verlust. Unsere Sinne sind betrübt und unser Herz stockt Noch lange nicht haben wir verstanden Was wirklich geschehen ist. Wir wissen nur eins: Wir vermissen Dich. Heute mehr als gestern - und morgen mehr als heute. Ein Platz bleibt frei, für immer. Aber Du lebst in unseren Herzen. Zur Ansprache hören wir ein Gedicht von Mascha Kaleko Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr: - Und die es trugen mögen mir vergeben. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Mascha Kaleko Liebe Angehörige & Verwandte Liebe Petra K*, Freunde und Familie Liebe Trauergemeinde Thomas K* ist von uns gegangen. Sein Tod kam plötzlich und überraschend. Niemand konnte damit rechnen. Und niemand hat damit gerechnet. Mitten aus dem Leben wurde er gerissen. Zu früh, wie wir sagen. Zu unerwartet, um damit klar zu kommen. Zu unvorhersehbar, als dass wir uns heute schon damit anfreunden können. Memento Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? Allein im Nebel tast ich todentlang Und lass mich willig in das Dunkel treiben. Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben. Am Abend des 11 Januar verstarb er – unbemerkt in ein einem einzigen Augenblick. Sein Tod geschah ohne Ansage, er kam plötzlich und aus dem Nichts. Als wäre die Zeit stehen geblieben mit einem Schlag. So lag er da. Unfassbar. Wie im Schlaf. „Wach auf , Thomas ! Komm zurück“- Und doch war es schon vorbei. Gestorben ist er zu Hause. Mitten im Leben. Den Geruch von Geborgenheit und Liebe noch auf dem Körper, Spuren des Glücks. So als wollte er sagen: So und nicht anders möchte ich es haben. So wie mein Leben auch war. Ein Tod, der aus dem Vollen schöpfte. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Sein Tod spiegelte wohl auch sein Leben. Denn für ihn gab es immer nur klare Kante. An oder Aus. Ja oder nein. Und so war auch sein Tod eine klare Entscheidung, keine Zwischentöne möglich. So schlimm es sich auch anhören mag. Es war vielleicht besser so. Denn so gab es kein Leiden, keine Krankheit, an der er einging wie ein Hund. Ein heftiger Abgang war das, - unverwechselbar und eindeutig mit der Handschrift von Thomas. Klartext am Ende seines Lebens. Wie konnte das nur geschehen? Unvorstellbar aber auch, er hätte überlebt. Unvorstellbar, ihn an Apparaten und Maschinen zu sehen, ausgesetzt dem medizinischen Treiben. Lieber wäre er freiwillig gegangen, als sich so an der Grenze zwischen Leben und Tod entlang zu hangeln. Ein unerträglicher Gedanke wäre ihm das gewesen. Unerträglich, dass andere über ihn bestimmen könnten. Und so war er wie im Leben so auch im Tod: klar und ohne Zweifel. Selbst im Tod blieb er sich treu. Und wenn es noch so schmerzt. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Der eigene Tod hatte für ihn keinen Schrecken. Man stirbt ihn nur und dann ist es vorbei. Dann ist es ausgestanden. Man hat es hinter sicht gebracht. Aus und vorbei. Thomas hat einen schönen Tod gefunden, einen den er sich immer gewünscht hat. So und nicht anders wollte er sterben. Das wäre es, so sagte er. Und - das war es dann auch. Dennoch schaffen wir es heute nicht, dem gelassen ins Auge zu sehen. Wir Lebenden könnten nicht mit dem Tod paktieren. Wir Lebenden schaffen es nicht, ihn einfach so gehen zu lassen. Da ist doch noch so viel. Zu eng sind die Bindungen, zu sehr sind wir verbunden auch mit seinem Leben, als dass wir ihn einfach los lassen könnten. So einfach ist es nicht zu gehen. Ohne Auf Wiedersehen zu sagen. Ohne zuvor Abschied zu nehmen. Ohne dass wir uns heute trösten könnten. Für Thomas mag dieser Tod stimmen. Aber für uns heute ist es unerträglich. Ist es noch lange nicht so weit. Trauer, so sagt man, hat ihre eigene Geschwindigkeit. Sie reist hinter uns her, überfällt uns und treibt uns die Tränen ins Gesicht. Abschied nehmen, das will gelernt sein. Und das braucht Zeit. Zeit, die Thomas uns nicht gelassen hat. Und das schmerzt doppelt. Weil man heute nicht mehr nachholen kann, was jetzt endgültig vorbei ist. Weil man heute nicht mehr reden kann, was gestern noch zu sagen war. Weil das Gespräch aufgehört hat. Weil noch so viel zu sagen bleibt. Weil unser Herz schlägt für Dich und dein Herz nicht mehr. