Habemus Papam - Kirche, Kunst und Kultur im Dialog

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Habemus Papam - Kirche, Kunst und Kultur im Dialog
KIRCHEN + KINO. DER FILMTIPP
6. Staffel, Oktober 2012 – Mai 2013, 3. Film
HABEMUS PAPAM – EIN PAPST BÜXT AUS
Italien/Frankreich 2011
Buch:
Regie:
Kamera:
Schnitt:
Produktion:
Darsteller:
Nanni Moretti, Francesco Piccolo,
Federica Pontremoli
Nanni Moretti
Alessandro Pesci
Esmeralda Calabria
Nanni Moretti, Jean Labadie,
Domenico Procacci
Michel Piccoli (Kardinal Melville / Papst)
Nanni Moretti (Psychotherapeut)
Jerzy Stuhr (Pressesprecher)
Renato Scarpa (Kardinal Gregori)
Franco Graziosi (Kardinal Bollati)
Camillo Milli (Kardinal Pescardona)
Ulrich von Dobschütz (Kardinal Brummer)
Länge: 102 Minuten
FSK: 0
Erstaufführung in Cannes: 13. Mai 2011, Kinostart in Deutschland: 8. Dezember 2011
Begründung für Film des Monats (Dez. 2011) der kirchlichen Filmbeauftragten in der Schweiz
… „in Form eines Doku-Dramas geht der Film an das Wahlprozedere heran, zeigt echte Bilder
von wartenden Gläubigen auf dem Petersplatz, quasidokumentarische Szenen einer Pressekonferenz und fiktive Inszenierungen des Konklaves. Die multikulturelle Durchmischung wird beim
Kardinalskollegium ebenso sichtbar, wie die fortschreitende Überalterung. Michel Piccoli spielt
als existenziell getroffener Papstanwärter in einer eigenen Liga. Und Nanni Moretti übernimmt
nicht nur die Regie, sondern auch die Rolle des Psychiaters, der den Papst behandeln soll. Intellektueller Witz und Spielfreude machen den Film sehenswert. Aber beim heiklen Thema Papsttum befällt sogar einen renommierten Regisseur wie Moretti die gefürchtete Beißhemmung.“
EINFÜHRUNG
Der weiße Rauch aus dem Schornstein der sixtinischen Kapelle erfüllt die Menschenmenge auf
dem Petersplatz mit Spannung. Die Augen der Gläubigen richten sich auf den Petersdom und
blicken in ratlose Gesichter. „Habemus Papam!“, schallt es vom Balkon – doch vom Papst fehlt
jede Spur.
Die Wahl des Konklaves war unerwartet auf den Kardinal Melville (Michel Piccoli) gefallen, der
auf die Nachricht nur allzu menschlich reagiert. Angst und Selbstzweifel scheinen ihn zu lähmen
und entlocken ihm einen Schreckensschrei.
Hilflos wendet sich der Vatikan an einen Psychotherapeuten (Nanni Moretti), der Melville zum
öffentlichen Auftritt bewegen soll. Dieser flieht jedoch vor dem Sicherheitsdienst und der betäubenden Last auf seinen päpstlichen Schultern ins alltägliche Rom. Dort schließt er sich einem
1
Schauspielensemble an und offenbart die Versäumnisse, Ängste und Träume eines alten Mannes,
befreit von der erdrückenden Erwartungshaltung an den „quasigöttlichen“ Papst.
