Diplomarbeit 1 Überarbeitung

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Diplomarbeit 1 Überarbeitung
Helmut Opitz
Obergassolding 14
A-4342 Baumgartenberg
Genossenschaften und Caritas
Geschichtlicher Werdegang
Solidarisch – soziales Handeln
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister der Theologie
an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz
eingereicht bei:
Dir. Prof. DDr. Markus Lehner
Institut für Caritaswissenschaft
Linz 2009
2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
4
Einleitung
7
1 Genossenschaftsidee und Caritas - Gründer und
Gründungsmotivation
9
1.1 Politisches, wirtschaftliches und soziales Umfeld
9
1.2 Die Genossenschaftsidee bei Friedrich Wilhelm Raiffeisen
1.2.1 Seine Biographie
1.2.2 Seine Gründungsmotivation
1.2.3 Die Genossenschaftsidee in Österreich und in Oberösterreich
1.2.4 Die Rolle der Kirche bei der Gründung und Führung (Leitung)
der ersten Genossenschaften
1.2.5 Exkurs: Hermann Schulze-Delitzsch
1.3 Die Entwicklung der Caritas
1.3.1 Die Caritas als kirchliche Grundfunktion
1.3.2 Die Caritas in Deutschland bis 1945
1.3.3 Die Caritas in Österreich bis 1945
12
12
13
18
22
26
28
28
29
34
2 Die Entwicklung des Raiffeisensektors und der
Caritas in Oberösterreich nach 1945
42
2.1 Die Entwicklung des Raiffeisensektors in Oberösterreich
nach 1945
42
2.1.1 Die Entwicklung der Raiffeisenkassen in Oberösterreich
nach 1945
45
2.2 Die Entwicklung der Caritas in Oberösterreich nach 1945
50
2.3 Die Raiffeisenkassen und die Caritas in Oberösterreich
nach 1945 – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
59
3 Der Begriff der Solidarität
62
3.1 Etymologie des Begriffes der Solidarität
62
3.2 Empirische Studien zur Solidaritätsbereitschaft
63
63
3.2.1 Solidarität in der deutschen Schell – Studie 2006
3.2.2 Solidarität in der österreichischen
Jugend – Werte – Studie 2006/07
64
3
3.3 Sozialwissenschaftliche Definitionen von Solidarität
66
3.4 Theologische Definitionen von Solidarität
68
4 Solidarisches Handeln von Raiffeisenkassen und
Caritas in Oberösterreich
75
4.1 Solidarisches Handeln der Raiffeisenkassen in
Oberösterreich
4.1.1 Ableitung solidarischen Handelns aus Satzungsbestimmungen
4.1.2 Ableitung solidarischen Handelns aus freiwilligen, solidarischen
Zusammenschlüssen
4.2 Solidarisches Handeln der Caritas in Oberösterreich
4.2.1 Bereich: Caritas für Menschen in Not
4.2.2 Bereich: Caritas für Betreuung und Pflege
4.2.3 Bereich: Caritas für Kinder und Jugendliche
4.2.4 Bereich: Caritas für Menschen mit Behinderung
4.2.5 Solidarisches Handeln von Raiffeisenkassen und Caritas in
Oberösterreich – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
75
75
78
81
82
85
87
89
91
5 Resümee und Perspektiven
93
5.1 Zusammenfassendes Resümee
93
5.2 Weiterführende Perspektiven
94
6 Literaturverzeichnis
99
Abkürzungsverzeichnis
103
Lebenslauf
104
4
Vorwort
Meine beruflichen Tätigkeiten haben mich mehr oder weniger durch alle
gesellschaftlichen Bereiche geführt und dazu beigetragen, dass ich die Stimmungen, die
Gefühle und die Lebensumstände dieser Bereiche aus eigenem Erfahren kennen und
verstehen lernen durfte.
Die rund vier Jahre als Tischlerlehrling und Tischlergeselle ließen mich die Berufs- und
Lebenswelt des (damals noch goldenen?) Handwerkes mit seinen noch sehr einfachen,
weil meist händischen (es war eben noch Handwerk) Produktionsmethoden, kennen
lernen. Der Erfahrungswert, das geschaffene Möbelstück nach dessen Fertigstellung
sehen, greifen und vor allem „begreifen“ zu können, erfüllte mit Stolz und
Befriedigung. Allerdings, die im damaligen handwerklichen Bereich vorhandenen
Aufstiegschancen deckten sich nicht mit meinen Vorstellungen.
Es war daher fast logisch, dass ich das Angebot der damaligen Post- und
Telegraphendirektion für Oberösterreich und Salzburg (mit Sitz in Linz), die
Ausbildung vom Hilfsdienst über Zustelldienst zum Postamtsleiter zur späteren Leitung
des Postamtes meines Heimatortes zu absolvieren, nach nur kurzer Überlegungsdauer
angenommen habe.
Dazu kam es aber nicht. Die Postamtsleitung wurde einem Kollegen zugesprochen, der
einige Dienstjahre mehr und offensichtlich die genehmere politische Einstellung
vorzuweisen hatte. Dieser Umstand verstärkte meine sich langsam herausbildende
Meinung, dass ein beruflicher Aufstieg im damaligen Vertragsbediensteten- und
Beamtenbereich weniger mit Leistung und Können, den mit opportunistischem
Verhalten zu tun habe. Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Eigenkündigung
nach ca. fünf Jahren Postdienst (einschließlich ordentlicher Präsenzdienst)
– auch
deshalb, weil sich in meinem Heimatort ein neues Betätigungsfeld auftat.
Ich wechselte in die damalige Raiffeisenkasse Baumgartenberg (heute Bankstelle der
Raiffeisenbank Perg), die, erst vor wenigen Jahren auf Tagesverkehr umgestellt und als
5
kleine Einmann/Frau - Kasse interimistisch geführt (mehrere Wechsel von auswärtigen
Kräften), nach Kontinuität durch eine einheimische Person strebte.
Dieses neue Betätigungsfeld bot mir die Chance, im Rahmen der gesetzlichen und
sektoralen Rahmenbedingungen, eigenes Engagement und eigene Ideen einzubringen
und umzusetzen. Vor allem aber hatte ich die Möglichkeit, im Rahmen von öffentlichen
Investitionsförderungen, im Besonderen mit dem Schwerpunkt Wohnbau, vielen
Menschen (Familien) zu einem leistbaren Dach über dem Kopf zu verhelfen. Nach 37
Jahren Tätigkeit als Bankverantwortlicher erfüllt es mich auch im Ruhestand noch mit
Genugtuung, dass von ca. 300 Wohnbaufinanzierungen nur einige Wenige finanzielle
Probleme bekamen und dies deshalb, weil sie durch überhöhte und unnotwendige
Konsumausgaben
ihre
wirtschaftlichen
Lebensbedingungen
entsprechend
einschränkten.
Gerade diese wenigen, aber schwierigen Fälle, lösten bei mir einen Nachdenkprozess
aus, der sich im Rahmen des sich dem Ende zuneigenden Theologiestudiums noch
verstärkte. Im Besonderen waren es Vorlesungen und die sich daraus ergebende
Beschäftigung mit sozialen Themenstellungen aus dem Fachbereich der PraktischTheologischen Fächer wie: „Christliche Gesellschaftslehre“ oder „Soziale Arbeit der
Kirche“ u.a., in denen der Stellenwert der Caritas im pastoralen Handeln der Kirche
entsprechend thematisiert und (biblisch) begründet wurde.
Aus meinem stark öffentlichkeitsbetonten beruflichen Umfeld, den daraus gewonnenen
Erfahrungen, aber auch aus meinen pfarrlichen Interessen heraus empfand ich es und
empfinde ich es immer noch als bedrückend, wie sowohl die Raiffeisen-Bankengruppe,
als auch die Caritas trotz ihres positiven Wirkens, in einem (vermutlich) gar nicht so
kleinen Teil der Bevölkerung gesehen werden. Gängige Aussagen wie:
„Raiffeisen würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das heutige Handeln der vom ihm
gegründeten Genossenschaften sehen würde“,
6
oder:
„Caritas ist ein Geldsammelverein wie viele andere auch“,
deuten darauf hin, dass beide Organisationen in ihrer Informations- und Imagepolitik
Verbesserungen überlegen sollten. Sie haben mich aber auch bewogen, mich in meiner
Diplomarbeit mit beiden Organisationen näher zu befassen, Gemeinsamkeiten und
Unterscheidungen darzustellen und auf mögliche neue Betätigungsfelder und
Kooperationen hinzuweisen.
An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei meinem Diplomarbeitsbetreuer,
Herrn Dir. Prof. DDr. Markus Lehner, für seine Unterstützung und Hilfestellung,
bedanken.
Ein weiterer Dank gilt Herrn Univ.-Ass. Dipl. Theol. M.A. Dr. theol. Ansgar Kreutzer
von der Katholisch Theologischen Privat Universität Linz und Herrn Dir.-Stv. Dr. Josef
Weissenböck vom Raiffeisenverband Oberösterreich sowie allen, die mich in der Zeit
meines Studiums und bei der Abfassung der Diplomarbeit begleitet haben.
7
Einleitung
Um dem obigen Anliegen gerecht werden zu können, ist es mir wichtig, die Genesis
beider Organisationen zu beleuchten. Nur wenn Entwicklungsgeschichte und
Gründungsmotivation bekannt sind, wird heutiges Handeln verständlich und begreifbar.
Im ersten Kapitel werden sowohl das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Umfeld
der
Genossenschaftsgründungen
sowie
die
Biographie
und
die
Gründungsmotivation des Genossenschaftspioniers Friedrich Wilhelm Raiffeisen
dargestellt. Darauf folgt die Beleuchtung der Verwirklichung der Genossenschaftsidee
in Österreich und in Oberösterreich und die Darstellung der Rolle der Kirche, sowohl
bei der Gründung, als auch bei der Führung der ersten Genossenschaften.
Ein Seitenblick zu einem weiteren bedeutenden Entwickler der Genossenschaftsidee, zu
Hermann Schulze-Delitzsch, ergänzt den Raiffeisen-Schwerpunkt.
Dem folgt die Entwicklung der Caritas als Spurensuche nach ihrer biblischen und
frühchristlichen Grundlegung, ihrer kirchlichen Grundfunktion und ihrer Entwicklung
in Deutschland und in Österreich bis 1945.
Das zweite Kapitel konzentriert sich auf den Neuaufbau und die Entwicklung beider
Organisationen nach 1945 – im Besonderen auf die Bewältigung und Bereinigung der
durch die NS-Herrschaft entstandenen Probleme und in der weiteren Folge auf die
Entwicklung im Zuge wirtschaftlicher Stabilisierung und zunehmenden Wohlstandes,
wobei am Schluss des Kapitels Gemeinsamkeiten und Unterschiede dargelegt werden.
Den Schwerpunkt des dritten Kapitels bildet der Begriff der Solidarität an Hand von
zwei aktuellen empirischen Studien, der deutschen Schell-Studie 2006 und der
österreichischen Jugend-Werte-Studie 2006/07.
Beiden Untersuchungen folgt eine
Spurensuche des Begriffes sowohl aus sozialwissenschaftlicher, als auch aus
theologischer Sichtweise.
8
Das vierte Kapitel beleuchtet das solidarische Handeln der Raiffeisenkassen und der
Caritas in Oberösterreich, wobei bei den Raiffeisenkassen auf entsprechende
Satzungsbestimmungen, aber auch auf freiwillige solidarische Zusammenschlüsse,
eingegangen wird. Im Bereich der Caritasarbeit werden vier große Bereiche vorgestellt,
in denen die Caritas Oberösterreich derzeit tätig ist.
Das Kapitel wird wiederum mit einem Verweis auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede
abgeschlossen.
Im fünften Kapitel (Schlusskapitel) erfolgt eine kurze Zusammenfassung und der
Versuch, weiterführende Perspektiven aufzuzeigen. Für den Bereich der Caritas kommt
hier auch Ernst Bräuer, der derzeitige geistliche Rektor der Caritas Oberösterreich
aufgrund eines Interviews, das vom Verfasser im November 2008 geführt wurde, zu
Wort.
9
1
Genossenschaftsidee und
Gründungsmotivation
Caritas
–
Gründer
und
1.1 Politisches, wirtschaftliches und soziales Umfeld
Mit Beginn des neuzeitlichen Denkens ab dem 15. Jahrhundert, im Besonderen aber
auch im Zuge der Aufklärung (16. bis 18. Jahrhundert) verlor die Herrschaftsverfassung
des Mittelalters allmählich ihre geistige Basis. Die bis ins 15. Jahrhundert hinein alleine
gültige Grundherrschaft als anerkannte Form europäischer und damit auch deutscher
und österreichischer Agrarverfassung wurde durch eine so genannte Gutsherrschaft
bzw. Rentherrschaft (Reste der alten Grundherrschaft) abgelöst. Beide (neuen) Begriffe
waren durch eine besondere Betonung des Obrigkeitsverhältnisses und der Betrachtung
des Bauern als „Unfreien“ gekennzeichnet.1
Zwar traten unter Kaiserin Maria Theresia und deren „Robotpatente“ Erleichterungen
ein, die aber noch keine grundsätzliche Änderung der bestehenden Agrarverfassung
bedeuteten. Erst durch die „Leibeigenschaftsaufhebungspatente“ 1781 unter Josef II.
wurde die Erbuntertänigkeit aufgelöst. Die Guts- bzw. Grundherrschaft blieb zwar
weiterhin bestehen, wandelte sich aber zu einer Verwaltungs- und Gerichtsbehörde, in
welcher der Grundherr die Funktion einer Art heutigen Bezirkshauptmannes und
Bezirksrichters wahrnahm und sozial- und wirtschaftspolitische Agenden geeigneten
Verwaltungsbeamten übertrug.2
Von
den
Regierenden
wurde
die
Notwendigkeit
weiterer
Veränderungen
(Modernisierungen) der Agrarverfassung sehr wohl erkannt, aber aus Angst vor
Unruhen und der Provozierung revolutionärer Stimmungen nicht in Angriff genommen:
Zitat Kaiser Franz Josef dazu:
„die Angelegenheit sei glühendes Eisen, man könne sie nicht anfassen, ohne
Blasen zu bekommen…“).3
1
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial - u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 1.
2
Vgl., ebd., 2.
3
Ebd., 3, zit. n. Müller, Paul, Österreich seit 1848, in: Mayer, H. (Hg.), Österreichische
Wirtschaftsentwicklung 1848 – 1948, Wien 1949, 2.
10
Dieser Umstand war die Ursache dafür, dass
zwischen 1781 und 1848 in der
Weiterentwicklung der Freiheit der Bauern kaum Fortschritte erreicht wurden.
Erst die in ihren Anfängen stark von den Freiheitsbestrebungen der Bauern getragene
bürgerliche Revolution von 1848, durch die eine Änderung des gesamten
Regierungssystems erzwungen wurde, brach in radikaler und umstürzender Weise in die
bestehenden, alt überlieferten Ordnungen ein mit dem Ziel einer endgültigen Befreiung
des Bauerstandes und der Beseitigung aller, den Grundverkehr hemmenden
Einschränkungen und Lasten.4
Die durch die Revolution und in deren Erbe durch den Neoabsolutismus geschaffene
neue Situation, brachte in relativ kurzer Zeit dem Agrarsektor bürgerliche Freiheit,
Gleichheit und wirtschaftlichen und bürgerlichen Liberalismus. Dies aber um den Preis
der Aufhebung des alten Bauernschutzes, ohne für neue notwendige Bindungen und
Schutzmechanismen zu sorgen. Der neue „freie Bauer“ war Wucher, Bodenspekulation
und freien Marktkräften schutzlos ausgeliefert. Alle diese Umstände waren Ursache der
Agrarkrise des 19. Jahrhunderts.5
Als eine der wesentlichen Maßnahmen, diese Situation zu verbessern, ist im
kaiserlichen
Patent
vom
7.
September
1848
über
die
Aufhebung
des
Untertänigkeitsverbandes und die Entlastung des bäuerlichen Besitzes, zu sehen. Als die
wesentlichsten und nachhaltigsten Folgen dieser Entscheidungen sind
-
die Abschaffung der Juristiktions- und Verwaltungsrechte der Grundherren,
-
die Umwandlung der bisherigen bäuerlichen Besitzrechte (Erbrecht, Leibrente)
in freies Eigentum und
4
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial - u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 3-4.
5
Vgl., ebd., 4.
11
-
die Beseitigung der auf den bäuerlichen Besitzungen lastenden (Geld-, Natural-,
Dienst-) Pflichtigkeiten
zu nennen.6
Mit dieser Grundentlastung waren sowohl die rechtlichen als auch die gesellschaftlichen
Unterschiede zwischen den Grundherren und den Bauern aufgehoben. Die früheren
Unterschiede zwischen Herr und Untertan wurden von der staatsbürgerlichen Gleichheit
aller Grundbesitzer abgelöst.
Allerdings war damit der nunmehr freie Bauer in eine liberalisierte, freie
Wirtschaftsordnung gestellt, der er fürs erste aufgrund seiner Jahrhunderte langen
Abhängigkeit nicht gewachsen war und die er als völligen Bruch zu seiner bisherigen
Entwicklung empfinden musste (Handel und Gewerbe waren durch schon wesentlich
früher
einsetzende
genossenschaftliche
Zusammenschlüsse
zu
wirtschaftlicher
Selbstverantwortung erzogen worden). Leistete er früher seine Verpflichtungen
gegenüber Volk und Staat überwiegend in Naturalien, so musste er nunmehr durch
Verkauf seiner Produkte am freien Markt jenes Geld verdienen, das er zum
Lebensunterhalt seiner Familie, zur Beschaffung der Produktionsmittel (Bauten, Geräte,
Viehbestand u.ä.) und für die anfallenden Steuern und Abgaben, benötigte. Ebenso
musste er jetzt selbst (bisher war das Aufgabe der Grundherren) Vorsorge für Notzeiten
und Unglücksfälle treffen und die Eingliederung seines Bauernbetriebes in die
kapitalistische Geldwirtschaft vollziehen. Alle diese neuen Gegebenheiten erforderten
einen nicht gewohnten und nicht vorhandenen Kapitalbedarf, der daher nur mit
Fremdkapital abgedeckt werden konnte. Dazu kam, dass in dieser Umbruchszeit
berufsständische und genossenschaftliche Zusammenschlüsse noch weit entfernt waren
und die landwirtschaftliche Berufsbildung noch in den Kinderschuhen steckte.
Der Bauer dieser Zeit hatte seine Abhängigkeit vom Grundherrn mit einer neuen
Unfreiheit in wirtschaftlicher Beziehung, nämlich mit einer Abhängigkeit vom
6
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial - u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 8-10.
12
(privaten) Geldgeber und Gläubiger vertauscht. Er war weit davon entfernt, sich als
Unternehmer zu fühlen und als solcher zu handeln.7
In etwa der gleichen Zeitperiode entwickelte sich der Freiheitskampf des Sozialismus,
um die Emanzipation des Proletariates voranzutreiben und die immer weiter um sich
greifende soziale Not zu überwinden.8
Dieser Notsituation stand auch die Kirche mehr oder weniger ratlos gegenüber. Sie sah
die Problemlösung nicht in der Schaffung einer freiheitlichen Ordnung, sondern in einer
Restauration der alten feudalen Gesellschaftsverfassung, die durch die Französische
Revolution verloren gegangen war.9
Auf diesem Hintergrund ist das Wirken und Handeln Friedrich Wilhelm Raiffeisens,
als auch jenes der christlichen Wohlfahrtseinrichtungen (später Caritas), zu sehen und
zu verstehen.
1.2 Die Genossenschaftsidee bei Friedrich Wilhelm Raiffeisen
1.2.1 Seine Biographie
Um die Charaktereigenschaften und die sich daraus ableitenden Handlungsweisen eines
Menschen zu verstehen, ist es notwendig, dessen Lebensgeschichte zu kennen. Aus
diesem Grund und im Rahmen der Beschäftigung mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen
sollen nachstehend die wichtigsten Stationen seines Lebens dargestellt werden.
7
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial - u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 13-15.
8
Brüls, Karl-Heinz, Die Katholiken und die Sozialgesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: Mockenhaupt,
Hubert (Hg.), Gesellschaftspolitische Impulse. Das soziale Seminar. Beiträge zu den Fragen der Zeit,
Trier 1989, 49.
9
Vgl., ebd., 49.
13
Friedrich Wilhelm Raiffeisen wird 1818 in Hamm an der Sieg (heutige Bundesrepublik
Deutschland) als siebtes von neun Kindern des Ehepaares Raiffeisen geboren.10
Er strebt eine Offizierslaufbahn an und leistet von 1835 bis 1843 Militärdienst. Seine
Entlassung erfolgt aus gesundheitlichen Gründen (schweres Augenleiden).11
1845 wird Raiffeisen zum Amtsbürgermeister der „Samtgemeinde Weyerbusch“, der
zweiundzwanzig kleinere Dorfgemeinden angehören, ernannt. Im gleichen Jahr ehelicht
er seine Frau Emilie Storck aus Remagen am Rhein. Der Ehe entstammen sieben
Kinder. Hier gründet er den „Weyerbuscher Brodverein“.12
1848 wird Raiffeisen als Bürgermeister nach Flammersfeld versetzt und gründet dort
den „Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“.13
1852 erfolgt die Versetzung als Bürgermeister nach Heddesdorf bei Neuwied am Rhein.
Dort kommt es zu weiteren Vereinsgründungen, dem „Wohltätigkeitsverein für den
Verwaltungsbezirk Heddesdorf“ und dem „Darlehenskassenverein“ für das „Kirchspiel“
Anhausen.14
1865 erfolgt (wegen seines Augenleidens) die Versetzung in den Ruhestand.15
1888 stirbt Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Neuwied am Rhein.16
1.2.2 Seine Gründungsmotivation
Wenn auch nicht anzunehmen ist, dass das unter 1.1 geschilderte Umfeld dem jungen
Raiffeisen in seiner Differenziertheit und seiner Komplexität schon bekannt war, so war
er doch in jungen Jahren sehr handfest mit dessen Auswirkungen auf die
10
Vgl., Braumann, Franz, Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Eine Idee erobert die Welt, Salzburg 1985, 94.
Vgl., ebd., 94.
12
Vgl., ebd., 94.
13
Vgl., ebd., 94.
14
Vgl., ebd., 95.
15
Vgl., ebd., 95.
16
Vgl., ebd., 96.
11
14
Lebenssituation der damaligen (meist bäuerlichen) Landbevölkerung konfrontiert. Dies
führt uns sehr eindrucksvoll Franz Braumann in seinem, im Verlag „Das BerglandBuch“ erschienen Werk, „Friedrich Wilhelm Raiffeisen – eine Idee erobert die Welt“,
vor. Hier erfahren wir Erinnerungen des 27-jährigen Raiffeisen anlässlich seines ersten
Amtsantrittes als Bürgermeister in der Samtgemeinde17 Weyerbusch im Westerwald an
eine Begebenheit, die dieser als etwa 14-jähriger erlebt hat und die ich in einer
zusammenfassenden Kurzschilderung wiedergeben möchte:
Dieser Begebenheit zufolge war Raiffeisen einer der wenigen in Hamm an der Sieg, der
des Lesens, Schreibens und Rechnens kundig war. Also bittet ihn ein Bauer (Hansen),
die Zinsrechnung eines Geldverleihers (Berger) zu überprüfen. Sehr schnell erkennt
Raiffeisen, dass entgegen der vereinbarten vierteljährlichen, eine monatliche (und damit
wesentlich höhere) Verrechnung zur Anwendung kam. Der Geldverleiher wird zur Rede
gestellt, gibt sich vorerst entrüstet und versetzt Raiffeisen eine Ohrfeige, muss letztlich
aber seinen „Irrtum“ einbekennen und die Zinsrechnung korrigieren.18
Wenn uns heute die Psychologie darauf hinweist, dass einschneidende Kindheits- und
Jugenderlebnisse prägend für das spätere Leben sind, dann war diese Begebenheit
wahrscheinlich eines dieser prägenden Erlebnisse für das spätere Leben und Wirken
Raiffeisens.
Seine bisherige schulische Bildung erfuhr der junge Friedrich Wilhelm in der
einklassigen Dorfschule in Hamm an der Sieg. Diese reichte aber nicht für die
Aufnahme in die Feuerwerkerschule in Köln und die damit angestrebte militärische
Berufslaufbahn. Zwischen dem vierzehnten und dem siebzehnten Lebensjahr bildete ihn
daher der mit dem Elternhaus befreundete Pastor Seippel weiter. Neben den
Unterweisungen in Deutsch, Mathematik und Geschichte verankerte Seippel sehr stark
den Gedanken der christlichen Nächstenliebe im jugendlichen Raiffeisen. Damit
17
Unter Samtgemeinde ist eine politische Gemeinde mit mehreren Kleingemeinden zu verstehen.
Vgl., Braumann, Franz, Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Eine Idee erobert die Welt, Salzburg 1985, 1013.
18
15
verstärkte er die im Elternhaus genossene christliche Vorbildwirkung und Erziehung
und brachte diese wohl auch zu einem gewissen positiven Abschluss.19
Zusammen mit dem oben geschilderten Ohrfeigenerlebnis dürfte sich schon in dieser
Zeit (zumindest gedanklich) das Engagement gegen Ungerechtigkeiten und ungerechte
Strukturen auf Basis eines zutiefst christlichen Gedankengutes herausgebildet haben.
Deutlich bringt Raiffeisen seine soziale Haltung in der Zielsetzung seiner dritten
Vereinsgründung 1854, dem
„Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein“, und seine
christliche Grundausrichtung in seinem Brief an „seine Kinder“ vom 26. Juli 1881, zum
Ausdruck:
-Die Zielsetzung des Heddesdorfer Wohltätigkeitsvereines
„Von dem Gesichtspunkt ausgehend, dass durch die Hebung der leiblichen
Wohlfahrt auch die geistige gefördert wird, hat der Verein den Zweck, für die
erstere nach Möglichkeit zu wirken und seine Wirksamkeit so weit als möglich
auszudehnen…“20
-Aus dem Brief an seine Kinder vom 26. Juli 1881
„Ich habe meine Thätigkeit gegründet auf den Ausspruch meines Herrn und
Heilandes Matth. 25;40: „Was ihr getan habt einem dieser meiner geringsten
Brüder, das habt ihr mir gethan.“ Ich habe diese Geschäfte also gleichsam für
Gott geführt und Ihm solche gerecht geführt (geführt) und dadurch Seine und
gewiß auch mancher Mitarbeiter Unterstützung erhalten“.21
Es versteht sich fast von selbst, dass diese starke christliche Komponente im Denken
F.W. Raiffeisens nicht überall ungeteilte Zustimmung fand. Darauf deutet beispielhaft
der Briefwechsel zwischen Raiffeisen und Professor Dr. Gustav Marchet (1846 bis
1916) hin, einer führenden Persönlichkeit der österreichischen Innenpolitik und
Raiffeisen-Experte in der Zeit der Genossenschaftsgründungen in Österreich um das
Jahr 1886, aber auch ein Gegner kirchlicher Bevormundung:
19
Vgl., Braumann, Franz, Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Eine Idee erobert die Welt, Salzburg 1985, 1415.
20
Ebd., 65.
21
Vgl., Koch, Walter, F.W. Raiffeisen. Briefe 1875-1883, Wien 1986, 129.
