My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote

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My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Fallstudien zum Buch
Mass Customization und
Kundenintegration: Neue Wege zum
innovativen Produkt, von Frank Piller
und Christof Stotko (Hg.),
erschienen im Symposion Verlag,
Düsseldorf.
Erste Auflage 2003.
Erweiterte Auflage 2006.
Das Buch ist im Buchhandel
vergriffen, aber weiterhin über
amazon.de bestellbar!!
ISBN 3-93660-8059
Diese Fallstudiensammlung ist rein für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
Weitergabe und Vervielfältigung sind nicht gestattet.
www.mass-customization.de
My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Dank neuartiger Möglichkeiten der digitalen Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Daten hat sich
die Medienbranche erheblich verändert. Dazu zählt vor
allem auch die Entwicklung von personalisierten Angeboten im Bereich der Fernsehunterhaltung.
Stichworte: Mass Customized TV, My personal Channel, Digital Video Broadcasting, Personal Video Recorder, Electronic
Program Guides, interaktive Fernsehdienste, MultimediaHome-Platform, Video-on-Demand, Pay-per-View, Bundling,
Pay-TV-Gebühren
2120.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Sebastian Hafenbrädl, Melanie Müller
Konvergenz von Medien und Informationstechnologie
Durch die rasante Entwicklung der Technik bei der Übertragung,
Speicherung und Verarbeitung von Daten hat die Medienbranche
in den letzten Jahren weitreichende Veränderungen erlebt. Zentrales
Thema ist die Konvergenz von Medien und Informationstechnologie
(IT), von Fernsehen, Internet und digitaler Speichertechnik, von Kabel- und Telefonanschluss, von Broadcasting, DFÜ-Netzwerken und
Mobilfunk.
Jüngstes Beispiel hierfür ist das Vorhaben von Kabel Deutschland, dem mit 10 Millionen Kunden größten Kabelnetzbetreiber in
Deutschland, seinen Kunden einen Internet- und Telefonanschluss
über das TV-Kabel anzubieten. Bis Ende 2005 sollen bereits drei Millionen Kabelkunden das Angebot nutzen können. Erstmals müssen
die Telekom-Gesellschaften einen ernsthaften Angriff der Kabelnetz-
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Land
Deutschland
Anschrift
T-Online International AG, Waldstr. 3, 64331 Weiterstadt
Telefon
+49 / 61 51 / 6 80-0
Internet Adresse
http://www.t-online-vision.de
E-Mail
[email protected]
Launch des Services
15. März 2002
Branche
Entertainment
Produkt
Individuelles Fernsehen
Bezug zu Kapitel
4.5 Formen der Kundenintegration
5.1 Produkt- und Leistungsgestaltung
betreiber fürchten. Grund hierfür ist auch der Preis für das Angebot:
Kabel Deutschland verlangt für einen Breitband- und Telefonanschluss sowie Internet-Flatrate knapp 30 Euro. [1]
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung
von kundenindividuellen Angeboten im Bereich der Fernsehunterhaltung. Dabei geht es um das, was der einzelne Kunde tatsächlich aus
dem Fernsehen konsumiert: die individuelle, personalisierte Fernsehunterhaltung, der »My personal Channel«. Dieses Thema bildet den
Inhalt der folgenden Fallstudie.
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5.2 Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Veränderte Wettbewerbsbedingungen
durch technische Innovationen
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Digitalisierung der Fernsehübertragung
Eine wesentliche Entwicklung, die in diesem Zusammenhang relevant
erscheint, ist die Digitalisierung der Fernsehübertragung. Bis zum
Jahr 2010 plant die Bundesregierung alle Arten der Fernsehübertragung (Kabel, Satellit, Terrestrisch) auf Digital Video Broadcasting
(DVB) umzustellen. In einigen Ballungszentren und Regionen wird
bereits heute digital gesendet, beispielsweise im Ballungszentrum Berlin/Potsdam. DVB bewirkt Verbesserungen bei Übertragungsqualität
und Bandbreitenausnutzung durch MPEG2-Codierung und digitale
Modulationsverfahren. Dank Datenreduktion lassen sich die Übertragungskapazitäten von Kabel und Satellit effektiver nutzen: So können
anstelle eines analogen Kanals nun bis zu zehn digitale Kanäle parallel
übertragen werden. [2] Bessere Bild- und Tonqualität und die Möglichkeit zur Verbreitung von mehr Programmen sind die Folge. Die
Angebotsvielfalt steigt grundsätzlich und damit die Chance für den
Konsumenten, eine für ihn ideale individuelle Auswahl zu treffen.
Viele neue TV-Apparate und Computer verfügen bereits über einen integrierten DVB-T-Empfänger. Ältere Fernsehgeräte können das
digitale Signal allerdings nicht verarbeiten; in diesem Fall wird eine so
genannte Settop Box (»Obendraufkiste«) benötigt, die die digitalen
Daten in Audio- und Videosignale übersetzt. Das Angebot an verfügbaren Geräten ist in den letzten beiden Jahren immens gestiegen und
heute gibt es Settop Boxen bereits in den unterschiedlichsten Ausführungen und Preisklassen. [3] Die Digitalisierung der Fernsehübertragung bewirkt damit insgesamt, dass neue, innovative Geräte und
Techniken bis zum Jahr 2010 in den meisten Haushalten zu finden
sein werden.
Praktischer, aber auch teurer, als die einfachen Empfänger sind
DVB-T-Empfänger mit integrierter Festplatte. Diese Kombination
von Digitalempfängern und Personal Video Recorder (PVR), einem
digitalen Videorekorder mit großer Speicherkapazität, gilt als wichtigster Ausstattungstrend im Zusammenhang mit dem digitalen Fernsehen. [4] Die kombinierten Geräte zeichnen das Programm digital
auf und ermöglichen damit auch zeitversetztes Fernsehen: Während
die Sendung noch aufgenommen wird, kann man zurück zum Anfang
oder beliebigen anderen aufgezeichneten Abschnitten springen. Viele
Zuschauer nutzen die Time-Shift-Funktion vor allem, um lästige
Werbeunterbrechungen zu überspringen. [3] Dies zeigt beispielsweise
auch eine Untersuchung der Yankee Group. Das Unternehmen fand
heraus, dass 4/5 aller PVR-Haushalte die Abendsendung erst später
einschalten, um dann 2/3 der Werbeblöcke zu überspringen. [5]
Neben dem umfangreichen Speicherplatz liegen die großen Vorteile der digitalen Videotechnik damit in den flexiblen Abspiel- und
Aufnahmemöglichkeiten. Darüber hinaus kann der PVR oft noch
weitergehend in die IT-Welt integriert sein, etwa durch Vernetzung
mit dem Internet oder dem PC im Heimnetzwerk, was wesentlich zur
Konvergenz von IT und Medien beiträgt. Durch weltweiten Zugriff
über das Internet lassen sich die Geräte auch außerhalb des Wohnzimmers steuern. Manche Geräte verfügen beispielsweise auch über
integrierte DVD-Brenner.
Integrierte Electronic Program Guides (EPGs) runden das Angebot ab: Damit können Kunden das Programm nach Kriterien wie
inhaltlichen Beschreibungen, Schlüsselwörtern oder Anfangszeiten
bequem durchsuchen und sich damit auf einfache Art und Weise ihr
Programm zusammenstellen. Mit Hilfe von EPGs kann man beispielsweise anhand des Sendeplatzes programmieren, dass ab sofort
jede Folge des Tatorts aufgezeichnet wird. Derzeit arbeiten bereits
einige Verlage an der Entwicklung von umfangreichen EPGs. Einen
Schub für den EPG erwartet die Branche nun von der Digitalisierung
der Kabelnetze: Die wachsende Zahl von TV-Kanälen lässt sich in den
gedruckten Ausgaben kaum abbilden. Außerdem ist das Zappen mit
250 Kanälen weniger attraktiv. [6] Es gibt PVRs, die mit einer Software ausgestattet sind, die die Interessen und Fernsehgewohnheiten
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des Benutzers analysiert und daraus ein persönliches Profil erstellt.
Danach wird der Speicher durchlaufend mit einem dem Profil entsprechenden Fernsehprogramm gefüllt, so dass jederzeit, wenn der
Fernseher eingeschaltet wird, etwa 160 Stunden (je nach Speicherkapazität) individuelles Programm verfügbar sind.
Eine weitere, spannende Innovation sind interaktive Fernsehdienste, die den Multimedia-Home-Platform (MHP)-Standard nutzen (siehe
Abb. 1). MHP ist eine einheitliche, offene Software-Schnittstelle
für systemübergreifende multimediale Mehrwertdienste. Der Dienst
Abb. 1: Mulitmedia-Home-Platform der ARD
bietet dem Kunden die Möglichkeit, mit Hilfe des Fernsehgerätes interaktiv zu werden, zum Beispiel Zusatzinformationen zu Produkten
in einem Werbeblock abzurufen oder im Internet zu surfen. Das Bayerische Fernsehen bietet Zuschauern über MHP beispielsweise einen
personalisierten Nachrichtenticker, das ZDF sendet einen grafisch
aufbereiteten »Digitext« mit einer breiten Palette an Diensten und
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Informationen. Voraussetzung für den Empfang ist eine MHP-fähige
Settop-Box. Bisher unterstützen allerdings nur wenige Receiver die
neuen Standards. [3]
Webcasting
Abb. 2: T-Online-Vision Portal
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Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch das so genannte
Webcasting. Durch steigende Bandbreiten und zunehmende Übertragungskapazitäten im Internet erweitern sich die Möglichkeiten hinsichtlich Größe und Übertragungsgeschwindigkeit der angebotenen
Informationen. So entstehen zunehmend Portale, die den Besuchern
Download- oder Streaming-Angebote für audiovisuelle Medienprodukte anbieten, beispielsweise das T-Online-Vision-Portal (siehe Abb.
2).
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Am 15. März 2002 startete T-Online das Breitband Portal T-Vision (http://www.t-online-vision.de) mit dem Lifestream eines Konzerts
der Bands BroSis und No Angels. [7] In Kooperation mit Fujitsu
Siemens entwickelte das Unternehmen das »ACTIVY Media Center«,
das neben vollen PVR-Funktionalitäten auch das Downloaden aus
dem Video-on-Demand-Downloadbereich des Portals integriert. Am
19. März 2004 kam das Gerät auf den Markt. [8]
Programmieren lässt sich das Gerät von zu Hause oder unterwegs
via Internet über den EPG »TV Programm Plus«, bereitgestellt von
T-Online in Kooperation mit tvtv Services. Die Möglichkeit, im
Internet zu surfen, Daten wie Bilder, Musik oder Videos vom PC
an Stereoanlage und Fernseher weiterzusenden, machen das Gerät
zum Mittelpunkt des Wohnzimmers. Durch den integrierten DVDBrenner lassen sich aufgezeichnete Inhalte längerfristig speichern und
übertragen. Auch auf der inhaltlichen Seite entwickelt sich das Angebot von T-Online rasant. So hat T-Online inzwischen erweiterte Bun-
Abb. 3: T-Vision Portal – Unterseite Video-on-Demand
desligarechte, Verträge mit Filmstudios wie Twentieth Century Fox,
MGM, Universal und Dreamworks. [9] In der noch weitergehenden
Version »direkt +« von Premiere, die am 24.6.2005 gestartet wurde,
hält ein speziell programmierter PVR etwa 30 Top Filme schon auf
der Festplatte vor, die dann per Internet, Telefon oder SMS freigeschaltet werden können. Einmal wöchentlich wird das Filmangebot
aktualisiert. [10] So entfallen lästige Verzögerungen für die Downloadzeiten; der Kunde bezahlt selbstverständlich nur das, was er tatsächlich anschaut. [11]
Es gibt eine unglaubliche Vielzahl an weiteren technischen Innovationen, die mehr oder weniger direkt oder indirekt mit dem Medium
Film und Fernsehen zu tun haben. Das beginnt mit immer größeren
LC- und Plasmadisplays über Nachfolgetechnologien der CD und
DVD wie HD-DVD oder BlueRay bis hin zu volldigitalen Filmkameras in High Definition (HD)-Auflösungen und immer schnelleren
Rechnern, die immer ausgefallenere digitale Effekte und Animationen
ermöglichen. In Hinblick auf neue Möglichkeiten für die Zusammenstellung des persönlichen Fernsehprogramms ist beispielsweise
noch die »Fernseh-Fee« zu erwähnen. Dieses Gerät erlaubt es dem
Konsumenten, automatisch Werbeblöcke zu überspringen, in dem es
auf andere werbefreie Kanäle schaltet und natürlich auch rechtzeitig
nach der Werbung wieder zurück. Auch eine Individualisierung des
Aufenthaltsortes beziehungsweise des Geräts, mit dem man fernsieht,
ist möglich. Über den neuen Übertragungsstandard DVB-H kommen die bewegten Bilder auf die Displays von Handys, Laptops und
Handheld-Computern.
Veränderungen des Marktes
Rund 17 Prozent der deutschen TV-Haushalte nutzen derzeit das
digitale Fernsehen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist
Deutschland damit eher rückständig. Beispielsweise sind in Schweden 30 Prozent aller TV-Haushalte digital, in Großbritannien sind es
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sogar 50 Prozent. [12] Neben Deutschland planen auch die meisten
anderen EU-Mitgliedstaaten das analoge Fernsehen bis spätestens
zum Jahr 2010 abzuschaffen. Die EU-Kommission rät allen anderen
Mitgliedstaaten dringend bis zum Jahr 2012 auf den neuen Standard
umzustellen. Damit ist der Trend zur Digitalisierung abzusehen und
nicht aufhaltbar.
Die britische BskyB-Plattform ist das Vorzeigeobjekt eines erfolgreichen digitalen TV-Unternehmens und hat gegenwärtig über
300 Kanäle im Angebot. Auch in Deutschland wird es einen starken
Anstieg der Sender geben. Die Belegungsliste des Astra-Satelliten
zeigt heute bereits 83 deutschsprachige Free-to-Air-Programme und
40 Abokanäle. Darin sind Pay-per-View- und On-Demand-Angebote noch gar nicht eingerechnet. Die kostengünstige Ausdehnung
der Anzahl an Kanälen fördert die Zweit- und Drittverwertung von
Programmen, indem auf Genrekanälen selektiv Zielgruppensegmente
angesprochen werden. [13]
Die PVR-Technologie wurde im März 1999 in den amerikanischen Markt eingeführt; zuerst als eigenständiges Gerät, dann in
Kombination mit anderen Geräten wie Sattelitenempfängern. Inzwischen besitzen fast vier Millionen Haushalte in den USA einen PVR;
70 Prozent der Geräte sind Kombinationen. [5] [13] In Deutschland
gibt es derzeit bereits ein großes Angebot an PVR-Geräten der verschiedensten Hersteller, wiederum sowohl als eigenständige als auch
als kombinierte Geräte, eingebaut im Fernseher, Satellitenreceiver
oder der Playstation.
Auch im Bereich Video-on-Demand (VoD) gibt es dank der fast
flächendeckenden Verbreitung von DSL-Anschlüssen inzwischen
einige Anbieter. Internetanbieter wie Arcor oder T-online wollen ihr
Geschäftsmodell vom reinen Internetzugangsanbieter zum Contentprovider wandeln. Doch auch reine Contentprovider wie die 4friends
Verlags GmbH werben verstärkt mit aggressiven Flatrate-Angeboten
um Kunden. Auch die Produzenten der Inhalte planen eine Vorwärtsintegration. So kündigen die Hollywood Studios Universal und Time
Warner mit starken technischen Partnern wie Microsoft oder Apple
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eigene VoD-Angebote an. [14] Die amerikanischen TV-Sender CBS
und NBC haben sich ebenfalls gerade entschlossen, ihre erfolgreichsten Programminhalte per Video-on-Demand zur Verfügung zu stellen. [15]
»My personal Channel« – Mass Customization
im Bereich der Fernsehunterhaltung
Bei Mass-Customization-Angeboten kann man grundsätzlich zwischen Soft und Hard Customization unterscheiden. Bei Soft Customization geschieht die Individualisierung nicht durch den Anbieter,
sondern auf einer nachgelagerten Stufe der Wertschöpfungskette, zum
Beispiel durch den Kunden selbst oder durch einem zwischengeschalteten Dritten (beispielsweise dem Webportal-Betreiber). Bei Hard
Customization wird das Produkt schon vom Produzenten selbst individualisiert. Dazu muss er schon bei der Planung der Produktion die
Präferenzen der Nachfrager kennen.
Darüber hinaus kann man zwischen Einzelprodukt und Produktbündel unterscheiden: Das Anbieten verschiedener Varianten eines
Einzelproduktes nennt man Versioning, verschiedener Varianten eines
Bündels Bundling.
Betrachtet man nun die Fernsehunterhaltungsbranche, kann man
folgende Aussagen zu den Individualisierungsoptionen treffen: Produktion und Angebot unterschiedlicher, kundenindividueller Varianten eines Einzelproduktes (Hard Customization), zum Beispiel eines
Films, erscheinen nicht wirtschaftlich. Die Individualisierung einzelner Produkte auf nachfolgenden Wertschöpfungsstufen (Soft Customization), zum Beispiel direkt beim Kunden, ist dagegen unproblematisch im Hinblick auf bestimmte Optionen. Der Kunde kann schon
immer entscheiden, ob er etwas Bestimmtes sehen will. Außerdem
kann er festlegen, wann und wie oft er es sehen will (sofern er es zum
Beispiel aufzeichnen kann) sowie die Form, in der er es sehen möchte
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Individualisierungsmöglichkeiten
My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
(Qualität, Sprache, Untertitel, mit oder ohne Werbeunterbrechungen
usw. mit entsprechender Ausstattung).
Im Bereich Bundling erhält der Kunde durch die zunehmende
Digitalisierung der Fernsehlandschaft ganz neue Möglichkeiten: er
kann sich sein Bündel an Medienprodukten nun viel einfacher zusammenstellen als dies früher der Fall war. Auch die Anbieter erhalten
durch die neuen Technologien, die zum Beispiel die Bereitstellung
von Sendern sehr kostengünstig machen, neue Möglichkeiten. Zu erwähnen ist hier insbesondere das zielgruppenspezifische Bündeln auf
bestimmten Spartenkanälen, wie zum Beispiel einzeln abonnierbare
Sport-Pay-TV-Kanäle.
Der »My personal Channel« wird also Wirklichkeit. Der Kunde erhält
sein persönliches, individuelles Medienprogramm, (bisher) jedoch
nicht von einem einzelnen Anbieter. Erst das Zusammenspiel von
Fernsehkanälen, PVR-Herstellern, Service Providern für EPGs, Onlineplattformen mit Video-on-Demand-Angeboten etc. führt dazu,
dass der Kunde seine personalisierte, individuelle Fernsehunterhaltung konsumieren kann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er auf die
einzelnen audiovisuellen Medienprodukte inhaltlich Einfluss nehmen
kann.
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Prozesse aus Kundensicht
Die beschriebenen Innovationen in der Fernsehunterhaltungsbranche verändern die Prozesse aus Kundensicht wesentlich. War es am
Anfang nur einigen Computerbegeisterten vorbehalten, ihren PC als
Videorekorder zu benutzen und Videos aus dem Internet herunterzuladen, so wird dies jetzt auch für die breite Masse möglich – und das
ohne spezielle PC- oder Fachkenntnisse. Der Kunde genießt heute
also den Komfort, sich sein eigenes, individuelles Fernsehprogramm
auf einfache Art und Weise zusammenzustellen – sei es mittels PC
oder digitaler Fernsehausstattung.
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My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Weitere Hilfestellung können Bewertungen von Programminhalten in EPGs sowie Profile geben, die auf Basis des bisher gesehenen
Programms oder abgefragter Präferenzen erstellt werden. Denkbar
sind außerdem virtuelle Foren, in denen Gleichgesinnte über das
Programm diskutieren. [16] Dies könnte nach Hans-Bernd Brosius,
Professor für empirische Kommunikationsforschung der LudwigMaximilians-Universität München, zur gesellschaftlichen Integration
beitragen: »Die Menschen werden kommunikationsfähig, weil das
Fernsehen ihnen gemeinsame Gesprächsthemen liefert.« [17] Auch
innerhalb solcher Communities, in denen sich Mitglieder mit ähnlichen Präferenzen zu bestimmten Interessensgebieten austauschen,
könnte sich dieser Effekt zeigen. Die Produzenten nutzen hauptsächlich die Reputation, zum Beispiel von Schauspielern und Regisseuren,
um die Kunden von ihrem Angebot zu überzeugen. Alternativ wird
der Konsument direkt durch den Inhalt des Medienangebots angesprochen, indem Trailer oder Previews eingesetzt werden. [16] Gerade
im Video-on-Demand- beziehungsweise Pay-per-View-Bereich sind
aber auch neue Bezahlmodelle geeignet, die Unsicherheit des Kunden
zu senken. So könnte zum Beispiel das Anschauen der ersten Hälfte
eines Films kostenlos sein. Wenn der Film den Kunden überzeugt hat,
ist er bestimmt bereit, für die zweite Hälfte des Films zu bezahlen.
Tatsächlich kann man feststellen, dass eine Reduktion der Suchkosten
erheblich mehr Einfluss auf die tatsächlich genutzte Individualisierung hat als eine Vergrößerung des Angebots. [16]
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Wichtig werden nun Funktionen, die die Auswahl und Zusammenstellung der audiovisuellen Medienprodukte verbessern und vereinfachen. Schnell kann die erheblich vergrößerte Auswahlmöglichkeit zu Mass Confusion führen. Das bedeutet, dass der Kunde durch
die komplexere Entscheidungssituation mehr überfordert wird, als
dass er von der größeren Auswahl und damit der Möglichkeit, eine
für seine Präferenzen bessere Entscheidung zu treffen, profitiert. Mit
Hilfe von EPGs und einer integrierten, datenbankgestützten Suchfunktion beispielsweise wird das neue Angebot beherrschbar.
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Prozesse aus Unternehmenssicht
Auch aus Unternehmenssicht gibt es Änderungen im Hinblick auf
Prozesse und Profitmöglichkeiten. Es sind zahlreiche Prozesse notwendig, um Fernsehinhalte zu produzieren, zu vermarkten und schließlich
auszustrahlen. Hinzu kommen Produktion und Verkauf der nötigen
Hardware und ergänzende Angebote wie Fernsehzeitungen. Hier soll
nur auf die unmittelbaren und signifikanten Veränderungen in wesentlichen Prozessen eingegangen werden.
Die Programmstruktur verliert an Bedeutung; Lead-in-Effekte
oder Primetime sind Geschichte, da sich jeder Konsument sein Programm selbst zusammenstellt. Auch der Werbeblock wird sich nicht
in der heutigen Form erhalten lassen, da er, wenn er nicht schon automatisch ausgeblendet wird, durch einen Tastendruck am PVR übersprungen werden kann. Das heißt aber nicht, dass Kunden generell
keine Werbung mögen, sondern eher, dass sie Werbeblocks innerhalb
einzelner Sendungen, häufige Wiederholungen und langweilige Spots
als Störungen empfinden. Es gibt Studien, die herausgefunden haben,
dass ein Großteil der PVR-Benutzer häufig Spots zurückspult, um sie
mehrmals anzuschauen und, dass ein Drittel gerne über die Fernbedienung weitergehende Informationen über das beworbene Produkt
anfordern würde. [18] Gerade durch die MHP-Technologie bieten
sich hier weitreichende neue Möglichkeiten. Theoretisch sind auch
die PVR-Hersteller beziehungsweise Serviceanbieter geeignet, gezielt
Werbeformen anzubinden. Da sie über die Kundenprofile verfügen,
könnten sie zielgruppenspezifische Werbeplatzierungen verkaufen und
dem Kunden Spots, die nicht übersprungen werden können, in sein
individuelles Programm einbinden. So könnten Laufzeitverträge ähnlich dem Mobilfunk entstehen, mit einem Preisnachlass auf den PVR,
wenn man dafür monatlich eine bestimmte Anzahl Spots akzeptiert.
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My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Profitmechanismen
Im Wesentlichen gibt es vier Profitmechanismen im »Mass Customized TV«:
ð der Hardwareverkaufspreis für neue Fernsehendgeräte (durch
DVB mit besserer Qualität), für PVR und eventuell Settop Boxen,
ð Services wie EPGs, Profilverwaltung und Communities,
ð Werbeeinnahmen,
ð Pay-TV-Gebühren (zum Beispiel »Pay-per-Channel« wie bei Premiere oder »Pay-per-View« wie die Video-on-Demand-Services
von T-Online Vision).
Bei allen Mechanismen lassen sich die Cash Flows, die von den Konsumenten kommen, auch durch Cash Flows von werbenden Firmen
ersetzen. Der Mechanismus bleibt jedoch gleich. Da der Konsument
an Werbung gewöhnt ist, könnten sich Kundennutzen und abgeschöpfte Marge maximieren lassen, indem man dem Kunden anbietet,
in einem gewissen Ausmaß finanziellen Aufwand durch das Akzeptieren von Werbung zu substituieren.
Stärken und Chancen
ð Zu den Stärken des »My personal Channels« zählt zunächst der
zusätzliche Kundennutzen, der dem individuellen Fernsehen innewohnt. Ein jeder träumt wohl manchmal von einem Fernsehprogramm, das besser seinen Wünschen und Bedürfnissen entspricht.
ð Die Produzenten haben umfassendere Möglichkeiten, nicht nur
die relative Quote, sondern auch genaue Zuschauerzahlen von
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SWOT-Analyse
Nachfolgend werden die wesentlichen positiven Aspekte sowie die
zentralen Herausforderungen des individuellen Fernsehens dargestellt.
My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Medienprodukten zu ermitteln. Hierdurch lassen sich Trends
schneller erkennen und Flops vermeiden.
ð Eine große Chance liegt in der Konvergenz zwischen Internet und
Fernsehen. Inzwischen etablierte Internetanwendungen können so
über den Fernseher Einzug ins Wohnzimmer halten.
ð Unterstützt wird die Entwicklung auch durch den gesellschaftlichen Trend zu mehr Individualisierung und zu bewussterem Umgang mit der eigenen Zeit.
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Schwächen und Risiken
ð Fehlende Standardisierung führt zu nicht-kompatiblen Geräten
und Services verschiedener Hersteller und behindert dadurch vollständigen Wettbewerb und die Weiterentwicklung des individuellen Fernsehens.
ð Eine weitere Schwäche liegt in der fehlenden Transparenz des
Marktes. Für den Kunden stellt es eine hohe Hürde dar, sich
in dem dynamischen Markt zurechtzufinden und ermitteln zu
müssen, welche Produkte sich untereinander und mit welchen
Services kombinieren lassen.
ð Hinzu kommt, dass der Kunde erst lernen muss, wie er mit dem
individuellen Programm umgehen kann. Dies wird dadurch verstärkt, dass der Kunde sich auch erst an die neue Situation gewöhnen muss, dass Fernsehen zwar jetzt Geld kostet, dafür aber auch
viel mehr bietet.
ð Eine weitere Grenze besteht in der Menge der produzierten und
verbreiteten Medienprodukte. Niemand kann sich ein nach seinen
Präferenzen zugeschnittenes Programm zusammenstellen, wenn
die einzelnen Bestandteile wie Filme, Sportereignisse, Serien, Talkshows etc. nicht den eigenen Präferenzen entsprechen.
ð Zu den Risiken zählt, dass die urheberrechtliche Situation der Aufzeichnungen noch nicht vollständig geklärt ist; die Aufzeichnung
des Nutzerverhaltens könnte zu Datenschutzproblemen führen.
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My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
ð Auch die Digitalisierung stellt nicht nur eine Chance dar. »Wenn
die Filmindustrie nicht rasch Vorkehrungen ergreift, könnte ihr
das Schicksal der Musikindustrie drohen, die heute mit dramatischen Umsatzeinbußen kämpft, weil sie nicht rechtzeitig auf die
technische Entwicklung reagiert und deren Auswirkungen unterschätzt hat», sagt Sonja Moser, Partnerin bei Ernst & Young und
verantwortlich für die Filmbranche. [19] Hierunter fällt beispielsweise die Bedrohung des Geschäftsmodells des Werbefernsehens
durch Free-TV-Angebote. So suchen die Hersteller auch Allianzen
mit der Werbeindustrie und umgekehrt. [20]
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Ausblick
Gerade an den eher schleppenden Verkaufszahlen von PVR sieht
man, dass noch ein langes Tal zu durchschreiten ist, bevor die große
Mehrheit der Bevölkerung die hier aufgezeigten Potenziale nutzt.
T-Online hat erst einige tausend ACTIVY Media Center verkauft.
Selbst Björn Fehrm, Vice President von Fujitsu Siemens, sagt: »Wir
sind noch ganz am Anfang, es dauert sicher noch einige Jahre, bis jeder ein solches Gerät haben will.« [21] Durch die neuen technischen
Möglichkeiten sind jedoch vielfältige Entwicklungen und Wendungen
möglich. Auch wenn sich noch kein perfektes Bild des Fernsehens der
Zukunft zeichnen lässt, so ist die Richtung ziemlich klar.
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My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Sebastian Hafenbrädl studiert Technologie- und Managementorientierte
Betriebswirtschaftlehre an der Technischen Universität München sowie Betriebswirtschaftslehre an der HEC, der Université de Lausanne. Seine Studienschwerpunkte liegen in den Bereichen »Information, Organisation und Management«
und »Unternehmensführung, Produktion und Logistik«, sowie in der »Elektround Informationstechnik«. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem
durch Praktika und Beratungsprojekte bei Siemens Com, Alphatec Software, der
Lichtwerk GmbH und bei Arnold & Richter Cine Technik. Im Rahmen seiner aktuellen Nebentätigkeit bei der Firma Spiritec befasst er sich mit Projektmanagement, Konzeption und Marketing bei zahlreichen von ihm begleiteten Softwareund Medienprojekten. Kontakt: [email protected].
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Literatur
[1]
Heuzeroth, Thomas: Wettrennen um die Kabelmacht, Welt am Sonntag vom 16. Oktober
2005, Heft 42/2005, S. 33
[2]
http://www.digitalfernsehen.de, Zugriff am 25.10.2005
[3]Remien, Andreas: Kleine Einkaufshilfe für die »Obendraufkiste«, Süddeutsche Zeitung vom
12. Mai 2005, Beilage, S. V2/2
[4] o.V.:
Digitales Fernsehen, Elektronik Praxis vom 25. August 2005, Heft 16, S. 17
[5]
http://www.ftd.de/tm/tk/1071297910566.html, Zugriff am 25.10.2005
[6]
Hülsen, Isabell und Meier, Lutz: Bauer startet elektronische Fernsehzeitung, Financial
Times Deutschland vom 22. Juli 2005, Nr. 141, S. 5
[7]
http://www.teltarif.de/arch/2002/kw11/s7459.html, Zugriff am 1.8.2004
[8]
http://www.teltarif.de/arch/2004/kw12/s13207.html, Zugriff am 1.8.2004
17
My Personal Channel: Kundenindividuelle Fernsehangebote
[9]
http://www.ftd.de/tm/tk/1091258306925.html?nv=lnen, Zugriff am 5.8.2004
[10] http://www.golem.de/0506/38825.html, Zugriff am 25.10.2005
[11] Jaklin, Philipp: Premiere setzt auf digitales Video, Financial Times Deutschland vom
22.6.2004, S. 6
[12]Brechtel, Detlef: Abschied von der analogen Denkart, HORIZONT vom 21. April 2005,
S. 64
[13] Wirtz, Bernd und Schwarz, Joachim: Strategic Implications of the Segment of one TV, in:
JMM, Vol.3, No.1, 2001
[14] NBC Universal plant Filmangebot im Netz, Financial Times Deutschland vom 21.6.2004,
S. 6
[15]Clark, Thomas: TV-Krimihelden ermitteln auf Abruf, Financial Times Deutschland vom
09.11.2005
[16] Herrmann, Michael: Vom Broadcast zum Personalcast, TU München, 2001
[17] http://www.ftd.de/tm/it/1087023483050.html?nv=hpm, Zugriff am 30.7.2004
[18] http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/22/0,1367,COMP-0-2138774,00.html,
Zugriff am 31.7.2004
[19] http://www.ey.com/Global/content.nsf/Germany/Presse_-_Pressemitteilungen_2003_-_Krise _
der_deutschen_Filmbranche, Zugriff am 1.8.2004
[21]Clark, Thomas und Jaklin, Philipp: Hollywood per Mausklick, Financial Times Deutschland vom 17.06.2004
18
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[20]Röhrig, Johannes: Werbeindustrie sucht Allianz mit Videorekorder-Herstellern, Financial
Times Deutschland vom 17.10.2000, S. 67
IKEA: Die individuelle Lösung
für Ihre Küche
Gerade beim Küchenkauf gibt es zahlreiche Variationsmöglichkeiten. Am Beispiel des IKEA-Konzerns wird
aufgezeigt, wie dem Kunden individualisierte Küchenlösungen angeboten werden können. Zentrales Element
ist dabei ein spezieller Konfigurator, der den Kunden
zum Co-Designer seiner Küche macht.
Stichworte: Küchenkauf, IKEA-Küchenplaner, kundenbezogene Konfiguration, Drag&Drop-Verfahren, Warenverfügbarkeitsauskunft, Fertigungsprozess, Konstensenkungspotenziale
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Thomas Schmeisser, Melanie Müller
Küchenkauf – individuelle Lösungen zu angemessenen
Preisen
Wer heutzutage eine Küche kaufen möchte, sieht sich zunächst einigen Entscheidungen gegenüber. Ist man sich über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche sowie den angestrebten Preis im Klaren, muss
man unter den vielen Herstellern und Händlern den Partner finden,
der diese Kriterien am Besten erfüllt. Dies ist nicht immer einfach, da
die meisten Küchenproduzenten und -händler eine große Angebotspalette mit einer Vielzahl an Variationsmöglichkeiten anbieten. Sie
haben erkannt, dass der Großteil der Kunden Wert auf individuelle
Lösungen zu einem angemessenen Preis legt. Von der preiswerten,
schlichten Küchenzeile von der Stange bis zur maßgeschneiderten
Luxusküche ist alles möglich. Einige Hersteller bieten aber auch
individualisierte Küchenlösungen zu einem Preis an, der dem ei-
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Land
Europa/Deutschland
Anschrift Hauptniederlassung
Am Wandersmann 2-4
65719 Hofheim-Wallau
Hotline Service-Center
01 80/5 35 34 35
Internetadresse
www.ikea.de
E-Mail
[email protected]
Branche
Möbelindustrie
Produkt
Individualisierte Küchenmöbel
Bezug zu Kapitel
4.5Formen der Kundenintegration
5.1Produkt- und Leistungsgestaltung
5.2Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
7 Die Kosten: Economies of Mass Customization
ner vergleichbaren, massengefertigten Küche entspricht. Zu diesen
Herstellern gehört das schwedische Einrichtungshaus IKEA, dessen
Produktions- und Vertriebskonzept für Küchen in der folgenden Fallstudie vorgestellt wird.
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8.3Kundenintegration als Basis für erfolgreiches CRM
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Das Unternehmen IKEA
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Die Unternehmensgeschichte
Die Wurzeln des IKEA-Konzerns liegen in Schweden, wo das Unter-nehmen 1943 durch Ingvar Kamprad gegründet wurde. In den
ersten Jahren verkaufte der Firmengründer Gebrauchsgegenstände wie
Geldbörsen, Schmuck, Uhren usw. Bald hatte er ebenfalls Möbelstücke in seinem Sortiment, das er mit Hilfe eines Kataloges unter die
Bevölkerung brachte. Mitte der 1950er Jahre wurde die erste dauerhafte IKEA-Möbelausstellung in Schweden eröffnet und bald darauf
begann das Unternehmen, eigene Möbelentwürfe zu erstellen. Zu
dieser Zeit wurde auch das IKEA-typische Konzept der flachen Verpackungen geboren. Die Möbelstücke wurden nicht mehr fertigmontiert verkauft, sondern in Einzelstücken oder teilmontierten Modulen.
Das brachte für die Kunden den Vorteil, dass sie ihre Ware leichter als
bisher nach Hause transportieren konnten. Dafür mussten sie jedoch
eine Stufe der Produktion übernehmen: die Endmontage. Durch die
Verlagerung der Endmontage auf die Seite des Kunden, wurde der
Möbelkauf nachhaltig verändert. Für manche Kunden bedeutete der
Zusammenbau der Möbel eine Erhöhung des Spaßfaktors, andere
brachte genau dies an den Rand der Verzweiflung.
In den 1970er Jahren expandierte IKEA in Länder außerhalb
Skandinaviens. Einrichtungshäuser wurden in anderen europäischen
Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz und Deutschland, aber auch
in Australien und Kanada eröffnet. Mitte der 1980er Jahre wurde
der amerikanische Markt in Angriff genommen. Mittlerweile hat der
IKEA-Konzern in 33 Ländern 220 Einrichtungshäuser und insgesamt
90.000 Mitarbeiter in 44 Ländern. Der Umsatz im Geschäftsjahr
2005 betrug 14,8 Milliarden Euro. Die bedeutendste Geschäftsregion
ist Europa; hier ist insbesondere der deutsche Markt sehr wichtig.
[1,2]
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Die Vision
»Die IKEA-Geschäftsidee besteht darin, ein breites Sortiment formschöner und funktionsgerechter Einrichtungsgegenstände zu Preisen
anzubieten, die so günstig sind, dass möglichst viele Menschen sie
sich leisten können«. [3] Anhand dieser Aussage lassen sich die Ziele
erkennen, die IKEA mit seinem Warenangebot verfolgt. Das Unternehmen will seinen Kunden eine große Auswahl an Produkten bieten,
welche mit gutem Design und guter Funktionalität zu einem niedrigen Preis überzeugen sollen. Besonders im Bereich der Küchen setzt
IKEA auf die Idee, möglichst viele individuelle Kundenbedürfnisse zu
befriedigen. Ein bereits im Jahr 1990 eingeführtes Konzept verhilft
dazu, die Vorteile der traditionellen Möglichkeiten beim Küchenkauf
miteinander zu verbinden: Zum einen ist der Preis vergleichbar mit
dem Preis einer Küche von der Stange, die in Massen gefertigt wird.
Zum anderen entspricht die Variantenvielfalt hinsichtlich Funktionen
und Design der Vielfalt, die der Kunde von maßgeschneiderten Küchen kennt. [4]
Wie sieht nun das Angebot an Küchen bei IKEA aus? Im Mittelpunkt
steht die Einbauküchenreihe »Faktum«, die alle wichtigen Grundelemente einer Küche umfasst. Dies sind beispielsweise verschiedene
Unter-, Wand- und Hochschränke, Schränke für Einbaugeräte sowie
diverse Sockel und Beingestelle. Alle Schränke sind in verschiedenen
Fronten und Designs erhältlich. Hinzu kommt eine breite Auswahl an
Knöpfen und Griffen. In weiteren Produktreihen wird eine große Anzahl an Spezialschränken und Zubehör sowie an Elektrogeräten angeboten. Zusätzlich gibt es in den Einrichtungshäusern eine große Vielfalt an Accessoires und Ausstattungsgegenständen für die Küche, zum
Beispiel Aufbewahrungssysteme, Geschirr, Besteck. Tabelle 1 fasst das
Küchenangebot (Stand: Juli 2004) von IKEA zusammen: [5,6]
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IKEA’s Angebot individueller Küchen
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Tabelle 1: Das Küchenangebot von IKEA
Grundelement
Variationen
Unterschränke 5 verschiedene Breiten (30-80 cm)
2 verschiedene Eckvarianten
Einlegeböden, Drahtkörbe, Schubladen, Auszüge
16 verschiedene Fronten
Verschiedene Beine, Sockel und Beingestelle
12 verschiedene Griffe und Knöpfe
Auch für Einbaugeräte und Spülen verfügbar
Wandschränke
8 verschiedene Breiten
2 verschiedene Eckvarianten
Einlegeböden, Vitrinentüren, Glaseinlegeböden
16 verschiedene Fronten
12 verschiedene Griffe und Knöpfe
Auch für Einbaugeräte und Dunstabzugshauben verfügbar
Hochschränke
3 Höhen, je 2 Breiten und Tiefen
Einlegeböden, Glaseinlegeböden, Auszug
16 verschiedene Fronten
12 verschiedene Griffe und Knöpfe
Auch für Einbaugeräte verfügbar
Schränke
für Einbaugeräte
3 Höhen
Verstärkte Einlegeböden
16 verschiedene Fronten
12 verschiedene Griffe und Knöpfe
Arbeitsplatte
4 verschiedene Modelle und Farben
Standardtiefe 60 cm
Maßschneiderung möglich
Einbauspülen
11 verschiedene Modelle
Mischbatterien
8 verschiedene Modelle
Spezialschränke
und Zubehör
Jalousienschränke, Regale, Dekorleisten, Drahtkörbe etc.
