Materialien zu den Ausstellungstafeln Kunst und Strafrecht Prof. Dr

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Materialien zu den Ausstellungstafeln Kunst und Strafrecht Prof. Dr
Materialien
zu den Ausstellungstafeln
Kunst und Strafrecht
Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie
Kunst und Sachbeschädigung
§ 303 StGB Sachbeschädigung (Auszug)
(1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.
§ 304 StGB Gemeinschädliche Sachbeschädigung (Auszug)
(1) Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des
Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum
öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer in Absatz 1 bezeichneten Sache oder eines dort bezeichneten
Gegenstandes nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.
Abb.: AFP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-5 / Abb.: dpa, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/trotz-wiederholungsgefahr-duerer-attentaeter-aus-psychiatrie-entlassen-1.736911
Edvard Erikson: Die Kleine Meerjungfrau (1913 / beschädigt 1998). Kopenhagen, Langeliniekai
Albrecht Dürer: Beweinung Christi („Glimsche Beweinung“) (um 1500/01 / beschädigt 1998) (Ausschnitt). München, Alte Pinakothek
„Kopenhagener-Meerjungfrau“-Fall
Stand: Oktober 2013
Abb.: Karen P, http://www.flickr.com/photos/10414249@N08/2989666069/
Edvard Eriksen (* 1876; † 1959): Die Kleine Meerjungfrau (1913). Kopenhagen, Langeliniekai
„Die Kleine Meerjungfrau“ (dän. Den Lille Havfrue) ist eine weltbekannte Figur aus einem gleichnamigen Märchen des dänischen
Dichters Hans Christian Andersen (* 1805; † 1875) von 1837. Das Manuskript befand sich seit 1920 im Museum „H.C. Andersens
Hus“ in Odense; es wurde 1992 gestohlen und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Abb.: Museet HC Andersens Hus (Faksimile, 1951), http://hca.museum.odense.dk/manuskript/visning.asp?inventarnr=HCA/XVIII-58-A&sprog=dansk (leicht beschnitten)
Die erste Seite des Manuskripts
Das Märchen erschien im dritten Teil der 1835 begonnenen Sammlung „Eventyr, fortalte for Børn" (Märchen, für Kinder erzählt), unter anderem zusammen mit Andersens wohl berühmtesten Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ (dän. Keiserens nye Klæder). Bebildert wurde das Märchen von dem dänischen Zeichner, Illustrator und Radierer Lorenz Frølich (* 1820; † 1908).
Abb.: Lars Bjørnsten Odense, http://www.hcandersen-homepage.dk/?page_id=40994
Lorenz Frølich: Illustration zu „Den lille Havfrue“ (1837)
Es ist die Geschichte einer Meerjungfrau, die sich aus Liebe zu einem menschlichen Prinzen in einen Menschen verwandeln lässt
und letztlich ihr Leben für diese unerfüllt bleibende Liebe hingibt.
Der dänische Bildhauer Edvard Eriksen (* 1876 in Kopenhagen; † 1959 in Kopenhagen) schuf die „Kleine Meerjungfrau“, die zum
Wahrzeichen Kopenhagens wurde. Den Kopf gestaltete er nach dem Vorbild der Primaballerina Ellen Price (* 1878; † 1968), die
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1909 im Königlichen Theater von Kopenhagen als Hauptdarstellerin in dem Ballett „Den lille Havfrue“ (mit Musik des dänischen
Komponisten Fini Valdemar Henriques [* 1867; † 1940]) tanzte.
Abb.: Det Kongelige Teaters Arkiv, http://www.erindringer.dk/fokus/en/den-lille-havfrue/bryggeren
Ellen Price als „Den lille Havfrue“ am Königlichen Theater in Kopenhagen (1909)
Förderer des Balletts war der Kunstmäzen und Gründer der Kopenhagener Brauerei Ny Carlsberg, Carl Jacobsen. Er war von der
Tänzerin der Titelrolle so hingerissen, dass er im Januar 1910 den Bildhauer Edvard Eriksen beauftragte, sie als Statue zu verewigen. Doch die Ballerina war als Aktmodell nicht zu gewinnen. Die Frau des Künstlers Eline (* 1881; † 1963) sprang als ihr „Körperdouble“ ein.
Der erste Entwurf zeigte eine Meerjungfrau ohne Fischschwanz, stattdessen mit Beinen und Füßen auf einem Stein sitzend. So hatte Jacobsen sie sich aber nicht vorgestellt: Eine Meerjungfrau müsse schließlich einen Fischschwanz haben. Eriksen hielt dagegen,
dass die Meerjungfrau nach ihrer Verwandlung zum Menschen gezeigt werden sollte.
Abb.: http://www.mermaidsculpture.dk/gallery.php?lang=da
1. Entwurf 1910
Schließlich zeigte sich Eriksen kompromissbereit: Die Meerjungfrau erhielt zwar Beine, aber statt der Füße kleine Flossen. So erstarrte der Moment in Ewigkeit, in dem die Flosse der Meerjungfrau sich in zwei Beine teilt.
1911 konnte die fertige Tonfigur in Bronze gegossen werden. Doch als es darum ging, wo sie aufgestellt werden sollte, gab es Streit
zwischen Mäzen und Künstler. Jacobsen wollte sie idyllisch von Blumen umgeben an einem kleinen künstlichen Teich sehen, Eriksen dagegen am stürmischen Meer. Der Streit zog sich über zwei Jahre hin. Der Künstler setzte sich durch.
Am 23. August 1913 wurde eine 125 cm große und 175 kg schwere Kopie der Figur (das Original wird von den Nachfahren Eriksens
bis heute an einem geheimen Ort aufbewahrt), in Gegenwart von Jacobsen an ihrem noch immer aktuellen Platz an der Uferpromenade, dem Langeliniekaj, aufgestellt.
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Abb.: http://www.fdbusiness.com/2013/08/carlsberg-launches-mermaid-porter-to-celebrate-100-years-of-the-little-mermaid/
Carl Jacobsen (Mitte) bei der Aufstellung der „Kleinen Meerjungfrau“ am 23. August 1913
Damals schuf sie hier, kurz vor der Hafeneinfahrt, ohne großen touristischen Rummel, ein perfektes, stimmiges Panorama.
