Die Gaube, der Zimmermann und das Baurecht

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Die Gaube, der Zimmermann und das Baurecht
Im Blickpunkt: Brandschutz
Die Gaube, der Zimmermann und das Baurecht
Seit es Bauvorschriften gibt, werden sie von der
Politik geändert, damit das Bauen einfacher,
schneller und billiger wird. Wenn alle diese
Absichtserklärungen erfolgreich gewesen wären
dürfte das Bauen eigentlich keine Probleme mehr
bereiten; Baubehörden, Gerichte und Fachanwälte
wären überflüssig.
Dem Praktiker braucht
dagegen niemand mehr
erzählen, dass in den letzten
50 Jahren irgendeine Vereinfachung im öffentlichen
Baurecht erreicht wurde.
Umso erstaunlicher ist es,
dass immer erst nach jeder
Gesetzesänderung erkannt
wird, dass die vollmundig
angekündigten Vereinfachungen nicht eintreten
und dem Bautechniker
immer mehr Verantwortung
übertragen wird. Oder ganz
deutlich ausgedrückt: der
Praktiker am Bau ist immer
der Dumme.
Die Probleme treten
schon bei kleinsten Bauvorhaben auf. Nehmen wir die
Errichtung einer normalen,
nicht besonders schönen,
aber sehr zweckmäßigen
Dachgaube auf einem
Reihenendhaus (siehe
Abb. 1):
Einen solchen Auftrag
erledigt üblicherweise der
örtliche Zimmermeister,
ohne sich besondere Gedanken über die baurechtlichen Vorschriften zu machen. Irgendeine Sachbearbeiterin der Gemeinde hat
etwas von „baugenehmigungsfrei“ gemurmelt, also
kümmert er sich nur noch
um die Standsicherheit und
die Baukosten. Damit
glaubt er seinem Bauherrn
eine gute Arbeit geliefert zu
haben.
Und schon ist er reingefallen. Was hätte er alles
bedenken, beantragen und
beachten müssen?
Autor:
Prof. Dipl.-Ing. K.R. Seehausen,
Marburg
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Der Bauantrag
Zunächst muss er klären,
ob für die Gaube ein Bau-
antrag notwendig ist. Dies
ändert zwar nichts an seiner
Verpflichtung, alle Bauvorschriften einzuhalten; Verstöße gegen „formelles Baurecht“ setzen den Zimmermeister aber immer automatisch ins Unrecht und
bedeuten in der Regel einen
Baustopp und Bußgeldbescheide in erheblicher
Höhe für alle am Bau Beteiligten, also auch seinen
Bauherren. Für die Kosten
der Bauverzögerung haftet
der Zimmermann. Weist die
Behörde dann noch Verstöße gegen „materielles
Baurecht“ nach, kann sie
die Beseitigung des Vorhabens verlangen.
In den neuen Landesbauordnungen werden die Freistellungen von der Baugenehmigungspflicht als
große Erleichterung gepriesen. Der Zimmermann muss
aber bedenken, dass durch
den Wegfall der präventiven Prüfungen durch die
Bauaufsicht ihm allein die
Verantwortung für die Einhaltung aller Bauvorschriften übertragen ist. Er muss
also genau so viel wissen
wie ein Sachbearbeiter der
Bauaufsicht. In den meisten
Bundesländern sind für
Abb. 1:
Schleppgaube bei einem
Reihenendhaus
baugenehmigungsfreie Vorhaben sogar Bauvoranfragen unzulässig und Auskünfte von Behördenmitarbeitern unverbindlich; der
Zimmermann trägt damit
sogar mehr Verantwortung
als ein Sachbearbeiter.
An die Stelle der Bauaufsicht sind in vielen Bundesländern Nachweisberechtigte und Prüfsachverständige
getreten, die auch bei baugenehmigungsfreien Vorhaben beauftragt werden müssen. Dass dies ordnungsgemäß geschieht bzw.
erfolgt ist, sollte vom Zimmermann stets überprüft
werden, auch wenn er
„nur“ als Unternehmer tätig
wird.
Die Begriffsdefinition
Schon bei der Feststellung
der Baugenehmigungsfreiheit sind viele Feinheiten zu
beachten. So wird in keiner
Landesbauordnung der
Begriff „Gaube“ benutzt;
folglich gibt es keine gesetzliche Definition des Begriffes „Gaube“. Daran ändert
nichts, dass dieser Begriff
von Bautechnikern täglich
problemlos benutzt wird.
Also bleibt es den Verwaltungsgerichten überlassen,
hier Definitionen zu entwickeln, die dann für die
Interpretation der gesetzlichen Vorschriften verbindlich sind. Ein Zimmermann
kann also nicht voraussetzen, dass technische Fachbegriffe von den Juristen im
gleichen Sinn verstanden
werden wie von ihm.
So hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof den
Begriff „Gaube“ kürzlich
wie folgt definiert (VGH
Hessen, Beschluss vom 10.
