Weiterleitung des Kindergeldes führt nicht zwingend

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Weiterleitung des Kindergeldes führt nicht zwingend
FG Nürnberg, Urteil v. 09.04.2014 – 3 K 741/13
Titel:
(Weiterleitung des Kindergeldes führt nicht zwingend zum Untergang eines
Rückforderungsanspruchs)
Normenketten:
§ 37 AO
§ 62 EStG 2009
§ 64 EStG 2009
§ 70 Abs 2 EStG 2009
Abschn 64.4 Abs 3 S 2 DA-FamEStG
EStG VZ 2012
Orientierungsätze:
1. Eine kindergeldrechtlich nachrangig Berechtigte kann sich gegen einen Rückforderungsanspruch
nicht erfolgreich auf eine Weiterleitung des Kindergeldes an die vorrangig Berechtigte berufen,
wenn der Kindergeldanspruch der vorrangig Berechtigten wegen fehlender Mitwirkung
bestandskräftig abgelehnt wurde .
2. Abschnitt 64.4 Abs. 3 Satz 2 DA-FamEStG setzt voraus, dass beim vorrangig bzw. allein
Kindergeldberechtigten eine Kindergeldfestsetzung erfolgt ist oder noch erfolgen kann. Eine
Billigkeitsregelung für den Erstattungsanspruch kann nur in Abhängigkeit vom
Festsetzungsverfahren ergehen .
Schlagworte:
Ablehnung, Bestandskraft, Billigkeit, Erstattungsanspruch, Festsetzung, Kind, Kindergeld, Nachrangig,
Nachrangig Berechtigter, Rückforderung, Vorrangig, Vorrangig Berechtigter, Weiterleitung
Fundstelle:
BeckRS 2014, 95361
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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Streitig ist die Rückzahlung von Kindergeld für X (geb.: …1993) für die Monate Mai 2012 bis Juli 2012.
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Die Klägerin beantragte erstmals am 03.06.2008 die Festsetzung von Kindergeld für X. Sie gab im Antrag
an, dass X das leibliche Kind ihres Ehegatten sei und seit 01.05.2008 bei ihr und ihrem Ehemann lebe. Eine
Kopie der Anmeldung von X bei der Stadt B –Einwohnermeldeamt– zum 01.05.2008 wurde beigefügt.
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Die Familienkasse setzte mit Bescheid vom 04.11.2008 Kindergeld für X gegenüber der Klägerin ab Mai
2008 fest. X absolvierte bis Juli 2012 eine Ausbildung als Kinderpflegerin.
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Im Juli 2012 erhielt die Familienkasse davon Kenntnis, dass sich die Klägerin und ihr Ehemann, der
leibliche Vater von X, am 16.06.2012 getrennt haben und X nicht mehr im Haushalt der Klägerin sei.
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X ist seit dem 11.04.2012 in B, Z-Strasse …, der damaligen Adresse der leiblichen Mutter Y gemeldet.
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Den Antrag der leiblichen Mutter Y auf Kindergeld für X vom 09.08.2012 lehnte die Familienkasse mit
Bescheid vom 20.02.2013 wegen fehlender Mitwirkung ab.
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Dieser Bescheid ist bestandskräftig.
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Die Familienkasse hob mit Bescheid vom 20.02.2013 die Festsetzung des Kindergeldes für X gegenüber
der Klägerin ab Mai 2012 auf und forderte Kindergeld für die Monate Mai 2012 bis Juli 2012 zurück. Die
Entscheidung wurde damit begründet, dass X seit dem 11.04.2012 bei der leiblichen Mutter Y in den
Haushalt aufgenommen wurde und diese damit den vorrangigen Anspruch auf Kindergeld habe.
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Den Einspruch der Klägerin gegen den Rückforderungsbescheid vom 20.02.2013 wies die mit
Einspruchsentscheidung vom 04.04.2013 als unbegründet zurück.
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Mit der Klage trägt die Klägerin vor, dass das Kindergeld für die Monate Mai 2012 bis Juli 2012 an X
weitergeleitet worden sei. Sie verweist auf die Weiterleitungserklärung vom 03.05.2013. Hierin bestätigt die
leibliche Mutter Y, M, F-Strasse …, dass durch die Auszahlung des Kindergelds für die Monate Mai 2012 bis
Juli 2012 an X, Y ihren Anspruch auf Kindergeld für diesen Zeitraum als erfüllt ansieht und daher auf die
Auszahlung von Kindergeld verzichtet.
