Mittelzentren Thüringens. Wenn weniger mehr bedeutet. Berlin
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Mittelzentren Thüringens. Wenn weniger mehr bedeutet. Berlin
Thüringer Memos Herausgegeben vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Mittelzentren Thüringens. Wenn weniger mehr bedeutet. Dr. Reiner Klingholz, Manuel Slupina Thüringer Memos. Ausgabe 04 Inhalt 1 Was Mittelzentren leisten ......................................................................................................... 2 2 Schlechte Aussichten für Mittelzentren ................................................................................. 4 2.1 3 Abseits der Städtekette sind die Verluste am größten 6 Notgedrungene Folge – Versorgung verschlechtert sich trotz vieler Mittelzentren.......... 8 3.1 4 Mittelzentren sind kein Ersatz 10 Die Entwicklung steht in Konflikt mit Zielen und (finanziellen) Möglichkeiten der Landesregierung ..................................................................................................................... 20 4.1 5 Die Herausforderungen am Beispiel Schmalkaldens 22 Welche Möglichkeiten ergeben sich für Thüringen? .......................................................... 24 5.1 Landesentwicklungsplan 2025 lässt die Chance für notwendige Anpassungen verstreichen 24 5.2 Aufgaben für ein „Mittelzentrum der Zukunft“ 25 5.3 Andere Bundesländer machen es vor 26 5.4 Neuausrichtung der zentralen Orte im Einklang mit Gebietsreformen 27 5.5 Mobile Angebote als Ergänzung 28 1 Herausforderung für Thüringer Mittelzentren 1 Was Mittelzentren leisten Einst glich Thüringen einem politischen Flickenteppich. Zahlreiche, meist kleinere Fürstentümer regierten ihre überschaubaren Territorien nebeneinander. Einige von ihnen verschwanden nach wenigen Jahren wieder, andere wie das des Geschlechts der Reußen überdauerten Jahrhunderte. Ihr Herrschaftsgebiet teilte sich jedoch im Laufe der Zeit immer weiter auf. Denn lange stand jedem Fürstensohn im Erbfall sein eigenes kleines Reich zu, was die Zersplitterung weiter vorantrieb. Erst die Gründung des Landes Thüringen am 1. Mai 1920 setzte der Kleinstaaterei endgültig ein Ende. 1 Doch in Thüringen zeigt sich noch heute das historische Erbe aus der Zeit der kleinteiligen Strukturen. Denn die große Zahl an Fürstentümern führte zu einer ausgeprägten Dezentralisierung. Zahlreiche kleinere und mittlere Städte wurden zu Residenzsitzen aufgewertet. Bis auf Erfurt entwickelten sich keine größeren Zentren. Geblieben ist bis heute ein Städtenetz, das einmalig in der Bundesrepublik ist. Nahezu gleichmäßig verteilt sich die große Anzahl an kleineren und mittleren Städten über das Bundesland. 2 Viele davon sind heute zu Mittelzentren geworden. Denn mit der Wiedervereinigung wurde das bereits in der alten Bundesrepublik angewandte Zentrale-Orte-System auch auf die neuen Bundesländer 3 übertragen. Die thüringischen Städte erhielten je nach ihrer Größe eine zentralörtliche Stufe. Für die Mittelzentren bedeutet dies, dass sie wichtige Versorgungsfunktionen für die eigene Bevölkerung sowie für die Menschen in ihrem Umland übernommen haben. Als Knotenpunkte vieler sozialer Infrastrukturen sollen sie es ermöglichen, den Arztbesuch etwa mit einem Behördengang oder Einkäufe mit einem Kinobesuch zu verknüpfen. Auch für die Anbieter ergeben sich durch die zentrale Lage Vorteile, denn sie erreichen dadurch eine höhere Zahl an Nutzern. Zudem erleichtert die Konzentration der Versorgungsangebote die Verkehrsplanung. Straßen oder auch der öffentliche Nahverkehr können effektiver auf die zentralen Orte ausgerichtet werden. 4 Die historisch gewachsene Siedlungsstruktur in Thüringen spiegelt sich in der Zahl der zentralen Orte wider. Auf die drei Oberzentren Erfurt, Jena und Gera kommen insgesamt 32 Mittelzentren. 5,6 Dieses 1 Herz, H. (o.J.): Regierende Fürsten und Landesregierungen in Thüringen 1485-1952. Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen. 2 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2011): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 1. Entwurf. Erfurt. 3 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2011): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 1. Entwurf. Erfurt. 4 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn. 5 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2011): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 1. Entwurf. Erfurt. 2 Zahlenverhältnis verdeutlicht die Bedeutung der Mittelzentren für die Versorgung der Bevölkerung. Weiterführende und berufliche Schulen, Krankenhäuser und Fachärzte oder Kultur- und Freizeitangebote in den Mittelzentren sollen auch für die Menschen in den entlegenen und dünn besiedelten Regionen Thüringens wie dem Kyffhäuserkreis oder dem Landkreis Hildburghausen in einem zumutbaren Aufwand erreichbar sein. Die Mittelzentren sind damit ein wesentlicher Bestandteil im Konzept einer flächendeckenden Versorgung oder „gleichwertiger Lebensverhältnisse“, auch wenn Letzteres zunehmend schwerer zu verwirklichen sein dürfte. Neben den Versorgungsfunktionen verband die Raumplanung mit der Ausweisung der zentralen Orte auch die Hoffnung, diese könnten flächendeckend zu Impulsgebern für die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländer werden. Investitionen und Förderprogramme orientierten sich am ZentraleOrte-System – insbesondere beim Wohnungsbau oder bei der Ansiedlung von Industrie und Gewerbe. 7 Der erwünschte Aufholprozess hat sich jedoch nur teilweise eingestellt. Zwischen 1990 und 2005 hat Thüringen wie ganz Ostdeutschland nahezu ununterbrochen Arbeitsplätze verloren. Seitdem hat sich das Blatt zwar ein Stück weit gewendet, und es sind neue Jobs entstanden, diese jedoch vorwiegend in den Großstädten. In den Mittel- und Kleinstädten sowie in den ländlichen Regionen war die 8 Beschäftigungsentwicklung schwächer. Die Disparitäten innerhalb des Bundeslandes dürften in den nächsten Jahren damit weiter wachsen. Dies führt zunehmend auch zu einem Umdenken in der Raumplanung. An die Stelle von „Zuwachs“ tritt verstärkt der Gedanke des „Umbaus“, um auch künftig in peripheren Räumen eine leistungsfähige Grundversorgung anbieten zu können. 9 Ob dieses Ziel in Thüringen erreicht wird, hängt maßgeblich davon ab, wie gut die Mittelzentren künftig ihre zugedachten Aufgaben erfüllen können. Der anhaltende Bevölkerungsschwund wird dabei Anpassungen des Zentrale-Orte-Netzes unausweichlich machen. Denn sinkt die Zahl der Menschen im Einzugsgebiet eines Mittelzentrums unter einen kritischen Wert, verschwinden viele Angebote mangels wirtschaftlicher Tragfähigkeit. Die Städte verlieren damit die Versorgungsfunktion, die ihnen eigentlich zugedacht ist. Die Raumplanung steht hier vor einem großen Dilemma. Reduziert sie die Zahl der zentralen Orte, verbesset sich zwar einerseits deren wirtschaftliche Tragfähigkeit aufgrund größerer Einzugsgebiete. Aber andererseits werden für die Bewohner peripherer Regionen die Wege deutlich länger. Eine flächendeckende Erreichbarkeit der Versorgungsangebote wäre somit gefährdet. Die Erreichbarkeit und die Leistungsfähigkeit der Städte werden also über das künftige Versorgungsniveau entscheiden. Welche Möglichkeiten aber hat der Freistaat Thüringen künftig 6 Der erste Entwurf des Landesentwicklungsplans 2025 sieht acht Mittelzentren mit Teilfunktionen eines Oberzentrums sowie 24 weitere Mittelzentren vor. 7 Paepke, M. (2010): Empirische Befunde zur Entwicklung der Lebensverhältnisse in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In: Rosenfeld, T.W.; Weiß, D. (Hrsg.): Gelichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Politik und Marktmechanismus: Empirische Befunde aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hannover. 8 Kröhnert, S. et al. (2011): Die Zukunft der Dörfer. Zwischen Stabilität und demografischem Niedergang. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin. 9 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn. 3 angesichts stark rückläufiger Bevölkerungszahlen, eine angemessene Versorgung in allen Landesteilen zu garantieren? Und welche raumpolitischen Reformen sind dabei unausweichlich? 