Das große Geheimnis, das den Vatikan seit jeher umgibt, lässt ausreichend Platz für eine humorvolle, manchmal spöttische, aber nie verächtliche Inszenierung Morettis. Er lässt die Kurie zum
Volleyballturnier antreten, puzzlen und Tee trinken. Währenddessen ringt der Pontifex in der
Einsamkeit zwischen Himmel und Erde mit sich und seinem Amt und trifft schließlich eine Entscheidung …
FILM-SEQUENZEN UND ZITATE ZUR VORBEREITUNG
Dokumentarisch anmutende Bilder eines Papstbegräbnisses sowie der in Trauer ausharrenden
Menschen auf dem Petersplatz bilden die Einleitung und Ausgangssituation der Handlung von
„Habemus Papam“. Die Szenen des ersten Wahldurchgangs im Konklave werden untermalt vom
nervösen Stifteklopfen der Kardinäle und ihren anschwellenden Stoßgebeten. „Nicht mich, oh
Herr. Wähle nicht mich.“ Trotz klarer Favoriten steigt nach den ersten zwei Durchgängen
schwarzer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle auf. Und während die Presse
noch spekuliert, erheben sich die Kardinäle des Konklaves bereits in erleichtertem Beifall. Die
Wahl ist auf den französischen Kardinal Melville gefallen, der sichtlich überrascht um Fassung
und Atem ringt.
Er wirkt zunächst unsicher, als er den anderen Kardinälen zum ersten Mal in Papstrobe gegenübertritt und diese in Ehrfurcht zurückweichen. Hilflos sucht er den Blick eines Kardinals: „Und
was passiert jetzt?“ Was dann passiert, lässt das Strahlen auf dem Gesicht des Bischofs auf dem
Balkon des Petersdoms gefrieren. Der Balkon des Petersdoms ist plötzlich leer, die Menschen
davor blicken ahnungslos hinauf. „Ich glaube, das ist ein sehr unheimliches Bild, dieses schwarze
Loch, in dem der Papst verschwunden ist, um wieder Mensch zu werden“, sagt Regisseur Nanni
Moretti. 1
„Heiliger Vater. Heiliger Vater. Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Wenn Gott euch dieses
Amt auferlegt, lässt er euch die Hilfe zuteilwerden, um es auszuführen sowie die Last und die
Kraft der großen Verantwortung zu tragen.“, ist der Rat eines anderen Kardinals.
Die ausbleibende Besserung des Zustandes Melvilles sowie wachsende Ungeduld rufen Professor
Brezzi, einen bekannten Psychoanalytiker auf den Plan. Umringt von den übrigen Kardinälen
und unter strenger Beobachtung beginnt Brezzi das erste Gespräch mit Melville und stößt sich
bald an den Tabus des Vatikans: Sexualität, Kindheit, Fantasien, unerfüllte Wünsche und Träume gilt es als Themen zu vermeiden. Dennoch offenbart Melville seine Angst. „Gott sieht in mir
Fähigkeiten, die ich nicht habe. […] Ich suche sie und ich finde nichts. […] Wissen Sie eigentlich,
was mir passiert ist? Als diese Eminenzen auf mich zu kamen und dabei gesungen haben und es
weinten auch manche und wir waren alle sehr ergriffen, verschwanden nach und nach immer
mehr von ihnen. Sie waren nicht mehr da. […] All die Menschen, die ich je gekannt habe. Sie
waren nicht mehr da, es war alles verschwunden. Ich erinnere mich an nichts.“2
In der Praxis seiner neuen Therapeutin bleibt Melville inkognito und wahrt das Geheimnis um
seine Person, indem er sich eine neue Identität zurecht legt. Der Zuschauer weiß dennoch, worüber Melville redet, wenn er sagt: „Ich schaffe es nicht, aber die Anderen setzen großes Ver-
1
Filmmaterial „Interview mit Regisseur Nanni Moretti“ auf der DVD „Habemus Papam – Ein Papst büxt aus“
© 2011 Sacher Film
2
vgl. DVD „Habemus Papam – Ein Papst büxt aus“ © 2011 Sacher Film
2
trauen in mich. […] Ja, und ich möchte gern so viel tun. Es müsste so viel geändert werden. Und
dabei möchte ich…“ Die darauf folgende Frage nach seinem Beruf, beantwortet er mit einer
Lüge, die ihm Spielraum gibt, um trotzdem über seine Einsamkeit, Träume oder Erinnerungen
zu sprechen, die er vielleicht schon fast vergessen hatte. In einem unbeobachteten Moment
entwischt er dem Sicherheitsdienst und mischt sich unter das Volk. „Ich brauche noch ein wenig
Zeit. In meinem Leben sind so viele Dinge geschehen, an die muss ich mich erinnern. All die
Dinge, die ich vergessen habe,“ lässt er den verzweifelten Sicherheitschef wissen. Dieser inszeniert im Folgenden für Vatikan und Weltöffentlichkeit das Bild des in seinen Gemächern genesenden Papstes, indem ein Schweizer Gardist hin und wieder am Vorhang wackelt und damit
die Kardinäle erfreut.