16
Raiffeisen schreibt an Marchet:
„Aber auch in sittlich religiöser Beziehung, wir mögten sogar sagen,
hauptsächlich, sind die Vereine von größter Wichtigkeit. Mit zunehmender
Verarmung, immer größer werdender Noth, wird in der Regel die Entsittlichung
in jeder Beziehung gleichen Schritt halten. Ohne materielle Hilfe wird sogar die
auf den besten Willen, auf das aufrichtige Streben sich gründende geistliche
Wirksamkeit wenig helfen; es wird ihr allein nicht gelingen, der zunehmenden
Verkommenheit kräftig genug entgegenzuwirken. Almosen oder sonstige ähnliche
Zuwendungen können dazu nicht dienen, sie werden in der Regel mehr schaden
als nützen. Die Hilfe muß sich gründen auf den Spruch: ´So Jemand nicht will
arbeiten, der soll auch nicht essen.´ Sie muß dahin gehen, die Fähigkeiten und
Kräfte der Hilfsbedürftigen möglichst zu entwickeln, und für diese zu erheblichen
erlaubtem Vermögenserwerbe zur Anwendung zu bringen, kurz in dieser Weise
die Selbsthilfe zu fördern. Dann wird die Lust zum Sparen und Arbeiten erzeugt,
dann wird das Vertrauen zu sich selbst, zu den Menschen und zu Gott gehoben
und es wird der Boden zu echt christlicher Einwirkung mehr vorbereitet werden,
als in sonstiger Weise geschehen kann. Es dürfte die Mitwirkung, nicht allein der
Herren Beamten überhaupt, sondern auch besonders der Herren Geistlichen und
Lehrer wünschenswerth sein.“22
Marchets Antwort an Raiffeisen vom 2. Juni 1873:
„Die Hauptsache der Darlehenskassen-Vereine ist nicht der Geldumlauf, sondern
die ´sittliche Einwirkung´, sagen Sie. Ich gestehe Ihnen offen, dass mir diese Seite
nicht gefällt. Ich glaube nämlich, dass es nicht ganz richtig ist. Die Hebung der
Sittlichkeit ist die Folge, nicht der Zweck.“23
Daraus geht meiner Meinung nach sehr klar hervor, dass für Raiffeisen die sittliche
Förderung
der Menschen vor deren materieller Förderung stand, dass die
Geldbeschaffung nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck (der sittlichen Förderung) der
Raiffeisen-Vereine war und die Motivation dazu aus seinem Verständnis auf Grundlage
der oben zitierten Bibelstelle zu erfolgen hatte.
Trotz, oder gerade wegen der christlichen Grundhaltung und der sich daraus ergebenden
sittlichen Zielrichtung seiner Genossenschaftsidee zeigt Raiffeisen eine sehr realistische
22
Werner, Wolfgang, Raiffeisenbriefe erzählen Genossenschaftsgeschichte. Die Frühzeit der RaiffeisenOrganisation an Hand der Briefe von Raiffeisen an Marchet (1872-1884), Wien 1988, 79-80, zit. n.
Raiffeisen F. W. : Die Darlehenskassen-Vereine…, 1. Auflage, a. a. O., 6.
23
Ebd., 80, zit. n. Nachlaß Marchet, Buch 20.
17
Einstellung zur Darlehensvergabe und zum Wert des Geldes. Sehr deutlich kommt das
in seinem Werk, „Die Darlehenskassen-Vereine“ zum Ausdruck, wo er schreibt:
„Noch viel wichtiger ist aber die sittliche Einwirkung der Vereine auf ihre
Mitglieder. Es ist gewiß zur Genüge bekannt und bedarf wohl keiner weiteren
Ausführung, dass zu leichtes Bewilligen von Darlehen in den meisten Fällen
schädlich wirkt. Dies geschieht aber, wenn man den Anträgen von nachlässigen
Haushaltern, leichtsinnigen Schuldenmachern, oder gar Spielern, Trunkenbolden
usw., bei welchen man im voraus annehmen kann, dass sie das Geld nicht gut
verwenden, willfahrt. Werden also von Personen, von welchen man nicht
überzeugt ist, dass sie, dem Vereinszwecke entsprechend, das Geld zur
Verbesserung ihrer Wirtschaft anwenden, Anträge um Bewilligung von Darlehen
gestellt, so ist es im Interesse derselben, sowie auch des Vereins aufs dringendste
geboten, solche vorab zurückzuweisen. Die Antragsteller werden aber
eindringlich zur Besserung zu ermahnen und es wird ihnen die Bewilligung nur
für den Fall der Beachtung der gegebenen Ermahnungen in Aussicht zu stellen
sein. Es wird dies in der Folge immer mehr der Fall sein, je mehr das Bestreben
in ihnen wachgerufen, erhalten und gestärkt wird, nicht allein auf die
Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch auf die moralische
Hebung der Mitglieder hinzuwirken, dadurch die Armut, welche eine Quelle aller
Laster ist, zu beseitigen und der Tugend gleichsam den Weg zu bahnen. Möglich
ist eine derartige Wirksamkeit aber nur in einem kleinen Vereinsbezirk.“24
Alleine in diesem einen Abschnitt spricht Raiffeisen nach Meinung des Verfassers vier
wesentliche, auch heute noch gültige Prämissen bei der Darlehensgewährung durch
Genossenschaftsbanken an:
-die Sorgfaltspflicht des Darlehensgebers
-die Darlehensvergabe nur für nachhaltige Investitionen (keine Konsumkredite)
-die Erziehung des Mitgliedes zum sorgsamen Umgang mit geliehenem Geld
-die Überschaubarkeit des Einzugsgebietes einer Genossenschaftsbank.
Und weiter:
„Das Geld ist eine Ware, deren Wert wie derjenige jeder anderen steigt und fällt.
Es ist nicht ratsam, selbst auch dann nicht, wenn ein bedeutendes Reservekapital
24
Vgl., Drüsedau, Arno / Kleinhans Joachim, F.W. Raiffeisen – Die Darlehenskassen-Vereine, Neuwied
am Rhein 81966, 38.
18
angesammelt worden ist, das Geld unter dem gewöhnlichen Wert bzw. Zinsfuße
auszuleihen. Ware unter dem Preis wird gewöhnlich nicht gehörig in acht
genommen. So ist es auch mit dem Gelde. Man soll deshalb den Zinsfuß niemals
unter den gangbaren Wert setzen. Eher kann später, sobald das Reservekapital
hinreichend angesammelt worden ist, die Provision ermäßigt werden. Bei
Berechnung der Provisionen und der Zinsen muß von Anfang an vor allen Dingen
auf Ansammlung und Erhaltung des Reservekapitals, des gemeinschaftlichen,
unteilbaren Vermögens, Rücksicht genommen werden, indem dieses den Vereinen
erst die feste Basis und den Halt für die Zukunft gibt.“25
Dieser, meines Erachtens ganz wesentliche Abschnitt, unterstreicht die Verpflichtung
(auch) einer Genossenschaftsbank zu marktüblicher Zinsgestaltung einerseits, und zu
entsprechender Eigenkapitalausstattung der Genossenschaft andererseits, um deren
Risikotragfähigkeit und damit den nachhaltigen Bestand zu sichern.
Auf Basis obiger Schilderungen gründet meiner Meinung nach das Wirken Friedrich
Wilhelm Raiffeisens zum einen auf seiner christlichen Grundhaltung (Bibel; Vorrang
sittlich religiöser Bildung) und zum anderen auf einer (sich daraus ergebenden)
Zielsetzung der Nachhaltigkeit wirtschaftlichen Handelns.
1.2.3 Die Genossenschaftsidee in Österreich und in Oberösterreich
Schon in den 50-ziger Jahren des 19. Jahrhunderts war das System der
Vorschusskassenvereine F.W. Raiffeisens in Österreich bekannt, ohne vorerst Fuß zu
fassen. Mit Dr. Gustav Marchet (1846 bis 1916), Professor für Rechtslehre und
Nationalökonomie
an
der
Hochschule
für
Bodenkultur,
Abgeordneter
zum
Niederösterreichischen Landtag und Minister für Kultur und Unterricht26, hatten die
Ideen Raiffeisens in österreichischen landwirtschaftlichen und politischen Kreisen zwar
Anerkennung, noch nicht aber den praktischen Durchbruch geschafft (vor allem sein
Werk, „Zur Organisation des landwirtschaftlichen Kredites in Österreich“, war hier
ausschlaggebend). Erst am 1873 in Wien abgehaltenen „Agrarkongress“ wurde
einstimmig beschlossen, dass „die Kassenvereine nach dem System Raiffeisen sich
25
Vgl., Drüsedau, Arno / Kleinhans Joachim, F.W. Raiffeisen – Die Darlehenskassen-Vereine, Neuwied
am Rhein 81966, 76.
26
Vgl., Werner, Wolfgang, Raiffeisenbriefe erzählen Genossenschaftsgeschichte. Die Frühzeit der
Raiffeisen-Organisation an Hand der Briefe von Raiffeisen an Marchet (1872-1884), Wien 1988, 20-22.
19
auch für die österreichische Landbevölkerung als eine höchst nachahmenswürdige
Kreditorganisation empfehlen“. Es vergingen aber weitere zehn Jahre bis zum
„Budapester landwirtschaftlichen Kongress“ 1883, der die landwirtschaftlichen
Kreditverhältnisse diskutierte und die Erfolge der Raiffeisenkassen (in Deutschland) in
besonderer Weise hervorhob.27
Die Folge davon waren dann aufgrund privater Initiativen 1886 und 1887 die
Erstgründungen nach den Musterstatuten Raiffeisens auf damaligem österreichischem
Staatsgebiet. Die Gründungen von Rosswein bei Marburg (damals zur Steiermark
gehörend) und von Petersdorf (Mähren), beide im Jahr 1886, können daher als die
ältesten österreichischen Raiffeisen-Vorschusskassen bezeichnet werden.28
Weitere Gründungen folgten 1887 in Mühldorf bei Spitz (Wachau, Niederösterreich, sie
gilt damit als die älteste Raiffeisen-Vorschusskasse des heutigen Österreich), sowie in
Bölten (Mähren) und in Jungferndorf (Schlesien).29
Eine regelrechte Breitenbewegung entstand aber erst, als einzelne Landesverwaltungen
(Vorreiter dabei war Niederösterreich nach einem Bericht des Abgeordneten Ritter von
Mitscha) sich mit dem Thema beschäftigten. So beschloss die niederösterreichische
Landesvertretung am 21. Jänner 1887:
„die nach dem Muster der Raiffeisen`schen Vereine sich bildenden ländlichen
Kreditgenossenschaften in ihrer Einrichtung zu unterstützen“
und gleichzeitig wurde der Landesausschuss angewiesen:
„Musterstatuten, Geschäftsinstruktionen und Drucksortenformulare
entwerfen und …an die Interessenten zu verteilen“.30
27
…zu
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial – u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 34-35.
28
Vgl., ebd., 35.
29
Vgl., ebd., 35.
30
Ebd., 36, zit. n. Statistik der registrierten Creditgenossenschaften…, in: österreichische Statistik, Hrsg.
von der k.k. statistischen Centralcommission, LVII Band, 1. Heft, 1. Abteilung, Wien 1902, S III.
20
Mit ähnlichen Beschlüssen folgten die Landesverwaltungen von Oberösterreich, Tirol,
Salzburg, Steiermark, Kärnten und Vorarlberg, so dass diese öffentliche Unterstützung
und Förderung die rasche Zunahme von Genossenschaftskassen in Österreich, nach dem
System Raiffeisen, zur Folge hatte.31
Auf Oberösterreich bezogen verlief die Entwicklung ähnlich der von Niederösterreich.
Es gab zwar schon eine größere Zahl von Geldinstituten (vornehmlich Sparkassen,
Oberösterreichischer Bauernkredit und Oberösterreichischer Volkskredit) die sich mit
der Vergabe von Hypothekarkrediten beschäftigte. Für landwirtschaftliche Investitionsund Betriebsmittelkredite (so genannte Personalkredite ohne hypothekarische
Besicherung) standen aber nur 21 Vorschusskassen (meist den Sparkassen angegliedert)
zur Verfügung. Ihre Tätigkeit beschränkte sich vornehmlich auf Handel und Gewerbe.32
Mit dieser unbefriedigenden Situation in Oberösterreich befasste sich schon seit Mitte
des 19. Jahrhunderts die so genannte „K.K. Landwirtschafts-Gesellschaft“ als
bäuerliche Interessensvertretung, deren Zentralausschuss für die Generalversammlung
am 31. März 1887 folgenden Antrag formulierte:
„Der Zentralausschuss wolle die Gründung der Raiffeisen`schen Spar- und
Darlehens-Cassen in Erwägung ziehen und bei der diesjährigen
Generalversammlung beantragen, dass zur Gründung von zwei solchen Cassen
für zwei sich bewerbende Gemeinden denselben aus dem Gesellschaftsvermögen
2.000 fl als Darlehen zu 3 % bewilligt werde.“33
Mit weiterreichenden Ergänzungen wurde dieser Antrag in der Generalversammlung
angenommen.
Aufgrund dieser und ähnlicher Initiativen kamen letztlich die entscheidenden Impulse
vom oberösterreichischen Landtag, der sich seit den Landtagswahlen von 1884
31
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial – u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 36.
32
Vgl., ebd., 37.
33
Ebd., 45-46, zit. n. Sitzung des Zentralausschusses, Bericht darüber in der Landwirtschaftlichen
Zeitschrift Nr. 7 aus 1887, S 49.
21
mehrheitlich aus konservativen Abgeordneten (vornehmlich aus dem Kreis des 1871
gegründeten katholischen Volksvereines) zusammensetzte.
Sowohl Landesausschuss als auch Landtag, befassten sich über mehrere Jahre und
Sitzungsperioden hinweg mit der tristen Situation des ländlichen (bäuerlichen) Raumes.
So wurde z.B. vom Landesausschuss 1885 erhoben, dass eine wesentliche Zunahme der
exekutiven Veräußerungen von Bauerngütern von 1875 bis 1884 festzustellen sei, deren
Ursachen in der zunehmenden Verschuldung durch hohe Übergabewerte bäuerlicher
Realitäten einerseits, und durch negative Auswirkungen der überseeischen Konkurrenz
auf dem Getreidemarkt andererseits, zu suchen sei.34
Aufgrund dieses, vom Abgeordneten Huber in den Landtag eingebrachten Berichtes
fasst der Landtag mehrheitlich den Beschluss,
„dass
der
Personalkredit
der
Landwirte
Genossenschaftswesens gehoben …werde.“
auf
Grundlage
des
Und,
„dass zur Besserung der landwirtschaftlichen Creditverhältnisse die Gründung
von Raiffeisen`schen Darlehenscassen ins Auge gefasst werden möge.“35
Alle
diese
und
ähnliche
Bemühungen
führten
letztlich
dazu,
dass
der
Oberösterreichische Landtag in seiner Sitzung am 5. Oktober 1888 das vom
Landesausschuss entwickelte, so genannte „Normalstatut“, zum Beschluss erhob, per
Erlass die oberösterreichischen Gemeinden darüber informierte und zusagte, bei der
Errichtung von Darlehensvereinen einen mit der Materie vertrauten Landesbeamten auf
Landeskosten zur Gründungsversammlung zu entsenden.
Damit war der Bann gebrochen. Die geschilderte Vorgehensweise fand breites Echo
durch die Unterstützung durch die k.k. Statthalterei, das bischöfliche Ordinariat, die k.k.
Bezirkshauptmannschaften, dem Landeskulturrat und der k.k. LandwirtschaftsGesellschaft. Darüber hinaus machten die „Landwirtschaftliche Zeitschrift von und für
34
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial – u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 50-53.
35
Ebd., 54, zit. n. Bericht über die Tätigkeit des Oberösterreichischen Landtages, 7. Wahlperiode…
a.a.O. S 55.
22
Oberösterreich“ und die „Land- und Volkswirtschaftlichen Mitteilungen“ ihre Leser mit
dem Werk Raiffeisens bekannt.36
Der Erstgründung einer Raiffeisenkasse in Oberösterreich in Weißkirchen an der Traun
am 3. Februar 1889, nach dem Normalstatut, folgten im gleichen Jahr 23 weitere
Neugründungen.
„Im
Jahr
1889
begann
somit,
tatkräftig
gefördert
durch
die
autonome
Landesverwaltung, die äußerst erfolgreiche Entwicklung der oberösterreichischen
Raiffeisenkassen, welche später das Fundament des gesamten landwirtschaftlichen
Genossenschaftswesens
(Warengenossenschaften,
Verwertungsgenossenschaften)
bilden sollten.“37
1.2.4 Die Rolle der Kirche bei der Gründung und Führung (Leitung) der ersten
Genossenschaften
Der schon erwähnte Einfluss von Pastor Seippel auf den jungen Raiffeisen und später
von Pastor Müller auf den Bürgermeister Raiffeisen, hatten positive Auswirkungen auf
die Führung der neuen Vereine.38
Die grundsätzliche christliche Motivation des
Handelns F.W. Raiffeisens führte, speziell in der Anfangsphase der Gründungen, zu
verschiedenen Engagements kirchlicher Repräsentanten (Kleriker) in den neuen
Genossenschaften. Zusätzlich dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass in einer Zeit
mangelnder Bildung, diese Personen zusätzlich zu ihrer sittlichen Eignung, des
Schreibens und Rechnens kundig und somit auch von praktischem Nutzen waren.
Ein Beleg dafür ist der Schriftverkehr zwischen Raiffeisen und Marchet aus 1873, in
dem Raiffeisen die Position des „Rechners“ (heute: Geschäftsführer, Geschäftsleiter)
beschreibt:
36
Vgl., Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial – u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 61-64.
37
Vgl., ebd., 66-67.
38
Vgl., Braumann, Franz, Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Eine Idee erobert die Welt, Salzburg 1985, 1415, 57.
23
„Die Stellung des Rechners ist für das gute Bestehen des Vereines eine sehr
wichtige, eigentlich die wichtigste. …so bildet er gleichsam die Seele des
Vereines. …Die Wahl des Rechners muss also mit besonderer Vorsicht
vorgenommen werden. Es wird nöthig sein, einen Mann von zuverlässigem
Character, mit möglichster Geschäftskenntniß, welcher das allgemeine Vertrauen
genießt, und, wo möglich Vermögen besitzt, zu wählen.“39
Eine so genannte „Enquete-Kommission“ bestätigt die Arbeit der Rechner im Sinne
einer korrekten Buch- und Kassenführung und damit die Aussagen Dr. Marchets, die er
im Zusammenhang mit dem Thema des Rechners von seiner Reise zu Raiffeisen
mitbrachte:
„Es wäre eine wahre Freude zu sehen, wie die Geistlichen, Bürgermeister,
Lehrer und andere Gemeindemitglieder tätig seien.“40
Wie Markus Lehner in seinem Werk: „Caritas – Die soziale Arbeit der Kirche – Eine
Theoriegeschichte“41 schreibt, dürfte es, trotz grundsätzlich positiver Einstellung zur
Raiffeisen-Idee, immer umstritten gewesen sein, ob und in welchen Funktionen sich der
Klerus in der Führung von Genossenschaften engagieren soll. Argumentiert wurde, dass
es auf die örtlichen Verhältnisse ankomme und die bischöfliche Zustimmung
einzuholen sei. In dieser ambivalenten Haltung schwingt die (verständliche) Sorge mit,
dass für ein eventuelles Scheitern die Kirche verantwortlich gemacht werden könnte.
Die an der Front stehenden Pfarrer und Kapläne hatten allerdings weniger Bedenken.
Gerade in Österreich hat der Klerus einen überdurchschnittlich hohen Anteil am
Zustandekommen
von
neuen
Genossenschaften.
Interessant
ist
in
diesem
Zusammenhang eine Umfrage des Raiffeisenverbandes Oberösterreich die zeigt, dass
71 % der Raiffeisenkassen und 32 % der Lagerhäuser unter Mitwirkung von Pfarrern
gegründet wurden und dass bei rund einem Fünftel der befragten Genossenschaften die
39
Werner, Wolfgang, Raiffeisenbriefe erzählen Genossenschaftsgeschichte. Die Frühzeit der RaiffeisenOrganisation an Hand der Briefe von Raiffeisen an Marchet (1872-1884), Wien 1988, 66, zit. n.
Raiffeisen F. W.: Die Darlehenskassen-Vereine…, 2. Auflage, a.a.O., Seite 37.
40
Ebd., 66, zit. n. Marchet G.: Zur Organisation…, Wien 1873, Seite 14.
41
Lehner, Markus, Caritas - Die soziale Arbeit der Kirche. Eine Theoriegeschichte, Freiburg im Breisgau
1997.
24
Funktion des Obmannes und bei rund der Hälfte die Funktion des Buch- und
Kassenführers, von Pfarrern bekleidet wurde.42
Einige (belegbare) Beispiele führe ich aus eigener Recherche zur Untermauerung an:
Raiffeisenkasse Altenberg (heute Bankstelle der Raiffeisenbank Gallneukirchen)
Georg Lang, Pfarrer, Buch- und Kassenführer
(Nachweis: Kopie des Vertrages vom 1. April 1906)
Raiffeisenkasse Bad Kreuzen (heute Bankstelle der Raiffeisenbank Perg)
Josef Ertl, Pfarrer, Obmann des ersten Vorstandes
(Nachweis: Kopie des Protokolls vom 24. Februar 1893)
Raiffeisenkasse Dimbach (heute Bankstelle der Raiffeisenbank Grein)
Johann Bernecker, Pfarrer, Obmann des ersten Vorstandes
(Nachweis: Kopie des Protokolls vom 25. April 1900)
Raiffeisenkasse Ort im Innkreis (heute Bankstelle der Raiffeisenbank Innkreis Mitte)
Firmin Neudegger, Kooperator, Protokollführer der Gründungsversammlung
(Nachweis: Kopie des Protokolls der Gründungsversammlung vom 22. Mai 1893)
Raiffeisenkasse Pergkirchen (heute Zentrale der
Sitzverlegung von Pergkirchen nach Perg)
Leo Riedl, Pfarrer, Obmann des ersten Vorstandes
(Nachweis: Kopie des Protokolls vom 14. Juni 1900)
Raiffeisenbank
Perg
durch
Ein Unterstützer dieser personellen Hilfestellungen war der Breslauer Kardinal Kopp.
Er bezeichnete die Förderung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens als
Pflichtaufgabe der Seelsorger, weil dadurch neben materieller Hilfe auch Gemeinsinn,
Sparsamkeit und Schaffensfreude angeregt und dem Klerus eine gute Möglichkeit der
Einflussnahme auf die Bevölkerung geboten werde.43
In diesem Zusammenhang ist aber auch auf das päpstliche Dekret „Docente Apostolo“
von 1910 zu verweisen, in dem katholischen Geistlichen die Mitarbeit bei
42
Vgl., Lehner, Markus, Caritas - Die soziale Arbeit der Kirche. Eine Theoriegeschichte, Freiburg im
Breisgau 1997, 233.
43
Vgl., ebd., 234.
25
Raiffeisenkassen verboten, bzw. von der Erlaubnis des Heiligen Stuhles abhängig
gemacht wurde. Als Begründung wurde auf das Pauluswort:
„Kein Streiter Gottes soll sich in weltliche Geschäfte verwickeln“,
sowie auf Bestimmungen des Konzils von Trient:
„dass die Kleriker für höhere als bloß irdische Aufgaben bestimmt sind“, 44
verwiesen. Entsprechende Eingaben einzelner Genossenschaften führten dazu, dass die
Funktionstätigkeit an die Zustimmung des jeweiligen Bischofs gebunden und diese
letztlich generell erteilt wurde.45
Auch wenn sich die Kirche später im Lauf der Jahrzehnte aus der Bereitstellung
personeller Ressourcen für das Genossenschaftswesen zurückgezogen hat, ist ihre
positive Einstellung der Idee und der Anwendung gegenüber, über den agrarischen
Bereich hinaus, nach wie vor gegeben. So bezeichnete in den 1920-ziger Jahren Oswald
von Nell-Breuning die genossenschaftliche Selbsthilfe durchaus als einen Weg zur
Lösung der Wohnungsfrage. Den sozialistischen Konsumgenossenschaften gesteht er
volkserzieherisches Wirken bei der „Entproletarisierung des Proletariates im Sinne der
päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo Anno“, zu.46
Diese Schilderung zeigt aus meiner Sicht das hohe Engagement kirchlicher Amtsträger,
gerade auch in Oberösterreich, bei der Gründung und Führung genossenschaftlicher
Einrichtungen nach dem System Raiffeisen.
44
Kreinecker, Günther, Die Anfänge der Raiffeisenkassen in Oberösterreich (1889-1914). Die
wirtschaftliche Entwicklung und ihre sozioökonomische Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft, in:
Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial – u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 61982, 135, zit. n.
Deutsche landwirtschaftliche Genossenschaftspresse, Fachzeitschrift für das landwirtschaftliche
Genossenschaftswesen Nr. 9, vom 15. Mai 1911, 38. Jahrgang.
45
Vgl., ebd., 135-136.
46
Vgl., Lehner, Markus, Caritas - Die soziale Arbeit der Kirche. Eine Theoriegeschichte, Freiburg im
Breisgau 1997, 234.
26
1.2.5 Exkurs: Hermann Schulze-Delitzsch
Etwa zur gleichen Zeit wie F.W. Raiffeisen lebte und wirkte Franz Hermann Schulze
(1808 bis 1883) aus Delitzsch. Seine schulische Bildung erfuhr er in Leipzig, dem
damaligen Zentrum des deutschen Geisteslebens. Seine Studien der Jurisprudenz
absolvierte er an der Leipziger Universität und an der Friedrichs-Universität in HalleWittenberg.
Nach verschiedenen öffentlichen Tätigkeiten im Verwaltung- und Gerichtsdienst
widmete er sich der Politik. Er war unter anderem Abgeordneter des Berliner
Parlamentes und der in Frankfurt tagenden Nationalversammlung. In der Berliner
Versammlung agierte er im „Linken Zentrum“ (Vorläufer der heutigen konstitutionellen
Liberalen) und setzte sich für die parlamentarische Monarchie und das demokratische
Wahlrecht ein.
Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war er bis zu seinem Ableben dessen
Abgeordneter.
Beginn des genossenschaftlichen Engagements von Schulze-Delitzsch war wie bei
Raiffeisen das Notjahr 1846. Zusammen mit dem Pfarrer von Delitzsch, Eduard Baltzer,
gründete er ein Hilfskomitee zum Ankauf von Getreide, dessen Lagerung, die
Verarbeitung zu Mehl und die Verteilung an die Bedürftigen.
Nicht zuletzt aufgrund dieser sozialen Aktivität kam er über die Preußische
Nationalversammlung in eine „Kommission für Handel und Gewerbe unter besonderer
Berücksichtigung der Handwerkerverhältnisse“, deren Schriftführer er wurde. Über
diese und weitere ähnliche Tätigkeiten war er intensiv mit der „Sozialen Frage“
konfrontiert, die durch das „Kommunistische Manifest“ von 1848 zusätzlich an Schärfe
gewann.
Über die 1849 erfolgten Gründungen einer Kranken- und Sterbekasse und einer
Rohstoffvereinigung für Tischler und Schuhmacher folgte 1850 ein Vorschussverein
zum Zwecke der Geldverleihung zu günstigen Bedingungen, dem außer der
Handwerkerschaft auch Angestellte, Beamte und Kaufleute angehörten.
27
Im Rahmen des ersten (1858) und des zweiten (1859)Volkswirtschaftlichen Kongresses
gelang Schulze eine bedeutende Öffentlichkeitsarbeit für die Genossenschaften, indem
er breite Kreise gesellschaftlich maßgebender Gruppen dafür interessieren bzw.
überzeugen konnte. Daraus wiederum resultierte der Wunsch eines eigenständigen
Forums und einer eigenständigen Organisationszentrale, aus dem 1864 der „Allgemeine
Verband
der
auf
Selbsthilfe
beruhenden
Deutschen
Erwerbs-
und
Wirtschaftsgenossenschaften“ entstand, dessen erster Anwalt Schulze war.
Nach diesen organisatorischen Weichenstellungen widmete sich Schulze ab 1862 einem
engeren Gedankenaustausch mit F.W. Raiffeisen, der letztlich darin gipfelte, dass die
Raiffeisenschen Genossenschaften 1865 dem von ihm geführten Anwaltschaftsverband
beitraten. Beide Genossenschaftspioniere verfolgten die gleichen Ziele (Bekämpfung
der Armuts- und Notsituationen), allerdings aus verschiedenen Grundeinstellungen
heraus. Während bei Schulze „Selbsthilfe“ das Leitmotiv war, stand bei Raiffeisen
„Nächstenliebe“ im Vordergrund. Diese unterschiedliche Grundhaltung führte zu
Reibereien, die 1877 zur eigenen Verbandsgründung (und damit Herauslösung aus dem
Schulzeschen Verband) durch Raiffeisen führte.