Abb.: http://www.copenhagenet.dk/CPH-Mermaird.htm
Langeliniekaj 1913
Etwas weiter nördlich befinden sich heute zwei weitere Versionen der „Kleinen Meerjungfrau“. Eine ist die „Genmanipulierte Meerjungfrau“ von Bjørn Nørgaard (* 1947), die er für die Expo 2000 in Hannover schuf. Seit September 2007 befindet sie sich im östlichen Becken des südlichen Freihafenteils am Dahlerup Torv der Langelinie Allé.
Abb.: http://www.geo-reisecommunity.de/bild/regular/82651/Genmanipulierte-Meerjungfrau.jpg
Bjørn Nørgaard: Den genmodificerede Havfrue (2000)
Eine dritte Version stammt von einem unbekannten chinesischen Bildhauer, der nach Entwürfen des Dänen Peter Bech arbeitete,
und steht seit 2007 vor dem Restaurant Danish Langelinie am Langeliniekaj, zwischen Eriksens und Nørgaards Kunstwerken. Sie ist
zwar nicht so ausgefeilt wie die beiden anderen, dafür aber vier Meter hoch und – da aus Granit – 14 Tonnen schwer, was ihr den
Beinamen „Große Meerjungfrau“ (dän. Den Store Havfrue) einbrachte. Die Skulptur wird als cleverer Marketing-Trick des Restaurants angesehen und mag vor allem den Touristen gefallen, die enttäuscht sind, wie klein die „Kleine Meerjungfrau“ tatsächlich ist.
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Abb.: Benny Elbæk Dahl, http://7seasvessels.com/?p=65311 / Motiv: unbekannter Künstler, nach Entwürfen von Peter Bech
Alle drei Statuen befinden sich in einem Umkreis von rund 200 Meter um den Langelinieka.
Einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass nach dem 2. Weltkrieg die „Kleine Meerjungfrau“ zuerst als Touristenattraktion der
Amerikaner, dann der Europäer „entdeckt“ wurde, soll der für mehrere „Oscars“ nominierte Hollywood-Musikfilm „Hans Christian Andersen“ (dt.: „... und die Tänzerin“) von 1952 gespielt haben. Der amerikanischen Schauspieler Danny Kaye in der Titelrolle sang
dort von der wunderschönen dänischen Hauptstadt („Wonderful Copenhagen" von Frank Loesser); ein „The Little Mermaid Ballet“
tanzte. Kurzinhalt: Der Schuster und Märchenerzähler Hans Christian Andersen fertigt in Kopenhagen Schuhe für die Primaballerina
Dora (Zizi Jeanmaire). Er verliebt sich in das Mädchen. Sie inspiriert ihn zu der Geschichte „Die kleine Meerjungfrau". Schon das
US-amerikanische Originalfilmplakat illustriert, dass es sich um einen Wohlfühl-Film handelt, der damals Neugierde und Reiselust
weckte.
Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/Hans_Christian_Andersen_%28film%29
Allerdings hat diese neu gewonnene Anziehungskraft auch Schattenseiten. Die „Kleine Meerjungfrau“ ist seit den 1960er Jahren –
von vorher hört man nichts Entsprechendes – einer Vielzahl von entstellenden und zerstörerischen Übergriffen ausgesetzt. Die
Skulptur musste immer wieder restauriert und gegebenenfalls ergänzt werden, wozu auch eine noch vorhandene originale Gussform
herangezogen wurde. Durch die ständigen Reparaturen ist inzwischen nur noch wenig vom Original (das ja eigentlich ohnehin nur
eine Kopie ist) übrig.
Der Reihe nach:
1961 wurde der „Kleinen Meerjungfrau“ ein Bikini aufgemalt, zwei Jahre später, im April 1963, übergossen sie Unbekannte mit roter
Farbe.
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Abb.: AFP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-4
Ende April 1964 wurde die Figur sogar enthauptet. Der Kopf wurde nie gefunden, so dass ein neuer Kopf gegossen werden musste.
Abb.: DR og All Over, http://www.familiejournal.dk/Artikler/Nyeste/2011/02/08-husker-du.aspx
Der Aktionskünstler Jørgen Nash (* 1920; † 2004) bekannte sich 1997 in seiner Autobiografie zu dieser Tat.
Abb.: http://copenhagenfreeuniversity.dk/log/index.php?m=200405
Nash gab an, „die Heilige Jungfrau der dänischen Tourismusindustrie" geköpft und das Haupt in einem Tümpel entsorgt zu haben,
weil er den Rummel um die nationale Ikone nicht mehr ertragen konnte; damals wie heute (sie wird von schätzungsweise einer Million Touristen pro Jahr besucht), zumal bei schönem Wetter im Sommer, ist die „Kleine Meerjungfrau“ geradezu umlagert von Touristen.
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Abb.: Andrea Lai, http://c0056906.cdn2.cloudfiles.rackspacecloud.com/48055-5.jpg
Die Funkautorin Hildburg Heider hat vor einiger Zeit diesen Eindruck Nashs von der Wallfahrt an der Langenlinie in einer Reportage
des Deutschlandfunks plastisch illustriert 1: „Manche waten barfuß durch das knietiefe Wasser, um zu ihr zu gelangen. Alle fassen ihren Schwanz an, dort hat die Bronze einen ganz anderen Farbton. Das erinnert an die brünstige Verehrung von Heiligenbildern.“
Abb.: Vivi Labo, http://www.denmark-pictures.com/the-little-mermaid.html
Es wurde allerdings niemals bewiesen, dass es tatsächlich Nash war, der diesen „Mord“ an der Meerjungfrau beging. Zumindest
hatte Nash aber in den 1970er Jahren die Enthauptung in Serigraphien (Siebdrucken) künstlerisch verarbeitet.
