Vortrag - Club Real

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Vortrag - Club Real
GUDRUN 1876-2010, ehem. Tempelhofer Flugfeld, Berlin 23.05.2010
Ein Projekt von Club Real
Guten Abend. Ich werde Ihnen heute die Ergebnisse dieser Probegrabung vorstellen. Dazu muss ich
etwas weiter ausholen. Ich bitte diejenigen, die den Vortrag hören wollen, hier an den großen Tisch zu
kommen, ich werde hier einiges aufschreiben und Skizzen machen.
Am 12. Juni 1897, 25 Jahre vor der Eröffnung des Flughafens Tempelhof, demonstrieren hier auf dem
Tempelhofer Feld die Luftfahrtpioniere Friedrich Hermann Wölfert und Robert Knabe vor Militärs
und Politikern Ihr Luftschiff „Deutschland“ mit dem ersten Benzinmotor als Antrieb.
Tragischerweise entzündet der Motor den als Traggas benutzten Wasserstoff und das Luftschiff stürzt
ab, wobei die Flieger ums Leben kommen. Dieser Absturz ist jedoch nicht der folgenschwerste Vorfall
der sich hier auf dem Gelände ereignet hat. 21 Jahre früher gibt es hier einen Unfall, der ein nationales
Projekt zum Scheitern bringt und in seiner Symbolhaftigkeit wie ein Vorbote aller Katastrophen die
mit dem Projekt „Deutschland als Nation“ im 20.Jahrhundert verknüpft sind erscheint.
Ich möchte sogar soweit gehen zu sagen, dass mit der Aufarbeitung dieser Angelegenheit eine Chance
verknüpft ist die -wie man heute sagt- „Erfindung der Deutschen Nation“ noch einmal und unter
einem gnädigeren Aspekt der Geschichte zu vollziehen.
Damit sie die Bedeutung dessen womit ich Sie bekannt machen möchte abschätzen können werde ich
zuerst den historischen Kontext skizzieren. Wenn Sie im Laufe des Vortrags irgendwelche Fragen
haben können Sie mich jederzeit unterbrechen.
Abschnitt 1.
Das Denkmal und seine Rolle in der Nationalistischen Symbolpolitik der Kaiserzeit
Im 19. und frühen 20. Jh. gab es in zahlreichen Ländern einen Prozess der Nationalisierung der
Massen, der seinen Ausdruck unter anderem in Denkmalsetzungen und der Stiftung nationaler Mythen
gefunden hat, die durch ritualisierte Praktiken wie Denkmalsfeste und -feiern in der Bevölkerung
verbreitet wurden. Ein häufiges Merkmal des Nationalisierungsprozesses ist die Sakralisierung der
Nation, die sich in einer speziellen nationalen Liturgik und Symbolik äußerte.
Mit Max Weber lässt sich von vergemeinschaftenden Praktiken sprechen. Unter
Vergemeinschaftung im Gegensatz zu Vergesellschaftung verstand Weber Gesellungsformen, die eher
auf gefühlten Bindungen, statt auf Verbindung aufgrund von rationalen Interessen beruhten. Nationen
können mithin als "Imagined Communities" (vorgestellte Gemeinschaften) verstanden werden. In
symbolischen Formen wie Sprache, Denkmälern und nationalen Mythen wurde die Nation vorstellbar.
Bis heute sind Denkmale eines der wichtigsten Medien der Vermittlung des kulturellen Gedächtnisses.
Aus dem 19. Jh. sind deutschlandweit eine Reihe von Nationaldenkmälern überliefert, die die
nationale Vergemeinschaftung der Deutschen vor dem Hintergrund verschiedener herrschaftlicher
Verständnisse repräsentieren. SILHOUETTEN AUFZEICHNEN Angefangen hat die Entwicklung mit
der Walhalla von 1842 bei Regensburg, die das Verständnis der Deutschen als einige Kulturnation
feiert; ihr folgte die Befreiungshalle von 1863 bei Kehlheim, die die Vergemeinschaftung in den
Befreiungskriegen gegen das napoleonische Frankreich zelebriert, später das Niederwalddenkmal
von 1883 bei Rüdesheim, in dem eine siegesgewisse Germania über Frankreich triumphiert. In eine
ähnliche Deutungsvariante der deutsch-französischen Auseinandersetzung ist die Reaktivierung des
Hermannsmythos im Hermannsdenkmal in Detmold [1875] einzuordnen, in dem der Schlachtensieg
des Cheruskerfürsten über die Römer mit dem Sieg über Napoleon parallelisiert wird.