Elektrogeräte
7 Einbaubacköfen, 3 Einbauherde, 3 MW-Geräte
15 Kochfelder, 3 Geschirrspüler
Waschmaschinen und Wäschetrockner
Einbaukühlgeräte/-kombigeräte, frei stehende Kühlgeräte
12 Dunstabzugshauben
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Der Mass-Customization-Prozess aus Kunden- und
Unternehmenssicht
Aus Sicht des Kunden umfasst der Kaufprozess mehrere Phasen:
ð Die ersten wichtigen Informationen wie Produktangebot, Variationsmöglichkeiten, Preise, Bezugsmöglichkeiten usw. kann
der Kunde auf mehreren Wegen erhalten: über das Internet, den
IKEA-Küchenkatalog und bei einem Besuch in einem der IKEAEinrichtungshäuser, wo er Anregungen und Eindrücke durch die
ausgestellten Musterküchen gewinnen kann.
ð Nachdem sich der Kunde über die grundlegenden Möglichkeiten
informiert hat, kann er mit der genauen Planung der Küche beginnen. Hierzu bietet IKEA mehrere Arten von Hilfestellungen:
ð Hilfreiche Fragen, zum Beispiel »Wie nutzen Sie Ihre Küche?«
Der Kunde wird dabei unterstützt, seine Wünsche und Vorstellungen auszudrücken.
ð Ratschläge für das Abmessen und das Skizzieren des Umrisses
der Küche, um alle relevanten Daten, zum Beispiel Fensterhöhe,
Strom- und Wasseranschlüsse, möglichst genau zu erhalten.
ð Anregungen und Empfehlungen für die Auswahl des Küchengrundrisses, damit alle Elemente in eine optimale Position gebracht werden.
ð Ein 3D-Küchenplaner, der von der IKEA-Homepage kostenlos
heruntergeladen werden kann. Mit diesem Tool kann man alle
Küchengrundelemente spielerisch zur eigenen Traumküche zusammenfügen und die eigene Küche in 3D und Farbe vorab betrachten. Zusätzlich erhält der Kunde eine Einkaufsliste und den
Gesamtpreis.
ð Planungsmodelle und Zeichenvorlagen in Papierform, die sowohl
im Küchenkatalog enthalten sind als auch in der Küchenabteilung
der Einrichtungshäuser ausliegen. Mit diesen Hilfsmitteln können
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Der Prozess aus Kundensicht
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
auch weniger technisch versierte Kunden vorab ihre Wunschküche
zusammenstellen.
ð Mit den gewonnenen Informationen, Maßen und Skizzen kann
sich der Kunde nun in einem Einrichtungshaus von dem Fachpersonal in der Küchenabteilung beraten lassen. Er erhält dabei gezielt Unterstützung bei seiner Entscheidung sowie möglicherweise
weitere Anregungen. Letzte Probleme können behoben werden.
ð Nach Abschluss des Beratungsgespräches kann die gewünschte
Ware sofort mit nach Hause genommen werden. Ausnahmen gibt
es bei außergewöhnlichen Wünschen und Spezialanfertigungen,
wie zum Beispiel maßgeschneiderten Arbeitsplatten. Die Lieferung
solcher Waren kann bis zu sechs Wochen dauern. Zu Hause kann
die Traumküche dann montiert werden. Bei Problemen mit Transport oder Endmontage stehen zudem verschiedene Serviceleistungen zur Verfügung. [7]
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Der Prozess aus Unternehmenssicht
Aus der Sicht des Unternehmens sieht der Mass-Customization-Prozess wie folgt aus:
ð Bevor der Kunde das Angebot in Anspruch nehmen kann, bedarf
es grundlegender Entscheidungen hinsichtlich des angebotenen
Lösungsraums, das heißt alle Spezifikationen, Varianten und notwendigen Prozesse müssen vorab durchdacht werden. Dies bezieht
sich vor allem auf die Küchengrundelemente der Produktreihe
»Faktum«. Es wird in dieser Phase genau definiert, welche Größen,
Funktionen und Designs angeboten werden. Gleichzeitig werden
die Leistungserstellungs- und Informationsprozesse ausgestaltet,
mit denen eine Durchgängigkeit der Prozesse von der Entwicklung
bis zum Kunden und zurück gewährleistet wird.
ð Danach findet bei »Swedwood« – dem Produktionsbereich des
IKEA-Konzerns – die auftragsneutrale Vorfertigung der einzelnen
Module statt. Der Vorfertigungsgrad ist bei IKEA sehr hoch, da
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Der IKEA-Küchenplaner – der Konfigurator des Konzeptes
IKEA bietet dem Kunden auf der Homepage eine besondere Hilfestellung, um sich die eigene Traumküche schon vorab in sechs einfachen Schritten zusammenzustellen, und macht den Kunden damit
zum »Co-Designer«. Auf der Homepage kann jeder Interessierte ein
Designtool mit ansprechender Oberfläche und benutzerfreundlicher
Bedienung downloaden (vgl. Abb. 1 und 2). Zuerst muss der Kunde
die Maße der Küche eintragen und mit Hilfe des Drag&Drop-Verfahrens Türen und Fenster positionieren. Danach kann er beginnen,
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
das Unternehmen dem Kunden eine sofortige Mitnahme der gewünschten Produkte ermöglichen will. Am Tag des Kaufes liegen
die ausgesuchten Module schon im Lager des Einrichtungshauses
bereit. Der Kunde muss sie nur noch mitnehmen und zu Hause
aufbauen.
ð Für die kundenbezogene Konfiguration stellt IKEA einige Hilfsmittel, wie den IKEA-Küchenplaner, Tipps und Tricks im Küchenkatalog sowie Musterküchen und Berater im Möbelhaus zur
Verfügung. Diese Maßnahmen dienen dazu, die Wünsche und
Vorstellungen des Kunden auf möglichst einfache Art und Weise
bei der Zusammenstellung der optimalen, individuellen Lösung zu
berücksichtigen. (Mehr dazu im Abschnitt »Der IKEA-Küchenplaner – der Konfigurator des Konzeptes«.)
ð Nach Abschluss des Kaufs bietet IKEA seinen Kunden einige
Serviceleistungen an. Beispielsweise können in den Einrichtungshäusern Kleintransporter geliehen werden, um die Küche nach
Hause zu transportieren. Alternativ kann sich der Kunde die Ware
gegen einen Aufpreis von einem kooperierenden Transportunternehmen nach Hause liefern lassen. Auf Wunsch vermittelt IKEA
auch Fachpersonal für die Endmontage. Treten beim Selbstaufbau
Probleme auf, kann eine Servicehotline zu Rate gezogen werden.
[8,9,10]
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 1: Grundrissoberfläche im Konfigurator
den Raum mit den einzelnen Elementen der Einbauküchenreihe
»Faktum«, zum Beispiel mit Unter- und Wandschränken, einzurichten – ebenfalls mit dem Drag&Drop-Verfahren. Zusätzlich kann
man die verschiedenen Funktionen und Designs der Möbelstücke
gestalten. Zusätzliche Hilfestellungen und Tipps für die Planung und
Einrichtung seiner individuellen Küchenlösung werden dem Kunden
in Form von Zeichnungen, Checklisten und Fragen im Küchenkatalog geboten. Die Module können jederzeit verändert, angepasst oder
entfernt werden. Mögliche Konflikte, die beim Zusammenstellen auftreten können, werden angezeigt. Beispielsweise kann es sein, dass die
ausgesuchte Spüle nicht mit dem gewünschten Unterschrank kompatibel ist.
Während und nach dem Vorgang des Einrichtens kann sich der
Kunde seine Traumküche in einer farbigen 3D- beziehungsweise 2D-
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Abb. 2: Die 3D-Ansicht der Küche im Konfigurator
10
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Darstellung anschauen und überprüfen, ob er mit den ausgesuchten
Modulen und Kombinationen zufrieden ist. Anschließend kann er
sich eine Auflistung der Einzelpreise sowie des Gesamtpreises erstellen
lassen. Gleichzeitig bekommt er eine Einkaufsliste mit den einzelnen
Produktnummern. Mit Hilfe einer weiteren Serviceleistung – der Warenverfügbarkeitsauskunft – kann sich der Kunde auf der Homepage
informieren, ob die ausgesuchten Produkte im Einrichtungshaus seiner Wahl vorrätig sind. [11]
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Bewertung des IKEA-Küchenkonzeptes
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Profitmechanismus des IKEA-Küchenkonzeptes
Wesentlicher Profittreiber ist eine gestiegene Zahlungsbereitschaft
der Kunden. Zum einen bekommt der Kunde eine auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte Küche und nicht einfach ein Produkt
von der Stange. Durch das Einkaufserlebnis als »Co-Designer« – via
Internet oder im Einrichtungshaus – kann die Zahlungsbereitschaft
der Kunden gegenüber einem gewöhnlichen Küchenkauf zusätzlich
steigen. Dieses Erlebnis ergibt sich aufgrund der aktiven Mitgestaltung bei der Zusammenstellung der individuellen, maßgeschneiderten
Küche. Die Kunden erleben die Produktvielfalt im Verlauf des Kaufprozesses und werden so womöglich auch inspiriert, mehr zu kaufen
als sie anfangs geplant hatten.
Die Kosten für Produktion, Logistik und Beratung liegen insgesamt zwar über den Kosten für eine Standardküche, jedoch weit unter
den Kosten, die bei herkömmlicher Maßanfertigung anfallen. Höhere
Kosten entstehen hinsichtlich Lagerhaltung und Logistik dadurch,
dass IKEA – entsprechend der Unternehmensphilosophie – den
Kunden die sofortige Mitnahme der Ware ermöglichen will. Somit
muss in jedem Einrichtungshaus eine gewisse Menge und Vielfalt an
Küchengrundelementen vorhanden sein. Dies ist weder beim Kauf
einer Standardküche derzeit üblich noch bei einer Maßanfertigung
aufgrund der Individualität möglich. Im Bereich der Produktion
profitiert IKEA von den typischen Merkmalen der Massenfertigung,
wie zum Beispiel Größenvorteilen im Einkauf. Durch klare Grenzen
hinsichtlich Auswahl und Modulen, werden zudem die Produktionskosten niedrig gehalten. Die Produktionskosten an sich dürften damit
aufgrund der Modulbauweise kaum über denen der Serienfertigung,
jedoch weit unter denen der Maßanfertigung liegen.
Zur Optimierung des Leistungsangebotes und der Lagerhaltung
nutzt IKEA das Wissen, das aus der Kundeninteraktion gewonnen
11
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
wurde. Die Erfassung und Verarbeitung des Kundenwissens bringt jedoch erneut höhere Kosten – Transaktionskosten – mit sich. Beispielsweise für die Bereitstellung des Konfigurators oder die Weiterleitung
der Informationen aus der Kundeninteraktion in die Produktentwicklung. Für die Beratung in den Küchenabteilungen der Möbelhäuser
benötigt man außerdem geschultes Personal, welches den Kunden bei
der Zusammenstellung der individuellen Küche unterstützt.
Wesentliche Kostensenkungspotenziale entstehen aufgrund der Tatsache, dass vielfältige Aufgaben auf den Kunden übertragen werden.
Der Kunde wird als »Co-Designer« aktiv in den Verkaufsprozess
einbezogen. Durch die Bereitstellung von zahlreichen Informationen
und Hilfsmitteln, zum Beispiel auch des Internet-Konfigurationstools,
wird der Großteil der Beratungsgespräche erheblich verkürzt. Einsparungspotenziale gibt es beispielsweise auch hinsichtlich der Personalund Logistikkosten, da Transport und Endmontage auf den Kunden
übertragen werden.
Nachfolgende Aspekte sprechen für das IKEA-Konzept:
 Eine Stärke des Konzeptes besteht darin, dass der Kunde seine
Küchenmöbel sofort mitnehmen kann. Wochenlange Lieferzeiten
fallen nur in Ausnahmefällen an. Hierdurch kann sich IKEA gegenüber einer Vielzahl von Konkurrenten abgrenzen, da die Lieferung einer Küche bei vielen Herstellern mehrere Wochen dauert.
 Eine weitere Stärke sind die weitgehenden Möglichkeiten, die dem
Kunden vor und während des Kaufs geboten werden. Er kann
selbst entscheiden, wie aktiv er am Prozess mitwirkt und sich beispielsweise seine Küche schon vorab im Internet zusammenstellen.
Dies trägt grundsätzlich zu einer besseren Abstimmung von Kundenwünschen und Produktangebot sowie einer höheren Kundenzufriedenheit bei.
12
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Bewertung des IKEA-Konzeptes
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
 Zudem wird dem Kunden auf diesem Weg ein besonderes Einkaufserlebnis geboten. Viele Kunden suchen ein besonderes Einkaufserlebnis, vor allem wenn es um komplexe und teuere Kaufentscheidungen geht. Mit seinen Co-Design-Prozessen setzt IKEA
im Internet und im Einrichtungshaus genau auf dieses Bedürfnis.
 Gerade bei Küchen ist ein Trend dahingehend erkennbar, dass sich
die Kunden das Produkt nach den eigenen Vorstellungen möglichst passformgenau zusammenstellen möchten. Die Ansprüche
werden immer höher, die Wünsche ausgefallener und die Kunden
immer selbstbewusster. Das breite Angebot an Waren rund um
den Themenbereich Küche ist damit ebenfalls eine Stärke von
IKEA.
 Das Konzept überzeugt auch dadurch, dass die Auswahl in einer
für den Kunden ansprechenden, verständlichen Art und Weise
präsentiert wird.
 Die Auslagerung der Lieferung und Endmontage auf den Kunden
ist eine weitere Stärke des Konzeptes. IKEA kann dadurch Kosten
sparen. Zudem ist der Kunde für den korrekten Aufbau der gekauften Küche verantwortlich.
Als Schwächen des Konzeptes und mögliche Risiken sind die folgenden Punkte zu nennen:
 Das Unternehmen hat einen sehr hohen logistischen Aufwand zu
bewältigen, um die Sofortmitnahme zu gewährleisten.
 Es besteht die Gefahr, dass die Kunden von der Vielzahl an Möglichkeiten abgeschreckt werden. Zwar gibt es den Konfigurator,
viele Hilfestellungen sowie die Berater, dem Kunden wird jedoch
während des Verkaufsprozesses viel abverlangt. Für manche Kunden könnte der Aufwand den Nutzen aus der individuellen Lösung übersteigen.
 In konjunkturell schlechten Zeiten verzichten die Kunden eher auf
die Anschaffung eines teuren Gegenstandes wie einer Küche. Dies
heizt den Konkurrenzkampf in der Branche an.
13
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Ausblick
Das Küchenkonzept von IKEA überzeugt, da dem Kunden eine immense Auswahl zu einem akzeptablen Preis geboten wird. Zudem
kann der Verkaufsprozess für den Kunden zu einem interessanten
Einkaufserlebnis werden. Trotzdem ist es zur Verwirklichung der Unternehmensphilosophie – die Produkte an möglichst viele Menschen
zu verkaufen – erforderlich, Angebot und Konfigurator weiter zu
optimieren. Andernfalls kann es passieren, dass zu viele Kunden von
der Fülle an Möglichkeiten überfordert werden und lieber zu einem
anderen Anbieter wechseln. Der 3D-Küchenplaner ist grundsätzlich
gut aufgebaut; jedoch benötigt man einiges technisches Geschick und
Geduld, um die Traumküche zu planen. Wünschenswert wäre beispielsweise auch eine direkte Verknüpfung des Konfigurators mit der
Warenverfügbarkeitsauskunft, damit der Kunde sofort sieht, ob die
gewünschten Küchenmöbel beim Einrichtungshaus seiner Wahl auf
Lager sind. Auch der Aufbau der Küche in den eigenen vier Wänden
ist für einige Kunden eventuell zu komplex. Für IKEA-Kenner und
-Fans wird dies kein Hindernis sein, um aber neue Kunden zu gewinnen, ist eine Vereinfachung erforderlich.
14
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
 Neben IKEA führen auch einige Konkurrenten individuelle Küchen in ihrem Sortiment. Einige dieser Konzepte können für das
Unternehmen eine Marktgefährdung darstellen, wie zum Beispiel
das Konzept des Unternehmens KücheDirekt. Dieses Unternehmen liefert mit Hilfe eines innovativen Fertigungsprozesses innerhalb weniger Tage eine fertig montierte Küche nach Hause, die
preislich mit einer IKEA-Küche vergleichbar ist.
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Thomas Schmeißer studiert Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München. Im Rahmen eines
Projektes war er bei der Erarbeitung und Einführung einer Geschäftstreiber
Scorecard für Siemens Learning Campus beteiligt. Seine Interessenschwerpunkte liegen in den Bereichen Human Resource Management und Organisation, Technologie und Management. Kontakt: [email protected].
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Literatur
[1]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/ms/de_DE/about_
ikea/timeline/full_story.html [Stand: 20.10.2005]
[2]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/ms/de_DE/about_
ikea/facts_figures/figures.html [Stand: 20.10.2005]
[3]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/ms/de_DE/about_
ikea/our_vision/better_life.html [Stand: 02.08.2004]
[4]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/ms/de_DE/about_
ikea/our_vision/how.html [Stand: 02.08.2004]
[5]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) : IKEA Küchenkatalog 2004, S. 4-31
[6]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) : IKEA Küchenkatalog 2004, S. 64-73
[7]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) : IKEA Küchenkatalog 2004, S. 60-63
[8]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) : IKEA Küchenkatalog 2004
[9]
IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/ms/de_DE/about_
ikea/splash.html [Stand: 02.08.2004]
15
IKEA: Die individuelle Lösung für Ihre Küche
[10] vgl. IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/webapp/wcs/
stores/servlet/CategoryDisplay?storeId=5&langId=3&catalogId=10101&cattype=top&identifi
er=00014_nmstree001 [Stand: 02.08.2004]
2121.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[11] vgl. IKEA Deutschland GmbH & Co. KG (2004) URL: http://www.ikea.de/ms/de_DE/
rooms_ideas/kitchen/download.html [Stand: 02.08.2004]
16
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
Die InVIDO GmbH produziert maßgefertigte Möbel im
mittleren Preissegment. Dem Unternehmen ist es dabei
gelungen, die Auswahl an Individualisierungsmöglichkeiten zu vergrößern und den Kundennutzen zu steigern, ohne dass Kosten und Preise deutlich gewachsen
sind.
Stichworte: Maßgefertigte Möbel, 3D-Planungstool, individuelle Konfiguration, flexible Fertigungstechnologie, Produktgestaltungsprozess, Beratung, Preisniveau, Logistik
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Robert Simm, Melanie Müller
Maßgefertigte Möbel
Die InVIDO GmbH produziert maßgefertigte Möbel zu einem Preis,
der unter dem Preis von Konkurrenzangeboten mit einem ähnlichen
Ausmaß an Individualisierung liegt. Das Unternehmen begann Ende
der 1990er Jahre zunächst mit der Entwicklung der Software, mit
deren Hilfe Möbel in dreidimensionaler Ansicht entworfen werden
können. Danach wurde an der fehlerfreien Übertragung der individuellen Daten auf industrielle Produktionsmaschinen gearbeitet. Im
Oktober 1998 wurde schließlich mit der Produktion der ersten Möbel
begonnen; seit 2000/2001 ist das Unternehmen im Markt vertreten.
Mit seinem Angebot ist es dem Unternehmen gelungen, die eigene
Position im hart umkämpften Möbelmarkt kontinuierlich auszubauen. Das Konzept des Unternehmens wird im Rahmen dieser Fallstudie beschrieben.
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
Land
Deutschland
Anschrift
Neue Schichtstraße 9
09366 Niederdorf
Hotline
0 18 05 – 46 84 36
Internet-Adresse
www.invido.de
E-Mail
[email protected]
Gründungsjahr
1998
Branche
Möbelindustrie
Produkt
Individuelle Möbelsysteme
Bezug zu Kapitel
4.5Formen der Kundenintegration
5.1Produkt- und Leistungsgestaltung
5.2Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
7 Die Kosten: Economies of Mass Customization
Grundlagen zu Markt und Unternehmen
Die deutsche Möbelbranche
Zwar ist der deutsche Möbelmarkt im internationalen Vergleich von
einer hohen Kaufkraft geprägt, trotzdem verzeichnen viele – meist
mittelständische Hersteller – sinkende Umsätze. Ein Grund ist der
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
6.2Preispolitische Potenziale
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
aufgrund der zunehmenden Globalisierung steigende Kosten- und
Preisdruck, der zu steigenden Importen aus Niedriglohnländern und
Konzentrationsprozessen bei Zulieferern und Händlern führt. Darüber hinaus drängen große Möbelhaus-Ketten wie IKEA in den Markt
und drücken die Preise. Viele einheimische Betriebe sind daher bereits
aus dem Markt verschwunden. Vor allem mittelständische Unternehmen sind betroffen von den schweren Wettbewerbsbedingungen. Ein
Mittelständler, der sich bisher gut im Markt behaupten konnte, ist
das Unternehmen InVIDO, das sich mit seinem Konzept erfolgreich
von den Angeboten der Konkurrenz abgrenzt.
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Das Unternehmen InVIDO
Die InVIDO GmbH produziert maßgefertigte Möbel, welche preislich eher mit den Serienprodukten der Konkurrenz als mit den Angeboten von Konkurrenten mit einem ähnlichen Ausmaß an Individualisierung vergleichbar sind. Das Unternehmen fokussiert das mittlere
Preissegment und hat durch das Ausmaß an gebotener Individualisierung einen Weg gefunden, sich von der Konkurrenz in diesem Segment abzugrenzen. Bisher ließen sich zu vergleichbaren Kosten nur
standardisierte Produkte mit einer begrenzten Anzahl an Varianten
und Ausführungen herstellen. InVIDO ist es gelungen, die Auswahl
zu vergrößern und damit den Kundennutzen zu steigern, ohne dass
gleichzeitig Kosten und damit Preise deutlich gewachsen sind.
Als Start-Up begann die Firma Ende der 1990er Jahre zunächst
mit der Entwicklung der Software, mit deren Hilfe Möbel in dreidimensionaler Ansicht entworfen werden können. Danach musste die
Herausforderung bewältigt werden, diese individuellen Daten fehlerfrei auf industrielle Produktionsmaschinen zu übertragen. Nachdem
dies gelungen war, errichtete man das Werk in Niederdorf. Im Oktober 1998 wurde schließlich mit der Produktion der ersten Möbel
begonnen. Zum Marktstart 2000/2001 war die Akzeptanz zunächst
eher verhalten. Einen Schub erhielt der Absatz 2002, insbesondere,
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
nachdem in Fachpublikationen über das Konzept berichtet wurde.
Seitdem läuft das Geschäft sehr gut – vor allem die Mund-zu-MundPropaganda durch zufriedene Kunden trägt hierzu bei.
InVIDO vertreibt seine Produkte deutschlandweit über Systempartner, welche ein Konfigurationsterminal oder die Software auf
einem PC vor Ort haben. Aktuell werden 22 Systempartner auf der
InVIDO Homepage aufgeführt. Insgesamt gibt es in Deutschland
und den angrenzenden Staaten etwa 1.000 Handelskunden (vgl. [1]).
Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist mit ihren circa 20 Mitarbeitern zu einem stattlichen mittelständischen Unternehmen gereift.
Das Mass-Customization-Angebot von InVIDO
Die Einzigartigkeit des Angebots von InVIDO liegt in der Möglichkeit, sich ein Möbelstück millimetergenau am Computer zu entwerfen beziehungsweise entwerfen zu lassen. Das Konzept des Unternehmens wird im Folgenden beschrieben.
Die Produktpalette umfasst im Wesentlichen Schranksysteme. Des
Weiteren sind Rollcontainer und Regale erhältlich. Das Unternehmen
umwirbt mit dem Slogan »Design your Design« eine »funktions- und
maßorientierte Zielgruppe« (vgl. [1]), für die ein schlichtes Design im
Vordergrund steht. Alle Produkte, zum Beispiel die Schrankelemente,
basieren auf einer gemeinsamen, funktionellen, rechteckigen Grundform. Einlegeböden und Schrankwände können in verschiedenen
Stärken gewählt werden (vgl. Abb. 1). Unter diesen Restriktionen sind
Größe, Zusammensetzung, verwendete Materialien und verschiedene
Blenden aus einer beachtlichen Auswahl frei kombinierbar. Lackierungen sind in allen RAL-Farben erhältlich. Neben der Möglichkeit,
jedem Bauteil eine andere Funktion (Schubladenelement, offenes
Element, Klapptür etc.) zu geben, kann der Kunde auch wählen,
ob er sein Produkt in einem Stück oder in Modulbauweise gefertigt
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Das Produkt
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
Abb. 1: InVIDO Produktwerbung
haben möchte. Wählt der Kunde die Modulbauweise, hat er die Möglichkeit, das System später auseinander zu nehmen, andere Elemente
dazuzukaufen und alle Elemente neu zusammenzusetzen.
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Das Tool
Umgesetzt wird die kundenindividuelle Produktspezifikation bei System- und Handelspartnern mittels eines auf Windows basierenden
Tools. Der Kunde gestaltet sich sein individuelles Möbelstück zusammen mit einem Mitarbeiter beim Vertriebspartner. Diese Art des
Vertriebs erlaubt es, den Kunden gezielt durch den Verkaufsprozess zu
führen. Des Weiteren kann es für den Kunden hilfreich sein, die Auswahl an Bauteilen, Furnieren, Farben oder Griffen vor Ort ansehen
zu können. Anfänglich wurde das Tool dem Kunden direkt für einen
Unkostenbeitrag von 10 EUR überlassen. Da es jedoch nicht sinnvoll erschien, für eine verkaufsfördernde Software Geld zu verlangen,
wurde diese Möglichkeit eingestellt. Hinzu kommt, dass der Kunde
vollständig auf sich allein gestellt ist und auch keine Muster und Beispielprodukte sieht, die ihm die Entscheidung erleichtern.
Begonnen wird mit den grundlegenden Produktspezifikationen,
zum Beispiel der Festlegung, ob es sich um ein frei im Raum oder ein
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
an der Wand stehendes Möbelstück handeln soll. Diese Entscheidung
hat beispielsweise Auswirkungen auf die Rückwand. Auch Eckkonstruktionen sind möglich. Eine weitere wesentliche Entscheidung ist,
ob das Produkt als ein Stück montiert oder in Modulbauweise zusammengesetzt werden soll, was spätere Änderungen und Ergänzungen
ermöglicht.
Mittels Drag-and-Drop können neue Kästen auf einfache Art
und Weise zur bestehenden Konfiguration hinzugefügt werden. Die
Menüführung erlaubt große Flexibilität, zum Beispiel kann man
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Abb. 2: Das Planungstool
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jederzeit Türen gegen Schubläden austauschen. Laminierung, eventuelle Verblendungen oder Farben einzelner Flächen können ebenfalls
jederzeit unkompliziert geändert werden. Die Größe kann wahlweise
zentimeter- oder millimetergenau variiert werden, indem man einfach die Fläche am Bildschirm mit Hilfe der Maus verändert. Abmessungen bereits vorhandener Elemente werden für neue Elemente
übernommen, indem das neue Objekt eine kurze Weile über das alte
gehalten wird. Das Objekt kann dreidimensional von allen Seiten
betrachtet werden, so dass sich der Kunde das Objekt besser vorstellen
kann (vgl. Abb. 2).
Während des gesamten Prozesses wird der Preis der aktuellen Zusammenstellung angezeigt. Der Kunde hat somit jederzeit den Überblick und es herrscht absolute Transparenz, welche Veränderungen das
Produkt in welchem Maße teuerer oder günstiger machen. Hat der
Kunde seine endgültige Auswahl getroffen, wird die Konfiguration in
einer Datei gespeichert und via DFÜ-Verbindung an InVIDO nach
Niederdorf übermittelt, wo das Produkt gefertigt wird.
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Vermeidung von »Mass Confusion«
Es gibt drei Herausforderungen, die dazu führen können, dass beim
Kunden mehr Kosten als zusätzlicher Nutzen durch ein individuelles
Angebot entstehen. Gelingt es nicht, die Mass Confusion oder Überforderung des Kunden zu verhindern, kann dies zu einem Scheitern
des Mass-Customization-Konzeptes führen. Dem Kunden erscheint
der Kauf des individuellen Produktes dann eventuell zu aufwändig
oder unsicher und er entscheidet sich dagegen. Die drei Herausforderungen werden im Folgenden beschrieben.
Theoretisch scheint es zunächst interessant, dem Kunden unendliche Freiheitsgrade einzuräumen. Diese kann es allerdings bei
industrieller Fertigung nicht geben, weshalb der Hersteller eine
sinnvolle Vorauswahl treffen muss. Manche Parameter können unproblematisch stufenlos variiert werden, einige nur in verschiedenen
Ausprägungen, andere Parameter wiederum stehen fest. Werden zu
viele Optionen angeboten, kann dies auch zu einer Überforderung
der Kunden führen. Im Falle von Möbeln, insbesondere Schrankmöbeln, ist die wesentliche Variable meist die Größe. Unter den
angebotenen Holzarten, Farben und Griffen finden wohl die meisten
Kunden etwas Ansprechendes. Die zentrale Fragestellung ist jedoch,
ob das Produkt auch in die Wohnung passt. Diese Frage stellt sich bei
InVIDO nicht, da das Produkt hinsichtlich der Größe frei wählbar
ist (innerhalb des funktionalen Grunddesigns). Auch hinsichtlich des
weiteren Angebots hat InVIDO eine sinnvolle Vorauswahl getroffen,
um den Kunden nicht zu überfordern. Darüber hinaus unterstützt die
Nutzung des Konfigurationstools die kundenfreundliche Darstellung
der Wahlmöglichkeiten.
Eine weitere Herausforderung ist es, die Vorstellungen und Wünsche der Kunden fehlerfrei aufzunehmen und umzusetzen. Oft ist es
für die Kunden schwierig, die eigenen Wünsche konkret auszudrücken, so dass das dazu passende Produkt gefunden werden kann. Das
InVIDO-Tool bietet eine gute Möglichkeit, das gewünschte Möbel
mit Hilfe eines sachkundigen Beraters in einer akzeptablen Zeit zusammenzustellen. Der Kunde kann seine Wünsche mit Hilfe des
Tools direkt umsetzen und visualisieren. Auch hier ist es wiederum
wichtig, eine sinnvolle Vorauswahl zu treffen, damit dem Kunden
nicht zu viele Entscheidungen abverlangt werden.
Die dritte Herausforderung betrifft Informationsasymmetrien
zwischen Hersteller und Kunde, das heißt auf beiden Seiten stehen
unterschiedlich umfassende Informationen zur Verfügung. Zum einen
ist der Hersteller oder Händler sachkundiger als der Kunde. Zum anderen hat der Kunde ähnlich wie bei Serviceanbietern nur begrenzte
Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit des Herstellers vorab zu bewerten, da sein Produkt erst noch produziert wird und er nur Beispielobjekte vor Ort erleben kann. Auch dieses Problem wird durch die
transparente Gestaltung des Tools, speziell durch die aktuelle Preisdarstellung, gut gelöst. Neben dem Konfigurationstool, das eine zentrale
Stellung im Verkaufsprozess einnimmt, verhindert die fachliche Un-
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InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
terstützung bei den Handelspartnern, dass sich die Kunden überfordert fühlen. Durch professionelle Unterstützung beim Produktgestaltungsprozess wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde doch etwas
übersehen oder falsch planen könnte, minimiert. Sollte bei den Abmessungen ein Fehler unterlaufen oder eine Farbe doch nicht so sein,
wie sich der Kunde das vorstellt, hätte das Produkt keinen Wiederverkaufswert. Deshalb stellt der Systempartner dem Kunden jemanden
zur Seite, der ihm verschiedene Materialien, Farben und Module im
Original zeigen und ihn beraten kann. Dies reduziert Unsicherheit,
vermittelt Kompetenz und unterstützt dadurch den Kaufprozess.
Mass-Customization-Prozesse
Im Folgenden wird der Prozess des Kaufes eines InVIDO-Möbelstücks aus Kunden- und Lieferantensicht, das heißt aus Sicht des Unternehmens InVIDO, dargestellt.
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Der Erwerb eines InVIDO-Produktes aus Kundensicht
Um die Konfiguration zu starten, müssen die Maße des Endproduktes
bekannt sein. In der Regel bringt der Kunde die Abmessungen mit;
jedoch bieten einige Systempartner von InVIDO auch diesen Arbeitsschritt an. Liegen die Abmessungen vor, kann die Produktspezifikation mittels des Konfigurationstools vorgenommen werden. Damit sich
der Kunde die verschiedenen Materialien, Farbtöne oder sonstigen
Ausprägungen besser vorstellen kann, hat der Händler in der Regel
einige Originalstücke von InVIDO zu Vorführzwecken vorrätig. Diesen Aspekt hält InVIDO-Geschäftsführerin Kristin Müller für äußerst
wichtig: »Die Kunden verstehen Maßmöbel nicht als ein einfaches
Produkt. Möbel sind haptische Produkte und wollen angefasst werden. Der Kunde kauft diese Produkte nicht im Internet oder direkt
aus dem Katalog, er will Beratung, da er weiß, dass er die Kompetenz
selbst (noch) nicht hat und die Vorstellung hierzu fehlt. Bei einem
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Buch oder einer CD weiß der Verbraucher, was er bekommt« (vgl.
[1]).
Die individuelle Konfiguration kann anschließend abgespeichert,
später wieder aufgerufen und neu bearbeitet werden, sollte sich der
Kunde nicht sofort festlegen wollen. Ist die endgültige Zusammenstellung fertig, bestellt der Kunde das Stück bei seinem Händler. Nach
einer Lieferzeit von üblicherweise vier bis sechs Wochen wird das Produkt vom Händler geliefert und zusammengebaut. Der Zusammenbau kann wahlweise auch vom Kunden selbst durchgeführt werden,
was den Preis um circa 5 Prozent reduziert.
Aus Sicht von InVIDO startet der Prozess ebenso mit der Konfiguration. Zwar wird der Konfigurations- und Verkaufsprozess von
den Systempartnern im Fachhandel zusammen mit dem Kunden
durchgeführt, jedoch liegt die Festlegung der angebotenen Individualisierungsmöglichkeiten neben Konfigurationstoolgestaltung und
Preisaktualisierung bei InVIDO. Mit dem Vertrieb über den Fachhandel nutzt InVIDO dessen bereits bestehende Präsenz und Kundenkontakte. Zudem ist das nötige Wissen über Möbel generell sowie
über Aufmaßnahme und Montage vorhanden. Ist der Produktspezifikationsprozess abgeschlossen, werden die Kundendaten elektronisch
zum Firmensitz Niederdorf übermittelt und dort in die Produktionsanlagen eingespeist.
Die Anforderungen an die Fertigung sind hoch. Die Produktionslinie muss – bedingt durch die kundenindividuelle Zusammenstellung – höchst flexibel arbeiten können. Jedes Stück ist in der Regel
einmalig und hat andere Ausprägungen in den verschiedenen Variablen. Mittels einer neuen Technologie kann äußerst variabel, praktisch
»stufenlos« und gleichzeitig kostengünstig produziert werden. Die
verwendeten Maschinen stammen vom Maschinenbauer IMA aus
Lübbecke, dessen Produkte von anderen Möbelherstellern zur Klein-
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Der Prozess aus Lieferantensicht
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
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serienfertigung verwendet werden. Die Fertigungszeit beträgt zwei
bis vier Wochen, was unterhalb der benötigten Zeit der meisten Möbelhersteller liegt. Insgesamt sind die Produktionskosten nicht höher
als bei herkömmlicher Serienfertigung, was unter anderem auch am
minimalen Personaleinsatz liegt.
InVIDO hat außerdem eine durchgängige Wertschöpfungskette
entwickelt, die entscheidend für den Erfolg des Konzeptes ist und
die Geschäftsführerin Frau Müller wie folgt beschreibt: »Wir haben
ein komplett durchgängiges System vom Kunden bis zu den Maschinen inklusive angeschlossener Warenwirtschaft und Versandlogistik
geschaffen. Mittels unserer Software sendet uns der Kunde praktisch
alle Daten, die wir für die Produktion seines Möbels benötigen. Der
Liefertermin wird ermittelt, die Auftragsbestätigung erstellt und das
war’s. Dann beginnt der »Rest« von allein.«(vgl. [1]).
Neben der effizienten und flexiblen Produktionstechnologie sowie
der durchgängigen Wertschöpfungskette ist die Fähigkeit, die individuellen Spezifikationsdaten problemlos auf die Produktionssteuerung
zu übertragen, eine Kernkompetenz des Unternehmens. Ist das Möbelstück oder Möbelsystem gefertigt, wird es an den Händler geliefert, welcher wiederum an den Kunden liefert beziehungsweise das
Produkt beim Kunden montiert. Der gesamte Prozess vom Absenden
der Kundendaten bis zur Installation des Möbels dauert vier bis sechs
Wochen.
Profitmechanismus
Das Konzept von InVIDO ermöglicht eine rentable Produktion in
Deutschland. Dies liegt zum einen am durchdachten Angebot, am
minimalen Personaleinsatz in der modernen, hochautomatisierten Fabrik und an der durchgängigen Logistikkette. Darüber hinaus ist die
höhere Zahlungsbereitschaft der Kunden entscheidend für den Erfolg
des Unternehmens. Wie eingangs erläutert, hat sich InVIDO im
mittleren Preissegment platziert. Zielgruppe ist eine etwas zahlungs-
11
kräftigere Käuferschicht, die Wert auf Funktionalität und vor allem
Passgenauigkeit legt. Für ein Möbelstück, das ein Kunde hundertprozentig in seine Wohnumgebung einpassen kann, ist er natürlich
bereit, etwas mehr zu bezahlen, als für Standardware, bei der er hier
und da Einschränkungen hinnehmen muss. Das Problem, etwas in
der passenden Größe zu finden, existiert faktisch nicht.
Trotzdem versichert Herr Gertis, Systempartner von InVIDO in
München Aubing, liegen die Preise für InVIDO-Güter nicht wesentlich über vergleichbaren Serienprodukten. Ein eindeutiger Vergleich ist auch nur schwer zu ziehen, da ein InVIDO-Produkt laut
Kristin Müller »natürlich einige Qualitätsmerkmale [hat], die nicht
marktüblich sind, die ein Maßmöbel aber haben sollte, zum Beispiel
Massivholzschubkästen mit gezinkter Eckverbindung, hochwertige
Beschläge, Verwendung von Lacken auf Wasserbasis usw.«(vgl. [1]).
Das Spektrum verschiedener Materialien lässt den Kunden das Produkt dann auch preislich noch etwas beeinflussen. Betrachtet man das
Ausmaß an Anpassbarkeit sowie die genannten Qualitätsmerkmale,
müsste man eigentlich einen Vergleich mit der Einzelanfertigung einer
Schreinerei ziehen, deren Produkt natürlich wesentlich teurer wäre.
InVIDO ist damit qualitativ eher mit dem mittleren bis hohen,
preislich jedoch eher mit dem mittleren Preissegment zu vergleichen.