2 Schlechte Aussichten für Mittelzentren Die demografischen Rahmenbedingungen für die Thüringer Mittelzentren werden sich über die kommenden Jahre und Jahrzehnte stetig verschlechtern und dabei nicht wesentlich zu beeinflussen sein. Denn die Grundlagen der demografischen Entwicklung sind durch die niedrigen Geburtenzahlen der Vergangenheit bereits weitgehend gelegt. Die Zahl der jungen Familien oder Rentner von morgen lässt sich heute schon absehen. Weniger Kinder führen zeitversetzt um eine Generation zu weniger potenziellen Eltern. Waren kurz nach der Wende noch knapp 21,5 Prozent der thüringischen Bevölkerung im Familiengründungsalter von 23 bis 36 Jahren, sind es heute noch rund 16,5 Prozent und im Jahr 2030 werden es voraussichtlich weniger als 13 Prozent sein. 10,11 Selbst wenn diese „halbierte“ Generation aufgrund verbesserter Betreuungsangebote und größere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wieder mehr Kinder bekommen würde, ist ein weiteres Absinken der absoluten Geburtenzahlen nicht zu verhindern. Dies verdeutlicht ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Trotz einer steigenden Fertilität in Thüringen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends sank die Zahl der Geburten im gleichen Zeitraum von 17.577 auf 16.854. 12 Abwenden könnte einen weiteren Bevölkerungsrückgang ein starker Zustrom von Menschen aus anderen Bundesländern oder dem Ausland. Thüringen gehört bisher jedoch nicht zu den vorrangigen Wanderungszielen. Zwar ist die massive Abwanderungswelle zu Beginn der 1990er Jahre mittlerweile zum Erliegen gekommen, trotzdem konnte Thüringen in den letzten zehn Jahren keine Wanderungsgewinne verbuchen. Im Mittel verlor das Bundesland in diesem Zeitraum jährlich rund 10.000 Menschen allein durch Abwanderung. 13 Dass sich dies nun radikal ändert und Thüringen künftig massenweise Menschen von außerhalb anzieht, ist aus zwei Gründen unwahrscheinlich. Erstens sind es vor allem Metropolregionen wie Berlin, München oder Hamburg, die genügend Anziehungskraft besitzen, um bundesweit Menschen zum Zuzug zu bewegen: Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft bieten sie das attraktivste Gesamtpakt aus Arbeitsplätzen, Bildungsmöglichkeiten, Freizeit- und Kulturangeboten. Auch Erfurt kann als größte Stadt Thüringens Menschen aus dem ländlichen Umland gewinnen. Die Strahlkraft der Landeshauptstadt geht jedoch kaum über die Landesgrenzen hinaus. Zweitens geht in der ganzen Republik die Zeit des Bevölkerungswachstums zu Ende und selbst wirtschaftlich starke Bundesländer wie Hessen oder 10 Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Ergebnisse der 12. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden. 11 Bertelsmann Stiftung (2030): Deutschland im demografischen Wandel 2030. Datenreport. Länderbericht Thüringen. Gütersloh. 12 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2010): Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumforschung (BBSR). Inkar 2010. Bonn. 13 Thüringer Landesamt für Statistik (2013): Gesamtwanderungen ab 1985. Erfurt. 4 Bayern werden in absehbarer Zeit an Bevölkerung verlieren. Thüringen dürfte also künftig von ebenfalls demografisch schrumpfenden Nachbarregionen umgeben sein und wird es deshalb noch schwerer haben, sich diesem Trend zu entziehen. Die künftige Größe oder Altersstruktur der Bevölkerung kann also ziemlich genau vorhergesagt werden. Die neuen Bundesländer geben die Richtung vor Veränderung der Bevölkerungszahl zum Basisjahr 2013 Seit der Wende haben die neuen Bundesländer kontinuierlich an Einwohnern verloren. Am stärksten waren die Verluste dabei in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Einzig Brandenburg, das von seiner Nähe zu Berlin profitiert, konnte sich dieser Entwicklung ein Stück weit entziehen. Der Hauptstadteffekt dürfte künftig aber auch hier einen Rückgang der Bevölkerung nicht verhindern können. Längerfristig werden voraussichtlich selbst heute noch wachsende Bundesländer Bundesamt) wie Bayern vom Abwärtstrend erfasst. (Datengrundlage: Statistisches 14 14 Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Ergebnisse der 12. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden. 5 Thüringen gehört wie die anderen Flächenländer im Osten Deutschlands zu den Vorreitern des demografischen Wandels. Seit der Wende sinken hier die Einwohnerzahlen. Von den 2,6 Millionen Einwohnern im Jahr 1990 sind heute noch knapp 2,2 Millionen geblieben. Bis zum Jahr 2050 dürfte die Bevölkerungszahl weiter zurückgehen, auf dann rund 1,5 Millionen Menschen. Daneben wird die Bevölkerung in den nächsten Jahren deutlich altern. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich knapp 39 Prozent der Thüringer 65 Jahre oder älter sein – 2012 waren es lediglich 23 Prozent. 15 2.1 Abseits der Städtekette sind die Verluste am größten Die thüringische Bevölkerung schrumpft und altert regional sehr ungleichmäßig. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Landschaft Thüringens ist einerseits durchzogen von zahlreichen Gebirgszügen und Tälern. Andererseits durchschneiden große Verkehrsachsen wie die ICE-Verbindungen zwischen Berlin und München, sowie Dresden und Frankfurt oder die Autobahnen A4 und A9 das Bundesland. Beides führt dazu, dass bestimmte Regionen gut erschlossen und einfach zu erreichen sind, andere wiederum nicht. Dies verstärkt gerade in den entlegenen Regionen den Schrumpfungsprozess. Denn je weiter kleine und mittlere Orte von Zentren entfernt sind, desto stärker sind tendenziell ihre Einwohnerverluste. Profitieren können davon einige größere Städte, die sich auf Kosten ländlicher Regionen stabilisieren. Vor allem junge Menschen streben auf der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz verstärkt in die Großstädte Erfurt und Jena und kehren damit den Trend der Suburbanisierung um. Denn noch in den 1990er Jahren zog es viele Menschen auf der Suche nach einem eigenen „Haus im Grünen“ ins ländliche Umland. Die Städte verloren dadurch an Einwohnern. Seit der Jahrtausendwende fühlen sich jedoch wieder viele vom urbanen Leben angezogen. Für die Städte Erfurt, Weimar und Jena bedeutete das die Trendwende. Sie wurden von „schrumpfenden Städten“ zu den wenigen Wachstumsinseln des Bundeslandes. Im Zeitraum von 2000 bis 2012 konnten die drei Städte zwischen drei und fünf Prozent an Einwohnern gewinnen. 16 Die günstige Entwicklung der urbanen Zentren hat allerdings auch eine Kehrseite: Sie verschärft den Bevölkerungsschwund in den meisten ländlichen Gemeinden sowie in vielen Klein- und Mittelstädten. Dieser Trend, wonach es die Menschen bei insgesamt rückläufigen Bevölkerungszahlen vermehrt in die wenigen größeren Städte zieht, zeigt sich in allen Flächenländern Ostdeutschlands. 15 Statistisches Bundesamt (2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Ergebnisse der 12. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden. 16 Thüringer Landesamt für Statistik (2013): Bevölkerungsstand und Struktur. Erfurt. 6 Stabilisierung der Mitte Bevölkerungsvorausberechnung in Thüringen von 2009 bis 2030 Bei der demografischen Entwicklung Thüringens ist keine Trendwende in Sicht. Einzig die drei großen Städte Erfurt, Weimar und Jena dürften sich bis 2030 demografisch stabil entwickeln oder leicht an Bevölkerung hinzugewinnen. Abseits dieser Städtekette wird die Bevölkerung voraussichtlich stark zurückgehen. Besonders groß dürfte der Bevölkerungsrückgang im Kyffhäuserkreis, dem Landkreis Greiz und Saalfeld-Rudolstadt sowie in der kreisfreien Stadt Suhl sein. Hier werden voraussichtlich im Jahr 2030 rund ein Drittel weniger Menschen leben als noch 2009. (Datengrundlage: Thüringer Landesamt für Statistik) 17 Künftig wird sich diese Entwicklung weiter verschärfen. Die jetzt schon dünn besiedelten Regionen Thüringens werden den größten Einwohnerschwund hinnehmen müssen. Die Unterschiede zwischen den prosperierenden Städten im Herzen des Bundeslandes und in ländlichen Regionen in Randlage werden daher weiter zunehmen. Dies dürfte sich künftig nicht nur an der Bevölkerungsdichte zeigen, sondern auch an den regionalen Lebensbedingungen. 