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Der Vertreter der Klägerin beantragt, den Rückforderungsbescheid vom 20.02.2013 und die hierzu
ergangene Einspruchsentscheidung vom 04.04.2013 ersatzlos aufzuheben.
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Die beantragt Klageabweisung.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
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X könne bei der Klägerin nicht als Kind berücksichtigt werden, da die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1
Satz 1 EStG nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei weder die leibliche Mutter von X, noch habe sie diese
adoptiert. Als Kind des Ehegatten sei X nur berücksichtigungsfähig, wenn es in den Haushalt der Klägerin
aufgenommen sei und dort persönlich versorgt und betreut werde. X habe seit dem 11.04.2012 den
Haushalt der Klägerin aber verlassen. Damit bestehe für die Klägerin kein Anspruch auf Kindergeld.
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Die Voraussetzungen eines Verzichts der Behörde auf den bestehenden Erstattungsanspruch aufgrund
einer verwaltungsinternen Billigkeitsregelung liegen nicht vor. Der vorrangige Elternteil Y, die leibliche
Mutter von X, habe für den Streitzeitraum keinen Anspruch mehr auf Kindergeld, da dieser mit
bestandskräftigen Bescheid vom 20.02.2013 abgelehnt worden sei. Damit könne auch eine möglicherweise
erfolgte Weiterleitung nicht anerkannt werden. Zudem liege keine Bestätigung des eigentlich berechtigten
Elternteils vor, das Kindergeld erhalten zu haben. Eine Weiterleitung an das Kind reiche für einen Verzicht
nicht aus. Hinsichtlich der Weiterleitungserklärung vom 03.05.2013 bestünden schließlich auch Bedenken
wegen des Inhalts und der Unterschriftleistung.
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Im Klageverfahren wurde ein weiteres Schreiben vorgelegt, in dem die Unterzeichnerin mitteilt, dass das
Kindergeld für X an die Klägerin ausbezahlt wurde, und der Anspruch auf Kindergeld als erfüllt angesehen
wird. Das Schreiben trägt keine Absenderangabe, die Unterschrift ist nicht lesbar.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die dem Gericht vorliegenden
Akten verwiesen.
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Dem Gericht liegt die von der Familienkasse überlassene Kindergeldakte der Klägerin und der leiblichen
Mutter Y vor.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Klagegegenstand ist allein der Rückforderungsbescheid, nicht hingegen der Aufhebungsbescheid.
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Die Klägerin hat das Kindergeld ohne rechtlichen Grund erhalten, da die Kindergeldfestsetzungen für die
streitbefangenen Monate gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben wurden. Ist das Kindergeld ohne
Rechtsgrund gezahlt worden oder fällt der Rechtsgrund weg, so ist es gemäß § 37 Abs. 2 AO zu erstatten.
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Gegen den Rückforderungsanspruch kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, das Kindergeld an die
vorrangig Berechtigte weitergeleitet zu haben.
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1. Die Rückforderung des Kindergeldes vom nachrangig Berechtigten wird nicht dadurch von Gesetzes
wegen ausgeschlossen, dass dieser das Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet hat (BFHBeschluss vom 12.08.2010 III B 94/09, BFH/NV 2010, 2062). Es ist höchstrichterlich geklärt, dass sich der
Erstattungsschuldner gegenüber dem Rückforderungsanspruch der nicht darauf berufen kann, er habe das
Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet. Denn eine Weiterleitung schließt die
Rückforderung nicht von Gesetzes wegen aus (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom
12.08.2010 III B 94/09, BFH/NV 2010, 2062; BFH-Urteile vom 14.05.2002 VIII R 64/00, BFH/NV 2002,
1425; vom 16.03.2004 VIII R 48/03, BFH/NV 2004, 1218). Zwar kann die Weiterleitung von der aus
Vereinfachungsgründen als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege
berücksichtigt werden, soweit der vorrangig Berechtigte erklärt, dass er seinen Anspruch auf Auszahlung
von Kindergeld als erfüllt anerkennt. So ist nach DA-FamEStG Abschnitt 64.4. Abs. 3 Satz 6
(Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs -DA-FamEStG- i.d.F.
vom 11.07.2013, BStBl I 2013, 882) der Erstattungsanspruch der aus Billigkeitsgründen erfüllt für Monate,
für die dem Erstattungsschuldner die Weiterleitung des Kindergeldes durch den vorrangig/alleinig
Berechtigten bestätigt wurde. Der allein/vorrangig Berechtigte bestätigt auf diesem Vordruck, dass sein
voraussichtlicher Auszahlungsanspruch (§ 37 Abs. 1 AO) für die genannten Monate erfüllt ist. Die hat zu
prüfen, ob die vom allein/vorrangig Berechtigten benannte Person der bisher/nachrangig Berechtigte ist und
für welche Monate eine Weiterleitung bestätigt wurde (Abschnitt 64.4. Abs. 3 Satz 2 und 3 DA-FamEStG
2013 vom 11.07.2013, BStBl I 2013, 882).