Beim Käufer wird aufgrund der individuellen Anpassbarkeit sowie anderer, hochwertiger Produkteigenschaften höherer Nutzen und damit
eine höhere Zahlungsbereitschaft generiert. Bei vergleichsweise niedrigen Produktions- und Logistikosten hat das Unternehmen damit
eine profitable Marktposition gefunden.
Bewertung
Stärken und Chancen
Das InVIDO-Konzept hat eine Vielzahl von Stärken. Verbunden mit
den nachfolgenden Chancen, könnte das Unternehmen diese für den
weiteren Ausbau seiner Position nutzen:
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2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
ð Effiziente und flexible Fertigungstechnologien garantieren eine
äußerst weitgehende Individualisierung zu einem Preisniveau, das
vergleichbar ist mit dem Preisniveau der Serienfertigung.
ð Die Individualisierbarkeit der Produkte ist konkurrenzlos im mittleren Preissegment. Damit kann das Bedürfnis der Kunden nach
Individualität hinsichtlich der Maße und des Designs sehr weitgehend erfüllt werden, ohne dass der Kunde die damit üblichen hohen Preise zahlen muss. Dies wiederum führt zu einem gestiegenen
Kundennutzen.
ð Der Konfigurations- und Verkaufsprozess ist aufgrund des verwendeten Konfigurationstools sehr kundenfreundlich und darauf
ausgerichtet, den Kunden bei der Zusammenstellung des individuellen Produktes zu unterstützen und die Komplexität für ihn
gering zu halten.
ð Hinsichtlich des Vertriebskonzeptes profitiert InVIDO von Sachkompetenz und Marktpräsenz des Fachhandels.
ð Ein durchgängiges Logistiksystem reduziert Fehler und Wartezeiten. Kurze Lieferzeiten von 4-6 Wochen differenzieren InVIDO
damit ebenfalls deutlich von der Konkurrenz.
ð Die Zielgruppe wird in Zukunft voraussichtlich wachsen, da der
Trend insgesamt eher zu schlichteren Möbelstücken geht.
ð Der zunehmende Trend, sich von der Masse abzuheben und individuell auf die eigene Bedürfnissituation angepasste Produkte zu
erhalten, wird in Zukunft das Bedürfnis nach derartiger Individualisierbarkeit und damit die Nachfrage steigern.
Schwächen und Risiken
Als Schwächen und Risiken sind allerdings die folgenden Aspekte zu
nennen:
ð Das vorgegebene Grunddesign grenzt die Zielgruppe ein. Kaufkräftige Kunden bevorzugen oft mehr Verzierungen oder auffälliges Design gegenüber schlichter Funktionalität.
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InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
ð Die Beschränkung auf den mittleren Preissektor schließt junge
Leute aus, die weniger kaufkräftig sind, für die das Konzept in
Hinblick auf das Design allerdings sehr ansprechend wäre.
ð InVIDO betreibt keine aktive Marketingstrategie. Kontakte zu
Händlern werden auf Messen gesucht und kommen manchmal
auch einfach zufällig zustande. Den Endkunden adressiert InVIDO nur via Homepage; er muss von einem Händler auf das Angebot aufmerksam gemacht werden.
ð Die Tatsache, dass die Händler neben InVIDO-Produkten auch
Produkte anderer Hersteller anbieten, erschwert den Verkauf von
InVIDO-Produkten, die grundsätzlich erklärungsbedürftiger sind
als Standardprodukte.
ð Mit zunehmender Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in
Deutschland und anderen europäischen Staaten könnte die Zahlungsbereitschaft abnehmen. Davon betroffen sind meist Unternehmen im mittleren Preissegment wie InVIDO.
ð Neue Konkurrenten könnten in den Markt kommen. Im Moment
sieht sich InVIDO konkurrenzlos. Das Auftauchen eines oder
mehrerer Konkurrenten – vielleicht noch ausgehend von einem
großen finanzstarken Möbelhersteller – könnte den Erfolg des relativ kleinen Unternehmens InVIDO bremsen.
Die Geschäftsentwicklung von InVIDO ist derzeit äußerst positiv zu
bewerten und das Unternehmen baut seine Marktposition kontinuierlich aus. Obwohl es derzeit keinen ernsthaften Konkurrenten gibt, der
dasselbe Ausmaß an Individualisierung zu vergleichbaren Preisen anbietet, bleibt InVIDO wachsam. »Für uns gilt, einfach immer besser
und schneller zu sein, wie das auch für viele andere junge Technologieunternehmen gilt« (vgl. [1]).
InVIDO entwickelt sein Angebot deshalb auch ständig weiter.
Jährlich gibt es bis zu vier Updates, die von Materialangebot über
14
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Ausblick
InVIDO GmbH: Mass Customization in der Möbelindustrie
Konstruktionsneuheiten bis zu neuen Planungsmodulen reichen.
Kundenimpulse werden hierbei dankbar aufgenommen. Die Produktpalette wird damit für immer mehr Kunden interessant, das Unternehmen bleibt auf dem neuesten Stand. Das existierende Konzept
sowie die Einstellung des Unternehmens lassen demnach für die Zukunft der InVIDO GmbH nachhaltigen Erfolg erahnen.
Danksagung: Die Autoren danken Herrn Gertis, Systempartner von
InVIDO in München Aubing, sowie Frau Kristin Müller, geschäftsführende Gesellschafterin von InVIDO, für ihre Unterstützung bei
der Erstellung dieser Fallstudie.
2122.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Robert Simm studiert Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre an der TU München und plant, sein Studium im März 2006
abzuschließen. Als technisches Nebenfach wählte er Elektro- und Informationstechnik. Sein Studium finanziert sich Robert Simm mit einer Werkstudententätigkeit im Strategischen Einkauf bei Siemens Communications, wo er sich
unter anderem mit dem Thema Standardisierung beschäftigt. Im Sommer 2005
führte er dort mit drei Kommilitonen eine Projektstudie zum Thema »Target
Price Setting for Supplier Negotiations by creating and implementing objective
criteria« durch. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich bei Kolping
und der Jungen Union, wo er seit März 2004 Vorsitzender des Ortsverbandes
Altomünster ist.
Kontakt: [email protected].
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Literatur
[1]
Interview mit Frau Kristin Müller, geschäftsführende Gesellschafterin von InVIDO, vom
27.07.2004. Zusätzlich wurde eine schriftliche Befragung durchgeführt.
15
Kfz-Versicherungen: Kann man
Kundentarife individualisieren?
Die Produkte der Versicherungsbranche sind hochgradig abstrakt und bringen dem Kunden beim Kauf keinen
unmittelbaren Nutzen. Wer ist schon stolz auf seine
neue Autoversicherung? Von Interesse ist daher die
Frage, welchen (zusätzlichen) Kundennutzen individuelle Versicherungsangebote stiften können.
Stichworte: nutzungsbasierte Kfz-Versicherung, Tarifindividualisierung, Tarifgruppenmerkmale, Versicherungskonfigutator, »Pay-as-you-drive«-Konzept
Thomas Prasch, Melanie Müller
Umfeld des Mass-Customization-Angebots
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Branchenüberblick
Das Auto ist und bleibt »des Deutschen liebstes Kind«. Seit dem Jahre 1975 hat sich der Kfz-Bestand in Deutschland verdoppelt. 2003
waren mehr als 53 Millionen Fahrzeuge, davon allein über 44 Millionen PKW, zugelassen. Diese legten insgesamt über 600 Milliarden
Kilometer zurück. [1] Gemäß dem Pflichtversicherungsgesetz ist
die Kraftfahrzeug-Versicherung (Kfz-Versicherung) in Deutschland
gesetzlich vorgeschrieben und somit die Voraussetzung für die Anmeldung eines Fahrzeugs. Der Markt für Kfz-Versicherungen entwickelte
sich dementsprechend und erreichte im Jahre 2003, als volumenmä-
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
ßig größter Teil der Schadens- und Unfallversicherung, einen Wert
von über 20 Milliarden US-Dollar. [2]
Im Juli 1994 fand eine Deregulierung in der Versicherungsbranche statt. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten alle Tarifänderungen vom
Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen explizit genehmigt
werden. Durch die neu geschaffene Tariffreiheit können die Allgemeinen Kraftfahrtversicherungsbedingungen (AKB), die die vertraglichen
Rechte und Pflichten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer regeln, von den Versicherungen individuell gestaltet
werden. [3] Neben der allgemeinen Marktsättigung intensivierte dies
den Wettbewerb und führte zu enormem Preisdruck. Trotz steigender
Versicherungsabschlüsse verringerten sich, durch die Konkurrenzsituation, die Versicherungsprämien stetig. Es begann eine Konsolidierungsphase, in der einige Unternehmenszusammenschlüsse und
Fusionen stattfanden. Erst seit der Jahrtausendwende stiegen die Prämien wieder; 2002 wurde das Niveau des Deregulierungsjahres 1994
erreicht (vgl. Abb. 1).
Nach dem Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamts für Versicherungen (BAV) aus dem Jahre 2001 ist die Allianz-Gruppe mit 17,9
Prozent Marktführer, gefolgt von den öffentlichen Versicherern mit
33,0
52,0
49,7
49,0
47,4
46,8
48,1
50,6
51,1
51,6
52,3
30,0
48,8
27,0
45,8
46,0
43,0
24,0
21,9
22,4
21,5
20,5
40,0
19,9
19,8
20,4
21,3
22,0 22,3
18,0
98
97
96
99
20
00
20
01
20
02
20
03
19
19
19
19
95
15,0
19
19
94
37,0
21,0
Abb. 1: Entwicklung der Anzahl der Verträge und der Prämien von 1994-2003 [4]
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
55,0
Beitragseinnahmen in Mrd €
Anzahl der Verträge in Mio
Anzahl der Verträge
Beitragseinnahmen
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
10,3 Prozent und der HUK-Gruppe mit 10,0 Prozent. Die Aachener
Münchener Gruppe, die R+V-Gruppe und die AXA-Gruppe haben
Marktanteile zwischen vier Prozent und sieben Prozent. [4] Mit
zunehmender Verbreitung des Internets haben sich einige Direktversicherer etabliert, die durch Verzicht auf Außenhandelsvertreter und
persönliche Beratung Kostenvorteile erzielen wollen. Direkt Line,
Auto Direkt und Cosmos gehören zu den bekanntesten Vertretern.
Traditionelle Versicherer, wie zum Beispiel Allianz oder AXA, haben
grundsätzlich einen hohen Personalaufwand und werden durch die
kostengünstige Angebote unter Druck gesetzt. Viele traditionelle
Versicherer haben deshalb zusätzlich eine Online-Tochter gegründet,
um die Vorteile des Direktvertriebs ebenfalls zu nutzen und neue
Vertriebswege zu erschließen. Wie die Abbildung 2 zeigt, kann man
beispielsweise zwischen HUK24 als Online-Direktversicherer und der
traditionellen HUK-Coburg auswählen. Die HUK24 bietet zusätzliche Rabatte an, wenn Versicherungen online abgeschlossen werden;
dafür entfällt die persönliche Beratung.
Abb. 2: HUK24 und traditionelle HUK-COBURG im Vergleich
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
Zusätzlich drängen neue Konkurrenten auf den Markt. Autohersteller oder Automobilclubs wie der ADAC wollen ihr Geschäft erweitern und sorgen somit für verstärkten Wettbewerb in der Zukunft.
Kfz-Versicherungen bestehen in der Regel aus verschiedenen (standardisierten) Bausteinen. Neben der gesetzlich vorgeschriebenen
Haftpflichtversicherung kann freiwillig noch eine Teilkasko- oder
Vollkaskoversicherung abgeschlossen werden. Zusätzlich bieten viele
Versicherungen noch eine Insassenunfallversicherung oder einen
Schutzbrief als weitere Absicherungen an.
Die Haftpflichtversicherung dient zur Absicherung von Schäden
an Unfallopfern beziehungsweise deren Eigentum bis zur gesetzlichen
Mindestdeckungssumme. Personenschäden sind mit mindestens 2,5
Millionen Euro, Sachschäden mit 500.000 Euro und Vermögensschäden mit 50.000 Euro versichert. Bei der Teilkaskoversicherung
handelt es sich um einen optionalen Teil, der bestimmte Schäden
am eigenen Fahrzeug, zum Beispiel Brand, Blitzschlag, Hagel,
Diebstahl oder Wildschäden, abdeckt. Diese wird meist mit einer
Selbstbeteiligung von circa 150 Euro abgeschlossen. Darüber hinaus
deckt die Vollkaskoversicherung auch Schäden ab, die durch mutwillige Handlungen fremder Personen oder durch eigene Schäden
bei selbstverschuldeten Unfällen entstanden sind. Zudem erhält der
Versicherungsnehmer bei Diebstahl oder Totalschaden den Wiederbeschaffungswert des Kraftfahrzeugs. Dabei werden Selbstbeteiligungen
bis zu 1.000 Euro vereinbart. Die Insassenunfallversicherung ist eine
freiwillige Ergänzung zur Haftpflichtversicherung. Es werden zusätzlich Schäden erstattet, falls der Fahrer für die Unfallfolgen nicht haftet
(zum Beispiel bei höherer Gewalt), der Unfallverursacher Fahrerflucht
begangen hat oder die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers
nicht zahlt. Durch den Autoschutzbrief erhält der Versicherungsnehmer zusätzlich Hilfe bei Unfällen und Pannen. Er beinhaltet
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Bestandteile der Kfz-Versicherung
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
Aufwendungen, die mit den Leistungen einer ADAC Mitgliedschaft
vergleichbar sind, zum Beispiel für Bergungen, Rücktransporte oder
Mietwagen. [5]
Die Produkte selbst sind damit grundsätzlich zumeist sehr ähnlich,
da die Optionsmöglichkeiten bezüglich der verschiedenen Produktbestandteile sehr gering sind. Es bleibt lediglich die Wahl, ob man zur
Haftpflichtversicherung zusätzlich eine Teil- oder Vollkaskoversicherung, eine Insassenversicherung oder einen Schutzbrief abschließt.
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Tarifindividualisierung als erster Schritt
in Richtung Mass Customization
Auch wenn das Produkt »Kfz-Versicherung« aufgrund der geringen
Auswahl bei den Produktbestandteilen bei unterschiedlichen Kunden
meist sehr ähnlich ist, hat sich in den letzten Jahren ein Trend zur
Individualisierung gezeigt. Hierfür sind zwei Gründe verantwortlich:
Auf der einen Seite schuf erst die Deregulierung des Versicherungsmarktes die Voraussetzung für eine Individualisierung. Diese führte
gleichzeitig zu einer Intensivierung des Wettbewerbs und aufgrund
zunehmender Marktsättigung zur Notwendigkeit, über neue Wege
der Kundengewinnung und -bindung nachzudenken. Die Versicherungsunternehmen suchten zunehmend nach Chancen, sich von ihren Wettbewerbern zu differenzieren. Neue Kunden sollten vor allem
durch niedrigere Prämien angelockt werden. Kundenindividuelle
Tarife schienen eine geeignet Möglichkeit, sich vom Wettbewerb abzuheben und unterschiedliche Kundengruppen differenziert anzugehen – zumindest hinsichtlich der Prämie. Dabei orientierten sich die
Versicherer an Vergangenheitswerten verschiedener Unfallstatistiken.
Jeder Kunde zahlt seine persönliche Prämie abhängig von den jeweiligen Merkmalen. Er ist dabei abhängig vom Risikoverhalten anderer
Personen, die ähnliche Persönlichkeits- oder Fahrzeugeigenschaften
aufweisen. Zwar wird die Prämie individuell für jeden Fahrzeughalter
berechnet, jedoch hat der Versicherte selbst kaum Möglichkeiten, den
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
Versicherungsbetrag zu beeinflussen. Er kann meist nur durch die
Wahl der Höhe des Selbstbeitrags die Versicherungspolice verändern.
Mittlerweile nutzen fast alle Versicherungen die Möglichkeit, mit Hilfe verschiedener Merkmale individuelle Kundentarife zu berechnen.
Generell wird zwischen personen-, fahrzeug- und vertragsspezifischen
Daten unterschieden (vgl. Tabelle 1). [6]
Tabelle 1: Exemplarische Darstellung von Unterscheidungskriterien bei individuellen Kundentarifen
Personenspezifische
Daten
Fahrzeugspezifische
Daten
Vertragsspezifische
Daten
 Beruf
 Fahrzeugtyp
 Garagenstellplatz
 Geschlecht
 Erstzulassung
 Anzahl der Nutzer
 Alter
 Alter des Fahrzeugs
 Zeitpunkt des
Führerscheinerwerbs
 Zulassungsbezirk
 Höhe des
Selbstbehalts
 Nutzungsort
 Jährliche Fahrleistung
 Versicherungsumfang
(Haftpflicht, Teil-/Vollkasko, Insassenversicherung, Schutzbrief)
 Dauer der
Schadensfreiheit
Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Unterscheidungsmerkmale,
die von Versicherungen berücksichtigt werden, um die Tarife auf die
jeweilige Risikosituation auszurichten. Beispielsweise differenziert
die HUK24 zwischen Eigenheimbesitzern und Mietern und berücksichtigt, ob eine Person unter 15 Jahren im Haushalt lebt. Zusätzlich
werden Rabatte gewährt, wenn man bereits eine andere Versicherung,
zum Beispiel Hausrat, dort abgeschlossen hat. Bei der AXA-Versicherung erhalten Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes Sonderrabatte. Andere Versicherungen bieten spezielle »Ladytarife«, die
die besonders sichere Gruppe der Frauen ansprechen soll. [7]
Bei der HUK24 beispielsweise ergeben sich durch die vielen unterschiedlichen Merkmalsausprägungen über 1.000.000.000 Tarifmög-
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
 Verwendungszweck
des Fahrzeugs
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
lichkeiten. [8] Damit die verschiedensten Tarifgruppenmerkmale den
Kunden nicht verwirren und nicht eher zu Mass Confusion (also einer Überforderung des Kunden durch die große Auswahl) als zu Mass
Customization führen, helfen Produktkonfiguratoren bei der Bestimmung der individuellen Versicherungsprämie. Der Kunde bekommt
zu den unterschiedlichen Kategorien verschiedene Fragen gestellt, bei
denen er zumeist aus vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wählen
kann. Besonders übersichtlich ist die Menüführung der AXA-Versicherung.
Zu jeder Frage kann der Kunde bei Bedarf ein Hilfe-Fenster öffnen, indem er das Fragezeichensymbol am rechten Rand anklickt.
Zudem erleichtert beispielsweise die graphische Darstellung des
Abb. 3: Kfz-Versicherungskonfigurator der AXA
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
Abschließend lässt sich feststellen, dass die Individualisierung in der
Kfz-Versicherungsbranche zwar vorhanden ist, aber nicht aktiv durch
den Kunden gesteuert werden kann. Der Kunde hat nicht die Wahl,
sich ein Produkt nach den eigenen Präferenzen zusammenzustellen,
sondern er wird in eine bestimmte Tarifgruppe abhängig von seinen
Merkmalen eingeteilt. Richtige Wahl hat er nur bezüglich weniger
Optionen, zum Beispiel der Höhe der Selbstbeteiligung. Der Ansatz
»Pay-as-you-drive«, der im Folgenden vorgestellt wird, versucht dem
Kunden einen größeren Entscheidungsspielraum über die Höhe sei-
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Kfz-Scheins die Suche nach den fahrzeugspezifischen Daten. Die
obere Menüleiste gibt einen Überblick, in welchem Stadium sich der
interessierte Kunde befindet. Der Gesamtüberblick zeigt den errechneten Preis und gibt dem Kunden die Möglichkeit, seine persönlichen
Daten zu überprüfen. Im letzten Schritt kann dann der Versicherungsantrag abgeschickt werden. Es besteht zudem jederzeit die Möglichkeit, den Konfigurationsvorgang abzubrechen beziehungsweise
einen Schritt zurück zu gehen. Um die Sicherheit der vertraulichen
Daten zu gewährleisten, erfolgt eine verschlüsselte Übertragung. Der
Versicherungsnehmer kann sich somit sein individuelles Angebot
berechnen lassen und mit Hilfe des Internets leicht verschiedene Versicherungsangebote vergleichen.
Produktkonfiguratoren im Internet helfen bei der Kompensierung
der zusätzlichen Kosten, die durch die Tarifindividualisierung entstehen. Spezielle Schulungsmaßnahmen für Vertreter und Außendienstmitarbeiter führen für traditionelle Versicherungen zu erheblichen
Zusatzaufwendungen. [8] Zudem erhöhen sich der Verwaltungsaufwand und die IT-Kosten, da für jeden Kunden weit mehr Daten erhoben und gespeichert werden müssen. Onlinekonfiguratoren versuchen
diese Zusatzkosten zu vermeiden, indem der Kunde selbstständig
seine spezifischen Daten eingibt. Dies ist einer der Gründe, warum
mittlerweile die meisten Versicherungsunternehmen Konfiguratoren
einsetzen. Sie helfen, die Kosten niedrig zu halten, indem der Kunde
befähigt wird, sich sein Produkt selbst zusammen zu stellen.
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
ner Versicherungsprämie zu gewähren und bietet mehr Individualisierungsoptionen.
»Pay-as-you-drive« – Kfz-Versicherung der Zukunft?
Grundprinzip
»The more you drive, the more you pay!« Dies
��������������������������
ist der einfach klingende Grundsatz einer nutzungsbasierten Kfz-Versicherung. Dabei
zahlt der Versicherungsnehmer die Prämie in Abhängigkeit davon,
wann, wo und wie oft das Auto tatsächlich genutzt wird. Erst durch
die Integration von verschiedenen Technologien wie Telematik und
IT kann dieses innovative Geschäftsmodell realisiert werden. Bisher
wurden die Prämien lediglich auf Basis von Durchschnittswerten ähnlicher Kundengruppen berechnet. Mit Hilfe einer nutzungsbasierten
Kfz-Versicherung soll das Angebot weiter individualisiert werden und
dem Versicherungsnehmer die Chance geben, die Versicherungsprämie aktiv zu beeinflussen. »Pay-as-you-drive« ist somit eine Art Mass
Customization bezüglich der Art und Häufigkeit der Nutzung von
Fahrzeugen. Die Abbildung 4 zeigt, dass das Konzept »Pay-as-youdrive« berechtigt ist. Mit der Anzahl an gefahrenen Kilometern steigt
Jährliche Unfallmelderate
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Unfallrate in Abhängigkeit der gefahrenen Kilometer
0,1
0,08
gesamt
verschuldet
0,06
nicht-verschuldet
0,04
0,02
0
<5
5 < 10
10 < 15
15 < 20
20 < 25
25 < 30
Jährlich gefahrene Kilometer
Abb. 4: Zusammenhang zwischen gefahrenen Kilometer und Schadenswahrscheinlichkeit [9]
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
auch die Unfallwahrscheinlichkeit. Diese Tatsache lässt eine nutzungsbasierte Versicherungsprämie, die sich am Fahrverhalten orientiert,
sinnvoll erscheinen.
Auf Basis eines Grundbetrags, der nach dem aktuellen Prinzip
der Prämienkalkulation errechnet wird, werden zusätzlich variable
Bestandteile integriert. Das Konzept einer nutzungsbasierten Kfz-Versicherung beruht dabei auf folgenden drei Schritten: Datenerhebung
– Datenübertragung – Datenauswertung (vgl. Abb. 5).
In jedes Auto wird ein Ortungsgerät eingebaut, das die gewünschten
Daten, beispielsweise die Anzahl der gefahrenen Kilometer, Geschwindigkeiten oder den Aufenthaltsort des Fahrzeugs, übermittelt.
Das Ortungsgerät bezeichnet man als black box, die zumeist am
Motor angebracht wird. Dabei werden die Daten über ein globales
Positionierungssystem (GPS) aufgezeichnet und via Satellit zur Versicherung übertragen. Die Versicherung wertet die erhobenen Daten
aus und berechnet die individuelle monatliche Prämie. Letztendlich
entscheidet damit sowohl die Qualität als auch die Quantität der
Fahrzeugnutzung über die Höhe der Monatsrechnung. [6] Aus fixen
10
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 5: Grundprinzip einer nutzungsbasierten Kfz-Versicherung [6]
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Versicherungskosten werden damit variable Kosten. Je nach Ausprägung der black box und Entwicklungsstand der Technologie können
neben der Fahrdauer und der Geschwindigkeit noch weitere Daten
erfasst und übermittelt werden, beispielsweise die Tageszeit. Da Untersuchungen zeigen, dass das Risiko eines Unfalls zu den Hauptverkehrszeiten zwischen 16 Uhr und 17 Uhr größer ist, könnte dieser
Aspekt bei der Prämiengestaltung berücksichtigt werden. [14,15] Es
ist zudem geplant, dass neuere Versionen weitere Einzelheiten aufzeichnen können. Beispielsweise, ob eine Person angeschnallt ist, in
welchem Zustand sich das Fahrzeug befindet oder ob Verkehrszeichen
beachtet werden. [11] Diese werden dann bei der Berechnung der
Versicherungsprämie einkalkuliert.
Progressive Insurance in den USA war 1998 die erste Versicherung,
die mit dem Pilotprojekt »Autograph« eine nutzungsbasierte Autoversicherung mit Hilfe fortschrittlicher Technologien testete. Nach
eigenen Angaben war die Kundenzufriedenheit sehr hoch und die
Ersparnisse für den Kunden lagen durchschnittlich bei 25 Prozent.
[12] Jedoch beendete Progressive Insurance das Projekt, da die Kosten für die neue Technologie zu hoch waren. Die Ausstattung jedes
Autos allein kostete 500 US-Dollar pro Testperson. [12] Seit dieser
Zeit planen mehrere Versicherungen ähnliche Projekte oder haben sie
bereits durchgeführt. Es gibt allerdings noch keine Versicherung, die
ihren Kunden eine nutzungsorientierte Kfz-Versicherung anbietet.
In Europa führt Norwich Union, die größte Versicherung Großbritanniens, derzeit ein groß angelegtes »Pay-as-you-drive«-Konzept mit
über 5.000 Testanwendern durch. IBM liefert gemeinsam mit dem
britischen Kommunikationsunternehmen Orange die Telematik- und
Telekommunikationstechnologie. [13] Dabei stützen sie sich auf die
gleiche Technologie, die Progressive Insurance entwickelt hat. Nach
einer Studie, die Norwich Union in Auftrag gegeben hat, wollen neun
von zehn Autofahrern ihre Kfz-Versicherung nutzungsabhängig bezahlen. [14] Dies war einer der Hauptgründe, weshalb der britische
Versicherungsriese in diese Thematik investiert.
11
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
Nutzungsbasierte Kfz-Versicherungen bringen Vorteile für verschiedene Interessengruppen mit sich:
Vorteile für den Versicherungsnehmer: Vor allem sichere Fahrer
und Gelegenheitsfahrer profitieren von wesentlich geringeren Versicherungsprämien. Wie bereits erwähnt lagen die durchschnittlichen
nutzungsbasierten Prämien bei Progressive Insurance um 25 Prozent
unter den ursprünglichen Versicherungsbeiträgen. Zudem erhöht sich
die Transparenz, da der Kunde die Zusammensetzung seiner Prämie
besser nachvollziehen kann. Er kann die Prämie ferner durch sein
Verhalten aktiv beeinflussen und wird nicht passiv einer Gruppe zugeordnet, nach der sich sein Beitrag berechnet. Im Falle eines Unfalls
kann außerdem mit Hilfe der neuen Technologie der Unfallort schnell
geortet und entsprechende Rettungsmaßnahmen sofort eingeleitet
werden.
Zusatznutzen für die Versicherungen: Die Einführung einer nutzungsbasierten Versicherung hätte grundsätzlich positive Auswirkungen auf das Image des jeweiligen Unternehmens. Der Ruf als
kundenorientiertes und sozial-verantwortliches Unternehmen kann
neue Kunden anlocken und somit den Marktanteil und die Wettbewerbsposition verbessern. Da noch kein anderes Unternehmen ein
vergleichbares Produkt anbietet, hätte man zudem einen »first-mover
advantage«. Dies würde sich ebenfalls positiv auf die Reputation der
Versicherung auswirken. Neben der erhöhten Transparenz und der damit verbundenen zunehmenden Kundenzufriedenheit, steigt auch die
Kundenbindung. Wie bereits erwähnt, profitieren vor allem sichere
Fahrer und Wenigfahrer von nutzungsbasierten Prämien. Für die
Versicherungen sind dies besonders attraktive Kunden, da sie durchschnittlich weniger Unfälle und damit Kosten verursachen.
Nutzen für die Gesellschaft: Einige Umweltschutzorganisationen
befürworten das »Pay-as-you-drive«-Konzept und fördern dessen Einführung. Durch das Prinzip »The more you drive, the more you pay«
12
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Zusätzliche Nutzen- und Kostensenkungspotenziale
von »Pay-as-you-drive«
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
besteht der Anreiz, weniger zu fahren. Schätzungen haben ergeben,
dass nutzungsbasierte Fahrzeugversicherungen das Gesamtfahraufkommen um 5-15 Prozent reduzieren. Dies wiederum führt zu einem
verringerten CO2-Ausstoß und schont somit die Umwelt. Zudem
erhöht es die Sicherheit auf den Straßen, da sich bei geringerem Fahraufkommen die Anzahl der Unfälle um bis zu 17 Prozent verringern
könnte. Dies entlastet wiederum die Versicherungen. Besonders für
Vielfahrer, die mit höheren Prämien rechnen müssen, steigt der Anreiz, umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu benutzen.
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Herausforderungen von »Pay-as-you-drive«
Neben den zahlreichen Vorteilen bringt die nutzungsabhängige Versicherung einige Herausforderungen und Ungewissheiten mit sich. Die
größte Herausforderung liegt in der Festsetzung der nutzungsabhängigen Prämien. Es liegen bisher keine Daten vor, wie viel ein Kunde
beispielsweise pro Kilometer oder für ein bestimmtes risikoreiches
Fahrverhalten bezahlen soll. Mit Hilfe der Pilotprojekte sollen erste
Anhaltspunkte erschlossen werden. Zudem müssen die Computerprogramme modifiziert werden. Um das neue GPS-System einzurichten,
sind enorme Investitionen in die technische Infrastruktur notwendig.
Ein weiteres Problem stellt die flächendeckende Ausstattung der Autos
mit den entsprechenden Geräten dar. Hierzu kann eine engere Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern angestrebt werden, die
die black boxes bereits bei der Produktion einbauen könnten. Zudem
fehlt den Versicherern eine feste Kalkulationsbasis, da die Einnahmen
schlechter vorhergesagt werden können. [9]
Für einige Menschen klingt die Idee einer nutzungsbasierten Autoversicherung, die mit Hilfe von aufgezeichneten Telematikdaten berechnet wird, nach einer Umsetzung von Georg Orwells Utopie »Big
Brother is watching you!«. Dies könnte zu einer eher ablehnenden
Einstellung der Kunden führen, da nutzungsbasierte Prämien zwangsläufig mit der Aufzeichnung der Daten verbunden sind. Des Weiteren
13
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
Ausblick
Es ist umstritten, ob man bei der aktuellen Tarifindividualisierung in
Deutschland von Mass Customization sprechen kann. Das Produkt
ist, wie erwähnt, häufig sehr ähnlich; der Kunde wird meist passiv in
eine Versicherungsgruppe eingeteilt. Pilotprojekte wie »Pay-as-youdrive« kommen dem Gedanken von Mass Customization schon etwas
näher, da der Kunde seine Prämie selbst aktiv während der Vertragslaufzeit beeinflussen kann. Dabei wird das individuelle Verhalten in
bestimmten Situationen berücksichtigt.
Aber auch bei nutzungsbasierten Versicherungskonzepten ist es
nicht möglich, dass der Kunde lediglich bestimmte Teile, zum Beispiel
nur die vordere Stoßstange seines Fahrzeugs versichert. Eine andere
Variante wäre eine streckenindividuelle Versicherung, bei der der
Versicherungsnehmer vor der Fahrt angibt, ob er einen bestimmten
Versicherungsschutz, zum Beispiel Vollkasko, haben möchte. Nach
Meinung von Versicherungsexperten ist diese Art der weitergehenden
Individualisierung weder möglich noch rentabel, da der Kunde nur
noch seine schlechten Risiken versichern würde. [8] Diese sind wiederum für die Versicherer nicht attraktiv und würden im Endeffekt
zu steigenden Prämien führen. Zusätzlich würde der Verwaltungsaufwand steigen und die 50 Millionen Versicherten müssten in ständigem Kontakt mit ihren Versicherern stehen, da sie vor jeder Fahrt
ihren Schutz neu wählen müssten. Daneben sollte man auch das
Grundprinzip der Solidarität unter den Versicherten nicht vergessen.
Kleine Ursachen können eine große Wirkung haben. Es wäre äußerst
ungerecht, wenn genau in diesen Fällen die Kosten überwiegend dem
Verursacher angelastet werden würden. [16] Diese Aspekte lassen eine
weitergehend individualisierte Kfz-Versicherung eher weniger sinnvoll
erscheinen.
14
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
müssen rechtliche Aspekte des Datenschutzes näher berücksichtigt
werden. Diese Aspekte könnten ein unüberbrückbares Hindernis für
die Einführung des Konzeptes darstellen.
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
In Deutschland gibt es zurzeit keine konkreten Pläne für die
Einführung nutzungsbasierter Kfz-Versicherungen. Sollten jedoch
die Ergebnisse des im Moment laufenden Pilotprojekts der Norwich
Union positiv ausfallen, müssten sich auch deutsche Versicherer mit
dem Thema näher auseinandersetzen. Insbesondere der Umweltschutzaspekt könnte die Regierung dazu bewegen, »Pay-as-you-drive«Konzepte zu unterstützen und deren Einführung zu subventionieren.
In diesem Fall wäre eine nutzungsbasierte Kfz-Versicherung eine gute
Chance, seinen Kunden ein individuelles und transparentes Produkt
anzubieten und zusätzlich ein Image als gesellschaftlich verantwortliches Unternehmen aufzubauen.
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Thomas Prasch ist Student der Technologie- und Managementorientierten Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München. In sein Studium
integrierte er einen Auslandsaufenthalt an der Hongkong University of Science
and Technology. Seine betriebswirtschaftlichen Studienschwerpunkte sind Organization, Technology & Management und Human Resource Management. Als
technische Vertiefungsfächer belegt er anorganische und organische Chemie.
Kontakt: [email protected].
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Literatur
[1]
Statistik des ADAC. http://www.adac.de/images/Allgemeines Prozent20Verkehrsdaten_tcm8948.pdf (Stand: 19. Juli 2004)
[2]
Data Monitor: Motor Insurance in Germany – Industry Profile. 2003
15
Kfz-Versicherungen: Kann man Kundentarife individualisieren?
[3]
Deregulierung der Versicherungsbranche 1994: http://www.aspectonline.de/prodinfo/
abc_Kfz/akb.htm (Stand: 15. Juli 2004)
[4]E+S Rückversicherungs-AG (Hrsg.): Hannover Forum 2003
[5]Aufbau von Kfz-Versicherungen. http://versicherungs-wiki.de/index.php/KFZ-Versicherung (Stand: 15. Juli 2004)
[6]Oberholzer, Matthias: Geschäftsmodell einer nutzungsbasierten Motorfahrzeugversicherung in der Schweiz. Leipzig: 2003
[7]
Neues Tarifsystem bei Kfz-Versicherungen, http://www.wdr.de/tv/service/geld/inhalt/20031106/b_1.phtml (Stand 20. Juli 2004)
[8]Interview mit Rheinländer, Dr. Jörg: HUK-Coburg. 18. Juli 2004
[9]Litman, Todd: Distance-Based Vehicle Insurance as a TDM strategy. Victoria Transport
Policy Institute. März 2003 (www.vtpi.com)
[10]Hagerbaumer, Christine: Drive-By Rates. Best‘s Review: April 2004 Vol. 104 Issue 12
[11]Mitchell, Robert: Progressive To Expand Satellite Auto System. National Underwriter/
Property & Casualty Risk & Benefits. 19.03.2001 Vol. 105 Issue 12
[12]MacSweeney, Greg: Progressive Awarded Patent for GPS Rating. Insurance & Technology.
October 2003 Vol.25 Issue 10
[13]O’Donnell, Anthony: Norwich Pilots Telematics. Insurance & Technology. Mai 2003 Vol.
28 Issue 5
[15]Murray Elissa: Fakten über pay-as-you-drive Versicherungen. www.northwestwatch.org/reforms/PAYD_facts.pdf (Stand: 25. Juli 2004)
[16] Interview mit Matthias Rüegg, Winterthur Versicherung, 14. Juli 2004
16
2125.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[14] Umfrage der Norwich Union. http://www.norwichunion.com/pay_as_you_drive (Stand: 19.
Juli 2004)
Kreditkarten: Die eigene
Wunschkarte konfigurieren
Immer mehr Kreditkartenunternehmen erkennen, dass
sich mit individuellen Kreditkarten attraktive Kunden
gewinnen lassen. Prestige und besondere Serviceleistungen zählen dabei ebenso zu den Erfolgsfaktoren wie
die Möglichkeit, dass der Kunde gewünschte Optionen
für die Karte selbst auswählt.
Stichworte: Debit-Card, Charge-Card, Credit-Card, individuell
konfigurierbare Kreditkarte, Savvy, Future Switcher, Loyal,
Jahresgebühr, Kreditzinsen, Bonusrückerstattungsquote,
Online-Konfigurator
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Hansjörg Hegendörfer, Melanie Müller
Am Anfang war die Kartonkarte
Wie peinlich! Nach einem gelungenen Abend in einem stilvollen und
nicht ganz billigen Restaurant stellt man entsetzt fest: der Geldbeutel
ist leer! Was werden wohl die anderen Gäste denken? Wie erklärt man
es dem Ober?
1950 musste auch Frank McNamara diese Erfahrung in einem
New Yorker Restaurant machen. Nach einiger Überzeugungsarbeit
gelang es ihm, mit dem Restaurantbesitzer ein Arrangement über die
spätere Bezahlung der Rechnung zu treffen. Frank McNamara grübelte auf dem Heimweg darüber nach, wie er zukünftig eine solche
Situation vermeiden könne. Die Idee der Kreditkarte wurde geboren;
Frank McNamara nannte das Unternehmen passend Diners Club. Im
ersten Geschäftsjahr bestand der Diners Club aus rund 200 männlichen Mitgliedern der New Yorker Oberschicht. 28 Restaurants sowie
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
zwei Hotels waren bereit, die Ausgaben dieser ausgewählten Kunden
mittels einer monatlichen Zusammenfassung in Rechnung zu stellen.
Die Jahresmitgliedschaft kostete ganze drei Dollar, das Konto musste
monatlich ausgeglichen werden und als Zahlungsmedium wurde eine
Kartonkarte benutzt. [1]
Heute sind Kreditkarten aus Plastik, sie haben einen Magnetstreifen und mit einer PIN-Nummer kann man sie weltweit zum Abheben
von Bargeld nutzen. Von Visa wurden weltweit über 2,1 Billionen
Karten ausgegeben, von Mastercard 986 Milliarden und von American Express 298 Milliarden, die an über 23 Millionen Akzeptanzstellen angenommen werden. [2] In Deutschland gab es 2002 bereits
circa 20 Millionen Karten und mit einem weiteren Anstieg ist zu
rechnen. [3] Auch individualisierbare Kreditkarten gibt es mittlerweile. Dieser Trend wird im folgenden Case genauer beschrieben.
Grundlagen zur Kreditkarte
Hinter den in Deutschland einheitlich als Kreditkarte bezeichneten
Plastikkarten verbergen sich drei unterschiedliche Kartentypen:
Als Debit-Card werden Karten bezeichnet, die lediglich eine Zahlfunktion besitzen. Der Betrag wird sofort vom Girokonto abgebucht
und ist somit in seiner Höhe auf den Kreditrahmen des Girokontos
beschränkt. Die bekannteste Karte ist die EC-Karte, aber auch Visa
oder Eurocard bieten Debit-Cards an.
