1 8 _ 1 1 - Landesarbeitsgericht Niedersachsen

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1 8 _ 1 1 - Landesarbeitsgericht Niedersachsen
LANDESARBEITSGERICHT
NIEDERSACHSEN
Verkündet am:
31.03.2011
Gerichtsangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
1 TaBV 18/11
7 BV 8/10 ArbG Oldenburg
In dem Beschlussverfahren
mit den Beteiligten
Antragsteller, Beschwerdegegner und Beteiligter zu 1),
und
Antragsgegnerin, Beschwerdeführerin, Beteiligte zu 2),
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgrund der Anhörung am
31. März 2011 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Prof. Dr. Lipke
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beschlossen:
Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 6. Januar 2011 - 7 BV 8/10 - wird
zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob auf Antrag des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) eine
Einigungsstelle zu dem Regelungsgegenstand "Umgang mit Differenzen und Routineverstößen an der Kasse" für die Filiale A-Stadt der ein Einzelhandelsunternehmen für Bekleidung betreibenden Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) einzurichten ist. In der Filiale Bstraße in A-Stadt werden Verkäuferinnen und Verkäufer mit Kassiertätigkeiten beschäftigt.
Dabei lösen sich die Arbeitnehmer mit der Kassiertätigkeit mehrfach innerhalb eines Tages ab. Der Bestand der Kasse wird am jeweiligen Beginn des Arbeitstages eingezählt
und von der letzten Person, die an der Kasse arbeitet am Ende des Tages wieder ausgezählt. Zwischenerhebungen zum Kassenbestand bei einem Wechsel von einem zum anderen Arbeitnehmer finden in der Regel nicht statt.
Bis zum 11. Oktober 2010 hatte die Arbeitgeberin unternehmensweit alle an der Kasse
beschäftigten Mitarbeiter angewiesen, eine sogenannte Kassendifferenzerklärung abzugeben, in der die Mitarbeiter mögliche Ursachen eines am Ende des Arbeitstages auftretenden Kassenmankos darstellen sollten. Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht Oldenburg die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung über "Kassendifferenzerklärungen". Das Arbeitsgericht Oldenburg folgte dem Antrag des Betriebsrats mit Beschluss vom 19. Mai 2010
- 2 BV 1/10. Zu einer Entscheidung über die von der Arbeitgeberin eingelegten Beschwerde hierzu kam es nicht, da die Arbeitgeberin vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen (1 TaBV 43/10) erklärte, zukünftig keine Kassendifferenzerklärungen von Verkaufs- und Kassenmitarbeitern mehr zu verlangen. Dazu heißt es im abschließenden
Schriftsatz der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) vom 25. August 2010 (1 TaBV 43/10):
"… Die Antragsgegnerin hat beschlossen, dass Verkaufs- und Kassenmitarbeiter
mit sofortiger Wirkung keine Kassendifferenzerklärungen mehr abzugeben und
somit auch nicht mehr zu unterschreiben haben. …"
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Die Beteiligten erklärten daraufhin das Verfahren übereinstimmend für erledigt.
Mit einer Arbeitsanweisung ab dem 11. Oktober 2010 beauftragte die Arbeitgeberin und
Beteiligte 2) die sogenannten Store-Controller unter der Überschrift "Routine für den Umgang mit Differenzen und Routineverstößen an der Kasse" im Falle eines Kassenmankos
ab 5,00 € für jeden Mitarbeiter, der an diesem Tag an der betreffenden Kasse tätig war,
das Formblatt "Kassendifferenzen (Bargeld)" auszufüllen. Dort sind neben dem Namen
des Mitarbeiters, des Datums, der Kassennummer und des Differenzbetrags auch die
Anzahl der übrigen, an diesem Tag an der betreffenden Kasse beschäftigten Mitarbeiter
anzugeben. Darüber hinaus ist die Antwort des Mitarbeiters auf die Fragen "Lässt sich
diese Kassendifferenz in Zukunft vermeiden? Wenn ja, wodurch? Korrektur durchgeführt?" einzutragen. In der Arbeitsanweisung heißt es hierzu weiterhin:
…
"Sollte es so sein, dass Kassendifferenzen immer bei mehreren Mitarbeitern auftreten, die gemeinsam an der Kasse tätig waren, wird sich dies durch einen Vergleich der Formulare zeigen."