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Mit diesem Tod zu leben, das haben wir nicht gelernt. Das ist die letzte Herausforderung, die uns gestellt ist. Es war zu früh, wo noch so viel Leben vor ihm stand. Und unsere Gefühle fahren Achterbahn mit uns, schlagen um von Trauer zu Wut zu innerer Verzweiflung: Warum nur? Warum nur jetzt? Warum konntest Du nicht noch bei uns bleiben? Fragen wie diese verlaufen sich wie Spuren im Sand. Was bleibt ist ein Verlust, über den wir uns nicht trösten können. Keine noch so guten Worte helfen da. Und ehrlich ist, wer sich das eingesteht. Kein Ausweg möglich. Unser Herz brennt. Denn auch das gehört zum Leben. Diese Ehrlichkeit, die er immer gelebt hat. Und jetzt diese Trauer. Dieser Klartext. Die letzte Konfrontation. Thomas hätte sich gewünscht, dass wir uns dem stellen. Dass wir nicht weglaufen vor unseren Gefühlen. So wie er selbst nicht weggelaufen ist. Niemals. Denn so war er da für uns. Seine Offenheit, seine Klarheit und seine Ehrlichkeit ließ Freundschaft entstehen, die hielt – weit über Grenzen hinweg. Das waren keine leeren Worte. Nie hat er andere im Stich gelassen. Und nun das. Aber so ging er ins Leben: Drei Freunde müsst ihr sein. Nicht allein, sondern jeder für sich, und alle zusammen. Der eine nicht ohne den anderen. Die anderen nicht ohne ihn. Das ist selten geworden und – in allem Schmerz – dennoch ein Grund zur Dankbarkeit. Verbindungen entstanden, die hielten. Die die Signatur der Zuverlässigkeit hatten, der Zuneigung, der Zusammengehörigkeit. Selbst seine Ehe wurde so gestiftet. Wir sehen ihn eine Nacht still sitzen, seine Frau schlafend auf dem Schoß. So als könnte er vorab geben, worauf man sich später verlassen konnte. Fundamente legte er und baute auf. Immer wieder, nicht nur in seinem Beruf, sondern auch unter Menschen. Man konnte auf ihn zählen. Der wöchentliche Anruf am Sonntag bei seiner Mutter. Das war mehr als ein Ritual. Das geschah nicht nur aus Gewohnheit. Gefühle zu zeigen, das war nicht unbedingt seins. Gefühle haben aber umso mehr. Auf seine eigene Art gab er, was er geben konnte. Und – man konnte sich fest machen an ihm. Wie es schien für immer. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Seinen Abschied – merkwürdig genug – hatte er schon geplant. So, als wäre ihm der Gedanke vertraut. Nicht fern. Mit Pauken und Trompeten wollte er gehen. Nicht nur leise Töne haben. Noch einmal ausholen, noch einmal Da Sein. Tatsächlich gibt es auch die Ermahnung, bloß nicht traurig zu sein. Das ist nicht verwunderlich, wenn man das alles schon mal erlebt hatte. Der Tod seines Vaters brachte ihn selber an die Grenze. Brachte ihn zu Entscheidungen, das Leben zu feiern und sei es bei seinem letzten Abschied. Man muss es verstehen können als seine eigene Art, Trauer und Schmerz zu bewältigen. Als seinen Wunsch, niemals dem Tod das letzte Wort zu lassen. Auch nicht, wenn es heute um seinen Abschied geht. Da lebte ein gesunder Trotz in ihm, der uns erinnert, dass wir heute lebendig sind, dass wir unser Leben noch vor uns haben, - wenn auch verwaist. Dankbarkeit wächst da, wo das Einverständnis Raum greift. In allem Leid, über alles Leid hinaus. Wir haben in Thomas K* einen Menschen unter uns gehabt, der mehr geben konnte, als da war, dessen Leben Spuren in uns hinterlassen hatte. Der uns berührt hat, der unvergessen bleibt. So selbstverständlich er da war, so wenig selbstverständlich war es, dass er da war. Er war ein Geschenk. Für uns, für alle anderen. Thomas war in seiner Art und mit seinem Leben unverwechselbar. Nie wieder wird es einem Menschen wie in ihn unserem Leben geben können. Er hat uns berührt, wie kein anderer. Darüber dürfen wir dankbar sein. Darüber dürfen wir auch traurig werden. Unseren Gefühle können wir trauen. Sie kommen und gehen wie Wellen auf dem Meer. Und Trauer trägt uns wie eine gute Freundin durchs Leben, - wenn wir sie zulassen. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Es wird Zeit brauchen, dass wir auch mit dem Tod von Thomas leben könnten. Und noch lange nicht ist das Gespräch in uns verstummt. Da ist noch so viel zu sagen. Noch so viel und am Ende, ganz am Ende werden wir leer und stumm und stehen da, ohne Worte nur mit unserer Trauer in der Hand. Verdammt, wir haben das nicht gewollt. Es tut so weh. Es ist noch lange nicht vorbei. Aber – das versprechen wir Dir: wir halten uns ans Leben. Weil wir nichts anderes haben und Du es auch gewollt hättest. So wollen wir Dich heut loslassen. So wollen wir dich heute festhalten. Loslassen in die Erde. Dorthin, wo schon Dein Vater ist. Dir ist er voraus gegangen. Dorthin, wo wir keinen Zugriff mehr haben. Und festhalten dort, wo unser Herz schlägt. Wo wir Dich immer noch spüren. Spüren mit jedem Schlag. Mit jeder Träne. Mit jedem Gedanken. Thomas. Du bist nicht weg. Du fehlst uns nur. Sonst nichts. Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der anderen muss man leben. Referenz Trauerrede 02 Mann, 53 Jahre, Krebs Text : Hermann Hesse – Stufen Wohlan mein Herz, nimm Abschied und gesunde Ort: Mülheim Ruhr, Hauptfriedhof Datum: 22. Sept. 2006 Wir sind hier zusammen, Liebe Angehörige & Verwandte, weil wir Abschied nehmen müssen Liebe Frau St* und Familie von Gerd St* Liebe Trauergemeinde, Freunde und Wegbegleiter Wir wollen das tun im Namen der Liebe denn Leben ist Liebe und Liebe ist stark wie der Tod. Gerd St* ist gestorben. Wir hören auf ein Gedicht von Hermann Hesse Trost Am frühen Morgen des 13 Septembers ließ er sein Leben los und ging von uns. Sein Tod kam nicht überraschend, aber dennoch stehen wir traurig und fassungslos vor seinem Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Sarg. Ein Mensch ist nun endgültig von uns gegangen. Ein Platz bleibt leer. Wir sind verwaist. Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Gestorben ist er im Kreise seiner Lieben. Gestorben ist er nicht allein. Er war geborgen dort, wo er sein Herz hingelegt Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe hatte, sein Leben gelebt und seinen letzten Atemzug getan Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, hatte. Das ist nicht allen beschieden und ein köstliches Gut. So darf man dankbar sein für eine Familie, die blieb - auch Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neue Räumen jung entgegen senden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde. als es schwierig wurde, als es an die eigenen Reserven ging. Denn es ist nicht leicht, Abschied denen zu geben, die man geliebt hat. Dennoch war sein Tod eine Erlösung. Er war zugleich das Ende eines Kampfes, den er nicht gewinnen konnte. So musste auch er selber langsam mit ansehen, wie ihm die Kräfte ihm schwanden, wie das Lächeln leise aus dem Gesicht ging und es nicht mehr klappen wollte mit all den vielen Dingen, die ihm so selbstverständlich von der Hand gingen. So wurden die letzten Wochen anstrengend für beide Seiten, flackerte doch hier und da noch mal Lebensmut auf. Da war Schon früh verlor er seine Mutter, schon früh musste er mit anderen teilen. Und dennoch kam er durch, dennoch fanden doch auch noch so viel Leben zu