17 Thüringer Landesamt für Statistik (2013): Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 nach Kreisen in Thüringen. Erfurt. 7 3 Notgedrungene Folge – Versorgung verschlechtert sich trotz vieler Mittelzentren Weniger Menschen bedeuten auch weniger Nachfrage. Gerade für die Versorgung in den ländlichen Regionen hat dies weitreichende Folgen: Vielerorts schließen der Bäcker, der Metzger und der letzte Lebensmitteladen aus Mangel an Kundschaft. Die wenigen Kinder vor Ort reichen nicht mehr aus, um die Grundschule zu erhalten. Kurzum: Dienstleistungen und Angebote werden teurer oder verschwinden völlig. Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, Personennahverkehr, Betreuungsangebote für alte Menschen und für Kinder sowie Bildungs- und Kulturangebote werden häufig nur noch an zentralen Orten vorgehalten. Aufgrund dieser Entwicklung beschleunigt sich der Konzentrationsprozess weiter und viele Grundzentren laufen Gefahr, ihre Funktion als Standorte der „Nahversorgung“ einzubüßen. Nach dem ersten Entwurf des Landesentwicklungsprogrammes LEP 2025 sollte nahezu die Hälfte aller thüringischen Grundzentren ihren Status verlieren. Von den derzeit 78 Grundzentren könnten demnach nur noch 43 erhalten bleiben. 18 Mittlerweile wurde den betroffenen Gemeinden eine Schonfrist eingeräumt. In einer dreijährigen Übergangsphase sollen sie beweisen, dass sie trotz Bevölkerungsrückgangs ein „leistungsfähiges Grundzentrum“ geblieben sind. Für viele von ihnen dürfte dies jedoch schwierig werden. 19 Dünnen sich die Versorgungsleistungen in ländlichen Regionen aus, werden die Wege für die Bewohner länger und fordern ihnen ein höheres Maß an Mobilität ab. 20 Gleichzeitig sinkt jedoch die Angebotsdichte des öffentlichen Nahverkehrs. Vielerorts fährt der Bus nur noch zweimal am Tag für den Schülerverkehr, also einmal am frühen Morgen und zur Mittagszeit. Für Einkäufe oder Arztbesuche im nächst größeren Ort reicht dies häufig nicht aus. Die Landbewohner sind also für die Fahrten zunehmend auf ein eigenes Auto angewiesen. 21 Für die meisten von ihnen stellt dies noch kein größeres Problem dar. Über 90 Prozent der Bewohner ländlicher Gemeinden Deutschlands stehen in ihrem Haushalt ein eigenes Auto zur Verfügung. 22 Mit zunehmender Alterung der Bevölkerung und der steigenden Zahl Hochbetagter dürfte sich dies jedoch 18 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2011): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 1. Entwurf. Erfurt. 19 Kuhn, E.; Klingholz, R (2013): Vielfalt statt Gleichwertigkeit. Was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin. 20 Hahne, U. (2009): Zukunftskonzepte für schrumpfende ländliche Räume. Von dezentralen und eigenständigen Lösungen zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität und zur Stabilisierung der Erwerbsgesellschaft. In: Zeitschrift für Stadt-, Regional- und Landesentwicklung. Heft 1/2009. Hannover, S. 2-25. 21 Hüttl, R.; Bens, O.; Plieninger, T. (2008): Zur Zukunft ländlicher Räume. Entwicklungen und Innovationen peripherer Regionen Norddeutschlands. Oldenburg. 22 Eva Kuhn; Reiner Klingholz (2013): Vielfalt statt Gleichwertigkeit. Was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin. 8 ändern. Aber nicht nur der Verlust des eigenen Autos, auch die insgesamt sinkende Mobilität älterer Menschen machen dann Supermärkte, Sparkassen, Post oder auch Ärzte immer schwerer erreichbar – jedenfalls ohne fremde Hilfe. Die Menschen laufen dann auch noch Gefahr, vom sozialen Leben abgeschnitten zu werden. Fehlen zudem hilfsbereite Angehörige oder Freunde im engeren Umfeld, können ältere und immobile Menschen gezwungen sein, ihren Wohnort zu verlassen. Junge Mitte Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung, 2010 9 In vielen ländlichen Regionen Thüringens ist bereits heute der Anteil älterer Einwohner überdurchschnittlich hoch. Deutlich jünger ist die Bevölkerung in den Städten und deren Umland. Die fortschreitende Alterung dürfte insbesondere in den ländlichen Regionen zu Problemen führen. Denn dort treffen zunehmend ältere und immobile Menschen auf eine sich ausdünnende Infrastruktur. Raumforschung) (Datengrundlage: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und 23 Die ländlichen Regionen werden sich darüber hinaus auf einen veränderten Bedarf ihrer Bewohner einstellen müssen. Wo die Zahl der Kinder und Jugendlichen abnimmt und gleichzeitig die der älteren Menschen steigt, sind weniger Kitas, Schulen und Ausbildungsplätze nötig, dafür aber mehr speziell auf ältere Bürgerinnen und Bürger zugeschnittene Dienstleistungen. 24 Nur so wird sich die Lebensqualität der Mehrzahl der Bewohner erhalten lassen, auch wenn die Regionen dann Gefahr laufen, weniger attraktiv für junge Familien zu werden. 25 3.1 Mittelzentren sind kein Ersatz Durch den Bevölkerungsrückgang drohen also gerade im ländlichen Raum Versorgungslücken. Die zentralen Orte gewinnen hier an besonderer Bedeutung. Sie sollen Versorgungsleistungen bündeln, um auch künftig eine flächendeckende und möglichst gleichwertige Versorgung zu sichern. Doch da viele Grundzentren in Thüringen in ihrem Bestand gefährdet sind und eine weitere Zentralisierung wahrscheinlich ist, dürfte eine umfängliche, wohnortnahe Versorgung der Menschen immer schwieriger zu erreichen sein. Dies kann auch ein dichtes Netz an Mittel- und Oberzentren nicht auffangen. Denn für Besorgungen des täglichen Bedarfs sind auch in Thüringen die Wege ins nächste Mittelzentrum zu lang. Nach dem Landesentwicklungsprogramm soll jeder Bürger in weniger als 30 Minuten ein Mittelzentrum mit dem eigenen Auto erreichen können. Auch jene, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, sollen eine vergleichbar zügige Anbindung haben. Mit Bus oder Bahn soll die Fahrt ins nächste Mittelzentrum nicht länger als 45 Minuten dauern. 26 In ländlichen Räumen entscheidet allerdings nicht allein die reine Fahrzeit darüber, ob oder wie gut das nächste Mittelzentrum auch ohne Auto zu erreichen ist. Denn fährt der Bus nur ein- oder zweimal am Tag die Strecke, kann es trotz überschaubarer Fahrtzeit einen halben Tag oder länger dauern, ins nächste Mittelzentrum und wieder zurück zu gelangen. 23 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): INKAR 2012. Bonn. 24 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2011): Regionalstrategie Daseinsvorsorge. Berlin. 25 Deutscher Städte und Gemeindebund (2006): Herausforderungen ländlicher Räume. Berlin. 26 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2011): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 1. Entwurf. Erfurt 10 Experten empfehlen für eine gute Erreichbarkeit eine Anzahl von mindestens sechs werktätigen Fahrtenpaaren. 27 Dies dürfte jedoch vielerorts den öffentlichen Nahverkehr überfordern. Denn in immer mehr ländlichen Regionen ist der Linienverkehr schon heute kaum noch zu finanzieren. Mit den sinkenden Einwohnerzahlen dürfte sich dieses Problem weiter verschärfen. Bei der Frage, wie gut ein Mittelzentrum zu erreichen ist, geht es also nicht um theoretische Verbindungsmöglichkeiten sondern um die praktische Erreichbarkeit. Wo diese nur unzureichend gewährleistet ist, sollten individuelle Lösungen erarbeitet werden. 28 In einigen Gemeinden wie im hessischen Gilserberg ergänzt etwa eine lokale Mitfahrzentrale den öffentlichen Nahverkehr. 29 27 Wilde, M. (2010): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse: Anforderungen und Realität im öffentlichen Personennahverkehr ländlicher Räume. In: Rosenfeld, T.W.; Weiß, D. (Hrsg.): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Politik und Marktmechanismus: Empirische Befunde aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hannover. 28 Wilde, M. (2010): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse: Anforderungen und Realität im öffentlichen Personennahverkehr ländlicher Räume. In: Rosenfeld, T.W.; Weiß, D. (Hrsg.): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Politik und Marktmechanismus: Empirische Befunde aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hannover. 