Currywurst mit Zukunft
Transcrição
Currywurst mit Zukunft
Johannes J. Arens ● „Currywurst mit Zukunft“ ● StadtRevue Köln 10/2009 Currywurst mit Zukunft Die so genannte Event-Gastronomie ist auch in Köln seit Jahren auf dem Vormarsch. Aber kann Essen plus Programm dauerhaft überzeugen, oder bleibt es für den Gast per definitionem bei einer einmaligen Angelegenheit? Ein Selbstversuch in drei Gängen von Johannes J. Arens Die Rechnung ist einfach: in ein Event-Restaurant geht man nur einmal. Wer einmal im Dunkeln gegessen hat, weiß, was ihn erwartet, kaum jemand wird sich eine Dinner-Show gleich zweimal anschauen, und mal ganz ehrlich: eine Rittertafel im Gewölbekeller ist doch wie der meist mit ihr einher gehende Betriebsausflug – am nächsten Tag kann oder will man sich nicht wirklich mehr daran erinnern. Die Qualität des Essens steht also sowohl für Gastgeber als auch für Gäste nicht unbedingt im Vordergrund: Es darf nicht so gut sein, dass es der Darbietung die Show stiehlt, und es muss gerade so gut sein, dass man den ganzen Spaß noch guten Gewissens weiterempfehlen kann. Doch das Business boomt, kaum ein neues Lokal, das nicht ein über die Speisekarte hinausgehendes Programm anbietet. Irgendeinen Mehrwert, jenseits von Gruppenzwang und Statuspräsentation, muss es also geben. Das Voodoo Hähnchen mit Rumsauce, Basmatireis und Orangen-Zwiebelsalat kommt mit Zeremonie. Aida, Chefin des „Past & Future“ nimmt am Tisch Platz, zieht eine strenge Lesebrille aus den Haaren und hält prüfend eine Gewürznelke in die Kerze. Nicht ihre angesengte Fingerkuppe, sondern das Knistern und Britzeln der Flamme verrät ihr, dass es zwischen ihr und der Freundin, an die sie gerade gedacht hat, noch ungelöste Konflikte gibt. Eifersucht, deutet sie an, da habe man noch etwas aus dem Weg zu räumen. „Jede Nelke verbrennt anders“, erklärt Aida, „so, wie man zu jeder Person ein anderes Verhältnis habe – mal still und leise, mal mit einer kleinen Explosion.“ Die verbrannten Gewürze riechen aber nicht nur gut, sie sollen gleichzeitig auch den Kopf freihalten von den noch vorhandenen negativen Energien. „So“, sagt sie, „jetzt lasse ich Euch mal ein bisschen mit der karibischen Magie experimentieren.“ Das Past & Future bietet eine Menge Experimente, auch wenn die resolute Besitzerin eine deutliche Grenze zwischen Entertainment und seriöser Zukunftsdeutung zieht. „Die Voodoo-Nelken-Zeremonie fällt ganz klar in den Event-Bereich, genau so wie das öffentliche Kartenlegen bei einem Junggesellinnenabschied. Da sage ich dann auch schon mal, dass die Braut in den DJ verknallt ist, das hat dann aber nichts mit dem 1 Johannes J. Arens ● „Currywurst mit Zukunft“ ● StadtRevue Köln 10/2009 zu tun, was wir regulär hier anbieten.“ Im regulären Betrieb stehen den Gästen die unterschiedlichsten esoterischen Disziplinen zur Verfügung, vom Pendeln bis zur ReikiHandauflegung, vom Kristalltarot bis zum Kaffeesatzlesen ist alles dabei. Ebenso eklektisch wie das Beratungsangebot ist die Speisekarte, ein beherztes Crossover mit südostasiatischem Schwerpunkt. Da laufen die Yakitori-Spieße unter „Geishas Lust“, die Kokossuppe heißt „Perle von Thailand“ und das Curryhühnchen wird „zu Ehren Ganeshas“ aufgetischt. Das ganze entbehrt zwar nicht einer gewissen Komik, ist aber alles andere als die erwartete, überteuerte Astro-Klitsche. Hier kocht die Chefin selbst und es schmeckt. Auch wenn die meisten Gäste vermutlich nicht kommt, um sich nach dem Essen die Karten legen zu lassen, sondern um vor dem Blick in die Zukunft noch eine Kleinigkeit zu essen. Wer darin einen Mehrwert sieht, ist im Past & Future bestens aufgehoben, für Esoterik-kritische TarotIgnoranten bleibt es aber vermutlich bei einer Seance. Um Mehrwert geht es auch im „Big Food“, Kölns erstem XXL-Restaurant. 1,1 Kilogramm Mehrwert, um ganz genau zu sein, denn etwa so viel wiegt die Big Food Currywurst, einer der Klassiker der Oversized-Speisekarte für satte 21 Euro. Bratwurst, Burger und Jägerschnitzel in Größenordnungen, die selbst Oma Kleinmann vor Neid erblassen lassen würden. Ein wenig blass wirken auch die beiden Mitzwanziger, die am Arm ihrer Freundinnen und mit einem Doggybag in der Hand zum Ausgang wanken. „Bei uns können die Gäste bei der Bestellung eine Wette abschließen“, erklärt die Kellnerin. „Wenn sie es schaffen, die Big Food-Portion in einer Stunde aufzuessen, bekommen sie fünfzig Prozent Nachlass, wenn nicht, spenden sie fünf Euro für die Nachwuchsabteilung des 1. FC Köln.“ Die meisten würden aber dann irgendwann aufgeben, sagt sie. „Wollen Sie’s mal versuchen?