Abb.: http://www.lauritz.com/Item/ItemImage/ItemImagePage.aspx?LanguageId=4&ItemId=2011391&ImageNo=3&ImageCount=5
Abb.: http://www.lauritz.com/Item/ItemImage/ItemImagePage.aspx?LanguageId=4&ItemId=2325403&ImageNo=1&ImageCount=2
Jørgen Nash: Den lille havfrue med nyt hoved (1973)
Jørgen Nash: Den lille havfrue uden hoved (1977)
Der Vandalismus brach nie ab. So wurde die „Kleine Meerjungfrau“ in den 1970er Jahren wiederum Opfer von Farbangriffen – 1970
mit Weiß, 1976 mit Rot.
1
Hildburg Heider: Die Meerjungfrau von Kopenhagen – Eine Bronzestatue begeistert die Touristen, Deutschlandradio vom 18.8.2013
(http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sonntagsspaziergang/2222924).
7
Abb.: AP, http://einestages.spiegel.de/static/entry/kopflos_am_kai/110650/kleine_meerjungfrau.html?s=11&r=1&a=29124&c=1
Zwei Männer sägten im Juli 1984 im Alkoholrausch den rechten Arm der Figur ab; sie meldeten sich am nächsten Tag voller Reue
bei der Polizei. Der Arm tauchte kurze Zeit später wieder auf, so dass die Figur repariert werden konnte. 40.000 Kronen kostete die
Reparatur.
Abb.: AFP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-6
Anfang August 1990 versuchte man erneut ihren Kopf abzuschneiden. Es blieb bei einem 18 cm langen Schnitt; im Januar 1998
wurde die Statue wieder erfolgreich geköpft.
Abb.: AFP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-5
Die Täter sind nie ermittelt worden, aber der Kopf wurde drei Tage später anonym zu einem nahe gelegenen TV-Sender gebracht
und kurz darauf wieder befestigt.
8
Abb.: AP, http://einestages.spiegel.de/static/entry/kopflos_am_kai/110648/kopf_der_meerjungfrau.html?s=12&r=1&a=29124&c=1
War die „Kleine Meerjungfrau“ zu ihrem 90. Geburtstag im Sommer 2003 noch liebevoll geschmückt worden,
Abb.: John McConnico/AP, http://fotos-photos-1.blogspot.de/2003/07/compie-90-anni-la-sirenetta-di.html
so begannen kurz darauf erneut vandalische Aktionen: Anfang Juni 2003 malten Unbekannte die Statue weiß an.
Abb.: Søren Weiss, http://ekstrabladet.dk/nyheder/samfund/article72474.ece
Im September 2003 wurde sie sogar komplett von ihrem Sockel gesprengt und ins Hafenbecken gestoßen. Die Täter bohrten der
„Kleinen Meerjungfrau“ Löcher in Handgelenk und Knie. Ein Bronzegießer erneuerte ihr dann Flosse, Knie und Lippen. Ein Kran
musste die „Kleine Meerjungfrau“ schließlich wieder auf ihren Felsen heben.
9
Abb.: AP, http://www.spiegel.de/fotostrecke/kleine-meerjungfrau-abschied-von-kopenhagen-fotostrecke-53189-5.html
Abb.: dpa, http://reisen.t-online.de/daenemark-kopenhagens-kleine-meerjungfrau-von-vandalen-misshandelt/id_15925238/index
Schalke-Fans gingen dann schonender mit der Figur um – im November 2003 anlässlich eines UEFA-Pokal-Spiels gegen Brøndby
Kopenhagen spendierten sie ihr einen Schal.
Abb.: dpa, http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-53189-4.html
Im Zusammenhang mit den Türkei-Beratungen beim EU-Gipfel in Brüssel im Dezember 2004 verhüllten Gegner der EU-Erweiterung
die „Kleine Meerjungfrau“ mit einer schwarzen Burka. Eine weiße Banderole um den Ganzkörperschleier trug die Aufschrift „Tyrkiet i
EU?" (Die Türkei in die EU?).
Abb.: Localeyes, http://ekstrabladet.dk/nyheder/samfund/article72474.ece
Ausgerechnet zum Weltfrauentag am 8. März 2006 wurde die „Kleine Meerjungfrau“ mit einem angeklebten Plastikpenis bestückt,
dazu mit grüner Farbe übergossen.
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Abb.: http://img.photobucket.com/albums/v736/jj71/havfrue_dildo.jpg
Eine weitere Bemalung fand Anfang März 2007 bei einer Demonstration gegen die Räumung des Kopenhagener Jugendzentrums
im Jagtvej 69 statt: Demonstranten besprühten sie mit pinker Farbe.
Abb.: AP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-9
Kaum war die hartnäckige rosa Farbe entfernt worden, gab es im Mai 2007 wieder einen Farbanschlag, diesmal wieder in Rot.
Abb.: AP, http://www.sueddeutsche.de/reise/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-zieht-nach-china-1.6042-10
In der Nacht zum 20. Mai 2007 hüllten Unbekannte dann die Statue der „Kleinen Meerjungfrau“ in ein langes Gewand muslimischer
Frauen.
11
Abb.: Andrius Karolis, http://ekstrabladet.dk/nyheder/samfund/article72474.ece
Einen Tag später fanden es andere angebracht, die „Kleine Meerjungfrau“ mit einem weißen Umhang und Mütze zu bekleiden – das
bekannte Symbol der rassistischen Organisation Ku-Klux-Klan.
Abb.: http://ekstrabladet.dk/nyheder/samfund/article72474.ece
Im Juli 2008 wurde mal wieder ein Farbanschlag auf die „Kleine Meerjungfrau“ verübt – mit Weiß.
Abb.: http://www.blogodisea.com/2011/el-expolio-que-padece-la-sirenita-de-copenhague/arte
Im Oktober 2009 gab es dann mal zur Abwechslung anlässlich eines Fußballländerspiels ein schwedisches Trikot – eine Idee, die
auch schon mal norwegische Fans umgesetzt hatten.
Abb.: Mix Megapol, http://www.radioassistant.com/RA/2009/10/den-lille-havfrue-forulempet-av-svensk-reporter
Abb.: All Over Press, http://ekstrabladet.dk/nyheder/samfund/article72474.ece
12
2009 war aber eigentlich das Jahr von „grünen” Aktionen zu Lasten der „Kleinen Meerjungfrau“:
Im März 2009 wurde sie von „Mellemfolkeligt Samvirke“, einer dänischen Vereinigung für internationale Kooperation, mit Plakat,
Taucherbrille und Schnorchel dekoriert, um auf die Folgen des Klimawandels wie steigende Meeresspiegel für die Entwicklungsländer hinzuweisen.
