Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner

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Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner
2008
Daniel Daeniker / Claude Lambert*
Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner
Gesellschaft erwerben?
Inhaltsübersicht
I. Einleitung
II. Gesetzliche Grundlagen
Q 1: Bei welchen Gesellschaften findet die Insiderstrafnorm
des schweizerischen Strafrechts Anwendung?
Q 2: Wie hat sich die Insiderstrafnorm im schweizerischen
Strafrecht entwickelt?
Q 3: Wie verhält sich die Insiderstrafnorm zur börsenrechtlichen Regel über die Ad-hoc-Publizität?
Q 4: Welche Regeln gelten für kotierte Gesellschaften, deren
Aktien an der SWX Europe gehandelt werden?
III. Privatautonome Regelung durch ­Gesellschaften
Q 5: Inwieweit haben schweizerische Gesellschaften dafür zu
sorgen, dass innerhalb des Unternehmens keine Insiderdelikte begangen werden?
Q 6: Wie werden Bestimmungen betreffend Ausnützen vertraulicher Informationen innerhalb eines Unternehmens
konkret umgesetzt?
IV. Aktienhandel durch eingeweihte Personen
Q 7: Wann müssen Manager Transaktionen in Aktien der
eigenen Gesellschaft offenlegen?
Q 8: Welche Sanktionsmöglichkeiten bestehen bei unterlassener Offenlegung?
Q 9: Kann ein Manager, der in ein vertrauliches Projekt eingeweiht ist, generell in Aktien seiner Gesellschaft handeln?
Q 10: Kann ein Manager zwischen dem Bilanzstichtag und dem
Tag der Veröffentlichung der Unternehmenszahlen in
Aktien seiner Gesellschaft handeln?
Q 11: Bis zu welchem Zeitpunkt gilt ein allfälliges Handels­
verbot?
V. Arbeitsrechtliche Sanktionen bei ­Insidergeschäften
Q 12: Wie kann ein Unternehmen die Verletzung der Insiderstrafnorm ahnden?
I. Einleitung
Seit dem 1. Juli 1988 ist in der Schweiz das Ausnützen der Kenntnis vertraulicher Tatsachen bei börslich
gehandelten Effekten unter Strafe gestellt (Art. 161
StGB).
*
Dr. iur. Daniel Daeniker, LLM., Rechtsanwalt/Dr. iur. Claude
Lambert, LLM., Rechtsanwalt, beide Partner bei Homburger
AG, Zürich. Die Autoren danken ihren Kollegen lic. iur. Karin
Wiedmer, lic. iur. Niklaus Meier und lic. iur. Stefan Waller für
wertvolle Hinweise.
Zur Zeit ihres Inkrafttretens wurde die Insiderstrafnorm als «Lex Americana» verschrieen und betroffene
Kreise befürchteten eine Welle von Strafverfolgungen.
Allerdings hat sich die praktische Wirkung der Insiderstrafnorm in recht engen Grenzen gehalten: In den
20 Jahren seit Inkrafttreten von Art. 161 StGB sind in
der Schweiz erst einige wenige Verurteilungen wegen
Insiderhandels ergangen. Trotzdem hat das Problembewusstsein im Bereich Insiderhandel seit dem Inkrafttreten erheblich zugenommen.
Auf Vorschlag des Bundesrats hat der Ständerat in
der Junisession 2007 eine Verschärfung des Insiderstraftatbestandes beschlossen . Der Nationalrat hat in
der Frühjahrssession 2008 nachgezogen und seit dem
1. Oktober 2008 ist die revidierte Strafnorm in Kraft.
Die Verschärfung im Insiderstrafrecht wird vor allem
diejenigen Manager interessieren, die im Rahmen von
Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen oder anderweitig
an ihrer eigenen Gesellschaft beteiligt sind. Regelmässig sind diese Spitzenkader in vertrauliche unternehmerische Projekte eingebunden. Können solche Manager
überhaupt noch in Aktien ihrer Gesellschaft handeln,
wenn sie in ein vertrauliches Projekt eingeweiht sind,
dessen Bekanntwerden den Kurs erheblich beeinflussen
könnte?
In diesem Artikel ist zuerst die Rede von den gesetzlichen Grundlagen der Insiderstrafnorm im schweizerischen Strafrecht (II.). Danach werden kurz die in
schweizerischen Gesellschaften bestehenden privatautonomen Regelungen, üblicherweise als Insiderreglemente bezeichnet, in ihren Grundzügen vorgestellt
(III.). Sodann wird auf die Frage eingegangen, inwieweit Manager Aktien ihrer eigenen Gesellschaft kaufen
oder verkaufen können, wenn sie in ein vertrauliches
Projekt eingeweiht sind (IV.). Ausführungen zu arbeits-
Vgl. die Nachweise bei BSK StGB II-Peter, Vorbemerkung zu
Art. 161 StGB; Daniela Koenig, Das Verbot von Insiderhandel,
Diss. Zürich 2006, 254 f.; EBK-Jahresbericht 2004, 85.
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AB 2007 S 541.
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AB 2008 N 293.
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AS 2008 4501.
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Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
rechtlichen Sanktionen bei Vornahme von unzulässigen
Insidergeschäften (V.) beschliessen den Artikel.
II. Gesetzliche Grundlagen
Q 1: Bei welchen Gesellschaften findet die Insiderstrafnorm des schweizerischen Strafrechts Anwendung?
Das Verbot des Insiderhandels ist in Art. 161 StGB unter dem Randtitel «Ausnützen der Kenntnis vertraulicher Tatsachen» geregelt. Die Strafnorm hat in der
heute geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
1. Wer als Mitglied des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung, der Revisionsstelle oder als Beauftragter einer
Aktiengesellschaft oder einer sie beherrschenden oder
von ihr abhängigen Gesellschaft, als Mitglied einer Behörde oder als Beamter, oder als Hilfsperson einer der
vorgenannten Personen, sich oder einem andern einen
Vermögensvorteil verschafft, indem er die Kenntnis
einer vertraulichen Tatsache, deren Bekanntwerden
den Kurs von in der Schweiz börslich oder vorbörslich
gehandelten Aktien, andern Wertschriften oder entsprechenden Bucheffekten der Gesellschaft oder von
Optionen auf solche in voraussehbarer Weise erheblich
beeinflussen wird, ausnützt oder diese Tatsache einem
Dritten zur Kenntnis bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis
zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2. Wer eine solche Tatsache von einer der in Ziffer 1 genannten Personen unmittelbar oder mittelbar mitgeteilt
erhält und sich oder einem andern durch Ausnützen dieser
Mitteilung einen Vermögensvorteil verschafft, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.
3. [aufgehoben ]
4. Ist die Verbindung zweier Aktiengesellschaften geplant, so gelten die Ziffern 1 und 2 für beide Gesellschaften.
5. Die Ziffern 1, 2 und 4 sind sinngemäss anwendbar,
wenn die Ausnützung der Kenntnis einer vertraulichen
Tatsache Anteilscheine, andere Wertschriften, Bucheffekten oder entsprechende Optionen einer Genossenschaft oder einer ausländischen Gesellschaft betrifft.
Die Insiderstrafnorm kann nur dann Anwendung finden, wenn sich das Ausnützen der Kenntnis einer vertraulichen Tatsache auf in der Schweiz börslich oder
vorbörslich gehandelte Effekten bezieht. Der (Börsen-)
Handel der fraglichen Effekten ist m.a.W. notwendige
Voraussetzung zur Anwendung von Art. 161 StGB . Die
Strafnorm gilt gleichermassen für Effekten in- oder ausländischer Emittenten (so ausdrücklich Art. 161 Ziff. 5
StGB), in beiden Fällen allerdings nur, sofern die Titel
in der Schweiz börslich gehandelt werden.
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Vgl. dazu
Q 2.
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Zum Begriff des börslichen Handels vgl.
Peter (FN 1), N 18 ff.
zu Art. 161 StGB; Koenig (FN 1), 137 ff.; BSK BEHG-Trippel/
Urbach, N 17 ff. zu Art. 161 StGB.
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Zur Anwendbarkeit der Strafnorm auf Gesellschaften, deren Beteiligungspapiere an der SWX Europe zum Handel zugelassen
sind, vgl. hinten, Q 4.
Q 2: Wie hat sich die Insiderstrafnorm im schweizerischen Strafrecht entwickelt?
Die Insiderstrafnorm von 1988 wies bis zum Inkrafttreten der Neufassung am 1. Oktober 2008 im Vergleich zu
ausländischen Regelungen einen ausgesprochen engen
Anwendungsbereich auf. Insbesondere war der Begriff der
«vertraulichen Tatsache» sehr restriktiv definiert als «eine
bevorstehende Emission neuer Beteiligungsrechte, eine
Unternehmensverbindung oder ein ähnlicher Sachverhalt
von vergleichbarer Tragweite» (Art. 161 Ziff. 3 a-StGB).
Die Tragweite der Definition des «ähnlichen Sachverhaltes von vergleichbarer Tragweite» wurde bereits vor
Erlass der Insiderstrafnorm , aber auch nach deren Inkrafttreten heftig debattiert. Ein Teil der Lehre befürwortete ursprünglich eine extensive Auslegung und wollte
damit grundsätzlich jedes Ereignis mit Kursrelevanz unter den Straftatbestand subsumiert wissen. Andere Autoren plädierten von Anfang an für eine enge Auslegung
der gesetzlichen Bestimmung10. Diese Auslegung schien
auch eher dem im Strafrecht verankerten Legalitätsprinzip, konkret: dem Bestimmtheitsgebot11, zu entsprechen.
