Das unerwünschte Schweigen der Sirenen

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Das unerwünschte Schweigen der Sirenen
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Erscheinungsdatum: 16. November 2007, 08:26 Uhr
Katastrophenschutz:
Das unerwünschte Schweigen der Sirenen
Ihr durchdringender Heulton ist kaum noch zu hören. Jahrzehntelang waren Sirenen die Technik der
Wahl, um die Bevölkerung zu warnen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden viele abgebaut.
Inzwischen wünschen sich Experten das System zurück, denn Alternativlösungen sind schwer zu
finden.
Kurgäste bewundern in Büsum an
der schleswig-holsteinischen
Nordseeküste die 46 Jahre alte
original Sturmflut-Sirene, Modell "E
57"
© Wulf Pfeiffer/DPA
Wie bekomme ich im Katastrophenfall nachts meine Bürger aus den
Federn? Diese Frage treibt derzeit Innenpolitiker der Länder um.
Massen-SMS, Katastrophen-Wecker, satellitengestütztes
Warnsystem, Polizei-Lautsprecherwagen, Kirchenglocken - das
Potpourri an Möglichkeiten ist reichhaltig. Eine bundesweite
Regelung gibt es aber nicht. In den neunziger Jahren wurden viele
der 80.000 grauen, nervtötenden Sirenen von Schul- und
Behördendächern abgebaut. "Unbrauchbar", "nach Ende des Kalten
Krieges überflüssig", "im Unterhalt zu teuer", hieß es. "Im Nachhinein
ist man immer schlauer", sagt Thomas Giebeler vom schleswigholsteinischen Innenministerium.
Stichwort: Sirenen
Die Sirene wurde 1819 von dem
französischen Physiker Charles
Cagniard de la Tour erfunden. Der
Name leitet sich von dem weiblichen
Fabelwesen der griechischen
Mythologie ab, das durch
betörenden Gesang vorbeifahrende
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Nur im Umkreis von Atomkraft- und Chemiewerken, an der
Küste in Sturmflut-Gebieten und vereinzelt in den Städten gibt
es diese Alarmanlagen noch. Kurz-Lang-Kurz: Dieses
Sirenengeheul bedeutete lange Zeit "Radio einschalten,
Nachrichten hören". Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe (BBK) sind noch 35.000 Sirenen im
Dienst. Der Bund ist im Kriegsfall für die Alarmierung der
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Seefahrer anlockte, um sie zu töten.
Mit der Sirene wurde die Erzeugung
von Hochfrequenztönen auf
mechanischem Wege möglich. Der
häufigste Typ ist heute die
Motorsirene. Der Ton wird um so
höher, je rascher die Scheibe im
Inneren läuft. Im Zweiten Weltkrieg
heulten Sirenen ab 1942 in
Deutschland immer öfter, um vor
Fliegerangriffen zu warnen. Nach
dem Krieg wurde im Zuge des
Ost-West-Konfliktes ein
flächendeckendes Netz von 80 000
Sirenen in der Bundesrepublik
aufgebaut. Bis 1990 erfüllten die auf
Schul- und Behördendächern
angebrachten Anlagen für die
Bevölkerung drei Funktionen:
Warnung vor Feuer, Katastrophen
und vor möglichen Kriegsangriffen.
Zugleich diente die Sirene dem
Zusammenrufen der
Feuerwehrleute. Von 1992 bis 1995
wurden 45 000 der grauen, meist
tellerförmigen Sirenen abgebaut.
Auch die zehn Warnämter, die für die
Auslösung der Sirenen
verantwortlich waren, wurden mit
Ende des Kalten Krieges
abgeschafft. Mit der Entwicklung
neuer Techniken wurde es für
ausreichend gehalten, bei Gefahr
über Rundfunk, Fernsehen, Internet
oder per SMS zu warnen. Da der
Katastrophenschutz - anders als der
Zivilschutz - Ländersache ist,
entstanden nach dem Ende des
einheitlichen Systems regionale
Lösungen. Für den Feueralarm gibt
es weiterhin oft Sirenen,
Feuerwehrleute werden aber nun
über "Piepser" oder SMS alarmiert.
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Bürger zuständig, der Katastrophenschutz ist Ländersache.