Abb.: ActionAid/Getty Images http://einestages.spiegel.de/static/entry/kopflos_am_kai/110656/kleine_meerjungfrau.html
Am vierten Tag des UN-Klimagipfels in Kopenhagen im Dezember 2009 setzten Umweltaktivisten der „Kleinen Meerjungfrau“ eine
Schutzmaske auf, um daran zu erinnern, dass Atomkraft den Kampf gegen die globale Erderwärmung behindern würde.
Abb.: AFP, http://www.stern.de/politik/ausland/klimagipfel-in-kopenhagen-kreativitaet-und-krawall-1527596-5d84655887c1be1f.html
Schon zu Beginn des Kopenhagener Klimagipfels am 8. Dezember 2009 war die „Kleine Meerjungfrau“ zur Kulisse der 3,5 m hohen
Skulptur „The Survival of the Fattest" der dänischen Künstler Jens Galschiot (* 1954) und Lars Calmar (* 1968) geworden. Die Figur
– der Titel ist eine Anspielung auf den von Herbert Spencer und Charles Darwin als Alternative zu „Natural Selection“ verwendeten
Begriffs „Survival of the Fittest“ – besteht aus einer übergewichtigen Justitia, die die reichen Industrienationen symbolisiert. Sie sitzt
auf den dünnen Schultern eines ausgemergelten Afrikaners.
Abb.: AFP/Getty, http://art-for-a-change.com/blog/2009/12/cop15-survival-of-the-fattest.html
Jens Galschiøt / Lars Calmar: Survival of the Fattest (2002) (hinten)
Die nun folgenden Veränderungen am Standplatz der „Kleinen Meerjungfrau“ an der Langenlinie waren jedoch von offizieller Seite
initiiert:
Ende März 2010 ging die „Kleine Meerjungfrau“ auf Reisen nach Shanghai zur Expo 2010:
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Obwohl sich viele Dänen zunächst gegen die Reise des Wahrzeichens nach China ausgesprochen hatten 2 (vergeblich protestierten
auch die Erben des Bildhauers Edvard Eriksen), wurde die „Kleine Meerjungfrau“ unter den Blicken hunderter Schaulustiger mit einem Kran von ihrem Felsen gehoben. In einer knappen Abstimmung hatten sich im März diejenigen durchgesetzt, die die gerade
auch bei Chinesen beliebte Touristenattraktion als Zeichen der Gastfreundschaft und der Einladung zum kulturellen Dialog zwischen
Dänemark und China auf Reisen schicken wollten. Die Fahrt in die chinesische Metropole in einem Frachtcontainer war die erste
Reise der Statue in ihrer fast hundertjährigen Geschichte.
Abb.: REUTERS, http://www.spiegel.de/fotostrecke/kopenhagen-kleine-meerjungfrau-wird-100-fotostrecke-100567-3.html
Ende April 2010 wurde die „Kleine Meerjungfrau“ feierlich auf dem Expo-Gelände in Schanghai enthüllt. Sie saß dort in einem Bassin, das mit Wasser aus dem Kopenhagener Hafen gefüllt war. Nicht zuletzt wegen der „Kleinen Meerjungfrau“ besuchten 5,5 Millionen Menschen den dänischen Pavillon auf der Shanghaier Expo.
Abb.: Jens Schott Knudsen, http://500mermaids.dk/the-little-mermaid
So richtig Ruhe, Abstand von sie anfassenden oder gar besteigenden Fans hatte die „Kleine Meerjungfrau“ aber auch in Shanghai
nicht durchgängig: Angestellte des dänischen Pavillons wurden im Sommer dabei erwischt, wie sie eine offenbar feucht-fröhliche
Party in den frühen Morgenstunden im Wasserbecken planschend und auf der „Kleinen Meerjungfrau“ herumkletternd fortsetzten.
Abb.: Shanghai Daily, http://german.china.org.cn/international/2010-07/02/content_20407074.htm
In Kopenhagen platzierten am 1. April (!) 2010 Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums auf einem Papp-Felsen an der Langenlinie einen Ersatz für die „Kleine Meerjungfrau“. In einer Presseerklärung schrieben sie: „Das Skelett gehört zur Art hydronymphus
pesci (Nymphenfisch), die Ende des 17. Jahrhunderts ausgestorben ist.“ Es sei eine der größten Kostbarkeiten des Naturhistorischen Museums und aus der Königlichen Kunstkammer übernommen worden. Dass das Skelett nach wenigen Stunden wieder verschwand, hatte praktische Gründe: Der Papp-„Felsen“ hätte Regen nicht standgehalten.
2
Siehe etwa die Vorsitzende des Kulturausschusses im dänischen Parlament, Karin Nodgaard: „Die kleine Meerjungfrau ist ein nationaler
Kulturschatz, ein Symbol für Kopenhagen, ein Symbol für Dänemark. Viele Touristen kommen zu uns ins Land, eben weil sie die Meerjungfrau sehen möchten. Darüber hinaus ist die Meerjungfrau nicht Teil einer Ausstellung. Sie ist ein einzigartiges Monument, das für sich steht.
Wäre sie Teil eines Ganzen, wäre es etwas anderes." Deutschlandfunk vom 17.11.2008 (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/
877351/).
14
Abb.: dpa, http://www.ad-hoc-news.de/kopenhagener-meerjungfrau-aufs-skelett-abgemagert--/de/News/21168409
In Kopenhagen am Platz der „Kleinen Meerjungfrau“ war nun ab Mai 2010 eine Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei
(* 1957) zu sehen: Eine 4,8 x 2,9 m große Leinwand, die rund acht Meter vom Hafenufer entfernt im Wasser stand. Auf ihr liefen Tag
und Nacht in Echtzeit Bilder der verreisten „Kleinen Meerjungfrau“, die eine Webcam via Internet direkt aus Shanghai übertrug.