Beim Warten in der künstlichen Abgeschiedenheit des Vatikans nähern sich die zunächst unvereinbar scheinenden Welten der Kardinäle und des Psychoanalytikers auf geradezu karikaturistische Weise an. Brezzi veranstaltet ein bizarr wirkendes Volleyballturnier für die Kardinäle oder
berät sie zur Einnahme ihrer Medikamente.
Im Gegensatz zum Stillstand im Vatikan streift Melville unerkannt durch Rom und dringt dabei
zu längst vergessenen Gefühlen vor. Immer wieder offenbart er seine Unsicherheit, zum Beispiel
in der U-Bahn: „Wir haben alle das unverschämte Glück, dass wir denken, wir verstehen die Dinge, aber unsere Kirche hat schon seit geraumer Zeit große Schwierigkeiten, die Dinge zu verstehen. […] Wie oft haben wir Angst davor gehabt zuzugeben, dass wir mit Schuld beladen sind.“
In einem Hotel lässt Regisseur Moretti Melville auf ein Schauspielensemble treffen und stellt
damit die für seinen Film durchaus bedeutsame thematische Verbindung zwischen Kirche und
Theater her. „Das Generalthema von „Habemus Papam“ ist genau das: der Zwang, etwas darstellen, eine Rolle übernehmen zu müssen. Der Film handelt vom Schauspielen. Der Papst will
und kann die Rolle nicht spielen, die ihm zugeteilt wird, ebenso wenig kann der Psychoanalytiker den Part übernehmen, den ihm der Vatikan zuschreibt. So erfindet er sich die Rolle des
Schiedsrichters in einem Volleyballturnier. Die Schweizergarde wiederum soll interimistisch die
Rolle des Schattenpapstes spielen. […] Ich sehe „Habemus Papam“ also als einen Film, in dem es
ums Spielen geht, um zugewiesene Rollen, aber auch um den Wunsch, einen ganz anderen Part
zu übernehmen als jenen, in dem man jeden von uns gerne sähe.“3
Schließlich trifft er eine Entscheidung.
ANREGUNGEN ZUR DISKUSSION
„Ich habe einen Film über die Krise eines Mannes gemacht, darauf baut alles auf.“ 4 Diese Aussage des Regisseurs Nanni Moretti ist m.E. ambivalent. Auf der einen Ebene können die Zuschauer ‚andocken’ an die Geschichte eines Mannes, der zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, eigenen Wünschen und fremden Erwartungen fast zerbricht. Eine Erfahrung, die nicht
zuletzt durch das Thema „Burnout“ gesellschaftlich wie individuell aktuell ist – und das betrifft
unterschiedlichste Berufe und Berufungen. Auf einer anderen Ebene ist das Papstamt eben kein
Beruf oder Amt, sondern die Stellvertretung Gottes auf Erden – in römisch-katholischer Sichtweise. Und so ist für die Zuschauenden eine, durchaus existenziell und religiöse, Positionierung
unabdingbar: Was bedeutet Papst und Papstamt für mich? Wie nahe oder wie weit entfernt bin
3
4
http://www.profil.at/articles/1147/560/312895/moretti-ich-platz
http://www.tip-berlin.de/kino-und-film/nanni-moretti-im-gesprach
3
ich von der Zuschreibung der Heiligkeit, die diesem Beruf inne ist? Was bedeutet es für mich als
evangelische/m Christ/in, diesen Film zu sehen? ‚Darf’ man den Papst so zeigen?