Als Charge-Cards werden Karten mit Zahlungsstundung bezeichnet. Der Karteninhaber kann abhängig von seiner persönlichen Bonität unbegrenzt oder im Rahmen eines Limits mit der Karte bargeldlos
zahlen. Umsätze mittels Charge-Card werden üblicherweise über
einen Zeitraum von vier Wochen von den Kreditkartenorganisationen
gesammelt, bevor die Verbindlichkeiten vom Girokonto des Karteninhabers abgebucht werden. In Deutschland ist die Charge-Card die am
meisten verbreitete Form der Kreditkarte.
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Was ist eine Kreditkarte?
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
Die »echte« Credit-Card ist vom Girokonto unabhängig. Es existiert ein spezielles Kartenkonto, in dessen Rahmen ein Kredit in Anspruch genommen werden kann. Die Höhe der verausgabten Beträge
wird dem Karteninhaber einmal monatlich in Rechnung gestellt. Dieser muss für eine ausreichende Deckung des Kontos sorgen; andernfalls nimmt er einen Kredit in Anspruch. Dafür bezahlt er entsprechende Soll-Zinsen, die in der Regel über den Sätzen des Girokontos
liegen. International ist diese Form weit verbreitet. [4]
Neben der reinen Zahlfunktion der Kreditkarte bei Einkäufen
verfügen die meisten Kreditkarten über Service- oder Zusatzfunktionen. Damit können sich Kreditkartenanbieter vom Angebot der
Mitbewerber differenzieren. Meist handelt es sich um Versicherungen
(Transport-, Unfall-, Reiserücktritt, usw.), Benachrichtigungs- oder
Dokumentenservices. Kunden der schwarzen Centurion-Card von
American Express steht sogar ein individueller Concierge-Service
rund um die Uhr 7 Tage die Woche zur Verfügung.
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Wie funktioniert eine Kreditkarte?
Fast jeder kennt die Funktionsweise einer Kreditkarte aus Benutzersicht: Einkaufen gehen, etwas Passendes aussuchen, an der Kasse einfach die Kreditkarte aus dem Geldbeutel ziehen und mit einem lauten
Klack auf den Tresen schnappen lassen. Die Daten werden mit einem
kleinen Lesegerät aus dem Magnetstreifen eingelesen, anschließend
bestätigt der Kunde die Zahlung mit seiner Unterschrift auf dem
Beleg. Das geht schnell, ist unkompliziert und im Ausland spart man
sich das lästige Wechseln von Bargeld in Devisen. Ein Kontoauszug
am Monatsende verschafft den notwendigen Überblick über alle geleisteten Zahlungen.
Doch wie sieht der Gebrauch einer Kreditkarte aus Sicht eines
Händlers oder einer Bank aus? Worin liegen für diese Parteien die
Vorteile einer Kreditkartennutzung? Zahlt ein Kunde mit seiner
Kreditkarte, erwirbt der Händler bei einem so genannten Acquirer
einen garantierten Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises. Dafür
verpflichtet er sich zu einer umsatzabhängigen Gebühr an seinen Acquirer. Die Gebühr (Agio) ist abhängig vom Zahlungsausfallrisiko des
Händlers (oder der ganzen Branche) sowie dessen Verhandlungsmacht
und variiert zwischen 1 Prozent und 6 Prozent (der Durchschnitt
liegt in Deutschland bei 3,5 Prozent). Der Acquirer ist zuständig für
Abrechnung, Kontrollaufgaben, Bonitätsprüfung der Kunden und
die Werbung neuer Akzeptanzstellen. Er fordert die Begleichung des
Kaufpreises von der Bank, die die Kreditkarte emittiert hat. Diese
wird vom Acquirer mit festgelegten Interchange Gebühren für ihren
Aufwand entschädigt. Einige Kreditkartenunternehmen, zum Beispiel Diners Club oder American Express, verzichten auch auf den
Acquirer und wickeln die Transaktionen mit Händlern sowie Banken
selbst ab, allerdings ist dies nicht die vorherrschende Strategie. Die
entstandenen Kosten werden allein vom Händler getragen, da Zuschläge oder Gebühren für Kartenzahler verboten sind (Diskriminierungsverbot). [5] Warum lohnt es sich nun trotz der hohen Kosten
für einen Händler, Kreditkartenzahlungen zu akzeptieren?
 Kunden erwarten, mit der Karte zahlen zu können; Kreditkartenzahlungen nehmen jährlich um circa 10 Prozent zu.
 Kartenkunden sind finanziell flexibler. Spontan- und Zusatzkäufe
werden auch ohne Bargeld möglich, wodurch die Umsätze steigen.
 Durch reduzierte Bargeldbestände sinkt das Risiko, Opfer krimineller Angriffe zu werden. Das Handling von Wechselgeld und
Bargeldkassen entfällt.
 Karteneinnahmen sind sicher. Der Händler erhält auf jeden Fall
sein Geld; Zahlungsprobleme muss der Kunde mit seiner Bank
klären. [6]
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Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
Umfeld des Mass-Customization-Angebots
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Grundlegende Marktinformationen
In Deutschland, dem drittgrößten Kreditkartenmarkt in Europa,
teilen sich vier Kreditkartenanbieter den Markt: Marktführer ist
Mastercard mit 55,5 Prozent, danach folgt Visa mit 32,7 Prozent,
gefolgt von American Express mit 10,6 Prozent und Diners Club mit
1,2 Prozent. [3] Die beiden großen Anbieter besitzen damit über 88
Prozent Marktanteil und haben den Erfolg ihrer Vertriebsstruktur
zu verdanken. Obwohl erst seit 1976 beziehungsweise 1987 auf dem
deutschen Markt präsent, schafften sie es, Marktanteile über Kooperationspartner rasant zu gewinnen (im Gegensatz hierzu ist Diners Club
bereits seit 1955, American Express seit 1964 im deutschen Markt
vertreten.). Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken geben
die Kreditkarten unter eigenem Namen heraus. Acquiring-Aufgaben
nehmen derzeit zwar mehr als zehn Acquirer im deutschen Markt
wahr; die fünf größten Unternehmen haben jedoch mehr als 99 Prozent Marktanteil. [5]
Europas wichtigster Kreditkartenmarkt ist der britische Markt.
Barcleys hält 31 Prozent Marktanteile, die HBS Group 17 Prozent,
Lloyds TSB 12 Prozent, andere Banken 40 Prozent. Ungefähr 51 Prozent aller Briten haben eine Kreditkarte; 14 Prozent aller Zahlungen
werden per Kreditkarte abgewickelt und der Durchschnittsumsatz pro
Kreditkartenkunde beläuft sich auf 1.800 Pfund pro Jahr. Der Anteil
von Briten mit Kreditkarte hat sich in den letzten 10 Jahren jedoch
nur um 5 Prozent erhöht; jeder Brite verfügt bereits über durchschnittlich 2,3 Karten. Damit ist der Kampf um neue Kunden hart
und letztendlich zählt nur ein Kunde, der durch die Nutzung seiner
Karte auch Umsätze generiert. Grundsätzlich kann man drei Kundentypen im britischen Markt unterscheiden [7]:
 Savvy: Er ist jung, wohlhabend, wechselfreudig und offen für neue
Angebote und hat eher mehr Karten. Grundsätzlich ist diese Kun-
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
dengruppe sehr heterogen. Die Kunden können hoch profitabel
oder auch verlustbringend sein. Sie machen circa 20 Prozent aller
Kunden aus.
 Future Switcher: Er ist mittleren Alters und Vielkartennutzer. Zwar
ist er länger bei seinem bisherigem Anbieter, jedoch kennt er auch
zunehmend andere Angebote und ist neuen Karten gegenüber in
der Zukunft nicht abgeneigt. Der Wert eines derartigen Kunden
hängt von der verbleibenden Zeit bis zum Wechsel ab. Diese Kunden machen am gesamten Kundenstamm circa 20-30 Prozent aus.
 Loyal: Diese Gruppe zieht sich quer durch die gesamte Bevölkerung. Sie ist unanfällig für andere Angebote; der Kundenwert ist
damit hoch. Der Anteil am Kundenstamm beträgt circa 50-60
Prozent.
Grundsätzlich hat ein Kreditkartenunternehmen drei Möglichkeiten,
um Einnahmen zu erwirtschaften:
 Händlergebühren: Diese Einnahmequelle war in der Vergangenheit
sehr stabil. Da die Gebühren umsatzabhängig sind, muss der Kunde zur Nutzung seiner Karte animiert werden.
 Sollzinsen für den Kartenkredit: Diese sind in England eine wichtige Einnahmequelle, da circa 90 Prozent aller Karten echte Kreditkarten sind. Eine Anhebung der Zinsen von zum Beispiel 12
Prozent auf 13 Prozent erhöht die Kapitalrendite von 30 Prozent
auf 40 Prozent. [7]
 Kartengebühren: Dabei handelt es sich um eine jährlich vom Kartennutzer zu entrichtende Gebühr, die entweder fix oder an den
Umsatz gebunden ist.
Sollzinsen und Jahresgebühr stellen für Kartenanbieter wesentliche
Einkunftsarten dar. Ihre Bedeutung wird in den kommenden Jahren
stark zunehmen, da die Europäische Union entschieden hat, dass die
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Das Geschäftsmodell »Kreditkarte« in Großbritannien
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Händlergebühren zu hoch sind und vermindert werden müssen. Visa
International beispielsweise muss seine Händlergebühren bis 2006
um 30 Prozent senken. [5]
Für Kunden sind Zinsen und Jahresgebühr jedoch der ausschlaggebende Aspekt für die Wahl eines Anbieters. Bei 1.300 angebotenen
Karten in Großbritannien und Rabatten für Wechsler in den ersten
sechs Monaten gibt es eine Menge an Alternativen. Bonuspunkte,
Rückvergütungen der Grundgebühr oder Flugmeilen sollen als Kundenbindungsprogramme die Wechselbereitschaft verhindern. Die Aufwendungen für solche Programme zehren jedoch an den Margen der
Kreditkartenanbieter. Etliche Kunden werden so zu echten Verlustbringern, wenn sie ihre Kreditkartensalden sofort begleichen, wenig
Umsatz generieren aber an teuren Bonusprogrammen teilnehmen.
Der ideale britische Kreditkartenkunde ist deshalb ein Kunde mit
hohen Umsätzen, die er bereitwillig per Kredit finanziert. Zudem
verzichtet er auf Bonusprogramme oder teure Zusatzserviceleistungen. Um diese Art von Kunden anzulocken, muss man entweder
attraktive Zinsen oder einen hohen mit der Karte verbundenen Prestigefaktor bieten. Banken können ihre Einkünfte aus Zinserträgen
von durchschnittlich 60 Prozent auf bis zu 85 Prozent erhöhen, wenn
sie Kunden mit günstigen Zinsen zum Wechseln bewegen. [7] Niedrige Zinsen sind zwar aus Kundensicht auch der Hauptgrund, um
den Kreditkartenanbieter zu wechseln, oft werden mit Kampfzinsen
jedoch Kunden angelockt, die schon bonitätsschwach sind oder mit
Schulden kämpfen. Entsprechend höher ist das Risiko für Zahlungsausfälle. Die zweite Möglichkeit, attraktive Kunden anzulocken, ist
der Prestigefaktor. Für das Prestige und den Service einer goldenen,
platinen oder gar schwarzen Kreditkarte ist ein Kunde bereit, höhere
Zinsen oder Gebühren in Kauf zu nehmen. Durch den Bezahlvorgang mit einer solchen Karte kann der Inhaber allen Anwesenden die
eigene finanzielle Situation vor Augen führen. Genau diese Kunden
sind attraktiv, da sie hohe Umsätze generieren, aber selten zu anderen
Anbietern wechseln.
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
Das Mass-Customization-Angebot von Lloyds TSB
Darstellung des Angebots
Die Werte für Jahresgebühr, Kreditzinsen und Bonusrückerstattungsquote können online mittels visualisierten Schiebereglern verändert
werden, sind jedoch aneinander gekoppelt. So führt die Wahl der
Null-Pfund-Monatsgebühr automatisch zum höchsten Zinssatz von
aktuell 15,0 Prozent. Umgekehrt kann man mit einer hohen Jahresgebühr (maximal 10 Pfund) den Zinssatz auf aktuell 9,8 Prozent
senken. Die Rückerstattungsquote von 0 Prozent bis maximal 0,5
Prozent wirkt sich direkt auf die zu zahlenden Zinsen aus (0-1,9
Prozent Zuschlag). Die Funktionsweise und der optische Aufbau des
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Die Kommerzbank Lloyds wurde 1765 gegründet und fusionierte
1995 mit der 1810 gegründeten Sparkasse Trutee Savings Bank
(TSB); in England ist sie die Nummer vier in der Bankenlandschaft.
[8] Neben vier Standart-Kreditkarten bietet Lloyds TSB unter dem
Label »create« auch eine individuell konfigurierbare Kreditkarte
an. Diese ist das erste von mehreren geplanten individualisierbaren
Finanzprodukten. Auch andere Emittenten geben die Karte unter
eigenem Namen und mit leicht geänderten Konditionen heraus: Accucard [9], eine im Jahre 2000 gegründete Online-Gesellschaft, und
more th>n [10], eine 2001 gegründete Online-Tochtergesellschaft des
Britischen Versicherungskonzerns Royal & Sun Alliance. Der Kunde
kann bei den verschiedenen Anbietern mittels Online-Konfigurator
unter folgenden Optionen für seine Karte wählen (vgl. Abb. 1):
 Höhe von Jahresgebühr, Kreditzinsen sowie Bonusrückerstattungsquote,
 Begleichung des Kreditkartensaldos per Einzugsermächtigung oder
per Überweisung,
 Versand der Kontoauszüge per Post oder Online-Kontoauszüge,
 zwei verschiedene Designs für die Kartenoberfläche.
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Konfigurators bei Accucard [11] und more th>n [10] sind bis auf die
zur Auswahl stehenden Designs identisch. Bei more th>n sind drei
Motive wählbar, bei Accucard vier.
Abb. 1: Online-Konfiguration bei more th>n
Der Konfigurator für die Kreditkarte ist insgesamt sehr einfach zu bedienen, da es nur vier Wahloptionen gibt. Interessant ist das Verschieben der Regler für Zins, Jahresgebühr und Bonuszahlung – die Werte
ändern sich dann automatisch. Bevor man seine eigene Kreditkarte
wirklich beantragen kann, muss man jedoch wie bei jeder anderen
Bank Formulare ausfüllen und Personalien, Bankdaten, vorhandene
Kreditkarten, Beruf, Einkommen, etc. angeben. Anhand dieser Daten
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
wird die Bonitätsprüfung vorgenommen. Hat man diese erfolgreich
bestanden, darf man die eigene Wunschkarte konfigurieren. Der Bestellvorgang an sich unterscheidet sich nicht von Online-Bestellvorgängen anderer Kartenanbieter.
Alternativ zur Anschaffung einer individuellen Kreditkarte könnte
man sich überlegen, aus dem bestehenden, umfangreichen Angebot
die Karte herauszusuchen, die am besten zu den individuellen Bedürfnissen passt. Hierzu steht eine Reihe von Internetportalen zur
Verfügung, die Kunden helfen sollen, sich auf dem unübersichtlichen
britischen Kreditkartenmarkt zurechtzufinden. Im Gegensatz zur
Karte von Lloyds TSB handelt es sich jedoch immer um Standartkreditkarten mit festen Konditionen, an denen nichts geändert werden
kann. Auch das Ergebnis der Suche ist nicht immer wie gewünscht
und kann mit erheblichem Aufwand verbunden sein.
Bei creditcards121.com, creditcardexpert.co.uk oder moneysupermarket.com beispielsweise werden in einer Liste alle möglichen
Anbieter mit ihren Karten vorgestellt. Schnell verliert man aufgrund
der Fülle an Informationen sowie der Unübersichtlichkeit die Lust,
sich weiter mit der Auswahl einer geeigneten Karte zu beschäftigen.
Bei creditcardmenu.com hat man die Möglichkeit, die Liste der vorgestellten Kreditkarten einzuschränken. Möglich ist die Festlegung
bestimmter Suchkriterien wie Höhe der Jahresgebühr, Höhe des
Zinssatzes, Einführungskonditionen, Kreditkartenherausgeber oder
Kreditkartenart (zum Beispiel Business-, Studenten-, Flugmeilenkarten). Die Liste ist zwar etwas kürzer als bei den erstgenannten Portalen, eine echte Entscheidungshilfe stellt sie jedoch auch nicht dar.
Zu unübersichtlich ist das Angebot, nach einer Sortierfunktion sucht
man vergeblich. Immer wieder muss man den Link auf den jeweiligen
Anbieter wählen, um Details zu erfahren – bei mehreren entscheidenden Parametern und zusätzlich zeitlich befristeten Rabatten eine
10
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Alternativen zur individuellen Kreditkarte
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
wenig erfreuliche Aufgabe. Die Anschaffung einer individuellen Kreditkarte scheint damit eine wirkliche Alternative zu sein, wenn man
tatsächlich individuelle Bedürfnisse hinsichtlich bestimmter Aspekte
der Karte hat.
Bewertung des Angebots von Lloyds TBS
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Stärken des Angebots und damit verbundene Chancen:
ð Der Kunde kann einen spannenden Konfigurationsvorgang im
Internet erleben, der sich von den Bestellvorgängen klassischer
Kreditkarten erheblich unterscheidet. Das Angebot ist im hartumkämpften britischen Kreditkartenmarkt eine echte Innovation.
Neue Kunden (vor allem aus den Kundengruppen der Savvy und
Future Switcher) können mit dem Angebot gewonnen werden.
Die Kundenzufriedenheit und -bindung könnte steigen.
ð Für den Kunden ist die Kostenstruktur transparent. Er kann die
Parameter seiner Kreditkarte je nach Kaufverhalten auf einfache
Art und Weise selbst bestimmen. Zudem kann der Kunde seine
Einstellungen jederzeit ändern, ohne hierfür die Karte oder den
Anbieter zu wechseln oder einen neuen Vertrag abzuschließen.
ð Der Kunde muss keine zeitraubende Suche auf sich nehmen, sollte
er eine Karte mit ganz bestimmten Parametern hinsichtlich Jahresgebühr, Kreditzinsen oder Bonusrückerstattungsquote suchen.
ð Die Anbieter können die Einstellungen und Bestellungen der
Kunden im Sinn von Marktforschungsdaten nutzen. Bevorzugte
Kombinationen können für die Standardkarten übernommen werden, um die Kundenbedürfnisse besser zu treffen.
Schwächen des Angebots und Risiken, die sich daraus ergeben:
ð Der Kunde kann derzeit nur wenige Parameter selbst bestimmen.
Die wichtigsten Parameter – Zinshöhe und Grundgebühr – kön-
11
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
nen nicht unabhängig voneinander eingestellt werden. Das wichtige Gebiet zusätzlicher Serviceangebote wird nicht berücksichtigt.
ð Die Produkteigenschaften sind anderen Kreditkarten sehr ähnlich.
Die möglichen Kombinationen aus Zinshöhe und Grundgebühr
sind nicht deutlich besser als bei anderen Anbietern, nur der Konfigurationsvorgang ist anders. Durch das große Angebot an fertigen Karten unterschiedlichster Ausprägung kann man grundsätzlich bestimmt eine Standardkarte mit ähnlichen oder denselben
Eigenschaften finden. Ob eine so feine Abstufung wie zwischen
den Extremen keine Grundgebühr/hohe Zinsen und hohe Grundgebühr/niedrige Zinsen notwendig ist, ist fraglich.
ð Die individualisierten Eigenschaften werden im Alltagsgebrauch
nicht sichtbar. Die Karte sieht wie jede andere Kreditkarte aus.
Die »Sonderbehandlung« bei der Konfiguration liefert keinen
Mehrwert hinsichtlich des Prestiges. Letztendlich ist auch hier der
Mehrwert eventuell nicht groß genug sein, um ausreichend neue
Kunden für das Angebot zu begeistern.
ð Das Produkt kann durch Wettbewerber leicht imitiert werden, da
letztendlich nur der Konfigurator etwas Neues ist.
Hinsichtlich des Mehraufwands, der für Lloyds TSB entsteht, lassen
sich die folgenden Aspekte nennen:
ð Der Einmalaufwand zur Programmierung des Konfigurators und
Dateneinrichtung bei Kontoeröffnung ist minimal. Zusätzlich sind
laufende Wartungskosten zu berücksichtigen.
ð Es entsteht kein Mehraufwand pro Abrechnung, da die Abwicklung EDV-gestützt erfolgt.
ð Auch die Abhängigkeiten von Zinshöhe, Jahresgebühr und Bonus
müssen nur einmal berechnet und in einem Rechenkern hinterlegt
werden.
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1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Profitmechanismus
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Kosteneinsparungs- oder Gewinnsteigerungseffekte für Lloyds TSB
ergeben sich möglicherweise aus folgenden Aspekten:
ð Bei richtiger Einstellung der Abhängigkeit von Zinshöhe, Grundgebühr und Bonus wird jeder Kunde »automatisch« profitabel.
ð Es sind konstante Umsätze mit loyalen Kunden zu erwarten, die
von ihrer individuellen Karte überzeugt sind.
ð Provisionen für Vertriebspartner entfallen, da der Kunde sich die
Kreditkarte online selbst zusammenstellt.
ð Der Vertrieb der Karte über Partner (wie Accucard oder more
th>n) bringt zusätzliche Kunden.
Fazit
Mit dem Angebot ist es Lloyds TSB gelungen, sich in einem Massenmarkt von den Wettbewerbern zu differenzieren. Ohne Risiko und
große Investitionen kann die Akzeptanz des Produktes beim Kunden
getestet werden. Den Kunden wird ein attraktives, einzigartiges Produkt präsentiert, auch wenn es sich letztendlich in seinen Merkmalen
kaum von den Angeboten der Konkurrenz unterscheidet. Mit einem
modernen Markenauftritt sollen vor allem junge Kunden angesprochen werden, die man mit dem Faktor Individualität länger binden
möchte. Dem prestigeorientierten Kreditkartennutzer bietet die individuelle Kreditkarte keinen Anreiz zu wechseln. Er möchte eine starke
Marke wie Diners Club oder American Express, die für Exklusivität
stehen. Stärkeres Differenzierungspotenzial könnte die Karte erlangen,
wenn der Kunde sich zusätzlich individuelle Services zusammenstellen könnte. Dann wäre sie sicherlich auch für ein gehobenes Klientel
attraktiv, welches für Zusatzservices einen entsprechenden Preis zahlt.
Als Türöffner für weitere individualisierbare Finanzprodukte oder als
Teaser in der Neukundengewinnung für Banken ist die Lloyds TSB
Kreditkarte sicherlich gut geeignet. Was aus einem 86 x 54 Millimeter
großen Karton doch so alles werden kann!
13
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
Dipl. Ing. Hansjörg Hegendörfer beschäftigt sich im Rahmen seines MBA-Studiums mit dem Thema Mass Customization. Während seines Ingenieurstudiums
an der TU-München absolvierte er ein Trainee-Programm zum Finanzberater
bei AWD, an dessen erfolgreichen Abschluss sich vier Berufsjahre als Teamleiter
im Privatkundengeschäft sowie weitere drei als Regionalleiter für Firmenkunden
anschlossen. Seit Ende 2003 betreut Hansjörg Hegendörfer als selbständiger
Berater hauptsächlich private Haushalte und strebt parallel dazu den MBAAbschluss an. Hansjörg Hegendörfer ist leidenschaftlicher Volleyballspieler und
interessiert sich seit einem fünfjährigen Südamerikaaufenthalt für altamerikanische Kulturen.
Kontakt: [email protected].
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
[1]
http://www.kreditkarten-infos.de/kreditkarten-wissen/geschichte-der-kreditkarten.html [Stand
02.08.2004]
[2]
http://www.cardweb.com [Stand 02.08.2004]
[3]
http://www.scard.de/statistik/bargeldloser_zahlungsverkehr/Anzahl_Kreditkarten/ [Stand
02.08.2004]
[4]
http://www.netscape.de/index.jsp?cid=1230961&pageId=0&sg=Finanzen_Kredite [Stand
02.08.2004]
[5]
Uwe Dulleck, Die großen zwei – Wettbewerb im Kreditkartenmarkt?, Working Paper
No. 0201, Institut für Wirtschaftswissenschaften, Universität Wien, Hohenstaufengasse 9,
1010 Wien, http://homepage.univie.ac.at/uwe.dulleck/dokumente/VIE0201.PDF [Stand
02.08.2004]
[6]
http://www.sparkasse-mainz.de/extra/thema-eccash/html/seite7.html [Stand 02.08.2004]
14
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Literatur
Kreditkarten: Die eigene Wunschkarte konfigurieren
[7]
Research Note von PWC: Precious plastic – the UK credit card sector, http://www.pwcglobal.
com/images/gx/eng/about/svcs/cfr/pwc_credit_card_article.pdf [Stand 02.08.2004]
[8]
http://www.lloydstsb.com/about_us.asp [Stand 02.08.2004]
[9]
http://www.accucard.com/ [Stand 02.08.2004]
[10] http://www.morethan.com/bin/bladerunner?REQUNIQ=1091467779&REQHOST=gb04q
ws080rsas7&30REQEVENT=&REQAUTH=0 [Stand 02.08.2004]
1316.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[11] http://www.accucard.com/card_builder/index.html [Stand 02.08.2004]
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Lands’ End Custom™: Hosen
und Hemden maßgeschneidert
Als weltweit größter E-Commerce-Händler für Kleidung
bietet Lands’ End seinen Kunden mit einem interaktiven Shopping-Assistenten neben dem passenden
Outfit auch eine Typberatung an. Zudem lässt sich mit
der Funktion »Lands’ End Custom« maßgeschneiderte
Kleidung online bestellen.
Stichworte: Bekleidungsversandhandel, Bestellprozess, maßgeschneiderte Kleidung, Shop with a friend, Lands’ End Live,
My Personal Shopper, My Virtual Model, Lands’ End Custom,
Mass-Customization-Prozess, Produktion, Logistik
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Fabian Uhrich, Melanie Müller
Vom Segelshop zum weltweit größten E-CommerceHändler für Kleidung
Lands’ End wurde 1963 von Gary C. Comer, einem Werbetexter
und passionierten Segler, in den USA gegründet. Der erste Katalog
des Unternehmens enthielt vorrangig Segelbedarf und erschien 1975.
Weitere Kataloge folgten und der Schwerpunkt verschob sich zunehmend in Richtung Bekleidung. 1978 wurde eine gebührenfreie Rufnummer eingeführt, die seit 1980 jeden Tag rund um die Uhr erreichbar ist. 1986 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft.
Nachdem das Unternehmen 1991 die ersten Kataloge an Kunden in
Großbritannien verschickt hatte, wurden 1993 ein Distributionszentrum und ein Call Center vor Ort eröffnet. Ein Jahr später folgte der
Eintritt in den japanischen Markt. [2]
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
Anschrift
Lands’ End Inc.5 Lands’ End LaneDodgeville, WI 53595
Hotline
1-800-963-4816
Internet Adresse
www.landsend.com
E-Mail
[email protected]
Gründungsjahr
1963
Branche
Bekleidung und Heimtextilien
Produkt
Individualisierbare Hosen und Hemden beziehungsweise Blusen
Bezug zu Kapitel
4.5 Formen der Kundenintegration
5.1 Produkt- und Leistungsgestaltung
5.2 Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
6.2 Preispolitische Potenziale
7
Die Kosten: Economies of Mass Customization
1995 ging www.landsend.com online. Lands’ End gehört damit zu
den »early adaptors« der Branche und hat in den letzten Jahren zahlreiche Prämierungen für die Webseite erhalten. Ausgezeichnet wurden
die Benutzerfreundlichkeit, die Einkaufshilfen und die Breite des Warensortiments: Lands’ End bietet seinen Kunden circa 3000 Produkte
über das Internet an. [2]
1996 gründete Lands’ End eine GmbH in Deutschland. Der
Bekleidungsversender wurde im deutschen Markt unter anderem dadurch bekannt, dass er aufgrund der Gewährung einer lebenslangen
Garantie gegen die deutsche Zugabeverordnung verstieß. 1998 verlor
Lands’ End den Prozess vor dem Oberlandesgericht, allerdings wurde
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
8.3 Kundenintegration für erfolgreiches CRM
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
die Zugabeverordnung im Jahre 2001 – nicht zuletzt wegen Lands’
End – gleichzeitig mit dem Rabattgesetz vom Bundestag abgeschafft.
Dennoch führt das Unternehmen bis heute in Deutschland ein Nischendasein. [3]
Seit Oktober 2001 ist es amerikanischen und kanadischen Kunden
möglich, über die Internetpräsenz maßgeschneiderte Chinohosen
zu bestellen: »Lands’ End Custom™« wurde ins Leben gerufen. Im
April 2002 wurde das Angebot auf Jeans ausgeweitet, später kamen
Hemden und Blusen sowie Jacken hinzu. Das »Lands’ End Custom™«-Projekt konnte sich bereits in der Testphase etablieren, die
Anzahl der Bestellungen übertraf die geplanten Verkaufszahlen. [1]
Im Juni 2002 wurde Lands’ End von Sears, Roebuck & Co für 1,9
Milliarden US-Dollar übernommen und ist seither eine hundertprozentige Tochter. Lands’ End verspricht sich durch diesen Zusammenschluss wichtige Impulse für seine Ladenverkäufe in den USA, da das
Sortiment nun auch in den Kaufhäusern der neuen Mutter angeboten
wird. Lands’ End ist – je nach saisonalem Geschäft – auf eine Größe
von 7.400 bis 9.800 Mitarbeitern angewachsen und hat im Jahr 2003
1,6 Milliarden US-Dollar umgesetzt. [2]
Das Unternehmen ist der drittgrößte Bekleidungsversandhändler
in den USA und weltweit der größte E-Commerce-Händler für Kleidung. [3] Im Jahr 2003 beispielsweise wurden 300 Millionen Kataloge in 175 Länder weltweit verschickt. [4] Verkauft werden klassische
Kleidung und Accessoires für die ganze Familie, Reisegepäck und
Artikel für das Haus. [5] Verkaufskanäle des Unternehmens sind Kataloge, die Internetpräsenz, Inlet- beziehungsweise Outletstores sowie
Kaufhäuser von Sears. [4] Als Konkurrenten von Lands’ End sind im
klassischen amerikanischen Versandhandel unter anderem Conley’s,
Eddie Bauer, American Eagle, Gap und L. L. Bean zu nennen. [6]
Insbesondere bekannt ist das Unternehmen für eine ganz besondere Serviceleistung: Lands’ End bietet seinen Kunden eine der einfachsten und doch umfassendsten Garantien der Textilbranche. Jegliche
Ware kann lebenslang ohne Angabe von Gründen umgetauscht oder
zurückgegeben werden. [7] Der Marketingdirektor von Lands’ End
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
Erlebniseinkauf im Internet
2003 hat Lands’ End 299 Millionen US-Dollar Umsatz allein über
das Internet generiert – das entspricht etwa 20 Prozent des Gesamtumsatzes. Täglich besuchen mehr als 17.000 potenzielle Kunden die
Webseite. Das Durchschnittsalter der E-Commerce-Kunden beläuft
sich auf 30 bis 35 Jahre. Damit ist diese Kundengruppe jünger als die
herkömmlichen Katalogkunden, die in der Altersklasse zwischen 35
und 55 Jahren zu finden sind. Der durchschnittliche Auftragswert einer Online-Bestellung liegt zwischen 95 und 100 US-Dollar. [2]
Die Seite www.landsend.com bietet ihren Besuchern neben den
üblichen Vorteilen einer Internetpräsenz – wie zum Beispiel die unkomplizierte Erreichbarkeit rund um die Uhr und über Ländergrenzen hinweg – ein außergewöhnliches Einkaufserlebnis:
ð Mit der Funktion »Shop with a friend™« können zwei Personen
an unterschiedlichen Computern denselben Einkaufskorb füllen
und so – trotz örtlicher Distanz – einen gemeinsamen Einkauf im
Internet tätigen.
ð »Lands’ End Live™« ermöglicht dem Kunden, von einem Berater
angerufen zu werden oder wahlweise mit ihm zu chatten, um Fragen zu klären und Hilfestellung zu erhalten.
ð Des Weiteren gibt es Lands’ End »My Personal Shopper™«.
Nachdem Kunden eine Reihe von Fragen über ihren persönlichen
Kleidergeschmack beantwortet haben, werden ihnen Outfits und
Accessoires vorgeschlagen, die ihrem Stil entsprechen. Diese Empfehlungsfunktion führt nach Angaben des Unternehmens zu zehn
Prozent höheren Bestellsummen. [9]
ð »My Virtual Model™« (vgl. Abb. 1) ist seit 1999 in die Homepage integriert. Damit war Lands’ End das erste Unternehmen,
welches dieses innovative 3D-Shopping-Tool eingeführt hat. [2]
Kunden kreieren mit dem Tool ein dreidimensionales Modell von
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Deutschland, Frank Kriegl, erklärt: »Die Rückgabemöglichkeit erhält
uns zufriedene Kunden, und die Kosten dafür stehen in keiner Relation zu dem, was die Gewinnung eines Neukunden kostet.« [8]
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 1: 3D-Shopping-Tool »My Virtual Model«
sich, indem sie in einer geführten Tour Körpermaße, Gewichtsverteilung, Gesichtskontur und Frisur angeben. Anschließend
kann der Kunde mit Hilfe seines Modells unterschiedliche Artikel
anprobieren und erhält so einen Eindruck über Passform und
Farbwirkung des Outfits. Auch mit diesem Feature hat Lands’ End
bisher gute Erfahrungen gemacht: Pro Kunde verkauft das Unternehmen seitdem rund 13 Prozent mehr. [10]
Hosen und Hemden maßgeschneidert
Eines der neuesten Konzepte ist »Lands’ End Custom™« – Kunden
können sich Hosen, Hemden und Blusen sowie Jacken nach Maß
schneidern lassen. Es geht nicht um einfache Änderungen wie die
der Hosenlänge, die Lands’ End sowieso kostenlos für den Kunden
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
vornimmt, sondern um die Anpassung der Kleidung an sämtliche
Körpermaße und an den Geschmack des Kunden, denn »die Kunden
verlangen in zunehmendem Umfang von Händlern maßgeschneiderte Lösungen« [9]. Auf der Startseite von www.landsend.com wird
einerseits in der rechten Navigationsleiste dezent auf »Lands’ End
Custom™« aufmerksam gemacht (siehe Abb. 2), aber auch in den
verschiedenen Online-Katalog-Kategorien besteht bei den entsprechenden Produkten die Möglichkeit, »Lands’ End Custom™« auszuwählen.
Interessiert sich der Kunde beispielsweise für maßgeschneiderte
Jeans, so wird er zunächst über den Festpreis von 54 US-Dollar und
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 2: Startseite von Landsend.com
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 3: Bei der Produktauswahl erfolgt eine Preisinformation und Angabe über den bevorstehenden Mass-Customization-Prozess
den bevorstehenden Ablauf des Mass-Customization-Prozesses informiert (siehe Abb. 3). Bei Schwierigkeiten und Fragen kann der Kunde
jederzeit über die Funktion »Lands’ End Live™« ein persönliches
Beratungsgespräch mit einem Lands’ End Mitarbeiter führen. Dazu
hinterlässt er entweder seine Telefonnummer und wird von einem
Service-Mitarbeiter zurückgerufen, oder er öffnet einen Online-Chat.
Somit kann der Mitarbeiter den Kunden während des gesamten Konfigurationsprozesses begleiten.
Der Kunde hat die Wahl, sich entweder eine neue Jeans zu konfigurieren oder – falls er in der Vergangenheit bereits eine maßgeschnei-
Abb. 4: Schritt 1 – »Fabric & Features«
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
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Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
Abb. 5: Schritt 2 – »Fit«
derte Jeans bestellt hat – diese erneut zu ordern. Entscheidet er sich
für eine neue Jeans, so wird er durch einen strukturierten Fragebogen
geleitet, damit ein individuelles Profil von ihm erstellt werden kann.
Dadurch wird die Komplexität des Mass-Customization-Prozesses aus
Kundensicht verringert. Der Prozess soll grundsätzlich so einfach wie
möglich sein und ist in drei Schritte gegliedert: »Fabric & Features«,
»Fit« und »Finish«. Im Schritt »Fabric & Features« (siehe Abb. 4) legt
der Kunde fest, welchen Jeanstyp er gerne hätte. Es werden ihm Fragen zur Farbe, zum Sitz, zur Bundhöhe, zu den Hosentaschen und zur
Form der Hosenbeine gestellt.
Im zweiten Schritt »Fit« (siehe Abb. 5) ermittelt der Kunde seine
persönliche Passform. Er wird aufgefordert, sorgfältig und wahrheitsgemäß seine Körpermaße einzutragen, damit Lands’ End ein mathematisches Modell der Körperform erstellen kann. Außerdem muss er
seine Körperkonturen abschätzen. Dabei wird er durch Skizzen und
ihm hilfreiche Erläuterungen unterstützt. Fragen nach der Schuhgröße mögen auf den ersten Blick irrelevant erscheinen, werden aber von
der Software genutzt, um die Körperproportionen richtig zu berechnen. Werden Maße eingegeben, die außerhalb einer von Lands’ End
definierten Bandbreite liegen, so wird der Kunde aufgefordert, diese
Maße zu berichtigen.
Im dritten Schritt »Finish« wird dem Kunden tabellarisch das Ergebnis seiner Auswahl präsentiert und er hat die Möglichkeit, Korrekturen vorzunehmen. Er wird wiederum über die weitere Vorgehensweise informiert. Abschließend legt er seine maßgeschneiderte Jeans
in der gewünschten Menge in den Einkaufskorb und kann seinen
Einkauf fortsetzen, wenn er dies möchte. Im Fenster »Einkaufskorb«
wird unaufdringlich auf weitere eventuell passende Kleidungsstücke
hingewiesen (»Great Go Togethers«).
Innovative Produktions- und Logistikprozesse
im Hintergrund
Lands’ End setzt für »Lands’ End Custom™« eine Software von
Archetype Solutions ein. Das Unternehmen hat einen Algorithmus
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Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
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Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
entwickelt, der die Kundenmaße aus dem Fragebogen im Onlineshop
von Lands’ End in Schnittmuster überträgt. Die Software unterstützt
außerdem den Datenaustausch und berücksichtigt Lagervorräte sowie
Rückläufe. Die Kundendaten werden zudem in einer Datenbank gespeichert und stehen bei einem späteren Besuch bei Lands’ End jederzeit zur Verfügung. [11]
Jeden Abend sendet Lands’ End alle Bestellungen, die im Laufe
des Tages über das Internet generiert wurden, an Archetype Solutions.
[5] Die Daten werden mit Hilfe der Spezialsoftware mit mehr als 5
Millionen verschiedenen Körperdatensätzen verglichen. Auf diese
Weise wird ein mathematisches Körpermodell berechnet. Dabei berücksichtigt die Software beispielsweise, dass Männer im Allgemeinen
eher, ihren Hüftumfang unter- und ihre Beinlänge eher überschätzen.
[11] Auf Basis des Körpermodells wird ein individuelles Schnittmuster generiert und auf elektronischem Wege von Archetype Solutions
zu einem der Vertragshersteller übermittelt, wo die Ware in Spezialfabriken produziert wird. Die individuellen Schnittmuster werden
auf NC-Laser übertragen, die die verschiedenen Stoffteile in wenigen
Sekunden schneiden. [5] Die NC-Laser-Technik kann überzeugen,
denn sie bietet eine Schnittqualität auf höchstem Niveau. (Im Vergleich hierzu werden in der Massenproduktion circa 50 Stofflagen auf
einmal mit einer technisch ausgefeilten Bandsäge geschnitten. Die
Kosten pro Stofflage sind zwar geringer, aber die Produktionstechnik
führt zu beachtlichen Qualitätsschwankungen je nach Position des
Stoffes im Stapel. [11])
Nachdem alle benötigten Teile des Kleidungsstücks zurechtgeschnitten wurden, werden sie verpackt und zur Nähmaschine gebracht.