In einem 1992 ergangenen, wegweisenden Entscheid
hatte sich das Bundesgericht für die restriktive Auslegung von Art. 161 Ziff. 3 a-StGB ausgesprochen. In diesem Entscheid hielt das höchste Gericht fest, ein Rückgang des Reingewinns einer Gesellschaft um knapp
50 % gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres
stelle keine vertrauliche Tatsache im Sinne von Art. 161
Ziff. 3 a-StGB dar. Dass die öffentliche Ankündigung
des Gewinnrückgangs einen Kurssturz von knapp 20 %
verursachte, war offenbar irrelevant. Die Auslegung des
Willens des Gesetzgebers liess keinen anderen Schluss
zu, obwohl das höchste Gericht selbst diese Auslegung
als insoddisfacente im Lichte des Schutzzwecks von
Art. 161 StGB bezeichnete12 . Der Bundesgerichtsentscheid wurde später mehrmals bestätigt13.
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Der Bundesrat wollte das Ausnützen der Kenntnis über jede Art
von kursrelevanten Informationen unter Strafe stellen (BBl 1985
II 74 und 81), aber der Ständerat schränkte durch Einführung der
Ziffer 3 zu Art. 161 StGB den Anwendungsbereich der Norm erheblich ein (BGE 118 Ib 547 ff., 556; BBl 2007 439 ff., 442).
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So etwa Niklaus Schmid, Schweizerisches Insiderstrafrecht, Ein
Kommentar zu Artikel 161 des Strafgesetzbuches: Ausnützen der
Kenntnis vertraulicher Tatsachen, Bern 1988, 183 ff.; Peter Forstmoser, Insiderstrafrecht, in: SAG 60 (1988), 122 ff., 129; Lutz
Krauskopf, Die neue Insiderstrafnorm, in: ST 1988, 228 ff., 230.
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Anstatt vieler Christoph Peter, Aspekte der Insiderstrafnorm,
Diss. Zürich 1991, 109 ff.; Peter Böckli, Insiderstrafrecht und
Verantwortung des Verwaltungsrates, Zürich 1989, 51; Martin
Schubarth/Peter Albrecht, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Bern 1990, N 71 zu Art. 161 StGB; zur ganzen
Diskussion Koenig (FN 1), 166 f.
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Vgl. dazu BSK StGB I-Popp, N 31 ff. zu Art. 1 StGB.
12�������������������������������������
Ausführlich BGE 118 Ib 547 ff., 558. Ähnlich
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hatte bereits zuvor
das Obergericht des Kantons Zürich entschieden (Obergericht
des Kantons Zürich, Entscheid vom 30. August 1991, in: SJZ 88
(1992), 170 f.).
13�����������������������
Vgl. die Nachweise bei Trippel/Urbach (FN 6), N 24 zu Art. 161
StGB.
Trotz klarer – und aufgrund der Gesetzgebungsgeschichte wohl richtiger – Praxis des Bundesgerichts
wurde in der Lehre nach wie vor kritisiert, dass nur
spezifische Arten von Wissensvorsprüngen zu einer
Strafbarkeit führen konnten14. Der unbefriedigende Zustand ist durch die Revision von Art. 161 StGB beseitigt
worden. Der Bundesrat hat am 8. Dezember 2006 vorgeschlagen, Ziffer 3 von Art. 161 a-StGB ersatzlos zu
streichen15, was wie erwähnt seit dem 1. Oktober 2008
Gesetz ist.
Die Streichung von Ziffer 3 der Strafnorm führt im Wesentlichen dazu, dass jede Tatsache, die den Kurs börs­
lich gehandelter Effekten in voraussehbarer Weise erheblich beeinflussen wird, als vertrauliche Tatsache im
Sinne des Strafrechts gilt16 .
Q 3: Wie verhält sich die Insiderstrafnorm zur börsenrechtlichen Regel über die Ad-hoc-Publizität?
Knapp zehn Jahre nach Inkrafttreten der Insiderstrafnorm wurde das vereinheitlichte Kotierungsreglement
für die Zulassung von Effekten an der Schweizer Börse
(heute SIX Swiss Exchange) erlassen. Art. 72 des Kotierungsreglements verpflichtet die kotierten Gesellschaften, über potenziell kursrelevante Tatsachen unverzüglich die Öffentlichkeit zu informieren oder aber
für deren umfassende Vertraulichkeit zu sorgen. Die
entsprechende Regelung lautet in ihrer heute geltenden
Fassung wie folgt:
Der Emittent informiert den Markt über kursrelevante
Tatsachen, welche in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten und nicht öffentlich bekannt sind. Als kursrelevant
gelten Tatsachen, die geeignet sind, zu einer erheblichen
Änderung der Kurse zu führen.
Der Emittent informiert, sobald er von der Tatsache in
ihren wesentlichen Punkten Kenntnis hat. Er kann jedoch die Bekanntgabe einer kursrelevanten Tatsache
hinausschieben, wenn
a. die Tatsache auf einem Plan oder Entschluss des
Emittenten beruht und
b. deren Verbreitung geeignet ist, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen.
14���������������
Anstatt vieler
Peter Böckli/Christoph Bühler, Vorabinformationen an Grossaktionäre: Möglichkeiten und Grenzen nach
Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, in: SZW 2005, 101 ff.,
106; Roger Groner, Aspekte des Insidertatbestands (Art. 161
StGB), in: Jürg-Beat Ackermann (Hrsg.), Strafrecht als Herausforderung, Zürich 1999, 261 ff., 267; Christoph Peter, Soll der
schweizerische Insiderartikel demnächst wirklich als hinkender
exotischer Zwitter einbetoniert werden?, in: Robert Waldburger/
Charlotte M. Baer/Ursula Nobel/Benno Bernet (Hrsg.), Wirtschaftsrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Festschrift für Peter
Nobel zum 60. Geburtstag, Bern 2005, 583 ff.
15��������������������������������������������������������������
Für Einzelheiten vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 8. Dezember 2006 (BBl 2007, 439 ff.); nachfolgend zit. als Botschaft
2007.
16����������������������������������������������������������������
Ziffer 3 von Art. 161 a-StGB hatte folgenden Wortlaut: «Als Tatsache im Sinne der Ziffern 1 und 2 gilt eine bevorstehende Emis­
sion neuer Beteiligungsrechte, eine Unternehmensverbindung
oder ein ähnlicher Sachverhalt von vergleichbarer Tragweite».
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Im Falle des Bekanntgabeaufschubes muss der Emittent
die umfassende Vertraulichkeit dieser Tatsache gewährleisten, ansonsten entfällt die Berechtigung für den Aufschub sofort.
Die Bekanntmachung ist so vorzunehmen, dass die
Gleichbehandlung der Marktteilnehmer gewährleistet
ist.
Die Zulassungsstelle kann im Rahmen einer Richtlinie
Ausführungsbestimmungen erlassen.
Die Regelung betreffend die Ad-hoc-Publizität in
Art. 72 des Kotierungsreglements richtet sich an die
Emittenten, nicht an Individuen; die Nichteinhaltung
wird mit börsenrechtlichen Sanktionen geahndet, nicht
mit strafrechtlichen. Dennoch fällt auf den ersten Blick
auf, dass der Anwendungsbereich der Regelung betreffend Ad-hoc-Publizität viel weiter gefasst ist als der ursprüngliche Text der 1988 erlassenen strafrechtlichen
Bestimmung, d.h. vor der per 1. Oktober 2008 erfolgten
Streichung von Ziff. 3 von Art. 161 StGB: Als kursrelevant im Sinne des Kotierungsreglements gilt jede Tatsache, die geeignet ist, zu einer erheblichen Änderung
der Kurse zu führen. Voraussetzungen dazu sind einzig,
dass die entsprechende Tatsache im Tätigkeitsbereich
des Emittenten eingetreten ist17 und dass diese Tatsache
nicht öffentlich bekannt ist. Eine Einschränkung, wie
sie bisher in Ziff. 3 von Art. 161 StGB vorgesehen war18 ,
fehlt hier gänzlich.
Als Folge davon gab es eine ganze Reihe kursrelevanter
Ereignisse im Sinne des Kotierungsreglements, bei denen ein Emittent verpflichtet war, den Markt zu informieren oder alle notwendigen Massnahmen zur umfassenden Vertraulichkeit zu treffen, insbesondere um
Lecks zu vermeiden, die umgekehrt aber nicht unter
Art. 161 Ziff. 3 a-StGB subsumiert werden konnten.
Die per 1. Oktober 2008 erfolgte ersatzlose Streichung
der Ziffer 3 von Art. 161 a-StGB soll hier eine Annäherung des Strafrechts zum Börsengesellschaftsrecht bewirken. Obwohl die Formulierung im Strafgesetzbuch
(vertrauliche Tatsache, deren Bekanntwerden den Kurs
in voraussehbarer Weise erheblich beeinflussen wird)
nicht identisch ist mit derjenigen im Kotierungsreglement (nicht öffentliche Tatsache im Tätigkeitsbereich,
die geeignet ist, zu einer erheblichen Änderung der Kurse zu führen), scheint die Botschaft davon auszugehen,
dass die bereits bestehende Praxis zur kursrelevanten
Tatsache in Anwendung von Art. 72 des Kotierungs­
reglements auch für die strafrechtliche Beurteilung herangezogen werden kann19.
Allerdings wird wohl der strafrechtliche Begriff der Insider-Information nicht völlig deckungsgleich mit dem
Begriff der kursrelevanten Tatsache im Sinne des Ko17����������������������������������������������������������������
Die Regelung in der EU ist in dieser Hinsicht anders: vgl. dazu
hinten, Q 4.
18����������������
Vgl. dazu FN 16.