Einige mögliche Fragen zur Diskussion im Anschluss an den Film (oder für die eigene Vorbereitung)
–
Wovor hat Kardinal Melville solche Angst? Können Sie sich mit ihm identifizieren?
–
„Ich persönlich spüre nicht das Bedürfnis nach einem starken Mann. Ich spüre das Bedürfnis nach Persönlichkeit, nach Vorbildern,“ sagt Nanni Moretti.5
Doch wie viel menschliche Fehlbarkeit gestehen wir dem Papst zu?
–
Wie wirkt die Darstellung der Kardinäle auf Sie?
–
"Ich wollte die Geschichte einer fragilen Persönlichkeit erzählen, die sich vor einer derart
enormen Macht wie jener eines Papstes ohnmächtig fühlt. Ich wollte die Konflikte des
Papstes jedoch im Rahmen einer Komödie behandeln."6
Was halten Sie von dieser Wahl?
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Zur weiteren Information folgen zwei Artikel zum Thema, von dem Catholica-Referenten des
(evangelischen) Konfessionskundlichen Institutes in Bensheim, Dr. Metzger und von der ZEITJournalistin Evelyn Finger. Weitere interessante Hintergrundinformationen finden Sie unter:
1) Ökumenisches vor dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland:
http://www.kirchliche-dienste.de/themen/38/813/322/0/0.htm
2) Rückblick auf den Papstbesuch: "Die Geste bleibt. Der Papst in Erfurt", in: Ökumenische Akzente 2012, 27-31:
http://www.kirchliche-dienste.de/themen/38/223/890/material/detail.htm
Das Papstamt aus evangelischer Sicht. Leicht gekürzte Fassung eines Grundsatztextes von
Dr. Paul Metzger/Konfessionskundliches Institut Bensheim
Papst und Papstamt sind aus evangelischer Sicht schwierige Themen. Dabei geht es allerdings
nicht um Gewöhnung und Geschmack, sondern um prinzipielle Glaubensüberzeugungen.
Der Papst beansprucht, „der Nachfolger des heiligen Apostelfürsten Petrus“ zu sein. Das 1. Vatikanische Konzil legt fest: „Er ist wirklich der Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche,
der Vater und Lehrer aller Christen; ihm ist von unserm Herrn Jesus Christus im heiligen Petrus
die Vollgewalt übergeben, die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten“ (Dogmatische Konstitution Pastor Aeternus 10; 1870). Dieser Anspruch beinhaltet zwei Rechte, die aus
Sicht evangelischer Theologie nicht akzeptiert werden können. Erstens besitzt er den „Jurisdiktionsprimat“, die höchste Rechtsgewalt in der Kirche. Er kann diese rechtliche Vollmacht jederzeit in der ganzen Kirche ausüben und so in die einzelnen Bistümer eingreifen. Der Papst besitzt
also „auf Anordnung des Herrn … über alle andern Kirchen den Vorrang der ordentlichen Gewalt.“ Ihm „gegenüber sind daher die Gläubigen und die Hirten jeglichen Ritus und Ranges,
und zwar sowohl einzeln wie in ihrer Gesamtheit, zu hierarchischer Unterordnung und zu wah5
6
http://www.zeit.de/kultur/film/2011-12/gespraech-regisseur-nanni-moretti
http://viennale.orf.at/stories/1689885/
4
rem Gehorsam verpflichtet … Zweitens genießt er in Fragen des Glaubens und der Moral Unfehlbarkeit (Infallibilität). In seiner Funktion als Stellvertreter Christi und oberster Hirte der Kirche kann er den Gläubigen durch die Kraft des Heiligen Geistes Lehren vorlegen, die ohne Abstimmung mit dem Episkopat und ohne jegliche Zustimmungsbedingung zu glauben sind.