Hier wird das Kleidungsstück – anders als bei der üblichen Kleiderfertigung – in Einzelfertigung genäht. Um nicht den Überblick zu verlieren, wird jedem Kleidungsstück ein Barcode zugewiesen, um jederzeit
dessen Status nachprüfen zu können. Kleine Produktionsteams sind
für die Einzelstücke verantwortlich, nicht aber für die Arbeitsschritte.
Ähnlich der klassischen Einzelfertigung wandern die Produktions-
11
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
Custom Clothing ist profitabel und soll weiter wachsen
Kunden, die Kleidung bei »Lands’ End Custom™« kaufen, geben
pro Jahr 39 Prozent mehr Geld bei Lands’ End aus als der »normale« Lands’ End Kunde. Die Kunden sind außerdem loyaler: Die
Wiederkaufrate liegt um 34 Prozent über der der Käufer von Standardkleidung. [12] Kaufen die Kunden erst einmal ein zweites paar
Hosen, entspricht dies beinahe ihrer Jahresausgabe für Hosen. [9]
Die Custom Clothing Kunden sind dabei geringfügig jünger und haben ein etwas höheres Einkommen als die »normalen« Kunden. [13]
Potenzielle Kunden werden über ganzseitige Werbeanzeigen in entsprechenden Magazinen oder Zeitungen wie dem Wallstreet Journal
angesprochen und Werbespots werden in ausgesuchten Fernsehkanälen geschaltet. Die größte Bedeutung misst Lands’ End allerdings der
Mund-zu-Mund-Propaganda bei. [4]
Eine Studie von Jupiter Research im November 2002 ergab, dass
51 Prozent der Befragten bereit wären, 10 US-Dollar mehr für eine
maßgeschneiderte Hose zu bezahlen. 28 Prozent wären bereit, 20 USDollar mehr zu zahlen, 18 Prozent würden sogar 30 US-Dollar mehr
ausgeben. [11] Dieses Potenzial an zusätzlicher Zahlungsbereitschaft
bei Kunden macht sich auch Lands’ End zunutze. Lands’ End hat laut
eigenen Angaben den Preis für Custom Clothes so berechnet, dass
die Gewinnspanne der von »normaler« Kleidung entspricht. [13] Die
12
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
teams mit ihren individuellen Kleidungsstücken von Station zu Station. [11]
Die letzte Instanz im Fertigungsprozess vermisst das Kleidungsstück. Wenn eines der kritischen Maße nicht eingehalten wird, wird
das Kleidungsstück entsorgt und neu hergestellt. Die fertigen Kleidungsstücke werden nun zu einem Logistikzentrum verschickt, wo sie
sortiert, verpackt und direkt an die Kunden gesendet werden. [5] Die
Auslieferung der maßgeschneiderten Artikel an die Kunden erfolgt
drei bis vier Wochen nach Eingang der Bestellung, langfristig sollen
Custom Clothes jedoch innerhalb von ein bis zwei Wochen geliefert
werden. [4]
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Preise liegen bei 54 US-Dollar für maßgeschneiderte Chinohosen und
Jeans, für Hemden und Blusen beläuft sich der Preis auf 49 US-Dollar. Damit sind die Preise bei Chinohosen 19 US-Dollar teurer als die
der Standardkonfektionen, was demnach den zusätzlichen Kosten für
Produktion, Logistik und Kundenintegration entsprechen müsste.
Mittlerweile werden 27 Prozent aller über landsend.com georderten Hosen und Hemden maßgeschneidert bestellt. [2] 40 Prozent
der Online-Käufer ziehen ein maßgeschneidertes Kleidungsstück den
Standardgrößen vor, wenn es verfügbar ist, und das, obwohl der Preis
um mindestens 19 US-Dollar über dem des Standardproduktes liegt
und es drei bis vier Wochen dauert, bis das Produkt beim Käufer ankommt. [12] Das Unternehmen plant daher, das Angebot an maßgeschneiderter Kleidung auszuweiten. Frank Kriegl, Marketingdirektor
Lands’ End Deutschland, glaubt allerdings nicht, »dass Mass Customization das normale Geschäft überflügeln wird«. [14]
Die Bekleidungsindustrie ist prädestiniert für Mass Customization
Die Märkte wandeln sich weltweit schnell und die Kunden sind anspruchsvoller denn je. Diese beiden Aspekte führen dazu, dass Mass
Customization von Unternehmen in vielen Märkten zunehmend
als strategische Option wahrgenommen wird. Mass Customization
ermöglicht die Erfüllung der immer heterogener werdenden Kundenbedürfnisse mit einer Effizienz, die mit der Massenproduktion
verglichen werden kann. Die Kunden werden dabei tief in die Wertschöpfung integriert. [15] Joseph B. Pine II, Experte für Mass Customization, hat schon 1993 festgestellt, dass die Bekleidungsindustrie
prädestiniert für Mass Customization ist, da die Einzigartigkeit des
menschlichen Körpers im Widerspruch mit den Standardgrößen
steht. [11]
Höhere Kosten in manchen Bereichen (etwa der Produktion – gefertigt wird nun jedes Kleidungsstück individuell und nicht in größeren Mengen ) können durch Kosteneinsparungen in anderen Bereichen aufgefangen werden. Beispielsweise müssen keine Restbestände
13
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
vernichtet werden, wenn Produkte nicht verkauft werden konnten.
Darüber hinaus wird der Bestellprozess vom Kunden übernommen,
was Kosten in der Kundeninteraktion spart. Der Kunde ist außerdem
grundsätzlich bereit, mehr zu zahlen, wenn seine Bedürfnisse besser
erfüllt werden. [11] Dies führt möglicherweise auch zu einer stärkeren
Kundenbindung durch höhere Kundenzufriedenheit.
Neben Lands’ End haben zahlreiche weitere Anbieter das Potenzial
erkannt, das im Angebot kundenindividueller Kleidung liegt. Während klassische Schneiderläden aufgrund höherer Preise sowie des
meist fehlenden Internet-Verkaufskanals nur eingeschränkt mit Lands’
End konkurrieren können, gibt es weitere Unternehmen, die maßgeschneiderte Kleidung über das Internet anbieten. Auch von diesen
Anbietern differenziert sich Lands’ End erfolgreich durch seine Marke, die beworbene Qualität, den Service und die umfassende Garantie. [13] Die besondere Herausforderung für Lands’ End ist es – laut
Bill Bass, dem Senior Vice President E-Commerce – den Kunden das
Vorurteil zu nehmen, maßgeschneiderte Kleidung sei teuer und kompliziert zu bestellen. Mit der Garantie, auch maßgeschneiderte Ware
jederzeit unkompliziert umzutauschen oder zurückzunehmen, setzt
sich Lands’ End von allen Wettbewerbern ab und nimmt den Kunden
einen Großteil der Ängste. [4]
14
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
Fabian Uhrich studiert seit Oktober 2001 Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München. In sein
Studium integrierte er Aufenthalte an der Hong Kong University of Science and
Technology, der Ecole des Hautes Etudes Commerciales Paris und der University
of California at Berkeley. Zugleich nimmt er an einem viersemestrigen Zusatzstudium am Center for Digital Technology and Management (CDTM) in München teil. Mit Mass Customization beschäftigte er sich bereits während seiner
Tätigkeit als studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre
– Information, Organisation und Management der TU München (Prof. Dr. Dr. h.c.
Ralf Reichwald).
Kontakt: [email protected].
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Literatur
[1]Cox, B. (2002): The Secret to Jeans that Fit. Mass Customization, http://www.ecommerce
guide.com (Zugriff am 26.07.2004)
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[2]Lands’ End Presse (2004): http://www.landsend.de/presse (Zugriff am 30.07.2004)
[3]Scharbau, S. (2002): Versender eröffnet erstes Geschäft. Lands’ End wächst in Deutschland
stetig, in: Handelsblatt, Nr. 105, S. 16
[4]Bass, B. (2003): Experten-Interview vom 8.10.2003 mit der Technischen Universität
München, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und
Management
[5]Drickhamer, D. (2002): A Leg up on Mass Customization. Software Enables Lands’ End
Customers to be Particular about their Pants, http://www.industrieweek.com (Zugriff am
26.07.2004)
[6]
Hornig, F. (1997): Lands’ End. Hemd aus Wisconsin, in: Wirtschaftswoche, Nr. 40, S. 132.
[20] (vgl. Lands’ End Presse 2004)
15
Lands’ End Custom™: Hosen und Hemden maßgeschneidert
[7]Lands’ End (2004): http://www.landsend.com (Zugriff am 26.07.2004), http://www.
landsend.com/cd/fp/prod/0,,1_2_1931_45145_61673_42965_5:view=-1,00.html?CM_
MERCH=PAGE_41177&sid=6970024151044171020 à How it works (Zugriff am
26.07.2004)
[8]
Münster, T. (1999): Wettbewerbsrecht. Spürbar dünner, in: Wirtschaftswoche, Nr. 48,
(S. 168)
[9]Electronic Commerce Info Net (2002):
http://www.ecin.de/news/2002/08/08/04620 (Zugriff am 26.07.2004)
[10]Lange, E. (2003): Internet. Virtuelle Kabine, in: Wirtschaftswoche, Nr. 10, S. 94
[11] 1 to 1 Magazine (2003): Is Custom Apparel Finally Taking off, http://www.1to1.com
(Zugriff am 26.07.2004)
[12]
o.V.
(2005): Fortune, http://www.fortune.com/fortune/photoessay/0,,832954,00.html
(Zugriff am 04.11.2005)
[13]Kreipl, A. (2004): Anfrage per E-Mail vom 29.07.2004
[14]Schwarzmann, O. W. / Pracht, S. (2003): Trends. Ware Sehnsucht, in: Acquisa,
Ausgabe 08/2003
1418.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[15] Piller, F. T. / Stotko C. M. (2003): Mass Customization und Kundenintegration.
Neue Wege zum innovativen Produkt, Symposion, Düsseldorf
16
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Das Konzept der Maßkonfektion gibt es schon lange,
doch dank moderner Informations- und Produktionstechnologien eröffnen sich neue Potenziale. Mit Hilfe
der industriellen Maßanfertigung ist es heute möglich,
die individuellen Anforderungen der Kunden zu Preisen
von Konfektionsware zu erfüllen.
Stichworte: Maßkonfektion, 3D-Body-Scanner, Kundeninteraktion, Körpervermessung, computergestützte Produktauswahl, Bestellversand, Outfit-Konfigurator, Persönliche
Beratung, Betreuung
Ulrike Schwarz, Melanie Müller,
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Das Umfeld des Mass-Customization-Angebots
Branchenentwicklung
Die ursprüngliche Motivation für die Wahl einer Maßanfertigung
liegt in der Abweichung von Normgrößen. Studien belegen, dass
55 Prozent der Kunden Änderungen an gekaufter Konfektionsware
vornehmen lassen. Gleichzeitig zeigen Umfragen im Konsumentenbereich, dass die Zahlungsbereitschaft für individualisierte Damen- und
Herrenbekleidung 10-20 Prozent über den normalen Preisen liegt. [1]
Hinzu kommt heute, dass die maßgefertigte Konfektionsware dem
zunehmenden Streben der Konsumenten nach Individualisierung
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Anschrift Karstadt
Haus Oberpollinger am Karlsplatz
Neuhauser Str. 18, 80331 München
Internet-Adresse
www.karstadt.de
Maßkonfektion seit
2002
Branche
Bekleidung
Produkt
Herrenmaßkonfektion
Anschrift
Maile
Leopoldstr. 171, 80804 München
Internet-Adresse
www.maile.com
Branche
Bekleidung
Produkt
Herrenmaßkonfektion
Bezug zu Kapitel
4.5Formen der Kundenintegration
5.1Produkt- und Leistungsgestaltung
5.2Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
6.2Preispolitische Potenziale
7 Die Kosten: Economies of Mass Customization
8.3Kundenintegration als Basis für erfolgreiches CRM
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Maßkonfektion seit
1995
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
entgegen kommt, da auch das Design individuell gestaltbar ist. Der
moderne Mensch fordert Produkte und Leistungen, die genau auf ihn
zugeschnitten sind, denn mittels individueller Produkte, speziell auch
individueller Kleidung, können Käufer ihre Persönlichkeit zeigen. Der
Kunde hat in der Regel eine Vielzahl an Stoffen, Schnitten, Accessoires zur Auswahl, aus denen er ein an seine Bedürfnisse angepasstes,
individuelles Stück bestellen kann. Außerdem hat er nicht das Risiko,
dass das gewünschte Kleidungsstück in seiner Größe nicht vorrätig ist.
Mit Hilfe der industriellen Maßanfertigung, das heißt dem Konzept »Mass Customization«, ist es seit einigen Jahren möglich, die individuellen Anforderungen der Konsumenten zu Preisen zu erfüllen,
die vergleichbar sind mit den Preisen von Konfektionsware. Möglich
wird dies durch neue Technologien, die Kauf und Herstellung unterstützen.
Zu Beginn des Kaufs wird der Kunde zunächst vermessen. Anhand
dieser Daten und entsprechend seiner Designwünsche wird in einer
Kleidungsfabrik ein individuelles Kleidungsstück gefertigt. Dieser
Fertigungsvorgang kann durch den Einsatz moderner elektronischer
Techniken, beispielsweise mit Hilfe spezieller Schnittsoftware oder
computergestützter Fertigung, unterstützt und verbessert werden. So
können Anzüge, Hemden und Kostüme in einer Art Fließband-Fertigung erstellt werden. Zudem erleichtern und beschleunigen neue
Technologien wie dreidimensionale Body-Scanner, die seit einigen
Jahren im Handel eingesetzt werden, das aufwändige Maßnehmen.
Die Körperdaten können jetzt millimetergenau abgemessen, sowie
direkt und frei von Eingabefehlern ins EDV-System des Herstellers
übernommen werden. Die Individualisierung wird damit entscheidend vereinfacht und rationalisiert. Die Maße werden automatisiert
in Schnittmuster überführt und anschließend an die Cutter weitergeführt. Somit können die Kosteneinsparungspotenziale der industrialisierten Fertigungsweise und die Vorzüge der technologisierten,
präzisen Maßnahme optimal genutzt werden. Zugleich ergeben sich
positive Auswirkungen auf Profit und Gewinnmarge. [2] Zudem
werden durch das Angebot von Maßkonfektion Kosten durch Über-
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Branchenüberblick
Grundsätzlich lassen sich im Bereich der Maßkonfektion zwei Geschäftsmodelle unterscheiden: Neben Unternehmen, die Maßkonfektion als Hauptleistung anbieten, gibt es Unternehmen, welche die
Maßkonfektion als Zusatzangebot zur herkömmlichen Konfektionsware führen. Die meisten Anbieter bieten ausschließlich Maßkonfektionsware für Herren an, nur wenige Unternehmen (zum Beispiel
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
produktion, Lagerhaltung, Rabatte etc. gesenkt, welche sich in der
Bekleidungsbranche weltweit immerhin auf 300 Milliarden US-Dollar belaufen. [3]
Den Trend zur Maßkonfektion und die Vorzüge des technologisierten Maßnehmens erkennen zunehmend auch große Textilunternehmer und Kaufhäuser, wie zum Beispiel C&A und Karstadt. In der
Regel treten die Textilhersteller nämlich nicht direkt mit dem Kunden
in Kontakt, sondern der Einzelhandel erhebt die Informationen für
die Individualisierung und interagiert mit dem Kunden. Darüber
hinaus entstanden auch eine Reihe von Bekleidungsunternehmen, die
sich auf das Angebot von hochwertiger, individueller Konfektionsware
und das Prinzip »Mass Customization« spezialisiert haben.
Aufgrund der ständig sinkenden Umsatzzahlen [4] im Bereich
Einzelhandel mit Textilien und Bekleidung in den letzten Jahren wird
der Wettbewerb in der Branche immer stärker. Mass Customization
bietet den Anbietern die Möglichkeit, sich zu differenzieren und
eine Nische im umkämpften Bekleidungsmarkt einzunehmen. Die
Anbieter, die sich auf Mass Customization konzentrieren, nutzen
den Trend zur Individualisierung, die erhöhte Zahlungsbereitschaft
und die Vorteile der verbesserten technologischen Produktions- und
Anpassungsmöglichkeiten und setzen sich somit vom Markt ab. Im
Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Maßkonfektion in der
Bekleidungsbranche gegeben. Anschließend werden exemplarisch zwei
Anbieter mit unterschiedlichen Konzepten miteinander verglichen.
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Dolzer, Corpus-Mass, Weingarten) haben zusätzlich Maßkonfektion
für Damen im Angebot. Mit Ausnahme einiger weniger Unternehmen (Dolzer, Walbusch), die schon seit den sechziger Jahren Maßkonfektion anbieten, sind viele Unternehmen erst in den letzten zehn
Jahren gegründet worden. Auch die großen Handelsunternehmen
(Karstadt, C&A) bieten Mass Customization erst seit einigen Jahren
an.
Die durchschnittliche Liefer- und Fertigungszeit variiert von zwei
bis sechs Wochen. Preislich liegt das günstigste Angebot für einen
maßgeschneiderten Anzug bei circa 150 Euro (Dolzer). Andere Unternehmen bieten Maßkonfektionsanzüge dagegen erst ab Preisen von
circa 700 Euro an (zum Beispiel Peter Herrschelmann, Loden-Frey).
Die Firma Dolzer setzt sich mit ihren tiefen Preisen eindeutig ab.
Möglich sind diese dadurch, dass das Unternehmen die in Deutschland computergesteuert zugeschnittenen Stoffe im Billiglohnland
Tschechien zusammennähen lässt.
Der Vorgang der Vermessung und Kundeninteraktion unterscheidet sich bei den verschiedenen Anbietern. Ein wesentliches
Unterscheidungskriterium ist die Anwendung von Body-Scannern.
Auffallend ist, dass bei den Unternehmen, die ausschließlich Maßkonfektion anbieten, die manuelle Vermessung dominiert. Ein Grund
hierfür ist, dass diese Unternehmen aufgrund ihrer Spezialisierung
auf Maßkonfektion in der Vermessung äußerst kompetent sind. Ein
weiterer Grund könnten die hohen Anschaffungskosten sein: die
Einrichtung eines Scan-Stores liegt immerhin bei circa 100.000 Euro.
Dennoch liegen Body-Scanner im Trend und viele Unternehmen
setzen diese gezielt als Marketingstrategie ein wie das Beispiel Harvey
Lewis aus den Niederlanden zeigt: dort wird das Body-Scannen als
Event in einem zu einem Laden umgebauten LKW inszeniert. Eine
Sonderstellung in der Kundeninteraktion nehmen die Unternehmen
ein, die Maßkonfektion (primär) per Versandhandel vertreiben. Diese
Unternehmen nutzen Kataloge und das Internet für den Konfigurationsprozess. Anhand von Maßtabellen und Maßanleitungen nimmt
der Kunde selbst seine Maße auf. Alternativ zur Selbstvermessung
Name
Maßkonfektion seit
Angebot für
Preis für einen
Maßanzug
Lieferzeit
in Wochen
Scanner
vorhanden
Karstadt
www.karstadt.de
2002
Herren
ab 399 Euro
4-5
ja
Maile
www.maile.de
1995
Herren
ab 480 Euro
3-4
nein
Loden-Frey
www.loden-frey.de
Anfang
80er
Herren
ab 699 Euro
4
Ja
Walbusch
www.walbusch.de
Mitte
60er
Herren
ab 550 Euro
4-6
nein
C&A
www.CundA.de
2000
Herren
ab 318 Euro
2-4
nein
Erdmann
www.erdmann-kleidung.de
2001
Herren
ab 499 Euro
4-6
ja
Weingarten
www.weingarten-koeln.de
-
Damen und Herren
ab 350 Euro
5
ja
Corpus Masskonfektion
www.corpus-mass.de
2002
Damen und Herren
ab 369 Euro
3
ja
Dolzer
www.dolzer.de
1963
Damen und Herren
ab 149 Euro
4-6
nein
Herschelmann
www.dermassanzug.de
1998
Herren
ab 700 Euro
2
nein
Cut for You
www.cutforyou.de
1999
Damen und Herren
ab 499 Euro
4
ja
Mangas
www.mangas-muenchen.de
1996
Herren
ab 269 Euro
4-6
nein
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Tabelle 1: Branchenüberblick mit ausgewählten Unternehmen
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
wird oft in einem Verkaufsraum auf Wunsch vermessen und beraten
(zum Beispiel Maile, Walbusch).
Der Vergleich zeigt, dass es in der Branche unterschiedliche Geschäftsmodelle und damit Differenzierungsmöglichkeiten hinsichtlich
Leistungsangebot und Preisniveau gibt. Tabelle 2 zeigt ausgewählte
Unternehmen, die im deutschen Markt tätig sind, im Überblick.
Die Unternehmen Karstadt und Maile
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Karstadt, München [5]
Seit September 2002 bietet das Warenhaus Karstadt im Haus Oberpollinger in München neben der Stangenware auch Maßkonfektion
für Herren an (neben dem Münchner Haus wird Maßkonfektion
noch in weiteren ausgewählten Kaufhäusern deutschlandweit angeboten). Anzüge, Sakkos und Hosen werden vom Maßkonfektionsfabrikanten Odermark unter der Linie Corpus-Line hergestellt und bei
Karstadt unter dem Haus-Label »Yorn« vertrieben. Das Angebot bei
Karstadt umfasst rund 150 Anzug- und Hemdenstoffe, die dem Kunden zur Auswahl stehen. Darüber hinaus werden Formen, Schnitte,
Futterstoff, Monogramme, Taschenvarianten oder Knopfstellungen
entsprechend der Kundenbedürfnisse zusammengestellt. Die Lieferzeit für einen Anzug beträgt – bei einem Preis ab 399 Euro – in der
Regel vier Wochen; gegen einen Aufpreis ist auch eine Express-Lieferung innerhalb von zwei Wochen möglich. Neben Anzügen werden
auch Maßhemden angeboten, was durch eine Body-Scanner-Schnittstelle mit dem Hemdenhersteller Europex unterstützt wird.
Die Beratung, Maßaufnahme und der Verkauf finden in einem
separaten Bereich in der Herrenmodenabteilung des Kaufhauses statt.
Neben einem Musteranzug liegen im Bereich Maßkonfektion verschiedene Proben, wie unterschiedliche Hemdenkrägen, Knopfmuster
und Stoffmusterkataloge, zur Ansicht und ersten Information bereit.
Nach einer Terminvereinbarung erfolgt eine ausführliche, persönliche
Beratung über das Angebot, Konditionen und infrage kommende
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Kombinationsmöglichkeiten. Zentraler Inhalt des Konfigurationsvorganges ist die Vermessung mit Hilfe des 3D-Scanners der Firma
Human Solutions (vgl. Abb. 1). Durch die Systemlösung RETAILOR
werden automatische Körpervermessung, computergestützte Produktauswahl und sofortiger Bestellversand miteinander verbunden.
Bereits auf den im Kaufhaus ausliegenden Werbeflyern wird der Scanner und die technologische Vermessung in den Vordergrund gestellt.
Der Slogan lautet: »Ich will Bekleidung nach Maß mit der Technik
von Morgen«. Nachdem der Kunde mit Hilfe des Beraters das Design
des Anzugs ausgewählt hat, erfolgt die Vermessung mittels Scanner.
Hierfür stellt sich der Kunde – nur in Unterwäsche bekleidet – in die
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 1: 3D-BodyScanner [6]
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Mitte der elektronischen Messkabine, in deren Ecken sich vier rote
Laser-Säulen befinden. Innerhalb von Sekunden erfassen die Laserstrahlen Hunderttausende von Daten und übertragen diese auf den
PC im Vorraum. Hier kann der Kunde auf dem Bildschirm seinen
digitalen virtuellen Zwilling begutachten. Zudem werden von der
Software Angaben zu Größen und Besonderheiten gemacht und außerdem der Preis kalkuliert. Damit der Kunde fühlen kann, wie der
Anzug wirklich sitzt, wird anschließend mit Anzügen in so genannten »Schlupfgrößen« gearbeitet. Aus der standardisierten Größenpalette wird der schwarze Musteranzug ausgewählt und anprobiert,
der der Größe des Kunden am ehesten entspricht. Der Anzug wird
entsprechend der Figur des Kunden abgesteckt, zum Beispiel an den
Schultern angepasst. Der Verkäufer kann nun den Sitz überprüfen,
die digitalen Angaben der Maßaufnahme kontrollieren und gegebenenfalls korrigieren. Vorgegeben wird diese Passformbestimmung
mittels Schlupfgrößen von der Firma Odermark, um die individuellen
Tragepräferenzen jedes einzelnen Kunden zu berücksichtigen und maximale Individualisierung in der Passform zu erzielen. [7] Zudem ist
es bei der Anprobe des Musteranzugs möglich, die Körperhaltung des
Kunden zu berücksichtigen. Diese wird zwar auch mittels Scanner erfasst, jedoch stehen viele Kunden beim Vermessungsvorgang nicht in
ihrer natürlichen Körperhaltung, sondern oftmals aufrechter, was zu
Verzerrungen führen kann. Nach Abschluss der Vermessung und nach
Auftragserteilung werden die Daten elektronisch zur Firma Odermark
übermittelt, wo die Fertigung stattfindet. Bei Karstadt werden die
Kundendaten gespeichert, was den Kunden weitere Käufe erleichtert.
Aus Unternehmenssicht wird der Konfigurationsvorgang durch
den Body-Scanner vereinfacht. Die Maßaufnahme geschieht bedeutend schneller als bei manueller Aufnahme und Übertragungsfehler werden vermieden. Durch das zusätzliche Anprobieren der
Schlupfgrößen soll die Passform optimiert werden. Zwar steigt der
Zeitaufwand, allerdings können individuelle Vorlieben des Kunden
hinsichtlich Passform und Tragekomfort erfasst und beachtet werden.
Beim zweiten wesentlichen Schritt des Konfigurationsvorgangs – der
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Für viele Kunden stellen Beratung und Bodyscannen ein neues und
zugleich interessantes Erlebnis dar. Aufgrund der relativ günstigen
Preise werden auch Kundengruppen angesprochen, die möglicherweise vorher noch keine Erfahrung mit Maßkonfektion hatten. Für sie ist
der Prozess oftmals eine komplett neue Erfahrung und sie genießen
es, ihr Produkt zu designen. Die Kombination mit einem Scan-Vorgang macht den Prozess noch spannender und vermittelt Kompetenz.
Kunden, denen der Zeitaufwand für Vermessung und Design eher
nachteilig erscheint, können zumindest bei Folgeaufträgen mit einem
verkürzten Prozess rechnen, da die Kundendaten bereits elektronisch
gespeichert sind. Dies gilt natürlich nur, wenn sich die Kundenmaße
und -wünsche nicht entscheidend geändert haben. Ein weiterer
Vorteil aus Kundensicht ist, dass der Kunde ein Produkt erhält, das
besser passt und, das seinen individuellen Designvorstellungen besser
entspricht als ein Standardprodukt. Zudem kann er den Preis über
Stoff- und Variantenwahl direkt steuern. Maßanzüge des Labels Yorn
gibt es bereits ab 399 Euro im Vergleich zur Konfektionsware mit
circa 200 Euro. Somit ist der günstigste maßkonfektionierte Anzug
zwar deutlich teurer als ein angebotener Standardanzug, jedoch ist das
Angebot im Branchenvergleich relativ günstig und richtet sich an ein
preisbewusstes Klientel. Insgesamt hat ein derartiges Angebot äußerst
10
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Aufnahme der Designwünsche des Kunden – ist der Zeitaufwand
seitens des Handels relativ hoch. Der Kunde muss kompetent beraten
werden, damit er nicht durch die Fülle von Stoffen und Kombinationsmöglichkeiten überfordert wird. Schließlich hat der Hersteller
Odermark beispielsweise 2.500 Oberstoffe zur Verfügung. Mit Hilfe
statistischer Auswertung trifft der Hersteller zwar bereits eine Vorauswahl der Kombinationsmöglichkeiten, dennoch stehen dem Kunden
noch 150 verschiedene Stoffe im Kaufhaus zur Auswahl. Der Berater
muss deshalb kundenspezifisch vorselektieren und entscheiden, welche Optionen er anbietet. Er muss also neben der handwerklichen
Vorbildung zwangsläufig auch Mode- und Designkenntnisse aufweisen.
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
positive Auswirkungen auf das Image des Kaufhauses Karstadt und
hilft dabei, neue Kundengruppen zu erschließen.
Neben den Vorteilen für das Kaufhaus bringt das Angebot von
Maßkonfektion natürlich auch Herausforderungen für das Unternehmen mit sich. Höhere Preise lassen sich aufgrund von Mehrkosten
in Produktion, Logistik und Kundeninteraktion nicht vermeiden.
Mehrkosten bei Karstadt entstehen durch die aufwändigere Produktion beim Hersteller, aufgrund erhöhter Transportkosten und durch
die Investition in den Scanner sowie durch die zeitintensive Beratung
durch Fachpersonal. Aufgrund des Mehrwertes (Passform, individuelles Design, Verfügbarkeit) werden seitens des Kunden jedoch höhere
Preise akzeptiert, so dass die zusätzlichen Kosten ausgeglichen werden
können. Zudem wird die Vergleichbarkeit von Preisen aufgrund der
Individualität jedes Kleidungsstückes reduziert. Das Unternehmen
entzieht sich dadurch dem direkten Vergleich mit Wettbewerbern und
damit dem Preisdruck. Kostenvorteile entstehen bei Karstadt durch
die technologischen Vorteile des Scanners (weniger Korrekturen
durch exakte, schnelle Vermessung und korrekte Datenübertragung)
sowie durch geringere Lagerkosten, ein geringeres Moderisiko und
die Vermeidung von Rabatten. Zudem wird vor allem durch die Kundenintegration Wert geschaffen: Durch die intensive Interaktion mit
dem Kunden kann besser auf seine Bedürfnisse eingegangen und eine
Beziehung zu ihm aufgebaut werden. Dadurch wird zum einen das
Image des Händlers verbessert, zum anderen wird das Cross-SellingPotenzial erhöht und Folgeaufträge, die weit weniger zeitintensiv sind,
werden wahrscheinlicher. Die Kundenbindung ist für den Handel
enorm wichtig. Kunden, die kommen und Maßkonfektionsware
erwerben möchten, kaufen in der Regel auch wieder, da sie mit der
Ware zufrieden sind. Im Durchschnitt werden von circa 40 Prozent
der Kunden innerhalb von 6 Monaten Folgebestellungen aufgegeben. Die Kosten, welche für einen Maßcorner mit Body-Scanner
(Mietkosten, Ladenbau, Werbungskosten), anfallen, amortisieren sich
gemäß dem Hersteller Human Solutions bereits im zweiten Jahr – bei
einem durchschnittlichen Umsatz von circa 30 Maßanzügen und
11
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
50-70 Maßhemden [8] pro Monat. Gemäß dem Kundenbetreuer bei
Karstadt in München – Nikolas Kyriakopoulos – ist der Zulauf für
den Bereich Maßkonfektion ungebremst, obwohl es seit einer Marketing-Offensive bei Einführung der Maßkonfektion keine gezielten
Werbemaßnahmen gibt.
1995 wurde das Bekleidungsunternehmen Maile gegründet. Das
Motto lautet »MAILE möchte Ihr Leben vereinfachen«. Ziel ist es,
Maßkonfektion für Herren nach persönlichen Vorlieben überall liefern zu können. Neben dem Angebot an Maßkonfektion besteht auch
die Möglichkeit, standardisierte Herrenmode zu beziehen, jedoch
stellt das Angebot von Maßkonfektion das Kerngeschäft des Unternehmens dar. Seit 1995 versendet das Unternehmen Kataloge; seit
1999 gibt es eine Internetpräsenz.
Das Angebot bei Maile ist äußerst umfangreich: Neben Anzügen,
Sakkos, Westen, Hemden und Schuhen werden Serviceleistungen, wie
Änderungs-, Reinigungsservice und Expresslieferung, aber auch Standardprodukte, wie zum Beispiel Socken, angeboten. Der Kunde kann
im Bereich Maßkonfektion wiederum aus unzähligen Formen sowie
400 Stoff- und Ausstattungsvarianten auswählen. Die Lieferzeit für
einen Anzug beträgt circa vier Wochen.
Der Konfigurationsvorgang kann auf zwei Wegen erfolgen: Zum
einen besteht die Möglichkeit, sich im Verkaufsraum von Maile in
München vermessen und beraten zu lassen. Zum anderen ist es auch
möglich, die Vermessung selbst vorzunehmen und via Internet zu bestellen. Maile spricht durch dieses Angebot gezielt Kunden mit wenig
Zeit an, die Bestellungen via Internet mit einem Outfit-Konfigurator
aufgeben möchten. Außerdem werden zusätzliche Kundengruppen
(überregionale Kundschaft sowie Kunden, die keine persönliche
Beratung benötigen) bedient. Alle Variationsmöglichkeiten (Stoffe,
Formen, Ausstattung, Größe, Maßabweichungen) werden erklärt,
12
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Maile, München [9]
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 2: Auswahl des Stoffes und der Ausstattung mit dem Online-Konfigurator (1) [10]
abgebildet und können ausgewählt werden (vgl. Abb. 2 und 3). Daneben sind Preise und aktuelle Liefertermine einsehbar. Am Ende der
Bestellung erhält der Kunde eine schriftliche Zusammenfassung. Maile empfiehlt den Kunden bei Online-Konfiguration die persönliche
Maßaufnahme mit dem so genannten »Try-MAILE-Service«, welcher
10 Euro extra kostet. Es werden Probierteile zugesendet; mit einem
Maßband kann der Kunde dann individuelle Abweichungen zu den
Standardgrößen ermitteln.
Das Konzept von Maile bringt den Vorteil mit sich, dass Kosten
für repräsentative und große Räumlichkeiten in zentraler Lage sowie
Personalkosten (Zeit- und Qualifikationsaspekt) gespart werden.
Allerdings besteht kein direkter Kontakt zu den Kunden, die online
13
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
bestellen. Dies macht es schwierig, spezielle Kundenwünsche zu
erfassen, das Vertrauen des Kunden zu gewinnen und das von ihm
wahrgenommene Risiko zu reduzieren. Manche Kunden empfinden
die fehlende Beratung, die Verantwortung für den Messvorgang sowie
das fehlende Erlebnis des individualisierten Einkaufes möglicherweise
als nachteilig. Andererseits bietet der Service den Vorteil, bequem von
zu Hause aus zu bestellen, was – wie bereits erwähnt – für bestimmte
Zielgruppen sehr attraktiv ist. Zudem versucht Maile, durch ausführliche Informationen auf einer gut gegliederten Website Vertrauen
aufzubauen und das Risiko des Kunden zu reduzieren. Es ist ferner
natürlich immer möglich, die Konfiguration zusammen mit einem
Verkäufer im Shop in München durchzuführen. Zumindest bei der
14
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 3: Auswahl des Stoffes und der Ausstattung mit dem Online-Konfigurator (2) [10]
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
ersten Bestellung könnte dies für die Kunden sehr hilfreich sein. Maßkonfektionsanzüge sind bei Maile ab 480 Euro erhältlich. Inzwischen
gibt es keine gezielten Werbemaßnahmen mehr; neben dem Katalog
spielt vor allem die gute Mund-zu-Mund-Propaganda eine wichtige
Rolle.
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Vergleich der Unternehmen Karstadt und Maile
Beide Unternehmen bieten maßkonfektionierte Anzüge und Hemden
für Herren an. In Bezug auf Passform und Design stehen bei beiden
Unternehmen unzählige Varianten zur Verfügung. Die Geschäftsmodelle der beiden Unternehmen unterscheiden sich insofern, dass
Karstadt die Maßkonfektion als Zusatzleistung anbietet. Maile
hingegen versteht sich als Hauptleister und sieht im Angebot von
Maßkonfektion das Kerngeschäft. Preislich gesehen richten sich die
Unternehmen an unterschiedliche Zielgruppen und Marktsegmente.
Der Fokus von Karstadt liegt auf einem eher preisbewussten Klientel,
dem Maßkonfektion als Service und Erlebnis angeboten wird. Maile
zielt mit seinem Angebot auf ein Klientel mit eher gehobenen Ansprüchen, das den zeitintensiven Vermessungs- und Konfigurationsvorgang vermeiden möchte und offen gegenüber Internet-Anbietern
ist. Bei Karstadt ist eine Erstbestellung ausschließlich in den eigenen
Ladenräumen möglich. Bei Maile hingegen kann die Konfiguration
zwar auch im Laden stattfinden, allerdings richtet sich der Service gezielt an Internet-Kunden, die sich anhand eines Online-Konfigurators
Passform und Design selbst zusammenstellen. Maile hat damit die
Möglichkeit, überregionale Kundschaft anzusprechen, während Karstadt eher das regionale Publikum bedient.
Karstadt nutzt im Gegensatz zu Maile einen Scanner zur Maßaufnahme und stellt den Konfigurationsvorgang in den Mittelpunkt des
Verkaufsprozesses. Vorteile ergeben sich hierdurch in Bezug auf die
millimetergenaue Aufnahme und die fehlerfreie Datenübertragung.
Außerdem wird der Scanner gezielt als besonderes Verkaufserlebnis
15
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Insgesamt kann man sagen, dass die Beratungsleistung bei Karstadt
sehr intensiv, ausführlich und persönlich ist. Kundenvertrauen kann
somit aufgebaut und gewonnen werden und die Kundenzufriedenheit
durch Kennen und Erfüllen der Kundenwünsche erhöht werden.
Ziel ist eine erhöhte Kundenbindung sowie der Aufbau intensiver
Kundenbeziehungen durch die intensive Interaktion mit dem Kunden am Verkaufsort. Die Maßkonfektion bringt Reputation und
Zusatz-Umsätze. Im Gegensatz hierzu setzt Maile auf den Vertrieb
und die Konfiguration über das Internet und den Katalog. Vorteile
des Versandhandels werden genutzt, Personalkosten und Raumkosten
gespart und darüber hinaus die Verantwortung für die Passgröße auf
den Kunden übertragen. Kundenzufriedenheit und -bindung erzielt
das Unternehmen neben dem individuellen Produkt vor allem durch
den unkomplizierten Service. Zusätzlich bietet Maile den Kunden die
Möglichkeit, sich persönlich vor Ort beraten zu lassen. Dadurch, dass
16
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
vermarktet. Dadurch, dass der Kunde während des Kaufs bei Karstadt von einem Verkäufer unterstützt wird, kann er gezielt durch den
Verkaufsprozess geführt und seine Ängste können reduziert werden.
Allerdings bringt dieses Konzept auch höhere Kosten mit sich, zum
Beispiel für Beratung, Räumlichkeiten und den Body-Scanner. Maile
konzentriert sich im Gegensatz zu Karstadt eher darauf, den Kunden
im Internet ausführliche Informationen übersichtlich zur Verfügung
zu stellen. Der Kaufprozess ist weniger auf die Vermittlung eines
Erlebnisses ausgerichtet, sondern soll den Kunden einen effizienten
Einkauf ermöglichen. Die umfassende Darstellung von Auswahl und
Konfigurationsprozess im Internet ersetzt jedoch nicht den Verkäufer,
der individuell auf persönliche Wünsche oder Ängste eingehen kann.
Auf der anderen Seite ist die Kaufbarriere für den Kunden möglicherweise niedriger, wenn er sich im Internet den Anzug zusammenstellt,
da er unabhängig von Zeit und Ort agieren kann. Zudem ist die von
Maile angesprochene Kundengruppe möglicherweise bereits erfahren
mit Maßkonfektion und besitzt das entsprechende Selbstbewusstsein,
autonom im Internet zu konfigurieren.
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
sich der Kunde keinem anonymen Internetanbieter gegenüber sieht,
werden Vertrauen sowie Kundenbindung gestärkt.