Wiederaufbau zu teuer
Der Bund überließ es nach Ende des Ost-West-Konflikts den
Ländern, Sirenen weiter zu betreiben. Da vielen Kommunen
der Unterhalt zu teuer war, wurden die Melder eingemottet.
Laut BBK erreichten die Sirenen 80 Prozent der Bevölkerung.
Unter veränderten internationalen Bedingungen nach dem 11.
September 2001 und durch Katastrophen wie das
Elbe-Hochwasser 2002, als Städte nachts von den Fluten
überrascht wurden, sind Politiker ins Grübeln geraten. Der
Arbeitskreis V der Innenministerkonferenz hat mehrere
Vorschläge ausgelotet. Auch ein Wiederaufbau der Sirenen
wird erwogen. Kosten: 130 Millionen Euro.
Chips im Rauchmelder?
"Durch unser föderales System und eine Heterogenität der
Ideen haben wir in Deutschland ein Warnunwesen geschaffen.
Überall gelten andere Warnsysteme, zudem gibt es ein
Bevölkerungsbildungsproblem beim Katastrophenschutz", sagt
Katastrophenforscher Willi Streitz von der Universität Kiel. "Es
gibt zahlreiche Vorschläge, die jetzt ergebnisoffen diskutiert
werden", erklärt BBK-Sprecherin Ursula Fuchs. In
Bundesländern, wo Rauchmelder Pflicht sind, könnte ein Chip
in die Melder eingebaut werden. Dieser wird über
Zeitzeichensender angepeilt und könnte im Bedarfsfall Alarm
auslösen.
"Natürlich könnte es eine Verwechselung mit einem
Feueralarm geben, deshalb müsste dies mit Infokampagnen
begleitet werden", sagt Fuchs. Sie verweist darauf, dass es im
BBK seit einigen Jahren ein satellitengestütztes Warnsystem
gibt. Dies kann 170 angeschlossene Rundfunksender
unmittelbar alarmieren - es ist aber nur wirksam, wenn Radio,
Computer oder TV angeschaltet sind. Streitz kritisiert, dass zu
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Während in einigen Regionen heute
eine Minute Dauerton Entwarnung
bedeutet, wird woanders damit eine
Warnung an die Bevölkerung
angezeigt. Der gängigste Alarm ist
noch der einminütige Dauerton mit
zwei Unterbrechungen von zwölf
Sekunden für den Feueralarm. Das
Zivilschutzsignal ist in der Regel ein
einminütiger, auf- und
abschwellender Ton. Dieser
Warnton wird für großflächige
Ereignisse verwendet, als eine Art
Weckruf für die Bevölkerung. Zum
Beispiel im Kriegsfall, bei
Hochwasser und schwerer Sturmflut
oder bei einem Störfall in einem
Atomkraftwerk. (DPA)
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viel über komplizierte technische Lösungen nachgedacht
werde. Diese würden schon bei Stromausfällen nicht mehr
funktionieren.
Radiowecker?
Eine andere Möglichkeit ist ein Radiowecker, den die
Flensburger Firma 2wcom entwickelt hat. Auf der
UKW-Frequenz werden von Behörden ausgesandte
Warnungen wie "Schwerer Störfall im AKW Krümmel - bitte
Fenster und Türen geschlossen halten" aufgeschnappt und im
Radio- Display angezeigt. Auch wenn das Radio ausgeschaltet
ist, wird sofort ein energisches Signal ausgelöst. Die Firma hat
50.000 dieser Frühwarnsysteme an die schwedische
Regierung verkauft, die sie an Bewohner in der Nähe von
Atomkraftwerken ausgehändigt hat.
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat auf seinem
Schreibtisch zu Testzwecken ein solches Radio stehen. Es kostet zurzeit 50 Euro. "Der Wecker ist
an sich eine gute Idee. Nur ist das Land finanziell nicht in der Lage, jeden Haushalt damit
auszurüsten", erteilt Carstensen dieser Lösung eine Absage. Thomas Giebeler vom
Innenministerium meint: "Die Sirene ist nach wie vor die wirksamste Methode, die Menschen im
Katastrophenfall bis in den hintersten Winkel der Republik aus den Betten zu bekommen."
Georg Ismar/DPA
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