29 Kuhn, E.; Klingholz, R. (2013): Vielfalt statt Gleichwertigkeit. Was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin. 11 Viele Mittelzentren, kurze Wege 12 In Thüringen hat die Mehrheit der Menschen ein Mittelzentrum in ihrer Nähe. Einwohner aus den meisten Regionen können eines der 32 Mittelzentren in weniger als 15 Minuten erreichen. Nicht einmal jede zehnte Gemeinde in Thüringen liegt weiter als 20 Minuten vom nächsten Mittelzentrum entfernt. Deutlich längere Wege müssen hingegen viele Menschen in SachsenAnhalt oder Mecklenburg-Vorpommern hinnehmen. So dauert es etwa mit dem Auto rund 36 Minuten, um von der Hansestadt Havelberg ins nächste Mittelzentrum zu kommen. Die Bewohner von Zingst in Mecklenburg-Vorpommern brauchen noch einige Minuten mehr. (Datengrundlage: Bundesinstitut für Bau-, Stadt-und Raumforschung) 30 Eine hohe Anzahl von Mittelzentren bedeutet für die Menschen zwar kürzere Wege, eine gute Versorgung ist ihnen allerdings damit nicht garantiert. Denn welche Versorgungeinrichtungen sie in den Städten vorfinden, ist in den Landesentwicklungsprogrammen nicht zwingend vorgegeben. Zwar enthalten sie Ausstattungskataloge für zentrale Orte, diese sind aber zumeist unverbindlich. 31 Damit verfügen die Mittelzentren im Wesentlichen über Einrichtungen, die auch wirtschaftlich tragfähig sind. Das gilt etwa für Krankenhäuser oder Berufsschulen, für die eine Mindestzahl Nutzer notwendig ist. 32 Besonders kleinere Städte haben es schwer, als leistungsfähige Mittelzentren aufzutreten. Das zeigt sich nicht nur in Thüringen, sondern im gesamten Bundesgebiet. Nur noch rund die Hälfte der kleineren Mittelstädte zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern in Deutschland verfügt über eine gute bis sehr gute Ausstattung mittelzentraler Versorgungsfunktionen. 33 In Thüringen haben jedoch lediglich die größeren unter den Mittelzentren mehr als 20.000 Einwohner. Die Mehrheit von ihnen liegt darunter. Sie gelten demnach als Kleinstädte. 34 Deren Ausstattung zeigt bundesweit noch deutlich größere Versorgungslücken. Nur rund jede zehnte unter ihnen kann den Menschen in ihrem Einzugsgebiet eine gute Ausstattung mit mittelzentralen Funktionen bieten. 35 In Thüringen wiesen bereits im Jahr 2010 von den 32 Mittelzentren 9 lediglich ein geringes Leistungsspektrum auf. 36 Sie konnten ihre eigentliche Rolle also gar nicht mehr erfüllen. 30 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): INKAR 2012. Bonn. 31 Winkler, R. (2010): Ergebnisse und Konsequenzen für das Zentrale-Orte-Konzept. In: Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzept. Ein MORO-Forschungsfeld. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Berlin. 32 Gatzweiler, H-P. et. al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 33 Gatzweiler, H-P. et. al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 34 Thüringer Landesamt für Statistik (2013): Online-Datenbank. Erfurt. 35 Gatzweiler, H-P. et. al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 36 Gatzweiler, H-P. et. al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 13 Thüringen im Mittelfeld Ausstattung mit 14 mittelzentralen Funktionen 37 14 12 10 8 6 4 2 0 Welche Leistungen die Menschen in den Mittelzentren vorfinden, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Während die Mittelzentren in Sachsen-Anhalt über eine gute Ausstattung verfügen und von Schulen, Krankenhäusern bis Behörden nahezu umfänglich die 14 typischen mittelzentralen Funktionen abdecken, ist die Leistungsfähigkeit hessischer Mittelzentren deutlich Raumforschung) geringer. (Datengrundlage: Bundesinstitut für Bau-, Stadt-und 38 Die Bundesländer beschreiten bei der Anwendung des Zentrale-Orte-Systems unterschiedliche Wege. Einige von ihnen erhoffen sich, mit einer großen Zahl zentraler Orte einen flächendeckenden Zugang zu Leistungen zur Daseinsvorsorge zu erreichen. So gibt es in Hessen vergleichsweise viele Mittelzentren. Nach dem aktuellen Landesentwicklungsplan verteilen sich insgesamt 95 übers Bundesland. Allerdings ist ein erheblicher Teil von ihnen schlecht ausgestattet. Und zwar nicht nur im demografisch schrumpfenden Norden und in der Mitte des Landes, sondern auch im dicht besiedelten und prosperierenden Südhessen. Dort allerdings liegen die Mittelzentren so nahe beieinander, dass 37 Zur typischen Ausstattung von Mittelzentren gehören: Krankenhäuser, stationäre Altenpflegeeinrichtungen, Gymnasien, Berufsschulen, Volksschulen, Polizeidienststellen, Kinos, Sportstadien, Hotels, Schuldnerberatungsstellen, Finanzämter, Amtsgerichte, Arbeitsagenturen und Kreisverwaltungen. 38 Gatzweiler, H-P. et. al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 14 sich die Einzugsgebebiete überschneiden und es sich nicht lohnt, die Versorgungsleistungen in allen Zentren anzubieten. 39 Die beste Ausstattung weisen die Mittelzentren in Sachsen-Anhalt auf. Sie kommen im Schnitt auf knapp 12 der 14 typischen Versorgungsfunktionen. Trotz einer mit Hessen vergleichbaren Landesfläche gibt es in Sachsen-Anhalt lediglich 24 Mittelzentren. weiter voneinander entfernt, können mit ihren größeren 40 Die Städte liegen damit deutlich Einzugsgebieten jedoch mehr Versorgungsangebote bündeln. 39 Akademie für Raumforschung und Landesplanung (2013): Anforderung an ein zukünftiges ZentraleOrte-Konzept. Beispiele aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Hannover. 40 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2011): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 1. Entwurf. Erfurt. 15 Was Mittelzentren bieten Abdeckung der Versorgungsfunktionen von Mittel- und Oberzentren in Prozent stationäre Pflegeeinrichtungen Schulen, die zur allgemeinen Hochschulreife führen Polizeidienstellen Hotels Arbeitsagentur Berufsbildende Schulen Krankenhäuser der Grundversorgung Schuldnerberatungsstellen Amtsgericht Kinos Volkshochschulen Kreisverwaltung SachsenAnhalt Sportstadien Finanzämter 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Mittelzentren in Sachsen-Anhalt verfügen im Vergleich zu jenen in Thüringen über eine deutlich bessere Ausstattung. Einige Versorgungsfunktionen wie Pflegeeinrichtungen, weiterführende Schulen, Polizeidienststellen, Arbeitsagenturen, Krankenhäuser und Amtsgerichte sind in allen Mittelzentren Sachsen-Anhalts vorhanden. In Thüringen gibt es keine der typischen Versorgungsleistungen in allen Mittelzentren. (Datengrundlage: Bundesinstitut für Bau-, Stadtund Raumforschung) 41 41 Gatzweiler, H-P. et.al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 16 Thüringen setzt mit dem Landesentwicklungsplan 2025 weiterhin auf eine gute flächendeckende Erreichbarkeit der Mittelzentren. In Sachsen-Anhalt werden im Vergleich dazu längere Wege für die Menschen in Kauf genommen, was jedoch zu einer höheren Ausstattung der Mittelzentren führt. Die beiden Landesregierungen haben also grundsätzlich verschiedene Wege gewählt, um ein Versorgungsangebot zu gewährleisten. Die künftige Raumplanung muss noch stärker zwischen diesen beiden Varianten abwägen, will sie eine möglichst gute Versorgung für die Menschen in Städten und peripheren Regionen aufrechterhalten. 42 Viele Mittelzentren sind gefährdet Der thüringische Weg birgt jedoch offensichtliche Gefahren. Denn auch wenn die Städte weiterhin eine tragende Rolle für die Versorgung der Bevölkerung spielen sollen, können sie diese Aufgabe immer weniger erfüllen. Viele von ihnen sind durch den demografischen Wandel in doppelter Weise betroffen. Einerseits verlieren sie selbst an Einwohnern. Andererseits werden auch die Menschen in ihrem Umland weniger. Mit weiterem Bevölkerungsrückgang dürften diese Städte zunehmend an Versorgungsfunktionen einbüßen. Der Status eines Mittelzentrums wird so irgendwann zu einem reinen Etikette. 