Unbestritten und für beide Genossenschaftssysteme von wesentlicher Bedeutung waren
die Bemühungen Schulzes beim Zustandekommen der Vorläufer unseres heutigen
Genossenschaftsgesetzes aus 1873, nämlich des Preußischen Genossenschaftsgesetzes
aus 1867, das 1869 auch für den Bereich des Norddeutschen Bundes und ab 1871 für
das ganze Deutsche Reich in Kraft trat.47
47
Vgl., Klös, Peter, Der Lebensweg Hermann Schulze-Delitzschs, in: Deutscher Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch) e.V.i.L. (Hg.), Schulze-Delitzsch – ein Lebenswerk für Generationen, Wiesbaden
1987, 225-244.
28
1.3 Die Entwicklung der Caritas
1.3.1 Die Caritas als kirchliche Grundfunktion
Die Spurensuche nach der heutigen, kirchlich institutionalisierten Caritas führt
unweigerlich in die frühchristliche Zeit zurück. Ausgangspunkt
waren die
gottesdienstlichen Gemeinschaftsmähler (Herrenmähler – noch nicht Eucharistiefeier
genannt) der jungen Gemeinden, in denen zusätzlich zur eucharistischen Speise die von
den reicheren Gottesdienstteilnehmern an den Vorsteher des Herrenmahles entrichteten
freiwilligen Gemeindebeiträge, an die nicht anwesenden Bedürftigen in der Gemeinde
verteilt wurden. Diese sozial-caritative Dimension unterstreicht die Verantwortung des
Liturgievorstehers für diesen Dienst und drückt sich in der Bezeichnung als „episkopaldiakonales Doppelamt“ aus, das den jeweiligen Bischof zugleich auch als „Vater der
Armen“ definiert. Darin widerspiegelt sich die Überzeugung der frühen Kirche, dass das
Handeln an den Randgruppen (die tätige Predigt) genauso kirchenkonstituierend ist wie
die Wortverkündigung. Das kommt auch in diversen Texten der Kirchenväter zum
Ausdruck, in denen sie die Diakonie als „Dienst an Christus, der uns in den Armen
begegnet“, interpretieren (Beispiele: Gregor von Nyssa in Anlehnung an Mt 25,35-46:
„Verachte die Erniedrigten nicht, als hätten sie keine Würde: Sie haben das
Aussehen unseres Erlösers angenommen. …“,48
und Gregor von Nazianz in Anlehnung an Hos 6,6 / Mt 9,13 / Dan 3,40:
„Solange noch Zeit ist, wollen wir Christuns besuchen, Christus pflegen,
Christus speisen, Christus bekleiden, Christus aufsammeln, Christus
schätzen…“).49
Diakonie (und damit Caritas) ist also Dienst an Christus selbst, der in den Armen
hilfsbedürftig ist. Aus diesem Zusammenhang heraus hat man dieses Anliegen nicht
48
Mette, Norbert, Theologie der Caritas, zit. n. Brox, Norbert, in: Lehner, Markus / Zauner Wilhelm
(Hg.), Grundkurs Caritas, Linz 1993, 116.
49
Ebd., 116.
29
dem Zufall überlassen und noch in der apostolischen Zeit nach Apg 6,1-7 einzelne
Personen damit betraut. Hier begegnet uns die erste Ausdifferenzierung der Caritas.50
Die bis heute gültige Motivation der Caritasarbeit stellt uns der Evangelist Lukas im
Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“ (Lk 10,25-37) vor. Im Anschluss an das so
genannte Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe praktiziert der heidnische
Samariter situationsbezogene Barmherzigkeit als Ausdruck jener Gottesliebe, die Jesus
im Einheitsgebot fordert. Sowohl Helfer als auch Hilfsbedürftiger spüren, dass Gott
selbst eingreift. Die Gottesliebe als erstes Gebot behält Vorrang trotz der Betonung des
zweiten Gebotes der Nächstenliebe.51
In diesen neutestamentlichen biblischen Grundlegungen (zum Teil unter Anknüpfung an
das alte Testament) ist die Nächstenliebe (Diakonia / Caritas) als eine der vier
Grundvollzüge einer christliche Gemeinde neben Zeugnis (Martyria), Gottesdienst
(Liturgia) und Gemeinschaft (Koinonia) definiert, die sich gegenseitig zu durchdringen
und zu ergänzen haben.52
1.3.2 Die Caritas in Deutschland bis 1945
Das Problem der Armenpflege in Deutschland generell (wie in anderen christlichen
Ländern auch) war deren Zersplitterung und Unorganisiertheit und mündete um die
Wende vom 19. in das 20. Jahrhundert in entsprechende Organisations- und
Konzentrationsbemühungen. Max Brandts, Düsseldorfer Landesrat, schreibt 1891:
„Was unserer katholischen Wohltätigkeit abgeht, das sind vor allem zwei Dinge:
erstens die Publizität unserer Einrichtungen, ihre öffentliche Bekanntmachung,
die Mitteilung ihrer Aufgaben und Resultate; zweitens die organische Verbindung
derselben untereinander, ihre Organisation“.53
50
Vgl., Mette, Norbert, Theologie der Caritas, in: Lehner, Markus / Zauner Wilhelm (Hg.), Grundkurs
Caritas, Linz 1993, 117.
51
Vgl., ebd., 120.
52
Vgl., ebd., 122-123.
53
Wollasch, Hans-Josef, Lorenz Werthmann und der Deutsche Caritasverband, zit. n. Brandts, Max, in:
Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende
des 18. Jahrhunderts – Die katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 173.
30
Diesem Manko entgegen zu wirken, kam es 1895 in Freiburg unter dem dortigen
Bischofssekretär Lorenz Werthmann zur Konstituierung eines „Charitas-Comites“ mit
der Aufgabenstellung, eine Organisation der gesamten katholischen Nächstenliebe in
Deutschland zu schaffen.
Diesem wesentlichen ersten Schritt folgte 1896 der erste Caritastag in SchwäbischGmünd mit dem Aufruf zur Gründung eines „Charitas-Verbandes für das katholische
Deutschland“. Zu dieser Verbandsgründung kam es 1897 am zweiten Caritastag in Köln
mit der Aufgabenstellung der „planmäßigen Förderung der Werke der Nächstenliebe“,
unter bischöflicher Autorität,
mit Sitz in Freiburg unter dem Vorsitz von Lorenz
Werthmann und unter zunehmender Aktivierung der Laienmitarbeit.
Diese Gründung wurde zunehmend als Zeichen eines erstarkenden katholischen
Selbstbewusstseins und als Erfüllung der Forderung Papst Leos XIII., in dessen
Enzyklika „Graves de communi“ von 1901, wahrgenommen. Mit einer 1909
vorgenommenen Änderung der Schreibweise von „Charitas“ zu
„Caritas“ (vom
griechischen „charis“ – lateinisch „gratia“ zu „agape“ – lateinisch „caritas“) wird eine
Gewichtsverlagerung von bisher eher spirituellen, zu mehr aktiven handfesten sozialen
Diensten hin ausgedrückt. Werthmann
ging es dabei nicht darum, Wohltätigkeits-
Bestrebungen Anderer zu konkurrieren, sonder die „leibliche und geistige Noth des
Nächsten zu bekämpfen“.54
In den Folgejahren kam es im Zusammenhang mit dem Aufbau regionaler und lokaler
Caritasverbände (Teilorganisationen) zu Phasen von Ablehnung und Anerkennung, die
letztlich im „Anerkennungsbeschluss“ der Fuldaer Bischofskonferenz von 1916
mündete und dem „Caritasverband für das katholische Deutschland“ die entsprechende
Legitimität innerhalb des deutschen Episkopates sicherte.55
54
Vgl., Wollasch, Hans-Josef, Lorenz Werthmann und der Deutsche Caritasverband, in: Gatz, Erwin
(Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18.
Jahrhunderts – Die katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im Breisgau 1997,
173-176.
55
Vgl., ebd., 181.
31
Die größte Bewährungsprobe der beiden ersten Jahrzehnte hatte der Caritasverband im
Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 zu bestehen. Von Freiburg aus
agierte die eigens dafür eingerichtete „Kriegshilfestelle“, die über die Militärseelsorge
Frontsoldaten und Kriegsgefangene mit Nahrungsmittel, Kleidung und Lektüre
versorgte
und
einen
eigenen
Vermisstensuchdienst
organisierte.
In
der
Gefangenenfürsorge wurden Reisen von Bevollmächtigten der deutschen Bischöfe in
die Gefangenenlager nach Frankreich und Russland finanziert, um Verpflegung,
Behandlung, sanitäre Verhältnisse und religiöse Versorgung der Gefangenen zu prüfen
und gegebenenfalls Situationsverbesserungen zu erreichen.
Die caritativen Aktivitäten der kirchlichen Kriegshilfe erstreckten sich über
Sprachgrenzen, Nationen und Konfessionen hinweg und leisteten sowohl den
Gefangenen selbst als auch deren Angehörigen wertvollen Beistand.
Ein
Neustart
in
der
Weimarer
Nachkriegsrepublik
gelang
dem
Deutschen
Caritasverband 1921 auf seiner Tagung in Limburg. Zum einen war durch die
Eingliederung der bayerischen Diözesancaritasverbände (sie gingen bisher einen
eigenen Weg) „die völlige Einheitsfront der deutschen Katholiken auf caritativem
Gebiete nunmehr endgültig und vollkommen hergestellt“.56 Damit konnte sich der
Verband jetzt noch zutreffender „Deutscher Caritasverband“ (DCV) nennen.57 Zum
Anderen übernahm der Priester Benedict Kreutz nach dem verstorbenen Gründer
Lorenz Werthmann die gesamtdeutsche Präsidentschaft. Er war eine Integrationsperson
und fand als solche die Zustimmung der Fuldaer, wie auch der Freisinger
Bischofskonferenz. Sein unbefangen-offenes Wesen und sein diplomatisches Geschick
ermöglichten ihm Zugang zu höchsten politischen und staatlichen Stellen. Damit konnte
er den
DCV als sachkundigen Partner organisierter deutscher Sozialarbeit
positionieren.58
56
Vgl., Wollasch, Hans-Josef, Lorenz Werthmann und der Deutsche Caritasverband, in: Gatz, Erwin
(Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18.
Jahrhunderts – Die katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im Breisgau 1997,
184-188..
57
Die bayrischen Bischöfe haben sich dem DCV bei dessen Gründung noch nicht angeschlossen.
58
Vgl., Wollasch, Hans-Josef, Von Lorenz Werthmann zu Benedict Kreutz: Caritas in der Weimarer
Republick, in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern
seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste,
Freiburg im Breisgau 1997, 203.
32
Auf sein Drängen und unter Nutzung seiner persönlichen Verbindungen gründete sich
1924 die „Deutsche Liga der freien Wohlfahrtspflege“ als ein Forum, das eigene
Überzeugungen, Konzeptionen und Realisierungen sozialer Sicherung gegenüber dem
Staat geltend machte. Dieser Einfluss erlangte elementare Bedeutung in der
Sozialgesetzgebung für Kriegshinterbliebene und Kriegsbeschädigte, für Klein- und
Sozialrentner, für Erwerbs- und Wohnungslose und in der Gesundheitsfürsorge.59
Als
Hauptarbeitsgebiete
des
DCV
nannte
Kreutz
1924
Hausarmenpflege,
Familienfürsorge, Hilfe in der Seelsorge, Caritaspflege auf dem Lande, Kinder- und
Jugendfürsorge, Mädchenschutz, Krankenfürsorge u.v.m.60
Geprägt von Einschränkung und Zurückdrängung war für den DCV (und nicht nur für
ihn) die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges. Es lag
in der logischen Konsequenz des totalitären Staates, auch die Wohlfahrtspflege in seine
alleinige Zuständigkeit zu ziehen. Dazu wurde bereits 1933 die „Nationalsozialistische
Volkswohlfahrt“ (NSV) als eigene Reichsorganisation, „zuständig für alle Fragen der
Volkswohlfahrt und der Fürsorge“, gegründet. Während alle bisher auf diesem Gebiet
tätigen Organisationen entweder aufgelöst oder in die NSV eingegliedert wurden,
konnte der DCV seine Selbständigkeit erhalten. Seine Aktivitäten konnten aber (wie die
des Deutschen Roten Kreuzes auch) nur im Rahmen einer „Arbeitsgemeinschaft der
freien Wohlfahrtspflege Deutschlands“ unter Führung des NSV weitergeführt werden.
Während der NSV-Leiter Hilgenfeldt noch 1934 von „Selbständigkeit und
Unabhängigkeit“ für den DCV sprach, wurde dessen Stellvertreter Althaus 1935
deutlicher. Er wollte das Nebeneinander durch eine Vereinheitlichung der gesamten
Wohlfahrtsarbeit
ersetzt
wissen
mit
dem
Ziel
der
„Sicherstellung
einer
planwirtschaftlichen Gestaltung der gesamten Wohlfahrtspflege in Sinne des
59
Vgl., Wollasch, Hans-Josef, Von Lorenz Werthmann zu Benedict Kreutz: Caritas in der Weimarer
Republick, in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern
seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste,
Freiburg im Breisgau 1997, 205-206.
60
Vgl., ebd., 207.
33
nationalsozialistischen Staates“. Dazu aber leistete die Arbeitsgemeinschaft keinen
nennenswerten Beitrag, so dass sie 1940 von Hilgenfeldt wieder aufgelöst wurde.
Während die NSV unter dem internen Begriff „Volkspflege“ volkserzieherische
Aufklärungsarbeit
zu
den
NS-Themen
„Rassenhygiene“,
Erbbiologie“
und
„Bevölkerungspolitik“ auf den Gebieten der Gesundheits- und Erziehungsfürsorge mit
dem Ziel des „erbgesunden germanischen Menschen und der Heranbildung einer
völkischen Führungselite“ betrieb, sollte die kirchliche Liebestätigkeit des DCV auf die
Anstalten für Erbkranke und Behinderte eingeschränkt werden und damit den Boden für
das Vorgehen gegen psychisch Kranke bilden. Die sich auf diesem Konfliktfeld
ergebenden Auseinandersetzungen zwischen NSV und Caritas wurden seitens der
Caritas in mehreren Situationsschilderungen der Fuldaer Bischofskonferenz vorgetragen
mit dem Ziel, das amtskirchliche Gewicht in Verhandlungen mit dem Regime für die
Verteidigung des Freiraumes caritativer Arbeit, einzusetzen. Seitens des DCV wurde in
diesem Zusammenhang aber eine „schwer verstehbare Zurückhaltung“ bei einigen
Bischöfen beobachtet.61
Wie wichtig dem NS-Regime die Kinder- und Jugenderziehung war, ist am Ringen um
die Kindergärten abzulesen. Sowohl auf kommunaler, regionaler und letztlich ab 1940
auch auf Gauebene wurden Neugründungen konfessioneller Kindergärten unterbunden
und bestehende möglichst in die NSV übergeführt. Das überwiegend aus Ordensfrauen
bestehende pädagogische Fachpersonal der Caritaskindergärten wurde entweder
entlassen, oder zur Weiterarbeit unter der NSV-Trägerschaft verpflichtet.62
Ähnlich, aber aufgrund eines beharrlicheren Widerstandes der kirchlichen Träger nicht
so erfolgreich, erging es den Gemeindepflegestationen der Caritas. Auch sie wurden in
die NSV übergeführt.
Eher erfolglos war die NSV bei den von der Caritas geführten katholisch-sozialen
Ausbildungsstätten für Laien. Hier wehrte sich Dr. Kreutz erfolgreich gegen eine NSIdeologisierung.
„Der erfolgreichen Tätigkeit des Dr. Kreutz wird es zugeschrieben, dass alle
Schüler und Schülerinnen, die innerhalb des Caritasverbandes in Freiburg ihre
61
Vgl., Wollasch, Hans-Josef, Caritas im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg, in: Gatz, Erwin (Hg.),
Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
– Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im Breisgau 1997, 240-242.
62
Vgl., ebd., 242-243.
34
Ausbildung erfahren, hundertprozentig zur katholischen Anschauung stehen und
viele Aktivisten aus diesem Verband hervorgehen“63
resümiert das Geheime Staatspolizeiamt Berlin 1942.
Zusätzlich zur staatlichen Vereinnahmung caritativer Tätigkeiten kam das Verbot der
jährlichen Lebensmittelsammlungen 1935 und der jährlichen öffentlichen Haus- und
Straßensammlung 1937 (Ergebnis pro Jahr über 2 Mio RM). Damit wollte man die
Caritas von ihren Geldquellen abschneiden. Allerdings ergaben innerkirchliche
Kollekten Jahresergebnisse von ca. 8,5 Mio RM und damit das rund Vierfache der
Vorkriegsjahre – ein eindeutiges Votum des Kirchenvolkes zur Caritas und zum
christlichen Glauben, das auch vom Staatssicherheitsdienst (SD) so interpretiert
wurde.64
1.3.3 Die Caritas in Österreich bis 1945
Die soziale Not an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert führte 1900 in Österreich
zur Zusammenführung bis dahin bestehender caritativer Vereine, Stiftungen und
sonstigen, ähnlichen Einrichtungen, in eine „Zentralstelle der katholischen Vereine für
freiwillige Wohltätigkeit“. Diese Zentralstelle organisierte im Mai 1900 den ersten von
insgesamt fünf Caritaskongressen vor dem Ersten Weltkrieg und war damit Startschuss
und Motor für die Entwicklung der Caritasorganisation in Österreich. Dieser erste
Kongress befasste sich schwerpunktmäßig mit den vier Themenbereichen von
Kinderschutz und Jugendfürsorge, dem Volksbildungswesen, dem sozialen Hilfswesen
und der Armen- und Krankenfürsorge.
Ein weiteres Kongressanliegen war die Errichtung von Landeskomitees als
Kontaktstellen zu den jeweiligen zuständigen Landesbehörden, für die Gründung
notwendiger neuer, bzw. für die Reformierung bestehender Einrichtungen unter
Beachtung der vier, am Kongress festgelegte Themenbereiche.
63
Wollasch, Hans-Josef, Caritas im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg, zit. n. der Facsimile des
Schreibens des geheimen Staatspolizeiamtes Berlin 1942, in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des
kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – Die
Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im Breisgau 1997, 244.
64
Vgl., ebd., 245.
35
Unter diesen Aspekten entstanden 1901 die ersten Landeskomitees in Niederösterreich,
Oberösterreich, Steiermark, Tirol, Kärnten und Krain (damals noch zu Österreich
gehörend).65
Der zweite Österreichische Caritaskongress 1903 in Graz war geprägt von der
Gründung des „Reichsverbandes der katholischen Wohltätigkeitsorganisationen in
Österreich“ mit dem Ziel,
„bei aller Wahrung der Selbständigkeit der angeschlossenen Organisationen in
Caritasfragen von gemeinsamem Interesse einheitlich vorzugehen, den
Organisationsgedanken
zu
verbreiten
und
den
katholischen
Wohltätigkeitsbestrebungen die ihnen gebührende Stellung auch bei den
weltlichen Behörden zu sichern“.66
Der Nestor der österreichischen Caritasbewegung schlechthin, Baron Max VittinghoffSchell (gest. 1926) wurde zu dessen Präsidenten gewählt und der Herausgeber der 1901
ins Leben gerufenen Caritas-Zeitschrift „Der Barmherzige Samariter“, Robert
Perkmann, zum Generalsekretär bestellt. Über die am ersten Kongress festgelegten
Themenbereiche hinaus, wurde über die Waisenfürsorge, die Alkoholfrage, die
Fürsorge für geistig Behinderte (damals als „Schwachsinnige“ bezeichnet), dem
Mädchenschutz sowie über die Caritas am Lande, beraten.
Dieser „Reichsverband“ schloss sich 1905 als eigene Sektion der am eben erst
stattgefundenen „5. Allgemeinen Österreichischen Katholikentag“ neu gegründeten
„Nichtpolitischen Zentralorganisation der Katholiken Österreichs“ an, die sich ab 1909
„Katholischer Volksbund“ nannte. Das vom Reichsverband ab 1908 herausgegebene
„Österreichische Caritasblatt“ ging 1910 im „Volkswohl“, dem Organ des Volksbundes
auf. Das „Volkswohl“ war damit Sprachrohr der österreichischen Caritas bis zur
Gründung der „Österreichischen Caritaskorrespondenz“ im Jahr 1913. Dieses
caritaseigene
Vierteljahresmedium
berichtete
sowohl
über
alle
caritativen
Bestrebungen, als auch über die laufende praktische Caritasarbeit.67
65
Vgl., Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges,
in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 213-214.
66
Ebd., 214, zit. n. Tongelen, J., Karitas 209.
67
Vgl., ebd., 214-215.
36
Der dritte Österreichische Caritas-Kongress fand 1906 in Linz statt und war zugleich
Gründungsveranstaltung des „Caritas-Verbandes für Oberösterreich“.68
Am 1910 in Wien abgehaltenen vierten Kongress wurden sozialpolitische Forderungen,
hinsichtlich
Schaffung
eines
(staatlichen)
Arbeitslosenunterstützungsfonds
und
preiswerter Arbeiterwohnungen, erhoben.69
Der fünfte Caritas-Kongress in Brünn war die letzte Großveranstaltung österreichischer
Wohltätigkeitsvereine vor dem Ersten Weltkrieg und war jenen Persönlichkeiten
gewidmet, die sich besondere Verdienste um den Aufbau der Caritas in Österreich
erworben haben. Im Besonderen waren dies der Präsident des Reichsverbandes, Baron
Vittinghoff-Schell, Gräfin Aloisia Fünfkirchen-Lichtenstein als Begründerin der
Katholischen Bahnhofsmission und Gräfin Stephanie Wenckheim als Begründerin der
Hauskrankenpflege.70
Während des Ersten Weltkrieges war die Caritasentwicklung eingeschränkt und von
Rückschlägen gekennzeichnet. In den Nachkriegsjahren bzw. in der Zwischenkriegszeit
bildeten sich in fast allen österreichischen Diözesen, auf Initiative des jeweiligen
Bischofs, Caritasverbände mit der Einrichtung von Caritaszentralen an den
Bischofssitzen und der Bestellung hauptamtlicher Caritasdirektoren. Im Gegensatz zur
Laienbewegung der Gründerzeit (Jahrhundertwende) rückte „caritatives Tun“ in die
Nähe von amtlicher Beauftragung mit entsprechend bestimmendem Einfluss der
Diözesanbischöfe.
Auf dieser Basis entstanden neben den schon vor dem Krieg bestehenden
Landesverbänden:
1919 der Salzburger Landesverband „Barmherzigkeit“ auf Anregung von Erzbischof
Ignatius Rieder.
68
Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, in:
Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende
des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 215.
69
Vgl., ebd., 215.
70
Vgl., ebd., 215.
37
1921 der Kärntner Caritasverband für Wohlfahrtspflege und Fürsorge auf Veranlassung
von Fürstbischof Adam Hefter und der Caritasverband für die Erzdiözese Wien unter
Kardinal Friedrich Gustav Piffl.
1924 der Caritasverband Vorarlberg unter Bischof Weitz und der Steiermärkische
Caritasverband unter Generalvikar Franz von Oer.
1927 der Caritasverband der Diözese St. Pölten unter Bischof Michael Memelauer.71
Im Jahre 1924 gründeten die einzelnen Diözesan- bzw. Landescaritasverbände den
„Österreichischen Caritasverband“ (ÖCV) durch Umbenennung des vormaligen
„Reichsverbandes“. Die behördliche Genehmigung hiefür erfolgte aber erst 1929.
Dieser neu gegründete Dachverband war in seinen Beschlüssen an die Zustimmung der
Bischöfe gebunden. Zu seinen Aufgaben gehörte die Vertretung bei den Behörden, die
Erörterung
gemeinsamer
Landesverbänden,
die
Angelegenheiten
Führung
von
und
deren
Initiierung
gesamtösterreichischen
in
Statistiken,
den
die
Veranstaltung von Caritasberatungen, Schulungen und Kursen, sowie die Erteilung von
Auskünften in allen die Fürsorge betreffenden Fragen.
Die Verbandsleitung oblag einem Präsidium, dessen Vorsitz in alphabetischer
Reihenfolge alle drei Jahre zwischen den Präsidenten der angeschlossenen Verbände
wechselte. Beschlüsse waren rechtskräftig, wenn sie nicht binnen vier Wochen von
einem Diözesanbischof beeinsprucht wurden. Der ÖCV arbeitete bischofsorientiert nach
dem Grundsatz, „nichts ohne die Bischöfe, sondern alles nach ihren Direktiven“, wie
dessen damaliger Generaldirektor, Prälat Joseph van Tongelen, schrieb.72
Die weitere Zwischenkriegszeit war geprägt von Hilfeleistungen ausländischer Staaten
und
Organisationen.
Erwähnenswert
in
diesem
Zusammenhang
sind
die
Erholungsaktionen für österreichische Kinder in der Schweiz und in Holland, sowie die
Hilfsaktionen Großbritanniens, Amerikas, Dänemarks, Norwegens und Schwedens und
71
Vgl., Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges,
in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 216-218.
72
Vgl., ebd., 219.
38
des internationalen Roten Kreuzes. Geldspenden kamen von Papst Benedikt XV. und
der spanischen Königin.
Aus
den
Erträgen
des
von
den
österreichischen
Bischöfen
eingeführten
Kindergroschens, des Zweigroschenblattes und der Caritas-Sterbevorsorge (eine
Einrichtung für die ärmere Bevölkerung, um sich ein würdiges christliches Begräbnis
leisten zu können – auch als Gegenpool zur Feuerbestattung des sozialdemokratischen
Vereines „Die Flamme“ gedacht) entstanden caritative Einrichtungen im ganzen Land.
Ein Beispiel dafür war in den 30-ger Jahren die Caritas-Winterhilfe für Arbeitslose und
in Not geratene Familien.
Herausragende Caritas-Persönlichkeiten dieser Zeit waren die aus dem Judentum
konvertierte
Sozialpolitikerin
(Österreichs
erste
christlichzoziale
Parlamentsabgeordnete) Dr. Hildegard Burjan (gest. 1933) und die Fürsorgerin Berta
Heiß (gest. 1948). Burjan gründete die Frauenvereinigung „Caritas Socialis“ für „der
jeweiligen Not der Zeit“ entsprechende Projekte. Heiß schuf in Wien die Kongregation
der
„Agnesschwestern“
als
fürsorgerisch
tätige,
sozial-caritative
Schwesterngemeinschaft, mit Schwerpunkt Familienpflege und Kinderfürsorge.73
Mit dem 1938 erfolgten Anschluss Österreich an Hitler-Deutschland verlor das
österreichische Konkordat von 1933/34 seine Gültigkeit. Dadurch gestaltete sich das
kirchliche Leben in der nunmehrigen „Ostmark“ wesentlich schwieriger als im
„Altreich“. Albert Hoffmann als so genannter „Stillhaltekommissar für Vereine,
Organisationen und Verbände“ war beauftragt, eine Neuordnung des Verbands- und
Vereinswesens vorzunehmen und als Schaltstelle der NSV-Interessen zu agieren.
Er ordnete innerhalb eines Jahres die Auflösung von ca. 110.000 Vereinen und
Organisationen, darunter auch konfessionelle und caritative, an, so dass nur mehr ein
Restbestand von rund 5.000 verblieb.74
Obwohl
das
Interesse
der
Diözesan-Caritasverbände
aufgrund
der
relativen
Eigenständigkeit des DCV eher in Richtung Zusammenschluss ging (Hilgenfeldt
73
Vgl., Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges,
in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 220-221.
74
Vgl., ebd., 222.