…
"Die Formulare sind alphabetisch nach dem Vornamen sortiert in dem Ordner
"Kassendifferenzerklärungen" in einem verschlossenen Schrank aufzubewahren."
…
"Die Formulare dürfen im Rahmen von Mitarbeitergesprächen herangezogen werden."
…
"Sollte der Mitarbeiter den Store wechseln, werden die ausgefüllten Vordrucke an
den neuen Store gesendet."
…"
Für den Bereich "Routineverstöße beim Kassiervorgang" heißt es u. a. dort:
…
"Es wird für jeden Mitarbeiter, der an der Kasse einen Routineverstoß begangen hat, ein
eigenes Formular geführt, auf dem der Vor- und Zuname des Mitarbeiters notiert ist."
…
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"Die Formulare dürfen im Rahmen von Mitarbeitergesprächen herangezogen werden"…
Bei Kassendifferenzen ab 25,00 € ist der Vordruck zeitnah nach Feststellung der Differenz
und möglichst auch deren Ursache vollständig ausgefüllt an die Sicherheitsabteilung zu
faxen. Zum genauen Inhalt der Arbeitsanweisung wird auf Bl. 13/14 d. A. und hinsichtlich
der Formulare auf Bl. 15 - 17 d. A. Bezug genommen.
Wegen des erneut aufflammenden Streits über ein bestehendes Mitbestimmungsrecht in
dieser Angelegenheit hat der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) die Einsetzung einer Einigungsstelle zum oben genannten Regelungsgegenstand beantragt, nachdem aus seiner
Sicht die Verhandlungen gescheitert waren.
Er vertritt die Rechtsauffassung, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1
Nr. 1 BetrVG und nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustehe. Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) erkennt in der Erhebung der Kassendifferenzerklärungen durch die StoreController eine mitbestimmungsfreie Überprüfung des Arbeitsverhaltens der Arbeitnehmer. Damit sei nicht die Ordnung des Betriebes betroffen; § 94 BetrVG erfasse darüber
hinaus keine Daten über Verhalten und Leistung des Mitarbeiters.
Mit Beschluss vom 6. Januar 2011 - 7 BV 8/10 - hat das Arbeitsgericht Oldenburg die beantragte Einigungsstelle unter dem Vorsitz von Herrn C., Präsident des Landesarbeitsgerichts D-Stadt a. D. mit je zwei Beisitzern pro Seite bestellt und den weitergehenden Antrag auf je drei Beisitzer zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das
Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die begehrte Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig sei, da Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats weder aus § 87 Abs.