leben. Da war doch noch sich liebende Hände für ihn. Als Deutschland noch taumelte, nicht alles aus und es tut weh, einen Menschen loslassen zu müssen, wenn noch so viel zu wünschen wäre. fiel er wieder auf die Füße, nahm sein Leben selber in die Hände. Dennoch war sein Tod auch das Ende seines Leidens, das so sinnlos erschien. Er hat es geschafft .... es ist vorbei. Nun ist Mit 15 Jahren dann verließ er die Familie, machte sich auf den Weg sein Leben zu meistern. Manchmal muss man alles er eingeschlafen. Das klingt auch wie eine erste hinter sich lassen, um wirklich anzukommen. Manchmal Erleichterung, wie ein langsam wachsendes Einverständnis in das Geheimnis von Leben und Tod. muss man aufbrechen, um gut im Leben bleiben zu können. Und manchmal schmerzt das Gehen nur halb so wie das Bleiben. Ich glaube, diese Entscheidung so ungesichert ins Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Leben zu gehen, hat er nie bereut. Diesen Mut, sich auf das Neue einzulassen, hat er auch nie verlernt. Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Nicht ewig ist die Dauer unseres Lebens. Und erst wenn der Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern letzte Atemzug getan ist, begreifen wir, wie sehr ein solcher Abschied schmerzt. Der Kopf sagt: es ist gut so und doch ist In andre, neue Bindungen zu geben. unser Herz noch lange nicht zum Abschied bereit. Vielleicht begegnete er dem Leben mit einer gesunden Trauern – das müssen auch wir erst langsam lernen. Und Mischung Neugier und Interesse – immer bereit, sich zum Besseren zu verändern, jede Chance zu ergreifen. wir halten den Verstorbenen damit in Ehren, geben ihm das letzte Geleit und zugleich einen Platz in unserem Herzen, den niemand wieder nehmen kann. So kam er hier an als ein junger Mann, der das Leben suchte. „Komm mit, was besseres als den Tod finden wir alle mal!“ heißt es bei den Bremer Stadtmusikanten und diese Geboren in die schwere Zeit Deutschlands hinein, war das Leben von Gerd St* selber ein Wagnis. Geboren in den Einladung wird wohl auch ihn gegolten haben. Mangel und die Wirren des Krieges, musste er sich seinen Mit solcher Zuversicht begann er sein Leben. Seine Arbeit Weg ins Leben selber suchen und finden. fand er zuerst unter Tage, zwei Jahre in der Zeche. Knochenarbeit war es, aber immerhin Arbeit. Allein auf sich gestellt, aber mit diesem Lächeln im Gesicht als wolle er Heimat – die haben wir im Herzen der Menschen. Heimat – das ist da, wo man vertrauen kann, wo man als Mensch fragen: was kostet die Welt. ganz da ist, mit all seinen Stärken und auch Schwächen. Auf eigenen Füssen zu stehen, auch wenn sie noch in Heimat das war die Familie, die Sorge für die Kinder und zuletzt auch die Freude an den Enkelkindern. kaputten Socken steckten, das war ihm viel wert. Für sich selber gerade zu stehen, den Anfang zu machen und Schritt für Schritt weiter zu gehen, das mag ihn selber gefreut und Auch beruflich war Veränderung angesagt. Längst war Gerd St* aufgetaucht, baute nicht mehr Kohle unter Tage ab, gewundert haben. Denn es klappte: das Leben trug ihn. Er sondern Häuser über Tage auf. Ein Mensch, der sich blieb nicht allein . ausweisen konnte mit seiner Hände Arbeit. Der mit dem Fahrrad fuhr und sagen konnte: hier und dort war ich am Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Werk. Ein Mann der Tat, eher direkt und immer verlässlich. Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. So arbeitete er sich hoch – wortwörtlich – vom Arbeiter zum Wer diese Erfahrung für ich gemacht hat, der ist dann auch Polier und danach noch in luftigere Höhen als Kranführer. bereit, das zweite große Geheimnis des Lebens zu entdecken. Der ist zur Liebe bereit, bereit sich in neue Jemand, der Übersicht hatte und brauchte. Jemand, auf den man sich verlassen musste. Bindungen zu geben. So war es ein besonderer Tag im September, als er dann gesehen wurde. Als die Liebe ihn traf, unvermittelt und klar und er nur einverstanden zu sein Noch Jahre später interessiert ihn jeder Kran, ging sein Blick in den Himmel, wenn irgendwo neu gebaut wurde. Dort brauchte. Ja, ich will. oben war sein Platz. Und sein Interesse am Leben blieb ungebrochen. Und so wollten zwei Herzen das eine. Zur rechten Zeit. Im richtigen Moment. Einundfünfzig Jahre Ehe folgten. Ein Er hat was bewegt im Leben – das kann man sagen. Er hat lange Zeit, eine glückliche Zeit durch Höhen und Tiefen. Menschen, so sagt man, wachsen wie Bäume zusammen. nicht nur selber eine Heimat gefunden, er hat sie auch anderen geben können. Seiner Frau und den rei Kindern – Ihre Wurzeln gründen im Boden und ihre Blätter atmen den aber auch den sieben Enkelkindern. Wind. Bis zuletzt blieben sie zusammen. Nur der Tod konnte sie scheiden. Bis zuletzt war da diese große Er mischte sich ein, nahm teil und hielt sich nicht zurück. Ein Selbstverständlichkeit, mit der man einander gewählt hatte: Mensch, mitten im Leben. Ein Mann, der da war. Der blieb ein Mann und eine Frau. Der Beginn einer Familie. bis zuletzt. Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neue Räumen jung entgegen senden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde. Dass unser Leben Dankbarkeit atmet, denn jede Liebe, jeder Mensch ist ein Geschenk. Gut, dass DU da warst. Gut, dass Du für uns da warst. So bleibt auch der Abschied von Gerd St* versöhnlich: ein So bleibt uns heute in diesem Moment der Abschied von einem geliebten Mensch. Unbegreifbar ist, was der Tod bedeutet. Seine Endgültigkeit schreckt uns, seine Gegenwart erinnert uns auch an die eigene Vergänglichkeit. Trauer, so sagte einmal ein Kluger Mensch, Trauer hat seine eigene Geschwindigkeit. Sie kommt und überfällt uns dort, wo wir es nicht erwarten. Sie bleibt bei uns und wird für die nächste Zeit unsere Wegbegleiterin. Ausblick ins Leben angesichts des Todes. Und als er seinen letzten Atemzug tat, brach die Sonne durch die Wolken, wurde der Himmel blau und ein Eichhörnchen huschte sogar über die Wiese. So will das Leben auch uns tragen. Auch wir haben unser Leben zu leben: Genussvoll mit allen Sinnen. Geduldig, wenn uns die Gefühle übermannen. Gefühlvoll, das auch im Abschied die Erinnerung bleibt. Trauer ist aber auch Ausdruck tiefer Liebe und Zuneigung. Gemeinsam, denn wie alle haben Dir viel zu verdanken. Ein Mensch, der nicht trauern kann, ist schon lebendig tot. So erinnert uns der Schmerz auch ans Leben. Ein Leben, das wir selber zu meistern haben. Heute, hier und jetzt. Ein Leben, dass ohne den Verstorbenen so nicht denkbar wäre. Und dennoch, liegt es in unseren Händen. Dass uns gelingen mag, was wir uns vornehmen. Dass unser Leben Sinn findet, wo wir ihn brauchen. Lebwohl, müssen wir Dir heute sagen. Lebwohl und danke, dass Du für uns da warst. Du hast Deinen Platz in unserem Herzen. Du hast geschafft, was uns noch bevor steht. Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde. Referenz Trauerrede 03 Frau, 76 Jahre, multiples Organversagen Text : Psalm 139 Gott, Du erforschest und kennest mich Ort: Krefeld, Krematorium Datum: 12. Mai 2006 Wir sind hier zusammen, weil wir Abschied nehmen müssen von Charlotte H. Wir wollen das tun im Namen dessen der Himmel und Erde geschaffen hat, der Wort und Treue hält ewiglich. Der Quelle und Ursprung allen Lebens ist – Der uns geschaffen hat und ins Leben gerufen, Der uns rufen wird zum Ende unserer Tage zu seinem Leben Dessen Leben Liebe ist und der nicht aufhört, Liebe zu sein für uns. Der Atem des Lebendigen - unsere Hoffnung und Zukunft. Zur Ansprachen lese ich aus