Eine ganze Reihe von Kaiser-Wilhelm-Denkmälern feiert die deutsche Einigung im Medium des
deutsch-französischen Krieges, gefolgt war diese Denkmalssetzungswelle von annähernd 300 KaiserWilhelm-Denkmälern, wie dem Kyffhäuser Denkmal [1897] und dem Denkmal am Deutschen Eck
in Koblenz [1896] durch eine ebenso große Welle von Bismarcktürmen mit Feuersäulen, von denen
einer auf dem der Porta Westfalica gegenüberliegenden Jakobsberg errichtet wurde [1902]. Schließlich
kann als monumentaler Abschluss der Serie nationalstaatlicher Denkmäler das
Völkerschlachtdenkmal in Leipzig [1913] gelten.
Allen diesen Denkmalen ist gemein, dass sie die deutsche Reichseinigung in einem Deutungsrahmen
nationalstaatlicher Vergemeinschaftung feiern und damit von den konkreten gesellschaftlichen
Verhältnissen der Stiftungszeit abstrahieren. Für unseren Fall ist außerdem das in der Mehrzahl der
damaligen Nationaldenkmale hervorstechende Merkmal der besonderen Feindschaft zu Frankreich
von Bedeutung.
2. Abschnitt
Der Deutsch-Französische Denkmalskrieg
In diesem Zusammenhang des symbolischen Denkmalkrieges mit Frankreich gibt es eine bislang
wenig erforschte und meiner Meinung nach auch zu Unrecht viel zu wenig bekannte Episode in den
deutsch/französisch/amerikanischen Beziehungen.
1876 ist das Jubiläumsjahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Zu den 100 Jahr Feiern der
Befreiung von der kolonialen Abhängigkeit von England soll es eine große nationale Besinnungs- und
Festkampagne geben.
In Europa hat der Pariser Jurist, Publizist und Politiker der Dritten Republik Édouard René Lefebvre
de Laboulaye die Idee dass der französische Staat der amerikanischen Republik eine an die
Unabhängigkeit und die Überwindung der Sklaverei erinnernde Kolossalstatue schenken könnte. Die
Französische Regierung befürwortet das Projekt, da sie die Amerikaner an Ihre Rolle bei dem Sieg
gegen die Engländer erinnern will. Der Bildhauer Frederic Auguste Bartholdi, der auch schon den
französischen Nationalhelden Vercingetorix- in Deutschland vor allem aus Asterix bekannt- das
Pendant zum Deutschen Hermann-Arminius gestaltet hat steuert einen Entwurf bei. SILHOUETTE
AUFZEICHNEN Diese Statue, die die römische Göttin Libertas mit einer Fackel in der Hand zeigt
hatBartholdi ursprünglich der türkischen Republik für den Eingang des Suezkanals angeboten, dort
konnte sie infolge Geldmangels jedoch nicht verwirklicht werden. 1870 allerdings scheint die Zeit für
die LIBERTY gekommen zu sein.
Die Französischen Pläne werden Fürst Bismarck persönlich von seinem Pariser Korrespondenten Graf
Ferdinand von Pitrockwoczcki mitgeteilt und vom Deutschen Reichskanzler an den Kaiser
weitergegeben. Kaiser Wilhelm I. der gerade erfolgreich im sogenannten Schweinkonflikt oder „Pig
War“ zugunsten der USA gegen England vermittelt hatte, ist von der Idee einer französisch
amerikanischen Annäherung wenig erfreut und überzeugt den Reichskanzler von der Notwendigkeit
einer flankierenden Gegenmaßnahme, beide haben allerdings im Herbst 1872 noch keine konkrete
Idee.
EINSCHUB Deutsch-Amerikanisches Verhältnis
Ich muss hier vielleicht noch kurz anfügen , dass Preussen und später auch das deutsche Kaiserreich
unter Bismark und Wilhelm mit den USA traditionell ein gutes Verhältnis hatten. Bereits Friedrich der
Große hat 1785 einen Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen Preußen und den USA - der erste
diplomatische Vertrag der jungen Republik- geschlossen. Das führte dazu, daß das Ansehen Preußens
in den USA noch mehr anwuchs. Es war schon vorher wegen der Rolle Friedrichs des Großen im
Siebenjährigen Krieg recht hoch, wo dieser durch seine Auseinandersetzungen in Europa Amerika den
Rücken freihielt und zur gleichen Zeit Frankreich Kanada verlor, so daß Friedrich der Große als
wirklicher Held galt. In Pennsylvania gab es damals viele Wirtshäuser, die „Zum Großen Fritz" oder
ähnlich hießen.