Juli 2007 -3 UZ 433/07-):
1. „Eine Dachgaube ist ein
aus dem Dach heraus
errichtetes senkrechtes
Dachfenster, das dadurch
gekennzeichnet ist, dass es
in allen Teilen auf dem
Dach und nicht ganz oder
teilweise an oder auf der
Außenwand errichtet ist.
Für den Begriff der Dachgaube ist nicht entscheidend, dass es hinter die
Flucht (die Verlängerung)
der darunter liegenden
Außenwand zurücktritt.
2. Demgegenüber handelt es
sich bei einem Zwerchhaus
um ein Bauteil, das nicht
aus dem Dach, sondern
aus der Fassade aufsteigt.
3. Der Unterschied zwischen
Dachgauben und Zwerchhäusern besteht darin, dass
die Dachgaube eine vorhandene oder anzulegende
Dachfläche durch den Aufbau durchbricht, während
sich das Zwerchhaus als
Baukörper zwar bis in den
Dachbereich hinein begibt,
jedoch optisch nicht als
Durchbrechung der Dach-
haut, sondern als eigenständiger Baukörper wahrgenommen wird, der aus
der Fassade aufsteigt.
ISOCELL DACHBAHNEN
Nun weiß endlich auch der
Zimmermann, was eine
Gaube und was ein Zwerchhaus ist. Bleibt nur noch
die Frage, wann ein
„Zwerchhaus“ zu einem
„Giebel“ wird.
„Vereinfachtes“
Baugenehmigungsverfahren
Diese Definitionen könnten
als akademische Spitzfindigkeiten abgetan werden,
wenn nicht von jedem dieser Begriffe unterschiedlichste Konsequenzen für
Abstandsflächen, Gestaltungsvorschriften, Genehmigungsfreistellungen und
sogar Brandschutzvorschriften abhängig wären.
So sind beispielsweise in
Hessen die Errichtung von
Dachaufbauten und sogar
ganzen Dächern nach § 55
Anlage 2 Abschnitt I Nr.
1.16 HBO unter den Voraussetzungen nach Abschnitt V Nr. 1 und Nr. 3
baugenehmigungsfrei, nicht
aber die Errichtung der
dazugehörenden Giebel und
der evtl. neuen Nutzung
des Dachraums. Der Zimmermann muss also nicht
nur die Begriffe genau bestimmen können, sondern
auch noch prüfen, ob die
„Freistellungsvoraussetzungen“ erfüllt sind. Dabei hilft
ihm keine Behörde, denn
das Vorhaben ist ja baugenehmigungsfrei. Vielmehr
muss er sich selbst alle Vorschriften besorgen, sie auf
dem neuesten Stand halten
und eigenständig durcharbeiten.
Die Vereinfachung des
Baurechts durch Freistellung von der Baugenehmigungspflicht bringt also für
den Zimmermann nur
Erschwernisse. Es sind aber
in allen Landesbauordnungen zahlreiche weitere „Vereinfachungen“ aufgenommen worden, die bei
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Im Blickpunkt: Brandschutz
genauerer Betrachtung für
die am Bau Beteiligten nur
„Erschwernisse“ bedeuten:
Abb. 2:
Dieses „Mansarddach“ ist kein
Mansarddach, sondern nur
eine Zierverblendung der
Außenwand. Da die „Gaube“ in
Verlängerung der Außenwand
liegt, ist sie aus baurechtlicher
Sicht auch keine Gaube, sondern eine Verlängerung der
Außenwand.
Abb. 3:
Diese „Gaube“ ist keine Gaube, sondern nur eine Erhöhung
der Außenwand.
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G
Im Baugenehmigungsverfahren werden andere
Rechtsbereiche nicht
mehr geprüft, womit die
Baugenehmigung nicht
mehr zum Baubeginn
berechtigt.
G
Im Baugenehmigungsverfahren werden bestimmte
Teile des Baurechts nicht
mehr geprüft, womit auf
„Genehmigungsstempel“
kein Verlass mehr ist.
G
Bautechnische Nachweise werden von zugelassenen Privaten (Nachweisberechtigte oder Prüfsachverständige) und
nicht mehr von Behörden geprüft und überwacht, womit auf der
Baustelle neben dem
Bauleiter mehrere Weisungsberechtigte zusätzlich auftreten und vom
Bauleiter und Unternehmer zu koordinieren sind.
G
In den Gesetzen und Verordnungen werden mit
Vorliebe „unbestimmte
Rechtsbegriffe“ benutzt,
womit die am Bau beteiligten im Einzelfall die
Vorschriften eigenverantwortlich so interpretieren
müssen, dass ihre Interpretation einer gerichtlichen Überprüfung standhält.