„Wenn der römische Papst ‚ex Cathedra’ spricht, – das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes
als Hirte und Lehrer aller Christen mit seiner höchsten Apostolischen Autorität erklärt, dass eine
Lehre, die den Glauben oder das sittliche Leben betrifft, von der ganzen Kirche gläubig festzuhalten ist, – dann besitzt er kraft des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei Entscheidungen in der Glaubens- und Sittenlehre ausgerüstet wissen wollte. Deshalb lassen solche Lehrentscheidungen des römischen Papstes keine Abänderung mehr zu, und zwar schon von sich aus,
nicht erst infolge der Zustimmung der Kirche“ (PA 21).
Aus neutestamentlicher Sicht ist die heutige römisch-katholisch dogmatische Begründung des
Papstamtes nicht mit der Heiligen Schrift vereinbar, sondern Frucht westlicher Tradition. Petrus
war kein Papst, nicht einmal Bischof von Rom, und das Papstamt geht nicht auf göttliche Stiftung zurück, sondern entwickelt sich aus einer Mischung von römischem Erbrecht, Ansehen der
Stadt Rom und letztlich einer besonderen Interpretation der biblischen Texte über Petrus. Der
Anspruch Roms, Petrus selbst in einem „Amt“ nachzufolgen, das es zu Zeiten des Petrus gar
nicht gegeben hat, und „im Amt der Bischöfe von Rom das sichtbare Zeichen und den Garanten
der Einheit bewahrt zu haben“ (Johannes Paul II.), ist daher nicht akzeptabel. Die christliche
Wahrheit darf nämlich in reformatorischer Sicht nicht von einer Einzelperson und einer einzigen
Zentrale repräsentiert werden, sondern setzt sich im Hören des Wortes Gottes dialogisch mit der
gesamten Christenheit durch. Martin Luther formulierte diese Einsicht wesentlich drastischer:
„Der Papst ist der Antichrist, wenn er sich an die Stelle Christi setzt und wenn es heilsnotwendig
ist, ihm zu gehorchen“ (Schmalkaldische Artikel 4). Im Laufe der ökumenischen Bewegung
bricht sich deshalb die Einsicht Bahn, dass das Papstamt – wie es im 1. Vatikanum dogmatisiert
wird – ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Konfessionen ist.
Papst Johannes Paul II. regt deshalb an, „eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar
keineswegs auf das Wesentliche der Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet.“ Er fordert dazu auf, „über dies Thema mit mir einen brüderlichen und geduldigen Dialog
aufzunehmen.“ (Enzyklika „Ut unum sint“; 1995).
Wie so ein „Petrusdienst“ aus evangelischer Sicht aussehen kann, skizziert der evangelische
Theologe Harding Meyer und benennt Kriterien, die erfüllt sein müssen, um sich eine Gemeinschaft „mit, nicht unter dem Papst“ (Reinhard Frieling) vorstellen zu können.
–
Die römisch-katholische Kirche muss anerkennen, dass der päpstliche Primat unter
dem Primat des Evangeliums steht und diesem unmissverständlich dient.
–
Die römisch-katholische Kirche muss dies auf zweifache Weise zum Ausdruck bringen.
Zunächst muss auf theologischer Ebene klar sein, dass die Lehrautorität des päpstlichen Amtes lediglich nach menschlichem Recht ausgeübt wird. Zweitens muss sich diese Unterordnung unter die Heilige Schrift auch praktisch zeigen, also der Jurisdiktionsprimat so gestaltet werden, dass der Papst eben zumindest auf die evangelische
Kirche keinen Zugriff haben darf.7
7
Zitiert nach Oliver Schuegraf, Teufels Gespenst oder Diener der Einheit? Lutherische Annäherung an das Papstamt, in:
Papstamt und römisch-katholisch-altkatholischer Dialog. Internationale Kirchliche Zeitschrift, Bern 2010, 150.