39
drängte Kreutz dazu), schloss van Tongelen im April 1938 mit dem NSV-Leiter für die
Ostmark, Franz Langoth, ohne Absprache mit den Diözesen ein Abkommen außerhalb
eines Zusammenschlusses. Damit sollten die Einrichtungen der österreichischen Caritas
unter NSV-Aufsicht gestellt werden. Damit wäre der ÖCV „in allen grundsätzlichen
Fragen der freien Wohlfahrtspflege“ von der Zustimmung des Hauptamtes für
Volkswohlfahrt abhängig geworden. Eine außerordentliche Generalversammlung der
österreichischen Caritasdirektoren am 7. Mai 1938 lehnte dieses Abkommen ab und
sprach sich weiterhin für einen Anschluss an den DCV aus.
Im Zuge der Neuregelung der österreichischen Verhältnisse wurde dann am 17. Mai
1938 das „Gesetz über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen,
Organisationen und Verbänden“ erlassen, das den Anschluss an den DCV untersagte,
finanzielle Unregelmäßigkeiten unterstellte und noch im Mai 1938 auf Grundlage dieses
Gesetzes die österreichischen Caritasverbände und ihnen angeschlossene Vereine,
Werke und Anstalten unter kommissarische Aufsicht stellte.
Als Gegenleistung für die Aufhebung der kommissarischen Besetzung forderte
Reichsamtsleiter Hoffmann die einzelnen Caritasverbände auf, der am 22. Juli 1938
gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in der Ostmark“
beizutreten, ihre Satzungen dahingehend zu ändern und vor jeder künftigen
Satzungsänderung die Zustimmung der Arbeitsgemeinschaft einzuholen.
Am 6. August 1938 versicherte Hoffmann einer Delegation des ÖCV, dass
„selbstverständlich
im
Rahmen
der
Arbeitsgemeinschaft
die
Wesensart
des
Österreichischen Caritas-Verbandes und der ihm angeschlossenen Diözesan-CaritasVerbände erhalten“ bleibe und dass „nach Aufhebung der kommissarischen Besetzung
… der Caritas-Verband in seiner Selbständigkeit nicht beeinträchtigt“ werde.
Am 17. August 1938 fand die erste Sitzung der „Arbeitsgemeinschaft“ statt. Bis zu
diesem Tag hatte nur der Wiener Caritasverband die verlangte Satzungsänderung
vollzogen. Nach einer entsprechenden Rüge durch Hoffmann fungierte die
„Arbeitsgemeinschaft“ nur mehr als Befehlszentrale ohne weitere Sitzungen.75
75
Vgl., Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges,
in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 222-224.
40
Als in den folgenden Monaten klar wurde, dass die nationalsozialistischen
Zusicherungen (durch Hoffmann) nicht eingehalten wurden, sandte der ÖCV im
Anschluss an seine Sitzung am 18. Oktober 1938, eine Denkschrift an die
Arbeitsgemeinschaft für freie Wohlfahrtspflege und an Hoffmann, in der die
Caritasvertreter den Verlust der Autonomie und die den Verbänden auferlegten
Beschränkungen, beklagten. Diese Denkschrift trug letztlich wesentlich zur Trübung
des gegenseitigen Verhältnisses bei.
Den Caritasverbänden wurden einschneidend ihre Wirkmöglichkeit und damit auch
deren finanzielle Basis genommen. Immobilienverkäufe, Verpachtungen, Vermietungen
und
Umwidmungen
bedurften
der
vorherigen
Genehmigung
durch
die
Arbeitsgemeinschaft (Leiter Paul Heigl). Per Erlass des Ministeriums für innere und
kulturelle Angelegenheiten in der Ostmark vom 17. Oktober 1938 wurden sämtliche
konfessionelle Schulen, Schülerheime und Tageskinderstätten geschlossen bzw. in die
NSV übergeführt. In einem Schreiben vom 21. März 1939 erklärte Hilgenfeldt die NSV
als
einzige
zuständige
Organisation
in
der
freien
Wohlfahrtspflege.
Den
Caritasverbänden sollte die „geschlossene Fürsorge bewahrender und versorgender
Natur (Alters- und Siechenheime, Krankenhäuser und Krankenasyle, Obdachlosenasyle,
Bewahrungsanstalten für körperlich und geistig Behinderte bzw. nicht erziehungsfähige
oder erbkranke Kinder und Jugendliche) verbleiben.
Dagegen protestierten die österreichischen Bischöfe am 26. April 1939 direkt bei Hitler
unter Verweis auf die vom Stillhaltekommissar gemachten Zusicherungen, unterstrichen
ihre „grundsätzliche Nähe zum Regime“, das Wirken der Caritas für die Stärkung „des
völkischen Gedankens“ und ihren Willen, im Kriegsfall mit „bestqualifizierten Kräften“
bereit zu stehen. Außer das dieser Protest beim Reichskirchenminister und im
Reichsinnenministerium Unmut über den NSV auslöste, blieb der Protest aber
wirkungslos.76
76
Vgl., Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges,
in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 225.
41
Aufgrund der Wirkungsbeschränkungen wurden 1940 der Tiroler und 1942 der
Vorarlberger Caritasverband liquidiert. Mit der (süffisanten) Argumentation, „da der
Verband keine Tätigkeit mehr ausübt und durch das Bestehen der Arbeitsgemeinschaft
für freie Wohlfahrtspflege die Voraussetzungen für ein Weiterbestehen dieses Vereines
entfallen sind“, wurde mit Bescheid vom 14. April 1942 der ÖCV aufgelöst. Allerdings:
So weit als möglich trugen die Pfarren die caritative Arbeit weiter. Der Mädchenschutz
und die Bahnhofsmission übernahm die „Wandernde Kirche“. In Wien wirkte die schon
1940 von Kardinal Innitzer (gest. 1955) errichtete „Hilfsstelle für nichtarische Juden“
weiter. Diese und die „Beratungsstelle für katholische Auswanderer“ diente der Hilfe
für getaufte Juden.77
77
Vgl., Kronthaler, Michaela, Caritasorganisation in Österreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges,
in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im
Breisgau 1997, 226.
42
2 Die Entwicklung des Raiffeisensektors und der Caritas in
Oberösterreich nach 1945
2.1 Die Entwicklung des Raiffeisensektors in Oberösterreich nach
1945
Unmittelbar nach der Übernahme der Macht durch das NS-Regime in Österreich wurde
das im „Allgmeinen Verband“ organisierte österreichische Genossenschaftswesen in
den so genannten „Reichsnährstand“ eingegliedert. Der Generalanwalt wurde durch
einen kommissarischen Verwalter ersetzt, der Verband per 31.12.1938 aufgelöst und
durch drei Revisionsverbände (Verband der donauländischen landwirtschaftlichen
Genossenschaften in Wien <mit Oberösterreich>, Verband der südmärkischen
landwirtschaftlichen Genossenschaften in Graz und Verband der alpenländischen
landwirtschaftlichen Genossenschaften in Innsbruck) ersetzt. Das Spitzeninstitut des
Raiffeisen-Geldsektors, die „Girozentrale der österreichischen Genossenschaften“
wurde als Tochterinstitut der Deutschen Zentralgenossenschaftskasse in Berlin unter der
neuen Bezeichnung „Genossenschaftliche Zentralbank der Ostmark Aktiengesellschaft“
weitergeführt und in ihrer Tätigkeit auf die Erfordernisse der Kriegswirtschaft
eingeschränkt.78
Angesichts der dramatischen Kriegsfolgen wurde auf diesem Hintergrund unmittelbar
nach
Kriegsende
mit
dem
Neuaufbau
und
der
Neustrukturierung
des
landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens begonnen. Welcher Stellenwert diesem
Neuaufbau seitens des (kaum lebensfähigen) Staates beigemessen wurde unterstreicht
ein Appell, denn der damalige Bundespräsident Dr. Karl Renner an die
Genossenschaftsfunktionäre richtete:
„Der Einbruch des Nationalsozialismus hat mit seinem autoritären Führerwahn
den Versuch unternommen, den genossenschaftlichen Instituten ihre Seele, ihren
schöpferischen Geist, ihren sozialen Charakter zu nehmen, allen
Genossenschaften, ohne Unterschied, ob sie ihre Gründung auf die redlichen
Pioniere von Rochdale oder auf Schultze-Delitzsch oder auf Raiffeisen
78
Vgl. Österreichischer Raiffeisenverband (Hg.), Raiffeisen und sein Werk in Österreich, Wien 11986,
364-365.
43
zurückführen. Ihnen allen dient als gemeinsame Idee Selbsthilfe des Einzelnen
durch freie Einordnung in die solidarische Wirtschaftsgemeinschaft aller
Gleichstrebenden. So besitzen sie, bewusst oder unbewusst, das Geheimnis zum
Neubau der Gesellschaft, das Zaubermittel, das Privatinitiative und
Privatinteresse durch freien Entschluss zusammenfasst zur disziplinierten
Gemeinschaftsarbeit, das Demokratie und wirksamste Ordnung zugleich
verwirklicht.“79
Ähnlich argumentiert der Vater des oberösterreichischen Genossenschaftswesens Viktor
Kerbler, wenn er im Genossenschaftsjahrbuch 1947 schreibt:
„…dass die Genossenschaften nicht nur materielle Ziele verfolgen dürfen,
sondern auch ideelle“.
Und weiter:
„Die Genossenschaft …sie muss zeigen, dass jeder Mensch auf die Hilfe des
anderen angewiesen ist und dass der krasse Egoismus eine ungerechte
Unterdrückung des wirtschaftlich Schwächeren bedeutet. …“80
Erwähnenswert im Zusammenhang mit der Umsetzung dieser Genossenschaftsideale,
gepaart mit der wirtschaftlichen Förderung der Mitglieder, war der Umstand, dass alle
Maßnahmen in den ersten Nachkriegsjahren an die Zustimmung der amerikanischen
Militärverwaltung gebunden waren und darüber hinaus das Mühlviertel unter russischer
Besatzung stand.
Trotz dieser widrigen Vorzeichen wurde bereits per 1. Juli 1945 die „Anwaltschaft der
land- und forstwirtschaftlichen Genossenschaften für das Land Oberösterreich“
errichtet. Ihr Aufgabenbereich bezog sich vorerst auf jene Belange, die bis März 1938
vom Genossenschaftsbüro der Oberösterreichischen Landesregierung wahrgenommen
wurden und bestand vorwiegend in organisatorischen und rechtlichen Hilfestellungen
der einzelnen Genossenschaften. Das geschah im Wesentlichen im Rahmen der
regelmäßigen Genossenschaftsrevisionen (die wegen der Kriegsereignisse jahrelang
nicht durchgeführt wurden), die sich mit den Schwerpunkten von Revision,
79
Schilcher, Hans, Die Raiffeisenkassen Oberösterreichs im Wiederaufbau 1945 – 1952 (unter
Berücksichtigung der Landwirtschaft), zit. n. Genossenschaftsjahrbuch 1946, Seite 5 in: Otruba, Gustav
(Hg.), Linzer Schriften zur Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte, Linz 121984, 77.
80
Ebd., zit. n. Genossenschaftsjahrbuch 1947, Seite 5, 78.
44
Bilanzerstellung, Steuerberatung, Drucksortenerstellung, statistische Erhebungen und
Schulung befasste.81
Ein wesentlicher solidarischer Schritt erfolgte am ersten oberösterreichischen
Landesgenossenschaftstag am 21. Mai 1946 mit der Beschlussfassung über die
Gründung eines „Aufbaufonds“ zur Sanierung kriegsgeschädigter Genossenschaften.
Mit der Fondsverwaltung wurden die Raiffeisen-Zentralkasse (heute: RaiffeisenLandesbank) beauftragt. Die der Anwaltschaft angehörenden Genossenschaften
verpflichteten sich, 15 bis 25 % ihrer Reserven in diesen Fonds einzuzahlen. Mit einem
Betrag von rund 3,2 Mio. Schillingen konnten die vordringlichsten Kriegsschäden
saniert werden.82
Bevor ich mich auf die Entwicklung der Raiffeisenkassen konzentriere, werde ich an
einigem Zahlenmaterial und einigen wenigen Kommentaren auf den gesamten
Genossenschaftssektor nach dem System Raiffeisen in Oberösterreich eingehen, um
einen Überblick darüber zu geben, welche wirtschaftliche Bedeutung und welch ideeller
und gesellschaftspolitischer Stellenwert der Idee Raiffeisens in unserem Bundesland
zukommt.
Nachstehende
Oberösterreich
Zahlen
herausgegebenen
sind
den
jährlich
vom
Raiffeisenverband
Genossenschaftsjahrbüchern
(Jahresberichten)
entnommen:
Stellt man dem Durchschnitts – Oberösterreicher die Frage, was er sich unter
Genossenschaften vorstellt, dann werden überwiegend die Raiffeisenkassen genannt.
Erst in weiterer Folge sind Lagerhäuser und Molkereien als genossenschaftlich
organisierte Unternehmen bekannt. Großteils unbekannt (bzw. nur Insidern bekannt) ist
die Existenz von weiteren kleineren, aber für das Funktionieren gerade des ländlichen
Raumes umso wichtigeren, dem Raiffeisenverband Oberösterreich angehörenden
Genossenschaften wie:
81
Vgl., Schilcher, Hans, Die Raiffeisenkassen Oberösterreichs im Wiederaufbau 1945 – 1952 (unter
Berücksichtigung der Landwirtschaft), in: Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial- u.
Wirtschaftsgeschichte, Linz 121984, 84-85.
82
Vgl., ebd., 86.
45
Biomassegenossenschaft,
Einforstungsgenossenschaften,
Mahl-
und
Mischgenossenschaften, Weidegenossenschaften, Wassergenossenschaften und einer
Reihe sonstiger Spezialgenossenschaften.
Dazu ist anzumerken, dass es im Lauf der Jahrzehnte seit 1945, im Sinne
wirtschaftlicher Veränderungen und sich daraus ergebender Notwendigkeiten, nicht nur
Neugründungen,
sonder
auch
Verschmelzungen
und
Schließungen
von
Einzelgenossenschaften gegeben hat. Veränderungen dieser Art wird es in einer
prosperierenden und sich ständig weiterentwickelnden Wirtschaft und Gesellschaft auch
in Zukunft geben, ja geben müssen.
Gesamtübersicht der Entwicklung der Raiffeisen - Genossenschaften seit 1945:
Gesamtanzahl der
Genossenschaften
Incl.
Raiffeisenkassen
Gesamtanzahl
der Mitglieder
1945
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2007
722
883
994
1.247
1.347
1.441
1.514
1.824
161.049
178.897
245.183
337.785
398.918
439.112
522.812
419.832
2.1.1 Die Entwicklung der Raiffeisenkassen in Oberösterreich nach 1945
Für das Bemühen, die bis 1938 bestehende Struktur der Raiffeisenkassen wieder
herzustellen (während der NS-Zeit erfolgten zwangsweise Verschmelzungen – auch mit
sektorfremden Geldinstituten) kam auch politische Unterstützung durch den
oberösterreichischen Landtag, der am 20. März 1946 mit einstimmigem Beschluss die
Landesregierung beauftragte, die Anwaltschaft der land- und forstwirtschaftlichen
Genossenschaften
bei
der
Wiedererrichtung
dieser
Genossenschaftsbanken
entsprechend zu fördern und zu unterstützen.83
Eine erste Bewährungsprobe hatte die sich im Wiederaufbau befindliche österreichische
Bankenlandschaft in den ersten Nachkriegsjahren generell, die Raiffeisenkassen
83
Vgl., Schilcher, Hans, Die Raiffeisenkassen Oberösterreichs im Wiederaufbau 1945 – 1952 (unter
Berücksichtigung der Landwirtschaft), in: Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial- u.
Wirtschaftsgeschichte, Linz 121984, 98.
46
aufgrund ihres nebenberuflich tätigen und daher wenig bankspezifisch ausgebildeten
Personals im Besonderen, zu bestehen. Es handelt sich dabei um die Exekution der
ersten, den Bankbereich betreffenden, Gesetze.
Zum einen ging es um das mit 5. Juli 1945 in Kraft getretene „Schaltergesetz“, wodurch
die
im
Zuge
der
letzten
Kriegshandlungen
im
Frühjahr
1945
erfolgten
Bankenschließungen aufgehoben und die Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen
wurde.
Zum zweiten war das mit 1. Dezember 1945 wirksam werdende „Schilling-Gesetz“
umzusetzen, das der Loslösung von der Reichsmark durch Einführung der
österreichischen Schilling-Währung einerseits und der Senkung des Preisauftriebes
durch eine Minderung der Geldumlaufmenge andererseits, diente.
Die dritte gesetzliche Maßnahme betraf das „Währungsschutzgesetz“ vom
10.
Dezember 1947, dessen Zielsetzung einerseits ebenfalls die Abschöpfung des
Banknotenumlaufes und andererseits die Bereinigung der Bankbilanzen von den
kriegsbedingten Reichsschuldtiteln, war.
Dass alle drei gesetzlichen Vorgaben vom Raiffeisen-Sektor trotz der zum Teil
problematischen Personalsituation gut bewältigt wurden, erfuhr auch öffentliche
Würdigung durch den außerordentlichen Ministerrat am 4. Februar 1948.84
Als Konsequenz eines starken Einlagenzustromes zu den Kreditinstituten bei schwacher
Kreditnachfrage kam es vermehrt zu Schieflagen im Bereich der Rentabilität. Der
Gesetzgeber begegnete diesem Problem mit dem „Zinsenstreichungs-Gesetz“ aus 1946,
auf dessen Basis die Einlagenverzinsung in den Jahren 1945 und 1946 zu unterbleiben
hatte. Erst mit 1. Jänner 1948 trat ein zwischen den Institutsverbänden abgeschlossenes
und vom Finanzministerium genehmigtes Habenzinsabkommen in Kraft, mit dem die
Einlagenverzinsung wieder aufgenommen wurde. Für die damaligen Raiffeisenkassen
trat damit der den Genossenschaftsbanken als Ersatz für den Mangel an
Mündelsicherheit eingeräumte so genannte „Zinsvoraus“ in Kraft, mit dem Spar- und
Giroeinlagen mit einem um ein viertel Prozent höheren Zinssatz (als im
84
Vgl. Schilcher, Hans, Die Raiffeisenkassen Oberösterreichs im Wiederaufbau 1945 – 1952 (unter
Berücksichtigung der Landwirtschaft), in: Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial- u.
Wirtschaftsgeschichte, Linz 121984, 103-118.
47
Habenzinsabkommen festgelegt) verzinst werden konnten. Dieses Privileg führte zu
einem ersten Konkurrenzdenken zwischen Raiffeisensektor und Sparkassensektor, der
dieses Privileg bis zur Zinsliberalisierung in den 1970-ziger Jahren mehr oder weniger
offen bekämpfte.85
Die Phase bis 1950 diente in Ihrer Schwerpunktsetzung dem Ausbau und der
Wiederherstellung bestehender Strukturen mit nebenberuflich (und meist nur im
Sonntagsverkehr) tätigen Buch- und Kassenführern (so die damalige Bezeichnung).
Damit wurde man allerdings den Anforderungen des wirtschaftlichen Aufschwunges
nicht mehr in vollem Umfang gerecht. Neue Bankprodukte, steigende Mittelzuflüsse,
stärkere Nachfrage nach Investitions- und Betriebsmittelkrediten sowohl in der
Landwirtschaft, als auch im örtlichen Gewerbe und letztlich auch stärker werdende
Aktivitäten der Mitbewerber am Markt, erforderten ein Umdenken im Personalbereich
wie im Bereich der Geschäftslokalitäten (Anmietung geeigneter Räumlichkeiten).86
Begleitet war dieses Umdenken in den 1950-ziger Jahren (etwa bis 1960) von der
Rentabilitätssorge und der Sorge um den Förderungsauftrag, der wesentlich auch in der
zur Verfügung Stellung möglichst günstiger (billiger) Kredite gesehen wurde.
Die Umsetzung erfolgte nach einem vorsichtigen „Prinzip der kleinen Schritte“. Damit
war die Abwägung zwischen „Notwendigkeit“ und der gegebenen bzw. zu erwartenden
„Ertragskraft“ gemeint.
Einer der Schwerpunkte der 1950-ziger, 1960-ziger und auch noch 1970-ziger Jahre war
die Weckung der Spargesinnung von Schülern und Jugendlichen, der in der Etablierung
des Schul- und des Sparvereinssparens seinen sichtbaren Ausdruck fand.
Verbesserte öffentliche Kommunikationsmittel erleichterten den Zugang breiter
Bevölkerungskreise zu allgemeinen Informationen und damit auch zu Informationen
über Bankprodukte und über Förderungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand in den
Bereichen des privaten Wohnbaues und der landwirtschaftlichen und gewerblichen
85
Vgl., Schilcher, Hans, Die Raiffeisenkassen Oberösterreichs im Wiederaufbau 1945 – 1952 (unter
Berücksichtigung der Landwirtschaft), in: Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial- u.
Wirtschaftsgeschichte, Linz 121984, 207-208.
86
Die Mitbewerber am Markt agierten mit hauptberuflichen Mitarbeitern in meist eigenen Lokalen und
waren damit für den Wiederaufbau besser gerüstet.
48
Investitionen. Im Rahmen ihres Förderungsauftrages sahen (und sehen) es die
Raiffeisenkassen
als
eine
ihrer
Verpflichtungen,
im
Rahmen
ihrer
Mitgliederversammlungen und sonstigen eigenen Themenveranstaltungen, aufklärend
zu wirken. Neben einer korrekten Geschäftabwicklung war (und ist) das ein wirksames
Mittel, das Vertrauen der Kunden und Mitglieder zu ihrem örtlichen Geldinstitut zu
stärken.
Den Zentralinstituten (im Besonderen der Raiffeisen-Zentralkasse – heute RaiffeisenLandesbank) war eine wesentliche Beraterrolle in organisatorischen, baulichen,
personellen und geschäftspolitischen Fragen zugedacht, die sie als Tochterinstitut der
selbständigen Raiffeisenkassen, zu deren voller Zufriedenheit wahrnahmen.87
Neben einer ständigen Anpassung der Geschäfts- und Produktpolitik an sich
verändernde Marktverhältnisse forderten die 1970-ziger und 1980-ziger Jahre hohe
Investitionen in moderne Banktechnologien, verbunden mit der Errichtung neuer, im
Eigenbesitz befindlicher Bankgebäude.88
In der Kreditpolitik gelang ohne größere Probleme der Umstieg von einem starren
„Sicherheitsdenken“ zu einer „dynamischen Kreditbeurteilung“. Dadurch konnten neue
Kundengruppen gewonnen und durch höhere Geschäftsvolumen die Ertragssituation der
Raiffeisenkassen verbessert werden.89
Entscheidende Veränderungen für Kreditgenossenschaften brachte das 1979 in Kraft
getretene Kreditwesengesetz mit der wesentlichen Bestimmung, dass ab 28. Februar
1982 alle Institute von mindestens zwei Geschäftsleitern zu führen sind, die ihre
Tätigkeit ab 1. Jänner 1985 hauptberuflich ausüben mussten. Gleichzeitig wurden
verschärfte Eigenkapitalbestimmungen in Kraft gesetzt. Der damit verbundene
zusätzliche Kostendruck betraf vermehrt kleinere Einheiten und führte zu einer Welle
von Verschmelzungen (Fusionen), mit denen es gelang, diesen Kostendruck
aufzufangen.
87
Vgl., Schilcher, Hans, Die Raiffeisenkassen Oberösterreichs im Wiederaufbau 1945 – 1952 (unter
Berücksichtigung der Landwirtschaft), in: Otruba, Gustav (Hg.), Linzer Schriften zur Sozial- u.
Wirtschaftsgeschichte, Linz 121984, 259-261.
88
Vgl., ebd., 261-262.
89
Vgl., ebd., 262.
49
Eine weitere Bestimmung betraf die Verpflichtung zur jährlichen Prüfung des
Jahresabschlusses (bisher nur alle zwei Jahre) mit erhöhtem Prüfungsumfang. Mit den
Auswirkungen
dieser
Gesetzesbestimmung
waren
die
Revisionsverbände
(Raiffeisenverband Oberösterreich – vormals Anwaltschaft) personell und damit auch
wirtschaftlich gefordert.90
Die Mehraufwendungen wurden und werden zum überwiegenden Teil über die
Tagessätze der Revisionsgebühren
an
die
Raiffeisenbanken
der Primärstufe
weiterverrechnet und müssen dort wieder entsprechend erwirtschaftet werden (Anm. d.
Verf.).
Die Raiffeisen – Bankengruppe in Oberösterreich ist den Prinzipien ihres Gründers in
Bezug auf Regionalität und örtlicher Verantwortung (Friedrich Wilhelm Raiffeisen
nannte es „Kirchspiel“) bis heute gerecht geworden - das Mitglied, der Kunde weiß, mit
wem er es im Ort zu tun hat. Seit der Gründerzeit stehen die Person, die Gemeinschaft,
die Wirtschaftlichkeit und die örtliche Verantwortung im Mittelpunkt des Handelns
(Anm. d. Verf.).
Diese grundsätzliche Sektorpolitik führte zu einem hohen Kundenvertrauen und damit
entsprechend positiver Entwicklung, die sich im nachstehenden Zahlenmaterial
(besonders
im
Mitgliederzuwachs),
entnommen
den
jährlich
erscheinenden
Genossenschaftsjahrbüchern (Jahresberichte), widerspiegelt:
Raffeisenkassen
(Banken) Anzahl
Anzahl der Mitglieder
Führung
nebenberuflich
Führung
hauptberuflich
1945
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2007
289
286
296
287
270
238
132
48.006
52.572
98.448
173.824
269.022
314.071
328.906
273
268
163
32
0
0
0
110
*
304.977
**
0
16
18
133
255
270
238
132
110
* Laufende Abnahme der Raiffeisenbanken durch Verschmelzungen (Strukturbereinigung). Ehemalige
Hauptanstalten werden als Bankstellen weitergeführt. Daher 2007: 110 Hauptanstalten + 316 Bankstellen
ergibt 426 Raiffeisen-Bankplätze in Oberösterreich.
90
Vgl., Dellinger, Markus (Hg.), Genossenschaftsgesetz samt Nebengesetzen, Kommentar, Wien 2005,
11.
50
** Verringerung der Anzahl der Mitglieder durch Verschmelzungen
Mitgliederverzeichnisse durch Streichung von Doppelmitgliedschaften.
–
Bereinigung
der
2.2 Die Entwicklung der Caritas in Oberösterreich nach 1945
Nichts schildert die Situation Österreichs, und damit auch Oberösterreichs, in ihrer
Dramatik deutlicher und eindringlicher, als die Worte des ersten Bundeskanzlers der
Zweiten Republik, Leopold Figl, in seiner Weihnachtsansprache 1945, wo er bekennt:
„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum,
wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle
zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden…Wir haben nichts.“91
Auf diesem Hintergrund war auch die Caritas in Österreich und damit in Oberösterreich
(Diözese Linz) gefordert, entsprechend Hilfe zu leisten.
Unmittelbar nach Kriegsende war allerdings unklar, auf welch struktureller Basis die
Caritas ihre Arbeit aufnehmen sollte. Der Rumpfvorstand des vor dem Krieg agierenden
und während des Krieges von der NS-Ideologie eingeschränkten Caritas-Verbandes,
legte Bischof Fließer im August 1945 Statuten für einen (neuen) „Kritasverband für
Oberösterreich“ vor. Parallel dazu sollte ein „Bischöfliches Seelsorgeamt der Diözese
Linz“ entstehen, in dem die Caritas als ein eigenes Referat tätig sein sollte. Die
Entscheidung
hierüber
fällt
im
Herbst
1945
durch
die
Österreichische
Bischofskonferenz, bei deren erster Zusammenkunft nach Kriegsende, in eine völlig
neue Richtung:
Caritasarbeit soll in den Diözesen „grundsätzlich als bischöfliches Werk ohne
Vereinsstatut“ errichtet werden.
In diesem Sinne erfolgte Anfang 1946 im Linzer Diözesanblatt die amtliche Mitteilung
der Auflösung des „Karitasverbandes“ im Verständnis eines zeitgemäßen Umbaues der
Seelsorge und im Anschluss daran die Verlautbarung des „Provisorischen Statutes“ der
künftigen Diözesan-Caritas. Bemerkenswert in diesem Staut ist folgender Absatz:
91
Lehner, Markus, zit. n. Hanisch, Schatten, 408, in: Caritas-Die soziale Arbeit der Kirche. Eine
Theoriegeschichte, Freiburg im Breisgau 1997, 261.