Abschließend lässt sich feststellen, dass beide Unternehmen mit ihrem Maßkonfektionsangebot derzeit sehr erfolgreich sind. Ausgehend
von unterschiedlichen Kundengruppen mit individuellen Bedürfnissen hinsichtlich Preis, Betreuung und Interaktion haben wohl beide
Unternehmen ein lukratives Betätigungsfeld gefunden. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Kunden neben dem individuellen Produkten
häufig auch gezielt einen individuellen Service kaufen. Dieses Bedürfnis der Kunden erfüllt Karstadt. Auf der anderen Seite spricht Maile
mit seinem Angebot gezielt eine Zielgruppe an, die im individuellen
Konfigurationsprozess kein Erlebnis sieht, sondern zeiteffizient einkaufen möchte. Damit fokussieren beide Unternehmen unterschiedliche Kundengruppen. Wesentlich für den langfristigen Erfolg ist nun,
dass sich beide Unternehmen auf das Angebot eines auf diese Zielgruppen abgestimmten Angebotes konzentrieren. Tabelle 2 zeigt die
beiden Unternehmen zusammenfassend im Überblick.
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Tabelle 2: Überblick des Angebots von Karstadt und Maile
Marketing-Konzept
Karstadt
Maile
Produkte Maßkonfektion für Herren
Maßkonfektion für Herren
Maßkonfektion ist
Zusatzangebot
Maßkonfektion ist
Hauptangebot
Preis
Ab 399 Euro/Anzug
Ab 480 Euro/Anzug
Distribution Erstkauf im Geschäft Erstkauf via Internet oder
im Geschäft
Konfiguration
Vermessung mit 3D-Scanner und Schlupfgrößen zur
Passformanpassung
Vermessung durch den
Kunden selbst beziehungsweise manuell (bei Kauf im
Geschäft)
Designauswahl möglich
Persönliche Beratung
Designauswahl möglich
Online-Konfiguration oder
persönliche Beratung
Kommunikation
Flyer in der Abteilung
Katalog, Internet
17
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Dipl.-Ing., Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ulrike Schwarz absolvierte nach mehrjähriger Tätigkeit in Planungsbüros im In- und Ausland von 2003 – 2005 das MBA-Studium
an der Technischen Universität München mit den Schwerpunkten »Information,
Organisation, Management« sowie »Arbeits- und Organisationspsychologie«. In
dieser Zeit arbeitete sie als studentische Mitarbeiterin an diversen Projekten am
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management der TU München.
Kontakt: [email protected].
Literatur
[1]
Piller, Frank T.; Stotko, Christof M.(Hrsg.): Mass Customization und Kundenintegration – Neue Wege zum innovativen Produkt, Symposium 2003
[2]
o.A.:
[3]Kornacher, Nicole; Stotko, Christof M.: Mass Customization in der Bekleidungsindustrie: Voraussetzungen, Chancen und Herausforderungen. Expertenbeiträge und Fallstudien
zu Piller, Frank T.; Stotko, Christof M.(Hrsg.): Mass Customization und Kundenintegration
– Neue Wege zum innovativen Produkt, Symposium 2003
[4]Warich, Bert: Branchendaten Einzelhandel 2003, Verdi, URL: http://verdi.de/handel/einzelhandel/branchendaten/branchendaten_einzelhandel_2003 [23.06.2004]
[5]
Gespräch mit Herrn Myland (Fa. Odermark) und Herrn Kyriakopoulos (Leitung Abt. Maßkonfektion, Fa. Karstadt) am 30.06.04
[6]Human Solutions GmbH: VITUS 3 D Body Scanner, URL: http://www.human-solutions.
com/produkte_vitus.php [Stand 24.06.2004]
[7]Human Solutions GmbH: Retailor – Body Scanning für Maßbekleidung, Präsentation, o.J.
18
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Pressebericht Textilwirtschaft, März 2001
Karstadt und Maile: Zwei Konzepte für Herrenmode nach Maß
[8]Human Solutions GmbH: Retailor – Ihre Investition zahlt sich aus, Die Kollektionen,
Infoflyer, o.J.
[9]
Maile: URL http://www.maile.com [Stand 03.07.04] sowie Individuals of Style, Katalog No.
10, o.J.
2123.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[10] Maile: URL http://www.maile.com [Stand 03.07.04]
19
NIKEiD: Individuelles Design
von Sportschuhen
Im Hinblick auf Mass Customization ist die Sportartikelbranche recht weit entwickelt, was aus einem
harten Wettbewerb resultiert. Pionier im Markt ist das
Unternehmen Nike, das mit dem kundenindividuellen
Angebot NIKEiD bereits 1999 startete. Es umfasst
einen vierstufigen Konfigurationsprozess.
Stichworte: individualisierbare Sportartikel, NIKEiD, miadidas, Mongolian Shoe BBQ, Design, Sportschuhmodelle,
Online-Konfigurator, Kundenbindung, Rundumversorgung,
Internet-Direktvertrieb
Martin Drescher, Melanie Müller
Umfeld des Mass-Customization-Angebots
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Branchenüberblick
Der Wettbewerbsdruck in der internationalen Sportschuhindustrie
hat sich vor allem in den letzten Jahren erneut verstärkt, nachdem
sich die Branche bereits seit den 1980er Jahren tiefgreifenden Veränderungen gegenübersieht. Seit dieser Zeit sind die Bereiche Sport
und Mode immer mehr zusammengewachsen, was sich zum Beispiel
im Entstehen eines Lifestyle-Marktsegments gezeigt hat. Zudem sind
immer mehr Modemarken in den Sportschuhmarkt eingestiegen,
wodurch sich der Wettbewerb noch einmal intensiviert hat. Neben
Lifestyle-Aspekten sind es in erster Linie neue Technologien, die die
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
NIKE, Inc.
Land
USA
Anschrift
Nike USA Inc.
One Bowerman Drive
Beaverton, OR 97005-6453
Hotline (Deutschland)
0800 – 1811466
Internet-Adresse
www.nike.com, www.nikeid.com
E-Mail
[email protected]
Gründungsjahr
1962
Branche
Sportbekleidung und -artikel
Produkt
Individualisierbare Schuhe, Taschen, Uhren
Bezug zu Kapitel
3.1Wollen Kunden individuelle Produkte?
4.5Formen der Kundenintegration
5.1Produkt- und Leistungsgestaltung
6.2Preispolitische Potenziale
7 Die Kosten: Economies of Mass Customization
8.3Kundenintegration als Basis für erfolgreiches CRM
Marke eines Unternehmens in dieser Branche heute ausmachen. Die
Sportartikelfirmen versuchen demzufolge, permanent mit neuen Innovationen auf sich aufmerksam zu machen.
Nachdem die letzten Jahre für die Player im Markt nicht einfach
waren, hat sich die Lage im Markt im Jahr 2004 insgesamt etwas entspannt, obwohl das Marktumfeld in Europa weiterhin als schwierig
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
5.2Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
bezeichnet werden kann. Beispielsweise wurde aufgrund von hohen
Lagerbeständen ein teilweise aggressiver Preiskampf entfacht. Positiver war die Entwicklung in den Vereinigten Staaten, wo die gesamte
Sportartikelbranche um vier Prozent wuchs. In China und Lateinamerika entwickelte sich der Markt 2004 besonders erfreulich, dort
wurden jeweils hohe Wachstumsraten erzielt. [1]
Hauptkonkurrenten auf dem weltweiten Sportartikelmarkt sind
im Moment die amerikanischen Sportartikelfirmen Nike und Reebok sowie die beiden in Herzogenaurach bei Nürnberg ansässigen
Unternehmen Adidas und Puma. Nike ist Marktführer mit einem
weltweiten Marktanteil von 33,3 Prozent, gefolgt von Adidas mit
15,5 Prozent, Reebok mit 9,6 Prozent und Puma mit 6,9 Prozent in
2004. [2] Aber auch die großen Player sehen sich ständig neuen Herausforderungen gegenüber, zum Beispiel Konsumenten, die qualitativ
hochwertige Schuhe zu moderaten Preisen fordern und sich dabei
sehr wohl ihrer Machtposition bewusst sind. Der harte Wettbewerb
– auch unter den großen Unternehmen – zeigt sich nicht zuletzt auch
in verstärkten Konzentrationstendenzen, zum Beispiel dem kürzlichen
Zusammenschluss von Adidas und Reebok.
In Hinblick auf das Angebot von Mass Customization ist die
Sportartikelbranche bereits relativ weit entwickelt, was wiederum
auf den harten Wettbewerb zurückzuführen ist. Drei der vier großen
Unternehmen sind bereits mit entsprechenden Angeboten im Markt:
Adidas bietet seit 2000 individuelle Sportschuhe an; Puma startete
mit dem Angebot individueller Schuhe im Jahr 2005. Pionier im
Tabelle 1: Vergleich konkurrierender Mass-Customization-Angebote
Anbieter
Programmbezeichnung
Individualisierungsoptionen
Vertriebskanal
Nike
NIKEiD
Design
Internet
Adidas
miadidas
Design, Fit, Funktionalität
Events, Händler,
eigene Stores
Puma
Mongolian Shoe BBQ
Design
PUMA Concept
Stores
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Markt ist das Unternehmen Nike, das mit dem kundenindividuellen
Angebot 1999 startete. In Tabelle 1 erfolgt eine kurze Gegenüberstellung von NIKEiD und den beiden anderen großen Anbietern kundenindividueller Sportschuhe.
Das Unternehmen Nike
Abb. 1: Swoosh (1971)
[5]
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Nach einem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium an der Universität
von Oregon gründete Phil Knight im Jahr 1962 das Unternehmen
Blue Ribbon Sports Inc. (BRS), das als exklusiver Vermarkter und
Vertreiber von Laufschuhen der japanischen Firma Onitsuka Tiger
operierte. Zwei Jahre später schloss er sich mit seinem früheren Lauftrainer Bill Bowerman zusammen, um das Geschäft weiter auszubauen. [3] 1971 entwarf die Design-Studentin Carolyn Davidson für einen Lohn von gerade einmal 35 US-Dollar den Swoosh (vgl. Abb. 1),
der ab sofort das neue Markenzeichen von Blue Ribbon Sports wurde.
Im gleichen Jahr wurde nach einem neuen Namen gesucht. Letztendlich setzte sich der Name Nike gegen andere Vorschläge durch. Jeff
Johnson, der erste auf Vollzeit beschäftigte Mitarbeiter, hatte von der
gleichnamigen griechischen Siegesgöttin geträumt. 1978 wurde der
Vertrieb von Nike-Produkten schließlich auf Europa ausgeweitet, wobei anfangs nur Schuhe im Angebot waren. [4]
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Nach dem erfolgreichen Börsengang im Jahr 1980 überstieg der
Umsatz des Unternehmens sechs Jahre später zum ersten Mal die
»magische« Grenze von einer Milliarde Dollar. Der Erfolg des Unternehmens hielt an und 1990 konnte das Unternehmen die neue
Unternehmenszentrale Nike World Campus in Beaverton (Oregon)
eröffnen. Der Rückzug von Bill Bowerman aus dem Unternehmen
im Dezember 1999 bedeutete für Nike einen herben Rückschlag, von
dem sich das Unternehmen jedoch schnell erholen konnte. 2003 waren die Absatzzahlen auf dem internationalen Markt schließlich zum
ersten Mal höher als die auf dem US-Markt. [3]
Nike beschäftigt heute weltweit circa 23.000 Mitarbeiter. Koordiniert werden diese vom Unternehmenssitz in Beaverton und der
Europazentrale in Hilversum (Niederlande), die vor allem für die
Aktivitäten in Europa, Afrika und dem Nahen Osten (EMEA) verantwortlich ist. [4] Im Geschäftsjahr 2004/2005, das am 31.Mai 2005
endete, erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 13,7 Milliarden Dollar, was einem Zuwachs um zwölf Prozent gegenüber dem
Vorjahr entspricht. Der Gewinn stieg um 28 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar. [6] Nike besitzt weltweit 15 Nike Towns, über 80 Factory
Stores, zwei Nikegoddess Boutiquen, die ausschließlich Artikel für
Frauen führen, und 100 Verkaufs- und Verwaltungsbüros. Zum Markenportfolio des Unternehmens gehören neben der Hauptmarke Nike
auch Cool Haan, bekannt für hochwertige Freizeitschuhe und Accessoires für Männer und Frauen, sowie Bauer Nike Hockey, dem weltweit führenden Hersteller von Hockeyausrüstung. Hinzu kommen
die weltweit bekannten Schuhhersteller Converse [4] und Starter. [6]
Darüber hinaus ging das Unternehmen 2002 eine Partnerschaft mit
Hurley, einer Premium-Lifestyle-Marke für Jugendliche, ein. [4]
Die Nike-Produkte werden mittlerweile in 33 Ländern weltweit
hergestellt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird die Produktion
jedoch zunehmend in so genannte Billiglohnländer verlagert, die vor
allem im asiatischen Raum und in Mittel- und Südamerika zu finden
sind. Der Anteil der in den USA gefertigten Produkte sank demnach
im Jahr 2001 auf nur noch 14 Prozent. Um einen schnellen, reibungs-
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
losen Transport der bestellten Artikel zu den Kunden beziehungsweise
den Einzelhändlern und den Nike-Stores zu gewährleisten, ist ein
leistungsstarkes Logistiknetzwerk nötig: Nike unterhält deshalb insgesamt vier große Warenverteilzentren. Das Zentrum in Wilsonville
im US-Bundesstaat Oregon ist zuständig für Schuhe und Teile der
Ausrüstung. Zwei weitere Zentren sind in Memphis, wovon eines für
Schuhe und das andere vorwiegend für Kleidung für den US-Markt
verantwortlich ist. Das vierte Logistikzentrum befindet sich in Laakdal, Belgien, und bedient den europäischen und afrikanischen Markt
sowie den Nahen Osten. [4]
Das NIKEiD Angebot
Im November 1999 führte Nike das Programm NIKEiD ein. Seitdem
kann sich der Kunde im Internet einen Sportschuh nach den eigenen
Vorstellungen designen. Zu Beginn konnte man »nur« zwischen den
beiden Modellen Nike Air Famished und Nike Air Turbulence wählen.
Für die Individualisierung, für die Nike eine Gebühr von zehn Dollar
berechnete, standen insgesamt 84 verschiedene Farbkombinationen
zur Auswahl. Außerdem bestand die Möglichkeit, eine persönliche
Nachricht mit drei bis zehn Zeichen auf der Ferse des Schuhs zu platzieren. Diese persönliche »identification« (iD) ist der Grund für die
Wahl des Namens des Mass-Customization-Programms: NIKEiD. [7]
Aus Komplexitätsgründen wurde die Anzahl der angenommenen
Bestellungen anfangs auf 400 Paar pro Tag beschränkt. Das Unternehmen wollte auf diese Art und Weise sukzessive Erfahrung mit dieser
Art der Fertigung sammeln. Vergleicht man diese Zahl mit den circa
200 Millionen Paar Schuhen, die Nike auf dem »Massenmarkt« jedes
Jahr absetzt, wird ersichtlich, dass das NIKEiD Angebot das Massengeschäft nicht ersetzen sollte. Der Hauptgrund für die Erprobung bestand darin, dass man Erfahrungen im Direktverkauf an den Kunden
über das Internet sammeln und sich von der Konkurrenz abgrenzen
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Was NIKEiD ist und wie alles begann
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
wollte: »NIKEiD brings us back to our roots when we designed and
sold shoes one-by-one out of the trunk of my old Plymouth. We
��������
have
now come full circle, using our design and performance expertise
combined with Internet technology to offer customized products.
This holiday season marks the first time in our history that customers
have the opportunity to literally leave their mark on a personalized
pair of Nike shoes.« [8]
����������������������������������������������
Um einen Konflikt mit den Händlern zu entgehen, die sich durch den Direktvertrieb angegriffen fühlten, schuf
man für das Internet diese komplett neue Art des Verkaufs sowie der
Interaktion mit dem Kunden und argumentierte, dass eine Abwicklung über die Händler zu aufwändig und daher unrentabel sei. [8]
Im Jahr 2001 wurde das Angebot auf die Märkte Europa und
Japan sowie auf 15 Modelle erweitert. Zudem konnte der Kunde
nun aus einer größeren Farbpalette wählen, wodurch sich die Anzahl
möglicher Farbkombinationen auf mehrere Tausend erhöhte. Dieser
Schritt war nötig, da NIKEiD laut dem Hauptverantwortlichen für
das Programm, Mark Allen, sehr erfolgreich war. Die Kunden nahmen das Angebot sehr gut an, forderten jedoch eine größere Auswahl:
»NIKEiD is growing strong. Consumers
���������������������������������������
have been very vocal. We did
not offer a basketball shoe at the initial launch, and were inundated
with request for one.« [9]
���
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
NIKEiD heute
Monatlich gehen in der Europazentrale in Hilversum ungefähr 3.000
Bestellungen für individuelle Produkte über die NIKEiD-Homepage
ein, die dann per E-Mail an die Lieferanten gesendet und von diesen
verarbeitet werden. Dabei findet die Herstellung in den Produktionsanlagen statt, in denen auch die herkömmlichen Nike-Artikel produziert werden. [10]
Mittlerweile kann der Kunde zum Beispiel in Deutschland unter
sechs verschiedenen Schuh-Kategorien wählen: Sport Culture, Laufen,
Basketball, Fußball, Fitness/Training und Leichtathletik. Wie viele
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Modelle dabei jeweils für Männer oder Frauen zur Verfügung stehen,
ist in Tabelle 2 aufgelistet. In den USA können zusätzlich BaseballSchuhe individualisiert werden.
Tabelle 2: Übersicht über die Auswahl an Schuhmodellen in Deutschland [11]
Männer
Frauen
Gesamt
Sport Culture
7
4
11
Laufen
8
9
17
Basketball
3
---
3
Fussball
5
---
5
Fitness/Training
1
3
4
Leichtathletik
2
---
2
Seitdem die neueste Softwareversion des Konfigurators am
31.03.2005 [10] online gegangen ist, können nicht nur Schuhe gestaltet werden, sondern auch andere Ausrüstungsgegenstände wie
Taschen und Uhren. Insgesamt hat der Kunde die Auswahl zwischen
fünf verschiedenen Taschen und vier Uhren. In den USA hat der
Kunde wiederum eine zusätzliche Wahlmöglichkeit hinsichtlich der
Produktkategorie: Nike Golf. Außerdem stehen innerhalb des MassCustomization-Angebots in Deutschland zusätzlich zwei verschiedene
Kollektionen zur Auswahl (in den USA sind weitere drei Kollektionen
verfügbar: 10//2, World Running Events, und NIKEiD Studios):
ð Nike Free: Je ein Schuhmodell für Männer und Frauen, als Inspiration werden die original Designs von verschiedenen Stars gezeigt.
ð Soul of Brazil: Drei Schuhmodelle für Männer und ein Modell für
Frauen sowie zwei Taschen, alle Produkte enthalten typisch brasilianische Elemente.
In Europa kann die Auslieferung insgesamt in 19 Länder erfolgen.
Alle Bestellungen in Deutschland beispielsweise werden innerhalb
von vier bis fünf Wochen (USA: drei bis vier Wochen) mit den Logistikdienstleistern UPS oder GeoPost an den Kunden versandt. Je
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Kategorie
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
nachdem, wohin die Zustellung erfolgt, wird von Nike zusätzlich eine
Versandgebühr von 5 bis 35 Euro erhoben. Der Kunde hat nach Aufgabe der Bestellung die Möglichkeit, den momentanen Status seines
Produktes über ein so genanntes Tracking-System auf der NIKEiDHomepage abzufragen. Dabei erfährt er, ob es noch in der Planung,
schon in der Produktion, gerade auf dem Weg zu Nike oder bereits
unterwegs zu ihm ist. [7] Sobald die Ware bei Nike ankommt, erhält
der Kunde eine Information per E-Mail und drei bis fünf Werktage
später wird die Ware zugestellt. Sehr kulant zeigt sich Nike in Sachen
Rückgaberecht. Der Kunde kann die bestellte und unbenutzte Ware
innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen zurückschicken.
Konfigurationsprozess
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Der folgende Abschnitt beschreibt den Konfigurationsprozess beispielhaft anhand des Fußballschuhs NIKE AIR ZOOM TOTAL 90
III FG/SG. Auf der Startseite von NIKEiD (www.nikeid.com) kann
Abb. 2: Deutsche Homepage von NIKEiD [12]
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Abb. 3: Beginnen kann der Kunde mit einer Inspiration oder einem leeren Modell [12]
Bei Inspirationen ist für jedes Modul des Schuhs schon eine Farbe
vorgewählt, wodurch sich insgesamt eine vordefinierte Farbkombination ergibt. Der User hat dann die Möglichkeit, diesen Vorschlag
entweder zu übernehmen, um nur noch seine persönliche »identifica-
10
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
zunächst zwischen verschiedenen Sprachen gewählt und dann das betreffende Land ausgesucht werden, in dem man das Angebot von NIKEiD in Anspruch nehmen möchte. Dadurch gelangt der Kunde auf
die länderspezifische Homepage, zum Beispiel auf die deutsche Seite
(vgl. Abb. 2). Hier kann sich der User dann entscheiden, welchen Gegenstand er individualisieren möchte. Er kann dabei unter den bereits
in Abschnitt NIKEiD heute dargestellten Schuhen, Ausrüstungsgegenständen und Kollektionen wählen. Bei Fußballschuhen stehen insgesamt fünf verschiedene Modelle zur Verfügung, die sich der Kunde
jeweils nach den individuellen Wünschen gestalten kann.
Zu Beginn des Konfigurationsprozesses muss der Kunde entscheiden, ob er lieber mit einer so genannten Inspiration oder mit einem
»leeren« Modell, das heißt ganz von vorne, starten will (vgl. Abb. 3).
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
tion« und seine Schuhgröße festzulegen, oder er kann den einzelnen
Schuhmodulen andere Farben zuordnen.
Beginnt man mit einem leeren Modell, so muss ein vierstufiger Konfigurationsprozess durchlaufen werden:
Start
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Schritt eins beinhaltet die Möglichkeit, eine kurze Produktbeschreibung über den Link Artikel-Info abzurufen. Bei Schuhen wählt der
Kunde zusätzlich die gewünschte Schuhgröße, wobei die US-amerikanische, britische oder europäische Skala verwendet werden kann.
Außerdem wird bis auf Fußballschuhe, bei der nur Männer-Modelle
zur Verfügung stehen, auch noch zwischen der Herren- und DamenVariante des Modells unterschieden (vgl. Abb. 4). Hat der Kunde eine
Auswahl bezüglich aller Wahlmöglichkeiten getroffen, so erscheint
neben Schrittnummer und -bezeichnung die Anzeige »Fertig«, um zu
signalisieren, dass die Angaben komplett sind (dies gilt ebenso für alle
nachfolgenden Schritte).
Abb. 4: Schritt 1 des vierstufigen Konfigurationsprozesses [12]
11
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Design
Bei dem NIKE AIR ZOOM TOTAL 90 III FG/SG Fußballschuh gibt
es im Vergleich zu beispielsweise Laufschuhen lediglich zwei Möglichkeiten, das Design zu verändern. Der Kunde hat dabei die Auswahl
zwischen zwei verschiedenen Sohlenarten, nämlich für harten und
weichen Boden, und vier Grundfarben. Beim Laufschuh NIKE SHOX
TURB OZ iD dagegen stehen sechs Designoptionen, von der Grundfarbe bis hin zur Farbe der Schürsenkel, mit einer Palette von 10 bis
14 verschiedenen Farben zur Wahl.
Personalisieren
Nachdem der Designvorgang abgeschlossen wurde, kann eine persönliche »identification« auf dem Schuh angebracht werden. Bei
Fußballschuhen stehen hierfür zwei verschiedene Stellen – Schuhseite
(maximal zehn Zeichen) und Ferse (maximal zwei Zeichen) – sowie
drei verschiedene Farben zur Verfügung. Dieser Platz reicht aus, um
sich zum Beispiel eine Glückszahl oder die Trikotnummer aufsticken
zu lassen. Man kann jedoch auch auf die Möglichkeit der Anbringung
einer persönlichen »Nachricht« verzichten oder dort ein Nike-Symbol
platzieren.
Im letzten Schritt erhält der Kunde die Möglichkeit, die gemachten
Eingaben zu überprüfen. Hierzu werden die wichtigsten Auswahlelemente noch einmal dargestellt. Zusätzlich kann der individuell
erstellte Schuh abschließend aus sechs verschiedenen Blickrichtungen
betrachtet werden (vgl. Abb. 5). Diese Option ist auch bereits während der vorhergehenden Schritte verfügbar.
Der Kunde hat nun mehrere Möglichkeiten für das weitere Vorgehen
(vgl. Abb. 5). Er kann
 seinen Entwurf dem Warenkorb hinzufügen und dann im nächsten Schritt den Bestellvorgang vollständig abschließen,
 sich sein erstelltes Design ausdrucken,
12
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Anschauen
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 5: Abschluss des Konfigurationsprozesses [12]
 den Entwurf an Freunde versenden, um sie zum Beispiel um ihre
Meinung hinsichtlich des gestalteten Schuhs zu fragen,
 sein Design in MY LOCKER, einem persönlichen Speicherplatz
auf NIKEiD, speichern, um zu einem späteren Zeitpunkt erneut
darauf zuzugreifen. Dabei ist es möglich, den gestalteten Schuh erneut zu betrachten, zu verändern, zu löschen oder dem Warenkorb
hinzuzufügen. Somit können mehrere Entwürfe miteinander verglichen oder die Kaufentscheidung noch einmal überdacht werden.
Der Kunde hat während des gesamten Konfigurationsprozesses die
Möglichkeit, eine (kostenlose) Service-Hotline anzurufen, sollten Probleme auftreten. In den USA steht zusätzlich ein Live-Chat zur Verfügung, bei dem der User direkt mit einem Nike-Mitarbeiter verbunden
wird, der versucht, die gestellten Fragen zu beantworten. [12] Die
Hauptaufgabe der Mitarbeiter besteht dabei darin, bei technischen
Problemen im Ablauf des Konfigurationsprozesses weiterzuhelfen.
13
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Nike erfüllt mit dem NIKEiD-Angebot den Wunsch der Kunden,
sich die Produkte nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Es ist
anzunehmen, dass die Kunden hierfür auch bereit sind, einen Preis zu
zahlen, der über dem Preis vergleichbarer Standardprodukte liegt. Beispielsweise kann der Nike Free 5.0 für Herren bereits für 89,90 Euro
im Sportfachgeschäft oder über das Internet bezogen werden. Bei NIKEiD kostet der gleiche Schuh 110 Euro, wodurch sich ein Preispremium von ungefähr 20 Euro ergibt. Dieses Preispremium ist aus Sicht
des Unternehmens unerlässlich, da es nicht möglich ist, die individuellen Produkte zu den Kosten der Massenproduktion herzustellen
und zu vertreiben. Jeder einzelne Schuh muss zunächst separat in den
Produktionsprozess eingeplant werden, was zusätzliche Ressourcen in
der Produktion beansprucht. Zusätzlich müssen die Informationen
permanent an die Produktionsstätte übermittelt und im Produktionsprozess berücksichtigt werden. Die Produktion der individuellen
Produkte bringt zudem zusätzliche Anforderungen hinsichtlich des
Qualitätsmanagements mit sich. Hinzu kommt, dass das individuelle
Produkt nicht auf dem langsamen Seeweg zum Zielort transportiert
werden kann. Es muss auf schnellere Transportmittel, zum Beispiel
den Lufttransport, zurückgegriffen werden, möchte man dem Kunden
das Produkt innerhalb von drei bis fünf Wochen liefern.
Den vermutlich gestiegenen Produktions- und Logistikkosten
stehen Kostensenkungspotenziale an anderen Stellen der Wertschöpfungskette gegenüber. Durch den Direktvertrieb können Lagerkapazitäten, zum Beispiel bei den vier großen Verteilzentren eingespart
werden, da die Schuhe direkt, das heißt ohne lange Lagerung zum
Kunden versandt werden. Damit wird der Zwang zur Bereithaltung
auf den Produzenten übertragen, da dieser die nötigen Materialien
für alle Kombinationen vorrätig haben muss. Hinzu kommt, dass die
Produktionskosten grundsätzlich zwar steigen, jedoch können Module des Schuhs vorab produziert werden. Diese müssen nach Eingang
der Kundenorder nur noch zusammengestellt werden. Denkbar ist
14
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Profitmechanismus
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
sogar, dass einzelne Modelle vorab hergestellt werden, da zum Beispiel
bei Fußballschuhen aufgrund der begrenzten Kombinationsmöglichkeiten immer wieder die gleichen Farbkombinationen gewählt
werden. Es müsste dann nur noch die persönliche ID individuell aufgebracht werden.
Außerdem könnte sich das Risiko vermindern, gesamte Kollektionen herzustellen, die der Kunde überhaupt nicht will, da sie nicht
seinen Wünschen entsprechen. Aufgrund der geringen Anzahl individuell hergestellter Nike-Produkte im Vergleich zur Massenware ist
dieser Aspekt jedoch eher von untergeordneter Bedeutung. Viel wichtiger ist, dass mit Hilfe des NIKEiD-Angebots Trends und Kundenvorlieben ermittelt werden können, indem die Informationen aus den
individuellen Bestellungen als eine Art Marktforschungsinformation
für die Massenproduktion herangezogen werden. Zudem ist die Plattform ideal, um neue Produktinnovationen kostengünstig zu testen.
Kosten für reguläre Marktforschung können dadurch gesenkt werden.
Hinzu kommt, dass sich NIKEiD aufgrund des Direktvertriebs nicht
nur Logistikkosten spart, sondern auch Kosten der Kundeninteraktion, die im klassischen Handel anfallen. Der Kunde wird befähigt,
sich sein Produkt selbst zu gestalten. Hilfe erhält er bei Bedarf via
Service-Hotline oder Live-Chat mit einem Nike-Mitarbeiter; jegliche
sonstige Beratung entfällt. Aufgrund des Direktvertriebs sichert sich
Nike zudem die gesamte Gewinnmarge und muss diese nicht mit Vertriebspartnern teilen.
Bewertung des NIKEiD-Angebots
Im folgenden Abschnitt werden die Stärken und Chancen von NIKEiD aufgezeigt. Außerdem findet eine Einschätzung der Schwächen
sowie potenziellen Gefahren statt.
15
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
Ein großer Vorteil für Nike, wie auch für die Konkurrenten Puma
und Adidas, besteht darin, dass bereits eine starke Marke mit einer gewissen Bekanntheit und einem entsprechenden Image vorhanden ist.
Die Marke Nike bietet dem Kunden von Anfang an Sicherheit und
schafft Vertrauen in das individuelle Angebot. Kleinere, unbekannte
Unternehmen dagegen stehen vor der Herausforderung, dass Kunden
eventuell davor zurückschrecken, sich ein Produkt im Internet zu gestalten, da ihnen der Vorgang zu riskant erscheint.
Für die individuelle Zusammenstellung des Produktes steht bei
NIKEiD ein Online-Konfigurator zur Verfügung, der in einem sehr
sauberen und daher übersichtlichen Internetauftritt integriert ist.
Durch den sehr einfachen Aufbau des Konfigurationsprozesses aus
vier Schritten behält der Kunde zu jeder Zeit die Übersicht und er
weiß intuitiv, was als nächstes zu tun ist. In Situationen, in denen
zum Beispiel Fachausdrücke für bestimmte Komponenten des Schuhs
verwendet werden, öffnet sich sofort ein kleines Fenster mit einer
kurzen Erklärung. Außerdem werden Farbänderungen oder die Eingabe einer ID automatisch am digitalen Abbild des Schuhs visuell
umgesetzt.
Der Kunde erhält durch NIKEiD die Möglichkeit, seinen Schuh
selbst zu entwerfen. Damit ist es grundsätzlich möglich, die sehr
heterogenen Kundenwünsche in diesem Markt besser zu erfüllen.
Dies lässt die Kundenzufriedenheit und unter Umständen sogar die
Bindung des Kunden an das Unternehmen steigen. Das erkannte
Mark Allen, der General Manager von NIKEiD, bereits im Jahr 2001:
»Nike is committed to NIKEiD. It’s a strong relationship builder
between Nike and the customer, and the customer and the product«
[9] Weiterhin bietet NIKEiD dadurch, dass nicht nur Schuhe sondern auch mehrere Taschen und Uhren gestaltet werden können, eine
Art »Rundumversorgung«. Der Kunde kann somit zum Beispiel seine
Uhr, seine Tasche und seine Schuhe farblich aufeinander abstimmen.
Auch hinsichtlich des Schuhangebots sind genügend Sportvarianten
16
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Stärken und Chancen
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
abgedeckt und auch sehr modische Kunden können etwas für sich
finden. Diese Aspekte verstärken die positiven Effekte auf Kundenzufriedenheit und -loyalität.
Eine weitere Stärke, die jedoch unter bestimmten Gesichtspunkten
auch als Schwäche gedeutet werden kann (vgl. hierzu auch den nächsten Abschnitt), liegt in der Möglichkeit, sich seinen Schuh online
und in einer gewohnten Umgebung designen zu können. Dies hat
zur Folge, dass die »Hemmschwelle«, den Prozess überhaupt zu starten, sehr gering ist: weder ist man auf fremde Hilfe angewiesen, noch
muss man sich nach bestimmten Öffnungszeiten richten. Anders als
beim individuellen Angebot von Adidas, das bisher nur auf großen
Sportevents und vereinzelte Geschäfte begrenzt ist, ist der Zugang
zum Produkt damit leichter. Bei »miadidas« muss zudem meist vorab
ein Termin vereinbart werden und der Konfigurationsprozess kann
nur mit Hilfe des Verkaufspersonals durchgeführt werden, wodurch
die Hemmschwelle erneut steigen könnte. Anzumerken ist, dass Adidas neben einem individuellen Design auch die Passform der Schuhe
individualisiert. Hierzu werden die Füße des Kunden vermessen, was
einen Online-Verkauf weniger sinnvoll erscheinen lässt beziehungsweise die Komplexität erheblich steigert.
Nike hat durch sein Mass-Customization-Programm außerdem
die Möglichkeit, den Direktvertrieb über das Internet besser kennen
zu lernen. Dieser Vertriebskanal könnte in Zukunft durchaus auch
für diese Art von Produkten verstärkt relevant sein und Nike kann die
Kosten für teure Vertriebsstrukturen, zum Beispiel für Händlernetze,
reduzieren. Zudem sichert sich das Unternehmen aufgrund des Direktvertriebs eine höhere Marge.
Darüber hinaus erhält Nike durch den engen Kontakt zu den
Kunden mehr und vor allem reichere Kundendaten, als dies bei einem
zwischengeschalteten Vertriebskanal der Fall ist. Das Unternehmen
hat die Möglichkeit, mehr über Kundengruppen und bevorzugte Produkte herauszufinden. Letztendlich ist es sogar möglich, aus den gewählten Farbkombinationen auf neueste Trends zu schließen und sich
diese Erkenntnisse im Massengeschäft zunutze zu machen. Künftig
17
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
könnte Nike auch versuchen, die Innovationskraft der Kunden online
verstärkt einzubeziehen, indem Designwettbewerbe oder ähnliches
angeboten werden. Zudem könnte das Unternehmen ein offizielles
Forum im Rahmen der NIKEiD-Homepage einrichten, in dem Kunden mit anderen Kunden diskutieren, Ideen austauschen sowie Kreationen anderer Kunden bewerten können. Dies hätte zusätzlich positive
Auswirkungen auf die Beziehung zu den Kunden (ein Austausch über
Produkte ist bisher nur über das inoffizielle Forum von niketalk.com
möglich). Nike hat mit der Eröffnung des NIKEiD labs in New York
im März 2005 einen Schritt in diese Richtung getan, allerdings bindet
das Unternehmen bisher nur wenige ausgewählte Kunden in den Designprozess ein. [13]
Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, kann die Möglichkeit,
sich seinen Schuh von zu Hause aus über das Internet zu konfigurieren, auch als Schwäche des Systems ausgelegt werden, da der Kunde
letztlich bei seinen Entscheidungen auf sich allein gestellt ist. Treten
Probleme auf, kann zwar eine (kostenlose) Service-Hotline angerufen
(und in den USA zusätzlich der Live-Chat in Anspruch genommen)
werden, allerdings ist fraglich, inwieweit die Nike-Mitarbeiter den
Kunden unterstützen können. Sie können zwar bei technischen Unklarheiten Hilfestellung leisten, aber nicht bei Design-Fragen, da sie
keinen direkten Einblick in die aktuelle Konfiguration des Kunden
haben. Die Mitarbeiter können beispielsweise nur sagen, ob bestimmte Kombinationen häufig gewählt werden oder nicht.
Ebenfalls kritisch zu betrachten ist die niedrige Hemmschwelle,
den Konfigurationsprozess vor Bestellung eines Produktes abzubrechen. Wenn sich der Kunde wie bei miadidas in einem Geschäft oder
auf einem Event befindet und sich ein Mitarbeiter um ihn kümmert,
dann ist die Wahrscheinlichkeit weitaus größer, dass es zu einer erfolgreichen Kaufentscheidung kommt. Allerdings ist anzumerken, dass
18
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Schwächen und Risiken
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
sich die Kunden bei miadidas womöglich erst gar nicht auf eine Konfiguration einlassen, während sie bei NIKEiD vielleicht einfach aus
Spaß herumprobieren und dann spontan kaufen.
Eine weitere Schwäche besteht darin, dass NIKEiD im Gegensatz
zum Mitkonkurrenten Adidas nicht die Möglichkeit bietet, einen
passformgenauen Schuh zu erwerben, obwohl das den wahrgenommenen Kundennutzen sehr wahrscheinlich erhöhen würde. Nike
musste bei dieser Frage sicherlich einen Kompromiss eingehen, da
eine mögliche Erhöhung des Nutzens gleichzeitig mit einer drastisch
steigenden Komplexität des gesamten Prozesses verbunden wäre.
Außerdem wäre damit der Internet-Direktverkauf nicht mehr beziehungsweise nur mit erhöhter Komplexität möglich, da die Füße des
Kunden erst vermessen werden müssten.
Eine Herausforderung besteht darin, bestehende Vertriebskanäle,
insbesondere die Händler, durch den Online-Vertrieb nicht zu kannibalisieren. Falls NIKEiD in Zukunft weiter erfolgreich ist und sich
die Absatzzahlen des Internet-Direktvertriebs erhöhen, könnte dies
Konflikte hervorrufen.
Außerdem ist der gesamte Wertschöpfungsprozess bei NIKEiD
um einiges leichter zu kopieren als dies bei miadidas der Fall ist, wo
sich der Kunde neben dem Design auch einen passformgenauen
Schuh gestalten kann. Dies erhöht die Komplexität grundsätzlich, ermöglicht allerdings eine nachhaltige Abgrenzung von der Konkurrenz.
Dadurch ist die Gefahr, dass Konkurrenten dieses Angebot nachahmen, bei NIKEiD viel akuter. Eine erste Kopie des Systems stellt das
von Puma gerade eingeführte Mongolian Shoe BBQ dar, bei dem sich
der Kunde – jedoch in einem Puma Concept Store – ebenfalls seinen
eigenen Schuh designen kann.
Ausblick
Grundsätzlich sind die zukünftigen Entwicklungschancen von NIKEiD sehr positiv zu bewerten. Einen zumindest kurzfristigen positiven Schub wird die gesamte Branche besonders in Europa durch die
Fußballweltmeisterschaft 2006 erfahren. Dieses Ereignis könnte zu-
19
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
gleich für NIKEiD eine hervorragende Möglichkeit sein, die Bekanntheit und Popularität zu erhöhen. Beispielsweise könnte man den Fans
ermöglichen, sich ihre Schuhe mit den Namen, Designs oder Trikotnummern ihrer Stars zu versehen. NIKEiD selbst will sein Angebot in
Zukunft weiter ausbauen. Noch im Jahr 2005 sollen individualisierbare T-Shirts hinzukommen. Langfristig hat sich das Unternehmen
das ehrgeizige Ziel gesetzt, dem Kunden eine komplette individuelle
Sportausrüstung anzubieten. [10]
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Literatur
[1]Adidas-Salomon AG: Geschäftsbericht 2004, Herzogenaurach, 2004, S. 81
[2]Tietz, Janko: Bereit zum Endspurt, in: Der Spiegel vom 8. August 2005, Heft 32/2005,
S. 66
[3]
20
Nike – niketimeline, http://www.nike.com/nikebiz/media/nike_timeline/Nike_timeline.pdf,
26.07.2005
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Martin Drescher ist Student der Technologie- und Managementorientierten
Betriebswirtschaftslehre (TUM-BWL) an der Technischen Universität München.