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2. Steuergerichte, die nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes nur an Gesetz und Recht gebundenen sind,
können die Finanzbehörden nicht zwingen, etwaige durch allgemeine Verwaltungsanweisungen
angeordnete Vereinfachungsregelungen auch auf einen Fall anzuwenden, der nach deren Auffassung nicht
von der Verwaltungsanweisung gedeckt ist. Denn solche nicht im Gesetz selbst angeordneten
Vereinfachungsregeln --wie das sog. Weiterleitungsverfahren-- sind so auszulegen, wie sie die Verwaltung
verstanden wissen will (BFH-Urteil vom 22.09.2011 III R 82/08, BFHE 235, 336, BStBl II 2012, 734; BFHBeschlüsse vom 13.06.2012 III B 60/11, BFH/NV 2013, 517; vom 12.08.2010 III B 94/09, BFH/NV 2010,
2062). Der Senat schließt sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung an.
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3. Im Streitfall hat die Klägerin nicht die Voraussetzungen gemäß der Dienstanweisung zur Durchführung
des steuerlichen Familienleistungsausgleichs für die Weiterleitung des Kindergelds an die vorrangig
Berechtigte erfüllt. Zwar bestätigt Y in der vorgelegten Weiterleitungserklärung vom 03.05.2013, dass durch
die Auszahlung des Kindergelds für die Monate Mai 2012 bis Juli 2012 an die Klägerin, Y ihren Anspruch
auf Kindergeld für diesen Zeitraum als erfüllt ansieht und daher auf die Auszahlung von Kindergeld
verzichtet.
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Der BFH hat mehrfach entschieden, dass es sich bei der Festsetzung des Kindergeldes zu Gunsten des
nachrangig Berechtigten und dem sich nach Aufhebung der Festsetzung ergebenden Erstattungsanspruch
(§ 37 Abs. 2 AO) einerseits und der Festsetzung des Kindergeldes für den vorrangig Berechtigten und dem
daraus resultierenden Auszahlungsanspruch (§ 37 Abs. 1 AO) andererseits um eigenständige, gesetzlich
nicht miteinander verbundene Steuerschuldverhältnisse handelt(vgl.BFH-Beschluss vom 13.06.2012 III B
60/11, BFH/NV 2013, 517 m.w.N.). Im Streitfall steht jedoch fest, dass Y keinen Auszahlungsanspruch hat,
denn ihren Antrag auf Kindergeld für X vom 09.08.2012 hat die Familienkasse wegen fehlender Mitwirkung
mit bestandskräftigen Bescheid vom 20.02.2013 abgelehnt. Wenn – wie im Streitfall – beim vorrangig bzw.
allein Kindergeldberechtigten kein Auszahlungsanspruch auf Kindergeld wegen eines bestandskräftigen
Ablehnungsbescheides besteht, kann der nachrangig Berechtigte dem Erstattungsanspruch der nicht
erfolgreich eine Weiterleitungserklärung der vorrangig bzw. allein Kindergeldberechtigten entgegensetzen.
Abschnitt 64.4. Abs. 3 Satz 2 DA-FamEStG setzt voraus, dass beim vorrangig bzw. allein
Kindergeldberechtigten eine Kindergeldfestsetzung erfolgt ist oder noch erfolgen kann. Eine
Billigkeitsregelung für den Erstattungsanspruch kann nur in Abhängigkeit vom Festsetzungsverfahren
ergehen. Der Senat kann hierbei dahingestellt bleiben lassen, ob eine Weiterleitung des Kindergelds von
der nachrangig Berechtigten an die vorrangig Berechtigte bescheinigt werden muss oder ob es auch
ausreichend ist, ob die Weiterleitung mit Zustimmung der vorrangig Berechtigten in Erfüllung der
Unterhaltspflicht direkt an das Kind erfolgt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.