51
„Wir halten es daher für unerlässlich, dass in Pfarre und Diözese die CaritasOrganisation und Caritasarbeit immer mehr in eine rein religiöse, aus dem
Evangelium, der Liturgie und dem kirchlichen Recht gleichsam ewig fundierte
Form gegossen wird und dadurch den Änderungen der Zeit und der Willkür des
politischen Geschehens möglichst entrückt wird“(Statut 1946).
Die Begründung für das Abgehen von der fast hundert Jahre bestehenden
Caritasstruktur als Verein bürgerlichen Rechtes ist an drei wesentlichen Fakten
festzumachen:
-Die Herausforderungen der unmittelbaren Nachkriegszeit erforderten rasch eine
schlagkräftige Organisation. Es war daher nicht die Zeit, die gerissenen Fäden zu
den von den Nationalsozialisten beschlagnahmten und mit Betätigungsverboten
belegten caritativen Anstalten und Einrichtungen aufzunehmen.
-Gerade die restriktiven Maßnahmen der NS-Behörden machten deutlich, wie
anfällig Strukturen öffentlichen Rechtes in politischen Extremsituationen sind
und sein können (während der Kriegsjahre haben sich die kirchlichen
Kernstrukturen von Diözese und Pfarren wesentlich weniger verletzlich gezeigt).
-Schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde in pastoralen
Überlegungen erkannt, dass die Caritas als „Bruderdienst“ ein Wesenselement der
Kirche, damit nicht nur Pflicht des einzelnen Christen, sondern und vor allem ein
„lebensnotwendiger Inhalt des Gemeindelebens“ sein muss (in den vorherigen
Vereinsstrukturen wurde großteils die Vereinsmitgliedschaft als ausreichend
empfunden).92
Diese theologische Argumentation des dritten Fakts findet sich deutlich im
„Provisorischen Statut“ von 1946 wider wo es heißt:
92
Vgl., Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20.
Jahrhundert, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler zum 70. Geburtstag,
Linz 2001, 125-126.
52
„Wenn es Aufgabe der Seelsorge ist, die Forderungen des Evangeliums im
christlichen Leben zu verwirklichen, dann muß eine richtig orientierte Seelsorge
die Pflege und Übung der christlichen Nächstenliebe – der Caritas – sowohl bei
den einzelnen Gläubigen, wie bei der Pfarrgemeinde als einen Zentralpunkt ihrer
Aufgabe betrachten. Sie kann daher die Erfüllung dieses Gebotes nicht dem
Zufall, der Willkür und dem guten Willen und der Laune des einzelnen
überlassen, sondern muß in Pfarre und Diözese mit einer geordneten,
planmäßigen, systematischen Pflege und Förderung der Caritasidee und
Caritasarbeit einsetzen, und dies noch mehr als bisher“(Statut 1946).
Damit ist definiert, dass Caritas eine mit der Weihe übernommene Amtspflicht von
Bischof und Pfarrer darstellt, die nicht (so zu sagen) als lästiges Nebengeschäft
wahrgenommen werden kann. Bischöfe und Priester haben als Vorstufe zur
Priesterweihe auch die Diakonatsweihe empfangen, sie sind also auch Diakone. Der
Diakon definiert sich biblisch aber sehr stark am Dienst an den Armen (Apg 6,1-7).
Daraus leitet sich deutlich ab, dass diözesane Caritas nunmehr ein Amt des Bischofs zu
sein hat. Sie ist „die vom Bischof ermächtigte und ihm allein verantwortliche Stelle für
die Weckung, Förderung, Vertiefung und einheitliche Leitung des ganzen caritativen
Lebens und Schaffens in der Diözese“ (Statut 1946). Darin ist der wesentliche
Unterschied zum früheren Caritas-Verband zu sehen, in dem die Statuten nur einen
Vertreter des Diözesanbischofs als Mitglied der Verbandsleitung vorsahen.93
Doch auch in dieser Neukonstruktion wurde auf die im vorgängigen Caritas-Verband
gehandhabte Doppelstruktur nicht verzichtet, wie uns die neue Personalstruktur zeigt.
Die erste Führungsrolle nimmt ein hauptamtlicher Caritassekretär ein, der mit der
Leitung der Caritasstelle und der so genannten „offenen Caritas“ betraut war. Unter
offener Caritas war die Caritasarbeit in den Pfarren (Bewusstseinsbildung und Schulung
von Klerus und Laien), sowie die gesamte mobile und teilstationäre Caritasarbeit zu
verstehen.
Erst an zweiter Stelle fungierte ein ehrenamtlicher „Caritasdirektor“, der für den
gesamten Personal- und Finanzbereich, aber auch für den stationären Bereich, zuständig
war. Die Schwerpunkte seiner Arbeit waren die Zusammenfassung und der Ausbau
93
Vgl., Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20.
Jahrhundert, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler zum 70. Geburtstag,
Linz 2001, 127.
53
caritativer Einrichtungen und die Rückführung der in der NS-Zeit enteigneten Anstalten
und Stiftungen.94
In der Mittelaufbringung geht die Diözese Linz (gegenüber anderen österreichischen
Diözesen) einen völlig neuen Weg. Mit Datum 14. Mai 1946 errichtet Bischof Fließer
das so genannte „Diözesan-Caritasinstitut“ als kirchliche Stiftung mit eigener
Rechtspersönlichkeit. Über dieses Institut laufen die vom jeweiligen Diözesanbischof
initiierten Caritaskollekten. Auf dieser Basis heißt es daher im provisorischen Statut:
„Die Mittel zur Ausführung der caritativen Aufgaben werden vom Bischof
bereitgestellt“ (Statut 1946).95
Interessant in diesem Zusammenhang ist das Faktum, dass dieses Provisorium rund 21
Jahre (Neues Statut 1965 durch Diözesanbischof Franz Zauner) den Anforderungen der
Nachkriegsjahre, in denen Improvisationstalent und Flexibilität gefordert waren,
genügte. Erst durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungskraft, verbunden
mit einer Konsolidierung der sozialen Lage der Menschen in den 60-ziger Jahren, denkt
man wieder an strukturelle Veränderungen bzw. Anpassungen. Dies drückt sich schon
ab 1949 darin aus, dass sich das Gewicht der Caritasarbeit immer mehr auf den
ehrenamtlichen Caritasdirektor (Hermann Pfeiffer) verlagert und der geschäftsführende
Caritassekretär (Josef Haltmayer) zum Direktorstellvertreter (1960) ernannt wird. Diese
Konstellation lässt bereits eine neue Funktionsaufteilung erkennen. 96
Mit dem Statut von 1965 wird eine einheitliche Rechtsgrundlage angestrebt. Mit
Bezugnahme auf die Canones 1489 und 1495 des Codex des kanonischen Rechtes
(CIC 1917) erlässt Bischof Zauner per 31. Mai 1965 für die Caritas der Diözese Linz
ein neues Statut und verleiht ihr als Stiftung kirchlichen Rechtes eigene
Rechtspersönlichkeit im Sinne des Diözesan-Caritasinstitutes von 1946 (Statut 1965).
In
der
Person
eines
Caritasdirektors
erhält
sie
nunmehr
eine
klare
(alleinverantwortliche) Spitze mit entsprechenden umfassenden Vollmachten und einem
94
Vgl., Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20.
Jahrhundert, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler zum 70. Geburtstag,
Linz 2001, 127.
95
Vgl., ebd., 127-128.
96
Vgl., ebd.,128.
54
zugeordneten Direktionssekretariat (auf den im Statut gedeckten Titel „CaritasSekretär“, für den Leiter des Sekretariates, wird in der Folge verzichtet). Die Beratung
und Kontrolle (insbesondere der Haushaltskontrolle) der Caritasarbeit erfolgt durch ein
Kuratorium aus anderen Amtsleitern der Diözese und aus Pfarrer- und Laienvertretern.
Dieses Gremium unterstreicht die diözesane Mitverantwortung für die Tätigkeiten der
Caritas. In der Aufgabenbeschreibung dieser neuen Diözesancaritas kommt sehr
deutlich ein geändertes Selbstverständnis zum Ausdruck. Dem Grundauftrag der
„Weckung der tätigen Caritasgesinnung“ folgt unmittelbar die „selbständige Errichtung
oder Führung aller Arten von Caritaseinrichtungen wie Heime, Anstalten, Kindergärten,
…“ (Statut1965, I). Aus diesen, im sozialstaatlichen Interesse liegenden Aufgaben,
fließen zusätzlich zu den Sammlungen und privaten Unterstützungen nunmehr auch
Subventionen und Unterstützungen durch die öffentlichen Stellen, die im Statut 1965
entsprechend Erwähnung finden.
Während also das Statut von 1946 (nachkriegsbedingt) noch den Aufbau und die
Unterstützung der Pfarrcaritas als Tätigkeitsschwerpunkt nennt, ist dieses Anliegen
nunmehr nachrangig (als vierter Punkt) genannt (und bekam erst wieder 1980, mit der
Errichtung eines Referates „Pfarrcaritas“ auf Wunsch des diözesanen Pastoralrates,
neues Gewicht und institutionellen Charakter).97
Zweifellos war das bedeutendste kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts die
Einberufung, der Abschluss und die Ergebnisse des II. Vatikanischen Konzils von 1963
bis 1965. Im Besonderen ist es die Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von
heute – Gaudium et spes“, und deren Einleitungssatz
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der
Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und
Angst der Jünger Christi“ (GS 1),98
97
Vgl., Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20.
Jahrhundert, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler zum 70. Geburtstag,
Linz 2001, 128-129.
98
Rahner, Karl / Vorgrimmler, Herbert, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten
Vatikanums, Freiburg im Breisgau 62007, 449.
55
mit dem die Kirche ihre enge Verbundenheit mit der ganzen Menschheitsfamilie zum
Ausdruck bringt. Die Konkretisierung dieses Einleitungssatzes erfolgt dann in GS 29
mit dem Verweis auf die Gleichheit aller Menschen und deren Anspruch auf soziale
Gerechtigkeit.
Auf Diözesanebene erfolgt die Umsetzung der Konzilsbeschlüsse im Rahmen der von
1970 bis 1972 abgehaltenen Diözesansynode. Im Blick auf die Caritas und deren
Weiterentwicklung ist hier die Verabschiedung der Vorlage „Sozial-karitative Dienste
der Kirche“ in der vierten Synodenvollversammlung im Herbst 1972 maßgebend, wo
unter anderen nachstehende, richtungweisende Beschlüsse gefasst wurden:
„Caritas ist Grundaufgabe jedes Christen, jeder Gemeinde und der Kirche
insgesamt.“99
Dieser Beschluss ist mit kleinen Variationen ein Standardelement in späteren
Statutenformulierungen.
Oder:
„In erster Linie ist die Pfarrgemeinde für die Bewältigung der sozial-karitativen
Aufgaben in ihrem Bereich zuständig…Übersteigen in besonderen Fällen die
geforderten Aufgaben die Kräfte der Pfarrgemeinde, müssen überpfarrliche
Einrichtungen in Anspruch genommen werden.“100
Das ist ein deutlicher Hinweis auf die Erstverantwortung der Pfarrgemeinde einerseits
und die subsidiäre Rolle übergeordneter Einrichtungen andererseits.
Der von den Synodalen erkannte und benannte Grundauftrag der Kirche wird unter
anderem
auch
darin
zum
Ausdruck
gebracht,
dass
ein
Teil
des
reinen
Verwaltungsaufwandes der Diözesancaritas aus dem Diözesanbudget getragen werden
sollte. Untermauert wird diese neue theologische Basis im Statut vom 14. Mai 1986 mit
Zitaten aus Konzilstexten. Zusätzlich waren es auch formale Gründe, die sich aus dem
Codex des kanonischen Rechts von 1983 ableiten. Künftige Anforderungen durch
immer neue Tätigkeitsbereiche und dadurch eine Zunahme von Mitarbeitern, verlangten
nach einer breiteren Führungsebene. In diesem Sinne wurde der alleinverantwortliche
99
Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20. Jahrhundert,
zit. n. LDBL 119 (1973) Nr. 6, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler
zum 70. Geburtstag, Linz 2001, 129.
100
Ebd., 129.
56
Caritasdirektor durch ein Team, bestehend aus dem Direktor, einem Rektor (1982
wurde mit Franz Stauber erstmals ein Laie zum Caritasdirektor bestellt, dem gemäß
kirchlicher Gepflogenheit ein Priester zur Seite zu stellen ist), einem DirektorStellvertreter und einem Wirtschaftsleiter, ersetzt.101
Eine wesentliche Aufgabenerweiterung gegenüber 1965 erfährt das Statut 1986, indem
1) die Weckung und Förderung der Caritasgesinnung einerseits mit Artikel 8, Absatz 3
des Konzilsdekretes über das Laienapostolat „Apostolicam actuositatem“ und dem
Synodenzitat „ … niemand kann Christ sein ohne tätige Liebe“ (Synode S. 49)
bekräftigt wird und in der 2) neuen, zusätzlichen und bewußtseinbildenden Aufgabe
mündet, „die Öffentlichkeit auf die vielfältige Not und Armut aufmerksam zu machen
… und sie zum Helfen einzuladen“. Caritas sieht also nunmehr Sozialkritik und
Sensibilisierung der Öffentlichkeit für soziale Probleme als zusätzliches Handlungsfeld.
Die 3) Aufgabenstellung betrifft die subsidiäre Unterstützung der pfarrlichen
Caritasarbeit und erst an 4) Stelle werden Errichtung und Führung von sozialen
Diensten und Einrichtungen genannt.102
Diese neue, erweiterte Aufgabenstellung ist eingebettet in ein Umfeld einer rasch
wachsenden, außerkirchlichen Mitbewerberanzahl in der sozialen Arbeit in den 90-ziger
Jahren des 20. Jahrhunderts. Daraus ergibt sich logischerweise ein Wettbewerb am
Spendenmarkt und eine stärkere Verflechtung und damit Abhängigkeit (administrativ
und finanziell) mit und von den Sozialbehörden und Sozialeinrichtungen der
öffentlichen Hand. Die Ausweitung der Arbeitsfelder lässt sich auch an einer steigenden
Anzahl von Mitarbeitern ablesen. Deren Anzahl hat sich von ca. 500 Personen 1980 auf
knapp 1200 im Jahr 1998 erhöht.
In stärkerem Ausmaß als bisher war die Diözesan-Caritas gefordert, sich um zeitgemäße
Organisationsformen, um strategische Planung und (ganz wesentlich) um ein modernes,
die Menschen ansprechendes Leitbild zu bemühen.103
101
Vgl. Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20.
Jahrhundert, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler zum 70. Geburtstag,
Linz 2001, 129.
102
Vgl., ebd., 129-130.
103
Vgl., ebd,130.
57
Diese Bemühungen finden ihren Niederschlag in dem 1996 von Bischof Maximilian
Aichern, anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Caritas der Diözese Linz,
erlassenen neuen Statuts. Darin ist deutlich der Versuch zu erkennen, zeitgemäße
Organisationsformen mit den theologischen Traditionen der Caritas in Einklang zu
bringen. Abzulesen ist dieses Bemühen ganz wesentlich an folgenden Punkten dieses
Statutes:
Erstmals sieht sich die Caritas der Diözese Linz in Ihrer Wesensbeschreibung (Statut
1996, I) als „Hilfs- und Dienstleistungsorganisation“. Dieser neue Begriff findet sich
des Öfteren im Statut von 1996. Die Aufgabenbeschreibung (Statut 1996, II) spricht von
der Bereitstellung „fachlich qualifizierter Hilfs- und Dienstleistungsangebote“ und im
Artikel über (Caritas-)-Einrichtungen (Statut 1996, IV) wird beschrieben, welche
„Dienstleistungen“ angeboten werden sollen. Ebenso wird im Artikel über die
Mittelaufbringung (Statut 1996, III) neben der „Gründung von und der Beteiligung an
Kapitalgesellschaften“ im Rahmen der Gemeinnützigkeit, auch von „Erlösen aus
Dienstleistungen und Betrieben“ gesprochen.
In der Aufgabenbeschreibung (Statut 1996, II) rückt die Unterstützung der
Pfarrgemeinden und von Gemeinschaften und Gruppierungen an die erste Stelle und
zusammenfassend für alle (auch künftigen) Aufgaben, erfolgt die Betonung des
subsidiären Rollenverständnisses der Diözesan-Caritas.
Neu in diesem Statut ist auch der Hinweis, Hilfe und Dienstleistungen auch dann
wirksam werden zu lassen, wenn die eingetretene Notsituation ihre Wurzel im
persönlichen Verschulden des Hilfsbedürftigen hat.
Die Ursachen der Nöte aufzuzeigen und das soziale Gewissen in Gesellschaft und
Kirche zu schärfen, erfährt wiederum eine entsprechende Betonung.
Im Blick auf die Leitungsstruktur wird vom Modell des Leitungsteams wieder
abgegangen und die Gesamtverantwortung bei einem Caritasdirektor angesiedelt, dem
vom Diözesanbischof ein Rektor beigestellt werden kann. Für die Bestellung weiterer
58
Führungsorgane durch den Direktor werden -nicht unbedingt bindende- Vorgaben
gemacht (Statut 1996, V).104
Weiter zunehmende Notsituationen als Folge politischer Konflikte und kriegerischer
Auseinandersetzungen im Ausland, aber auch Strukturschwächen bei öffentlichen
Einrichtungen
(stationäre
und
mobile
Altenbetreuung,
Behindertenbetreuung,
Betreuung von Kindern mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung usw.) machen
es zusehends schwieriger, ein großes Dienstleistungsunternehmen, wie es die Caritas
der Diözese Linz mittlerweile geworden ist, von einer Spitze her zu steuern.
Überlegungen, größere Caritasorganisationen als eigenständige operative Einheiten zu
organisieren und diese in einer Art Holding zu führen werden diskutiert, aber zugunsten
der Schaffung von Institutionen nach kirchlichem Recht wieder aufgegeben. Um den
wachsenden Anforderungen gerecht zu werden erlässt Bischof Aichern in diesem Sinne
per 1. Jänner 2000 wiederum ein neues Statut, das im Punkt Einrichtungen (Statut 2000,
IV) auf diese Problemfelder (mobile Dienste für Familien und alte oder pflegebedürftige
Menschen im Inland und Katastrophen- und Aufbauhilfe im Ausland; Führung von
Kinder-, Jugend- und Behinderteneinrichtungen; Beratung und Begleitung von
Pfarrcaritas- und Ordenskindergärten und in besonderer Weise die Führung von
Betreuungseinrichtungen für körperlich und geistig behinderte Kinder) eingeht.
Wesentlich in diesem Zusammenhang erscheint der Hinweis, dass sich die
Gesamtorganisation „Caritas“ in „Bereiche, Abteilungen und Dienststellen, sowie
rechtlich eigenständige Institute, die der Gesamtorganisation jeweils zugeordnet sind“,
gliedert. Es bleibt daher vorläufig bei einer Gesamtorganisation kirchlichen Rechtes
(Statut 2000, IV).105
An nachstehenden Kennziffern, entnommen den jeweiligen Jahresberichten, soll die
Entwicklung der Leistungskraft der Caritas der Diözese Linz dargestellt werden:
104
Vgl., Lehner, Markus, Vom Dachverband zur Holding – Strukturwandel der Caritasarbeit im 20.
Jahrhundert, in: Kalb, Herbert / Sandgruber, Roman (Hg.), FS für Rudolf Zinnhobler zum 70. Geburtstag,
Linz 2001, 130-131.
105
Vgl., ebd., 131.
59
Gesamteinnahmen*
Euro/Mio.
davon Spenden
Euro/Mio.
Personalentwicklung**
Anzahl
1947
1953
1961
1982
1990
2000
2005
2007
00.103.000
00.591.000
01.088.000
1980
04.607.000
07.098.000
46.203.000
72.792.000
79.595.000
00.098.000
00.192.000
00.434.000
01.542.000
02.144.000
06.463.000
09.889.000
08.666.000
137
242
1389
2088
2374
117
1996
931***
* Für die Jahre 1962 bis 1980 liegen keine gesicherten Einnahmenzahlen vor.
**Eine gesicherte Personalstatistik gibt es erst seit 1980.
***Der überdurchschnittliche Sprung in der Personalentwicklung im Jahre 1996 resultiert aus der
Einbeziehung des Personals der Caritasheime (sie waren aber auch schon vorher Teil der Caritas).
2.3 Die Raiffeisenkassen und die Caritas in Oberösterreich nach
1945 – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Die Aussagen zu diesem Thema beziehen sich aufgrund der Tätigkeit des Verfassers in
der Raiffeisen – Bankengruppe nur auf diese Genossenschaftssparte und damit auf die
Ausführungen unter 2.1.1. und geben dessen Meinung aus eigner Wahrnehmung wider.
Hinsichtlich der Caritas wird auf den Punkt 2.2 Bezug genommen. Die Feststellungen
zu beiden Institutionen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
1) Beide Organisationen stehen 1945 vor der schwierigen Situation eines
verlorenen Krieges und der Besetzung des Landes durch die Siegermächte.
Beiden gemeinsam ist der Wille, ihre Einrichtungen entsprechend den
Erfordernissen dieser Umstände (und mit den verfügbaren Mitteln) wieder
funktionsfähig zu machen. Dabei ist auf die erste Unterschiedlichkeit zu
verweisen: Während Raiffeisen im Wesentlichen „nur“ die Loslösung aus den
NS-Rechtsstrukturen vornehmen und zwangsfusionierte Kassen in die vor 1938
bestehende Selbständigkeit zurückführen musste, ging es bei der Caritas um eine
Richtungsentscheidung zwischen der bisherigen Verbandsstruktur oder um eine
Neustrukturierung unter der Letztverantwortung des Diözesanbischofs.
2) Die
Raiffeisenkassen
hatten
sich
den
erforderlichen
gesetzlichen
Notwendigkeiten (Schaltergesetz, Schillinggesetz, Währungsschutzgesetz u.a)
60
unterzuordnen, während sich die Caritas als kirchliche Einrichtung im Rahmen
des bestehenden Konkordates bewegte und damit für Struktur- und
Organisationsänderungen offen war.
3) Während sich die Raiffeisenkassen bei der Mittelaufbringung im Rahmen des,
von der Aufsichtsbehörde (Finanzministerium) genehmigten, so genannten
Habenzinsabkommens zu bewegen hatten, konnte sich die Caritas aus
Spendensammlungen und aus Erträgen bischöflicher Fonds (beides in den ersten
Nachkriegsjahren eher bescheiden) finanzieren.
4) Eine Änderung der Bankenstruktur bei etwa gleich bleibender Bankplatzdichte
erfolgte und erfolgt bei den Raiffeisenbanken durch demokratische Beschlüsse
der Mitgliederversammlungen. Änderungen in Struktur und Organisation der
Caritas erfolgen durch ein jeweils neues Statut des Diözesanbischofs.
5) Hinsichtlich Prüfung und Revision unterliegen Raiffeisenbanken einschlägigen
gesetzlichen Vorschriften (Genossenschafts-Revisions-Gesetz), während im
Bereich der Caritas entsprechende interne Gremien (Kuratorien) zuständig sind.
6) Während Raiffeisenbanken aufgrund aktueller gesetzlicher Rahmenbedingungen
(Bankwesengesetz) mit Blick auf den Gläubigerschutz (Einlegerschutz) zur
Erwirtschaftung
von
Ertragsorientierung)
Reserve-
verpflichtet
und
sind,
Haftkapital
bewegt
sich
(und
die
damit
zur
Caritas
im
nichtgewinnorientierten Bereich (Gemeinnützigkeit).
7) Eine wesentliche, von beiden Organisationen praktizierte Gemeinsamkeit, ist
die selbst auferlegte Informationspflicht der Öffentlichkeit. Ist es bei Raiffeisen
Aufklärungsarbeit hinsichtlich wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, neuer
Produkte im Bereich von Veranlagung und Finanzierung – unter besonderer
Beachtung von deren Risikolosigkeit oder Risikobehaftetheit u.a.m, so ist es bei
der Caritas das Bemühen, in Richtung von politischen, wirtschaftlichen und
sonstigen
Verantwortungsträgern,
auf
die
mögliche
Armutsgefährdung
61
bestehender und geplanter Maßnahmen (Gesetze u.ä.) aufmerksam zu machen
und so schon im Vorfeld solcher Maßnahmen das Gefährdungspotenzial zu
verringern bzw. zur Gänze auszuschalten.
62
3 Der Begriff der Solidarität
3.1. Etymologie des Begriffes der Solidarität
Etymologisch entstammt der Solidaritätsbegriff der römischen Rechtssprache und
bedeutete dort eine Haftungsverpflichtung, nach der jedes Mitglied einer (meist
familiären) Gemeinschaft für die Gesamtheit der bestehenden Schulden der
Gemeinschaft aufzukommen hatte. Andererseits haftete die Gemeinschaft für die
Verbindlichkeiten einzelner Mitglieder. 106
Mit dem Entstehen der modernen Industriegesellschaft ab dem 19. Jahrhundert,
gekennzeichnet u.a. durch den Wegfall traditioneller Bindungen (Familie, Klan, Dorf)
und damit der Freisetzung der Individuen, wird der Solidaritätsbegriff zur Antwort auf
die neu entstehenden sozialen Probleme der Industriegesellschaften auf der Ebene von
zwei unterschiedlichen Erörterungen:
a) als Schlüsselkonzept einer sich entwickelnden Soziologie in deskriptivanalytischer Form zur Beschreibung sozialer Bindungen und
b) als Kampfsolidarität in einer entstehenden Protestkultur des Arbeitermilieus in
appellativ-normativer Form zur Hebung von Gemeinschaftsgefühlen für den
politischen Kampf bzw. für die politische Debatte.107
Wie Solidarität heute verstanden und großteils gelebt wird, kann an den Ergebnissen
von empirischen Studien abgelesen werden.
106
107
Vgl., http://www.wiege-linz.at/band1 (19.12.2008), 16.
Vgl., ebd., 16-17.
63
3.2 Empirische Studien zur Solidaritätsbereitschaft
Sowohl die „Deutsche Shell – Studie 2006“, als auch die „Österreichische Jugendwerte - Studie 2006/07“ lassen für beide Länder in etwa gleiche Schlussfolgerungen zu.
3.2.1 Solidarität in der deutschen Shell - Studie 2006 108
Die deutsche Shell - Studie wird seit über 50 Jahren auf Basis einer breiten Befragung
von über 2500 Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 12 bis 25 Jahren
durchgeführt und kommt in Bezug auf solidarisches und altruistisches Verhalten zu
folgendem Ergebnis:
Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Situation werden die Perspektiven am
Arbeitsmarkt zunehmend als problematisch und damit die Berufschancen als ungünstig
beurteilt. Der daraus entstehende sozioökonomische Druck erzeugt ein Gefühl von
Unsicherheit und Angst vor einem sozialen Abstieg. Lösungen werden auf der
individuellen Ebene in einem Hang bzw. einem Zwang zur „Selbstbezogenheit“ gesucht
und drücken sich in einem hohen Maß an persönlicher Selbstorganisation, einer großen
Problemverarbeitungskompetenz und einer flexiblen Virtuosität des Verhaltens aus.
Damit drängt sich die Frage auf, ob die Option des ethischen Wertes der Solidarität bei
der jungen Generation verschwunden ist. Sie ist aufgrund der Studienergebnisse
durchaus mit nein zu beantworten. Allerdings muss dieses Nein differenziert, nämlich
als Nachfrage und als Angebot von Solidarität gesehen werden:
a) Aus der geschilderten sozialen Unsicherheit ergibt sich zusehends der Wunsch
nach kollektiver Absicherung individueller Risiken, der sich in der
zunehmenden Bedeutung von, auf den Nahbereich bezogener, sozialer
Netzwerke (Freunde, Familie u.ä.) stützt (Nachfragesolidarität).