Die unterschiedliche Regierungsform bewertete Bismarck als er gefragt wurde so: „Konservativ ist nur
das historisch Gewordene, und deshalb ist die amerikanische Republik eine konservative Form."
Bismarcks Außenpolitik läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Er war bestrebt, die Beziehung zu
Amerika so positiv wie nur irgend möglich zu gestalten. In der Spätphase des amerikanischen
Bürgerkriegs halfen deutsche Banken der Unionspartei mit Anleihen die so viel Gewinn einbrachten,
dass Deutschland damit einen Teil des Deutsch/Französischen Krieges 1869/70 finanzieren konnte.
Weihnachten 1874, in Paris hat bereits die Arbeit am Modell der Liberty begonnen, besucht der Kaiser
in München die damals weltgrößte Bronzestatue, die 18,52 Meter hohe Allegorie Bayerns, Bavaria.
Der Besuch überzeugt ihn davon, dass in Deutschland eine größere und imposantere Statue als die von
Paris geplante Liberty, gebaut werden kann. Bismarck bleibt skeptisch gegenüber der Idee eines
Wettlaufs im Monumentalstatuenbau aber er lässt sich schließlich vom Kaiser überzeugen. Nur
zwei Wochen später wird unter strenger Geheimhaltung ein Ideen-Wettbewerb der größten
Skulpturenwerkstätten und auf Denkmäler spezialisierten Architekturbüros in Deutschland
durchgeführt.
Die besondere Herausforderung besteht darin eine Statue zu entwerfen die
1. Ein besonderes Geschenk zum Jubiläum der amerikanischen Unabhängigkeit darstellt. Das
heißt, sie muss einen oder mehrere zentrale Werte aus dem Selbstverständnis der
amerikanischen Nation glaubwürdig verkörpern oder zumindest das Potential haben zu
einem solchen zentralen Wert zu werden.
2. Sie muss ein spezifisch Deutsches Bild der amerikanischen Nation verkörpern, anders
formuliert, es soll Ihr eine Erzählung oder ein Archetyp zugrunde liegen, der auch für den
gegenwärtigen deutschen Nationalisierungsprozess eine Rolle spielt. Diese Herausforderung
ist groß, da Amerika und Frankreich beides Republiken sind und Deutschland ein von einem
autoritären Reichskanzler dominiertes Kaiserreich.
3. Die Statue muss, und das ist vielleicht das Entscheidende bei diesem Entwurfswettbewerb,
eindrucksvoller, gefühlvoller, geistvoller und größer als die von den Franzosen gebaute
Liberty werden.
4. Sie muss rasch gebaut werden damit sie vor der Liberty fertiggestellt und über den Atlantik
gebracht werden kann.
Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es erstaunlich wie viele Werkstätten und Architekten sich an
dem Entwurfswettbewerb beteiligt haben. Leider ist davon insgesamt sehr wenig Material erhalten
geblieben. Die meisten Entwürfe wurden aufgrund Ihrer an antike griechische oder römische Motive
und Personen anknüpfende Thematik als zu wenig deutsch abgelehnt. Von den zwei Siegerentwürfen
wählte der Kaiser persönlich die weibliche Allegorie, nicht nur weil die Liberty auch eine Frau ist,
sondern weil er ein gutes Gespür für das Zeitempfinden hatte. Die politische Ikonographie damals
brauchte den weiblichen Körper, da er politisch weniger kontaminiert war und andere Tugenden
auszudrücken vermochte als der männliche Held. In diesem Sinne galt der weibliche Körper als
Projektionsfläche.
3.Abschnitt
Projekt GUDRUN
Der von einer Jury unter Vorsitz des Kaisers in Absprache mit Bismarck prämierte Entwurf „Gudrun“,
in den Akten als „Projekt Gudrun“ bezeichnet, wurde von dem in Wien tätigen deutschen Bildhauer
Caspar von Zumbusch eingereicht. Der Entwurf ist ebenso wie fast alle Beschreibungen der Statue
nicht mehr erhalten. Nur durch einen Zufall haben wir heute überhaupt ein Dokument zur Hand das
Form und Ikonografie der Statue überliefert.