1 Nr. 1 BetrVG noch aus § 94 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von vornherein ausgeschlossen werden könnten. Eine betriebsinterne Regelung sei trotz unternehmensweiter Einführung der
Formulare "Kassendifferenzerklärungen" möglich. Zwar sei die Überwachung der Aufgaben der Arbeitnehmer grundsätzlich mitbestimmungsfrei und würde Rechte des Betriebsrats im Falle einer an alle Kassierer gerichteten Arbeitsanweisung, jeweils zu Beginn ihrer
Tätigkeit die Kasse ein- und zum Schluss der Kassiertätigkeit die Kasse wieder auszuzählen, nicht berühren. Hier sei es aber so, dass ungeachtet der Zahl der an der Kasse tätigen Mitarbeiter die Kasse lediglich zu Arbeitsbeginn und zu Arbeitsende ausgezählt werde. Alle Mitarbeiter an der Kasse würden zu einem auftretenden Manko befragt und sollten sich dazu äußern, ob und ggf. wie sich Kassendifferenzen in Zukunft vermeiden lassen. Dies setze voraus, dass sie sich zu den Ursachen einer aufgetretenen Kassendiffe-
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renz erklären müssten. Für jeden Mitarbeiter würden Formblätter geführt, auf denen diese
Erklärungen und die aufgetretenen Kassendifferenzen festgehalten würden. Diese Handhabung schließe nicht von vornherein aus, dass nicht nur das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer sondern auch die Ordnung des Betriebes betroffen sei. Die Befragung übe nicht
nur Druck auf den einzelnen Mitarbeiter aus, in Zukunft selbst fehlerfrei zu arbeiten, sondern auch auf seine Kollegen derart einzuwirken, dass diese in Zukunft möglichst fehlerfrei kassieren. Nur so könne er verhindern, dass für ihn Listen zu Kassenmankos geführt
würden. Damit sei auch das Miteinander der Arbeitskollegen und damit die Ordnung des
Betriebes betroffen. Bei der erwarteten Äußerung zu den Ursachen der Kassendifferenz
wäre der Mitarbeiter ggf. gehalten sich zum fehlerhaften Verhalten von Kollegen zu erklären. Damit würde das betriebliche Zusammenleben unmittelbar berührt. Käme es zu Kassendifferenzen immer bei mehreren Mitarbeitern, die gemeinsam an der Kasse tätig waren, gerate damit der einzelne Mitarbeiter gewissermaßen unter Kollektivverdacht. Hier
könne eine Parallele zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Krankengesprächen
gezogen werden. Es sei ferner nicht auszuschließen, dass sich das Mitbestimmungsrecht
aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch auf den Umfang mit Routineverstößen an der Kasse
beziehe. Schließlich könne ebenso ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 94
Abs. 1 Satz 1 BetrVG im Umgang mit Routineverstößen beim Kassiervorgang nicht von
vornherein ausgeschlossen werden. Unter Personalfragebögen im Sinne von § 94 Abs. 1
BetrVG fielen formularmäßige Zusammenfassungen von Fragen über die persönlichen
Verhältnisse, insbesondere die Eignung, Kenntnisse und Fähigkeiten einer Person. Das
Beteiligungsrecht des Betriebsrats hierzu soll den aus der Beantwortung des Personalfragebogens sich ergebenden Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsphäre mindern. Wer den Bogen dabei ausfülle, sei unerheblich. Die Befragung zum
Thema "Kassendifferenzen" sei arbeitnehmerbezogen und objektiv geeignet, Rückschlüsse auf Leistung oder Eignung der befragten Kassenkraft zuzulassen. Der Arbeitnehmer
müsse sich zu den bei seiner Arbeit aufgetretenen Kassendifferenzen erklären und solle
sich damit zur Art seiner Arbeitsleistung ggf. zu dabei aufgetretenen Fehlern äußern. Dies
sei vergleichbar mit dem Verwenden von Fragebögen zur Diebstahlsaufklärung. Soweit
die Arbeitgeberin daraufhin hingewiesen habe, dass es in Parallelverfahren rechtskräftige
Entscheidungen gegeben habe, wonach dem Betriebsrat in der betreffenden Angelegenheit kein Mitbestimmungsrecht zugebilligt worden sei, so wären diese Entscheidungen
zum einen nicht zwischen den Beteiligten des Verfahrens ergangen noch sei dort Verfahrensgegenstand die Einsetzung einer Einigungsstelle gewesen. Damit unterliege die Entscheidung z. B. im Zusammenhang mit Erlass einer einstweiligen Verfügung anderen Prüfungsmaßstäben als denen des hiesigen Verfahrens nach § 98 ArbGG.
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Zu den Entscheidungsgründen im Einzelnen und zum Vorbringen der Beteiligten im ersten Rechtszug wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Gegen den ihr am 12. Januar 2011 und erneut am 8. Februar 2011 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) Beschwerde nebst
Begründung eingehend beim Landesarbeitsgericht am 26. Januar 2011 (Bl. 156 d. A.)
eingelegt.