Im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes studierte er außerdem an der Hong
Kong University of Science and Technology. Seine betriebswirtschaftlichen Studienschwerpunkte sind Organization, Technology and Management und Service
& Operations Management. In Rahmen seines Technikfachs Maschinenwesen
belegt er die Module Ergonomie und Technisches Produktionsmanagement.
Kontakt: [email protected].
NIKEiD: Individuelles Design von Sportschuhen
[4]Nike – The facts, http://www.nike.com/nikebiz/nikebiz.jhtml?page=3&Item=facts,
26.07.2005
[5]Nike – Origin of the swoosh, http://nike.com/nikebiz/nikebiz.jhtml?page=5&item=origin,
26.07.2005
[6]N-tv.de (2005): Nike legt Rekordergebnis hin, http://www.n-tv.de/548842.html,
29.07.2005
[7]
Protokoll des Online Live-Chats mit NIKEiD Agent Suzanne auf der amerikanischen
Homepage von NIKEiD am 29.07.2005
[8]
Piller, Frank T.: Mass Customization News – Der Newsletter zu Mass Customization und
CRM, 2. Jg., Nr. 12, 1999
[9]Nike: Press release 2001– Get Personal With Nike iD, http://www.nike.com/nikebiz/news/
pressrelease_print.jhtml?year=2001&month=11&letter=b, 26.07.2005
[10] Telefonat mit NIKEiD-Europe Supervisor Abdel Belkasmi am 03.08.2005
[11] Eigene Darstellung in Anlehnung an www.nikeid.com, 26.07.2005
[12] nikeid.com, 26.07.2005
2124.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[13]Silva, Horacio (2005): Just Do It Vourself – At the Nike iD lab, even the totally untrained
get into the sneaker-design game, The New York Times Magazine, 29.05.2005, S. 46-49
21
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Individualreisen werden immer beliebter. Damit gewinnt
der Mass-Customization-Gedanke auch in der Tourimusbranche an Bedeutung und eine Orientierung des Reiseangebotes an den individuellen Kundenbedürfnissen
wird zunehmend wichtiger. Dynamic Packaging heißt
der vielversprechende Ansatz.
Stichworte: Dynamic Packaging, Touristikdienstleistungen,
Reisevermittlung, Pauschalreise, Individualreise, OnlineReiseagenturen, Internet Booking Engine, Click&Mix, Tourdesigner, Kostenstruktur, Erfolgsfaktoren
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Daniel Rögelein, Maribel Rodríguez, Melanie Müller
Kundenindividuelles Reisen mit Dynamic Packaging
Die Reisebranche hat im letzten Jahrzehnt einen nachhaltigen Wandel erfahren. Konnten Reiseveranstalter und Reiseagenturen in den
1990er Jahren noch gut davon leben, verschiedene Reiseleistungen
(Hotel, Flug etc.) als pauschal geschnürtes Paket im Reisebüro anzubieten, so hat sich das Kundenverhalten mit aufkommender Beliebtheit des Internets drastisch verändert. Neue Online-Reiseagenturen,
die so genannten »Reiseportale«, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und offerieren eine Angebotsvielfalt, mit der ein konventionelles Reisebüro kaum noch konkurrieren kann.
Klassische Pauschalreisen verlieren zugunsten von Individualreisen
immer mehr an Bedeutung. Damit wird der Mass-CustomizationGedanke auch in dieser Branche immer aktueller und eine Orientierung des Reiseangebotes an den individuellen Kundenbedürfnissen
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Anschrift
Deutschland
Anschrift
Landshuter Allee 1080637 München
Hotline
01805 900 560
Internet Adresse
www.expedia.de
E-Mail
[email protected]
Gründungsjahr
1999
Branche
Tourismus
erscheint sinnvoll. Die vorliegende Branchenanalyse untersucht die
gegenwärtige Marktdurchdringung und die zukünftigen Erfolgsaussichten des so genannten »Dynamic Packagings«, des kundenindividuellen Angebots von Touristikdienstleistungen für einen (relativ)
großen Absatzmarkt.
Unter den »Best-Practice«-Beispielen der Branche können die
Angebote der Online-Reiseagenturen expedia.de und lastminute.com
gezählt werden. Aber auch kleine Unternehmen wie die Münchner
Jacana Tours GmbH bieten erfolgreich kundenindividuelle Reisen an,
konzentrieren sich jedoch häufig auf einen kleineren Absatzmarkt.
Im Fall von Jacana Tours ist das Angebot auf Individualreisen nach
Afrika beschränkt. Die Konzepte der Anbieter expedia.de (lastminute.
com bietet ein sehr ähnliches Angebot an) und Jacana Tours werden
in dieser Fallstudie genauer erläutert, da sie gewisse Extrempunkte
auf dem Mass-Customization-Spektrum der Reisebranche darstellen.
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Produkt
Pauschal-, Lastminute-, Individualreisen
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Anschrift
Deutschland
Anschrift
Willibaldstraße 2780639 München
Hotline
089 580 80 41
Internet Adresse
www.jacana.de
E-Mail
[email protected]
Gründungsjahr
1991
Branche
Tourismus
Produkt
Individualreisen nach Afrika
Bezug zu Kapitel
4.5 Formen der Kundenintegration
5.1 Produkt- und Leistungsgestaltung
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
5.2 Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
6.2 Preispolitische Potenziale
7
Die Kosten: Economies of Mass Customization
Die Analyse zeigt, wie beide Unternehmensklassen ihr Angebot weiter
verbessern könnten: expedia.de durch ein höheres Maß an Kundenorientierung und Flexibilität, Jacana Tours durch effizientere Prozesse.
Der Beitrag zeigt so, welche Möglichkeiten Mass Customization für
Reiseveranstalter der unterschiedlichsten Größenklassen bietet.
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Branchenumfeld
Bereits um 770 v. Chr. verleitete der Beginn der Olympischen Spiele
Menschen zu einem Ortswechsel. Der Grieche Herodot (480 bis 421
v. Chr.) war einer der Ersten, der sich zum Entdecken neuer Sitten
und Gebräuche auf eine Bildungsreise begab. Er unternahm Fahrten
zu Heilzwecken ebenso wie Wallfahrten zu den Göttertempeln – ein
wesentliches Reisemotiv in der Antike. Reisen zur Erholung und zum
Vergnügen unternahm man auch im alten Rom. Der Ausbau des
Straßennetzes zu militärischen Zwecken förderte die Reiselust und
die Vorlieben für ferne Thermalquellen und Bäder (Badeverkehr).
Erst mit der Zeit der Kreuzzüge und Pilgerfahrten wurde das Reisen
gefährlicher und strapaziöser. Hauptgründe für das »Reisen« waren
jetzt Raubzüge und Kriege, aber auch Handel, Entdeckung und
Geschäftsverkehr. Im 15. und 16. Jahrhundert begann die Zeit der
Weltumseglungen. Seefahrer und Literaten weckten die Sehnsüchte
und die Abenteuerlust der Menschen. Das Reisen ohne religiöse oder
kriegerische Intentionen, wie wir es heute kennen, erlebte erst im 18.
Jahrhundert wieder einen Aufschwung. [1]
Doch das damalige Reisen unterscheidet sich vom heutigen in
einem ganz entscheidenden Punkt: dem Personenkreis. Reisen war bis
weit ins 20. Jahrhundert eine Freizeitbeschäftigung, die den Reichen
vorbehalten blieb, das heißt Geschäftsleuten, Adel, Kirche, Besitzbürgertum und später Beamten. [1] Erst durch die Ausweitung des
Wohlstands in allen Gesellschaftsschichten und ein Mehr an freier
Zeit entwickelte sich der »Massentourismus«, welcher das Gesicht der
Tourismusbranche im 20. und angehenden 21. Jahrhundert prägt.
Seit einigen Jahren erlebt die europäische Tourismusindustrie
jedoch tiefgreifende Veränderungen. Die ehemals treibende Kraft
der Branche, die Pauschalreise, macht in Deutschland nur noch einen Anteil von circa 44 Prozent des Gesamtreisevolumens aus. [2]
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Historie und gegenwärtige Situation der Reisebranche
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Einen nachhaltigen Einbruch des Umsatzes von 25 Prozent erfuhr
der Pauschalreisemarkt durch die Anschläge des 11. September, den
Irak-Krieg sowie SARS. [3] Neben den für viele Unternehmen schädigenden Preiswettkämpfen des Sommers 2002 [4] dämpft überdies die
momentane Wirtschaftskrise die Reiselust der Deutschen. [2] Insbesondere die Reiseagenturen, welche als Vermittler zwischen Anbietern
beziehungsweise Veranstaltern und Kunden fungieren, sehen sich
einem harten Verdrängungswettbewerb gegenüber. [5]
Seitdem viele Anbieter den direkten Kundenkontakt über das
Internet suchen, brechen die Gewinne der Vermittler nachhaltig ein.
[5] Für diese Entwicklung werden insbesondere die so genannten
»Billigflieger« beziehungsweise »No Frills«-Airlines verantwortlich
gemacht. [6] Sie lassen ihren Kunden – vielfach aus Rationalisierungsgründen – keine andere Wahl, als die Flugtickets direkt im Internet
zu erwerben. Während dies generell dazu führt, dass klassische Reiseagenturen weniger genutzt werden [6], erkennen die Touristen auch
zunehmend, dass sie durch eine individuelle Zusammenstellung ihrer
Reise – vor allem unter Einbezug von Angeboten dieser Fluggesellschaften – günstiger reisen als bei Buchung einer vergleichbaren Pauschalreise. [7] Darüber hinaus wird die wirtschaftliche Situation der
Reiseagenturen dadurch belastet, dass die meisten Fluggesellschaften
im Jahr 2003 ihre Kommissionszahlungen auf 1 Prozent kürzten, um
mit den Billigfluggesellschaften weiter konkurrieren zu können. [7]
Neben den Reiseagenturen müssen sich auch klassische Reisekonzerne
dem gewandelten Wettbewerbsumfeld stellen. Der TUI Konzern
beispielsweise strebt eine Neustrukturierung als voll integrierter Touristik-Konzern an, der seinen Kunden einen Traumurlaub aus einer
Hand anbieten kann. [8]
Reiseveranstalter und Reiseagenturen sehen sich also vor die Herausforderung gestellt, in diesem vom Individualitätsbedürfnis der
Kunden einerseits und Margendruck andererseits geprägten Wettbewerbsumfeld zukünftig zu bestehen. Als viel versprechender Ansatz
wird das Angebot kundenindividueller Reisen im Internet gesehen,
welches als Dynamic Packaging bezeichnet wird. Beim Dynamic Pa-
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Zentrale Begriffe und Definitionen
ðComputer-Reservierungssysteme (CRS) »sind spezielle Software-Dienstleister
der Reisebranche. Sie sind das technische Bindeglied zwischen den InhouseSystemen zum Beispiel der Reiseveranstalter und den Reisebüros. CRS
bündeln verschiedene Anbieter unter einer einheitlichen Bedienermaske. So
können zum Beispiel alle Reiseveranstalter im Reisebüro gebucht werden.«
[10]
ðDynamic Packaging »ist die in Echtzeit erfolgte kundengerechte Auswahl,
Bündelung und Buchung von Reisekomponenten aus unterschiedlichen Quellen nach den Regeln des Veranstaltergeschäfts zu einem Gesamtpreis.« [9]
ðInternet-/Online-Booking-Engine (IBE) »Software, die die Angebote der
Reisebüros und Reiseveranstalter im Internet buchbar macht. [...] Erst durch
den Einsatz einer Online-Booking-Engine kann der Kunde am PC Angebote
abfragen und diese ohne Medienbruch selbständig buchen.« [10]
ðReiseagenturen/Reisebüros »vermitteln in aller Regel Reiseleistungen, und
zwar auf Provision von Beförderungsunternehmen (zum Beispiel Fluggesellschaften) oder Reiseveranstaltern.« [10]
ðReiseveranstalter »bündeln Einzelleistungen wie Flug und Hotel zu einem
Gesamtpaket mit einem Gesamtpreis.« [10]
ckaging kann der Kunde Reisekomponenten aus unterschiedlichen
Quellen auswählen, bündeln und buchen. [9] Dynamic Packaging ist
die Mass-Customization-Strategie der Reiseindustrie.
Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, belief sich der Gesamtumsatz der
deutschen Reisebranche im Jahr 2002 auf 33 Milliarden Euro, wozu
Internet-basierte Angebote zu circa 10 Prozent beitrugen. Dieser Wert
erscheint im EU-weiten Vergleich überdurchschnittlich hoch – im
Mittel erwirtschaften virtuelle Touristikunternehmen circa 3 Prozent
des Gesamtumsatzes der Branche [2], was erwarteten 10 Milliarden
Euro in 2004 entspricht. [5] Betrachtet man die deutschen Reiseveranstalter isoliert, setzten sie im Jahr 2001 164 Millionen Euro um,
wobei von einem Anstieg auf 2,2 Milliarden Euro bis zum Jahre 2006
ausgegangen wird. [10] Allgemein wird ein weltweites Wachstum der
Reisebranche in Höhe von circa 10 Prozent jährlich erwartet. [11]
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Wichtige Wettbewerber und deren Angebote
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 1: Gesamtumsatz und Umsatzentwicklung der deutschen Reisebranche on- und offline 1999
bis 2006 [12]
Der Anteil von Dynamic Packaging basierten Reisen am Gesamtumsatz wird in den nächsten Jahren kontinuierlich ansteigen wie Branchenexperten vermuten. Die Gesellschaft für Konsumforschung fand
heraus, dass fast 70 Prozent der Kunden es bevorzugen, ihre Urlausreise selbst zusammenzustellen. Begünstigt wird dieser Trend durch
die äußerst gute Akzeptanz des Internets beim Buchen von Reisen.
Branchenkenner erwarten 2005 einen Anstieg des Umsatzvolumens
bei Online-Buchungen auf rund acht Milliarden Euro oder circa 40
Prozent des Umsatzes der deutschen Reisebranche. Es wird damit gerechnet, dass der Umsatz der Buchungen über das Internet in wenigen
Jahren den Umsatz der Reisebüros übertrifft. [13]
Der deutsche Markt für Tourismusdienstleistungen wird neben
einer Vielzahl kleiner, vielfach inhabergeführter Unternehmen im Wesentlichen durch zwei große Anbieterkreise dominiert. Hierzu zählen
die »klassischen« Reiseveranstalter sowie die in den letzten Jahren hin-
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
x
x
www.expedia.de
x
x
x
www.ferien.de
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x
www.flyloco.de
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www.lastminute.com
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www.lcc24.com
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Dynamic
Package
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Click&Mix
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Locomat
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e-basket
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Urlaubsbaukasten
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www.onlineweg.de
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www.opodo.de
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www.reisen.de
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www.start.de
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www.tiscover.de
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www.travel24.com
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www.travelchannel.de
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www.travelocity.de
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–
www.traveloverland.de
x
x
x
x
x
x
–
zugekommenen Online-Reiseagenturen beziehungsweise Reiseportale,
zum Beispiel expedia.com oder lastminute.com. Die Tabellen 1 und 2
geben einen Überblick über die namhaftesten Anbieter der Branche.
Insbesondere bei den Online-Reiseagenturen ist festzustellen, dass
fast durchgängig Pauschal-, Lastminute-, Flugreisen sowie Hotels und
Mietwagen angeboten werden. Vielfach wird den Kunden die Mög-
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
x
Bezeichnung des
Dynamic-PackagingAngebots
x
x
Tickets
www.ebookers.de
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Mietwagen
x
Busreisen
x
Städtereisen
nur Hotel
x
Kreuzfahrten
nur Flug
x
Ferienhäuser
Lastminute
www.billigweg.de
Bahnreise
Pauschalreise
Online-Reiseagentur
Tabelle 1: Wichtige Angebote großer Online-Reiseagenturen im Internet
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
www.alltours.de
x
www.bucherreisen.de
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www.dertour.de
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www.fti.de
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www.its.de
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www.jahn-reisen.de
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www.ltur.de (kein
Dynamic Packaging,
sondern Filterfunktion
für das Pauschalreiseangebot)
x
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www.meiers-reisen.de
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www.neckermannreisen.de
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www.thomascookreisen.de
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x
www.tjaereborg.de
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www.tui.de
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Bezeichnung des
Dynamic-PackagingAngebots
Tickets
Mietwagen
Busreisen
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Städtereisen
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Kreuzfahrten
x
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Ferienhäuser
nur Hotel
x
www.airtours.de
Bahnreise
nur Flug
Lastminute
Pauschalreise
Reiseveranstalter
Tabelle 2: Wichtige Angebote großer, »klassischer« Reiseveranstalter im
Internet
x
x
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–
–
x
–
x
–
–
x
x
x
x
Kombisuche
lichkeit an die Hand gegeben, unter Einbezug von Partnerangeboten
(zeitlich) zusammenpassende Reisemodule selbst zu bündeln. Eine
voll ausgeprägte Dynamic Packaging-Funktionalität, die Verfügbarkeit
und Abhängigkeiten aller Module berücksichtigt, konnte hingegen
nur bei sechs der 29 Online-Anbieter vorgefunden werden (Stand:
Oktober 2004). Bei den sechs Anbietern ebookers.de, expedia.de, fly-
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Neben den großen Unternehmen existiert eine Vielzahl kleiner und
mittelständischer Anbieter, deren Geschäftsmodell insbesondere auf
der Spezialisierung auf einen kleineren Abnehmerkreis beruht. Ein
solcher Anbieter ist die Münchner Jacana Tours GmbH, der im Folgenden als prototypisches Beispiel dargestellt wird. Dieser Veranstalter
offeriert individualisierte Reisen in den südlichen Teil Afrikas mit
Hilfe eines online verfügbaren Konfigurationstools. Im Gegensatz zu
den großen Reiseportalen und den bekannten »klassischen« Reiseveranstaltern fokussiert das Unternehmen damit eine relativ kleine Zielgruppe: Kunden, die sich eine Individualreise nach Afrika nach den
eigenen Bedürfnissen zusammenstellen möchten. Das Unternehmen
orientiert sich dabei maßgeblich an den Wünschen und Vorstellungen
der Kunden, was zu einer schier unbegrenzten Anzahl unterschiedlicher Reisen führt. Damit ermöglicht Jacana Tours mehr Individualität, als es die großen Reiseportale derzeit bieten. Das Angebot der
Jacana Tours GmbH und ähnlicher Anbieter stellt damit eine weitere
spannende Möglichkeit dar, in der Reisebranche auf die kundenindividuellen Bedürfnisse einzugehen. Aufgrund der Vielzahl kleinerer
Anbieter, die sich auf das Angebot verschiedenster Arten kundenindividueller Reisen spezialisiert haben, ist es im Rahmen dieser Fallstudie
nicht möglich, einen Überblick zu liefern. Die Jacana Tours GmbH
10
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
loco.de, lastminute.com, onlineweg.de und TUI ist es nicht nur möglich, Verfügbarkeit und Abhängigkeit der Reisekomponenten online
zu prüfen, sondern eine Reise auch direkt zu buchen.
Neben diesen Agenturen und Veranstaltern, welche hauptsächlich
gebündelte Reisepakete offerieren (also mindestens Anreise und Unterkunft), tritt eine Reihe von Anbietern spezieller Leistungen über
das Internet in direkten Kontakt mit den Kunden. Hierzu zählen zum
Beispiel Fluglinien wie Hapag-Lloyd (hlx.com, hlf.de) oder Germania
Express (gexx.de). Sie bieten jedoch in der Regel keine (ausgeprägte)
Möglichkeit zur Bündelung von Einzelleistungen. Kunden greifen auf
diese Angebote jedoch gerne zurück, wenn sie ihre Reise »von Hand«
zusammenstellen möchten.
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
wird aufgrund ihres erfolgversprechenden Konzeptes beispielhaft dargestellt.
Das Mass-Customization-Angebot der Reisebranche
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Hintergrund der Einführung von Dynamic Packaging
Das kundenindividuelle Angebot von Reiseleistungen ist nicht etwa
eine Errungenschaft des Internet-Zeitalters, sondern wurde bereits vor
150 Jahren praktiziert. Im Jahre 1841 organisierte Thomas Cook unter Zuhilfenahme von Morsetelegraphie eine Zugreise für 500 Gläubige von Leicester nach Loughborough inklusive Teilnahmemöglichkeit
an einer religiösen Veranstaltung. [14] Dieser individuelle Ansatz
wirkte jedoch nicht nachhaltig – »vorgebündelte« Pauschalreisen mit
starrer Dauer von 7 oder 14 Tagen bestimmten im letzten Jahrzehnt
das Bild der Reisebranche. [14] Doch die Regeln des Wettbewerbs
haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Insbesondere die Vermittler von Reisen sehen sich einer erhöhten Preistransparenz gegenüber,
welche die Abnehmermacht des Kunden stärkt und seine Loyalität zu
bestimmten Anbietern schwächt. [5] Diese Entwicklung wirkt sich
ungünstig auf die Gewinnmargen der Anbieter aus. Zudem werden
die Wünsche der Kunden immer individueller, weshalb sich Anbieter
von Pauschalreisen vor die Frage gestellt sehen, nach welchen Maßgaben diese zu bündeln sind, um die Bedürfnisse einer möglichst
großen Menge von Kunden überhaupt noch zu befriedigen. [15] Als
Folge dieses Wandels wurden die Pauschalreiseangebote notgedrungen
wieder entflochten, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, Hotels, Flüge und Mietwagen individuell zusammenstellen zu können.
[5] Dieses Vorgehen prägte vor allem im Umfeld der Reiseveranstalter
den Begriff des »Baukastentourismus«. [15]
Die Online-Reiseagenturen reagierten zunächst pragmatisch und
entwarfen immer aufwändigere Filtermechanismen, um den Kunden
die Auswahl aus dem reichhaltigen Angebot an Pauschalreisen zu vereinfachen. Dieses Prinzip liegt noch heute den meisten Reiseportalen
11
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
zugrunde. [16] Die Filterfunktion wird allerdings weder der Definition von Mass Customization noch der von Dynamic Packaging
gerecht, da die Bedürfnisse des Kunden bei der Bündelung der Einzelleistungen nicht miteinbezogen werden.
Einen neuartigen, an den Kundenbedürfnissen orientierten Ansatz
stellt das Dynamic Packaging dar, das die Auswahl und Bündelung
zusammenpassender Einzelleistungen durch den Kunden in Echtzeit
ermöglicht. Nur wenige Anbieter, unter ihnen expedia.de und lastminute.com, bieten es bereits heute in einer zur Pauschalreise konkurrenzfähigen Form an. Ob Dynamic Packaging die Pauschalreise
zukünftig verdrängen wird oder diese nur komplementiert, kann nur
schwer vorhergesagt werden. [16] In England zeichnet sich allerdings
bereits ein Rückgang des Anteils der Pauschalreisen zugunsten des
Dynamic Packagings ab. [7]
Einen der umfangreichsten Ansätze zum Dynamic Packaging bietet
der Anbieter expedia.de. In Tabelle 3 werden expedia.de und weitere
wichtige Dynamic-Packaging-Angebote verglichen (mit Stand Oktober 2004). Das Angebot des Anbieters Jacana Tours GmbH wurde
ebenfalls in die Betrachtung aufgenommen. Zwar kann das Unternehmen nicht als klassischer Dynamic-Packaging-Anbieter betrachtet
werden, allerdings bietet Jacana Tours ein wesentlich höheres Maß
an Individualisierungsmöglichkeiten. Neben Rundreise, Hotel, Hoteleigenschaften oder ganzen Touren kann der Kunde Hoteltransfer,
Kamelritte und andere Ausflüge wählen. Darüber hinaus können
individuelle Wünsche »manuell« Berücksichtigung finden, da eine
Machbarkeitsprüfung durch die Jacana Mitarbeiter erfolgt. Jacana
kann damit als eine moderne Interpretation der klassischen individuellen »Einzelfertigung« einer Dienstleistung gesehen werden.
12
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Vergleich ausgewählter Dynamic-Packaging-Angebote
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Tabelle 3: Funktionaler Vergleich wichtiger Dynamic-Packaging-Angebote
Anbieter
Anzahl
Destinationen
Kombination von
Individualisierungsmöglichkeiten
99
Flug, Hotel
Flug, Hotel
>> 100
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Eigenschaften
Hotelzimmer,
Mietwagen
www.flyloco.de –
»Locomat«
63
Flug, Hotel
Flug, Hotel
www.jacana.de –
»Tourdesigner«
75
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Hotel,
Mietwagen
Hoteltransfer,
Ausflüge etc.
(individuell
abstimmbar)
lastminute.com
(UK) –
»e-basket«
>> 100
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Eigenschaften
Hotelzimmer,
Mietwagen
Versicherung,
Sight Seeing,
Restaurantbesuche,
Hoteltransfer...
www.lastminute.
com (D) –
»e-basket«
47
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Hotel,
Mietwagen
Versicherung
www.onlineweg.de –
»Urlaubsbaukasten«
10
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Eigenschaften
Hotelzimmer,
Mietwagen
Versicherung
>> 100
Flug, Hotel,
Mietwagen
Flug, Hotel,
Mietwagen
www.ebookers.de –
»Dynamic Package«
www.expedia.de –
»Click&Mix«
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Charakteristika des Angebots
www.tui.de –
»Kombisuche«
Zusatz-leistungen
–
Versicherung,
Sight Seeing,
Restaurantbesuche etc.
–
–
Prozesse und Strukturen von Mass Customization in
der Reisebranche
Reiseagenturen aller Größen setzen ein weitgehend einheitliches Modell für die unternehmensinternen Prozesse der Reisevermittlung ein.
In diesen Prozessen können sich jedoch Unterschiede in der Interaktion mit den Kunden ergeben. Kleine Reiseagenturen wie die Münch-
13
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
ner Jacana Tours GmbH setzen in stärkerem Maße auf persönlichen
Kundenkontakt als beispielsweise große Anbieter wie expedia.de.
Der Prozess der Vermittlung einer Dynamic-Packaging-Reise im
Internet wird im Wesentlichen durch das Zusammenspiel von IT-Systemen der Komponentenanbieter, Reiseveranstalter, Reiseagenturen
und des Kunden realisiert. So veröffentlichen beispielsweise Anbieter von Flügen oder Hotels ihre freien Kapazitäten in so genannten
»Inventories« (Datenbanken), auf die Reiseagenturen mit Hilfe von
Computer-Reservierungs-Systemen zugreifen können. [17] Reiseveranstalter, die Kontingente der Anbieter aufkaufen und beispielsweise
zu Pauschalreisen bündeln, veröffentlichen diese Komplettangebote
ebenfalls in entsprechenden Inventories. Der Kunde kommuniziert
mit der Online-Reiseagentur in der Regel über deren Internetpräsenz
beziehungsweise »Internet Booking Engine« (oder zum Beispiel über
ein Callcenter).
Während bei der Vermittlung von Komplett- beziehungsweise
Pauschalreisen in der Regel eine Selektion der Angebote der Reiseveranstalter gemäß der vom Kunden vorgegebenen Kriterien erfolgt
(»Filterung«), werden beim Dynamic Packaging sämtliche in Frage
kommenden Komponenten der Reise einzeln und in Echtzeit in den
entsprechenden Inventories recherchiert. Das System hat dabei vor
allem die Verfügbarkeit und Abhängigkeit der einzelnen Komponenten zu berücksichtigen und die Preisbildung durchzuführen.
Die Dynamic Packaging Logik sollte auch Zugriff auf verfügbare
Pauschalreisen haben. Dies hat zweierlei Gründe: zum einen erhöht
sich hierdurch die Wahrscheinlichkeit, dass eine den Wünschen des
Kunden entsprechende Reise gefunden und angeboten werden kann.
Zum anderen muss das System Kenntnis von verfügbaren Pauschalreiseangeboten haben, die sich mit den Eigenschaften einer vom Kun-
14
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Generische Prozessbeschreibung aus Sicht der beteiligten
Unternehmen
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Abb. 2: Schema der Reisevermittlung durch Online-Reiseagenturen
den konfigurierten Individualreise decken. Da anzunehmen ist, dass
Kunden selbst Preisvergleiche durchführen, kann der Gesamtpreis der
Individualreise so gewählt werden, dass er den der Pauschalreise nicht
oder nur geringfügig übersteigt. [17] Eine zusammenfassende Darstellung dieses Prozesses ist Abbildung 2 zu entnehmen.
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Prozessbeschreibung aus Kundensicht
»Click&Mix« von expedia.de
»Click&Mix« von expedia.de stellt derzeit eines der umfangreichsten
Dynamic-Packaging-Angebote im deutschen Raum dar. Es wird auf
der Homepage neben Pauschal- und Lastminute-Reisen direkt beworben. Hier kann sich der Kunde eine Reise zu weit mehr als 100 Destinationen nach individuellen Wünschen zusammenstellen lassen. Das
System kombiniert hierbei Reisekomponenten wie zum Beispiel Flug,
Hotel, Mietwagen oder Theaterbesuche unter Berücksichtigung von
Abhängigkeiten und Verfügbarkeit. Den Ausgangspunkt bildet die
15
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Auswahl von Reiseziel, -zeitraum und Anzahl der reisenden Personen
beziehungsweise Hotelzimmer (vgl. Abb. 3).
Im nachfolgenden Schritt kann der Kunde aus einer Reihe von
Basisvarianten seiner Reise auswählen, die den zuvor festgelegten
Kriterien entsprechen (vgl. Abb. 4). Jede Variante repräsentiert eine
Kombination aus Flug, Hotel und Mietwagen und wird zu einem Gesamtpreis ausgewiesen.
Nach Auswahl einer Basisvariante kann der Kunde Modifikationen hinsichtlich des Fluges (Airline, Zeit), der Zimmerausstattung
des zuvor gewählten Hotels sowie der Beschaffenheit des Mietwagens
vornehmen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zum Abschluss
einer Reiseversicherung (vgl. Abb. 5).
Im Anschluss an die Selektion der Grundkomponenten Flug, Hotel und Mietwagen kann der Benutzer noch aus einer großen Anzahl
zusätzlicher Aktivitäten an der Destination auswählen (vgl. Abb. 6).
Hierzu gehören zum Beispiel Musicalaufführungen, Sight Seeing
oder Restaurantbesuche. Im Angebot solcher Zusatzleistungen kann
ein entscheidender Differenzierungsvorteil von Dynamic-PackagingReisen gegenüber der konventionellen Pauschalreise gesehen werden,
16
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 3: »Click&Mix«-Angebot auf expedia.de
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 4: Auswahl verfügbarer Flug/Hotel/Mietwagen-Kombinationen im Sinne einer Basiskonfiguration der Reise (gekürzte Darstellung)
da sie der Reise einen einzigartigen Charakter geben und somit dem
Wunsch der Kunden nach einem einmaligen und exklusiven Erlebnis
entgegen kommen.
Den Abschluss der Buchung bildet die Bestätigung der ausgewählten Optionen sowie der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des
Anbieters. Hierzu ist das Anlegen eines Benutzerkontos erforderlich.
Der Konfigurationsvorgang ist insgesamt sehr durchgängig und
übersichtlich, vermittelt jedoch vor allem aufgrund des hohen Textanteils und der bei der Buchung erforderlichen Aufmerksamkeit kein
»Fluss-Erlebnis«, wie es sich zum Beispiel bei interaktiven, graphisch
orientierten Mass-Customization-Konfiguratoren einstellen kann. Die
17
Abb. 5: Individualisierung des Fluges, der Zimmerausstattung, des Mietwagens sowie Auswahl
einer Reiseversicherung
18
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 6: Auswahl zusätzlicher Aktivitäten (gekürzte Darstellung)
Darstellung der Preise der einzelnen Komponenten ist für den Benutzer bewusst weniger transparent gestaltet, um ein direktes Vergleichen
unterschiedlicher Angebote durch den Kunden zu erschweren. Bei der
Individualisierung der Komponenten werden lediglich preisliche Abweichungen von der Basisvariante ausgewiesen.
»Tourdesigner« von Jacana Tours GmbH
Eine andere Vorgehensweise zur Zusammenstellung einer individuellen Reise bietet der »Tourdesigner« der Jacana Tours GmbH (www.
jacana.de) für das Reiseziel Afrika an. Der Vorteil für den Kunden
19
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Abb. 7: Tourdesigner der Jacana Tours GmbH
Der Kunde erhält zunächst ein Angebot zu dem von ihm ausgewählten Reiseplan. Die Buchung erfolgt letztendlich mit einer Unterzeichnung des zugesandten Angebots. Sollte der Kunde mit dem Angebot
nicht einverstanden sein, bietet die Jacana Tours GmbH zusätzlich die
20
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
liegt darin, dass er seine eigene Route gestalten kann. Der Tourdesigner vermittelt als Hilfestellung einen Einblick in die einzelnen
Reiseziele. Der Kunde klickt sich bei Jacana Tours etappenweise
durch das Land seiner Wahl und erhält zu jeder Stadt die wichtigsten
Informationen sowie ausgewählte Unterkünfte angeboten. Sowohl bei
den einzelnen Etappen als auch bei den Unterkünften und Mietwagen
entscheidet er ganz nach seinen Wünschen. Der Kunde sendet den
gewünschten Reiseplan anschließend per E-Mail an den Reiseveranstalter Jacana Tours GmbH. Dabei ist es möglich, die Reiseplanung
über einen Zeitraum von 14 Tagen auszudehnen, da der persönliche
Reiseplan unter einem Benutzernamen abgespeichert und somit immer wieder aufgerufen werden kann. In Abbildung 7 wird der Prozess
aus Sicht des Kunden dargestellt.
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Möglichkeit, einzelne Reisekomponenten zu verändern. [18] Auch
der Prozess bei Jacana ist sehr übersichtlich und einfach handhabbar
gestaltet. Im Gegensatz zu expedia.de kann der Kunde die beabsichtigte Reise jedoch nicht online buchen, sondern muss auf die Bestätigung durch das Unternehmen warten. Es handelt sich damit nicht
um eine Konfiguration der Leistung im eigentlichen Sinne, sondern
vielmehr um eine sehr strukturierte Übermittlung einer Buchungsanfrage, die anschließend individuell von einem Mitarbeiter des Anbieters bearbeitet wird. Durch die Vorstrukturierung kann allerdings
diese klassische Leistung eines Reiseanbieters effizienter und schneller
erbracht werden. Bei »Click&Mix« von Expedia ist dagegen die gesamte Zusammenstellung und Reisebuchung automatisiert. Preislich
liegt Jacana Tours GmbH über den Angeboten der großen DynamicPackaging-Anbieter. Hierfür werden allerdings auch umfassende Individualisierungsoptionen und – auf Wunsch – eine individuelle Beratung geboten, die die Zahlungsbereitschaft erhöhen. Zudem sind die
angebotenen Reiseziele eher im gehobenen Segment und oft exklusiv
über diesen Anbieter buchbar.
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Veränderung der Kostenstruktur durch Dynamic Packaging
Aus theoretischer Sicht bietet Dynamic Packaging dem Anbieter
die Möglichkeit, die Konsumentenrente der Kunden abzuschöpfen,
da den Kunden der Preisvergleich erschwert oder nicht möglich ist.
Hierbei kann der Fokus beispielsweise auf eine komplett nach den
eigenen Bedürfnissen zusammengestellten Reiseroute oder auf Zusatzleistungen an der Destination gerichtet werden, deren Preisstruktur
sich dem Kunden nicht ohne weiteres erschließt (zum Beispiel Tagesausflüge). Jedoch zeigt sich heute, dass Dynamic Packaging in der
Regel nicht als Instrument zu Preissteigerungen genutzt werden kann.
Wie bereits erläutert, ist die Einführung von Dynamic Packaging als
Antwort auf die branchenweit rückläufigen Umsätze, insbesondere
im Pauschalreisemarkt, zu werten. Aufgrund des hohen Konkurrenz-
21
drucks auf Anbieterseite und der Transparenz des Marktes sehen sich
die Dynamic-Packaging-Anbieter momentan vielfach nicht imstande,
die Zahlungsbereitschaft der Kunden im Vergleich zur Pauschalreise
zu erhöhen. Ziel ist vielmehr, angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage mit Hilfe von Dynamic Packaging den jeweiligen
Umsatz zu sichern oder ausbauen. [17] Während Anbieter TUI sein
Individualreiseangebot generell nicht teurer als die pauschalen Angebote gestaltet [17], stellt expedia.de den »Click&Mix«- Kunden sogar
Preisersparnisse bis zu 30 Prozent im Vergleich zur Buchung von Einzelleistungen in Aussicht. [19] In einer von der Marktforschungsfirma
Ulysses im Frühjahr 2003 durchgeführten Studie wurden bei Gegenüberstellung vergleichbarer Individual- und Pauschalreiseangebote
Preiszuschläge von 7 Prozent beziehungsweise 1,5 Prozent, aber auch
Preisnachlässe von 3 Prozent beziehungsweise 0,5 Prozent festgestellt.
[15]
Die mangelnde Zahlungsbereitschaft ist überdies vor dem Hintergrund zusätzlicher Kosten durch die Einführung von Dynamic Packaging zu sehen. Insbesondere die Entwicklung neuer Datenbanken
(Inventories) zur Speicherung der komponentenbezogenen Informationen und deren Betrieb parallel zu den bestehenden KomplettreiseInventories stellt eine zusätzliche Kostenbelastung dar. [17] Darüber
hinaus müssen Reiseveranstalter beziehungsweise Reiseagenturen geeignete Dynamic-Packaging-Softwarelösungen erwerben und in ihre
Internet Booking Engines integrieren. [17]
Der zusätzlichen finanziellen Belastung durch Dynamic Packaging
stehen jedoch auch neue Kosteneinsparpotenziale gegenüber. Ein
Vorteil ergibt sich dadurch, dass die großen Reiseveranstalter weniger
Kataloge drucken müssen, wenn die Kunden ihre Reise online via
Dynamic Packaging buchen. Hinzu kommt, eine in sich höhere Flexibilität des Angebots, das grundsätzlich geeignet ist, mehr Kunden
besser zufrieden zu stellen, und sich damit positiv auf den Absatz
insgesamt auswirkt. [13] Insbesondere könnten Reiseveranstalter
theoretisch auf den »vorsorglichen« Aufkauf von Kontingenten der
Anbieter verzichten beziehungsweise diese nur nach tatsächlichem
22
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Bedarf der Kunden in Anspruch nehmen. Während dieser Ansatz auf
wenig Gegenliebe der Anbieter stoßen dürfte und daher eher theoretischer Natur ist, können Reiseveranstalter jedoch durch das Angebot
von Dynamic-Packaging-Reisen viel über die Präferenzstrukturen
ihrer Kunden lernen. Hierdurch ließe sich in einem ersten Schritt
das Angebot von Pauschalreisen besser an den Kundenbedürfnissen
ausrichten, was ebenfalls den Anteil aufgekaufter und nicht genutzter
Anbieterkontingente reduzieren könnte. Außerdem können Reiseveranstalter nicht nur durch die Umwandlung von Pauschalreisen
in (günstige) Lastminute-Reisen versuchen, ihre schwer absetzbaren
Komplettreisen zu verkaufen, sondern die Komponenten dieser Reisen separat in entsprechenden Inventories anbieten. [9] Durch die
Einführung von Dynamic Packaging können bei Reiseveranstaltern
also vor allem Risikokosten gesenkt werden. Die Anbieter kommen
allerdings um die Einführung neuer Angebote insgesamt nicht herum,
da es im Moment eher darum geht die Marktposition zu halten und
nicht vom Markt zu verschwinden.