dem Erfahrungswissen der Bibel, den Psalm 139 Gott, du erforschest und kennest mich: Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne Ich gehe oder liege, so bist du um mich Und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, dass Du nicht schon wüsstest: Von allen Seiten umgibst du mich und hälst Deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am „äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich leiten und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir und die Nacht leuchtete wie der Tag, Finsternis wie das Licht Liebe Familie von Charlotte H. Liebe Verwandte und Bekannte Liebe Trauergemeinde. Charlotte H. ist von uns gegangen. Mit Ihr verlieren wir eine geliebte Mutter und Großmutter, Freundin und Urgroßmutter. Mit ihr geht auch ein Stück unserer Geschichte, ein Teil des Bodens, auf dem wir stehen. Ihr Tod schmerzt uns und lässt uns nun zurück. Ihr Tod kam mit Ankündigung und wie eine Verweigerung des Lebens. Jetzt will ich nicht mehr. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo das weitere Hoffen, das weiter Leben für mich keinen Sinn mehr macht. So verweigerte sie die Nahrung, so verweigerte sie die Zuwendung, die zum Leben notwendig ist. Oft haben wir gehört, dass Menschen sterben möchten. Oft sind wir erschrocken darüber. Aber unser Sterben gehört auch zum Leben, ja, es ist uns von Geburt an mitgegeben. Vielleicht aber war es besser so als anders. Vielleicht spiegelt sich in ihrem Tod auch noch einmal ihr Leben wieder: Grad so, als wolle sie sagen: Seht, auch meinen Tod kann ich in die eigene Hand nehmen. Auch ihn bestimme ich, wie ich immer. Auch hier zeige ich, dass ich über mein Leben verfügen kann ... Gott, Du erforschest und kennest mich ..... Der Tod kam für sie nach einem langen Leben. Und er spiegelt etwas von dem Leben einer ungewöhnlichen Frau, einem Menschen der stets seinen eigenen Weg suchte und durchsetzen wollte – und das bis zuletzt. Wenn ein Mensch geht aus unserer Mitte, dann bleibt erst mal eine Leere, ein Moment Stillstand im Leben, der sich erst langsam füllen wird - mit dankbarer Erinnerung. Geboren zu Anfang des Jahrhunderts hat Charlotte H. kein einfaches Leben gehabt, dennoch ist sie alt geworden und – so dürfen wir sagen - immer noch nicht lebenssatt. Sie war ein besonderer Mensch, hob sich ab und heraus aus den Lebensläufen anderer Frauen. Schon früh eine Motorrad Fahrerin. Schon früh eine, die ausbrechen wollte. Weit weg, dort wo Heimat ist. Ein kluger Mann sagte einmal: Heimat ist, was wir von Jugend auf kennen und worin noch niemand gewesen ist. So war es auch bei Charlotte H.. Heimat lag immer nur vor ihr, in neuen Lebensaufbrüchen zuletzt und war niemals ein Ort, auf den man zurück schauen konnte Irgendwann einmal wurde sie auch - innerlich verschlossen und lebte eher für sich. Als träumte sie ihren Lebenstraum, ohne jemals daraus aufwachen zu wollen. Ihre Jugend verbrachte sie in Zeiten, die uns nur durch die Geschichtsbücher bekannt sind. Geboren 1917 im Kaiserreich hat sie eine für uns ungeheure Lebensspanne bewältigt. Aufgewachsen in der Weimarer Republik atmete sie noch den ungebremsten Geist des damaligen Aufbruches. Eine Sehnsucht, die unstillbar wurde. Sie heiratete – insgesamt vier Mal und muss ein Leben geführt haben, das viele Geschichten unerzählt ließ. Eigentlich stehen wir heute hier und wissen gar nicht so viel. Haben eine Ahnung und einen Respekt vor dem Leben eines Menschen, das nun zu Ende gekommen ist. Gott Du erforschest und kennest mich, Du verstehst meine Gedanken von ferne. Sich anzuvertrauen – das war nicht unbedingt ihre Sache. Sie versuchte zuletzt Ihr Leben in immer neuen Versuchen zu leben. Grad so unbekümmert, als bliebe ihr alle Zeit der Welt, als könnte sie nichts gefährden. So