Abb.: http://aimache-copenhagen.blogspot.com/2010_05_01_archive.html
Ai Weiwei: Mermaid Exchange-Remote (2010)
Im November 2010 war die „Kleine Meerjungfrau“ wieder in Kopenhagen zurück.
Seitdem ist sie offenbar in Ruhe gelassen worden.
Zu ihrem 100. Geburtstag im August 2013 widmete ihr die von Carl Jacobsen, dem damaligen Auftraggeber der „Kleinen Meerjungfrau“, gegründete Brauerei Carlsberg A/S eine limitierte Edition „Jacobsen Mairmaid Porter“ – zwei große Flaschen in einer Geschenkbox zu 17,90 Euro. So schließt sich der Kreis.
Abb.: http://www.thirstforgreat.com/shop/carlsberg/jacobsen-mermaid-porter/c-23/c-69/p-624
Fragt man nun noch, wie all die Beeinträchtigungen der „Kleinen Meerjungfrau“ der letzten gut 50 Jahre strafrechtlich einzuschätzen
sind, muss man genau differenzieren:
In § 303 Abs. 1 StGB wird das „Zerstören“ und „Beschädigen“ einer fremden Sache unter Strafe gestellt. Das Zerstören, also die völlige Vernichtung der „Kleinen Meerjungfrau“ mag versucht worden sein, als sie im Jahre 2003 von ihrem Felsen gesprengt wurde,
sofern sie dabei nach Vorstellung der Täter vollständig zertrümmert werden sollte.
Beschädigen bedeutet nach ständiger Rechtsprechung zunächst einmal eine nicht unerhebliche körperliche Einwirkung auf die Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit beeinträchtigt wird.
Dass eine Beschädigung Substanzverletzungen einer Sache umfasst, ist unbestritten. Demzufolge liegt beim Abschlagen des Kopfes oder eines Armes der „Kleinen Meerjungfrau“ unproblematisch eine Sachbeschädigung vor.
15
Wird aber eine Skulptur von ihrem Sockel ins Wasser gestoßen und dabei (anders bei dem damaligen Absprengen der „Kleinen
Meerjungfrau“ von ihrem Felsen) nicht beschädigt, so liegt nur eine straflose Sachentziehung der Skulptur vor, solange das Wasser
ihre Substanz nicht beeinträchtigt. Die „Kleine Meerjungfrau“ ist aus Bronze; Bronze setzt nur Grünspan an, der leicht und rückstandslos zu entfernen ist. Allerdings ist bei zusammengesetzten Sachen eine Substanzbeschädigung bereits bei Trennung der Gesamtheit in Einzelteile möglich 3. Das Ensemble „Skulptur auf Felsen“ kann durch das Versenken der Skulptur also sehr wohl beschädigt werden.
Schwieriger wird es auch dann, wenn die „Kleine Meerjungfrau“ auf ihrem Felsen mit einem Farbanstrich versehen oder mit Farbe
beschmiert wird. Wenn sie dadurch so in Mitleidenschaft gezogen wird, dass sie überhaupt nicht mehr gereinigt werden kann oder
die Reinigung zwangsläufig zu einer Substanzverletzung führen muss – also die Bronze sich (etwa farblich) verändert oder Rückstände der Farbe oder des Reinigungsmittels auf ihr zurückbleiben –, ist nach herrschender Ansicht ebenfalls ein Beschädigen im
Sinne von § 303 Abs. 1 StGB gegeben 4. Lässt sich die aufgesprühte Farbe jedoch ohne Rückstände beseitigen, soll selbst bei erheblichem Arbeits- und Kostenaufwand keine Substanzverletzung vorliegen.
Der Gesetzgeber glaubte hier – was höchst umstritten war – eine schließungsbedürftige Strafbarkeitslücke entdeckt zu haben und
ergänzte deshalb § 303 StGB durch das Graffiti-Bekämpfungsgesetz vom 1. September 2005 um den heutigen Absatz 2, der dem
Beschädigen die nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende „Veränderung des Erscheinungsbildes“ einer Sache, auch
wenn diese rückgängig zu machen ist, an die Seite stellt. „Vorübergehend“ ist im Kern ein zeitliches Kriterium; es ist namentlich erfüllt, wenn die Veränderung binnen kurzer Zeit von selbst wieder vergeht 5. Kann der Regen mithin Bemalungen der „Kleinen Meerjungfrau“ (etwa mit Kreide oder Wasserfarben) wieder abwaschen, ist die Veränderung des Erscheinungsbildes nur vorübergehend
und somit nicht von § 303 Abs. 2 StGB umfasst. Eine Bemalung ist dann „nur unerheblich“, wenn sie lediglich sehr klein und versteckt ist oder sehr leicht abzuputzen geht.