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Bewertung des Mass-Customization-Angebots in der
Reisebranche
Die Stärken und Chancen sowie Schwächen und Risiken des Dynamic-Packaging-Modells stellen die beiden Kästen »Starken und Chancen« und »Schwächen und Risiken« gegenüber.
Erfolgsfaktoren für die zukünftige Entwicklung von
Mass Customization in der Reisebranche
Branchenintern stehen Anbieter von Dynamic-Packaging-Reisen vor
allem in Konkurrenz zu Pauschalreiseveranstaltern, wobei der Wettbewerb nicht über Produktdifferenzierung, sondern hauptsächlich über
den Preis geführt wird. Es ist daher wesentlich für die Anbieter von
Dynamic-Packaging-Reisen, eine kostengünstige Reisevermittlung auf
Basis stabiler und durchrationalisierter Prozesse zu verwirklichen, von
23
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Stärken und Chancen von Dynamic Packaging
ihren Kunden zu lernen und diese unter Nutzung dieses Wissens an
sich zu binden.
Ähnlich Pauschalreiseveranstaltern müssen sie ihren Kunden das
Gefühl geben, aus einer großen Angebotsvielfalt wählen zu können
und die Reise aus einer Hand sowie zu einem günstigen Preis zu
erhalten. Hierzu ist zum einen ein großes Netz von Komponentenlieferanten aufzubauen. Zum anderen erscheint ein Auftreten als
Reiseveranstalter trotz der Haftungsproblematik unumgänglich, zumal Anbieter wie Hotelketten oder Fluglinien ihre günstigen »Tour
Operator Preise« nur Reiseveranstaltern anbieten. [9] Trotz der Er-
24
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
ðDynamic-Packaging-Anbieter können ihr Angebot sehr flexibel an den
Kundenwünschen ausrichten. Dies kommt dem beobachtbaren Individualisierungstrend bei den Reisenden entgegen. [15]
ðMit Hilfe von Dynamic Packaging ist es möglich, die Kundenpräferenzen
genau zu ermitteln und zu erfassen. Einer rückläufigen Loyalität der Kunden
zu den Anbietern [5] kann durch Maßnahmen zur Kundenbindung, insbesondere durch Nutzung der gespeicherten Kundendaten, begegnet werden.
ðEin Abschöpfen von Zahlungsbereitschaft ist durch ein besonders gut auf die
individuellen Bedürfnisse abgestimmtes Angebot möglich.
ðKunden können sich ihre Individualreise zwar auch selbst aus den Komponenten verschiedener, günstiger Anbieter zusammenstellen und sind damit
nicht unbedingt auf Dynamic-Packaging-Angebote angewiesen. Die Stärke
von Dynamic Packaging ist, dass Kunden einen Sicherungsschein vom Online-Reiseveranstalter erhalten, wodurch sie bei Insolvenz, beispielsweise der
Fluglinie, abgesichert sind.
ðInsbesondere bei großen Reiseveranstaltern können Risikokosten aus aufgekauften, nicht genutzten Anbieterkontingenten durch genauere Kenntnis der
Kundenpräferenzen reduziert werden.
ðInsbesondere kleine Unternehmen können unter Einsatz von Mass-Customization-Technologie mit geringem Personalaufwand Nischenmärkte erschließen beziehungsweise dort auftreten.
ðDie »Reise« ist ein Informationsgut, stark emotional geprägt und somit
prädestiniert für Präsentation und Verkauf im Internet. [11] Dies kommt den
Anbietern von Online-Reisen generell, aber insbesondere auch den DynamicPackaging-Anbietern entgegen, die sich weitgehend auf einen internetgestützten Kundenkontakt konzentrieren.
ðDie flexible Integration von Angeboten der »Billigflug-Airlines« schafft die
Chance für Dynamic-Packaging-Anbieter, konkurrenzfähige Preise zu bieten
beziehungsweise den Kunden die Alternative eines optimalen Flugplans im
Gegensatz zu einem günstigen Preis einfacher zu verdeutlichen. [11]
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Schwächen und Risiken von Dynamic Packaging
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
ðHöhere Margen sind bei Dynamic Packaging schwer zu erzielen, da der Markt
transparent ist und Kunden jederzeit Individual- mit Pauschalreiseangeboten
vergleichen können.
ðEs besteht die Gefahr, dass Kunden von einer zu hohen Variantenvielfalt überwältigt werden und den Konfigurationsprozess abbrechen.
ðDynamic Packaging verursacht bei großen Anbietern ein hohes Datenaufkommen in den Inventories, welches in einem ungünstigen Verhältnis zu den
Abschlüssen steht (»Look-to-book-rate«). [20]
ðEs entstehen zusätzliche Kosten durch Neuentwicklung von Datenbank-Systemen und Web-Frontends.
ðRechtliche Aspekte: Wer Dynamic Packaging anbietet, wird juristisch fast
immer als Veranstalter eingestuft. [21] Hieraus ergibt sich eine Verantwortlichkeit des Anbieters für die Erbringung der Leistung insgesamt (Haftung!).
[22]
ðAbhängigkeit des Erfolgs von Dynamic Packaging von der Konjunktur beziehungsweise der generellen Entwicklung der Reisebranche, zum Beispiel auch
von Krisen, Krankheiten oder Anschlägen. Es zeigt sich beispielsweise auch
der Trend, dass junge Menschen, ihre Reisen selbst zu organisieren beziehungsweise »spontan« reisen.
fordernis einer »kritischen Größe« muss die Unternehmensstruktur
der Anbieter flexibel genug bleiben, um zukunftsfähige Lösungen zur
Neukundengewinnung und Kundenbindung zu realisieren und auf
plötzliche Veränderungen der Nachfragesituation schnell und nachhaltig reagieren zu können. Hier können größere Anbieter von den
kleineren Unternehmen lernen.
In Kundenorientierung und Flexibilität sind somit die wesentlichen Erfolgsfaktoren für einen weiteren Bedeutungsgewinn des
Dynamic Packagings gegenüber der Pauschalreise zu sehen. Jedoch
bleibt abzuwarten, ob ausschließlich große Unternehmen mit gut
skalierenden Prozessen und hoher, gleichwohl begrenzter Angebotsvielfalt Gewinner dieses Paradigmenwechsels hin zum individuellen
Reisen sein werden. Gerade kleine Unternehmen könnten durch ihre
Fähigkeit, wirklich individuell auf die Kundenwünsche eingehen zu
können und sie nicht auf einen diskreten Lösungsraum reduzieren zu
müssen, im Vorteil sein.
25
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
Dipl.-Ing. Daniel Rögelein studierte von 1997 bis 2002 Elektrotechnik und Informationstechnik mit Schwerpunkt Kommunikationsnetze an der Technischen
Universität München. Nach einjähriger Tätigkeit in der Geschäftsführung eines
Münchner Ingenieurbüros nahm er 2003 das Managementorientierte betriebswirtschaftliche Aufbaustudium an der TU München auf. Sein Interesse gilt dem
Themenkomplex der Netzwerkorganisationen.
Kontakt: [email protected].
Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Maribel Rodríguez studierte Elektro- und Informationstechnik an der »Universitat Autònoma de Barcelona«, Spanien. Nach vier
Jahren Berufserfahrung in der Automobilindustrie, nahm sie das Managementorientierte betriebswirtschaftliche Aufbaustudium an der TU München mit den
Schwerpunkten Logistik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen auf. Sie ist
derzeit als Projektleiterin bei einem deutschen, weltweit tätigen Automobilhersteller beschäftigt.
Kontakt: [email protected].
Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].
Literatur
o.A.d.V.:
Die Schweizer Reisebranche. Zürich: 2004
[2]
Deraëd, Pierre: Potenziale in der Tourismus-Krise. 2003
[3]
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07.11.2003
[4]
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Schlechte Zeiten für Kurzentschlossene, in: manager-magazin.de,
06.11.2003
[5]
Schmidt, Holger: Internet – Im Online-Reisemarkt tobt ein harter Verdrängungswettbewerb, in: faz.net, 26.07.2004
[6]
Strobel y Serra, Jakob: Reisebuchungen – Alles im Netz, in: faz.net, 07.07.2004
26
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[1]
Dynamic Packaging: Mass Customization in der Reisebranche
[7]
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Dynamic Packaging – the UK market, Anite travel systems, 2003
[8]
Machatschke, Michael: TUI: Schön wie im Katalog, in: manager-magazin.de,
01.10.2003
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Rogl, Dirk: Schwieriges Spiel mit den Bausteinen, in: FVW 24, Band 37, Heft 24, S. 56
– 61. Hamburg: 2003
[10]Geisen, Bernd: E-facts – Informationen zum E-Business, Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit, 2003
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(Umsatz, 2003): Web-Tourismus 2003: Gesamtumsatz und Umsatzentwicklung
der Reisebranche on- und offline 1999 bis 2006, HighText Verlag
[13]Büchsel, Christiane: Günstig in den Urlaub klicken, in: Welt am Sonntag, 31.07.2005,
Heft 31/2005, S. 35
[14]Kärcher, Karsten: Urlaub per Mausklick: Die Potenziale des Dynamic Packaging, Tiscover
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o.A.d.V.:
Baukasten-Tourismus:Pauschal vs. individualisierte Pauschalreise Ulysses, 2003
[16] Spiers, Ed: Dynamic Packaging: The Consumer’s Choice, Anite travel systems, 2002
[17] Gespräch vom 01.07.2004 mit Stephan Haller, Dr. Fried&Partner UB, München
1970.01.01 – © Symposion Publishing 2006
[18] Gespräch vom 26.07.2004 mit der Geschäftsführung von Jacana Tours
[19]
o.A.d.V.:
Click&Mix, expedia.de
[20]
o.A.d.V.:
Dynamic Packaging – Integration in Backoffice-Systeme, Bewotec Deutschland,
2003
[21]
o.A.d.V.:
DRV-Expertenkreis Onlinevertrieb: Fast 100 Teilnehmer beim Forum Dynamic
Packaging, Deutscher Reisebüro und Reiseveranstalter Verband
[22] Vogel, Hans-Josef: Dynamic Packaging: Rechtliche Aspekte, 2002
27
Linel: Mass Customization in der
Wasseraufbereitungsbranche
Anlagen zur Wasserfiltration müssen vielen spezifischen Gegebenheiten gerecht werden und sind hoch
individuell. In der Abwasserbehandlungsbranche gibt es
allerdings noch kein ausgereiftes Mass-CustomizationAngebot. Der Beitrag beleuchtet die Realisierungschancen am Beispiel der Linel GmbH.
Stichwörter: Trinkwasseraufbereitung, Abwasserfiltration, Entsorgungs- und Abfallwirtschaft, Filtrationsanlagen, OnlineKonfiguration, Modulbauweise, Einsparpotenziale, Customer
Relationship Management
Michael Erspamer, Melanie Müller
Branchen- und Unternehmensüberblick
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Die Wasser- und Abwasserbehandlungsbranche
Wasser ist ein wichtiges und lebensnotwendiges Gut. Sowohl als
Trinkwasser im täglichen Leben als auch als Wasch-, Lösungs- und
Kühlmittel in der Industrie ist Wasser unverzichtbar. Dabei sind
lediglich 0,3 Prozent des gesamten Wasserreservoirs der Erde als
Trinkwasser nutzbar. Im Gegensatz zu anderen Rohstoffen unterliegt
der Wasservorrat einem ständigen Kreislauf aus Verdunstung und
Niederschlag. Somit kann sich die Menge an Wasser insgesamt nicht
verringern. Allerdings kann sich die Qualität verschlechtern, beispielsweise dadurch, dass belastende Stoffe in Gewässer eindringen. [1]
Auch andere ökologische Faktoren lassen Wasser als ein zunehmend
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Land
Europa/Italien
Anschrift Hauptniederlassung
Alfred-Ammon-Str. 20
39042 Brixen, Italien
Hotline Service-Center
0472/275000
Internetadresse
www.linel.it
E-Mail
[email protected]
Branche
Filtrationstechnik, Gebäudetechnik, Netzbau, Telekommunikation
Produkt
Anlagen zur Wasserfiltration
Bezug zu Kapitel
4.5Formen der Kundenintegration
5.1Produkt- und Leistungsgestaltung
5.2Prozessgestaltung: Aufbau des Interaktionssystems
6.2Preispolitische Potenziale
7 Die Kosten: Economies of Mass Customization
knappes Gut erscheinen. So herrscht beispielsweise in Süditalien ein
derart großer Süßwassermangel, dass in vielen Gemeinden täglich nur
wenige Stunden fließendes (»süßes«) Wasser zur Verfügung steht. Der
Bedarf an innovativen Lösungen wie Wasserentsalzungs- oder Trinkwasseraufbereitungsanlagen scheint damit ständig zu wachsen. Zudem
erfordern verschärfte Umweltauflagen auch die Behandlung von Prozesswasser, zum Beispiel in der Metallverarbeitungsindustrie.
Zur Befriedigung dieser Nachfrage steht ein sehr großes Angebot
an Lösungen zur Verfügung. Genaue Daten über die weltweite Anzahl entsprechender Unternehmen liegen nicht vor, da es sich oft um
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
8.3Kundenintegration als Basis für erfolgreiches CRM
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
recht kleine und lokal spezialisierte Betriebe handelt. Einen guten
Anhaltspunkt liefern allerdings Daten der weltweiten Leitmesse für
Entsorgungs- und Abfallwirtschaft, der IFAT München [2]: So stellten im Jahre 2002 919 Unternehmen aus dem Bereich Wasser- und
Abwasserbehandlung aus. Der spezielle Bereich der Membrananlagenbauer, zu denen auch das Unternehmen Linel GmbH gehört, umfasste 81 Anbieter. Im Vergleich zur Messe im Jahre 1999 waren jedoch
rund 40 Prozent der damals teilnehmenden Unternehmen nicht
mehr anwesend. Dies deutet auf einen hart umkämpften Markt, in
dem das Überleben für kleinere unabhängige mittelständische Unternehmen schwer ist und der zunehmend von größeren Unternehmen
beherrscht wird.
Das Unternehmen Linel GmbH
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Die Linel GmbH war ursprünglich ein italienisches Tochterunternehmen der SAG Energieversorgungslösungen GmbH und ist seit nunmehr 30 Jahren als eigenständiges Unternehmen vorwiegend auf dem
deutsch- und italienischsprachigen Markt tätig. Das Unternehmen
beschäftigt derzeit etwa 80 Mitarbeiter.
Neben den ursprünglichen Sparten Netzbau und Gebäudetechnik
wurde vor 20 Jahren die Sparte Depurtec als dritter Geschäftsbereich
gegründet. Die Produktpalette reicht von der Trinkwasser- über die
Prozesswasseraufbereitung bis hin zur Meerwasserentsalzung. Die
Kerntechnologie liegt dabei in der Membranfiltration, welche die
Mikro- und Ultrafiltration sowie die Umkehrosmose umfasst. Der
Gesamtumsatz der Sparte Depurtec beläuft sich auf circa 9 Millionen
Euro, wobei circa 5 Millionen Euro auf das Segment der Mikro- und
Ultrafiltration zurückgehen und circa 4 Millionen Euro durch den
Verkauf der Umkehrosmose-Anlagen (sie liefern voll entsalztes Wasser) erwirtschaftet werden. [3] Das Unternehmen spricht mit seinen
Produkten folgende Zielgruppen an (vgl. Abb. 1):
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
RO-Compact
VE-Wasser
NF
Foto
FTKS
Metall
RO
Getränkeindustrie
MFK/UFK
Metall
Unsere
Produktpalette
MF
Wine
 Einzelne Haushalte und Gemeinden: In niederschlagsarmen Regionen wird Süßwasser rund um die Uhr verfügbar.
 Gastronomie: Durch Entsalzung des Spülwassers können Gläser
und Besteck lufttrocknen, ohne später Flecken aufzuweisen.
 Industrie: Abwässer werden unter Berücksichtigung umweltrechtlicher Auflagen für die Metallverarbeitungs-, Automobil- und Lebensmittelbranche bearbeitet.
Konzeption eines potenziellen Mass-CustomizationAngebots
Überlegungen zum Produkt
Filtrationsanlagen sind kein Prestigeobjekt wie etwa Autos. Design
sowie sichtbare Merkmale wie Farbe oder Form sind in den Augen des
Kunden eher nebensächlich. Der Bedarf für derartige Anlagen resul-
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 1: Produktpalette der Linel GmbH im Bereich Wasser- und Abwasseraufbereitung
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
tiert aus der generellen Knappheit der Ressource Wasser in bestimmten Regionen sowie aus umweltrechtlichen Bestimmungen, die etwa
bei Lackierereien die Nachbehandlung des Abwassers vorschreiben.
Aufgrund der vielfältigen Anwendungsbereiche sind Filtrationsanlagen ein höchst kompliziertes Produkt, das individuell auf den einzelnen Abnehmer abgestimmt werden muss.
Die Konfiguration einer Filtrationsanlage wird durch verschiedene
Parameter bestimmt. Wichtigster Einflussfaktor ist das zu behandelnde Wasser selbst. Das Abwasser muss zunächst genau analysiert und
die Zieleigenschaften, zum Beispiel Trinkwasser, festgelegt werden.
Die Permeatleistung (Resultat des Filtriervorgangs) pro gegebener
Zeiteinheit sowie die qualitative Ausführung der Anlage sind weitere
Parameter, die stark variieren können. Da Filtrationsanlagen in der
Regel über viele Jahre im Dauerbetrieb laufen, sind aus Kundensicht
weiterhin Service und Wartung der Anlage wichtige kaufentscheidende Kriterien. Deshalb müssen auch Nachkaufleistungen wie Wartungsvereinbarungen individuell definiert werden.
Ziel des Unternehmens Linel ist es, dem Kunden qualitativ hochwertige Produkte in »maßgeschneiderter« Form als Lösung zu präsentieren. Derzeit stehen wenigen standardisierten Produkten viele Einzelfertigungen für individuelle Abnehmer gegenüber. Für die Mehrzahl der Aufträge erfolgt eine eigene Planung und Projektierung in
Losgröße eins. Viel effektiver wäre hingegen eine Projektierung und
Fertigung aus Baukastenelementen, die sich der Kunde innerhalb bestimmter Grenzen nach individuellen Wünschen zusammenstellt. [4]
Möglich wäre dies durch ein Mass-Customization-Angebot, das auf
dem Konzept einer quantitativen Modularisierung beruht, das heißt
der Kunde kann durch Hinzufügen und Variieren eines oder mehrerer
Module den Nutzen des funktionstüchtigen Produkts erhöhen. Beispielsweise kann einer funktionierenden Abwasserfiltrationsanlage das
Modul »Digitale Steuerung und Datenerfassung mittels Kleincomputer« hinzugefügt werden. Abbildung 2 gibt einen Überblick über
mögliche Module einer Filtrationsanlage sowie ihre Ausprägungen (es
wird dabei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben).
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Steuerung
Tank
Verbundwerkstoff
Edelstahl
Verchromt
Nicht
veredelt
…
…
Manuell
Digital
Mit Kennfeldanzeige
Ohne Kennfeldanzeige
Pumpe
Mit Druckanzeige
Mit
Display
Ohne Druckanzeige
Ohne
Display
Abb. 2: Mögliche Module einer Filtrationsanlage und ihre Ausprägungen
In der Wasser- und Abwasserbehandlungsbranche zeichnet sich ein
erfolgreiches Unternehmen durch die Fähigkeit aus, mit dem Kunden
im Leistungserstellungsprozess zu interagieren. Aufgrund der individuellen Eigenschaften des zu behandelnden Wassers erwartet der Abnehmer, dass sich der Anbieter intensiv mit ihm auseinandersetzt, um
die beste individuelle Lösung zu erhalten. Neben den Kosten für die
Maßfertigung der Anlagen erhöhen damit die für die Kundeninteraktion anfallenden Kosten den Verkaufspreis einer Anlage wesentlich.
Es ist üblich, dass Vertriebsmitarbeiter und Kunde zunächst für ein
intensives Verkaufsgespräch zusammenkommen, um die beste Lösung
für den jeweiligen Kunden zu finden. Nach circa zwei Wochen intensiver Planung und Konstruktion beim Hersteller wird dem Kunden
ein Angebot übermittelt, allerdings entspricht dies meist nicht genau
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Überlegungen zum Vertrieb
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
dem Kundenbedürfnis. Kosten- und zeitintensive Nachbesserungen
sind die Regel.
Ein Mass-Customization-Konzept würde es nun ermöglichen, neben
den Produktionskosten auch die Kosten für die Interaktion mit dem
Kunden zu senken. Denkbar ist beispielsweise, dass der Kunde sich
mittels eines Online-Konfigurators sein Produkt auf einfache Art und
Weise selbst zusammenstellt und eine Anfrage an das Unternehmen
sendet. Der Konfigurator ersetzt damit zumindest teilweise den Verkäufer. Indem alle Lösungen im Konfigurator bereits vorab durchdacht wurden, entfallen überdies zeitraubende Nachbesserungsprozesse. Der Kunde erkennt sofort, wie seine Wünsche in das Produkt
umgesetzt werden. Dadurch reduziert sich auch die Zeit, bis die individuelle Anlage produziert werden kann; die Kosten sinken ebenfalls.
Der Mass-Customization-Prozess bei Linel
1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Prozessbeschreibung aus der Sicht der Linel GmbH
Der Erstellungsprozess einer Filtrationsanlage beginnt mit der Einreichung einer Wasserprobe zur Laboranalyse durch den Kunden. Das
Abwasser wird untersucht und ein passender Membrantyp gesucht;
dieser ist für die Filtrierqualität und das störungsfreie Funktionieren
der Anlage wesentlich. Anschließend beginnt der eigentliche Konfigurationsprozess der Anlage. Ein Internet-Konfigurator (siehe Abb.
3) scheint geeignet, die individuellen Kundenbedürfnisse in Produktmerkmale zu übertragen und dabei gleichzeitig die Kosten niedrig zu
halten. Hierbei sollte der Kunde die aus der Abwasseranalyse gewonnenen Daten hinsichtlich Membranbeschaffenheit sowie benötigter
Permeatleistung pro Zeiteinheit in den Konfigurator eingeben können, worauf dieser aus einer Bibliothek bereits vorhandener Lösungen
ein Basisprodukt zur Auswahl anbietet. Dieses Basisprodukt beinhaltet die Anzahl notwendiger Pumpen, die Kapazität des Speichertanks,
die Anzahl der notwendigen Membranen, sowie weitere grundlegende
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Unternehmen
F&E
Konfigurator
Zum Nachschlagen
Pumpen
Schaltschränke
Typ Grundfos
- bitte wählen -
Dosierleistung (Q)
l/h
0-990
Betriebsdruck (P)
bar
10-4
Medientemperatur (T) max.
50°
Preis: 250 €
Ihre derzeitige Anlage
Membrane
Tank
Cheramische Membrane
- bitte wählen -
Aktueller Preis: 11.500€
Aktuelle Maße: 1,8x0,6x2,3m
Typ: cheramische
Membrane
Lebensdauer: 3 Jahre
Preis: 100€/Stück
Weiter
Komponenten. Zudem sollten Preis und weitere wichtige Daten wie
Größe und Gewicht angegeben werden.
Anschließend sollte der Online-Konfigurator dem Kunden die Möglichkeit bieten,
 zwischen verschiedenen Optionen wie Material des Tanks (Verbundstoff, INOX,…) oder Qualität der Pumpen zu wählen,
 die Anlage um bestimmte Module wie zusätzliche Regler oder digitale Anzeigen zu erweitern,
 zwischen Finanzierungsoptionen und Servicekonditionen wie
Wartungsverträge oder Garantieleistungen auszuwählen.
Da das Konfigurieren für einen Kunden eventuell komplex ist, sollte
jederzeit ein Berater kostenlos zu Rate gezogen werden können, beispielsweise via Hotline. Nach Abschluss des Konfigurationsprozesses
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Abb. 3: Darstellung eines Konfigurators für Membranfiltrationsanlagen
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
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erhält Linel eine Bestellung beziehungsweise Anfrage. Diese wird sofort an das Produktdatenmanagement-(PDM-)System weitergeleitet,
das die Bestellung auf Teileverfügbarkeit überprüft und dann einen
Liefertermin berechnet, der dem Kunden per E-Mail mitgeteilt wird.
Erhält das Unternehmen eine Bestätigungsmail für den Auftrag vom
Kunden, wird der Anlage eine Seriennummer zugewiesen und die
Fertigung beginnt. Idealerweise sind die Lieferanten in das Lagerverwaltungs- und Bestellsystem eingebunden. Im Falle fehlender Teile
kann dadurch eine automatische Bestellung beim Lieferanten erfolgen.
Neben der Einbeziehung des Kunden in den Anlagenentwurf
mittels Online-Konfigurator könnte Linel auch neue Impulse für das
Kundenbeziehungsmanagement bekommen. Ziel ist der Aufbau von
Kundenbindungen und damit eine bessere Nutzung von weiteren
Geschäftsmöglichkeiten. Bisher bricht der Kontakt zum Kunden nach
dem Verkauf einer Anlage größtenteils ab; eine Ausnahme bilden
kostspielige Reparaturleistungen. Vor allem Erlöse aus dem Verkauf
ergänzender und zusätzlicher Leistungen gehen damit verloren.
Ein entscheidendes Potenzial, das ein Mass-Customization-Konzept
mit sich bringt, liegt gerade in der Nutzung der bereits vorhandenen
Kundendaten zum Aufbau intensiver Kundenbeziehungen. Informations- und Kommunikationstechnologien erlauben es seit einigen
Jahren, den Kundenkontakt zu vergleichsweise niedrigen Kosten aufrecht zu erhalten. Beispielsweise könnte ein regelmäßig erscheinender
Newsletter über Produktneuheiten informieren. Denkbar ist außerdem die Einrichtung eines Internetportals, auf dem Kunden untereinander und mit Experten des Unternehmens über Erfahrungen, Probleme und Verbesserungsvorschläge diskutieren. Zusätzlich können
ergänzende Serviceleistungen in modularer Form angeboten werden
(vgl. Abb. 4). Auch das Angebot der präventiven Wartung erscheint
lukrativ und auch hier kann der Kunde aktiv eingebunden werden,
indem er selbst die Anlage beobachtet und Erfahrungen mit der Entwicklungsabteilung der Linel GmbH online austauscht.
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Wartung & Reparatur
Präventiver
Wartungsvertrag
Kostenlose
Membran
reinigung
Halbjährlicher Routinecheck
Garantieleistung und
Reparatur bei Schäden
…
…
Leasingkonzept
…
…
Eine weitere Idee ist die Realisierung eines Leasingkonzepts, bei dem
der Kunde seine Anlage für einen entsprechenden Jahresbeitrag least.
Für das Funktionieren der Anlage ist grundsätzlich der Hersteller
verantwortlich, allerdings ist auch der Abnehmer bemüht (oder vertraglich verpflichtet), Informationen weiterzugeben, da dies der Einsatzzeit der Anlage und damit seinen Kosten zugute kommt. Damit
entsteht eine partnerschaftliche Beziehung zwischen der Linel GmbH
und dem Kunden, denn beide Seiten profitieren von der engen Kooperation. Zudem steigen die Chancen für den Aufbau langfristiger
Kundenbeziehungen, da der Abnehmer kein Interesse haben wird, aus
der funktionierenden Partnerschaft auszutreten.
Der Mass-Customization-Prozess aus Kundensicht
Produkte im Markt für Wasser- und Abwasserfiltration werden in jeder Preisklasse angeboten. Allerdings erscheinen Billiganbieter auf der
einen Seite oft wenig vertrauenswürdig. Auf der anderen Seite sind die
Produkte renommierter Hersteller oft in ihrer Ausführung zu teuer
und entsprechen nicht dem einfacheren Verwendungszweck des Kun-
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1982.01.01 – © Symposion Publishing 2006
Abb. 4: Beispielmodul Wartung & Reparatur
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Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
den. Aufgrund des vielfältigen Angebots ist es für den Kunden derzeit
äußerst schwierig, das für ihn passende Produkt auf einfache Art und
Weise zu finden.
Durch Mass Customization erlebt der Kunde nun zwei wesentliche Vorteile: Er erhält das Produkt, das am besten zu seinen
individuellen Bedürfnissen passt auf vergleichsweise einfache Art
und Weise, und das zu einem für ihn akzeptablen Preis. Wird der
Konfigurationsprozess ins Internet verlagert, kann der Kunde jederzeit zeit- und ortsunabhängig Informationen über Angebot der Linel
GmbH abrufen und sich ein (Probe-)Produkt zusammenstellen. Der
Kunde sieht unmittelbar, wie seine Bedürfnisse am Produkt umgesetzt
werden und kann jederzeit nachbessern. Zudem fühlt er sich vom
Unternehmen als Partner wahrgenommen, da er aktiv an der Produkterstellung mitarbeitet. Kunden, die Unterstützung benötigen, steht
eine kostenlose Hotline zur Verfügung.
Weitere Vorteile für den Kunden ergeben sich beispielsweise hinsichtlich der Wartezeit zwischen Anfrage und Angebotserstellung,
die mit Hilfe des integrierten Konfigurationssystems verkürzt wird.
Zudem entfällt die Zeit (und die Kosten) für Nachbesserungen am
Produkt, da der Konfigurator von vornherein nur realisierbare Lösungen enthält. Allerdings sollte bedacht werden, dass ganz spezifische
Kundenwünsche mit dem modularen Angebot eventuell nicht mehr
erfüllt werden können. Es könnten also einige Kunden für das Unternehmen verloren gehen. Jedoch scheinen die Potenziale, die ein
Mass-Customization-Konzept mit sich bringt, diese Verluste mehr als
aufzuwiegen.
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Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Bewertung des Mass-Customization-Ansatzes in der
Wasser- und Abwasserbehandlungsbranche
Die Einführung eines auf den Prinzipien der Mass Customization
beruhenden Konzepts bietet ein großes Potenzial zur Kostensenkung.
Erster wichtiger Ansatzpunkt ist die Komplexitätsreduktion in der
Fertigung. Allen Anlagen muss eine Modulbauweise zugrunde gelegt
werden. Dadurch können die hohen Rüstzeiten der bisherigen Einzelfertigung reduziert, Fertigungsprozesse wie das Drehen standardisiert
und somit die effektive Auslastung der Maschinen erhöht werden. Die
Produktionskapazität steigt, was die durchschnittlichen Stückkosten
senkt. Zudem kann die Verwendung von modularisierten Gleichteilen (zum Beispiel Steuerungskästen) Verbundeffekte hervorrufen.
Erfahrungs- und Lerneffekte führen ebenso zu einer Reduktion der
Fertigungskosten.
Auch im Einkauf ergeben sich Einsparungspotenziale. Durch
die Modulbauweise werden größere Mengen eingekauft; die Einkaufspreise sinken grundsätzlich. Zudem werden die Logistikkosten
verringert. Bei einer sinnvollen Konzentration auf möglichst wenige
unterschiedliche Teile, sinken außerdem die Lagerkosten. Planung
und Konstruktion müssen auch nicht mehr für Teile erfolgen, die nur
einmalig verwendet werden können, sondern nur für die mehrfach
verwendbaren Module.
Der für eine Implementierung des Mass-Customization-Konzepts
notwendige Konfigurator bedeutet zunächst eine Kostenerhöhung.
Es entstehen einmalige Programmierkosten zu Beginn sowie laufende
Kosten für die Wartung. Doch gerade durch den Konfigurationsprozess öffnen sich weitere wesentliche Kosteneinsparungspotenziale. Der
Kunde stellt sich sein Angebot praktisch selbst zusammen, wodurch
Vertriebskosten in erheblichem Maße eingespart werden. Durch eine
kontinuierliche Auswertung der Konfigurationsdaten erhält Linel zu-
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Profitmechanismus
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
dem Informationen über bevorzugte Produktvarianten und kann sein
Produkt- und Serviceangebot generell und im Hinblick auf den einzelnen Kunden dementsprechend weiterentwickeln. Intensive Kundenbeziehungen beeinflussen zudem das Weiterempfehlungs- sowie
Wieder- und Zusatzkaufverhalten der Kunden. Außerdem können
Marktforschungstests überflüssig werden, da viele Informationen mit
Hilfe des Konfigurators und aufgrund der intensiven Kundenbeziehung gewonnen werden. So können zum Beispiel die typischen
Konfigurationen der Kunden einer Region als Ausgangspunkt für eine
standardisierte, aber genau passende Lösung für diese Region angeboten werden. Dies würde Linel ermöglichen, die Umsatzzahlen auch
im Bereich der preiswerteren Lösungen effizient zu bedienen.
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Die Stärken und Chancen des Konzepts liegen in den folgenden
Aspekten:
 Als erster Mass Customizer der Branche würde die Linel GmbH
über ein Alleinstellungsmerkmal verfügen und sich deutlich von
der Konkurrenz abgrenzen.
 Der Bedarf an Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung ist stark wachsend. Mit dem Mass-Customization-Angebot könnte sich Linel in
neuen Marktsegmenten schnell und flexibel etablieren. Vor allem
potenzielle Massenmärkte wie Meerwasserentsalzungsanlagen
für Haushalte in süßwasserarmen Gebieten könnten durch eine
Produktionssteigerung bei gleichzeitiger Kostensenkung besser bedient werden.
 Durch den Konfigurationsprozess erstellt sich der Kunde sein individuelles Produkt auf einfache Art und Weise. Auch das Risiko
von Fehlinnovationen und langwierigen Nachbesserungsprozesse
sinkt. Das Unternehmen ist attraktiver für Kunden, da Kosten
und Zeit bis zur Auslieferung des individuellen Produktes sinken.
Ein durchdachter Konfigurationsprozess hilft zudem, die Kosten
der Kundeninteraktion zu senken.
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 Durch die Darstellung der verschiedenen Optionen wird den
Kunden zudem die Leistungsfähigkeit des Anbieters besser bewusst, der Konfigurator dient gerade bei technisch anspruchsvollen Produkten wie denen von Linel nicht nur zur Konfiguration
einer individuellen Leistung, sondern auch zur Darstellung des
möglichen Lösungsraumes und der Kompetenz des Anbieters.
 Ein integriertes Customer Relationship Management Konzept von
der Konfiguration bis zur Nachkaufbetreuung hat positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit des Kunden und damit auf dessen
Folge- und Zusatzkäufe sowie positive Weiterempfehlungen. Damit steigt letztendlich der Profit des Unternehmens.
 Die Einführung des Mass-Customization-Programms »zwingt«
den Anbieter, die bestehenden Produktstrukturen zu überdenken
und vorhandene Spezialteile und Sonderanfertigungen auf Gleichteile und standardisierte Module zu überprüfen. Diese Aufgabe
verursacht zwar einmalig größere Kosten und Umstellungsaufwand, ist aber langfristig die zentrale Ausgangslage für eine effiziente Kostenposition.
 Durch die Modularisierung der Anlagenkomponenten sowie den
Einsatz von CIM-Programmen und Rapid Manufacturing werden
Größen- und Verbundvorteile erzielt.
 Die Abkehr von Losgröße eins in der Fertigung (Maßfertigung)
ermöglicht eine bessere Auslastung der Maschinen sowie die Verkürzung von Rüstzeiten. Hierdurch entstehen Kosteneinsparungen
im Vergleich zur Konkurrenz.
 F&E-Kosten können durch die Einbeziehung des Kunden reduziert werden. Basierend auf regelmäßigen Auswertungen der
Kundenkonfigurationen wird das Angebot in Hinblick auf die
Kundenbedürfnisse optimiert.
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Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
Als Gefahren für Linel sind die folgenden Punkte zu nennen:
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 Das Konzept muss grundlegend durchdacht und neu eingeführt
werden, es gibt keinen Vorreiter. Damit ist großer Implementierungsaufwand zu erwarten.
 Es ist mit erheblichen Widerständen im Unternehmen selbst zu
rechnen, da viele der klassischerweise im einzelkundenbezogenen
Projektgeschäft tätigen Mitarbeiter und Entwickler vollkommen
umdenken müssen. Ihre Aufgabe ist nicht mehr die Konkretisierung einer einzelkundenbezogenen Lösung, sondern vielmehr die
langfristige Optimierung der Optionen, der Produktarchitekturen
und des Konfigurationswerkzeugs.
 Der Konfigurationsprozess könnte für den Kunden ungewohnt
sein. Kunden könnten ablehnend reagieren, da ihnen die Vorteile
nicht sofort ersichtlich werden oder weil sie auf die persönliche
Beratung durch den Verkäufer nicht verzichten möchten.
 Das Mass-Customization-Angebot besitzt Grenzen. Besonders ausgefallene Kundenwünsche können eventuell nicht mehr befriedigt
werden.
 Durch die zu Beginn anfallenden Investitionen in Informationsund Kommunikationstechnologien, zum Beispiel den Konfigurator, sowie die Kosten der Umstrukturierung des Fertigungsablaufs
entsteht das Risiko, aus dem hart umkämpften Markt gedrängt zu
werden, sollte sich der Erfolg nicht sofort einstellen.
Ausblick
Wasser wird in Zukunft noch wertvoller und knapper werden. Immer
neue Gesetze zwingen Unternehmen, Haushalte und Gemeinden, ihr
Abwasser umweltgerecht zu entsorgen und gegebenenfalls wieder zu
verwenden. Der Bedarf nach Lösungen zur Bewältigung des Problems
der Wasserknappheit steht erst am Anfang, der Markt befindet sich im
Wachstum. Die Realisierung eines Mass-Customization-Konzepts er-
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Linel: Mass Customization in der Wasseraufbereitungsbranche
öffnet die Chance, sich grundlegend von der Konkurrenz abzuheben.
Die anfänglichen Investitionen könnten sich rasch amortisieren. Das
Bedürfnis nach individuellen Lösungen auf Seite der Kunden wird
dabei weiterhin befriedigt, jedoch sind Kosten und damit Preise niedriger, weshalb dieses Konzept sowohl Anbietern als auch Abnehmern
entscheidende Vorteile bringt.
Michael Erspamer studiert nach Aufenthalten an der TU Graz und der Uni
Innsbruck seit Oktober 2002 Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München. Neben dem Studium
konnte er während zahlreicher Praktika und bei der Mitarbeit am studentischen
Fahrzeugbau-Projekt »TUfast« erste praktische Erfahrungen sammeln. Mit Mass
Customization beschäftigte er sich u.a. während eines Seminars am Lehrstuhl
für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an
der TU München.
Kontakt: [email protected].
Literatur
[1]
http://www.offenbach.de/stepone/data/pdf/e7/01/00/Vollst ProzentE4ndiger Prozent20
Umweltbericht Prozent20Wasser Prozent20im Prozent20pdf Prozent20Format
[2]
http://www.ifat.de/index.php?id=19020&pagepart=list&pge=2&fair=99&key=2.2.13&level
=3&PHPSESSID=52d463423b6a63ed6c195aedcece2dc8
[3]
Ergebnisse einer Befragung der Geschäftsleitung der Linel GmbH
[4]Schlemper, Dirk / Vossenkaul, Klaus (2003): Spaghetti im Klärwerk, Umwelt Magazin
09/2003, S. 46
16
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Melanie Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management an der TU
München. Innerhalb der Research Group »Customer-driven Value Creation«
befasst sie sich vorwiegend mit der Kundeninteraktion bei Mass Customization
und Open Innovation. Sie unterrichtet außerdem an der TUM Business School
in den Bereichen Mass Customization und Open Innovation sowie Organisation,
Führung und Strategie. Melanie Müller studierte Betriebswirtschaftslehre an der
Ludwig Maximilians Universität München und der University of California Los
Angeles. Zusätzlich absolvierte sie ein zweijähriges Zusatzstudium und erwarb
ein Certificate in Technology Management am Center for Digital Technology and
Management (CDTM). Praktische Erfahrung sammelt sie u.a. bei DaimlerChrysler, Steppenwolf, BMW und der DZ BANK AG.
Kontakt: [email protected].