Was wissen wir über die Figur der Gudrun und warum wurde ausgrechnet sie ausgewählt:
Gudrun ist einerseits eine Figur aus der Liederedda, also der erhaltenen Texte über die
nordgermanische Mythologie. Hier repräsentiert sie vor allem die trauernde Gattin des toten Helden
Sigurd-ikonographisch der christlichen Piéta nahestehend. Wichtiger noch ist für das Verständnis der
Wahl der Figur das Mittelalterliche Gudrunslied, indem die an eine ferne Küste entführte leidende
Gudrun als damaliger Inbegriff deutscher weiblicher Tugenden auftaucht:
2 Zitate:
„Das Handeln der zentralen Figur der Kudrun wird von der germanistischen Forschung sehr vielfältig
interpretiert; es reicht von einer regelrechten Bewunderung für die den höfischen Idealen der Treue,
Aufrichtigkeit und Barmherzigkeit verpflichteten Braut über eine Auslegung als moderne,
selbstbewusst entscheidende Frau bis hin zur Verurteilung als wankelmütiges, undiszipliniertes und
leicht zu beeinflussendes Mädchen. Insbesondere in der älteren Germanistik wurde Kudrun als
Symbolfigur für die angeblich natürlichen Tugenden der deutschen Frau schlechthin regelrecht
verehrt, später galt sie dann als eine geradezu emanzipierte Frau mit starkem eigenen Willen.“
„Die reichste und größte unter ihnen bleibt aber, wie wir alle wissen, Gudrun. Der Dichter läßt sie
nach germanischer Art vor unseren Augen wachsen, nicht im Glück, erst in Not und Elend zeigt sie
ihre ganz Größe und Treue. Durch ihre Ruhe, mit der sie gelassen und königlich alle Demütigungen
erträgt, erhebt sie immer von neuem sich über die Gerlint und reizt diese dadurch zu heftigerem und
doch ohnmächtigem Zorn. Als die Vergeltung naht, ist sie ganz germanische Heldin in ihrer
Verschlagenheit, ihrem listigen Trug und ihrem wilden Triumph. Mitten im Kampf enthüllt sich ihre
Hochherzigkeit und Milde, sie schont die Ortrun, sie will sogar ihre Peinigerin, die Gerlint, schonen,
und das ist vielleicht der schönste Zug in ihrem Wesen. Dabei bleibt Gudrun als Königin und als
Wäscherin immer ganz Frau, voll zarten Gefühls für Schicklichkeit und Scham.“
Was für ein Bildprogramm bzw. was für eine mythische Situation hat Caspar von Zumbusch gewählt
um die komplexen Anforderungen des nationalen Wettbewerbs zu erfüllen.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Augenblick der Darstellung der einen plötzlichen
Wechsel von einer schrecklichen, hoffnungslosen Situation zur nahenden Erlösung mit der Aussicht
auf eine großartige Zukunft beinhaltete.
Dazu bediente sich der Bildhauer der im Gudrunslied überlieferten Geschichte von der als Wäscherin
versklavten Königstochter in der Normandie (auch hier ein Verweis auf den Erzfeind Frankreich)der
bei Ihrer traurigen Arbeit am Meer ein Schwan mit menschlicher Stimme als Hoffnungsprophet
erscheint.
Gudrun ist in dieser Inszenierung eine Mischung aus Maria mit dem Verkündigungsengel und Leda
mit dem göttlichen Schwan, wobei der Schwan in unserem Fall eindeutig die aufsteigende
amerikanische Nation symbolisiert die das von Gudrun verkörperte, über einem Berg von Toten
(Indianern, Spaniern, Franzosen, afrikanischen Sklaven, Unionisten und Konföderierten Soldaten)
trauernde, amerikanische Volk befreit. Der Wandel ist in der Statue greifbar, denn nur Ihr Körper
trauert, der Kopf ist im Begriff gehoben zu werden und der Blick folgt dem Aufstieg des Schwans zu
amerikanischer Herrlichkeit und Größe.
Der Zentrale Wert ist in diesem Fall nicht, wie im Falle der Liberty die Freiheit, sondern die Treue
und Verpflichtung zum selbstgewählten Ideal durch alle Widrigkeiten hindurch und damit
verknüpft ein Heilsversprechen das diese Ethik belohnt.