19���������������������������������
Vgl. Botschaft 2007 (FN 15), 445.
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tierungsreglements sein. Falls die Gesellschaft bspw.
weiss, dass das Geschäftsergebnis von den Erwartungen im Markt, die nicht von der Gesellschaft selbst
geweckt worden sind, abweicht, so gilt das tatsächliche
Geschäftsergebnis nach Praxis der SIX Swiss Exchange
nicht als kursrelevante Tatsache, die von der Gesellschaft offengelegt werden muss20 . Umgekehrt scheint es
u.E. nicht ausgeschlossen, dass die Kenntnis des von den
Erwartungen abweichenden Geschäftsergebnisses eine
strafrechtlich relevante Insider-Information sein kann.
Q 4: Welche Regeln gelten für kotierte Gesellschaften,
deren Aktien an der SWX Europe gehandelt werden?
Die Aktien der grössten schweizerischen Publikumsgesellschaften sind an der SIX Swiss Exchange kotiert,
werden aber gegenwärtig an der SWX Europe (vormals
virt-x) gehandelt. SWX Europe mit Sitz in London ist
eine von der Financial Services Authority überwachte
Börse, eine sogenannte recognized investment exchange;
sie gilt ausserdem als geregelter Markt nach den Bestimmungen der einschlägigen EU-Richtlinien 21.
Anfang November 2008 hat die SIX Group bekanntgegeben, den gesamten Schweizer Aktienhandel bis Mitte 2009 an der SIX Swiss Exchange zu vereinigen 22. Der
Handel, der heute über die SWX Europe in London erfolgt, soll an die SIX Swiss Exchange in Zürich verlegt
werden. Regulatorische Konsequenz dieser Repatriierung
wird wohl sein, dass der gesamte Schweizer Aktienhandel
grundsätzlich 23 (wieder) unter einheitlicher inländischer
Regulierung und Überwachung steht. Einstweilen gelten
für Gesellschafen, deren Aktien an der SWX Europe gehandelt werden, noch folgende Besonderheiten.
SWX Europe bietet den schweizerischen Emittenten
zwei verschiedene Handelssegmente:
•
•
das EU-Regulated Market Segment, in dem die anwendbaren Bestimmungen der EU-Richtlinien teilweise automatisch gelten, teilweise in Kraft treten,
sobald ein Emittent eine Neukotierung (z.B. infolge
Kapitalerhöhung) beantragt; sowie
das UK-Exchange Regulated Market Segment, das
nicht als geregelter Markt im Sinne der EU-Regeln
gilt, womit auch die Vorschriften des EU-Regelwerks keine direkte Anwendung finden 24.
20�����������������������������������������������������
SWX Swiss Exchange, Kommentar zur Ad-hoc-Publizitäts-
Richtlinie, Rz. 3 N 22.
21��������������������������������������������������������
Regulatorische Rahmenbedingungen für Emittenten: Handel
von SIX-kotierten Effekten an SWX Europe, herausgegeben von
der SIX Swiss Exchange, Ziff. 1 (abrufbar unter: www.swx.com/
download/admission/listing/equity_market/regulatory_framework_08_de.pdf).
22�����������������������������������������������������
Medienmitteilung der SIX Group vom 11. November 2008.
23���������������������������������������������������������������
Einzelheiten der regulatorischen Folgen der Repatriierung sind
im Zeitpunkt der Drucklegung dieses Aufsatzes noch nicht bekannt.
24���������������������������������������������������������
Regulatorische Rahmenbedingungen für Emittenten (FN 21),
N 18–24.
Unabhängig davon, in welchem Segment die Aktien einer schweizerischen Gesellschaft gehandelt werden, gelten die Marktregeln des Vereinigten Königreichs allein
aufgrund der Tatsache, dass die Aktien an einer englischen Börse gehandelt werden 25. Inwieweit Art. 161
StGB bei Insiderdelikten, die über die SWX Europe erfolgen, zur Anwendung gelangt, ist unklar26 . Die Frage
scheint im Lichte der bevorstehenden Repatriierung des
Handels indes nicht mehr akut.
Im Gegensatz zum UK-Exchange Regulated Market Segment gelten im EU-Regulated Market Segment grundsätzlich die Vorschriften der einschlägigen EU-Richtlinien,
insbesondere der Prospektrichtlinie27, der Marktmissbrauchsrichtlinie28 , der Transparenzrichtlinie29 und der
Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente30.
Für den Geltungsbereich der Marktmissbrauchsrichtlinie aus Sicht der SMI-Emittenten ist allerdings folgende
Präzisierung zu beachten. Der sachliche Anwendungsbereich der Marktmissbrauchsrichtlinie bezieht sich
auf alle Finanzinstrumente, die zum Handel an einem
geregelten Markt in mindestens einem EU-Mitgliedstaat zugelassen sind oder für die ein Zulassungsantrag
gestellt wurde 31. Schweizer Emittenten, deren Aktien
ab dem 1. Juli 2005 im EU-Regulated Market Segment
der SWX Europe gehandelt werden, unterstehen damit an sich den Bestimmungen der Marktmissbrauchsrichtlinie. Bezüglich der in Art. 6 Abs. 1–3 Marktmissbrauchsrichtlinie statuierten Emittentenpflichten 32 gilt
allerdings ein sogenanntes grandfathering 33 .
25���������������������������������������������������������������
Dazu zählt unter anderem das englische Regelwerk betreffend In-
siderhandel, das einerseits im Criminal Justice Act verankert ist,
andererseits im Financial Services and Markets Act (in der Fassung von 2005).
26 Peter Nobel, Transnationales und Europäisches Aktienrecht,
Bern 2006, Kap. 5 N 235 ff.
27����������������������������������������������������������
Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim
öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung
zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Prospektrichtlinie).
28������������������������������������������������������������
Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch).
29�����������������������������������������������������������
Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten,
deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG
(Transparenzrichtlinie).
30�������������������������������������������������������������
Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur
Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG
des Rates, geändert durch Richtlinie 2006/31/EG und Richtlinie 2007/44/EG (Markets in Financial Instruments Directive,
­M iFID).
31�����������������������������������������
Art. 9 Abs. 1 Marktmissbrauchsrichtlinie.
32����������������������������������������������������������������
Zu den Emittentenpflichten zählt u.a. die Pflicht zur Bekanntgabe von Insider-Informationen an die Öffentlichkeit.
33����������������������������������������������������������������
Art. 9 Abs. 3 Marktmiss­brauchsrichtlinie. Nach Ansicht der SIX
Swiss Exchange gilt das grandfathering – entgegen dem Wortlaut
Kein grandfathering besteht dagegen für die in
Art. 2–5 Marktmissbrauchsrichtlinie aufgeführten Be­
stimmungen zum Insiderhandel und zur Marktmanipulation. Die im EU-Regulated Market Segment der SWX
Europe gehandelten Aktien von SMI-Gesellschaften
unterstehen diesem Regime vollumfänglich 34.
III.Privatautonome Regelung durch
­G esellschaften
Q 5: Inwieweit haben schweizerische Gesellschaften
dafür zu sorgen, dass innerhalb des Unternehmens keine Insiderdelikte begangen werden?
Wiederum aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis
wurde das Konzept der Unternehmensstrafbarkeit ins
schweizerische Recht importiert. Die Schweiz hat mit
Art. 102 und 102a StGB (ursprünglich Art. 100 quater
und 100 quinquies StGB) am 1. Oktober 2003 die Bestimmungen betreffend die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens in Kraft gesetzt.
Art. 102 StGB lautet wie folgt:
1 Wird
in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks ein Verbrechen oder Vergehen begangen und
kann diese Tat wegen mangelhafter Organisation des
Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person
zugerechnet werden, so wird das Verbrechen oder Vergehen dem Unternehmen zugerechnet. In diesem Fall
wird das Unternehmen mit Busse bis zu 5 Millionen
Franken bestraft.
2 Handelt es sich dabei um eine Straftat nach den Artikeln 260 ter, 260 quinquies , 305bis , 322ter, 322quinquies oder
322 septies Absatz 1 oder um eine Straftat nach Artikel 4a
Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 19. Dez.
1986 gegen den unlauteren Wettbewerb, so wird das Unternehmen unabhängig von der Strafbarkeit natürlicher
Personen bestraft, wenn dem Unternehmen vorzuwerfen ist, dass es nicht alle erforderlichen und zumutbaren
organisatorischen Vorkehren getroffen hat, um eine solche Straftat zu verhindern.
3 Das Gericht bemisst die Busse insbesondere nach der
Schwere der Tat und der Schwere des Organisationsmangels und des angerichteten Schadens sowie nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens.
4 Als Unternehmen im Sinne dieses Titels gelten:
a. juristische Personen des Privatrechts;
b. juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme der Gebietskörperschaften;
von Art. 9 Abs. 3 – auch für Art. 6 Abs. 4 Marktmissbrauchsrichtlinie, d.h. für die Offenlegung von Management-Transak­
tionen, vgl. dazu hinten, Q 7.1.
34�����
Vgl. Thomas Werlen, Relevanz der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie, in: ST 2005, 778. Die Marktmissbrauchsrichtlinie ist
allerdings nicht unmittelbar anwendbar, sondern war von den
Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen; für Schweizer
Emittenten, deren Beteiligungspa­piere auf SWX Europe gehandelt werden, ist damit auf die entsprechende Regulierung im
Vereinig­ten Königreich abzustellen, d.h. hauptsächlich auf den
Financial Services and Markets Act (in der Fassung von 2005).
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c. Gesellschaften;
d. Einzelfirmen.