Damit ist aber über ihre Pönalisierung als Sachbeschädigung noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn der Gesetzgeber hat
nicht bemerkt, dass der neue Absatz 2 sich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Bemalen von Kunstwerken „beißt“ –
jetzt wird es etwas kompliziert:
Nach heute allgemeiner Ansicht ist nämlich ein „Beschädigen“ im Sinne von Absatz 1 des § 303 StGB nicht nur durch eine Substanzverletzung, sondern auch durch eine nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf die Sache, infolge der ihre bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit gemindert wird, möglich 6. Bei Statuen – wie etwa auch bei Gemälden oder Baudenkmälern – hängt
die Gebrauchsbestimmung jedoch mit ihrem ästhetischen Zweck zusammen 7. Schönheit, formulierte einmal das Reichsgericht, ist
bei einer Statue die „eigentliche Zweckbestimmung“ 8: „Diese Wirkung wird aber schon durch die bloße Besudelung mit Farbe und
die dadurch hervorgerufene Verdeckung der eigentlichen Reize ihrer Oberfläche, wenn nicht zerstört, so doch wesentlich beeinträchtigt und beschädigt … Darauf, daß nach der Vorstellung des Angeklagten der frühere Bestand mit Leichtigkeit wieder hätte herbeigeführt werden können, kommt es für die Begriffsbestimmung der Sachbeschädigung nicht an ...“ 9
Folgt man dieser vom Bundesgerichtshof bestätigten 10 Rechtsprechung, bedeutete das, dass bei der „Kleinen Meerjungfrau“ eine
erhebliche und dauerhafte Bemalung von dem neuen Absatz 2 des § 303 StGB als Veränderung des Erscheinungsbildes erfasst
wäre, eine unerhebliche und nur vorübergehende Bemalung jedoch eine Beschädigung im Sinne des Absatz 1 des § 303 StGB darstellen würde 11 – eine merkwürdige Konsequenz, die der Gesetzgeber nicht gesehen hat. In der Literatur wird deshalb die Ansicht
vertreten, die Bemalungen von Kunstobjekten seien „nun nicht mehr nach Abs. 1, sondern nach Abs. 2 zu beurteilen“ 12 – mit der
Folge, dass der Gesetzgeber insoweit entgegen seiner Intention (die schon in der martialischen Gesetzesbezeichnung Graffiti„Bekämpfungs“-Gesetz zum Ausdruck kommt) die Strafbewehrung zurückgefahren hätte (weil nunmehr nur noch nicht unerhebliche
und nicht nur vorübergehende Veränderungen des Erscheinungsbildes von Kunstwerken strafbar wären) 13! Dem wird – wohl zu
Recht – entgegengestellt, dass „aus systematischen Gründen und in Konformität mit den Vorstellungen des Gesetzgebers“ grundsätzlich „‚alles beim alten‘“ bleibe 14: Das Bemalen von Kunstwerken, das ihre ästhetische Funktion mindert, unterfällt weiterhin als
Beschädigen dem Absatz 1 des § 303 StGB – und zwar auch bei solchen Bemalungen, bei denen „der frühere Bestand mit Leichtigkeit wieder ... herbeigeführt“ werden kann. Die – ungeschriebene – Erheblichkeitsschwelle in § 303 Abs. 1 StGB würde also nur
solche Bemalungen von Kunstobjekten ausschließen, die so klein und unauffällig sind, dass sie den Gesamteindruck des Werkes
nicht erheblich stören.
Wenn man dem folgt – was ist dann mit Verkleidungen, dem Umhängen von Parolen u.ä. bei der „Kleinen Meerjungfrau“?
Der Gesetzgeber zählte in seiner Begründung zum Graffiti-Bekämpfungsgesetz ausdrücklich auch das Anbringen von Spruchbändern und Verhüllungen als „Veränderungen des Erscheinungsbildes“ auf15, die freilich nur unerheblich 16 und damit von § 303 Abs. 2
StGB nicht erfasst seien. Aber sind diese Modalitäten denn dann nicht, ausgeübt an Kunstobjekten, „Beschädigungen“ im Sinne von
§ 303 Abs. 1 StGB? Das wird man wohl grundsätzlich bejahen müssen: Kommt es bei Bemalungen von Kunstobjekten nicht auf die
„Leichtigkeit“ der Entfernbarkeit an, kann nichts anderes bei Verkleidungen gelten.
Bei teilweisen Bedeckungen wie Fanschals oder Transparenten wäre es eine Frage des Einzelfalls, ob die ästhetische Zweckbestimmung der „Kleinen Meerjungfrau“ noch gewahrt bleibt oder schon erheblich beeinträchtigt ist. Kein anderes Kriterium würde übrigens auch gelten, wird die „Kleine Meerjungfrau“ in nettester Absicht beispielsweise (wie 2003 zu ihrem 90. Geburtstag) mit einer
Blumenkette geschmückt. Denn der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn die Veränderung dem ästhetischen Empfinden eines Beobachters unter Umständen mehr entgegenkommt als die ursprüngliche Gestaltung. Ausschlaggebend ist allein die objektiv zu tref3
Vgl. RGSt 64, 251; Wieck-Noodt in Münchener Kommentar zum StGB, 1. Aufl. 2006, § 303 Rn. 19 m.w.N.
Kritisch zu dieser nur mittelbaren Substanzverletzung Satzger, Jura 2006, 432 und 435 f.: Es liege ein versuchtes Beschädigen gem.
§ 303 Abs. 1 StGB und ein vollendetes Verändern des Erscheinungsbildes gem. Abs. 2 vor.
5
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-DrS 15/5313, S. 3.
6
Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 303 Rn. 3 m.w.N.
7
BGHSt 29, 129 (134).
8
RGSt 43, 204 (206).
9
RGSt 43, 204 (205).
10
BGHSt 29, 129 (132 f.).
11
So auch Satzger, Jura 2006, 435.
12
Weiler in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 3. Aufl. 2013, § 303 StGB Rn. 5.
13
Vgl. Kudlich, GA 2006, 42.
14
Lackner/Kühl, StGB, § 303 Rn. 7a.
15
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-DrS 15/5313, S. 3.
16
Dauerhaft dürften sie entgegen der Gesetzesbegründung allerdings häufig sehr wohl sein; Zaczyk in Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2013, § 303 Rn. 25.
4
16
fende Entscheidung, ob das äußere Erscheinungsbild der Sache von dem vorherigen Erscheinungsbild abweicht 17. (Zu einem anderen Ergebnis würde man kommen können, wäre, wie in § 125 des österreichischen StGB18 und für das deutsche StGB mit GraffitiBekämpfungsgesetzentwürfen 1999 vorgeschlagen19, statt der Modalität „Veränderung des Erscheinungsbildes“ die Modalität „Verunstaltung“ Gesetz geworden.)
Das Behängen der „Kleinen Meerjungfrau“ mit Plakaten und Banderolen (und erst Recht ihr Ausstaffieren mit Burkas oder Atemschutzmasken) kann, sofern es den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt, auch nicht deshalb ausnahmsweise gerechtfertigt
sein, wenn ein europa- oder umweltrechtlicher Aussagegehalt dadurch öffentlichkeitswirksam transportiert werden soll. Weder das
Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) noch ein aus Art. 8 GG abgeleitetes Demonstrationsrecht können hierzu herangezogen werden, schon, weil beide Grundrechte ihre Schranken bereits in einfachen Gesetzen wie dem Strafgesetzbuch finden
(Art. 5 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 GG). Auch die ganz vereinzelten Versuche, die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ in § 193 StGB
über das Beleidigungsrecht hinaus analog auf die Sachbeschädigung anzuwenden, sind allgemein auf Ablehnung gestoßen 20: Interessen der Allgemeinheit, die insbesondere die politische Willens- oder die öffentliche Meinungsbildung betreffen, mögen zwar im
Einzelfall eine Ehrkränkung rechtfertigen können, nicht jedoch eine Sachbeschädigung.