Schön und gut werden sie jetzt vielleicht denken, aber wo ist sie, diese kollossale Treuestatue für
Amerika? Und damit kommen wir zu
Abschnitt 4
Das Doppelte Scheitern des Projektes Gudrun
Mit Gustav Johann Heine, einem Neffen des berühmten Dichters Heinrich Heine hatte die deutsche
Seite einen begabten und gebildeten Informanten in der Liberty-Werkstatt Bartholdis in Paris. Daher
wussten die Deutschen sehr früh, dass es von französischer Seite Finanzierungsprobleme gab und die
Liberty nicht bis zum Jubiläumsjahr 1876 fertig werden würde.
Dadurch war die Chance den Franzosen zuvorzukommen plötzlich sehr groß und der Reichskanzler
ließ sich überzeugen das Projekt Gudrun zu 80 Prozent mit einem Staatskredit zu finanzieren. Die
restlichen Gelder wurden von reichen deutschamerikanischen Industriellen zur Verfügung gestellt. Im
Frühjahr 1875 wird auf dem militärischen Teil des Tempelhofer Feldes eine 150 Meter lange Halle
und eine 55 Meter hohe Gerüstwand aufgebaut. Mit der Eisenbahn werden die Einzelteile der
Stahlkonstruktion und der Sandsteinhülle aus dem Ruhrgebiet und aus Bayern angeliefert. Ein halbes
Jahr später kann die Statue, die mit 52 Metern um 6 Meter höher ist als die noch nicht einmal
finanzierte Liberty bereits probeweise aufgebaut werden. Zu Weihnachten 1875, die Gudrun ist im
Schutz der Gerüstwände vollständig aufgebaut worden kommt es zum ersten Wendepunkt im
Verlauf des Projektes. Der Kaiser besucht gemeinsam mit dem amerikanischen Botschafter George
Bancroft die Baustelle. Dieser Besichtigung verdanken wir die einzige erhaltene schriftliche Quelle
über die Monumentalstatue aus der Feder von William Lothrop-Meyer. Lothrop-Meyer war
deutschamerikanischer Grundschullehrer und unterrichtete die Kinder des Botschafters in Englisch.
Zufällig war er an diesem Tag dabei und verfasste einen enthusiastischen Eintrag in sein Tagebuch,
der später, ohne Kenntnis des Verlaufs der Geschichte und als in Deutschland bereits alle mit dem
Projekt verbundenen Materialien und Dokumente vernichtet waren, noch in einem amerikanischen
Schullexikon unter dem Titel „Gudrun, the german collossus“ publiziert wurde.
Aber zurück zum Weihnachtstag 1875. Der amerikanische Botschafter und persönliche Freund
Bismarcks ist von der Statue beeindruckt, muss der deutschen Seite aber eine unangenehme
Botschaft des amerikanischen Kongresses überbringen. Die Amerikaner wollen die französiche
Schwesterrepublik nicht brüskieren und da der Plan der Libertyschenkung zuerst entstanden war, hat
der Kongress entschieden, dass nur die Freiheitsstatue in New York aufgestellt werden soll. Man sei
hocherfreut über die geplante deutsche Schenkung, könne dafür allerdings nur ein stadtnahes
Grundstück in Boston zur Verfügug stellen.
Wir wissen nicht wie der Kaiser diese Zurückstellung aufgenommen hat, sicher ist jedenfalls, dass
damit der Versuch das Französische Projekt zu überbieten erstmal gescheitert war. Bismarck ließ sich
davon jedoch nicht aufhalten und entschied den Transport der Statue durch Deutschland und über den
Atlantik zu einem nationalpropagandistischen Höhepunkt zu machen. In der Folge kam es zu der
fatalen Entscheidung die die Katastrophe und das vollständige Scheitern des Projektes ermöglichte.
Der tonnenschwere Stahl- und Sandsteinkopf der Gudrun sollte nämlich vom Tempelhofer Feld aus
mit vier Transportballonen über die Reichshauptstadt nach Hamburg geflogen werden.
Vorgesehen dafür war der 6.März 1876, denn Ende April musste die Statue in Boston eintreffen um
noch rechtzeitig bis zum 4. Juli auf den von einer deutschen Firma aus Chicago gebauten Sockel
aufgestellt werden zu können.
Im Januar wurden die Transportballons getestet und am 9. Februar, einem sehr kalten Tag ereignete
sich das Unglück. Wahrscheinlich sollte ein Testflug stattfinden, denn der Kopf wurde an den Ballons
befestigt und in vierzig Meter Höhe befördert. Was dann genau passierte darüber gibt es
unterschiedliche Hypothesen. Am wahrscheinlichsten ist dass sich durch einen unvermutet starken
Windstoß einer der Ballons gelöst hat und die restlichen drei mit der schweren Last auf das Dach der
Halle gestürzt sind. Drei Ingenieure und 11 Soldaten wurden dabei getötet. Der Gudrunkopf ist in
meherere Teile zerbrochen und durch den teilweisen Einsturz der Halle wurde auch der Körper und
der 23 Meter lange Schwan schwer beschädigt.