5
Man kann demnach aus evangelischer Sicht also über einen „Petrusdienst“ des Papstes oder den
Papst als „Sprecher der Christenheit“ nachdenken, muss aber präzise formulieren, was man damit meint. Sollte die Einheit der Christenheit ihren höchsten Ausdruck in einem souveränen
Konzil finden und der Papst in dieses verbindlich eingebunden sein, sollte der Papst also auf
seine historisch gewachsenen Rechte verzichten bzw. von der evangelischen Kirche nicht verlangen, dass sie seine Rechtsgewalt und seine Unfehlbarkeit anerkennt, dann könnte man sich
der Normativität des Faktischen beugen und ihn als Repräsentanten des Christentums anerkennen …
Im Kern dreht sich die Frage nach dem Papstamt also um das ungelöste Problem des Kirchenverständnisses. Hier genauer um die Frage: Gehört der Papst wesentlich zum Kirche-Sein dazu?
Während die römisch-katholische Kirche dies bejaht, wird es aus evangelischer Sicht verneint.
Das ist der tiefe Konfliktpunkt, der sich auch in andere Bereiche auswirkt. Während das Ziel der
römisch-katholischen die „Wiederherstellung der Einheit“ der Kirche ist, also volle Gemeinschaft der Kirche, die ihren Ausdruck in der Eucharistiegemeinschaft findet, kann die evangelische Theologie eine „versöhnte Verschiedenheit“ anstreben, also Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft erklären, ohne Kirchengemeinschaft vorauszusetzen … Von daher stellt sich die Frage nach dem Papstamt aus evangelischer Sicht nur im ökumenischen Dialog, und das eigentliche
Problem ist, wie man mit dem faktischen Papstamt der römisch-katholischen Kirche umgehen
soll. Hier gilt es ein schwieriges Problem zu lösen.
Der Papst ist unfehlbar von Evelyn Finger (http://www.zeit.de)
Weil Gott unfehlbar ist. Über die Paradoxien eines besonderen Amtes. Der kürzeste Witz über
die Allmacht besteht nur aus einem Satz: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm
von deinen Plänen.“ Das soll heißen, dass der Allmächtige sich nicht um die kleinen Pläne seiner
Geschöpfe kümmert. Der Mensch denkt, und Gott lenkt: So sahen es schon die alten Griechen,
so ungefähr steht es in der Bibel, und so kann es selbst einem Papst passieren. Als vor sechs Jahren Joseph Ratzingers Wahl durch das Konklave besiegelt wurde, da fühlte der Kardinal, wie er
später sagte, „das Fallbeil auf mich herabfallen“ Wieso empfindet der Stellvertreter Gottes diese höchste aller Ehren als ein Todesurteil? Aus Ehrfurcht vor dem Herrn? Aus Sentimentalität für
das nun unwiederbringliche Gelehrtendasein? Nein. Wer vor der eigenen Papstwahl erschrickt,
reagiert nur allzu menschlich auf das Absurde dieses Amtes.
Denn wer Papst wird, hört auf, ein Mensch unter Menschen zu sein und muss für den Rest seines Lebens als Gottes einsamster Diplomat im Niemandsland zwischen Himmel und Erde schweben. Das gelegentliche Herabsteigen zu den Gläubigen – huldvolle Segnung, gnadenvolle Berührung – besiegelt nur die eigene Entrücktheit. Denn die Distanz des Papstes zur Welt ist eine
andere als die der weltlichen Herrscher oder Stars, nämlich Zeichen des Absoluten. Dieser eine
kennt den Willen Gottes und die Wahrheit. Dieser eine ist unbezweifelbar, also unberührbar.
Mal ehrlich: Wer will das? Dass das Papsttum einem Verhängnis gleichkommt, nicht zuletzt für
den Papst selbst, davon handelt auch eine neue Filmkomödie von Nanni Moretti, die in Italien
innerhalb nur zweier Monate eine Million Zuschauer hatte. „Habemus Papam – Ein Papst büxt
aus“ erzählt von einem Auserwählten, der es nicht schafft, nach seiner Wahl auf den berühmten Balkon überm Petersplatz zu treten. Blöder Jux, kann man sagen. Doch der Film zeigt, was
als Unbehagen die Debatte um das Papsttum schon ewig prägt: die absolute und durch nichts
Irdisches legitimierte Macht. Da weichen die Kardinäle plötzlich vor dem einen Kardinal zurück
und himmeln ihn als Heiligen Vater an, was diesen in Panik versetzt, denn er selbst hat nicht das
Gefühl, der legitime Besitzer des Schlüssels zum Himmelreich zu sein. Erfüllt ein Papst überhaupt den biblischen Auftrag richtig, diesen Schlüssel zu verwalten, indem er absolutistisch über
das geistige Reich des Katholizismus herrscht?