Art. 102 Abs. 1 StGB begründet eine auf beliebige Verbrechen und Vergehen bezogene subsidiäre Unternehmensstrafbarkeit. Das Unternehmen kann strafrechtlich
belangt werden, wenn die im Unternehmen begangene
Anlasstat wegen mangelhafter Organisation keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann.
Die Strafbarkeit kann indessen vermieden werden, wenn
eine adäquate personale Unternehmensorganisation besteht, welche die Ermittelbarkeit des Täters ermöglicht.
Dazu dienen die üblichen Organisationsreglemente,
Organigramme, Pflichtenhefte usw., deren Einhaltung
auch überwacht und durchgesetzt werden muss35.
Zu betonen ist, dass die subsidiäre Unternehmensstrafbarkeit nicht unbeschränkt gilt nach dem Motto: Wenn
sich kein individueller Täter finden lässt, dann ist das
Unternehmen strafbar. Die Strafbarkeit des Unternehmens ergibt sich vielmehr erst dann, wenn die Zurechenbarkeit an eine einzelne Person wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens nicht möglich ist 36 .
Daraus ergibt sich auch der Umkehrschluss, dass ein
Unternehmen nicht strafrechtlich zur Verantwortung
gezogen werden kann, wenn zwar der Täter nicht ermittelt werden kann, dies aber nicht auf einen Organisationsmangel zurückzuführen ist 37.
Wie kann ein Unternehmen Strukturen schaffen, welche
die Verantwortung für eine strafbare Handlung innerhalb eines Unternehmens jederzeit einem bestimmten
Mitarbeiter zuzuweisen erlauben? Das Konzept der
subsidiären Strafbarkeit des Unternehmens zielt ja gerade darauf ab, die Defizite des Individualstrafrechts,
nämlich die Unmöglichkeit, den für einen strafrechtlich
relevanten Vorgang Verantwortlichen innerhalb eines
Unternehmens festzustellen, zu überwinden. Es sind
also nicht Organisations-, sondern Zurechnungsmängel, die der Verantwortlichkeit der Einzelperson entgegenstehen 38 .
In Bezug auf Insiderdelikte müsste demnach beim
Emittenten in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im
Rahmen des Unternehmenszweckes ein Insiderdelikt
begangen worden sein. Die Tatbestandsmerkmale des
Insiderdelikts müssen somit in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt worden sein, wobei individuelles
Verschulden entbehrlich sein mag, nicht jedoch der Vorsatz39. Das Unternehmen ist aber nach Art. 102 StGB
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Vgl. dazu hinten,
Q 6.4.
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Vgl. BSK StGB I-Niggli/Gfeller,
N 51 und 207 zu Art. 102
StGB.
37 Niggli/Gfeller (FN 36), N 208 zu Art. 102 StGB.
38 Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 3. Aufl., Bern 2005, § 13 N 188 f.;
­M atthias Forster, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des
Unternehmens nach Art. 102 StGB, Diss. Bern 2006, 294.
39 Stratenwerth (FN 38), § 13 N 185.
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Fragen & Antworten
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
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Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
nur strafbar, wenn das Insiderdelikt wegen personeller
Organisationsmängel keinem Mitarbeiter zugeordnet
werden kann. Die Schulung der eigenen Mitarbeiter im
Zusammenhang mit Art. 161 StGB als Grundsatz, der
Hinweis auf Art. 161 StGB vor der Einweihung in ein
insiderrelevantes Projekt im Einzelfall sowie das Führen von Insiderlisten40 sollten u.E. in der Praxis ausreichen, um den Vorwurf der mangelhaften Organisation
des Unternehmens zu entkräften.
Q 6: Wie werden Bestimmungen betreffend Ausnützen
vertraulicher Informationen innerhalb eines Unternehmens konkret umgesetzt?
Nach ständiger Lehre und Rechtsprechung zählt zu den
allgemeinen Sorgfaltspflichten als Arbeitnehmer oder
als Organ einer Gesellschaft unter anderem auch das
Verhindern von Straftaten im Unternehmen41. Was dies
im Einzelfall bedeutet, ist allerdings weniger klar. Gesetzliche Vorgaben fehlen. Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, ein unter der Ägide der
Economiesuisse erstellter Kodex mit Empfehlungen für
schweizerische Publikumsgesellschaften, hält indessen
in Ziff. 17 Folgendes fest:
Der Verwaltungsrat regelt die näheren Grundsätze für
die Ad-hoc-Publizität und trifft Massnahmen zur Verhinderung von Insiderdelikten. Der Verwaltungsrat
prüft insbesondere, ob während kritischer Zeitspannen,
z.B. im Zusammenhang mit Übernahmeprojekten, vor
Medienkonferenzen oder vor der Bekanntgabe von Unternehmenszahlen, geeignete Massnahmen (z.B. Sperrzeiten, «close periods») bezüglich Käufen und Verkäufen
von Titeln der Gesellschaft oder andern sensitiven Werten getroffen werden müssen.
eine Insider Policy erlässt, die das Handeln in eigenen
Effekten regelt.
Diese Reglemente umschreiben zum einen den Anwendungsbereich, d.h.
•
•
•
Zum anderen werden close periods definiert, in welchen
es den Adressaten des Reglements grundsätzlich untersagt ist, (i) Transaktionen in den betroffenen Effekten
abzuschliessen, (ii) inside information zu verbreiten und
(iii) Dritten Empfehlungen zu Transaktionen in den betroffenen Effekten abzugeben. Üblicherweise werden
zwei Arten von close periods unterschieden:
•
Ziff. 20 führt weiter aus:
Der Verwaltungsrat trifft Massnahmen zur Einhaltung
der anwendbaren Normen (Compliance).
Der Verwaltungsrat ordnet die Funktion der Compliance
nach den Besonderheiten des Unternehmens, er kann die
Compliance dem internen Kontrollsystem zuweisen.
Er gibt sich mindestens einmal jährlich darüber Rechenschaft, ob die für ihn und das Unternehmen anwendbaren Compliance-Grundsätze hinreichend bekannt
sind und ihnen dauernd nachgelebt wird.
Nachfolgend sei beispielhaft dargestellt, was dies für
eine schweizerische Publikumsgesellschaft konkret bedeuten kann.
1. Code of Business Conduct / Insider Policy
Es gehört wohl heute zum Standard einer kotierten Gesellschaft, dass sie einen Code of Business Conduct oder
die Adressaten (Verwaltungsrat, Geschäftsleitung
oder gar alle Mitarbeiter),
die betroffenen Effekten (Aktien, Anleihensobligationen, Optionen und andere derivative Finanzin­
strumente),
den Begriff inside information. Dieser Begriff entsprach bislang üblicherweise dem Begriff der potenziell kursrelevanten Tatsache im Sinne von Art. 72
des Kotierungsreglements bzw. der Terminologie in
der Marktmissbrauchsrichtlinie. Seit dem 1. Oktober 2008 ist auch der Begriff der Insiderinformation
gemäss Art. 161 StGB für die Umschreibung von inside information tauglich.
•
Fixe wiederkehrende close periods stehen im Zusammenhang mit dem Erstellen und der Publikation der
regelmässigen Finanz-Berichterstattung oder mit
der Veröffentlichung zum Geschäftsgang; sie gelten
damit unabhängig von einem konkreten unternehmerischen Insiderprojekt. Entsprechende close periods gelten zwischen dem Bilanzstichtag bzw. der
internen Verfügbarkeit der relevanten Zahlen bis zur
oder kurz nach der Publikation42 der Zahlen zur jeweiligen Berichtsperiode.
Variable close periods stehen demgegenüber im Zusammenhang mit einem konkreten unternehmerischen Projekt. Sie sind davon abhängig, ob der
Betroffene im Einzelfall im Besitze von inside information ist oder nicht.
Vielfach werden zu den close periods noch ein bis drei
Börsentage dazugeschlagen, damit der Markt die veröffentlichte inside information absorbieren kann und damit wieder Informationsgleichheit besteht43.
Falls im konkreten Einzelfall für einen Mitarbeiter unklar ist, ob er in den betroffenen Finanzinstrumenten
eine Transaktion abschliessen kann, wird oft im Unternehmen eine Person bezeichnet, die in Zweifelsfällen
die konkreten Umstände beurteilen und gegebenenfalls
die Bewilligung zum Handel erteilen kann44.
40�����������������������������������������������������������������
Vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Marktmissbrauchsrichtlinie sowie hinten,
Q 6.2.
41�����������������������������������������������������
Vgl. zur Thematik aus Sicht des Verwaltungsrats etwa
Diane
Freymond/Hans-Ueli Vogt, Die Pflicht des Verwaltungsrates
zur Verhinderung von Insiderdelikten, in: Jürg-Beat Ackermann
(Hrsg.), Strafrecht als Herausforderung, Zürich 1999, 173 ff.
42������������������
Vgl. dazu hinten,
Q 11.
�� ���
��
Q 11.
���
44�������������������
Vgl. dazu sogleich Q 6.4.
�� ����
43������������������
Vgl. dazu hinten,
2. Insiderlisten
Marktmissbrauchsrichtlinie 45
Gemäss Art. 6 Abs. 3
müssen die EU-Mitgliedstaaten vorsehen, dass Emittenten oder in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung
handelnde Personen ein Verzeichnis derjenigen Personen führen, die für sie auf Grundlage eines Arbeitsvertrags oder anderweitig tätig sind und Zugang zu Insider-Informationen haben. Die Emittenten bzw. die
in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnden
Personen müssen dieses Verzeichnis regelmässig aktualisieren und der zuständigen Behörde auf Anfrage übermitteln.