“ Auch wenn das verdächtig amerikanisch klingt, das Konzept ist originär rheinisch. Das Big Food-Mutterhaus steht in rechtsrheinischen Bensberg, seit Mai 2009 versucht man sein Glück nun auch in Köln. Den Gästen scheint das zu gefallen, am Nachbartisch arbeitet sich eine Clique in Baggy-Hosen und Baseball-Kappen zufrieden durch 800 Gramm Burger, Potato Wedges und Berge von Spareribs. „Voll krass, die Portionen“, fasst einer von ihnen das Erlebnis zusammen und bestellt noch einen Liter Cola. In Sachen Übergrößen geht es nämlich nicht nur um Wurst und Gäste, auch Getränke werden im XXL-Format angeboten. Ob drei Liter Bananenweizen mit knapp 1500 Kalorien häufig zur Bestellung gelangen, bleibt fraglich, die gleiche Menge Jägermeister für 111,11 Euro hingegen wird vermutlich bei dem einen oder anderen Junggesellenabschied über den Tresen gehen. Aber längst nicht alle Besucher seien Jungvolk, so die Kellnerin, gerade in der Mittagszeit kämen auch viele ältere Gäste. „Wo sonst bekommen Sie 250 Gramm Schnitzel plus Beilagen für 5,50 Euro?“ Oder eben eine 2 Johannes J. Arens ● „Currywurst mit Zukunft“ ● StadtRevue Köln 10/2009 pizzatellergroße Currywurstschnecke. Das Konzept dieser kuriosen Mischung aus American Diner und kölschem Brauhaus mag angesichts einer zunehmend adipösen Gesellschaft fragwürdig sein, aber sowohl Wurst als auch Schnitzel sind von guter Qualität, frisch zubereitet und mit einem überzeugenden Lächeln serviert. Trotzdem, ein gutes Kilogramm Brät auf dem Teller ist – Qualität hin oder her – keine appetitliche Angelegenheit mehr. Wer aber gerade auf Fleischberge setzt, der weiß im Big Food, wo er dran ist. Ganz anders geht den Gästen von Jan Bons in der Balduinstraße. Wer zu ihm kommt, isst sich erst einmal ins Ungewisse. Mit seinem kleinen, aber besonderen Restaurant setzt der Niederländer dabei auf ein erprobtes Rezept, 13 Jahre lang führte er sein Lokal im niederländischen Maastricht, bevor er ins Kölner Exil ging. Ein Jahr nach der Eröffnung habe er einige Stammgäste, sagt er bescheiden. „Wenn die Leute vier bis fünf Mal wiederkommen, dann darf man doch von Stammgästen sprechen, oder?“ Das Konzept ist so simpel wie überzeugend. Man nimmt Platz und sagt, was man nicht essen möchte. Jede weitere Entscheidung bekommt man für 25 Euro bei drei und für 32 Euro bei vier Gängen abgenommen. Wer gar nicht mehr nachdenken möchte, kriegt obendrauf für 18 Euro die passende Weinbegleitung. „Die meisten Leute wollen lediglich keine Innereien essen“, sagt Bons. „Die würde ich aber sowieso nicht machen, die mag ich ja selbst nicht.“ Wohlfühlen in familiärer Atmosphäre lautet die Prämisse und nach dem Aperitif des Hauses streckt man wohlig die Beine unter den Tisch und schaut erwartungsvoll in die offene Küche im hinteren Teil des Restaurants. Jeder Gang wird vom Gastgeber persönlich aufgetischt und erläutert und die Bilanz am Ende dieses Spätsommerabends lautet: Terrine von der Räucherforelle, Rinderfilet in Paprikasauce mit italienisch angehauchten Stampfkartoffeln und in Sekt gegarte Nektarinen mit Basilikum. Soviel steht fest, Bons Restaurant ist geschmacklich und atmosphärisch ein Knüller, aber wo bleibt die Show? Wo die Kostüme, Glitter und Glamour und Action zwischen den Gängen? Wo lauert der Event? Das Wort als solches ist abgeleitet von lateinisch „eventus“, was so viel wie Ereignis bedeutet. Die Kölner und Kölnerinnen sind inzwischen Ereignis-Profis, zwischen Rosenmontag und CSD, vom Marathon bis zum Feuerwerk, hat die Eventisierung unserer Lebenswelt nahezu alle Bereiche des Alltags erfasst, eben auch den Restaurantbesuch. Mal erweitert er bei der kulinarischen Sinnfindung den Horizont um ein paar spirituelle Zutaten, mal lässt er uns wie unsere Nachkriegsgroßeltern gesellschaftliche Krisen einfach wegfuttern. Aber manchmal wird der Besuch eines Speiselokals ganz unbemerkt zu einem großartigen Ereignis. 3 Johannes J. Arens ● „Currywurst mit Zukunft“ ● StadtRevue Köln 10/2009 Am Nachbartisch im Bons sitzen sechs mittelalte Damen um einen großen quadratischen Tisch vor ihren abgegrasten Tellern. Der Chef serviert den Kaffee. Es wird geratscht, getratscht und gelacht, was das Zeug hält, die Gesichter sind vom Essen, vom Wein und angeregten Diskussion gerötet. Von der Arbeit, von den Männern, den Kindern ist die Rede, ganz so, als säße man zuhause. Zum spektakulärsten Event wird ein Restaurantbesuch eben dann, wenn man gar nicht merkt, dass es einer ist. Past & Future Hamburger Str. 2a 50668 Köln www.past-future.net Big Food Luxemburger Str. 256 50937 Köln www.big-food-koeln.de Bons Restaurant Balduinstr. 10-14 50676 Köln www.bonsrestaurant.de 4