blieb Charlotte H. immer zwischen den Welten. Nie ganz da, nie ganz weg. Ab und an hörte man von ihr: Hier wohne ich jetzt. Da wollen wir bleiben. Und dann blieb sie doch nicht ... So stand sie schon mal da, mit drei Koffern in der Hand – und mehr nicht. Ein gesammeltes Leben. Eine Ankunft im Irgendwie und gelandet bei Menschen. Als käme sie von irgendwo her. Als stände sie stets auf dem Bahnhof, zur nächsten Abfahrt bereit. Heute stehen wir hier, um sie zu ihrer letzten Reise zu begleiten. Eine Reise, die auch sie nicht kennt. Ein Abschied, der der letzte ist. Kann sein, zum Ende des Lebens wird sie Versöhnung finden oder das große Wunder am Ende aller Tage. Kann sein, am Ende des Lebens wird sie erstaunt sein, dass da jemand bei ihr war, der sie in allen Wegen begleitet hat. Diese Unruhe war typisch für sie, die nicht in den klassischen Bahnen von Mutterschaft und Heim funktionieren konnte. Deren Heim immer ein mobiles war und wurde, die ihre Sehnsucht mitnahm und behielt. Eine Mutter, sicherlich – aber nicht im klassischen Sinn. Zwei Kindern hat sie das Leben geschenkt. Und wurde Oma und Uroma. Aber auch das eher nebenbei, nicht wirklich verbindlich. Da blieb ja noch soviel Leben zu leben. Gott, du forschest und erkennest mich ... Gewiss, ihre Partnerschaft war ihr ruhender Pol. Das Zusammen Sein mit ihrem Mann, den sie zweimal heiratete. Wie eine Elipse umkreiste auch sie sein Leben, ging sie mit und weg, blieb sie und brach auf. Ohne ihn konnte und wollte sie nicht sein. Mit ihm blieb nur der gemeinsame Aufbruch. Amerika – das Land der Verheißung und Hoffnung. Einer, der sie kennt und dem sie sich jetzt anvertrauen darf. Einer zu dem man sagen darf: Ich gehe oder liege, so bist du um mich Und siehst alle meine Wege. Gewiß dürfen wir sein, dass auch ihr Leben von dieser Güte umfangen wurde – auch wenn wir Hinterbliebenen keinen Einblick bekamen. Auch wenn wir oft verzweifelt fragend vor diesem Lebensweg standen. Muss es wirklich so sein? Für Charlotte H.war es so. Und jedes Leben gebiert seine eigene Welt. Seine eigene Reise. Deswegen ist es heute an diesem Tag umso wichtiger ist, ihr dankbar zu sein. Ohne sie, wären wir nicht. Ohne sie wären auch unsere Lebenswege nicht möglich. So rundet sich zum Ende auch unsere Geschichte mit ihr. Kommt Anfang und Ende zusammen. Versöhnt sich ein Lebensweg. Gott, Du erforschest und kennest mich..... Viele Dinge hat Charlotte H. sicherlich für sich behalten und auch behalten wollen. Sie wusste, dass das Leben weiter geht und sich retten kann nach vorne. Ihre Freude war im Aufbruch begründet, in der Sehnsucht nach neuen Welten und Abenteuern. Sie wusste wohl: zuletzt war das Leben doch nicht klein zu kriegen, durch welche Wüsten man auch schreiten musste. Mit wie viel Koffern man auch reiste. Ihre Freude und ihr ausgreifendes Wesen atmeten eine Weisheit, die uns oft fehl am Platz erschien. Denn verstehen wird sie nur, wer ähnliches erlebt. Und dazu muss man sich entscheiden. So war sie in gewisser Weise nicht kompatibel mit der Sesshaftigkeit. Und dennoch war Ihr Leben war nicht vergebens, nicht leer. Dankbar wird sie wohl auch auf die Familie angeschaut haben, ungläubig vielleicht auch, dass sie Urenkel erleben durfte. Charlotte H.hat sich den Tod zuletzt gewünscht. Nun ist er zu ihr gekommen. Es ist ihr Aufbruch zur letzten Reise, der sie offenbar gefasst entgegen sah. Ein Mensch in unserer Mitte fehlt nun. Ein Herz hat aufgehört zu schlagen. Wir sind verwaist. Dennoch dürfen wir uns trösten lassen auf dem Weg der Trauer, denn Gottes Liebe umfängt auch uns und hört beim Tod nicht auf. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am „äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich leiten und deine Rechte mich halten. Amen.