108
Vgl., http://www.wiege-linz.at/band1 (19.12.2008).
64
b) Ebenso
ist
aber
auch
eine
gefestigte,
durchaus
als
altruistisch
zu
bezeichnendeGesinnung festzustellen, die sich im „Engagement für andere“
artikuliert. In Summe geben 33 % der Jugendlichen an, dass sie „oft“ und
weitere 42 %, dass sie „gelegentlich“ in ihrer Freizeit für soziale und
gesellschaftliche Anliegen tätig sind (Angebotssolidarität). Allerdings: Politik,
politische Parteien, NGOs u.ä. verzeichnen einen abnehmenden Trend.
Offenbar hat die junge Generation den Glauben an politische und ideologische Visionen
verloren. Sowohl das Bedürfnis nach sozialer Absicherung (Nachfrage), als auch die
Bereitschaft zu solidarischem Verhalten (Angebot) ist überwiegend auf den sozialen
Nahbereich fokussiert, so dass von einer begrenzten Solidarität gesprochen werden
kann.
3.2.2 Solidarität in der österreichischen Jugend - Werte - Studie 2006/07 109
Die österreichische Jugend - Werte - Studie basiert auf einem Sample von 1200
befragten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren, wurde schon in den Jahren
1990/91
und
1999/00
durchgeführt
und
bietet
daher
entsprechende
Vergleichsmöglichkeiten.
Auf den ersten Blick ist auffallend, dass die österreichische Studie die Ergebnisse der
deutschen Shell - Studie über weite Bereiche bestätigt.
Auch die österreichischen Jugendlichen artikulieren das Gefühl von Verunsicherung in
den Bereichen: soziale Beziehungen, Ausbildung und Beruf und der generellen
Zukunftsaussichten. Allerdings sind sie auch bereit, sich diesen Herausforderungen zu
stellen, in dem die Mehrheit der Befragten meint: „Man muss dem Leben selbst einen
Sinn geben“.
Im Versuch einer Differenzierung zwischen nachgefragter und angebotener Solidarität
tritt bei den österreichischen Jugendlichen ebenfalls ein hohes Bedürfnis nach sozialer
109
Vgl., http://www.wiege-linz.at/band1 (19.12.2008).
65
Sicherheit und solidarischer Absicherung in den Vordergrund (Nachfrage). Dezidierter
als die deutsche Studie gibt die Österreichische Antwort auf der Angebotsseite
(Angebot). Hier unterscheidet sie drei Ebenen:
a) Das individualisierte Glücksstreben, das auf die Einzelperson abstellt und
(ähnlich
wie
in
Deutschland)
die
höchste
Zustimmung
unter
den
Wertedimensionen erhält.
b) Die so genannte Mikrosolidarität, eine auf den unmittelbaren Nahbereich
(Familie, Freunde u.ä.) zielende Solidarität.
c) Die Mesosolidarität, unter der eine mittlere soziale Reichweite zu verstehen ist.
In der Beurteilung der Wertigkeit bleiben Mikro- und Mesosolidarität deutlich hinter
dem individualisierten Glücksstreben zurück.
Beide Studien belegen demnach ziemlich eindeutig das Bedürfnis nach Solidarität
einerseits und die Bereitschaft zur Solidarität, unter den Bedingungen einer
individualisierten
Gesellschaft,
andererseits.
Individualisierungstendenzen
(Herauslösung des Einzelnen aus überlieferten Bindungen) ziehen gleichzeitig
Kollektivierungstendenzen (Einbindung in neue Formen von Solidarität wie:
Selbsthilfegruppen, Unterstützungsgruppen für Asylanten, sozial-caritative Netzwerke,
Dritte-Welt-Gruppen u.ä.) nach sich. Der Soziologe H. Berking bezeichnet diese
Einstellung als „solidarischen Individualismus“ – soll heißen:
„Je stärker eine Person selbstbezogene Werte in den Vordergrund rückt, desto
deutlicher betont sie die Relevanz altruistischer Normen für das eigene Leben“. 110
110
Vgl., http://www.wiege-linz.at/band1 (19.12.2008), 14-15.
66
3.3 Sozialwissenschaftliche Definitionen von Solidarität
Nach diesem Einblick in zwei aktuelle empirische Untersuchungen zum Thema
Solidarität bzw. solidarischen Verhaltens folgen noch einige Definitionen des Begriffes
der Solidarität, entnommen dem 2002 im Suhrkamp Verlag erschienen Werk von
Rainer Zoll: „Was ist Solidarität heute“ ?111
Aus der Vermutung, dass dem Solidaritätsbegriff
verschiedenste Deutungen
zugeschrieben werden, lässt Rainer Zoll mehrere Experten zu Wort kommen. Auf drei
dieser Definitionen soll näher eingegangen werden:
112
Mit einer Gliederung in vier Punkte beschreibt Alfred Vierkandt
den
Solidaritätsbegriff. Sein Focus liegt auf unterschiedlichen Menschen (Vielheit), die sich
in einer Gemeinschaftsgesinnung (Einheit) gegen störende Eingriffe von außen, mit
dem Ziel der Abwehr dieser Eingriffe, zur Wehr setzt. Es geht bei Vierkandt nicht um
einen Zusammenschluss zu einer Interessenvereinigung, sondern um eine Gesinnung
innerer Verbundenheit:
„1. Solidarität bedeutet stets einen Zustand, in dem eine Vielheit sich als eine
Einheit verhält. 2. Dieses Vorhaben hat einen praktischen Sinn; es ist stets erregt
durch störende Eingriffe aus der äußeren Welt. 3. Sein Sinn ist eine Abwehr
solcher Störungen, Eingriffe oder Angriffe. 4. Zugrunde liegt dem solidarischen
Verhalten (…) eine Gesinnung der Gemeinschaft. Gemeinschaft bedeutet dabei
nicht einen Zusammenschluss zu einem praktischen Zweck, keine
Interessenvereinigung, sondern (…) einen Zustand innerer Verbundenheit“.113
Der Schwerpunkt in der Definition bei Irene von Reitzenstein114 liegt im gemeinsamen
Handeln einer Vielzahl von Menschen gleicher Lebenslage zur Durchsetzung gleicher
Ziele. Sie geht in ihrer Beschreibung von einem Gegenüber aus, gegen das diese Ziele
durchzusetzen
sind
und
bezieht
sich
damit
vornehmlich
auf
Gewerkschaftsbewegungen:
111
Zoll, Rainer, Was ist Solidarität heut? Frankfurt am Main 2000.
Vgl., ebd., 13.
113
Ebd., 13, zit. n. Vierkant, Alfred: Solidarität, in: Bernsdorf, Wilhelm (Hg.): Wörterbuch der
Soziologie, Bd. 3, Frankfurt/M. 1972, S. 704.
114
Vgl., ebd., 13-14.
112
die
67
„Solidarität soll (…) ein gemeinsames solidarisches Handeln bedeuten, bei dem
eine Vielzahl von Menschen aus einer ihnen gleichen und gemeinsamen
Lebenslage heraus und um gemeinsamer und gleicher Ziele willen, einem
‚sozialen Gegenpart’ gegenüber füreinander einsteht“.115
Einen völlig anderen Begriffszugang wählen Jean Cohen und Andrew Arato.116 Sie
haben als Adressaten von Solidarität den einzigartig Anderen - von mir Verschiedenen im Blick. Solidarität bei Cohen / Arato meint die Bereitschaft, das Schicksal dieses
Anderen zu teilen:
„Solidarität schließt die Bereitschaft ein, das Schicksal des anderen zu teilen; des
anderen nicht als eines Exemplars der Gruppe, zu der man selber gehört, sondern
als einer einzigartigen und von mir verschiedenen Person“.117
Während Vierkandt in seinem Verständnis von Solidarität die Gemeinschaft, nicht als
Zweckgemeinschaft, sondern als eine Gemeinschaft ‚innerer Verbundenheit’ mit dem
Ziel sieht, von außerhalb der Gemeinschaft kommende negative Eingriffe oder Angriffe
abzuwehren, liegt die Betonung bei Reitzenstein auf einem gemeinsamen Handeln zur
Erreichung gleicher sozialer Ziele für Menschen in gleicher Lebenslage. Begründend
für eine Solidargemeinschaft im Sinne Reitzensteins ist ‚die gleiche Lebenslage’ und
ein ‚sozialer Gegenpart’, dem gegenüber die Mitglieder der Solidargemeinschaft
füreinander einstehen. Cohen / Arato wiederum legen den Focus auf die
Verschiedenheit des Anderen und die Bereitschaft, dessen Schicksal zu teilen. Das
Anerkennen dieser Verschiedenheit sehen sie als konstitutiv für eine konkrete
Alltagssolidarität.
Die Definition von Solidarität bei Irene von Reitzenstein ist durchaus als dem Begriff
der ‚Kampfsolidarität’ nahe kommend zu sehen, während sowohl bei Alfred Vierkandt
(innere Verbundenheit der Gemeinschaftsmitglieder), als auch bei Jean Cohen und
Andrew Arato (Anerkennung der Verschiedenheit der Gemeinschaftsmitglieder) der
Begriff der Empathie, des wechselseitigen Einfühlens, der gegenseitigen Anteilnahme,
im Vordergrund steht.
115
Ebd., Zoll, Rainer, Was ist Solidarität heut? Frankfurt am Main 2000, 13-14, zit. n. Reitzenstein, Irene
von, in: Solidarität und Gleichheit. Ordnungsvorstellungen im deutschen Gewerkschaftsdenken nach
1945, Berlin 1961.
116
Vgl., ebd., 199.
117
Ebd., 199, zit. n. Cohen, Jean / Arato, Andrew, in: Civil Society and Political Theory,
Cambridge/Mass./London 1992.
68
3.4 Theologische Definitionen von Solidarität
In der Theologie wird der Solidaritätsbegriff
erst ab der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts von Bedeutung. In der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt
von heute „Gaudium et spes“ des II. Vatikanischen Konzils, schreibt das Lehramt dem
Begriff erstmals eine soteriologische, d.h. heilsgeschichtliche, Dimension zu (GS 32), in
dem es einen Paradigmenwechsel in der Deutung des Erlösungsgeschehens von der
Genugtuung Gottes durch den Kreuzestod Jesu, hin zu Gottes Liebe und Solidarität mit
den Menschen, vollzieht. Diese Liebe und Solidarität Gottes mit den Menschen gründet
in der Menschwerdung des Gottessohnes Jesus Christus, durch die er das
Menschengeschlecht zu einer neuen solidarischen Gemeinschaft untereinander befreit.
Die von Jesus gelebte und praktizierte Solidarität mit allen Menschen, besonders aber
mit den Armen, Bedrängten und Marginalisierten, erfährt darin die universaleschatologische Bedeutung als Urbild und Vollendung einer universalen, alle Zeiten
und Generationen umfassenden Solidarität und damit als bleibend gegenwärtigen
Ursprung einer neuen Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander.118
Wie sich dieser Paradigmenwechsel in der theologischen Literatur wieder findet soll in
der Folge aus einer sozialethischen, einer lehramtlichen und einer pastoraltheologischen
Perspektive dargestellt werden:
Eine sozialethische Perspektive: 119
Schon im Vorwort seines Buches, „Baugesetze der Gesellschaft“, bezeichnet der
Theologe
und
Jesuit
Nell-Breuning
das
Solidaritätsprinzip
(neben
dem
Subsidiaritätsprinzip) als das wichtigste Baugesetzt der menschlichen Gesellschaft und
als das Grundgesetz gegenseitiger Verantwortung. Er vergleicht es mit einem
118
Vgl., Drumm, Joachim, Solidarität. II. Systematisch-theologisch, in: Kasper, Walter (Hg.), LThK, Bd.
9, Freibug im Breisgau u.a., 32000, 708-709.
119
Vgl., Nell-Breuning, Oswald, Baugesetze der Gesellschaft. Gegenseitige Verantwortung – Hilfreicher
Beistand, Freiburg im Breisgau 1968.
69
Baugerüst, das die Gesellschaft trägt wie die Strebepfeiler einen gotischen Dom bzw.
ein Stahlskelett einen Wolkenkratzer tragen. 120
Die Entfaltung dieses Prinzips erfolgt bei Nell-Breuning einerseits als Strukturprinzip
und andererseits als Seinsprinzip:
Unter
„Strukturprinzip“
versteht
der
Autor
eine
Solidarverpflichtung
(oder
Solidarhaftung) als Rechtsbegriff, in der jeder Einzelne für die ganze Verpflichtung
(Schuld) einer Gruppe herangezogen werden kann. Den Gläubiger (Geschädigten)
braucht es nicht zu kümmern, ob und wie das Tragen der Verpflichtung innerhalb der
Gruppe aufgeteilt wird. Jedes Glied der Gruppe haftet für das Gemeinschaftswohl als
Gesamtschuldner. Umgekehrt haftet aber auch die Gruppe für jedes einzelne
Gruppenmitglied. Erst diese wechselseitige Bezogenheit und Haftung bewirkt die
vollkommene Solidarität und ist in einem wechselseitigen Aufeinander-angewiesenSein grundgelegt. Nell-Breuning nennt es „Gemeinverstrickung“. Die Gemeinhaftung
hat also ihren Grund in der Gemeinverstrickung (alle sitzen im gleichen Boot). 121
Mit dem „Seinsprinzip“ stellt der Autor auf das Faktum ab, das es kein Zufall ist, dass
der Mensch nicht Einzelwesen ist, ganz im Gegenteil:
„Der Mensch ist seiner Natur nach auf das Leben in Gemeinschaft angelegt –
seiner ganzen Natur nach, d. i. seiner Leibnatur nach und seiner Geistnatur
nach“. 122
Unter Leibnatur versteht Nell-Breuning die Geschlechterfolge, nach der der Mensch
sich nicht sich selbst, sich auch nicht unmittelbar seinem Schöpfer, sondern sich einem
Elternpaar verdankt und damit seine Fortpflanzung an das Zusammenwirken zweier
Geschlechtspartner gebunden ist:
„Wenn Gott es nicht für gut fand, dass der Mensch (Mann) allein sei, sondern
beschloss, ihm eine Gefährtin beizustellen, die seinesgleichen sei (1 Mos. 2,18),
120
Vgl., Nell-Breuning, Oswald, Baugesetze der Gesellschaft. Gegenseitige Verantwortung – Hilfreicher
Beistand, Freiburg im Breisgau 1968, 11.
121
Vgl., ebd., 16-17.
122
Ebd., 22.
70
so deswegen, weil er von Anfang an den Menschen so geschaffen hatte, dass er
zum Allein- und Für-sich-Sein nicht taugte, sondern dazu bestimmt war, Hilfe zu
empfangen und Hilfe zu gewähren“.123
Daraus leitet der Autor ab, dass der Mensch (Mann und Frau) seiner Leibnatur nach je
seinen Beitrag zum menschlichen Gesamtleben beizutragen hat.
Ebenso gemeinschaftsabhängig ist der Mensch seiner Geistnatur nach. Sie ist
Voraussetzung geistigen Lebens, Selbständigen Denkens, wissenschaftlichen Forschens,
kurzum von allem, was bis heute unter dem Begriff der „Kultur“ subsumiert. 124
Eine lehramtliche Perspektive: 125
In seiner Enzyklika „Sollicitudo rei Sozialis“ aus 1987 sieht Johannes Paul II. im
Solidaritätsbegriff
die
moralische
Bedingung
für
die
Entwicklung
einer
menschengerechten Welt. Er begründet dies mit dem biblischen Terminus der Umkehr,
bezieht sich dabei auf die Bibelstellen Mk 1,15; Lk 13,3.5; Jes 30,15 und Ez 36,26 und
meint damit eine Änderung im Verhalten, in der Mentalität und damit in der
Lebensweise der Menschen.
Der Papst betont die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den einzelnen Menschen
einerseits und zwischen den einzelnen Nationen andererseits und sieht im wachsenden
Bewusstsein dieser Abhängigkeiten schon ein sich entwickelndes positives Signal, in
Richtung „Umkehr“ zu mehr moralischer Qualität und Überwindung vorhandener
„sündiger“ Strukturen, wenn er meint:
„Diese Haltungen und ‚Strukturen der Sünde’ überwindet man nur – neben der
notwendigen Hilfe der göttlichen Gnade – mit einer völlig entgegen gesetzten
Haltung: mit dem Einsatz für das Wohl des Nächsten zusammen mit der
Bereitschaft, sich im Sinne des Evangeliums für den anderen zu ‚verlieren’,
123
Vgl., Nell-Breuning, Oswald, Baugesetze der Gesellschaft. Gegenseitige Verantwortung – Hilfreicher
Beistand, Freiburg im Breisgau 1968, 23.
124
Vgl., ebd., 24.
125
Vgl., Korff, Wilhelm / Baumgartner, Alois, Solidarität – die Antwort auf das Elend in der heutigen
Welt. Enzyklika Sollicitudo Rei Socialis. Papst Johannes Pauls II., Freiburg im Breisgau 1988.
71
anstatt ihn auszubeuten, und ihm zu ‚dienen’, anstatt ihn um des eigenen Vorteils
willen zu unterdrücken“.126
Diese Feststellung begründet Johannes Paul II. mit Mt 10,40-42; 20,25; Mk 10,42-45
und Lk 22,25-27.
Desgleichen bezeichnet der Papst die Solidarität als christliche Tugend und stellt sie in
die Nähe der Liebe, die er als das Erkennungszeichen der Christen schlechthin definiert.
In einer so verstandenen und gelebten Solidarität sieht Johannes Paul II. den Nächsten
nicht mehr nur als Menschen in seiner grundlegenden Gleichheit mit allen, sondern als
Verwirklichung des lebendigen Abbildes Gottes.
Dieses Modell der Einheit in der gemeinsamen Vaterschaft Gottes und in der
Brüderlichkeit aller Menschen in Christus versteht der Papst als „Gemeinschaft“
(communio).127
Eine pastoraltheologische Perspektive:128
Die Schweizer (Luzern) Pastoraltheologin Stephanie Klein sieht den Solidaritätsbegriff
entgegen der Verwendung als Kampfbegriff in der politischen Praxis, in der Theologie
als appellativ und normativ verwendeten Begriff zur Benennung von etwas, das in der
Gesellschaft (beklagenswerter Weise) fehlt, und weniger als deskriptiv-empirisch
beschreibend von etwas, das da ist. 129
Sie spricht dem Begriff keine zentrale Rolle in den einschlägigen Wissenschaften
(Sozial-, Politik-, Wirtschaftswissenschaften) zu, bezeichnet ihn aber als wichtigen
Terminus und orientierenden Grundbegriff in der kirchlichen Verkündigung,
insbesondere der Sozialverkündigung.130
126
Korff, Wilhelm / Baumgartner, Alois, Solidarität – die Antwort auf das Elend in der heutigen Welt.
Enzyklika Sollicitudo Rei Socialis. Papst Johannes Pauls II., Freiburg im Breisgau 1988, 72.
127
Vgl., ebd., 75-76.
128
Vgl., Klein, Stephanie, Christliche Solidarität in der Praxis. Praktisch-theologische Aspekte des
Solidaritätsbegriffes, in: Krüggeler, Michael / Klein, Stephanie / Gabriel, Karl (Hg.), Solidarität – ein
christlicher Grundbegriff? Soziologische und theologische Perspektiven, Zürich 2005.
129
Vgl., ebd., 211.
130
Vgl., ebd., 211
72
Aus pastoraltheologischer Sicht kann sich Kirche nicht im normativen Reden
erschöpfen, sondern hat als „Werkzeug des Heils“, im Sinne des Zweiten Vatikanischen
Konzils (Lumen Gentium 1), auch entsprechend (solidarisch) zu handeln.131
Aufgrund des Umstandes aber, dass der Solidaritätsbegriff
nicht aus biblisch-
kirchlicher Tradition stammt, ist (nach Klein) zu klären, ob er sich zur Beschreibung der
solidarischen Praxis von Christen und christlichen Gruppierungen heute, eignet. Sie tut
das unter den Aspekten, ob er a) den Anliegen der christlich-jüdischen Botschaft
gerecht wird und b), ob Solidarität ein nur gesellschaftliches Strukturprinzip ist, oder
auch eine Praxis, in der die Kirche ihren pastoralen Auftrag in der Gesellschaft
verwirklichen kann:
Dem Anliegen der christlich - jüdischen Botschaft wird der Solidaritätsbegriff gerecht,
da die hebräische Bibel die Beziehung des Volkes Israel zu seinem Gott Jahwe an
seinem Verhalten gegenüber Armen und Entrechteten misst. Jahwe-Verehrung ist
Zuwendung zu diesen Menschen (Jes 1,10-17; Am 5,21-27). Gottesverehrung bei
gleichzeitiger Missachtung von Menschen ist kein Gottesdienst und erreicht Jahwe nicht
(Jes 58,1-12).132
Jesus knüpft mit seinem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lk 10,15-37), im
Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31-46) und mit dem Gebot der Feindesliebe (Mt
5,38-48; Lk 6,27-42) daran an. Die lapidare Aussage Jesu: „Handle danach, und du
wirst leben“ (Lk 10,28f) darf durchaus für alle drei Stellen des Neuen Testamentes als
zutreffend verstanden werden.
„In der biblischen Tradition kann die Einheit von Nächsten- und Gottesliebe als
Kernstück der Ethik angesehen werden. Sie hat ihre Begründung in der
Menschenliebe Gottes. Was diese Nächsten- und Gottesliebe bedeutet, lässt sich
nicht in einem abstrakten Begriff fassen, sondern kann nur in vielen konkreten
Erzählungen beschrieben und erläutert werden.“ 133
131
Vgl., Rahner, Karl / Vorgrimmler, Herbert, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des
Zweiten Vatikanums, Freiburg im Breisgau 62007, 123.
132
Vgl., Klein, Stephanie, Christliche Solidarität in der Praxis. Praktisch-theologische Aspekte des
Solidaritätsbegriffes, in: Krüggeler, Michael / Klein, Stephanie / Gabriel, Karl (Hg.), Solidarität – ein
christlicher Grundbegriff? Soziologische und theologische Perspektiven, Zürich 2005, 213.
133
Ebd., 215.
73
Dass Solidarität gelebte Praxis des pastoralen Auftrages der Kirche ist, lässt sich an
Hand des Vokabulars und damit an Hand der christlichen Begriffe im alten- und im
neuen Testament wie: Liebe, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Brüderlichkeit, Diakonie
und Caritas festmachen. Allerdings, alle diese Begriffe sind immer wieder neu zu
erklären, biblisch rückzubinden und in der christlichen Praxis zu verifizieren und zu
konkretisieren.134
Die Perspektiven im Vergleich
Vergleicht man die drei Perspektiven, dann ist aus meiner Sicht anzumerken, dass alle
drei im Grunde genommen auf das gleiche Ziel – einer Welt im Sinne des schon
angebrochenen Gottesreiches – hinaus wollen. In der Definition des Weges dahin
ergeben sich allerdings Unterschiede.
Nell-Breuning bezeichnet die Solidarität als wichtigstes Baugesetz der Gesellschaft. Er
begründet dies mit dem Begriff eines Strukturprinzips im Sinne von gegenseitiger
Verpflichtung und Angewiesenheit und eines Seinsprinzips, das er in der Leibnatur des
Menschen aufgrund der Geschlechterfolge aus einem Urelternpaar einerseits und in der
Geistnatur im Sinne eines gemeinsamen Kulturschaffens der Menschen (Menschheit)
sieht.
Johannes Paul II. sieht in der Solidarität eine grundsätzliche moralische Bedingung für
eine gerechte Welt und versteht darunter den biblischen Umkehrappell zur
Überwindung sündiger (ungerechter) Strukturen. Die Motivation dafür sollte in der
Abbildhaftigkeit des Menschen von Gott und damit tugendethisch aus der Gottes- und
Nächstenliebe gegeben sein.
Demnach sind alle Menschen und ist besonders die Kirche, aufgrund des CommunioGedankens, zur Solidarität besonders mit den Armen und Marginalisierten, gerufen.
134
Vgl., Klein, Stephanie, Christliche Solidarität in der Praxis. Praktisch-theologische Aspekte des
Solidaritätsbegriffes, in: Krüggeler, Michael / Klein, Stephanie / Gabriel, Karl (Hg.), Solidarität – ein
christlicher Grundbegriff? Soziologische und theologische Perspektiven, Zürich 2005, 215-216.
.
74
Bei Stephanie Klein steht aus pastoralen Überlegungen das solidarische Handeln der
Kirche und in der Kirche im Vordergrund. Aufgrund des Umstandes, dass Solidarität
kein biblischer und auch kein traditioneller Begriff der Kirche ist, muss jedes
solidarisch-soziale Handeln in ihr und durch sie auf Bibel und Tradition rückgebunden
und entsprechend interpretiert werden.
Eine kurze, einfache, zusammenfassende und treffende Definition des Begriffes aus
kirchlicher Sichtweise ist meiner Meinung nach im „Kompendium der Soziallehre der
Kirche“ gegeben wo es heißt:
„Die Solidarität bringt die angeborene Sozialität der menschlichen Person, die
Gleichheit der Würde und der Rechte aller sowie den gemeinsamen Weg der
Menschen und Völker zu einer immer festeren Einheit in besonderer Weise zur
Geltung.“ 135
135
Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg im
Breisgau 2006, 152.
75
4 Solidarisches Handeln von Raiffeisenkassen und Caritas in
Oberösterreich
Nach diesen Erklärungen und Interpretationen des Solidaritätsbegriffes gilt es nunmehr
darzulegen, ob und wie die beiden Institutionen, Raiffeisen-Kreditgenossenschaften und
Caritas, solidarisch-soziales Handeln in Oberösterreich / Diözese Linz, verwirklichen.
4.1 Solidarisches Handeln der Raiffeisenkassen in Oberösterreich
Kreditgenossenschaften nach dem System Raiffeisen arbeiten in Österreich, und damit
auch in Oberösterreich (wie andere Geldinstitutsgruppen auch) auf der Grundlage
einschlägiger
Gesetze.
In
erster
Linie
handelt
es
sich
dabei
um
das
Genossenschaftsgesetz (speziell für genossenschaftlich organisierte Institute) und das
Bankwesengesetz (für alle Sektoren gleich), mit den entsprechenden Eigen- und
Haftkapitalvorschriften im Sinne des Einlegerschutzes. Diese Vorschriften können nur
mit entsprechend ertragsorientierter Geschäftsgebarung erfüllt werden. Abgesehen von
individuellem Sponsoring und von Spenden für örtliche oder regionale Vorhaben kann
daher solidarisch-soziales Handeln nur aus wenigen Satzungsbestimmungen und aus
freiwilligen Zusammenschlüssen zu Solidareinrichtungen, auf der Ebene der
Bundesländer, abgelesen werden.
4.1.1 Ableitung solidarischen Handelns aus Satzungsbestimmungen136
Als Vorbemerkung ist festzuhalten, dass die oberösterreichischen Raiffeisenkassen
(Raiffeisenbanken) ihre Tätigkeit auf Basis einer gleich lautenden, so genannten
Einheitssatzung, ausüben. Punktuelle inhaltliche Abweichungen erfolgen nur aufgrund
besonderer regionaler Gegebenheiten, meist im Zuge von strukturbereinigenden
Verschmelzungen
und
bedürfen
der
Zustimmung
des
Raiffeisenverbandes
Oberösterreich.
136
Vgl., Raiffeisenbank Perg, Satzung, (aktuelle, unveröffentlichte Satzung der Raiffeisenbank Perg),
Perg 2005.
76
Nachstehende Aussagen beruhen auf der aktuell gültigen Satzung der Raiffeisenbank
Perg, die in einigen wenigen Punkten von der Einheitssatzung abweicht. Diese
abweichenden Passagen sind aber für die Betrachtung in dieser Diplomarbeit nicht von
Bedeutung.
