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PdN PHYSIK in der Schule / KONTEXTORIENTIERTE AUFGABE HEFT 5 / 63. JAHRGANG / 2014 Energie im Gravitationsfeld – Höhenänderungen der ISS Kontextorientierte Aufgabe (38) R. Müller Das Arbeiten mit Diagrammen ist eine Kompetenz, die von den Schülerinnen und Schülern immer wieder geübt werden soll. Die nebenstehende Aufgabe bettet dies in einen authentischen Kontext ein: Die „Höhenregelung“ der International Space Station (ISS) durch regelmäßige Triebwerkszündungen („Reboosts“). Trotz der beträchtlichen Höhe von ca. 400 km, in der die ISS die Erde umkreist, ist der Luftwiderstand der dort extrem dünnen Atmosphäre nicht vollständig vernachlässigbar. Ohne die Reboosts würde die ISS nach wenigen Jahren abstürzen. Das Lehrplanthema der Oberstufe, an das die Aufgabe anknüpft, ist die potentielle Energie im Gravitationsfeld, speziell die Diskussion, ob die Näherung einer räumlich konstanten Gravitationskraft FG = mg, die auf die einfache Formel ΔEpot = mgΔh führt, noch zulässig ist. Interessanterweise bewegt sich die ISS in einer Höhe, in der die Näherung noch größenordnungsmäßig richtige Zahlenwerte liefert, die Abweichung von der exakten newtonschen Formel aber schon deutlich merkbar wird. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich in dieser Aufgabe auch Lösung 1. Diese Teilaufgabe dient dazu, sich mit dem Diagramm vertraut zum machen. Aus dem Diagramm lässt sich ablesen: Zwischen Januar und Dezember 2013 gab es 14 Reboosts, also etwas mehr als einen im Monat. Die mittlere Höhenänderung lässt sich mit ca. 2 km pro Reboost abschätzen. 2. Als Beispiel wird der Zeitabschnitt zwischen Ende Oktober und Mitte Dezember 2013 betrachtet, wo sich die Höhe der ISS innerhalb von 1,6 Monaten von 418 km auf 414 km über der Erdoberfläche verringerte. Die Aufgabe soll den Umgang mit der potentiellen Energie im Gravitationsfeld üben: ⎛1 1⎞ ΔEpot = γ m M ⎜ − ⎟. ⎝ r1 r2 ⎠ Dabei ist g = 6,67·10–11 Nm2/kg2 die newtonsche Gravitationskonstante, m die Masse der ISS (450 t) und M die Masse der Erde: 5,97·1024 kg. Zu beachten ist, dass für r1 und r2 die jeweiligen Abstände vom Erdmittelpunkt eingesetzt werden müssen, dass also der Erdradius von 6370 km zu der aus dem Diagramm abgelesenen Höhe addiert werden muss. Nach Einsetzen der Werte ergibt sich: ΔEpot = 6,67 ⋅ 10 –11 Nm ⋅ 450 ⋅ 103 kg ⋅ 5,97 ⋅ 1024 kg kg 2 ⎛ ⎞ 1 1 ⋅⎜ − ⎟ ⎝ ( 6370 + 418 ) km (6370 + 414 ) km ⎠ = −15,6 ⋅ 109 J. Im betrachteten Zeitraum von 1,6 Monaten nahm die potentielle Energie der ISS im Gravitationsfeld der Erde um diesen Betrag ab. Für andere Intervalle, die die Schülerinnen und Schüler herausgreifen, ergeben sich andere Ergebnisse. 40 mit der Bewertung der Gültigkeit dieser Nä■ herung befassen. Literatur [1] R. Müller, Klassische Mechanik – vom Weitsprung zum Marsflug, Berlin: de Gruyter (2009), S. 258-261. Anschrift des Verfassers Prof. Dr. Rainer Müller, Institut für Fachdidaktik der Naturwissenschaften, Abt. Physik und Physikdidaktik, Technische Universität Braunschweig, Pockelsstraße 11, 38106 Braunschweig, E-Mail: [email protected] 3. Mit der Formel ΔEpot = mgΔh wird die Rechnung wesentlich einfacher: ΔEpot = 450·103 kg·9,81 m/s2·(–4 km) = –17,7·109 J. Die Größenordnung der beiden Ergebnisse stimmt überein, aber man erkennt, dass die der Formel ΔEpot = mgΔh zugrunde liegende Annahme (räumlich konstante Gravitationskraft FG = mg) bereits in der relativ geringen Höhe von 400 km nicht mehr in sehr guter Näherung erfüllt ist. 4. In dieser Aufgabe soll die Änderungsrate der potentiellen Energie der ISS berechnet werden. Dazu muss die in Aufgabe 2 berechnete Energieänderung durch die Dauer des betrachteten Zeitintervalls dividiert werden: P = 15,6 ·109 J/(1,6 Monate) = 3750 W. Diese Energieänderungsrate liegt in der Größenordnung der elektrischen Leistung handelsüblicher Haushaltsgeräte (z.B. Backofen). Wie die unterschiedliche Steigung der Teilabschnitte im Diagramm zeigt, ist die Höhenänderungsrate nicht immer die gleiche. Dies wird auf die wechselnde Aktivität der Sonne zurückgeführt. Für andere Teilabschnitte, die die Schülerinnen und Schüler untersuchen, können sich also leicht abweichende Werte ergeben. Bemerkung: Es liegt nahe, die in Teilaufgabe 4 berechnete Änderungsrate der potentiellen Energie als die durch Luftreibung verursachte Bremsleistung zu interpretieren. Das ist jedoch nicht ganz richtig. Zwar nimmt die potentielle Energie ab, wenn die ISS an Höhe verliert, aber dafür nimmt die kinetische Energie zu, und zwar genau um die Hälfte des Betrags von ΔEpot. Dies lässt sich für das Kepler-Problem allgemein zeigen, viel einfacher aber für den speziellen Fall der Kreisbahn [1]. Dort gilt: Epot = − γ mM r , Ekin = + 1 γ mM 1 γ mM , so dass: Eges = − . 2 r 2 r Die in Aufgabe 4 berechnete Änderungsrate der potentiellen Energie entspricht also einer Änderungsrate der Gesamtenergie – und damit einer Bremsleistung –, die nur halb so groß ist. KONTEXTORIENTIERTE AUFGABE / PdN PHYSIK in der Schule HEFT 5 / 63. JAHRGANG / 2014 Energie im Gravitationsfeld – Höhenänderungen der ISS Arbeitsblatt Kontextorientierte Aufgaben (38) Die International Space Station (ISS) umrundet die Erde auf einer nahezu idealen Kreisbahn in etwa 400 km Höhe. Für einen Umlauf benötigt sie 92 Minuten. Die Atmosphäre der Erde ist in dieser Höhe kaum noch zu bemerken. Die Luftdichte ist um einen Faktor 1012 geringer als an der Erdoberfläche. Trotzdem wird die ISS durch „Luftreibung“ in diesem extrem dünnen Gas abgebremst. Dadurch verliert sie an Höhe – ohne Gegenmaßnahmen würde sie nach einigen Jahren in der Atmosphäre verglühen. Die Grafik unten zeigt die Höhe der ISS über der Erdoberfläche im Verlauf des Jahres 2013 (gemittelt jeweils über einen Umlauf). Deutlich zu erkennen sind die sogenannten „Reboosts“, mit denen die Raumstation auf eine höhere Umlaufbahn angehoben wird, um den allmählichen Absturz zu verhindern. Zwischen zwei Reboosts nimmt die Höhe allmählich ab. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:STS-133_International_Space_Station_after_undocking_5.jpg Aufgaben 1. Werten Sie das Diagramm aus: Schätzen Sie ab, wie viele Reboosts pro Monat im Mittel nötig sind, und um welche Höhe die ISS üblicherweise angehoben wird. mittlere Höhe in km Internationale Raumstation (ISS) 419 418 417 416 415 414 413 412 411 Mai Jun Jul Aug Sep 2013 Okt Nov Dez Jan Feb Mrz 2014 Apr Mai Quelle: www.heavens-above.com/ issheight.aspx 2. Zwischen zwei Reboosts verliert die ISS kontinuierlich an Höhe. Suchen Sie sich einen „günstig gelegenen“ Abschnitt der Kurve und ermitteln Sie die Änderung der potentiellen Energie im Gravitationsfeld der Erde, die die ISS in dieser Zeitspanne erfährt. Sie benötigen dazu folgende Zahlenangaben: Erdradius: 6370 km, Masse der ISS: 450 t, Masse der Erde: 5,97 · 1024 kg. 3. Für die Änderung der potentiellen Energie kennen Sie auch die Formel Epot = m g h. Berechnen Sie Epot für die ISS auch nach dieser Formel. Diskutieren Sie den Grund, weshalb der Zahlenwert von dem Ergebnis der vorigen Teilaufgabe abweicht. Bewerten Sie die unterschiedlichen Annahmen, die den beiden Formeln zugrundeliegen. 4. Ermitteln Sie für das von Ihnen betrachtete Zeitintervall, um welchen Betrag sich die potentielle Energie der ISS pro Sekunde ändert. Vergleichen Sie die Größenordnung des errechneten Werts mit einer Leistungsangabe (Energieänderung pro Zeit), die Ihnen aus dem Alltag vertraut ist. 41