42 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn. 17 Die Städte werden kleiner Bevölkerungsentwicklung seit 2000 und prognostizierte Bevölkerungsentwicklung bis 2030 von thüringischen Mittelzentren in Prozent Schmalkalden Meiningen Eisenach Veränderung 2012-2030 Nordhausen Veränderung 2000-2012 Hildburghausen Gotha Schleiz Mühlhausen Arnstadt Sonneberg Bad Langensalza Saalfeld/Rudolstadt/Bad Blankenburg Schmölln/Gößnitz Zeulenroda-Triebes Altenburg Greiz -35% -30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% Kaum ein Mittelzentrum Thüringens ist vom Schrumpfen seiner Bevölkerung verschont geblieben. Dreizehn von ihnen haben seit der Jahrtausendwende sogar mehr als zehn Prozent ihrer Einwohner verloren – und die Aussichten geben wenig Grund zur Hoffnung. Der Bevölkerungsrückgang dürfte sich sogar noch verstärken. Das Mittelzentrum Suhl/Zella-Mehlis wird bis 2030 voraussichtlich sogar jeden Dritten seiner Einwohner verlieren. (Datengrundlage: Thüringer Landesamt für Statistik) 43 43 Thüringer Landesamt für Statistik (2013): Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 nach Kreisen in Thüringen. Erfurt. 18 Die demografische Entwicklung stellt die Raumplanung vor die große Herausforderung, die Lebensbedingungen der weniger und zunehmend verstreut lebenden Menschen auch künftig zu sichern. Viel Zeit für die nötigen Anpassungen bleibt dabei nicht. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung wird alleine der Bevölkerungsrückgang bis 2025 in vielen Mittelzentren den Versorgungsangeboten die finanzielle Tragfähigkeit entziehen. Betroffen davon sind vor allem Städte in Regionen, in denen der Bevölkerungsrückgang auf ein dichtes, zentralörtliches Netz trifft. 44 In Thüringen ist dies im Grenzraum zu Sachsen und Bayern sowie im Norden des Bundeslandes der Fall. Die Ausweisung zentraler Orte erfolgt in den Bundesländern häufig normativ und orientiert sich nur unzureichend an der tatsächlichen Zahl der Menschen im Einzugsgebiet. Nur so lässt sich auch erklären, dass bei Überarbeitungen der Landesentwicklungsprogramme vielfach die Ausweisung von zentralen Orten konstant fortgeschrieben wird. Dies führt dazu, dass trotz starken Bevölkerungsrückgangs der zentralörtliche Status nicht angepasst wird. Die Folge ist eine inflationäre Ausweisung von zentralen Orten, die eine Bündelung von Versorgungseinrichtungen zunehmend untergräbt. 45 Experten sehen enorme Spielräume für eine Straffung des Zentrale-Orte-Netzes. Bundesweit könnte die Anzahl der Mittelzentren bei einer umfassenden Standortoptimierung von aktuell über 900 auf rund 400 mehr als halbiert werden. Ungeachtet dessen wäre eine gute Erreichbarkeit der Mittelzentren weiterhin gegeben. Selbst bei dieser deutlich geringeren Anzahl von Mittelzentren würde die Fahrzeit mit dem Auto aus keiner Gemeinde in Deutschland länger als 30 Minuten dauern. Zudem könnte ein „weitmaschigeres“ Netz auch vor dem Hintergrund der künftigen Bevölkerungsentwicklung bestehen. Denn heute haben bundesweit bereits 120 Mittelzentren weniger als 35.000 Menschen in ihrem Einzugsgebiet – sie sind also in ihrem Bestand gefährdet. Würde ihre Zahl wie oben beschrieben reduziert, hätten im Jahr 2050 lediglich 23 Mittelzentren diese Grenze unterschritten. 46 Die meisten neuen Bundesländer haben unter dem Druck des demografischen Wandels die Zahl ihrer zentralen Orte bereits angepasst. 47 Eine weitere Reduzierung wird jedoch kaum zu vermeiden sein. Denn immer weniger Städte werden künftig die notwendigen 35.000 Menschen im Einzugsbereich erreichen. Dies veranschaulicht auch ein Blick auf die absolute Bevölkerungsentwicklung. Leben 44 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn. 45 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzept – gesellschaftliche Ziele und räumliche Organisation in der Diskussion. BMVBS-Online-Publikation 12/2010. 46 Pütz, T.; Spangenberg, M. (2006): Zukünftige Sicherung der Daseinsvorsorge. Wie viele Zentrale Orte sind erforderlich. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Bonn. 47 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzept – gesellschaftliche Ziele und räumliche Organisation in der Diskussion. BMVBS-Online-Publikation 12/2010. 19 heute noch in 15 der 32 Mittelzentren Thüringens mehr als 20.000 Menschen, dürfte dies im Jahr 2030 noch auf neun von ihnen zutreffen. 4 48 Die Entwicklung steht in Konflikt mit Zielen und (finanziellen) Möglichkeiten der Landesregierung Der Bevölkerungsrückgang stellt allerdings nicht die einzige Herausforderung für die Mittelzentren dar. Sie ist lediglich ein Teil einer Abwärtsspirale. Denn je stärker die Bevölkerung schrumpft, desto mehr Arbeitsplätze gehen verloren und umso höher ist die Arbeitslosigkeit. Die Städte verlieren damit nicht nur an Wirtschafts- und Kaufkraft, sondern auch an Steuereinnahmen. Investitionen in öffentliche Infrastrukturen bleiben aus. Die Städte büßen an Attraktivität ein und verlieren noch mehr Einwohner. Der Kreislauf setzt sich damit verschärft fort. 49 Die finanziellen Möglichkeiten des Landes und der Kommunen werden es künftig nicht erlauben, die bestehenden Versorgungsangebote in allen Mittelstädten Thüringens aufrecht zu erhalten. Zumal sich die angespannte Finanzlage des Bundeslandes in den nächsten Jahren weiter verschärfen dürfte. Bis 2020 wird Thüringen voraussichtlich ein deutliches Minus auf der Einnahmeseite hinnehmen müssen. Mit Auslaufen der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ) im Jahr 2020 verliert Thüringen rund 1,2 Milliarden Euro Einnahmen. Die EU-Fördermittel dürften sich im gleichen Zeitraum um 800 Millionen Euro jährlich verringern. Die gegenwärtigen Einnahmen des Bundeslandes von rund neun Milliarden Euro pro Jahr dürften demnach bis 2020 deutlich sinken. 50 51 Thüringen steht also bis 2020 ein harter finanzieller Konsolidierungskurs bevor. 48 Thüringer Landesamt für Statistik (2013): Online-Datenbank. Erfurt. 49 Gatzweiler, H-P. et. al (2012): Klein-und Mittelstädte in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 50 Freistaat Thüringen (2013): Landeshaushaltsplan 2013/2014. Erfurt. 51 Berechnungen des Thüringer Rechnungshofs 20 Die Einnahmen schwinden Die Einnahmen Thüringens 2012 und 2020 in Milliarden Euro 10 9 - 17 Prozent 8 7 6 5 4 3 2 1 0 2012 2020 Im Jahr 2012 lagen die Einnahmen Thüringens bei rund neun Milliarden Euro. Künftig wird das Bundesland jedoch mit deutlich weniger auskommen müssen. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts dürften die Einnahmen um rund 17 Prozent zurückgehen. Denn Thüringen verliert in den kommenden Jahren mit seinem teilungsbedingten Sonderstatus auch finanzielle Ansprüche. (Datengrundlage: Thüringer Finanzministerium) Die sinkenden Einnahmen des Landes dürften sich auch in geringeren Zuweisungen an die Kommunen widerspiegeln. Dabei ist die Finanzlage der Städte, Gemeinden und Landkreise bereits heute angespannt. Ein guter Indikator für ihre sinkende Handlungsfähigkeit sind die steigenden Kassenkredite. Zwischen den Jahren 2007 und 2011 haben sie um rund ein Viertel auf 136 Millionen Euro zugenommen. Diesen Krediten stehen keinerlei Werte oder Investitionen gegenüber. Sie dienen lediglich der Überbrückung kurzfristiger finanzieller Engpässe. Je mehr Kassenkredite die Kommunen aufnehmen, desto dünner wird die Luft für Investitionskredite und damit für den Bau und Erhalt von Schulen, Krankenhäusern oder sonstigen öffentlichen Infrastrukturen. 52 Die missliche Lage der Mittelzentren verschärft sich zusätzlich, weil den schwindenden Einnahmen keine sinkenden Ausgaben gegenüberstehen. Denn viele Leistungen der Daseinsvorsorge erfordern 52 Burth, A.; Geißler, R.; Gnädinger, M.; Hilgers, D. (2013): Kommunaler Finanzreport 2013. Einnahmen, Ausgaben und Verschuldung im Ländervergleich. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. 