Im § 2 der Satzung, dem so genannten Zweckparagraphen, wird die Tätigkeit der
Genossenschaftsbank wie folgt definiert:
„Der Zweck der Raiffeisenbank ist im wesentlichen die Förderung des Erwerbes
oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder. Die Raiffeisenbank bietet allen Menschen in
ihrem Tätigkeitsgebiet eine demokratische Grundlage zur partnerschaftlichen
Zusammenarbeit. Sie motiviert die Menschen, in der Gemeinschaft ihre Probleme
selbständig und eigenverantwortlich zu lösen.“ 137
Diese Satzungsbestimmung ist sehr weitläufig abgefasst. Sie verpflichtet aber die
Raiffeisenbank – und hier sehe ich den solidarisch-sozialen Aspekt – zur Förderung
(Unterstützung) des Mitgliedes einerseits, und darüber hinaus zur Partnerschaft mit
allen Menschen und zu einem eigenverantwortlichen Leben in der Gemeinschaft,
andererseits.
Der § 9 regelt die Pflichten der Mitglieder hinsichtlich Geschäftsanteilszeichnung und
Haftung:
„Jedes Mitglied hat mindestens einen Geschäftsanteil zu zeichnen und sofort
einzuzahlen. Die Zeichnung weiterer Geschäftsanteile bedarf der Zustimmung des
Vorstandes.“ 138
„Ein Geschäftsanteil beträgt EUR 7,27 (in Worten: Euro sieben Cent
siebenundzwanzig).“139
„Die Mitglieder haften für alle Verbindlichkeiten der Raiffeisenbank außer mit
ihrem(n) gezeichneten Geschäftsanteil(en) auch noch mit einem 20fachen ihres(r)
Geschäftsanteiles(e).“140
137
Raiffeisenbank Perg, Satzung, (aktuelle, unveröffentlichte Satzung der Raiffeisenbank Perg), Perg
2005,4.
138
Ebd., 9.
139
Ebd., 9.
140
Ebd., 9.
77
Der solidarisch-soziale Aspekt liegt hier eindeutig in der geringen Höhe eines
Geschäftsanteiles, die es in der Regel jedermann ermöglicht, der Genossenschaft
beizutreten und in der Generalversammlung das volle Stimmrecht wahrzunehmen.
Ebenso unterliegen die Geschäftsanteile keiner Verzinsung, sondern dienen einzig und
alleine der Eigenkapitalstärkung der genossenschaftlichen Gemeinschaft (viele kleine
Anteile ergeben eine hohe Haftungssumme). Die sich daraus im Extremfall ergebende
Haftungshöhe ist im Einzelfall kaum Existenz bedrohend und meiner Erfahrung nach
noch nie zur Anwendung gekommen.
Ein dritter solidarisch-sozialer und zusätzlich sehr demokratischer Aspekt findet sich im
§ 21 über die Beschlussfassung und die Abstimmungsmodalitäten (Ausübung der
Mitgliederrechte) in der Generalversammlung. Hier heißt es im ersten Absatz:
„Die Beschlüsse der Generalversammlung werden mit absoluter Mehrheit der
abgegebenen gültigen Stimmen gefasst.“ 141
Und im Absatz drei:
„Die Abstimmung erfolgt durch Aufstehen oder Handaufheben; mit Stimmzettel
ist abzustimmen, wenn dies ein Viertel der anwesenden Stimmberechtigten
verlangt.“ 142
Während der Absatz eins die Genossenschaftsdemokratie festschreibt, liegt der soziale
Aspekt im Absatz drei. Aufstehen und Handaufheben zwingen zu persönlicher
Anwesenheit und zusätzlich zu einer gleichen Wertung der Stimme eines jeden
Stimmberechtigten (Kopfstimmrecht). Hier liegt der wesentliche Unterschied zu
anderen Unternehmensformen, im speziellen zu den Aktienbanken, wo ein höheres
Aktienpaket
(eines
Kapitalstärkeren)
zu
höherer
Stimmgewichtung
führt
(Anteilsstimmrecht).
141
Raiffeisenbank Perg, Satzung, (aktuelle, unveröffentlichte Satzung der Raiffeisenbank Perg), Perg
2005, 21.
142
Ebd., 21.
78
4.1.2
Ableitung solidarischen
Zusammenschlüssen
Handelns
aus
freiwilligen,
solidarischen
Um Mitgliedern und für die Genossenschaft tätigen Funktionären und Mitarbeitern, aber
auch Nichtmitgliederkunden (meist nur Einlegerkunden) in prekären Situationen helfen
zu können, wurden (durchaus im Sinne des Gründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen) auf
nicht
gewinnorientierter
Vereinsbasis
Vereine
gegründet,
um
solidarisch
zusammenzustehen, wenn Einzelpersonen aus den genannten Personengruppen zu
Schaden kommen.
Hier verweise ich auf den so genannten „Raiffeisen-Solidaritätsverein für Mitglieder der
Oberösterreichischen Raiffeisen-Geldorganisation“, dessen Vereinszweck im § 2 wie
folgt festgeschrieben ist:
„Zweck des Vereines ist die Unterstützung von unverschuldet in Not geratenen
physischen
Mitgliedern
von
oberösterreichischen
RaiffeisenKreditgenossenschaften oder von Angehörigen dieser Mitglieder, soferne es sich
um Härtefälle handelt, insbesondere die Unterstützung in Unfalls- und
Krankheitsfällen, die Unterstützung an Angehörige im Sterbefalle, die
Unterstützung an Witwen und Waisen von Mitgliedern.“ 143
Und weiter:
„Die Tätigkeit des Vereines ist nicht auf Gewinn gerichtet, sondern verfolgt
ausschließlich gemeinnützige und mildtätige Zwecke.“144
Mitglieder dieses Vereines sind alle Oberösterreichischen Raiffeisenbanken und damit
zählen alle physischen Mitglieder dieser Raiffeisenbanken, wenn sie mindestens 10
Geschäftsanteile
gezeichnet
haben
zum
Begünstigtenkreis,
soferne
sie
die
Voraussetzungen nach dem § 2 der Vereinssatzung erfüllen. Die Vereinsleistung erfolgt
in der Abdeckung eines Soll-Saldos am Girokonto bis zu einem Maximalbetrag von
Euro 5.000,--. Ebenso ist ein so definiertes Mitglied, ohne zusätzliche Prämienzahlung,
143
Raiffeisen Solidaritätsverein, Satzung, (aktuelle, unveröffentlichte Satzung des RaiffeisenSolidaritätsvereines), Linz 2008, 1.
144
Ebd., 1.
79
automatisch gegen Unfallinvalidität bis zu einer maximalen Leistung in Höhe von Euro
22.500,-- (je nach Invaliditätsgrad) versichert.
Mit diesem Verein verfügt die Raiffeisen-Bankengruppe Oberösterreich meiner
Meinung nach über eine echte und direkt auf das einzelne Mitglied gerichtete,
solidarisch-soziale Einrichtung.
Ähnlich gelagert, allerdings auf Mitarbeiter und Funktionäre eingeschränkt, stellt sich
der „Oberösterreichische Raiffeisen-Unterstützungsverein“ dar, dessen Zweckparagraph
(§ 2) wie folgt lautet:
„Zweck des Vereines ist die Unterstützung von unverschuldet in Not geratenen
Mitarbeitern und Funktionären von oö. Raiffeisen-Kreditgenossenschaften oder
von Angehörigen dieser, soferne es sich um Härtefälle handelt, insbesondere die
Unterstützung in Unfalls- und Krankheitsfällen, die Unterstützung an Angehörige
im Sterbefalle, die Unterstützung an Witwen und Waisen von Mitarbeitern sowie
die Unterstützung an Pensionsempfänger. Als Angehörige gelten Ehegatten und
Kinder im Sinne des § 106 EStG 1988.
Die Tätigkeit des Vereines ist nicht auf Gewinn gerichtet, der Verein ist eine
Unterstützungskassa im Sinne des § 6 Abs. 2 KStG 1988.“ 145
Dieser Verein erbringt dann Leistungen (deren Höhe im Einzelfall durch den
Vereinsvorstand festgelegt wird), wenn ein Härtefall in Ausübung der Tätigkeit als
Mitarbeiter oder Funktionär der Raiffeisenbank eintritt. Hierbei handelt es sich um
Unfallfolgen bei der Fahrt zur und von der Tätigkeit, bzw. um solche während der
Tätigkeit (auch Folgen von Banküberfällen).
Auch bei dieser Einrichtung steht das solidarisch-soziale Zusammenrücken und
Zusammenstehen bei folgenschweren Einzelfällen im Vordergrund.
Eine ganz wesentliche Säule und Grundlage der Marktaktivitäten von Banken ist das (in
der gegenwärtigen Finanzkrise angeschlagene) Kundenvertrauen – und hier im
Besonderen jenes der Sparer. Diese Erkenntnis hat Raiffeisen Oberösterreich schon vor
rund 10 Jahren bewogen, den „Raiffeisen-Kundengarantierfonds Oberösterreich“ ins
Leben zu rufen, in dessen Präambel auf die Prinzipien des Gründers, Friedrich Wilhelm
145
Raiffeisen Unterstützungsverein, Statuten,(aktuelle, unveröffentlichte Statuten des
Oberösterreichischen Raiffeisen-Unterstützungsvereines), Linz 2008, 1.
80
Raiffeisen, verwiesen wird. Im § 2 der Fondssatzung wird der Zweck des Fonds
folgendermaßen beschrieben:
„(1) Zweck des Vereins ist die Aufrechterhaltung des Vertrauens der Kunden und
insbesondere der Einleger in die wirtschaftliche Bonität und Solvabilität
derjenigen Mitglieder der Raiffeisen-Bankengruppe, die gleichzeitig Mitglieder
dieses Vereines, des Raiffeisen-Kundengarantiefonds Österreich (in der Folge
kurz: ‚RKÖ’) oder eines dem RKÖ angehörenden anderen RaiffeisenLandeskundengarantiefonds sind, wobei ein direkter Durchgriff des RKÖ auf die
Mitglieder des Landesfonds ausgeschlossen ist.
(2) Zu diesem Zweck garantieren die Vereinsmitglieder solidarisch die
zeitgerechte Erfüllung aller Verpflichtungen gegenüber Kunden nach Maßgabe
des in den §§ 12 bis 16 dieser Satzung näher geregelten, über die gesetzliche
Einlagensicherung im Sinne der §§ 93 f BWG hinausgehenden, besonderen
Kundenschutzes bis zur Grenze der Tragfähigkeit (§ 15 Abs 3).
(3) Der Verein kann sich im Interesse des Vereinszweckes auch an
Kapitalgesellschaften und sonstigen juristischen Personen beteiligen;
insbesondere hat er auch dem RKÖ als Mitglied beizutreten und hat dort die ihm
zukommenden Rechte und Pflichten wahrzunehmen.
(4) Die Mitgliedschaft zum Verein ist Ausdruck der Solidarität der beteiligten
Kreditinstitute. Sie erfolgt unter Wahrung ihrer Selbstverantwortung und
Selbstverwaltung; insbesondere wird das normale genossenschaftliche
Bankgeschäft durch diese Mitgliedschaft in keiner Weise eingeengt.“146
Der in diesem Paragraphen festgeschriebene Vereinszweck besagt also, dass den
Einlagekunden (nicht nur Mitgliedern) einer oö. Raiffeisenbank, die Mitglied dieses
Fonds ist, in deren Insolvenzfall die Einlage (Spar- und/oder Giroeinlage) bis zu 100 %
gesichert ist.
Das heißt, dass alle Mitgliedsraiffeisenbanken in Oberösterreich (und das sind nach
derzeitigem Stand alle oö. Raiffeisenbanken), mit ihrem gesamten Vermögen, für die
Rückführung von Kundenforderungen der Kunden einer ihrer in Schwierigkeiten
gekommenen Mitgliedsbanken über eine allenfalls zum Tragen kommende, gesetzliche
(aus Steuermitteln gespeiste) Einlagensicherung hinaus, haften.
Durch
Bundesländer
übergreifende
Verschränkung
im
„Raiffeisen-
Kundengarantierfonds Österreich“ ist diese gegenseitige Hilfestellung und damit
Kundensicherheit auf das ganze Bundesgebiet ausgedehnt.
146
Raiffeisen Kundengarantiefonds, Satzung, (aktuelle, unveröffentlichte Satzung des RaiffeisenKundengarantiefonds Oberösterreich), Linz 2006, 1.
81
Die Belastung der einzelnen Mitglieds-Raiffeisenbanken erfolgt in allen drei
Einrichtungen immer dann, wenn tatsächlich ein Hilfe benötigender Fall eingetreten ist.
Sowohl die aufgeführten Satzungsbestimmungen, als auch die konkreten solidarischen
Zusammenschlüsse zeigen deutlich, was Ludwig Scharinger meint, wenn er Verbund
wie folgt definiert:
„Ein Verbund ist der freiwillige Zusammenschluss
von selbständigen,
gleichgesinnten Einheiten auf dezentraler Ebene in Form einer ‚organisierten
Dezentralisation’. Dieser freiwillige Zusammenschluss führt zur arbeitsteiligen
Zusammenarbeit, und daraus erwächst gegenseitiger wirtschaftlicher Nutzen.
Wirtschaftlicher Nutzen wird ergänzt durch soziale, immaterielle Ziele wie
Erfolg, Sicherheit, soziale Integration und Solidarität. Der Verbund besteht aus
den einzelnen Mitinhabern (Terminus für Mitglied, Anm.d.Verf.) sowie aus den
Verbundeinrichtungen, denen bestimmte Aufgaben satzungsmäßig zugedacht sind
und deren Aufgabengebiet im Verbundinteresse weiterzuentwickeln ist.“ 147
4.2 Solidarisches Handeln der Caritas in Oberösterreich:
In kurzer, aber prägnanter Weise geben sowohl der aktuelle Folder, „Bewegt. Für
Menschen“, zusammen mit dem aktuellen Organigramm vom November 2007 und
einer Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes, sowie die Jahresschrift 2008 mit dem
Jahresbericht 2007 der Caritas in Oberösterreich, über die Arbeitsfelder und damit über
die Tätigkeit der Caritas in der Diözese Linz Auskunft.
Unter „Bewegt“ wird darin in Kurzform das Programm der Caritas in folgender Weise
definiert:
„So vielfältig wie Lebenssituationen sein können, sind auch unsere Hilfs- und
Dienstleistungsangebote, mit denen wir ein tragfähiges ‚Netz für das Leben’ für
Menschen knüpfen möchten. Eine wichtige Verankerung für dieses Netz sind
unsere regionalen Anlaufstellen in ganz Oberösterreich sowie die Pfarren, deren
caritative Arbeit wir unterstützen. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit der
gesamtösterreichischen und der internationalen Caritas zusammen.“148
147
Scharinger, Ludwig / Rummel, Peter, Im Verbund liegen Stärke und Sicherheit. Die RaiffeisenBankengruppe in Oberösterreich – eine moderne Wirtschaftsdemokratie, Linz 1996, 10.
148
Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit Organigramm
und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die Jahresschrift 2008 mit dem
Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
82
Als Motivation dafür wird genannt:
„Beweggrund und Richtschnur unserer Arbeit ist der christliche Auftrag aus dem
Evangelium. Caritas, die ‚gelebte Nächstenliebe’, ist eine unverzichtbare Aufgabe
der Katholischen Kirche und jedes einzelnen Christen.“149
In beiden Statements kommt Regionalität und Überregionalität (Subsidiaritätsprinzip)
einerseits und die Aufgabenstellung der Kirche und damit auch die theologische
Verantwortung des jeweiligen Diözesanbischofs und jedes einzelnen Christen
(Universalität und Individualität) andererseits, sehr deutlich zum Ausdruck.
Die konkrete Arbeit leistet die Caritas der Diözese Linz unter diesen programmatischen
Gesichtspunkten organisatorisch und in der Praxis in folgenden vier großen Bereichen:
4.2.1 Bereich: Caritas für Menschen in Not 150
Dieser Bereich ist in die drei Einheiten Flüchtlings- und Migrantenhilfe, Sachspenden
und soziale Dienste gegliedert und wird in elf regionalen Beratungsstellen in
Oberösterreich sowohl für Österreichische StaatsbürgerInnen, als auch für EUBürgerInnen angeboten. Gemeinsam mit den Betroffenen wird versucht, Wege aus der
Krise und neue Perspektiven zu finden. Im Rahmen dieser drei Einheiten wurden 2007
nachstehende Betreuungsleistungen und Hilfestellungen erbracht:
-In der „Beratung und Hilfe für InländerInnen“ gab es ca. 8.900 Kontakte in
Oberösterreich.
-In der „WeGe, der Wohngemeinschaft für Haftentlassene“ in Wels, konnten vier
neue Betreuungsplätze eingerichtet werden. SozialarbeiterInnen begleiten und
unterstützen die Betroffenen bei deren sozialer Integration, bei der Arbeits- und
Wohnungssuche, beim Aufbau von Beziehungen und bei der Schuldenregelung
und Konfliktbewältigung.
149
Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit Organigramm
und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die Jahresschrift 2008 mit dem
Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
150
Vgl., ebd.
83
-Das Sozialprojekt „Hartlauerhof – Werkstatt für wohnungs- und arbeitslose
Männer“ in Asten, bietet für zwölf Männer Lebensraum, Beschäftigung und
fachliche Begleitung, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Bei einem
‚Tag der offenen Werkstätte’ und bei verschiedenen anderen Ausstellungen
wurden im Jahr 2007 Kunstwerke aus dieser Einrichtung gezeigt..
-Das Projekt „Lena – Beratungsstelle für Menschen in der Prostitution“ konnte in
einer
Jubiläumsfeier
auf
seinen
10-jährigen
Bestand
zurückblicken.
Ausstiegswilligen Frauen wird in dieser Einrichtung fachliche Hilfestellung und
Unterstützung geboten.
-Das „Haus für Mutter und Kind“ ist voll ausgelastet. Aufgrund einer
notwendigen Sanierung wurde 2007 der Umzug in ein Ausweichquartier
vorbereitet.
Die Einrichtung bietet schwangeren Frauen und Müttern mit Kindern in
Krisensituationen eine zeitlich (auf rund zwei Jahre) begrenzte Wohnmöglichkeit
unter professioneller Beratung und Begleitung. Betroffene können dadurch zur
Ruhe kommen, Hoffnung schöpfen und neue Zukunftsperspektiven entwickeln.
-Die Angebote der „Wärmestube“ und des Frauenprojektes „Frida“ wurden von
mehr als 1.100 Hilfesuchenden genützt. Das Tageszentrum ‚Wärmestube’
versteht sich als Anlaufstelle für wohnungslose Menschen. Es bietet Raum, Zeit
und Unterstützung, sich mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen und im
Leben wieder Fuß zu fassen. Das angeschlossene Frieda-Projekt schafft als
Tageseinrichtung
einen
Regenerations-
und
Rückzugsort
für
von
Wohnungslosigkeit bedrohten Frauen.
-Im Rahmen der „Auslandshilfe“ wurde mit Hilfe der Caritas das ‚Cafe Mozart’,
ein Ausbildungsprojekt für Straßenkinder der Don Bosco Schwestern in
Kinshasa/DR Kongo, aufgebaut und eröffnet.
84
-In der „Flüchtlingshilfe“ wurden trotz eines leichten Rückganges monatlich
immer noch ca. 2.000 Personen im Rahmen der ‚Grundversorgung’ betreut.
Ehrenamtliche Mitarbeiter engagierten sich für das ‚Bleiberecht’ gut integrierten
Familien. Im Rahmen der ‚Rückkehrhilfe’ konnte 183 Personen die Rückkehr in
ihre Heimat ermöglicht werden.
-Im Rahmen der „MigrantInnenhilfe stieg die Zahl der Beratungen auf 4.760 (+
25 %). In Kirchdorf wurde eine neue Beratungsstelle eingerichtet. In einer guten
Startphase befand sich das Projekt ‚Riko’ zur Unterstützung von Menschen mit
positivem Asylbescheid (Büros in Linz und Wels).
- Über den Bereich der ‚Carla’s’ (Second-Hand-Geschäfte) wurden rund 350
Tonnen an Sachspenden gesammelt und verteilt.
Das Tätigkeitsfeld und die Entwicklung des Bereiches „Caritas für Menschen in Not“
im Jahr 2007 zeigt deutlich, dass Notsituationen nicht nur auf den Asyl-, Migrantenund Auslandsbereich beschränkt, sondern zunehmend auch bei Inländern anzutreffen
sind. Es geht darum, den Betroffenen möglichst nachhaltig zu helfen. Mathias
Mühlberger, der derzeitige Direktor der Caritas in Oberösterreich, drückt das so aus:
„Es darf nicht darum gehen, Almosen zu verteilen, sondern gemeinsam in einer
‚menschengerechten’ Gesellschaft zu bauen, in der jeder die Chance auf ein
‚lebenswertes’ Leben hat.“151
Für den umfangreichen Bereich der Flüchtlings- und Migrantenhilfe geht es nach
Albert-Peter Rethmann152 aus theologischer Perspektive letztlich darum, die Spannung
zwischen Zuwanderungsregeln des Staates und dem Anspruch der Zuwanderer auf
Menschenwürde so weit als möglich auszugleichen, bzw. die Kluft zwischen der
Universalität des christlichen Liebesgebotes und der Begrenztheit seiner Einlösbarkeit
151
Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit Organigramm
und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die Jahresschrift 2008 mit dem
Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
152
Vgl., Rethmann, Albert-Peter, Gastfreundschaft und Integration. Theologische Perspektiven in der
Migrationsarbeit, in: Krockauer, Rainer / Bohlen, Stephanie / Lehner, Markus (Hg.), Theologie und
soziale Arbeit. Handbuch für Studium, Weiterbildung und Beruf, München 2006, 220.
85
schrittweise zu verkleinern. In letzter Konsequenz sollte zwischen Zuwanderern und
Einheimischen den gleichen Gerechtigkeitskriterien zum Durchbruch verholfen werden.
4.2.2 Bereich: Caritas für Betreuung und Pflege153
Der Betreuungs- und Pflegebereich umfasst die Schwerpunkte Bildung, Mobile Dienste,
Mobiles Hospiz – Palliative Care, pflegende Angehörige, psycho-soziale Begleitung
und das Seniorenwohnen. Diese sechs Arbeitsfelder erbrachten im Jahr 2007
nachstehende Leistungen:
-Die „Mobilen Dienste“ leisteten rund 342.000 Betreuungsstunden (+8,7 %
gegenüber 2006) für 7.464 betroffene Menschen. Sie bieten Hilfe, die direkt ins
Haus kommt. FamilienhelferInnen kümmern sich um Kinderbetreuung,
Haushaltsführung und Pflege kranker Familienmitglieder. AltenfachbetreuerInnen
helfen bei der täglichen Körperpflege und stehen begleitend bei Arzt- oder
Behördenbesuchen zur Verfügung.
Für einfache Pflegehilfen und Unterstützung im Haushalt kann die so genannte
Heimhilfe beansprucht werden.
-Im Tätigkeitsfeld „Pflegende Angehörige“ wurden zusätzlich zu den Angeboten
von Gesprächsgruppen und Erholungstagen 169 Beratungsgespräche für die
Pflege im häuslichen Umfeld pflegebedürftiger Personen geführt.
-Das Angebot für „Betreubares Wohnen“ konnte weiter ausgebaut und in sieben
neuen Wohnanlagen die Hausleitung übernommen werden. Unter der Devise,
‚soviel Selbständigkeit wie möglich – soviel Hilfe wie nötig’, haben SeniorInnen
die Möglichkeit, selbständig zu leben bei gleichzeitiger Sicherheit, dass Hilfe da
ist, wenn sie gebraucht wird.
153
Vgl., Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit
Organigramm und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die Jahresschrift 2008 mit
dem Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
86
-Im
Bereich der „Psycho-sozialen Begleitung - invita“
wurden in
Zusammenarbeit mit dem Diakoniewerk und dem Land Oberösterreich
Unterrichtsmaterialien
Einrichtung
bietet
für eine ‚Kultursensible Betreuung’
spezialisierte
Betreuungs-,
erstellt.
Förderungs-
Die
und
Beschäftigungsangebote für Menschen mit den unterschiedlichsten psychischen
Erkrankungen und Leistungsminderungen.
-Mit einer Zunahme um ca. 25 % auf 427 PatientInnen erlangt das Arbeitsfeld
„Mobiles Hospiz – Palliative Care“ immer größere Bedeutung und ist in sechs
Bezirken tätig. Patienten kommen in diesem Bereich aus allen Altersgruppen. Die
jüngste Patientin 2007 war sechs und die Älteste 98 Jahre alt. Betreut werden
Menschen mit nicht heilbaren Erkrankungen und deren Familien mit dem Ziel,
dass die Erkrankten bis zu ihrem Tod möglichst schmerzfrei und in Würde leben
können.
Das Arbeitsfeld initiiert auch Trauergruppen. Für das Gebiet Steyr und Steyr
Land konnte eine Gruppe neu gegründet werden.
Neu ins Leben gerufen wurde für den Großraum Linz die ‚Alltagshilfe’. Sie steht
ältern Mitmenschen bei der Bewältigung des täglichen Lebens (Behördengänge,
Einkäufe u.ä.) zur Seite.
-Im Tätigkeitsfeld „Seniorenwohnen“ wurden in vier ‚Seniorenwohnhäuseren’
317 ältere Menschen von 267 MitarbeiterInnen betreut.
Wie der Geschäftsführer des Bereiches „Caritas für Betreuung und Pflege“
betont, ist dieser Bereich das derzeit am stärksten wachsende Arbeitsfeld der
Caritas in Oberösterreich und spiegelt damit die zunehmende Bedeutung der
Altenarbeit in unserer Gesellschaft wider.
Im Sinne von Erika Heusler 154 geht es aus biblisch-theologischer Sichtweise nicht nur
um die möglichst gleiche Behandlung Betroffener, sondern ganz wesentlich auch um
154
Vgl., Heusler, Erika, Gerechtigkeit und Parteilichkeit. Theologische Perspektiven in der Pflege, in:
Krockauer, Rainer / Bohlen, Stephanie / Lehner, Markus (Hg.), Theologie und soziale Arbeit. Handbuch
für Studium, Weiterbildung und Beruf, München 2006, 188.
87
Beziehung (Empathie) und Parteinahme mit ihnen, aber auch um Parteinahme für die
Pflegenden selbst.
4.2.3 Bereich: Caritas für Kinder und Jugendliche 155
Dieser Schwerpunkt umfasst die Bereiche der pädagogischen Beratung plus Service,
Heilpädagogik, junges Wohnen, Logopädie, Sozialpädagogik, Kindertageseinrichtungen
und den Verlag ‚Unsere Kinder’.
-Der Bereich der „Kindertageseinrichtungen“ ist zweigeteilt in die caritaseigenen
und in die kirchlichen (pfarrlichen) Einrichtungen.
Die elf caritaseigenen ‚Krippen, Kindergärten und Horte’ wurden 2007 von 530
Kindern genützt. In Riedau wurde ein Hort neu eröffnet. Der Kindergarten
Eferding erfuhr eine Ausweitung um eine alterserweiterte Gruppe.
Im kirchlich-pfarrlichen Umfeld wurden 220 ,Kindertageseinrichtungen’ mit rund
16.000 Kindern geführt. Für die dort beschäftigten 1.100 Pädagoginnen und 1.050
Hilfskräfte wurde von der Caritas für Kinder und Jugendliche neben der
fachlichen Beratung auch die Lohnverrechnung durchgeführt. In diesen 220
Kindergärten wurden 82 Gruppen als alterserweiterte Gruppen für Kinder unter
drei Jahren oder für Schulkinder geführt.
-Im Sinne eines neuen Kinderbetreuungsgesetzes wurde im Arbeitsgebiet der
„Pädagogischen Beratung und Service“ die ‚Mobile Integrationsberatung’
eingeführt. In Krabbelstuben wurden erstmals Integrationskinder mitbetreut und
mit der zuständigen Stelle bei der Oberösterreichischen Landesregierung konnte
ein Handbuch für die Integration betroffener Kinder in oberösterreichischen
Kindergärten und Horten erarbeitet werden.
155
Vgl., Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit
Organigramm und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die Jahresschrift 2008 mit
dem Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
.