Ferner könnte man erwägen anzunehmen, dass die ästhetische Zweckbestimmung der „Kleinen Meerjungfrau“ auch dadurch beeinträchtigt worden ist, dass im Jahre 2009 gleich neben ihr die ungleich größere, somit optisch dominierende „hässliche“ Skulptur „The
Survival of the Fattest" aufgestellt worden war. In der Tat sind auch im Zusammenhang mit der Veränderung des Erscheinungsbildes Handlungen wie das Verstellen des Blicks auf die Sache, das Projizieren eines Lichtbildes auf sie oder gar ihre bloße Verschattung ins Gespräch gebracht worden; zu Recht wird dem jedoch entgegengehalten, dass es in diesen Fällen an jeglicher unmittelbaren Einwirkung auf die Sache selbst fehlt 21. Sachbeschädigung sogar noch ohne jeglichen Sachkontakt für möglich zu halten, geht
zu weit 22.
Nun erfüllen die von § 303 StGB umfassten Beeinträchtigungen der „Kleinen Meerjungfrau“ auch § 304 StGB, die Gemeinschädliche
Sachbeschädigung, die schwerer bestraft wird.
Tatobjekte sind hier nicht alle Sachen wie bei § 303 StGB, sondern nur bestimmte kulturelle oder gemeinnützige Gegenstände. Die
„Kleine Meerjungfrau“ dürfte sowohl zu den Gegenständen gehören, die “zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen
dienen“, als auch zu den Gegenständen der Kunst, die „öffentlich aufgestellt sind“; dass am Langeliniekaj nur eine Replik und nicht
Eriksens eigentliches Original steht, ist unerheblich 23.
In einem anderen Punkt ist § 304 StGB jedoch weiter als § 303 StGB: Die Tatobjekte brauchen nicht „fremd“ zu sein; Täter kann
auch der Eigentümer sein, der demzufolge auch nicht in eine Gemeinschädliche Sachbeschädigung Dritter einwilligen kann.
Nun hat sich die Stadt Kopenhagen, der der Bildhauer Eriksen damals die „Kleine Meerjungfrau“ geschenkt hatte, hier nichts vorzuwerfen. Die „Luftveränderung“ im Jahre 2010, die Reise zur Expo nach Shanghai, hatte nicht einmal das Ensemble „Skulptur und
Felsen“ beeinträchtigt, saß die „Kleine Meerjungfrau“ in China doch genauso auf „ihrem“ Felsen. Und § 304 StGB nimmt dem Eigentümer nicht das Recht, einen Gegenstand aus seiner öffentlichen Aufstellung zu entfernen – und sowieso nicht, an Stelle dessen eine Video-Leinwand aufzubauen oder eine Scherzfigur zum 1. April zu dulden.
Vor allem ist Kopenhagen nicht das vorzuhalten, was in der anderen europäischen Hauptstadt, die eine sehr kleine Skulptur als
Wahrzeichen hat, gang und gäbe ist: Es geht um Brüssel und sein „Manneken Pis“.
Das „Manneken Pis“ (oder le Petit Julien) ist eine 61 cm hohe Bronzestatue und dient als Brunnenfigur. Im Jahre 1619 wurde sie
vom Brüsseler Bildhauer Hieronimus Duquesnoy (* 1597; † 1643) im Auftrag des Brüsseler Magistrats geschaffen. Die Figur wurde
mehrfach gestohlen; die heutige Statue ist eine Kopie aus dem Jahr 1965 24. Das Original wird im Maison du Roi (fläm. Broodhuis),
dem Museum der Stadt Brüssel, aufbewahrt.
17
Wieck-Noodt in Münchener Kommentar, StGB, § 303 Rn. 54; ähnlich Zaczyk in Nomos-Kommentar, StGB, § 303 Rn. 23 (beide zu § 303
Abs. 2 StGB).
18
§ 125 österr. StGB Sachbeschädigung
Wer eine fremde Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit
Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
19
Entwurf der Fraktion der CDU/CSU eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Graffiti-Bekämpfungsgesetz der Abgeordneten, BT-DrS 14/546; Entwurf der Fraktion der FDP eines Gesetzes zum verbesserten Schutz des Eigentums, BT-DrS 14/569; Entwurfs
des Bundesrates eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Graffiti-Bekämpfungsgesetz, BT-DrS 14/872. Freilich sollte das Verunstalten
dort anders als in § 134 StGB, der Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, nicht auf „entstellende, unwürdige Veränderungen“ beschränkt bleiben, sondern in bedenklicher Wortlautdehnung letztlich doch jede Zustandsveränderung erfassen; siehe dazu Scheffler, Stellungnahme zu den Entwürfen zur Änderung des Strafgesetzbuches – Graffiti-Bekämpfungsgesetz, in: Protokoll der 29. Sitzung des
Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in der 14. Wahlperiode am 27.10.1999, Anlage S. 54 ff.).
20
OLG Stuttgart, NStZ 1987, 121.
21
Zaczyk in Nomos-Kommentar, StGB, § 303 Rn. 23.
22
Ähnlich Saliger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 1. Aufl. 2009, § 303 Rn. 14.
23
Vgl. dazu Pfennig in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 88 Rn. 12.
24
„Die Annalen des Museums [der Stadt Brüssel] berichten über mindestens sieben Diebstähle im Lauf der Jahrhunderte; mehrmals fand
sich die Skulptur nur noch zerbrochen wieder. Ein dreister Diebstahl ereignete sich vor genau 50 Jahren, am 17. Januar 1963. Studenten
aus Antwerpen entwendeten die 17 Kilogramm schwere Statue, die gerade mal 55 Zentimeter misst, von ihrem Podest. Ihr Motiv: Sie wollten ‚auf das Problem missgestalteter Kinder aufmerksam machen‘. Noch am Abend war die Bronzefigur aber wieder da. Ungleich rabiater
gingen Unbekannte nur zwei Jahre später vor. Sie rissen den Kleinen mit Gewalt vom Podest. Die Figur zerbrach, nur die Füße und der
Sockel blieben zurück. Den Korpus entdeckte man zufällig ein Jahr später im Brüsseler Kanal. Das reichte: Die Stadt entschied, eine Kopie
aufzustellen.“ Aachener Zeitung vom 12.1.2013 (https://www.aachener-zeitung.de/news/aus-aller-welt/kleiner-mann-mit-grosser-garderobe
-manneken-pis-in-bruessel-1.492077).