Da gleichzeitig keine Vorschrift gestrichen wurde,
bedeuten alle diese
„Erleichterungen“ nur
zusätzliche Verantwortung
und Haftungsrisiken für
Entwurfsverfasser, Bauleiter
und Unternehmer. Und
weil keiner dieser am Bau
Beteiligten seine Verantwortung auf einen anderen
übertragen kann, haftet bei
der Errichtung der Gaube
letztendlich immer der Zimmermann für die Beachtung
aller öffentlich – rechtlicher
Vorschriften.
Die zu beachtenden
Anforderungen
(Auszug)
So lange der Bund, sechzehn Bundesländer und
eine unendliche große
Zahl Gemeinden ermächtigt sind, Bauvorschriften
zu erlassen, kann nicht
damit gerechnet werden,
dass Bauvorschriften gestrichen werden. So muss
der Zimmermann selbst bei
der Errichtung dieser kleinen Gaube noch viel mehr
Vorschriften als die folgenden Beispiele beachten:
1. Ist die Nutzungsänderung für den Dachraumausbau planungsrechtlich genehmigt?
Hier muss er die im
Bebauungsplan festgesetzte GFZ überprüfen,
bei selbständigen Wohnungen sich um die Zahl
der Stellplätze kümmern
und prüfen, ob die beabsichtigte Nutzung nach
dem Bebauungsplan und
der Baunutzungsverordnung zulässig ist. Und:
wird durch die Gaube die
Zahl der Vollgeschosse
überschritten?
2. Sind die Brandschutzvorschriften eingehalten?
Hier stellen sich insbesondere folgende Fragen:
Muss die seitliche Gaubenwand einen Abstand
zur Brandwand einhalten? Wenn ja, wo steht,
wie groß dieser Abstand
sein muss? Welche Feuerwiderstandsklasse muss
diese seitliche Gaubenwand erreichen? Wird
durch die Errichtung der
Gaube die Gebäudeklasse
verändert, weshalb ggfs.
weitere Bauteile an ganz
anderer Stelle im Gebäude nachgerüstet werden
müssen?
3. Sind ausreichende Rettungswege vorhanden?
Ist ein abgeschlossenes
Treppenhaus notwendig?
Sind die Fenster von der
Feuerwehr anleiterbar?
Sind die Fenster groß
genug, um als Rettungsweg auszureichen? (Hier
gibt es in einzelnen Bundesländern unterschiedliche Maße!)
4. Sind die Anforderungen
an Aufenthaltsräume
erfüllt?
Hier sind Fenstergrößen,
lichte Raumhöhen,
Belüftung und Zugänge
entsprechend den länderspezifischen Vorschriften
zu beachten.
5. Sind die Abstandsvorschriften beachtet?
Die Anrechnung der
Gauben auf die Abstandsflächen ist ein
unendliches Thema, dass
in jedem Bundesland
unterschiedlich geregelt
ist. Je nach Dachneigung, je nach Größe der
Gaube, je nach ihrer
Länge im Verhältnis zur
darunterliegenden
Außenwand, je nach
Abstand von der Außenwand und je nachdem,
ob der Dachaufbau eine
Gaube, ein Zwerchhaus
oder ein Giebel ist,
unterscheiden sich die
sehr differenzierten
Abstandsregelungen.
Weiterhin ist zu beachten, dass die Abstandsflächen auch über öffentliche Straßen bis zu ihrer
Mitte reichen und dass in
Bebauungsplänen und
Ortssatzungen geringere
oder größere Abstandsflächen vorgeschrieben
sein können.
6. Sind alle Gestaltungsvorschriften beachtet?
Dachaufbauten können
in Ortsgestaltungssatzungen und Bebauungsplänen grundsätzlich verboten oder eingeschränkt
sein. Vielleicht ist auch
eine bestimmte Art der
Ausbildung der Gauben
vorgeschrieben.
7. Ist eine Genehmigung
nach Denkmalschutzrecht erforderlich?
Wenn keine Baugenehmigung erforderlich ist,
muss bei Kulturdenkmälern ein gesonderter
Antrag zur Errichtung
der Gaube bei der Denkmalschutzbehörde gestellt werden. Ob das
bestehende Gebäude ein
Denkmal ist, steht üblicherweise an dem
Gebäude nicht dran.
Auch Gebäude aus der
Nachkriegszeit können
geschützt sein; die am
Bau Verantwortlichen
müssen sich darum kümmern, ob Denkmalschutz
besteht (die Juristen
nennen das „Holschuld“).
Fazit
Dies alles und noch viel
mehr muss der Zimmermann beachten, wenn er
einen Auftrag für die Errichtung einer solch kleinen
Dachgaube annimmt. Die
Bauaufsichtsämter helfen
ihm bei der Beantwortung
dieser Fragen nicht mehr.
Und wenn er sich auf die
Auskünfte von Behördenmitarbeitern verlässt, muss
er bedenken, dass diese
nicht mehr haften.
Also sollte der Zimmermann besser gleich alles
selber wissen!
I
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