Demzufolge sind Emittenten, deren Finanzinstrumente
an einem EU-regulierten Markt zum Handel zugelassen
sind, verpflichtet, Insiderlisten zu führen, die darüber
Auskunft geben, wer warum und wann in ein insiderrelevantes Projekt eingeweiht wurde.
Das Führen von Insiderlisten empfiehlt sich aber auch
für alle anderen Emittenten. Insiderlisten sind ein wichtiges Mittel, um die subsidiäre Strafbarkeit des Unternehmens zu vermeiden46 , aber auch um intern rasch
dar­über Klarheit zu schaffen, ob sich ein Verdacht als
begründet erweist.
3. Sperrkonten und -depots
Eine faktische Kontrolle über Transaktionen in eigenen
Beteiligungspapieren kann das Unternehmen dadurch
erreichen, dass Konten und Depots eingerichtet werden, welche die Mitarbeiter zu benutzen haben, falls sie
eigene Beteiligungspapiere halten und handeln wollen.
Dies gilt insbesondere für Aktien oder Optionen, die
Mitarbeiter vom Emittenten im Rahmen eines Beteiligungsplans oder als Boni erhalten.
4. Compliance Officer
Die Verhaltensregeln, wie sie in einem bereits erwähnten Code of Business Conduct oder in einer entsprechenden Insider Policy verankert sind47, bedürfen
der Überwachung. Überdies sind nicht selten Zweifelsfälle – ob etwa eine bestimmte Transaktion unter
den gegebenen Umständen zulässig ist – zu entscheiden. Diese Rolle der Überwachung und Entscheidung
nimmt meist eine unternehmensinterne, eigens hierfür
zuständige neutrale Compliance-Stelle unter Führung
eines Compliance Officer wahr. Hier werden alle insiderrechtlich sensiblen Informationen zentral erfasst, die
verschiedenen organisatorischen Massnahmen zur Vermeidung von Insiderhandel implementiert, koordiniert
45�����������������
Vgl. dazu vorne,
Q 4.
�� ��
46�����������������
Vgl. dazu vorne, Q 5.
�� ��
47�����������������
Vgl. dazu vorne, Q 6.1.
�� ����
GesKR 4
2008
und überwacht. Besteht etwa eine Bewilligungspflicht
für Mitarbeitergeschäfte, ist der Compliance Officer für
die Genehmigung zuständig. Häufig werden dar­über
hinaus Mitarbeiter- und Eigengeschäfte der Gesellschaft daraufhin überprüft, ob keine Verstösse gegen
die Insider Policy vorlagen. Die Compliance betreffend
Vermeidung von Insiderdelikten ist damit meist Teil des
internen Kontrollsystems eines Unternehmens48 .
IV.Aktienhandel durch eingeweihte
­Personen
Q 7: Wann müssen Manager Transaktionen in Aktien
der eigenen Gesellschaft offenlegen?
1. Offenlegung von Transaktionen
Aufgrund von Art. 74a Kotierungsreglement und der
dazu erlassenen Richtlinie betreffend Offenlegung von
Management-Transaktionen49 müssen Emittenten, deren Beteiligungsrechte mindestens teilweise an der SIX
Swiss Exchange kotiert sind, für die Offenlegung von
Management-Transaktionen besorgt sein.
Die Meldepflicht betrifft Geschäfte von Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitgliedern (nicht jedoch
deren nahestehenden Personen) in eigenen Beteiligungsrechten, Wandel- und Erwerbsrechten auf eigene Aktien
und Finanzinstrumente, deren Preis massgeblich durch
eigene Beteiligungsrechte beeinflusst wird.
Überschreitet der Gesamtwert sämtlicher Geschäftsabschlüsse einer meldepflichtigen Person innerhalb
eines Kalendermonats den Betrag von CHF 100 000,
so hat dies die meldepflichtige Person dem Emittenten
innerhalb von zwei Börsentagen zu melden. Der Emittent seinerseits hat der SIX Swiss Exchange innerhalb
von zwei Börsentagen eine Meldung unter anderem mit
Angabe von Namen und Funktion der meldepflichtigen
Person zu erstatten.
Wird innerhalb eines Kalendermonats pro meldepflichtige Person der Schwellenwert von CHF 100 000 nicht
überschritten, so leitet der Emittent nach Monatsende
eine Sammelmeldung, unter anderem mit Angabe von
Namen und Funktion, geordnet nach meldepflichtigen
Personen, an die SIX Swiss Exchange weiter.
Die SIX Swiss Exchange veröffentlicht die Meldungen
jeweils ohne Namensnennung, jedoch unter der Angabe der Funktion auf ihrer Website. Transaktionen, die
insgesamt den Schwellenwert von CHF 100 000 pro Ka-
48�����������������������������������������������������������������
Dies entspricht den Vorgaben des Swiss Code of Best Practice for
49
Corporate Governance (Ziff. 20); vgl. dazu vorne, Q 6.
Vgl. http://www.swx.com/admission/being_public/mtrans/legal_
basis_de.html.
365
Fragen & Antworten
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
GesKR 4
Fragen & Antworten
366
2008
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
lendermonat nicht überschreiten, werden von der SIX
Swiss Exchange nicht veröffentlicht.
Q 8: Welche Sanktionsmöglichkeiten bestehen bei unterlassener Offenlegung?
Falls Finanzinstrumente des Emittenten an einem EURegulated Market zum Handel zugelassen sind, sind
zusätzlich die nationalen Rechte des betroffenen Heimatstaats zu beachten. Die einschlägigen nationalen
Vorschriften setzen Art. 6 Abs. 4 Marktmissbrauchsrichtlinie um. Sie sind in mehrfacher Hinsicht strenger
als die Vorschriften des Kotierungsreglements:
Gemäss Art. 81 Kotierungsreglement kann die Sanktionskommission der SIX Swiss Exchange Sanktionen
nach Art. 82 und 82a Kotierungsreglement aussprechen,
•
•
Der personelle Anwendungsbereich ist insofern
weiter gefasst, als nicht nur Organpersonen von der
Meldepflicht betroffen sind, sondern auch diesen nahestehende Personen.
Die Freigrenze für Sammelmeldungen beträgt nach
dem EU-Regelwerk nicht CHF 100 000 pro Monat,
sondern nur gerade EUR 5000 pro Jahr. Im Vereinig­
ten Königreich ist im Rahmen der Umsetzung die
Freigrenze sogar gänzlich abgeschafft worden 50 .
Für schweizerische Emittenten gelten die einschlägigen
EU-Vorschriften nur, sofern ihre Aktien an der SWX
Europe im EU-Regulated Market Segment gehandelt
werden, und auch das nur, wenn sie nach dem 1. Juli
2005 aufgrund einer Kapitalerhöhung oder anderweitig
eine Zulassung zum Handel beantragt haben 51.
2. Offenlegung von Beteiligungen und Wandel /
Optionsrechten
Gemäss Art. 663bbis und Art. 663c Abs. 3 OR haben
Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert
sind, erstmals für das Geschäftsjahr 2007 im Anhang
zur Bilanz52:
•
•
als Bestandteil der Vergütung die Zuteilung von Beteiligungen, Wandel- und Optionsrechten an frühere
und derzeitige Mitglieder des Verwaltungsrats, der
Geschäftsleitung, des Beirats sowie deren nahestehenden Personen; und
die am Bilanzstichtag gehaltenen Beteiligungen an
der Gesellschaft und Wandel- und Optionsrechte
jedes gegenwärtigen Mitglieds des Verwaltungsrats,
der Geschäftsleitung und des Beirats mit Einschluss
der Beteiligungen der diesen Personen nahestehenden Personen offenzulegen.
50���������������������������������������������������������������
Vgl. Rule 3 der Disclosure Rules and Transparency Rules (abruf-
•
•
wenn der Emittent vorgeschriebene Veröffentlichungen oder Bekanntgaben gemäss Kotierungs­
reglement oder Ausführungsbestimmungen unterlässt oder nicht rechtzeitig macht bzw. wenn er
Informationen veröffentlicht, die nicht wahr, klar
und vollständig sind;
wenn der Emittent trotz Mahnung der Zulassungsstelle nicht gegen meldepflichtige Personen gemäss
Art. 74a Abs. 1 Kotierungsreglement, welche die
vorgeschriebenen Meldungen unterlassen, vorgeht
und sie zur Meldung anhält.
Die in Art. 82 Kotierungsreglement genannten Sank­
tionen umfassen unter anderem den Verweis, die Publikation der Verfehlung sowie Bussen bis CHF 200 000,
die indessen nur gegen das fehlbare Unternehmen und
nicht gegen die handelnden Personen ausgesprochen
werden können.
In der Praxis53 geht es bei der Verletzung von Art. 74a
Kotierungsreglement um die Verletzung der Meldefristen für die Offenlegung von Management-Transaktionen, d.h. die Verletzung der zweitägigen Frist der
Meldung des Managers an die Gesellschaft und – in der
Praxis häufiger – um die Verletzung der zweitägigen
Meldefrist der Gesellschaft an die Börse.
In den bis anhin publizierten Entscheiden wird den Gesellschaften im Wesentlichen vorgeworfen 54:
•
•
•
ein unzureichendes internes Meldesystem zu betreiben;
die Manager unzureichend hinsichtlich deren Pflichten bei Management-Transaktionen zu instruieren;
die interne Zuständigkeit für die Offenlegung von
Management-Transaktionen nicht geregelt und den
Zugang zur webbasierten Meldeplattform der SIX
Swiss Exchange55 nicht eingerichtet zu haben.