17
Abb.: Myrabella / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0, http://de.wikipedia.org/wiki/Manneken_Pis
Viele Male im Jahr, oftmals zu bestimmten Anlässen (etwa dem Geburtstag Elvis Presleys, dem Finale der Tour de France, dem
Welt-Aids-Tag oder zu Weihnachten)
Abb.: Colin and Kizzy, http://ck-go-rtw.blogspot.com/2011/04/brussells-carefully-balanced-on-edge-of.html
Abb.: EPA, http://www.telegraph.co.uk/sport/othersports/cycling/picturegalleries/7879555/Spectators-bring-colour-and-life-to-roadsides-of-the-Tour-de-France-2010-in-pictures.html?image=3
Abb.: http://madamepalindrom.blogspot.com/2010_09_01_archive.html
Abb.: jaquiManel, http://www.flickr.com/photos/lomo56/galleries/72157624274377222/#photo_3125654374
wird das Manneken Pis, eigentlich im Adamskostüm, von Angestellten des Département Instruction publique / Departement Openbaar Onderwijs der Stadt Brüssel verkleidet – zumeist frühmorgens, wenn keine Touristen da sind.
Abb.: http://www.youtube.com/watch?v=2j7qgVzam2A (Screenshot)
„Habilleuse du Manneken Pis“ Jeannine Gettemans
Die Garderobe des Manneken Pis besteht aus über 800 Kostümen und wird ebenfalls in einem Saal des Maison du Roi ausgestellt.
18
Abb.: dpa, https://www.aachener-zeitung.de/news/aus-aller-welt/kleiner-mann-mit-grosser-garderobe-manneken-pis-in-bruessel-1.492077
Genaugenommen stünde diese städtisch initiierte Verkleidung nach deutschem Strafrecht zumindest in Spannung zu § 304 StGB.
Vielleicht könnte man den schönen Brauch mit jahrhundertelanger Gewohnheit rechtfertigen – begonnen hat die Kostümierung wohl
schon im Jahre 1698 Kurfürst Max Emanuel von Bayern. (Nachdem der damalige Statthalter der Spanischen Niederlanden bei einem Schießwettbewerb den Titel des Schützenkönigs errang, so heißt es, ließ er vor lauter Freude jedem Schützen und obendrauf
auch dem Manneken-Pis ein Kleidungsstück im bayrischen Weiß-Blau als Geschenk schneidern; bereits im 18.Jahrhundert sei die
Figur viermal pro Jahr verkleidet worden 25.) Oder noch deutlicher: Die Kostümierung gehört schon zum normalen Erscheinungsbild
des „Manneken Pis“!
✱
Als Abschluss etwas zum Nachdenken: Das Reichstagsgebäude in Berlin, erbaut von dem Architekten Paul Wallot (* 1841; † 1912)
26
in den Jahren 1884 bis 1894, ist ein Baudenkmal, eingetragen als solches in der Berliner Denkmalliste . Ein geschichtsträchtigerer
Ort (Proklamation der Weimarer Republik, Reichstagsbrand) lässt sich zumindest in Berlin nur schwer finden.
Vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995 war das Gebäude vollständig mit silberglänzendem, feuerfestem Gewebe verhüllt und mit blauen,
gut drei Zentimeter starken Seilen verschnürt. Es war die Realisierung des Projekts „Wrapped Reichstag“ des Künstlerpaars Christo
(* 1935) und Jeanne-Claude (* 1935; † 2009). Nach jahrelangem Hin und Her hatte der Bundestag am 25. Februar 1994 im Anschluss an eine teils sehr emotional geführten Debatte in namentlicher Abstimmung über das Projekt abgestimmt und das Verhüllen
mit 292 Ja-Stimmen (bei 223 Nein-Stimmen, 9 Enthaltungen und einer ungültigen Stimme) befürwortet.
Abb.: [email protected], http://www.deutsches-architektur-forum.de/forum/showthread.php?t=1560 (Ausschnitt)
Abb.: jotefa (Flickr), http://www.wikiartis.com/jeanne-claude-und-christo/werke/verhullter-reichstag
Paul Wallot: Reichstagsgebäude (1993)
Jeanne-Claude und Christo: Verhüllter Reichstag (1995)
Das Berliner Kammergericht beschrieb – in völlig anderem Zusammenhang – den verhüllten Reichstag so 27:
Den ästhetischen Gesamteindruck des Projekts bestimmte ... die originell veränderte Außengestalt des Reichstags, wobei insbesondere auf die Auskragungen im Bereich der Ecktürme hinzuweisen ist, deren baulicher Charakter im Vergleich zur Originalgestalt
vollkommen anders erscheint. Die vertikale Faltelung des Verhüllungsmaterials verlieh dem Reichstagsgebäude eine völlig veränderte skulpturale Außenwirkung.
Hat die Durchführung des Projekts gegen § 304 StGB verstoßen?
25
Man kann auch lesen, die Kostümierung sei auf den französischen König Ludwig XV. zurückzuführen. Der Monarch spendierte danach
1747 eine Gala-Uniform im Mini-Format – als Abbitte für den Diebstahl der Figur, für den seine Soldaten verantwortlich waren. Aachener
Zeitung vom 12.1.2013 (https://www.aachener-zeitung.de/news/aus-aller-welt/kleiner-mann-mit-grosser-garderobe-manneken-pis-in
-bruessel-1.492077).
26
OBJ-Dok-Nr. 09050341 (http://www.stadtentwicklung.berlin.de/cgi-bin/hidaweb/getdoc.pl?DOK_TPL=lda_doc.tpl&KEY=obj%2009050341).
27
KG, NJW 1996, 2379.
19