21 hohe Fix- und Vorhaltekosten, womit das Leben für weniger Menschen immer teurer wird. 53 Die demografische Entwicklung, die knapper werdenden öffentlichen Mittel und die Tatsache, dass in Thüringen bislang keine umfangreiche Gebietsreform stattgefunden hat, verdeutlichen somit die Dringlichkeit von Verwaltungsreformen in Thüringen. Viel Personal Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung pro 1.000 Einwohner 25 20 15 10 5 0 Der Verwaltungsreformbedarf in Thüringen zeigt sich auch in der Zahl der öffentlichen Angestellten. Kein anderes Flächenland in Deutschland leistet sich bezogen auf die Bevölkerungsgröße einen größeren Stamm an Beschäftigten. (Datengrundlage: Berechnungen des Thüringer Rechnungshofs) 4.1 Die Herausforderungen am Beispiel Schmalkaldens Schmalkalden ist ein typisches Mittelzentrum am Südwesthang des Thüringer Waldes im Dreiländereck von Thüringen, Bayern und Hessen. Die Landschaft ist zerklüftet und die Wege in die nächsten urbanen Zentren sind weit. Bedingt durch die schlechte Autobahnanbindung dauert es mit dem Auto ins nächste Oberzentrum nach Erfurt über eine Stunde. Die entlegene Lage birgt jedoch auch Vorteile: Die Stadt muss mit ihren Versorgungsangeboten nicht mit den großen Städten im Herzen des Bundeslandes konkurrieren. 53 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzept – gesellschaftliche Ziele und räumliche Organisation in der Diskussion. BMVBS-Online-Publikation 12/2010. 22 Die Bevölkerungsentwicklung Schmalkaldens gleicht der anderer Mittelzentren in Thüringen. Ohne die zahlreichen Eingemeindungen hätte die Stadt seit der Wende kontinuierlich an Einwohnern verloren. Derzeit leben in Schmalkalden rund 19.600 Menschen, im Jahr 2030 dürften es nur noch 17.600 sein. So wie in ganz Thüringen wird auch in Schmalkalden die Bevölkerung altern. Gegenwärtig ist jeder vierte Bürger der Stadt 65 Jahre oder älter, im Jahr 2030 vermutlich jeder Dritte. Am stärksten wird dabei voraussichtlich der Zuwachs bei den Hochbetagten ab 80 Jahre ausfallen. Die veränderten Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung stellen große Anforderungen an die Stadtentwicklung. Schmalkalden will die Innenstadt daher altengerecht weiterentwickeln. So wird etwa bei öffentlichen Neubauten darauf geachtet, dass sie barrierefrei zugänglich sind. Durch ausreichende medizinische Versorgung und genügend Pflegeangebote soll die Innenstadt zudem als attraktiver Wohnstandort für ältere Bürger gestärkt werden. Denn bereits heute zeigt sich, dass ältere Menschen aus den schlechter versorgten Randlagen ins Stadtzentrum ziehen. Ob die Stadt dieses Ziel erreichen kann, ist indes ungewiss. Zwar ist die medizinische Grundversorgung aktuell gut, viele Ärzte in Schmalkalden stehen jedoch kurz vor ihrer Verrentung. Wird für sie kein Ersatz gefunden, drohen Engpässe. Die deuten sich bereits heute bei der fachärztlichen Versorgung an. Grund hierfür ist jedoch eher die Bedarfsplanung der kassenärztlichen Vereinigung als die demografische Entwicklung. Denn Schmalkalden, Meinigen und Suhl bilden einen gemeinsamen Versorgungsbereich. Wenn also in den anderen Städten schon die nötige Zahl der Fachärzte erreicht wird, kann für Schmalkalden keine kassenärztliche Zulassung mehr für einen Arzt gleicher Fachrichtung erteilt werden. Der Erhalt und der altersgerechte Umbau von Infrastrukturen wird der Stadt viel Geld kosten. Die Höhe künftiger Einnahmen ist hingegen ungewiss. Wie in allen Gemeinden ist auch in Schmalkalden die Gewerbesteuer eine wichtige, aber hochvolatile Einnahmequelle. Bricht sie in Zeiten wirtschaftlicher Krisen ein, reißt das ein großes Loch in die Stadtkasse. Zuletzt bekam Schmalkalden dies während der letzten Wirtschaftskrise zu spüren. Welche finanziellen Möglichkeiten die Stadt in den nächsten Jahren hat, wird also maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt. Diese war in letzten Jahren in Schmalkalden sehr erfreulich. Die Zahl der Erwerbspersonen stieg seit 2008 deutlich an, gleichzeitig sank die der Arbeitslosen. Wie nachhaltig der Aufwärtstrend jedoch sein wird, wird davon abhängen, ob die ansässigen Unternehmen künftig noch geeignete Arbeitskräfte finden. Mit der sinkenden Zahl junger Menschen verschärft sich auch der Wettbewerb um die wenigen Fachkräfte. Als Fachhochschulstandort hat Schmalkalden gegenüber anderen Städten vergleichbarer Größe dabei eine gute Ausgangsbedingung. Einzelne Versorgungslücken zeigen sich bereits heute. Ein Kino oder ein Hallenbad gibt es in der Stadt nicht. Um die finanzielle Tragfähigkeit der vorhandenen Versorgungsangebote zu erhalten, will die Stadt künftig auch verstärkt Touristen anlocken, zum Beispiel als Gastgeber der 3.Thüringer Landesgartenschau im Jahr 2015. Ob dieser Plan langfristig den Fremdenverkehr beleben kann, wird sich zeigen. 23 5 Welche Möglichkeiten ergeben sich für Thüringen? Die Finanzlage Thüringens lässt keine großen Sprünge zu. Das Land muss Prioritäten bei der Regionalentwicklung setzen, um zumindest in zukunftsfähigen Gebieten Stabilität zu garantieren. Wie also kann vor dem Hintergrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung eine angemessene und bezahlbare Versorgung aufrechterhalten werden? 5.1 Landesentwicklungsplan 2025 lässt die Chance für notwendige Anpassungen verstreichen Im Rahmen des Landesentwicklungsplan 2025 hätte es die Möglichkeit gegeben, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Allerdings wurde diese Gelegenheit nicht genutzt. An der Diskussion um die notwendige Zahl der Grundzentren lässt erahnen, warum dies geschehen ist: Nach dem ersten Entwurf des Landesentwicklungsplans sollte die Zahl der Grundzentren auf 43 nahezu halbiert werden. Doch nach heftigen Protesten seitens der betroffenen Kommunen ist im zweiten Entwurf nur noch von einer „Übergangs- und Qualifizierungsphase“ die Rede. Die volle Zahl der rund 80 Grundzentren soll also zunächst einmal beweisen, dass sie ihre Funktion auch tatsächlich erfüllen können. Rein praktisch dürfte dies schwierig werden. Zeitgleich mit den Grundzentren sollen nach dem aktuellen Entwurf nun auch die Mittelzentren überprüft werden. Doch welche Folgen es hätte, wenn einige der Mittelzentren ihre vorgesehenen Aufgaben nicht mehr bewältigen können oder wenn die Zahl der Bewohner in ihrem Einzugsbereich weiter zurückgeht, bleibt weitgehend offen. Die Notwendigkeit einer Neuausrichtung ist indes im Landesentwicklungsplan gut beschrieben: Dreizehn Mittelzentren verfügten bereits Ende 2011 in ihren Funktionsräumen nicht mehr über die empfohlenen 35.000 Einwohner. Zudem heißt es dort, „der demografische Wandel sowie die geringer werdenden finanziellen Spielräume zwingen dazu, das Zentrale-Orte-Netz wirksamer einzusetzen“. 54 Das heißt, es ist den Autoren des Landesentwicklungsplanes einerseits klar, dass eine Reduktion der zentralen Orte langfristig unausweichlich ist. Doch andererseits fehlt eine angemessene Reaktion auf die demografischen und finanziellen Vorgaben: Vorerst hält der Landesentwicklungsplan 2025 an allen Grund- und Mittelzentren fest. Dass die Politik hier wichtige Zeit verstreichen lässt und Reformen verschiebt, birgt erhebliche Risiken. Denn bis 2025 wird der Anpassungsdruck ungleich größer geworden sein – die finanziellen Handlungsspielräume jedoch deutlich kleiner. Entsprechende Konsolidierungsmaßnahen werden daher umso drastischer ausfallen müssen. Obendrein ist zu befürchten, dass in der Zwischenzeit in einigen Mittelzentren wesentliche Versorgungsleistungen wegbrechen, so wie es schon in der Vergangenheit geschehen ist. Ein Dominoeffekt in den Städten könnte die Folge sein. Denn wenn zu viele Mittelzentren um immer weniger Nutzer konkurrieren, schwächen sich die Städte in dieser 54 Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr (2013): Landesentwicklungsprogramm LEP Thüringen 2025. 2. Entwurf. Erfurt. 24 Standortkonkurrenz gegenseitig. Ohne eine gesteuerte Konzentration der Angebote kann es somit zu einer Unterversorgung in bestimmten Regionen kommen. 55 Darüber hinaus kann das Festhalten an den 32 Mittelzentren zu langfristigen Fehlinvestitionen führen, wie auch die Expertenkommission „Funktional- und Gebietsreform“ anmerkt. Denn der Landesentwicklungsplan stellt die Weichen für künftige Investitionen. Da er jedoch versäumt, ein langfristig tragfähiges Netz an zentralen Orte vorzugeben, werden die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zu lange auf eine zu hohe Zahl von Mittelzentren ausgerichtet, von denen einige auf absehbare Zeit ihren Status als Mittelzentrum verlieren dürften. 