Die Verletzung der Offenlegungspflichten gemäss
Art. 663bbis und Art. 663c Abs. 3 OR stellt eine ak­
tienrechtliche Pflichtverletzung des Verwaltungsrats
im Sinne von Art. 754 OR dar56 . Sind die übrigen Haf-
bar unter: http://����������������������������������������
�����������������������������������������������
fsahandbook.info/FSA/html/handbook/DTR).
51��������������������������������������������������������������
Zumindest ist dies die Auffassung der SIX Swiss Exchange (Fre-
quently Asked Questions Regarding the Segmentation Concept
on the SWX and SWX Europe (Stand: 3. ������������������������
März 2008), Frage 2 auf
S. 4 f.; abrufbar unter: http://www.swx.com/download/admis­
sion/listing/segmentation_faq_en.pdf), die allerdings vom Wortlaut der Marktmissbrauchsrichtlinie nicht abgedeckt ist (vgl. dazu
vorne, Q 4).
52�����������������������
Vgl. dazu im Einzelnen Rolf Watter/Karim Maizar, Offenlegung von Vergütungen und Beteiligungen bei schweizerischen
Publikumsgesellschaften gemäss OR, Basel 2007, N 47 ff. zu
Art. 663bbis OR und N 42 ff. zu Art. 663c OR.
53������������������������������������������������������������
Gewisse Entscheide und Pressemitteilungen sind auf der Home-
page der SIX Swiss Exchange abrufbar http://www.swx.com/admission/being_public/sanctions/ip_management_de.html sowie
http://www.swx.com/admission/being_public/sanctions/management_de.html.
54�����������
Vgl. FN 53.
55������������������
Vgl. dazu hinten, Q 11.
�� ���
56�������������������������������������������������������������
Insoweit als die Revisionsstelle die Generalversammlung über
wesentliche Verstösse gegen das Gesetz zu informieren hat
tungsvoraussetzungen (Schaden, Kausalzusammenhang
und Verschulden) erfüllt, ist nicht ausgeschlossen, dass
Mitglieder des Verwaltungsrats und die Revisionsstelle
haftbar werden. Die praktische Relevanz einer Verantwortlichkeitsklage in diesem Kontext ist allerdings als
gering einzustufen 57.
Q 9: Kann ein Manager, der in ein vertrauliches Projekt
eingeweiht ist, generell in Aktien seiner Gesellschaft
handeln?
1. Strafrechtliche Beurteilung
In strafrechtlicher Hinsicht kann ein Manager nicht
mehr in Effekten seiner Gesellschaft handeln, sobald
er Kenntnis einer vertraulichen Tatsache im Sinne
von Art. 161 StGB hat. Projekte, wie geplante Unternehmenszusammenschlüsse, Kapitalerhöhungen und
‑restruktu­rierungen – nach revidiertem StGB sämtliche
Tatsachen, deren Bekanntwerden den Kurs von Wertschriften in voraussehbarer Weise erheblich beeinflussen wird –, führen somit dazu, dass ein Manager im
strafrechtlichen Sinne Insider wird. Ist er damit auch
automatisch vom Handeln in Effekten seiner eigenen
Gesellschaft ausgeschlossen? Die Frage kann wohl nicht
so einfach beantwortet werden.
a) Manager als mögliche Täter des
­I nsiderhandels
Klar ist zunächst, dass ein Manager bei der Gesellschaft,
in der er seine Funktion ausübt, Insider im Rechtssinne
ist. Dies ergibt sich schon aus der gesetzlichen Umschreibung des Täterkreises (Mitglied des Verwaltungsrats bzw. der Geschäftsleitung).
b) Wann stellt ein Projekt eine (vertrauliche)
­Tatsache dar?
Als Nächstes stellt sich die Frage, wann ein unternehmerisches Projekt als (vertrauliche) Tatsache im strafrechtlichen Sinne gelten muss. Häufig sind unternehmerische Projekte reine Planspiele, können also nicht
als (vertrauliche) Tatsache bezeichnet werden, wenn
das Projekt jederzeit wieder abgebrochen werden kann.
Dennoch geht ein Teil der Lehre davon aus, dass auch
Pläne oder Absichten Tatsachen darstellen können,
unabhängig davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie
(Art. 728c Abs. 2 OR) und in ihrem Revisionsbericht das Resultat
ihrer Prüfung festzuhalten hat (Art. 728b Abs. 2 OR) ist auch eine
Pflichtverletzung durch die Revisionsstelle im Sinne von Art. 755
OR denkbar (vgl. Watter/Maizar (FN 52), N 98 zu Art. 663bbis
OR und N 62 zu Art. 663c OR).
57����������������������������������������������������������������
In der Praxis dürfte namentlich der Nachweis eines kausal verursachten Schadens äusserst schwierig sein (ebenso Watter/Maizar (FN 52), N 99 zu Art. 663bbis OR).
GesKR 4
2008
in Zukunft realisiert werden 58 . Nach einem Urteil der
Zürcher Gerichte stellen Vertragsverhandlungen unabhängig davon, wieweit sie gediehen sind, (vertrauliche)
Tatsachen im strafrechtlichen Sinne dar59.
367
Bezüglich der in der Lehre geäusserten Auffassungen
und der Gerichtspraxis sind Zweifel angezeigt. Mit
­P eter 60 gehen wir davon aus, dass ein (vertrauliches)
Projekt erst dann strafrechtlich relevant sein kann,
wenn eine gewisse Realisierungswahrscheinlichkeit
besteht. Ansonsten würde jedes exploratorische Gespräch, das von der Unternehmensleitung geführt wird,
automatisch als (vertrauliche) Tatsache im Sinne des
Strafrechts gelten und die Unternehmensspitze, die zu
diesem Zeitpunkt in Titeln ihrer Gesellschaft handelt,
den strafrechtlichen Sanktionen aussetzen.
Fragen & Antworten
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
Gewisse Mitglieder der Unternehmensführung – vorab
der Vorsitzende der Geschäftsleitung, der von Amtes
wegen in alle unternehmerischen Projekte eingeweiht
sein sollte – wären so wohl zu jedem erdenklichen Zeitpunkt Insider im Sinne des Strafrechts, weil Explorationsgespräche über neue unternehmerische Projekte
in den meisten schweizerischen Gesellschaften permanent an der Tagesordnung sind. Wollte man nun jedes
auch noch so unverbindliche Gespräch z.B. über eine
mögliche Unternehmensverbindung automatisch zur
(vertraulichen) Tatsache erheben, so könnten diese Kader – sofern alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sind –
überhaupt nie mehr in Titeln ihrer eigenen Gesellschaft
handeln.
In diesem Sinne ist für eine zurückhaltende Auslegung
des Begriffs der (vertraulichen) «Tatsache» zu plädieren,
wie er z.B. auch im Rahmen der Praxis der Börsenorgane zur Ad-hoc-Publizität angewendet wird. Nach Auffassung der SIX Swiss Exchange 61 fallen blosse Gerüchte, Ideen, Planungsvarianten und -absichten nicht unter
die Ad-hoc-Publizität. Nachdem es der Absicht des Gesetzgebers zu entsprechen scheint, den strafrechtlichen
Begriff der vertraulichen Tatsache dem börsenrechtlichen Begriff der kursrechtlichen Tatsache anzunähern, ist aus unserer Sicht bei der künftigen Auslegung
des Begriffs der vertraulichen Tatsache im strafrechtlichen Sinne dieselbe Zurückhaltung geboten, die sich
auch die Börsenorgane auferlegt haben.
58���������������
Anstatt vieler
Böckli (FN 10), 63; Koenig (FN 1), 164.
59������������������������������������������������������������������
Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 8. Februar 2000, bestätigt
durch das Obergericht Zürich am 25. Juni 2001, zitiert bei Peter
(FN 1), N 25 zu Art. 161 StGB; Koenig (FN 1), 164.
60 Peter (FN 1), N 25 zu Art. 161 StGB.
61�����������������������������������������������������������
Rz. 3 N 3 des Kommentars der SIX Swiss Exchange zur Ad-hocPublizitäts-Richtlinie.
GesKR 4
Fragen & Antworten
368
2008
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
c) «Ausnützen» als zusätzliches Tatbestands­
element?
Das Strafgesetzbuch ahndet nicht den Erwerb oder die
Veräusserung von Effekten 62 , sondern das «Ausnützen»
der Kenntnis vertraulicher Tatsachen, um sich einen
ungerechtfertigten Vermögensvorteil zu verschaffen.
In der Lehre wird daraus teilweise der Schluss gezogen,
zwischen der Kenntnis der vertraulichen Tatsache und
der Handlung des Täters müsse ein Zusammenhang
bestehen. Allerdings müsse der Täter die Transaktion
nicht einzig oder vorwiegend wegen der Insiderkenntnisse vorgenommen haben 63.
Wollte man dieser strengen Auffassung folgen, hätte ein
Manager nie die Möglichkeit zu argumentieren, seine
Transaktion sei durch andere Gründe motiviert gewesen. Diese Auffassung dürfte nun aber regelmässig an
der ­ Realität vorbeigehen: Wie erwähnt, verfügen Manager gerade in Spitzenpositionen regelmässig über die
Kenntnis vertraulicher Tatsachen, die ihnen das Handeln
in Effekten der eigenen Unternehmung über längere Zeit
vollständig verbieten würde. Viele Spitzenkader schweizerischer Unternehmen erhalten heute einen wesentlichen Teil ihrer Gesamtentschädigung in Form von Aktien ihrer Gesellschaft. Unter Umständen müssen solche
Titel verkauft werden, z.B. um Steuern zu bezahlen oder
um grössere Investitionen zu finanzieren. Gegebenenfalls haben diese Manager aber auch ein Interesse, Titel
der eigenen Unternehmung z.B. im Rahmen von Mitarbeiterbeteiligungsplänen zu erwerben. Streng genommen könnte ein permanent insider weder das eine noch
das andere tun, solange er davon ausgehen muss, dass ein
vertrauliches unternehmerisches Projekt irgendwann realisiert wird und den Kurs der Aktien der eigenen Gesellschaft beeinflussen kann. So ausgelegt, führt die Insiderstrafnorm dazu, dass Manager überhaupt nicht mehr in
Titeln der eigenen Gesellschaft handeln können.