Sie führt aus, dass das Arbeitsgericht seine Entscheidung nicht auf den tatsächlichen
Sachverhalt sondern auf Spekulationen hierzu gestützt habe. Die Befragung durch die
Store-Controller, diene alleine dem Kassierverhalten des einzelnen Arbeitnehmers und
nicht einer Einwirkung auf ihn oder gar einer wechselseitigen Überwachung. Es gehe daher allein um die mitbestimmungsfreie Kontrolle des Arbeitsverhaltens des einzelnen Arbeitnehmers, die außerhalb des Bereichs des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungsfrei sei. Die Befragung zu Ursachen krankheitsbedingter Ausfallzeiten sei auch mit der
Befragung zur originären Arbeitsleistung nicht vergleichbar. Angaben zur persönlichen
Leistung oder Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers unterfielen ebenso wenig der Mitbestimmung nach § 94 BetrVG. Es sei ferner nicht erkennbar, dass die Befragung nach den
konkreten Verhältnissen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern oder Gruppen von ihnen
einen "Kollektivverdacht" erzeugen könne. Die Arbeitgeberin bewege sich mit der Befragung durch die Store-Controller zu den Kassendifferenzen im Bereich der mitbestimmungsfreien Konkretisierungen der Arbeitspflicht. Im Übrigen wiederholt und vertieft die
Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) ihr erstinstanzliches Vorbringen nach Maßgabe der
Schriftsätze vom 26. Januar, 8. März und 29. März 2011.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 06.01.2011 - 7 BV 8/10 abzuändern und den Antrag des Betriebsrats zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt zuletzt,
die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.
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Er tritt den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts bei und weist darauf hin, dass sich
der Sachverhalt im Verhältnis zum Vorverfahren 1 TaBV 43/10 (Arbeitsgericht Oldenburg
2 BV 1/10) nur unwesentlich verändert habe. Im Unterschied hierzu würden die Angaben
nunmehr vom Store-Controller erfragt und in die Formulare eingetragen. Es sei keine reine Spekulation, dass die Befragung auch der Disziplinierung der Beschäftigten untereinander dienen könne. Erklärungsversuche zu den Kassendifferenzen könnten auch andere
Mitarbeiter betreffen. Eine Kassendifferenz im negativen wie im positiven zeige immer
Fehler in der Arbeitsleistung auf. Ebenso wie bei der Befragung von Ursachen zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten gehe es hier um die Ermittlung von Ursachen in den Kassenbeständen. Nach eigenem Vorbringen der Arbeitgeberin sollten Fehler aufgedeckt werden, um daraus einen Schulungsbedarf abzuleiten. Schließlich habe sich die Arbeitgeberin auch nicht an ihrer im Vorverfahren 1 TaBV 43/10 abgegeben Erklärung gehalten,
Kassendifferenzerklärungen von Beschäftigten nicht mehr einzufordern. Soweit die Arbeitgeberin die Entscheidung des BAG vom 10. März 2009 - 1 ABR 780/07 - als Parallele
zur mitbestimmungsfreien Konkretisierung der Arbeitspflicht anführe, sei diese Entscheidung nicht vergleichbar, da sie vom Sachverhalt her keine wechselseitige Disziplinierung
der Arbeitnehmer untereinander bewirke. Soweit die Arbeitgeberin weiterhin ausführe, es
müsse nachgewiesen werden, dass Arbeitnehmer nicht nur zu ihrer eigenen sondern
auch zur Arbeitsleistung anderer befragt würden, hätte dies zur Folge, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats erst dann entstehe, wenn Verstöße dagegen vorlägen.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Anhörungsniederschrift vom
30. März 2011 und den Akteninhalt Bezug genommen. Das Beschwerdegericht hat die
Verfahrensakten zum Beschlussverfahren 1 TaBV 43/10 (Arbeitsgericht Oldenburg
2 BV 1/10) beigezogen und zum Gegenstand der Anhörung gemacht.
II.
1.