56 Für einen langfristigen Fahrplan müsste der Landesentwicklungsplan 2025 daher nicht nur stärker auf die gegenwärtige demografische Entwicklung reagieren, sondern auch seinen Planungshorizont ausweiten. Bisher orientiert er sich lediglich an der demografischen Entwicklung bis 2025, während die Bevölkerungsprognosen bis 2050 von weitaus größeren Bevölkerungsverlusten ausgehen. Die Notwendigkeit, die Zahl der Mittelzentren zu begrenzen, wird also langfristig noch zunehmen, denn eine Trendwende bei der demografischen Entwicklung kann auf Jahrzehnte hin ausgeschlossen werden. 5.2 Aufgaben für ein „Mittelzentrum der Zukunft“ Wie gut ein Mittelzentrum ausgestattet ist, hängt maßgeblich davon ab, ob es eine ausreichende Zahl an Nutzern erreicht. Im Versorgungsbereich sollten daher mindestens 35.000 Menschen leben. Anderenfalls unterschreiten viele Versorgungsangebote die Schwelle zur finanziellen Tragfähigkeit. Zu geringe Nutzerzahlen können durch eine verminderte Zahl an Mittelzentren und einen neuen Zuschnitt der Einzugsbereiche ausgeglichen werden. Die verbleibenden Mittelzentren würden dadurch wieder leistungsfähiger und könnten ihre Versorgungsfunktion somit besser erfüllen. Die Mittelzentren werden dann aber eigene Anstrengungen unternehmen müssen, um die Versorgung nicht nur der eigenen Bewohner, sondern auch derer in ihrem erweiterten Umland zu verbessern. Kooperationen mit benachbarten Mittelzentren Trotz einer Reduzierung der Mittelzentren dürften bei weiter sinkenden Einwohnerzahlen nicht alle typischen Einrichtungen wie etwa weiterführende und berufliche Schulen, Krankenhäuser und Fachärzte, vielfältige Einkaufmöglichkeiten und Dienstleistungen sowie Kultur- und Freizeitangebote im Angebot bleiben können. Kooperationen mit benachbarten Mittelzentren sollten daher gerade in den Versorgungsbereichen erfolgen, die nicht von allen Mittelzentren abgedeckt werden können. So könnten etwa Krankenhäuser ihre Fachabteilungen auf zwei oder mehreren Standorte aufteilen, um damit die Auslastung zu erhöhen und um bestimmte Operationen überhaupt anbieten zu können. Diese nämlich müssen in einer Mindestzahl durchgeführt werden, damit die Ärzte die notwendige 55 Akademie für Raumforschung und Landesplanung (2006): Gleichwertige Lebensverhältnisse: eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe neu interpretieren! Hannover. 56 Bericht der Expertenkommission für Funktional- und Gebietsreformen (2013): http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tsk/mp/gutachten.pdf 25 Erfahrung gewinnen können und um die oft kostspieligen Gerätschaften auszulasten. Auch weiterführende oder berufsbildende Schulen werden mittelfristig nicht mehr an allen Mittelzentren angeboten werden können Dort, wo sie erhalten werden, sollten sie daher zu Internats- oder Boarding-Schulen ausgebaut werden, in denen Schüler aus entlegenen Einzugsbereichen unter der Woche wohnen können. Längere Wege durch Mobilitätsangebot und mobile Angebote abfedern Eine geringere Anzahl von Mittelzentren oder das Zusammenlegen von Versorgungsangeboten bedeutet für viele Menschen längere Wege. Teilen sich Städte bestimmte Funktionen, müssen daher parallel Mobilitätskonzepte entwickelt werden, damit den Bewohnern aus einem größeren Umfeld weiterhin der Zugang zu den Einrichtungen ermöglicht wird. Zudem sollten verstärkt dezentrale Angebote, etwa von Banken, Poststellen oder Ämtern zum Einsatz kommen, um den längeren Wegen im größeren Versorgungbereich entgegenzuwirken. (siehe: Mobile Angebote als Ergänzung) Attraktive Zentren für ältere Menschen Gut ausgestatte Mittelzentren werden in Zeiten einer alternden Bevölkerung als Wohnort attraktiver, denn sie bieten kürzere Wege zu Ärzten, Apotheken, Pflegediensten, Geschäften wie auch zu kulturellen Einrichtungen. Besonders für die steigende Zahl an über 65-Jährigen in ländlichen Regionen gewinnen Mittelzentren zunehmend an Anziehungskraft. So zeigt eine Befragung dieser Altersgruppe in Mecklenburg-Vorpommern, dass 38 Prozent von ihnen bereit sind, umzuziehen. Rund ein Viertel der umzugsbereiten über 65-Jährigen könnte sich dabei auch vorstellen, die eigene Gemeinde zu verlassen und sich eine Wohnung in der nächstgrößeren Stadt zu suchen. Die beiden wichtigsten Umzugsgründe Infrastrukturen/Versorgung“. 57 sind dabei „altersgerechte Wohnungen“ und „bessere Diesen Bedürfnissen ältere Menschen werden die Mittelzentren verstärkt gerecht werden müssen, etwa indem sie ihr Angebot an altersgerechten Wohnungen ausbauen und für einen barrierefreien Zugang zu Versorgungseinrichtungen sorgen. Die Bereitschaft Älterer umzuziehen, dürfte weiter steigen, sobald sich herumspricht, dass sich die Lebensmöglichkeiten für sie in den Zentren deutlich verbessern. 5.3 Andere Bundesländer machen es vor Thüringen bildet beim demografischen Wandel keine Ausnahme. Die meisten Bundesländer in Ost und West sind zumindest regional von einer ähnlichen Entwicklung betroffen. Auch hier schrumpft und altert die Bevölkerung und Unterschiede zwischen strukturschwachen und -starken Landstrichen verstärken sich. Einige der Bundesländer haben bereits Schritte unternommen, ihre Mittelzentren in 57 Kuratorium Deutsche Altershilfe (2013): Bedarfslegen Älterer und Bedingungen für ein selbstständiges Leben im Alter in Mecklenburg-Vorpommern. Teilexpertise B: Bewertung der aktuellen Strukturen und Rahmenbedingungen vor dem Hintergrund der zukünftigen Herausforderungen. http://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Ausschuesse/EnqueteKommission/2013_08_23_Handout_Repr%C3%A4sentativbefragung_MV_30-08-2013_01.pdf 26 ihrer Zahl und Dichte an die demografischen Veränderungen anzupassen. Dass es in Thüringen bisher weder zu einer Gebietsreform noch zu einer grundlegenden Neuausrichtung der zentralen Orte gekommen ist, hat deshalb auch Vorteile: Denn Thüringen könnte bei künftigen Reformen von den Erfahrungen der anderen Bundesländer profitieren. Insbesondere die neuen Bundesländer sind bei der Neuausrichtung zentraler Orte Vorreiter. Die starken Bevölkerungsverluste zwangen hier früher als in den westlichen Bundesländern zum Handeln. Unterschiede lassen sich jedoch in der Geschwindigkeit der demografischen Veränderungen sowie im Vorgehen der Länder erkennen. Sachsen hat bereits mit dem Landesentwicklungsprogramm 2004 die Zahl der Mittelzentren von 44 auf 38 reduziert. deutlich nach unten korrigiert. 59 58 Zudem Auch Sachsen-Anhalt hat die Zahl der zentralen Orte sollen hier Mittelzentren nach dem aktuellen Landesentwicklungsprogramm mindestens 20.000 Einwohner haben und insgesamt mehr als 70.000 Menschen in ihrem Einzugsbereich versorgen. 60 Brandenburg beschreitet indes einen leicht anderen Weg. Das Bundesland verzichtet seit 2007 völlig auf die Ausweisung von Grundzentren. 61 Die Ober- und Mittelzentren sollen hier als „Ankerstädte“ die gehobene Daseinsvorsorge sichern. Die Aufgabe der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs wurde in Brandenburg den Gemeinden übergeben. Damit sie diese auch erfüllen können, ging die Neuausrichtung der zentralen Orte mit einer Gebietsreform einher. Die Mindestgröße für Gemeinden liegt nun bei 5.000 Einwohnern. 5.4 62 63 Neuausrichtung der zentralen Orte im Einklang mit Gebietsreformen In Thüringen werden ganze Gemeinden als zentrale Orte ausgewiesen. Eine überfällige Gebietsreform sollte daher eng mit einer Neuausrichtung der zentralen Orte verknüpft werden. Dass für die Reduzierung zentraler Orte und damit auch der Mittelstädte in Thüringen Spielraum vorhanden ist, zeigte bereits eine Expertise im Auftrag der Thüringischen Staatskanzlei aus dem Jahr 2002. Demnach könnte auch mit einer deutlich geringeren Zahl an Mittelzentren eine gute Versorgung der Bevölkerung erreicht werden. Für neun von zehn Thüringern wären mittelzentrale Angebote weiterhin 58 Artmann.L.; Kaps, M. (2010): Veränderung im mitteldeutschen Zentrale-Orte-System als räumliche Konsequenz des demografischen Wandels. In: Rosenfeld, T.W.; Weiß, D. (Hrsg.): Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Politik und Marktmechanismus: Empirische Befunde aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hannover. 