Dementsprechend ist aus unserer Sicht in der Anwendung von Art. 161 StGB Augenmass geboten. Gewisse
Transaktionen, etwa die Ausübung von werthaltigen (in
the money) Optionen unmittelbar vor Verfall, sollten
zulässig sein, sofern sie automatisch, d.h. ohne weitere
Willenserklärung des Berechtigten, erfolgen.
Andere Transaktionen, etwa der Erwerb von Aktien im
Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsplans, bei dem
die Aktien über längere Zeit gesperrt sind, sollten u.E.
aus Sicht des Insiderrechts ebenfalls unwesentlich und
damit zulässig sein. Dass unter Umständen nach Bekanntgabe der vertraulichen Tatsache ein Buchgewinn
62���������������������������������������������������������������
Anders z.B. die Marktmissbrauchsrichtlinie der EU (vgl. Art. 2
Abs. 1 Marktmissbrauchsrichtlinie sowie die schlichte Umsetzung in Section 118(2) des Financial Services and Markets Act
(2005): «[Market abuse is behaviour] where an insider deals […]
on the basis of inside information»).
63���������������
Anstatt vieler Koenig (FN 1), 192.
eintritt, ist aus unserer Sicht zumindest solange irrelevant, als die langfristige Beteiligung am Unternehmen
im Vordergrund stand, nicht die Erzielung eines kurzfristigen Kursvorteils 64.
2. Weitergehende Regelung in Insider­
reglementen
Ausserhalb des Strafrechts ist es einer Gesellschaft unbenommen, in ihren internen Reglementen die Zulässigkeit des Handelns in eigenen Aktien weiter einzuschränken. So ist insbesondere denkbar, Spitzenkadern
schweizerischer Gesellschaften den Handel in eigenen
Aktien zeitweilig zu verbieten, selbst wenn das Projekt,
an dem sie beteiligt sind, sich vorläufig nur in einem
Planungsstadium befindet.
Q 10: Kann ein Manager zwischen dem Bilanzstichtag
und dem Tag der Veröffentlichung der Unternehmenszahlen in Aktien seiner Gesellschaft handeln?
Nach altem schweizerischem Strafrecht waren die Finanzzahlen einer Unternehmung nie insiderrelevante
Tatsachen im strafrechtlichen Sinne 65. Sofern sich die zu
veröffentlichenden Finanzzahlen im Rahmen der Erwartungen von Analysten befinden, dürften diese auch
nach der Strafrechtsrevision bis zur Veröffentlichung
weder als insiderrelevante Tatsachen im strafrechtlichen
Sinne noch als kursrelevante Tatsachen im Sinne der
Börsenvorschriften 66 gelten. Gleichwohl sind Konstellationen denkbar, in denen der strafrechtliche Begriff
der Insider-Information mit demjenigen der kursrelevanten Tatsache im Sinne des Kotierungsreglements
nicht deckungsgleich ist67.
Bei der Vorbereitung von Finanzzahlen ist u.E. jedenfalls Vorsicht geboten. Solange nicht zweifelsfrei feststeht, dass Finanzzahlen sich im Rahmen der Erwartungen bewegen werden, empfiehlt es sich, allen mit der
Vorbereitung der Finanzzahlen betrauten Personen ein
(gesellschaftsinternes) Handelsverbot aufzuerlegen. Die
strafrechtliche Relevanz lässt sich nämlich regelmässig
erst nach Publikation wirklich erfassen, je nachdem wie
die Marktteilnehmer auf die entsprechenden Informa­
tionen reagiert haben. Ein Handelsverbot für diejenigen
Personen, die mit der Vorbereitung der Finanzzahlen
betraut sind, rechtfertigt sich daher u.E. ab dem Moment
des Bilanzstichtages bis zu deren Veröffentlichung.
64
Ähnlich
���������������������
argumentiert Peter (FN 1), N 33 zu Art. 161 StGB;
Böckli (FN 10), 76 f.; a.M. Schmid (FN 9), N 282; Koenig
(FN 1), 192.
65�����������������������
Vgl. dazu vorne, FN 16.
66���������������������������������������������������������������
Die SIX Swiss Exchange tendiert allerdings – u.E. zu Unrecht –
dazu, eine Offenlegungspflicht auch dann anzunehmen, wenn
der sog. analyst consensus die Aussichten eines Unternehmens
korrekt einschätzt, das Unternehmen selbst aber keine entsprechenden Informationen verbreitet hat.
67������������
Vgl. vorne, Q 3
�� ������
a.E.
Q 11: Bis zu welchem Zeitpunkt gilt ein allfälliges Handelsverbot?
Eine Tatsache, die im Sinne des Kotierungsreglements
nicht öffentlich bekannt bzw. die im strafrechtlichen
Sinne noch vertraulich ist, gilt als kursrelevant, wenn sie
geeignet ist, zu einer erheblichen Änderung der Kurse
zu führen. Die Vertraulichkeit – und damit die Strafbarkeit für das Ausnützen entsprechender Tatsachen – entfällt erst, wenn die entsprechende Information öffentlich bekannt ist. Wie geht nun aber die Bekanntgabe an
die Öffentlichkeit vonstatten?
Gemäss Art. 72 Abs. 4 Kotierungsreglement ist die
Bekanntmachung so vorzunehmen, dass die Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer gewährleistet ist. Dies
wird dadurch sichergestellt, dass die Publikation in der
Regel mehr als 90 Minuten vor Beginn der Handelszeit
zu erfolgen hat. Konkret bedeutet dies, dass kursrelevante Informationen spätestens bis 07:30 Uhr veröffentlicht werden müssen. Auch die Art der Veröffentlichung
ist vorgeschrieben: Ad-hoc-Mitteilungen müssen an
die SIX Swiss Exchange gemeldet sowie durch die elektronischen Informationssysteme und mindestens zwei
Schweizer Zeitungen von nationaler Bedeutung verbreitet werden. Hinzu kommt die zeitgleiche elektronische Zustellung an jeden Interessierten auf Anfrage
(sog. Push-System) 68 . So wird vermieden, dass einzelne
Marktteilnehmer vorab informiert werden und so einen
kurzfristigen Informationsvorsprung ausnützen können.
Damit ist allerdings die Frage, bis wann ein allfälliges
Handelsverbot gilt, noch nicht beantwortet: Sowohl
Art. 161 StGB als auch das Kotierungsreglement schweigen sich zur Frage aus, bis wann eine allfällige Handelssperre gelten würde. Das Bundesgericht hat im Jahre
1992 erwähnt, dass die Vertraulichkeit aufhört, wenn
die Information est connue, de manière presque certaine, par un cercle élargi d’acteurs boursiers 69. In einem
späteren, unveröffentlichten Entscheid aus dem Jahre
2000 in Sachen Biber wurde festgehalten, eine Information sei dann nicht mehr vertraulich, wenn ein Dritter
sie erlangen könnte, wenn auch nur mit Anstrengung70 .
Unter strafrechtlichen Gesichtspunkten dürfte eine
kursrelevante Tatsache also bereits dann von allen
Marktteilnehmern zur Kenntnis genommen bzw. einem
cercle élargi d’acteurs boursiers bekannt sein, wenn die
Tatsache in Übereinstimmung mit den SIX-Vorschriften
mehr als 90 Minuten vor Handelsbeginn bekanntgegeben worden ist – und zwar bereits anlässlich ihrer Bekanntgabe, also vor Eröffnung des Börsenhandels.
GesKR 4
2008
Allerdings wird die entsprechende Information erst
anlässlich der Handelsaufnahme im Rahmen der sog.
Eröffnungsauktion unmittelbar im Aktienkurs verarbeitet. Man könnte sich daher auf den Standpunkt stellen, der Manager, der vor der Eröffnungsauktion noch
in massivem Stil Kaufs- oder Verkaufsorders ins SIXHandelssystem eingeben lässt, trage zu einer verzerrten
Verarbeitung der soeben publizierten Information bei.
Dies spricht zwar für eine gesellschaftsinterne Handelssperre mindestens bis zur Eröffnungsauktion, nicht
aber ohne Weiteres für eine Strafbarkeit des entsprechenden Verhaltens – zumindest dann nicht, wenn man
der bisher publizierten Bundesgerichtspraxis folgt.
Im Übrigen hat die Frage der Strafbarkeit u.E. nichts zu
tun mit der Frage, ob eine Handelssperre über das unbedingt notwendige Mass hinaus gerechtfertigt sei. Unabhängig von der Frage der Strafbarkeit stellt sich insbesondere die Frage, ob nicht eine Wartefrist im Sinne
der best corporate governance practice geboten wäre.
Viele schweizerische Publikumsgesellschaften haben
denn auch Bestimmungen in ihren Insiderreglementen
erlassen, welche die Handelssperre nach der Veröffentlichung einer kursrelevanten Tatsache noch aufrechterhalten. Je nach Ausgestaltung beträgt die entsprechende
Handelssperre zwischen einem und drei Börsentagen.