Die statthafte Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) ist zulässig und der
Form und Frist nach ordnungsgemäß eingelegt worden. Die 2-Wochen-Frist des
§ 98 Abs. 2 ArbGG wurde mit der Beschwerdeschrift gewahrt, obwohl die Rechtsmittelbelehrung des zunächst zugestellten Beschlusses am 12. Januar 2011 fehlerhaft war. Die
spätere Zustellung mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung hat die 2-Wochen-Frist des
§ 98 Abs. 2 ArbGG erneut in Gang gesetzt. Da aber bereits eine Beschwerdeeinlegung
mit Beschwerdebegründung vorlag sind Frist und Form eingehalten (ErfK-Koch 11. Aufl.
§ 60 ArbGG Rn. 12 m.w.N.).
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2.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden und zu
Recht eine Einigungsstelle zu dem Regelungsgegenstand "Umgang mit Differenzen und
Routineverstößen an der Kasse" eingesetzt. Gemessen am eingeschränkten Prüfungsmaßstab der "offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle" kann die wohl begründete Entscheidung des Arbeitsgerichts nur bestätigt werden. Die Beschwerde der
Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) war deshalb zurückzuweisen.
a)
Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu einem möglichen Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sind zu unterstreichen. Das Beschwerdegericht
macht sich diese zu eigen und stellt dies hiermit ausdrücklich fest.
Der Beschwerde ist zwar zuzugeben, dass mit der Beauftragung der Store-Controller, die
Kassendifferenzen zu klären, primär das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten der im
Kassierbereich tätigen Arbeitnehmer betroffen ist. Indessen verbleibt es auch mit der Befragung bei einem "kollektiven Gruppendruck" für die innerhalb eines Arbeitstages an einer Kasse beschäftigten Arbeitnehmer. Es ist keine Spekulation, wenn das Arbeitsgericht
mit Blick auf die Arbeitsanweisung und die auszufüllenden Formulare bei Kassendifferenzen (Bargeld) und zu Routineverstößen beim Kassiervorgang annimmt, dass über die
Erklärungsversuche nicht nur der einzelne Arbeitnehmer sondern auch alle mit ihm an der
Kasse arbeitenden Beschäftigten betroffen sein können. Dafür spricht auch der Umstand,
dass die vom Store-Controller ausgefüllten Fragebögen, unabhängig von der Ursachenermittlung, ein Jahr lang dem einzelnen Mitarbeiter aktenmäßig zugeordnet bleiben. Die
ausgefüllten Formulare dürfen sogar im Rahmen von Mitarbeitergesprächen herangezogen werden.
Diese Handhabung wirkt über die Überprüfung des Arbeitsverhaltens hinaus in den Bereich des Ordnungsverhaltens hinein und kann wegen der Konsequenzen für das Gruppenverhalten zu Störungen des Betriebsfriedens führen. Vor diesem Hintergrund kann ein
Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden.
Der von der Arbeitgeberin hierzu erteilte Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. März 2009 (1 ABR 87/07 = EzA § 87 BetrVG 2001, Betriebliche
Ordnung Nr. 4 = AP Nr. 16 zu § 87 BetrVG 1972) geht fehl. Die dort behandelte Schwei-
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gepflichterklärung betrifft nur den einzelnen Arbeitnehmer und kann das Verhältnis der
Arbeitnehmer untereinander im Sinne einer Störung des Betriebsfriedens nicht berühren.
Allerdings hat sich die Arbeitgeberin mit ihrem nun durch die Store-Controller nach Befragung der Arbeitnehmer auszufüllenden Formularen nicht in Widerspruch zu ihrer die Erledigung herbeiführenden Erklärung im Verfahren 1 TaBV 43/10 (dort Bl. 134 d. A.) gesetzt.
Ausfüllung und Unterschrift der Kassendifferenzerklärungen werden von den Arbeitnehmern nicht mehr gefordert. Der Einsatz von Vorgesetzten zur Überwachung des ordnungsgemäßen Arbeitsverhaltens verfolgt zwar dieselbe Zielrichtung, ist aber erlaubt.