88
-Das Arbeitsfeld der „Sozialpädagogik“ bezieht sich auf das ‚Sozialpädagogische
Zentrum in Steyr/Gleink’. In dieser Einrichtung werden männliche Kinder und
Jugendliche im Alter von 10 bis 18 Jahre betreut. 2007 konnte der Umbau der
Turnhalle abgeschlossen und die Sanierung von zwei Gruppenräumen begonnen
werden.
-Der Bereich des „Jungen Wohnens“ umfasste das Schülerheim ‚Guter Hirte’ mit
180 SchülerInnen und StudentInnen und mehrere Wohngemeinschaften mit 85
BewohnerInnen. Beide Wohnformen waren fast ganzjährig voll ausgelastet.
Jugendlichen
und
jungen
Erwachsenen
werden
gemeinschaftliche
Wohnmöglichkeiten im Zentrum von Linz geboten.
-Im Schwerpunkt der „Logopädie“ wurden in Reihenuntersuchungen 3.912
Kinder auf Sprachauffälligkeiten
regelmäßige
Therapie
für
getestet. Bei 459 Kindern wurde eine
notwendig
erachtet
und
übernommen.
Die
Untersuchungen werden von mobilen Logopädinnen in den kirchlichen
Kindergärten in Oberösterreich vorgenommen.
-Vom „Verlag Unsere Kinder“ wurde ein neues Sprachbuch mit dem Titel:
‚Sprechen lernen, Sprache finden’ herausgegeben. Die ebenfalls vom Verlag
herausgegebene Fachzeitschrift ‚Unsere Kinder’ ist Österreich weit die
Fachzeitschrift schlechthin für Kindergarten- und Kleinkindpädagogik.
Hans Hobelsberger156 stellt fest, dass die katholische Kirche in ihrer Jugendarbeit eine
Vielzahl von Leistungen der gesetzlichen Jugendhilfe abdeckt. In diesem traditionellen
kirchlichen Bemühen um junge Menschen tritt dabei ein eigenes Verständnis von
Jugendarbeit zu Tage, das sich nicht nur in theologischen Begriffen, sonder auch in
entsprechenden zusätzlichen Akzentsetzungen in der Praxis ausdrückt. Es geht der
156
Vgl., Hobelsberger, Hans, Leben und Engagement. Theologische Perspektiven in der Jugendarbeit, in:
Krockauer, Rainer / Bohlen, Stephanie / Lehner, Markus (Hg.), Theologie und soziale Arbeit. Handbuch
für Studium, Weiterbildung und Beruf, München 2006, 147.
89
Kirche dabei nicht um Abgrenzungen, sonder um eigene, theologisch verantwortete
Qualitätsstandards.
4.2.4 Bereich: Caritas für Menschen mit Behinderung157
Dieses Tätigkeitsfeld umfasst die Bereiche von Ausbildung und Arbeit, Kinder und
Familien, eine Lehranstalt für heilpädagogische Berufe, spezielle Dienste und das
Wohnen von Behinderten. Kernaufgabe ist die Förderung von Integration für Menschen
mit Beeinträchtigungen.
-Im Schwerpunkt „Ausbildung und Arbeit“ werden Kooperationen mit
verschiedenen Betrieben eingegangen, um Jugendlichen mit Beeinträchtigung
Ausbildungs- und Arbeitschancen zu geben. Im Jahr 2007 gelangen solche
Kooperationen mit dem bauMax Kleinmünchen, dem Voest-Recyclingcenter und
der Stadtgemeinde Leonding.
Im Zentrum für Hör- und Sehbehinderung wurde ein neues Berufsbild für die
Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann geschaffen und angeboten.
-Das ‚Kinderhotel in St. Isidor’, im Bereich von „Kinder und Familien“, stand an
den Wochenenden für Kinder und Jugendliche mit und ohne Beeinträchtigung für
Begegnungen offen und wurde dafür mit dem Familienoskar des Landes
Oberösterreich ausgezeichnet.
‚Meander’ nennt sich ein Gesundheitsförderungsprojekt für Angehörige von
Menschen mit Beeinträchtigungen, das vom zuständigen Bundesministerium als
Familienberatungsstelle anerkannt wurde.
-In den
Bereich der „Speziellen Dienste“ sind sportliche und kulturelle
Aktivitäten einzuordnen. Die von St. Pius in Steegen/Peuerbach organisierten und
durchgeführten ‚10. Österreichischen Staatsmeisterschaften im Stocksport für
157
Vgl., Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit
Organigramm und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die Jahresschrift 2008 mit
dem Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
90
Special Olypics’ konnten auf ein Teilnehmerfeld von 180 SportlerInnen mit
Beeinträchtigung aus ganz Österreich verweisen. Mit einer Gold-, einer Silberund sechs Bronzemedaillen haben die oberösterreichischen Teilnehmer aus St.
Pius sehr erfolgreich abgeschnitten.
Ein Teilnehmer aus St. Pius (Markus Allersdorfer) kam mit einer Goldmedaille
im 50-m-Freistilschwimmen von den Special-Olympics-Weltsommerspielen in
Shanghai zurück.
Den Literaturpreis ‚Ohrenschmaus’ für Menschen mit Behinderung erhielt Klaus
Lackinger, ebenfalls ein Bewohner von St. Pius.
Werke verschiedenster KünstlerInnen aus St. Pius schmückten im Herbst 2007
die Wände des Bundesparlamentes in Wien.
Mit einem ‚Kids Charity Day’, einem ‚Golfturnier’ und einer ‚integrativen
Kindermodenschau’
wurden
Beeinträchtigte
selbst
zu
Akteuren
von
Veranstaltungen, deren Erlös sozialen Zwecken zufloss.
Ulf Liedke158 sieht in der derzeitigen Form der Behindertenhilfe einen sich
vollziehenden Paradigmenwechsel von der reinen Betreuung hin zu Selbstbestimmung
und gesellschaftlicher Integration. Dieser Wandel entspricht dem Verständniswandel
von Behinderung in den biblischen Texten, wo Behinderung als Strafe für Sünden
gesehen wurde, hin zur Überzeugung, dass Gott an der Seite der Behinderten steht und
an ihrer Lebenssituation teilnimmt. Behinderte sind aus dieser Sichtweise Teil der guten
Schöpfung Gottes. Auf Basis solchen Denkens hat die Gesellschaft für geeignete
Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen behinderte Menschen lernen, ihre Stärken zu
entdecken und eigene Kompetenzen zu entwickeln. In einem derartigen Umfeld können
sich die Betroffenen als von Gott (und den Menschen) angenommen, gesellschaftlich
integriert und selbst bestimmt handelnd, empfinden.
158
Vgl., Liedke, Ulf, Gottebenbildlichkeit und Kompetenz. Theologische Perspektiven in der
Behindertenhilfe, in: Krockauer, Rainer / Bohlen, Stephanie / Lehner, Markus (Hg.), Theologie und
soziale Arbeit. Handbuch für Studium, Weiterbildung und Beruf, München 2006, 195.
91
4.2.5 Solidarisches Handeln von Raiffeisenkassen und Caritas in Oberösterreich Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Als grundsätzliche Gemeinsamkeit beider Organisationen kann schlechthin „der
Mensch“,
dessen
sittliche,
wirtschaftliche,
persönliche,
gesellschaftliche
und
solidarisch-soziale Entwicklung, als Betätigungsfeld und Ziel der Arbeit gesehen
werden.
Während „der Mensch“ im genossenschaftlichen Bankwesen (im Sinne gesetzlicher und
satzungsmäßiger Rahmenbedingungen) definiert wird als Mitglied, als Funktionär, als
Mitarbeiter und als Kunde und solidarisch-soziales Handeln daher gruppenspezifisch
auf diese Gruppen zielt, bezieht sich „der Mensch“ aus Sicht der Caritas (und ihres aus
dem Evangelium abgeleiteten Auftrages) auf alle Menschen. Auf alle Menschen heißt
hier, alle Individuen und alle Nationalitäten, ohne Unterschied von Hautfarbe, Rasse,
Geschlecht, Weltanschauung und Religion.
Entscheidend für das Handeln der Caritas ist die aktuelle, prekäre Situation des/der
betroffenen
Menschen,
gleichgültig,
ob
diese
Situation
unverschuldet
oder
selbstverschuldet eingetreten ist. Im wirtschaftlichen Bereich heißt das, pointiert gesagt:
Caritasarbeit kommt (auch) dort zum Tragen, wo den Banken generell – und damit auch
den Raiffeisenbanken - die Hände gebunden sind.
Wie aber können beide Organisationen in das heutige Denken der Menschen, wie sie im
Ergebnis der deutschen Shell-Studie 2006 (sieh Kap. 3.2.1) und der österreichischen
Jugend-Werte-Studie 2006/07 (siehe Kap. 3.2.2) zum Ausdruck kommt, eingeordnet
werden:
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich beide Organisationen in ihrer täglichen Arbeit
überwiegend im Bereich der Angebotssolidarität bewegen. Ihre Klienten haben das
eigene, individuelle Glücksstreben im Auge.
Für die Bankklientel generell, damit auch jenes der Raiffeisen-Bankengruppe in
Oberösterreich, steht die Hebung des eigenen Wohlstandes im Vordergrund. Es erwartet
sich seriöse Beratungs- und Problemlösungskompetenz für die eigenen Anliegen. Mit
entsprechenden, auf Nachhaltigkeit zugeschnittenen Beratungsleistungen und adäquaten
92
Produkten im Veranlagungs-, Finanzierungs- und Dienstleistungsbereich versuchen die
Raiffeisenbanken dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden. Ein wesentliches Ziel
dieser Bemühungen liegt darin, gemeinsam mit dem Kunden einen wirtschaftlichen
Weg zu gehen, der dessen finanziellen Spielraum zusehends vergrößert und ihn damit
von caritativen Unterstützungsleistungen unabhängig macht – im Gegenteil, ihn in die
Lage versetzt, selbst caritativ tätig zu sein. Ob und wie er das tut, bleibt allerdings
seiner eigenen altruistischen Einstellung überlassen.
Hinsichtlich der Grenzen (Reichweite), in denen sich eine Raiffeisenbank mit ihren
Aktivitäten bewegt, ist im Wesentlichen das eigene Einzugsgebiet (Gemeinde) definiert.
So gesehen bewegt sie sich im Rahmen einer, in der österreichischen Jugendwertestudie
als Mikrosolidarität bezeichneten Reichweite.
Für überregionale Aktivitäten (Bundesland, Bundesgebiet, International), in der Studie
als Mesosolidarität beschrieben, sind die Landeszentralen und die Bundeszentrale (z.B.:
Raiffeisen-Landesbank Oberösterreich, Raiffeisen-Zentralbank Österreich) zuständig.
Weitgehend anders gelagert ist das Tätigkeitsfeld der Caritas. Beim individuellen
Glücksstreben von deren Klientel geht es nicht um Wohlstandshebung, sondern in den
meisten Fällen um die Bereitstellung der minimalen Lebens- und Überlebensgrundlagen
von Menschen, denen diese Grundlagen entweder nie zur Verfügung gestanden sind,
oder
aber
die
ihrer
durch
Fremdverschulden,
eigenes
Fehlverhalten
oder
Naturkatastrophen verlustig geworden sind.
Denkt man das Tätigkeitsgebiet der Caritas in Oberösterreich in den Kategorien der
oben erwähnten Studien, dann sind die Caritasaktivitäten auf der Ebene von Pfarren in
die Kategorie der Mikrosolidarität einzuordnen.
Die vielen anderen, von der Diözesancaritas initierten, organisierten und von dort aus
gesteuerten
Aktivitäten,
einschließlich
(erweiterten) Mesosolidarität zuzuordnen.
internationaler
Einsätze,
wären
einer
93
5 Resümee und weiterführende Perspektiven
5.1 Zusammenfassendes Resümee
Die Gründungsmotivation beider Organisationen geht eindeutig auf biblische Ursprünge
zurück, die von beherzten Personen, die Not der Menschen der jeweiligen Zeit
erkennend, in konkretes Handeln umgesetzt wurden. Dieses Handeln war – und ist bis
heute – den konkreten Situationen und damit ständigen Veränderungsnotwendigkeiten
angepasst.
Während
sich
die
Raiffeisenkassen,
Rahmenbedingungen jener Länder,
eingegliedert
in
die
gesetzlichen
in denen sie tätig sind, zu modernen
Dienstleistungsunternehmen entwickelt haben, liegt die Modernität der Caritas in
unserer hoch entwickelten Wohlstandsgesellschaft im Erkennen und im Mildern (oder
auch Beseitigen) der trotz allem nach wie vor vorhandenen, vielfältigen Not von
Menschen und Menschengruppen, die der gesellschaftlichen Entwicklung, aus welchen
Gründen auch immer, nicht folgen konnten.
Beide Organisationen haben ihr Ohr bei den Menschen. Sie erfüllen damit für die
Gesellschaft den wertvollen Aufgabenbereich des rechtzeitigen Erkennens von
Problemen und Fehlentwicklungen, die sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die
Beratung gesetzgebender Einrichtungen einfließen lassen.
Im Blick auf die Entstehung und Entwicklung von Genossenschaftsbanken nach dem
System Raiffeisen und im Besonderen auch der Caritas, lassen sich in dieser
zusammenfassenden Sichtweise die im Vorwort artikulierten Kritikpunkte an beiden
Einrichtungen klar widerlegen:
Stünde Friedrich Wilhelm Raiffeisen heute vor einer Gründersituation, dann würde er –
sein damaliges nachhaltiges Denken und Handeln zugrunde gelegt – die Gründung mit
den heute zur Verfügung stehenden technischen und organisatorischen (modernen)
94
Mitteln betreiben. Eine Gründung im Denken der Mitte des 19. Jahrhunderts würde
heute auf Unverständnis stoßen und nicht angenommen werden. So gesehen war die
ständige Weiterentwicklung des genossenschaftlichen Bankensektors ein Gebot der
jeweiligen Zeit.
Caritas beruft sich auch heute noch – und das zu Recht – auf die Perikope vom
„Barmherzigen Samariter“ im Lukasevangelium (Lk 10,25-37), in der neben den in der
Nachfolge Jesu Stehenden (die heutigen Christen), alle Menschen angesprochen sind.
Diesen Auftrag Jesu zu erfüllen gilt daher allen Menschen, gleichgültig ob dieser
Auftrag unter dem biblischen Liebesgebot (Doppelgebot), oder in der Verwirklichung
des Solidaritätsgedankens gesehen wird. Der Vorwurf reiner Geldsammlerei geht daher
ins Leere.
Wie
weit
zur
Beseitigung
dieser
unhaltbaren
Vorwürfe
Marketingfachleute
heranzuziehen sind, bleibt entsprechenden Überlegungen der Verantwortlichen beider
Organisationen vorbehalten.
5.2 Weiterführende Perspektiven
Dieser Abschnitt bildet den zukunftsgerichteten Abschluss meiner Diplomarbeit. Dazu
habe ich hinsichtlich der Caritasarbeit am 20. November 2008 ein Interview mit dem
geistlichen Leiter der Caritas der Diözese Linz, Ernst Bräuer, mit zwei konkreten
Fragestellungen geführt, das ich nachstehend sinngemäß (und mit Zustimmung des
Interviewpartners) wiedergebe:
Frage 1)
Welche neuen Betätigungsfelder hat die Diözesancaritas unmittelbar vor bzw. sind
schon im Anlaufstadium:
95
Antwort Ernst Bräuer:
„Im Inlandsbereich gehe ich davon aus, dass die Caritas in der Bevölkerung einen
hohen Vertrauensbonus genießt und von da her gesehen nach wie vor
prädestiniert ist, als Nothilfeorganisation bei Katastrophenfällen regional und
überregional, aber auch in Einzelfällen, zur Verfügung zu stehen. Darüber hinaus
geht es auch darum, in Beratungsgesprächen gemeinsam mit den Betroffenen
nach gangbaren Lösungen zu suchen und Seismograph für Fehlentwicklungen zu
sein (derzeit aktuelles Beispiel: Anstieg der Miet- und Heizkosten um rund 36 %,
wovon überwiegend Alleinerziehende empfindlich betroffen sind).
Im Sinne von: Anwaltschaft Notleidender zu sein – nahe an der Not dran zu sein,
soll die begonnene Regionalisierung der Caritasarbeit, angelehnt an die Struktur
der öffentlichen Sozialhilfeverbände, weiter voran getrieben werden. Neben
dieser Zielsetzung soll es auch Aufgabe dieser Regionalisierung sein, Caritas als
intelligente Nächstenliebe zu positionieren.
In diese Richtung von Hilfestellung einerseits und Imagepflege andererseits, ist
auch die ‚Young Caritas’, bekannt geworden durch die Aktion ‚72 Stunden ohne
Kompromiss’ und das Projekt ‚Laufwunder’ von Schülern und Schulklassen zu
sehen. Jugendliche arbeiten 72 Stunden spontan und kostenlos an vorher nicht
bekannten Sozialprojekten bzw. Schüler und ganze Schulklassen laufen bestimmte
Strecken, deren Kilometerleistung von Eltern, Verwandten, Bekannten oder
Firmen mit bestimmten Beträgen gesponsert wird und Sozialprojekten zu gute
kommt.“ Die Weiterführung dieser Aktivitäten ist uns auch in den nächsten
Jahren ein großes Anliegen.“
Frage 2)
Welche Visionen hat die Diözesancaritas für die mittlere bzw. weitere Zukunft:
Antwort Ernst Bräuer:
„Im Rahmen der Auslandshilfe sieht es die Caritas als ein sinnvolles Projekt, in
Zukunft weniger mit staatlichen, dafür aber mehr mit kirchlichen Stellen
zusammen zu arbeiten. Hier könnten Kooperationen mit Partnerdiözesen, vorerst
aus dem ehemaligen Ostblock (Serbien, Bosnien), aber auch im Kongo,
angestrebt werden. Zielgruppe wirtschaftlicher Hilfe in diesen Gebieten sollten
vorwiegend Frauen sein. Von ihnen (als Mütter) ist am ehesten zu erwarten, dass
positive Effekte an die Kinder übergehen und damit eine entsprechende
Nachhaltigkeit erreicht wird. Die Hilfestellung könnte in der Organisation von
Mikrokrediten bestehen. Dafür bedürfte es allerdings der Mithilfe inländischer
(österreichischer) Banken bzw. Bankensektoren, um an entsprechende
Refinanzierungsmittel zu kommen.“
96
Im Weiterdenken der Antwort von Ernst Bräuer auf die zweite Fragestellung sehe ich
eine sehr gute und zielführende Kooperationsmöglichkeit zwischen der Caritas der
Diözese Linz und der Raiffeisen-Bankengruppe Oberösterreich im Sinne und in
Anlehnung an die Aktivitäten des Friedensnobelpreisträgers (Verleihung 2006)
Muhammad Yunus aus Bangladesch.159
Der 1940 geborene Muhammad Yunus war Professor für Wirtschaftswissenschaften an
der Universität von Chittagong in Bangladesch. Geschockt von einer 1974
grassierenden, katastrophalen Hungersnot in seinem Heimatland und vom Unvermögen
der von ihm bisher
vertretenen traditionellen Volkswirtschaftslehre, Abhilfe zu
schaffen, schlug er einen völlig neuen Weg ein. In einer von ihm inszenierten
Befragung Betroffener eruierte er, dass pro Person der (lächerliche) Betrag
von 27 US-Dollar notwendig wäre, um sich Rohstoffe für ihre Arbeit zu beschaffen und
sie damit aus einem Teufelskreis von Zwischenhändlern und Geldverleihern zu
Wucherzinsen zu befreien (frappierende Ähnlichkeit zur Gründerzeit F.W. Raiffeisens).
Er verlieh an 42 Personen persönlich diese 27 Dollar mit der Auflage, dass die
Rückzahlung erfolgen sollte, sobald diese dazu in der Lage wären. Das funktionierte –
damit war der Grundstein für den Aufbau einer „Bank für die Armen“, der späteren
„Grameen Bank“ (Dorf-Bank) gelegt.160
Yunus widmete sich intensiv diesem revolutionären Konzept nach dem Motto: „Einfach
genau das Gegenteil tun“ (von dem, wie etablierte Banken arbeiten).161 Seine dabei
entscheidende Erkenntnis war das Faktum, dass arme Menschen über keinerlei
„dingliche Sicherheiten“ (Gebäude, Sachwerte) verfügen, die sie für den Fall der
Uneinbringlichkeit des Kleinkredites anbieten können. Allerdings – und das sah Yunus
als die viel bessere Sicherheit:
„ihren schicksalserprobten Überlebenswillen. Für diese Menschen ist ein Kredit
die vermutlich einzige Chance, die sie je in ihrem Leben erhalten, um aus eigener
Kraft einer ansonsten hoffnungslosen Situation zu entkommen.“162
159
Vgl., Spiegel, Peter, Muhammad Yunus – Banker der Armen. Der Friedensnobelpreisträger. Sein
Leben. Seine Vision. Seine Wirkung, Freiburg im Breisgau 32006.
160
Vgl., ebd., 21-27.
161
Vgl., ebd., 7.
162
Ebd., 29.
97
Ganz bewusst konzentrierte sich Yunus mit seiner Grameen Bank nicht auf die Armen,
sondern auf die Allerärmsten in der Überzeugung, dass diese eine nur auf sie
zugeschnittene Bank am nötigsten haben. Dazu kam eine weitere überraschende
Erfahrung, die er immer wieder bestätigt sah:
„Je weniger Sicherheiten jemand vorzuweisen hatte, desto sicherer und
pünktlicher zahlte er seinen Kredit zurück.“163
Er agiert also ganz bewusst entgegen dem Sicherheitsdenken normaler Banken, ja
„pervertiert“ diesen geradezu, in dem einen Kleinkredit nur jemand erhält, der
nachweislich über keine Sicherheiten verfügt.164
Ein weiterer, ganz wesentlicher Sicherheitsfaktor und damit verantwortlich für die hohe
Rückzahlungsquote von über 99 %, ist das Geschlecht der Kreditnehmer. Sie
rekrutieren sich zu 94 % aus Frauen und das aus der Erfahrung heraus, dass Frauen auf
knapp 100 % Rückzahlungsquote, Männer aber nur auf eine solche von 85 % kommen.
Daraus resultiert die Tatsache, dass der Vorstand der Grameen Bank von Frauen
dominiert wird. Dazu Muhammad Yunus:
„Sobald die Frauen auch nur die allerbescheidenste Möglichkeit erkennen, sich
aus der Armut zu befreien, erweisen sie sich als kämpferischer als die
Männer.“165
Und:
„Wir haben festgestellt, dass die im Elend lebenden Frauen sich besser und
schneller an den Prozess der Selbsthilfe anpassen als die Männer. Außerdem sind
sie aufmerksamer, sind intensiver darum bemüht, die Zukunft ihrer Kinder
sicherzustellen, und zeigen eine größere Beständigkeit bei der Arbeit.“166
163
Spiegel, Peter, Muhammad Yunus – Banker der Armen. Der Friedensnobelpreisträger. Sein Leben.
Seine Vision. Seine Wirkung, Freiburg im Breisgau 32006, 31.
164
Vgl., ebd., 31.
165
Ebd., 34.
166
Ebd., 34.
98
Es ist nicht Aufgabe dieser Diplomarbeit, jedes Detail der Arbeitsweise der Grameen
Bank wiederzugeben. Es geht mir eher um einen Einblick in die Philosophie und in die
Denkweise des Gründers, um auf dieser Basis eine sinnvolle und nachhaltig
fruchtbringende Kooperation zwischen Caritas und der Raiffeisen-Bankengruppe
anzuregen. Ausgehend von der Annahme, dass die vor Ort tätige Caritas die
Verhältnisse und die in Frage kommenden Personen und Personengruppen in Ländern
der Dritten Welt (oder auch in ehemaligen Ostblockländern) beurteilen kann, wäre
gerade der Raiffeisen-Sektor als genossenschaftliche Bankengruppe prädestiniert dafür,
langfristige Refinanzierungsmittel zu - diesen Ländern angepassten Konditionen - zur
Verfügung zustellen. Neben der langfristigen Sicherung der Lebensgrundlagen und der
Wiederherstellung der Menschenwürde für die Betroffenen, könnten sich durchaus auch
ebenso langfristige und faire Geschäftsbeziehungen zu diesen Ländern entwickeln.
Eine solche Handlungsweise wäre auch im Sinne der Verantwortung christlicher
Kirchen wie sie im „Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich“
definiert ist:
„(14) Ausgehend von der Weltzuwendung Gottes wissen sich die Kirchen in
besonderer Weise an die Seite der Armen und Ausgestoßenen gestellt. Sie
betrachten die Wirklichkeit von Welt und Gesellschaft aus der Perspektive des
Evangeliums. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt Armen und Menschen am
Rande der Gesellschaft.
Hilfe für Hungernde, Fremde und Obdachlose, für Kranke und Gefangene ist für
Jesus unerlässliche Voraussetzung für eine geglückte Gottesbeziehung.“167
Beide Organisationen würden damit aber auch einen weiteren Baustein im Sinne ihrer
biblischen Gründungs- und Handlungsmotivation (Mt 25,40 im Rahmen des
Gleichnisses vom Weltgericht für F.W. Raiffeisen – siehe Kapitel 1.2.2 und Lk 10,2537 im Rahmen des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter für die Caritas – siehe
Kapitel 1.3.1), im Sinne einer gerechteren Welt und damit auch im Sinne der
Verwirklichung des Reiches Gottes, setzen.
167
Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich (Hg.), Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen
in Österreich, Wien 2003, 15.
99
6 Literaturverzeichnis
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1985.
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101
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dem Ende des 18. Jahrhunderts – Die katholische Kirche – Bd. V., Caritas und soziale
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Wollasch, Hans-Josef, Von Lorenz Werthmann zu Benedict Kreutz: Caritas in der
Weimarer Republick, in: Gatz, Erwin (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den
deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische
Kirche – Bd. V., Caritas und soziale Dienste, Freiburg im Breisgau 1997.
Zoll, Rainer, Was ist Solidarität heut? Frankfurt am Main 2000.
102
Broschüren:
Caritas Oberösterreich, Bewegt. Für Menschen, aktueller, unveröffentlichter Folder mit
Organigramm und Tätigkeitsbeschreibung des Mediendienstes der Caritas und die
Jahresschrift 2008 mit dem Jahresrückblick 2007, Linz 2008.
Internetquellen:
http://www.wiege-linz.at/band1 (19.12.2008).
103
Abkürzungsverzeichnis
CIC
Codex Iuris Canonici (Codex des kanonischen Rechtes)
DCV
Deutscher Caritasverband
GS
Gaudium et spes (Freude und Hoffnung)
NS
Nationalsozialismus
NSV
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
ÖCV
Österreichischer Caritasverband
RM
Reichsmark
SD
Staatssicherheitsdienst
104
Lebenslauf
Persönliche Daten:
Name:
Helmut Opitz
Adresse:
Obergassolding 14
4342 Baumgartenberg
Geboren am / in:
08. Jänner 1943 / Linz
Staatsbürgerschaft:
Österreich
Religionsbekenntnis:
Römisch – katholisch
Familienstand:
Verheiratet, zwei Töchter, fünf Enkelkinder
Familie:
Vater:
Franz Paungartner (gefallen im 2.Weltkrieg)
Mutter:
Maria Opitz (verstorben 2006)
Geschwister:
Ilse (1944)
Schulbildung:
1949 – 1953
Volksschule Baumgartenberg
1953 – 1957
Hauptschule Perg
Berufliche Tätigkeiten:
1957 – 1961
Tischlerlehre mit Lehrabschluß / Tischler
1961 – 1966
Post- und Telegraphenverwaltung für Oberösterreich und
Salzburg, Vertragsbediensteter
1966 – 2003
Kassenleiter / Geschäftsleiter der Raiffeisenkasse
Baumgartenberg, ab 1990 Geschäftsleiter der
Raiffeisenbank Perg
Studium:
Seit dem Herbstsemester 2003 Studium „Katholische Theologie – Studienrichtung
Fachtheologie“.