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Darüber streiten nun seit Petrus die Theologen. Es ist aber eine Frage, die auch Nichtkatholiken
interessieren kann, weil sie letztlich unser aller Verhältnis zur Herrschaft und unser Verständnis
von Freiheit betrifft. Schlicht gesagt: In einer freien demokratischen Gesellschaft muss sich alle
Macht innerhalb der Welt und mit Vernunftgründen legitimieren. Eine Macht, die das nicht will
und kann, ist für uns schwer akzeptabel. Der päpstliche Anspruch jedenfalls, einen direkten
Draht zu Gott zu haben und deshalb im Zweifelsfall die Wahrheit zu dekretieren, passt nicht in
die Demokratie. Carl Schmitt fand: Der Führer setzt das Recht, weil er der Führer ist. Der Vatikan findet: Der Papst ist der Stellvertreter Gottes, weil das Gottes Ratschluss ist. Aus dieser totalitären Falle kommt man auch nicht heraus, indem man fordert, der Papst müsse sich ändern –
denn dann müsste auch Gott sich ändern.
Vielleicht ist das ja der Grund, warum viele Katholiken hierzulande den Papst zwar ungern missen möchten, aber sein Amt auch nicht wirklich ernst nehmen. Sie ignorieren jedenfalls seine
Positionen zu gewissen Fragen. Für sie ist der Papst auch nur ein Mensch. Und was denkt Benedikt? Wer wie er die alten Attribute Gottes ernst nimmt, wer also an Allmacht, Allwissenheit,
Allgüte glaubt, der gerät als Papst in einen Selbstwiderspruch. Es ist der Widerspruch zwischen
seiner Herkunft als Bürger und seinen quasigöttlichen Attributen. Selbst Benedikt, so wenig begeistert von der Demokratie er sein mag, kommt doch aus einer freiheitlichen Gesellschaft, wo
die Gewalt geteilt ist und die Wahrheit des Katholiken ebenso viel wie die des Atheisten gilt.
Dementsprechend behandeln denn auch deutsche Politiker den Papst, nämlich als Bürger, und
beantworten so die Machtfrage gegenüber dem Vatikan.
Zwei letzte Fragen aber können nur die Katholiken selbst klären. Erstens: Ist ein Katholizismus
ohne Papst denkbar? Nein, sagen konservative Theologen, er ist der unverrückbare Fels dieser
Kirche. Zweitens: Lässt das Papstamt sich demokratisieren? Vielleicht, sagen manche Reformtheologen, die sich damit aber ganz klar außerhalb der gegenwärtigen offiziellen Kirchenlehre
stellen. Die Kirche ist hierarchisch ganz starr auf den Papst hin ausgerichtet. Trotzdem wäre
auch ein Papstamt ohne kirchliche Allmacht und ohne Unfehlbarkeit denkbar, als Symbol der
Einheit der Kirche, als moralische Instanz, als Repräsentation der Kirche nach außen. Ein Papst,
demokratisch vom Volk Gottes gewählt. Ein Papst, der nicht über den Entscheidungen von Synoden und Konzilien stünde. Diese Diskussion ist schon seit dem Mittelalter unter dem Stichwort „Konziliarismus“ im Gange. Zurzeit kann man darüber aber nicht offen reden. Wer sich
dazu als Theologe äußert, muss leider mit einem Lehrbeanstandungsverfahren rechnen. Denn
hier geht es um eine Frage der Macht.
Marlene Ritter/Dr. Julia Helmke
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