59 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn. 60 Sachsen-Anhalt (2012): Landesentwicklungsplan 2010 des Landes Sachsen-Anhalt. Magdeburg. 61 Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg (2007): Landesentwicklungsprogramm 2007. Potsdam, Berlin. 62 Reichel, F. (2009): Das Ankerstadtsystem – Modifikation des Zentrale-Orte-Systems als Beispiel einer veränderten raumordnerischen Entwicklungsstrategie in Berlin-Brandenburg. In: Eich-Born, M. (Hrsg.): Räumlich differenzierte Entwicklungs- und Förderstrategien für Nordostdeutschland. Hannover. 63 Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2012): Raumordnungsbericht 2011. Bonn. 27 in weniger als 30 Minuten mit dem eigenen Auto zu erreichen. Nur rund ein Prozent der Bevölkerung würde weiter als 45 Minuten vom nächsten Mittelzentrum entfernt leben. 64 Generell sollte die Konzentration auf weniger, aber dafür leistungsfähigere Mittelzentren durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt werden. Denn für periphere Regionen mit geringer Einwohnerdichte darf der Anpassungsprozess nicht eine reine Streichung von Versorgungsangeboten bedeuten. Für sie gilt es, neue und effizientere Angebotsformen zu entwickeln, also vergleichbare Leistungen in anderer Form anzubieten. 5.5 65 Mobile Angebote als Ergänzung Weniger Mittelzentren bedeuten für Menschen in einigen peripheren Regionen längere Wege zu den jeweiligen Angeboten. Um die dortige Versorgung auch künftig zu sichern, schlägt beispielsweise der Direktor der Stiftung Bauhaus Philipp Oswald vor, die Daseinsvorsorge in einer regionalen „Cloud“ zu organisieren. Dies würde bedeuten, dass nicht mehr jede Leistung an allen Orten, sondern dezentral an verschiedenen Orten vorgehalten wird, den Bewohnern aber ein Zugang zu ihnen garantiert wird. 66 Diese „Cloud“ ist zwar vorerst noch ein Gedankenspiel und wurde bisher in keiner Region vollständig umgesetzt, dennoch finden sich in Deutschland eine Reihe von neuen und innovativen Konzepten, die außerhalb festgefahrener Bahnen neue Versorgungsstrukturen ermöglichen. Temporäre oder mobile Angebote können auch in entlegenen Regionen eine begrenzte wohnortnahe Versorgung ermöglichen. • Mobilität: Wer über kein eigenes Auto verfügt, hat im ländlichen Raum kaum eine Chance, schnell und ohne Umwege ans Ziel zu kommen. Denn der öffentliche Nahverkehr dünnt zunehmend aus. Eine bessere Erreichbarkeit von zentralen Orten könnte durch neue Mobilitätskonzepte entstehen. Bewohner abgelegener Regionen könnten mittels Ruf- und Bürgerbussen oder ehrenamtlich organisierten Fahrdiensten Versorgungsangebote im nächstgrößeren Ort erreichen. Entscheidend ist jedoch, dass die unterschiedlichen Mobilitätsformen aufeinander abgestimmt werden, damit sie ein schlüssiges Angebot ergeben. Beim hessischen Projekt „Mobilfalt“ wird genau dies versucht. In drei Pilotregionen soll dabei der Individualverkehr mit dem öffentlichen Nahverkehr vernetzt werden. 67 64 Gather, M.; Sommer, S. (2002): Berechnung zentralörtlicher Einzugsbereiche 2020 und Empfehlungen für eine System Zentraler Orte in Thüringen. Expertise im Auftrag der Staatskanzlei. Fachhochschule Erfurt. Erfurt. 65 Paepke, M. (2010): Empirische Befunde zur Entwicklung der Lebensverhältnisse in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In: Rosenfeld, T.W.; Weiß, D. (Hrsg.): Gelichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Politik und Marktmechanismus: Empirische Befunde aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hannover. 66 Oswald, P. (2013): Leben auf dem Land wird mühsam. Freie Presse. 67 Nordhessischer VerkehrsVerbund (2013): Mobilfalt. http://www.mobilfalt.de/aktuelles/ 28 • Gesundheitsleistungen: Gerade bei der medizinischen Versorgung bietet sich ein verstärkter Einsatz von virtuellen Angeboten an. Die Telemedizin unterstützt bereits heute Ärzte bei der häuslichen Überwachung von Patienten, indem etwa in regelmäßigen Abständen Daten über Blutdruck an die Praxen gesendet werden. Zudem können durch Videoübertragungen Fachärzte zur Diagnose herangezogen werden. In ländlichen Räumen oder Kleinstädten können zudem temporäre Angebote die medizinische Versorgung der Bewohner verbessern. So sollen beispielweise im mecklenburgischen Woldegk künftig Ärzte in einem Gesundheitszentrum tageweise auf Honorarbasis arbeiten. 68 Einen etwas anderen Weg beschreitet das Ärztegemeinschaftshaus im niedersächsischen Schladen. Hier wurde ein leer stehender Supermarkt so umgebaut, dass Ärzte aus Salzgitter oder Wolfenbüttel die Räumlichkeiten nun als Zweigpraxen nutzen können. • 69 Verwaltungsleistungen: Mobile Versorgungsleistungen können aber auch direkt zu den Bewohnern kommen. Ein Beispiel hierfür ist das mobile Bürgerbüro der Lutherstadt Wittenberg. Im Zuge von Gemeindereformen wurden insgesamt elf umliegende Ortschaften eingemeindet. Die stationären Bürgerbüros in den Ortschaften wurden geschlossen. Um den Bewohnern den weiten Weg zum stationären Bürgerbüro in der Innenstadt zu ersparen, wurde das mobile Bürgerbüro eingeführt. Ein Mitarbeiter der Stadt bietet nun alle Verwaltungsleistungen eines herkömmlichen Bürgerbüros zu bestimmten Terminen in den entlegenen Ortsteilen an. Dank eines extra dafür entwickelten Koffers ist das mobile Bürgerbüro in wenigen Minuten einsatzbereit. Selbst Hausbesuche sind möglich. • 70 Nahversorgung: Viele Versorgungsangebote verschwinden aus der Fläche, weil sie alleine nicht mehr finanziell tragfähig sind. Konzepte wie das „Dorv-Zentrum“ oder „MarktTreff“ kombinieren daher eine Vielzahl verschiedener Leistungen unter einem Dach und bündeln somit die Nachfrage. Von Lebensmitteln über öffentliche und private Dienstleistungen bis hin zu einem kleinen Café holen diese Dorfläden viele Versorgungsangebote in die Orte zurück. 71 Während das „Dorv-Zentrum“ alleine durch die Initiative der Bewohner entstanden ist , werden die „MarkTreffs“ vom Land Schleswig-Holstein finanziell unterstützt. Gefördert werden die MarkTreffs indes ausschließlich in ihrer Entstehungsphase und nicht im laufenden Betrieb. Zwischen Nord- und Ostsee sind in den letzten Jahren 30 dieser multifunktionalen Dorfläden entstanden, weitere zwölf sind in Vorbereitung. 72 Die Verbreitung dieser Dorfläden ist damit 68 Freiberg, Lutz (2008): MVZ Belzig: fachübergreifend, teamorientiert, patientenfreundlich. In: LandInForm. Magazin für Ländliche Räume. Nr. 4. Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume. Bon 69 Vgl. Broschüre Niedersächsischer Gesundheitspreis. Die Preisträger 2011. Verbesserung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Strukturen am Beispiel der Filialärztegemeinschaft Schladen. 70 Slupina, M.; Kröhnert, S. (2012): Dezentrale Betreuung in ländlichen Räumen. Gutachten im Auftrag der Regionalplanungsgemeinschaft Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin. 71 Dorv-Zenrtum (o.J.): Online-Auftritt. http://www.dorv.de/ 72 MarkTreff (o.J): Der nächste MarktTreff – ganz in Ihrer Nähe. http://www.markttreffsh.de/index.php?seid=5 29 bundesweit beispiellos und könnte vorbildhaft für viele ländliche Räume in Deutschland werden. Kämen diese neuen Angebotsformen auch in Thüringen verstärkt zum Einsatz, ließen sich künftig auch jene Regionen in Thüringen bedienen, die bereits heute nicht mehr ausreichend durch die Mittelzentren mitversorgt werden. Zudem würden sie den Bedürfnissen einer älter werdenden Gesellschaft eher gerecht, in der immer mehr Menschen Probleme haben, größere Distanzen zurückzulegen. 73 73 Kuhn, E.; Klingholz, R. (2013): Vielfalt statt Gleichwertigkeit. Was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin. 30 Herausgeber: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie Referat Standortmarketing und Öffentlichkeitsarbeit Max-Reger-Straße 4 – 8 99096 Erfurt [email protected] www.tmwat.de www.das-ist-thueringen.de Redaktionsschluss: Dezember 2013