Aus unserer Sicht lässt sich im Sinne der best practice
eine Frist von zwei Börsentagen rechtfertigen. Konkret
bedeutet dies, dass – z.B. bei Publikation einer kursrelevanten Tatsache am Dienstag vor Handelsbeginn – die
betroffenen Manager und Angestellten einer Gesellschaft erst am Donnerstag wieder in Titeln ihrer Gesellschaft handeln dürfen. Die Frist von zwei Tagen lässt
sich damit begründen, dass auf kursrelevante Ereignisse
gewissermassen in zwei Phasen reagiert wird: Marktteilnehmer, die online Informationen entgegennehmen,
können am Tag der Publikation selbst Aktien kaufen
oder verkaufen. Am nächsten Tag erfolgt eine «zweite
Welle», regelmässig veranlasst durch Kurzkommentare
von Analysten und durch Kommentare in der Finanzpresse, die im Laufe des ersten Handelstages den abonnierten Investoren zugestellt werden.
Dass diese Empfehlung nicht aus der Luft gegriffen ist,
belegt bereits eine Studie aus dem Jahre 2004, in der untersucht wurde, wie im schweizerischen Markt Informationen verarbeitet werden 71. In dieser Studie findet
sich unter anderem folgende bemerkenswerte Schlussfolgerung:
«Regarding the processing of information, the Swiss
market appears to be rather slow in incorporating new
information into stock prices. We find significantly abnormal returns for about two to four days after the re-
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Richtlinie der SIX Swiss Exchange betr. Ad-hoc-Publizität, Rz. 7
(abrufbar unter: http://www.swx.com/download/admission/regulation/guidelines/swx_guideline_20050701-1_de.pdf).
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BGE 118 Ib 455.
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Zitiert bei Peter (FN 1), N 27 zu Art. 161 StGB.
71
Manuel Ammann/Stefan Kessler, Information Processing
on the Swiss Stock Market, in: Financial Markets and Portfolio
­M anagement 18 (2004), 256 ff.
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Fragen & Antworten
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
GesKR 4
Daniel Daeniker / Claude Lambert – Kann ein Manager überhaupt noch Aktien seiner Gesellschaft erwerben?
lease of new financial information or announcements
of corporate control actions. Although this appears to
be a fairly long period of time, similar results have been
found for other markets.»72
370
Fragen & Antworten
2008
Diese Schlussfolgerung rechtfertigt u.E. zumindest eine
Sperre von zwei vollen Handelstagen.
V. Arbeitsrechtliche Sanktionen bei
­Insidergeschäften
Q 12: Wie kann ein Unternehmen die Verletzung der
Insiderstrafnorm ahnden?
Verstösst ein Arbeitnehmer gegen die strafrechtlichen
Insiderbestimmungen, so verletzt er damit seine arbeitsvertragliche Treuepflicht gemäss Art. 321a OR 73.
Dasselbe gilt grundsätzlich bei einem Verstoss gegen
eine interne Insider Policy. In beiden Fällen stehen der
Gesellschaft gegenüber dem fehlbaren Arbeitnehmer
die üblichen arbeitsrechtlichen Sanktionen bei Schlecht­
erfüllung zur Verfügung. Die Gesellschaft ist namentlich berechtigt, das Arbeitsverhältnis ordentlich, d.h.
unter Einhaltung der anwendbaren Kündigungsfristen
und -termine, zu kündigen (Art. 335 OR). Gleichzeitig
mit der Kündigung kann sie den Mitarbeiter von der
Arbeit freistellen. Durch die sofortige Freistellung des
Mitarbeiters kann das Unternehmen intern wie extern
signalisieren, dass Insiderdelikte nicht toleriert werden,
was namentlich aus Reputationsgründen unerlässlich
sein kann.
Fraglich ist, ob dem fehlbaren Arbeitnehmer auch fristlos gekündigt werden darf. Soweit ersichtlich, liegen
hierzu noch keine Gerichtsentscheide vor. Im Grundsatz ist allerdings anerkannt, dass das Begehen einer
Straftat die Arbeitgeberin zur fristlosen Kündigung berechtigt, sofern die Tat in einem Zusammenhang mit der
Tätigkeit des Arbeitnehmers steht oder den Ruf der Arbeitgeberin schädigt74. Beim Insiderdelikt ist zumindest
die erstgenannte Voraussetzung in jeden Fall erfüllt,
da die Treuepflicht des Insiders bzw. Arbeitnehmers
zu seinem Unternehmen zu den von Art. 161 StGB geschützten Rechtsgütern gehört75 und der Arbeitnehmer
an der Arbeitsstelle Kenntnis der relevanten Tatsachen
erlangt hat. Ein Verstoss gegen Art. 161 StGB ist daher
arbeitsrechtlich als qualifizierte Treuepflichtverletzung
zu betrachten. Auch wenn die Beurteilung letztlich aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls erfolgen
72
Ammann/Kessler (FN 71), 277.
Wolfgang Portmann, Die Arbeitsbedingungen der Bankangestellten, in: ARV 2005, 73, 81; Silvan Hürlimann, Der Insiderstraftatbestand, Diss. Zürich 2005, 141.
74 Frank Vischer, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., Basel/Genf/München 2005, 257.
75 Peter (FN 1), N 11 zu Art. 161 StGB.
73
muss76 , ist u.E. davon auszugehen, dass die Gesellschaft
in der Regel berechtigt ist, eine fristlose Kündigung
auszusprechen, wenn ein Arbeitnehmer gegen Art. 161
StGB verstösst, insbesondere wenn es sich dabei um
einen leitenden Angestellten handelt77. Demgegenüber
dürfte bei einem Verstoss gegen Bestimmungen einer
internen Insider Policy, die über Art. 161 StGB hinausgehen, eine fristlose Entlassung regelmässig nur im
Wiederholungsfall nach vorgängiger Verwarnung gerechtfertigt sein78 .
Unter gewissen Umständen kann auch der blosse Verdacht der Begehung eines Insiderdelikts eine fristlose
Kündigung rechtfertigen. Erforderlich ist zum einen,
dass der Vorwurf den Anforderungen eines wichtigen
Grundes im Sinne von Art. 337 Abs. 2 OR genügt. Zusätzlich ist erforderlich, dass entweder ein erheblicher
Verdacht eines schwerwiegenden Delikts vorliegt79
oder der betreffende Arbeitnehmer die Abklärung des
Sachverhalts illoyal behindert hat80 . Sind diese Voraussetzungen erfüllt, was im Einzelfall zu prüfen ist, so ist
die fristlose Verdachtskündigung gerechtfertigt, auch
wenn sich der Verdacht im Nachhinein nicht bestätigt. Ist Letzteres der Fall, muss die Gesellschaft dem
Arbeitnehmer gemäss Art. 337b Abs. 2 OR den vollen
Lohn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist
bezahlen, nicht aber eine Strafzahlung nach Art. 337c
Abs. 3 OR81. Es ist daher im Einzelfall abzuwägen, ob
mit einer fristlosen Entlassung zugewartet werden soll,
bis das Insiderdelikt tatsächlich endgültig nachgewiesen
ist. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass es letztlich im gerichtlichen Ermessen liegt zu entscheiden, ob
die Verdachtskündigung gerechtfertigt war oder nicht.
Entsprechend ist hier – wie bei der fristlosen Kündigung generell – erhebliche Zurückhaltung geboten.
Die Gesellschaft kann vom Arbeitnehmer, der gegen die
strafrechtlichen Insiderbestimmungen oder gegen eine
interne Insider Policy verstösst, ausserdem Schadenersatz verlangen (Art. 321e i.V.m. Art. 97 OR). Allerdings
dürfte die Durchsetzbarkeit dieser Forderung in vielen
Fällen daran scheitern, dass sich der durch die Vertragsverletzung verursachte Schaden nicht hinreichend substantiieren und nachweisen lässt.
Schliesslich lassen sich unzulässige Insidergeschäfte
auch im Rahmen moderner Vergütungssysteme sanktionieren. Beispielsweise kann entsprechenden Verfehlungen eines Mitarbeiters ohne Weiteres bei der Zuteilung ermessensabhängiger Boni Rechnung getragen
werden. Eine noch stärkere Sanktionsmöglichkeit bie-
76����������������
BGE 127 III 313.
77��������������������������������������������������������������
Gemäss BGE 130 III 31 ist bei Arbeitnehmern in leitender Stel-
lung ein strengerer Massstab anzulegen.
78������������������������������������������������
Zur Abmahnungspflicht vgl. BGE 127 III 353, 355.
79�������������������������
BGer, JAR 2001, 304, 308.
80����������������������������������
BGer, Urteil 4C.325/2000 Erw. 2a).
81�������������������������
BGer, JAR 2001, 304, 308.
ten Mitarbeiterbeteiligungsprogramme. Diese können
in ihren plan rules bestimmen, dass der Mitarbeiter den
Anspruch auf die ihm offerierten Aktien, Optionen
usw. verliert oder nicht erwirbt (sog. forfeiture), wenn
er eine Vertragsverletzung begeht, namentlich gegen die
strafrechtlichen Insiderbestimmungen oder gegen eine
interne Insider Policy verstösst. Sofern die Teilnahme
am Mitarbeiterbeteiligungsplan nicht Lohnbestandteil
ist, sind solche Verfallklauseln grundsätzlich zulässig82 .
Unzulässige Insidergeschäfte können dadurch mit direkten und dem Arbeitnehmer bekannten finanziellen
Nachteilen verbunden werden, die häufig grösser sind
als der Gewinn, den dieser durch das Insidergeschäft
allenfalls erzielen könnte. Entsprechend dürfte die Präventivwirkung einer solchen Lösung wohl nicht zu unterschätzen sein.
82������������������������
Vgl. BGE 131 III 615 ff.
GesKR 4
2008
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