Bedenklich ist allein, dass die Arbeitnehmer als "Kollektiv" behandelt werden und "einer
für alle" bzw. "alle für einen" in die Verantwortung gezogen werden.
b)
Es steht dahin, ob Mitbestimmungsrechte aus § 94 Abs. 1 Satz 1 BetrVG über die Befragung der Mitarbeiter durch den Store-Controller betroffen sind. Eine Untersuchung des
Arbeitsverhaltens einzelner Arbeitnehmer ist sicherlich Bestandteil des Direktionsrechts
nach § 106 GewO. Zwar ist die Befragung nach einer Checkliste durch Dritte geeignet wie
ein Personalfragebogen zu wirken (vgl. BAG 21. September 1993 - 1 ABR 28/93 = EzA
§ 118 BetrVG 1972 Nr. 62 = AP Nr. 4 zu § 94 BetrVG 1972). Hier geht es aber nicht um
die Ermittlung persönlicher Verhältnisse, die z. B. im Zusammenhang mit einer Einstellung
Aufschluss über Eignung, Kenntnisse und Fähigkeiten geben, da eine "Gesamtkassendifferenz" hinterfragt wird. Auch der Vergleich mit der Führung formalisierter Krankengespräche mit einer Mehrzahl von Arbeitnehmern zur Aufklärung betrieblicher Ursachen
eines überdurchschnittlichen Krankenstandes (vgl. BAG vom 9. November 1994 1 ABR 22/94 = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 21 = AP Nr. 24 zu
§ 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes) überzeugt nicht. Das BAG hat hierbei für eine
Mitbestimmungspflicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht nur den kollektiven Bezug in
der Formularisierung des Verfahrens gesehen, sondern insbesondere darauf abgestellt,
dass die Frage nach Krankheiten und ihren Ursachen die Privatsphäre der Arbeitnehmer
berühre. Dieser Umstand ist hier nicht gegeben. Es kann mithin offen bleiben, ob ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in Betracht zu ziehen ist.
c)
Die Entscheidungen in anderen Gerichtsverfahren zu dem hierzu behandelten Regelungsgegenstand haben keinen Einfluss auf die hier zu treffende Entscheidung. Zum einen ist der Prüfungsmaßstab im Einigungsstellenbesetzungsverfahren ein eigener (offen-
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sichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle), der sich von dem in normalen Beschlussverfahren - auch zur Zuständigkeit der Einigungsstelle oder zur Feststellung des Mitbestimmungsrechts eines Betriebsrats - abhebt. Darauf hat das Arbeitsgericht zu Recht hingewiesen. Die geringeren Anforderungen zur gerichtlichen Einsetzung einer Einigungsstelle sind dem Umstand geschuldet, dass es darum geht, schnell in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten die "stockende" vertrauensvolle Zusammenarbeit im Sinne von § 2
Abs. 1 BetrVG schnell wieder in Gang zu bringen (st. Rspr. vgl. LAG Nds. vom 7. Dezember 1998 - 1 TaBV 74/98 = LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 35). Eine rechtskräftige Entscheidung zum Sachverhalt in anderen Verfahrensarten wie der einstweiligen Verfügung im
Verfahren 13 TaBVGa 17/11 liegt ohnehin nicht vor, da der Betriebsrat und Beteiligte zu
1) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Schriftsatz vom 28. März 2011
zurückgenommen hat. Eine Einfluss nehmende rechtskräftige Entscheidung, die einen
Hinweis auf die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle geben könnte, ist daher weder in erster noch in zweiter Instanz des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ergangen. Eine einschlägige höchstrichterliche Entscheidung, die gegen Mitbestimmungsrechte
des
Betriebsrats
sprechen
könnte,
liegt
jedenfalls
zu
§
87
Abs.
1
Nr. 1 BetrVG nicht vor.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da das Beschlussverfahren gerichtskostenfrei ist. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Prof. Dr. Lipke