Abschnitt 5
Ende und groteskes Nachspiel
Um zu begreifen warum diese Katastrophe, die von den Medien aufgrund der noch immer ganz guten
Geheimhaltung des Projektes kaum wahrgenommen wurde, das Ende des gesamten Gudrun-Projektes
nach sich gezogen hat, wurden verschiedene Erklärungsmuster entwickelt. Ein wesentlicher Faktor
war wohl die Befürchtung das die französische Seite die amerikanische Zurücksetzung und dann das
peinliche Unglück der Deutschen beim Transport propagandistisch ausschlachten würden und die
ganze Aktion dadurch einen negativen Eindruck in der internationalen Öffentlichkeit produzieren
würde. Ich persönlich tendiere dazu mich der Meinung anzuschließen dass es der impulsive und
manchmal unberechenbare Charakter des Reichskanzlers Bismarck war der plötzlich jegliches
Interesse an dem Projekt verloren hatte und es als Fehlentscheidung aus dem Gedächtnis der
Deutschen Nation tilgen wollte. Sicher ist jedenfalls, dass die Trümmer der Statue beseitigt wurden
und dass alle bereits gedruckten Abbildungen, Entwürfe, Pläne und die mit dem Projekt
zusammenhängenden Dokumente vernichtet wurden.
Eine groteske Reminiszenz an die untergegangene Gudrun gab es bei der Weltausstellung in Chicago
1893. Der seit drei Jahren entmachtete Reichskanzler Bismarck konnte nicht verhindern, dass der
Köllner Schockoladenfabrikant Stollwerck dort eine 7 Meter hohe Schockoladenstatue in einem
Tempel als „Gudrun and the mythic swan“ präsentierte. Die Schokoladengrudrun wurde danach
eingeschmolzen und die daraus hergestellten Tafeln an amerikanische Schulkinder verschenkt.
Abschnitt 6
Persönliche Geschichte
An dieser Stelle möchte ich jetzt ein paar Worte über mich sagen. Mein Name ist Wolfgang Meyer.
Mein Vater war in der Verwaltung der Airforce tätig und hat während der Berlin Blockade die
Luftbrücke mitorganisiert. Ich hab Ende der 80er an der FU Kunstgeschichte studiert und war dann
eine Zeitlang als Privatdozent hier tätig. Mit dem Projekt Gudrun beschäftige ich mich schon über 20
Jahre und ich habe mich in dieser Sache ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Also ich werde das
jetzt nicht hier ausbreiten, aber es gibt auch heute noch Leute die nicht wollen dass dieser Fall
aufgearbeitet wird. Aber die aktuelle Situation hier mit dem geschlossenen Flughafen und den Plänen
für das Gelände ist äußerst günstig, das heißt, es gibt gerade jetzt eine Chance sich der
Vergangenheit zu stellen und mit dem nationalen Erbe oder dem was es hätte sein sollen einen
Neuanfang zu wagen. Kommen sie bitte mit, ich werde jetzt die Grabungsergebnisse zeigen.
Abschnitt 7
Enthüllung des Ohrs
Mir war aufgrund der Recherchen schon klar das in diesem Bereich etwas zu finden sein sollte, aber
da das nur eine Probegrabung war ist es schon ein außerordentliches Glück gleich auf ein völlig
unbeschädigtes Ohr der Statue zu stoßen. Wir haben die Oberfläche auch schon etwas abgeschliffen
und wie sie sehen ist der Sandstein immer noch wunderschön.
Wie sie sehen liegt die Vergangenheit hier wirklich greifbar nahe unter der Erde und ich galube man
sollte die Besonderheit des Augenblickes ausnutzen. Die Situation hier auf dem Tempelhofer Feld
würde ich als historischen Moment bezeichnen den gegenwärtigen Mangel an europäischen
Identifikations und Intergrationssymbolen mithilfe dieses schlummernden Erbes zu beheben. Nehmen
wir uns Édouard de Laboulaye zum Vorbild und sorgen wir dafür das Gudrun aus der Vergessenheit
wiederersteht und an diesem Ort an diese wichtige Episode in der Deutschen und Europäischen
Geschichte erinnert.
Danke.