Die Gaube, der Zimmermann und das Baurecht
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Die Gaube, der Zimmermann und das Baurecht
Im Blickpunkt: Brandschutz Die Gaube, der Zimmermann und das Baurecht Seit es Bauvorschriften gibt, werden sie von der Politik geändert, damit das Bauen einfacher, schneller und billiger wird. Wenn alle diese Absichtserklärungen erfolgreich gewesen wären dürfte das Bauen eigentlich keine Probleme mehr bereiten; Baubehörden, Gerichte und Fachanwälte wären überflüssig. Dem Praktiker braucht dagegen niemand mehr erzählen, dass in den letzten 50 Jahren irgendeine Vereinfachung im öffentlichen Baurecht erreicht wurde. Umso erstaunlicher ist es, dass immer erst nach jeder Gesetzesänderung erkannt wird, dass die vollmundig angekündigten Vereinfachungen nicht eintreten und dem Bautechniker immer mehr Verantwortung übertragen wird. Oder ganz deutlich ausgedrückt: der Praktiker am Bau ist immer der Dumme. Die Probleme treten schon bei kleinsten Bauvorhaben auf. Nehmen wir die Errichtung einer normalen, nicht besonders schönen, aber sehr zweckmäßigen Dachgaube auf einem Reihenendhaus (siehe Abb. 1): Einen solchen Auftrag erledigt üblicherweise der örtliche Zimmermeister, ohne sich besondere Gedanken über die baurechtlichen Vorschriften zu machen. Irgendeine Sachbearbeiterin der Gemeinde hat etwas von „baugenehmigungsfrei“ gemurmelt, also kümmert er sich nur noch um die Standsicherheit und die Baukosten. Damit glaubt er seinem Bauherrn eine gute Arbeit geliefert zu haben. Und schon ist er reingefallen. Was hätte er alles bedenken, beantragen und beachten müssen? Autor: Prof. Dipl.-Ing. K.R. Seehausen, Marburg 20 6/2007 Der Bauantrag Zunächst muss er klären, ob für die Gaube ein Bau- antrag notwendig ist. Dies ändert zwar nichts an seiner Verpflichtung, alle Bauvorschriften einzuhalten; Verstöße gegen „formelles Baurecht“ setzen den Zimmermeister aber immer automatisch ins Unrecht und bedeuten in der Regel einen Baustopp und Bußgeldbescheide in erheblicher Höhe für alle am Bau Beteiligten, also auch seinen Bauherren. Für die Kosten der Bauverzögerung haftet der Zimmermann. Weist die Behörde dann noch Verstöße gegen „materielles Baurecht“ nach, kann sie die Beseitigung des Vorhabens verlangen. In den neuen Landesbauordnungen werden die Freistellungen von der Baugenehmigungspflicht als große Erleichterung gepriesen. Der Zimmermann muss aber bedenken, dass durch den Wegfall der präventiven Prüfungen durch die Bauaufsicht ihm allein die Verantwortung für die Einhaltung aller Bauvorschriften übertragen ist. Er muss also genau so viel wissen wie ein Sachbearbeiter der Bauaufsicht. In den meisten Bundesländern sind für Abb. 1: Schleppgaube bei einem Reihenendhaus baugenehmigungsfreie Vorhaben sogar Bauvoranfragen unzulässig und Auskünfte von Behördenmitarbeitern unverbindlich; der Zimmermann trägt damit sogar mehr Verantwortung als ein Sachbearbeiter. An die Stelle der Bauaufsicht sind in vielen Bundesländern Nachweisberechtigte und Prüfsachverständige getreten, die auch bei baugenehmigungsfreien Vorhaben beauftragt werden müssen. Dass dies ordnungsgemäß geschieht bzw. erfolgt ist, sollte vom Zimmermann stets überprüft werden, auch wenn er „nur“ als Unternehmer tätig wird. Die Begriffsdefinition Schon bei der Feststellung der Baugenehmigungsfreiheit sind viele Feinheiten zu beachten. So wird in keiner Landesbauordnung der Begriff „Gaube“ benutzt; folglich gibt es keine gesetzliche Definition des Begriffes „Gaube“. Daran ändert nichts, dass dieser Begriff von Bautechnikern täglich problemlos benutzt wird. Also bleibt es den Verwaltungsgerichten überlassen, hier Definitionen zu entwickeln, die dann für die Interpretation der gesetzlichen Vorschriften verbindlich sind. Ein Zimmermann kann also nicht voraussetzen, dass technische Fachbegriffe von den Juristen im gleichen Sinn verstanden werden wie von ihm. So hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Begriff „Gaube“ kürzlich wie folgt definiert (VGH Hessen, Beschluss vom 10. Juli 2007 -3 UZ 433/07-): 1. „Eine Dachgaube ist ein aus dem Dach heraus errichtetes senkrechtes Dachfenster, das dadurch gekennzeichnet ist, dass es in allen Teilen auf dem Dach und nicht ganz oder teilweise an oder auf der Außenwand errichtet ist. Für den Begriff der Dachgaube ist nicht entscheidend, dass es hinter die Flucht (die Verlängerung) der darunter liegenden Außenwand zurücktritt. 2. Demgegenüber handelt es sich bei einem Zwerchhaus um ein Bauteil, das nicht aus dem Dach, sondern aus der Fassade aufsteigt. 3. Der Unterschied zwischen Dachgauben und Zwerchhäusern besteht darin, dass die Dachgaube eine vorhandene oder anzulegende Dachfläche durch den Aufbau durchbricht, während sich das Zwerchhaus als Baukörper zwar bis in den Dachbereich hinein begibt, jedoch optisch nicht als Durchbrechung der Dach- haut, sondern als eigenständiger Baukörper wahrgenommen wird, der aus der Fassade aufsteigt. ISOCELL DACHBAHNEN Nun weiß endlich auch der Zimmermann, was eine Gaube und was ein Zwerchhaus ist. Bleibt nur noch die Frage, wann ein „Zwerchhaus“ zu einem „Giebel“ wird. „Vereinfachtes“ Baugenehmigungsverfahren Diese Definitionen könnten als akademische Spitzfindigkeiten abgetan werden, wenn nicht von jedem dieser Begriffe unterschiedlichste Konsequenzen für Abstandsflächen, Gestaltungsvorschriften, Genehmigungsfreistellungen und sogar Brandschutzvorschriften abhängig wären. So sind beispielsweise in Hessen die Errichtung von Dachaufbauten und sogar ganzen Dächern nach § 55 Anlage 2 Abschnitt I Nr. 1.16 HBO unter den Voraussetzungen nach Abschnitt V Nr. 1 und Nr. 3 baugenehmigungsfrei, nicht aber die Errichtung der dazugehörenden Giebel und der evtl. neuen Nutzung des Dachraums. Der Zimmermann muss also nicht nur die Begriffe genau bestimmen können, sondern auch noch prüfen, ob die „Freistellungsvoraussetzungen“ erfüllt sind. Dabei hilft ihm keine Behörde, denn das Vorhaben ist ja baugenehmigungsfrei. Vielmehr muss er sich selbst alle Vorschriften besorgen, sie auf dem neuesten Stand halten und eigenständig durcharbeiten. Die Vereinfachung des Baurechts durch Freistellung von der Baugenehmigungspflicht bringt also für den Zimmermann nur Erschwernisse. Es sind aber in allen Landesbauordnungen zahlreiche weitere „Vereinfachungen“ aufgenommen worden, die bei WIR LASSEN SIE NICHT IM REGEN STEHEN! 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G Im Baugenehmigungsverfahren werden bestimmte Teile des Baurechts nicht mehr geprüft, womit auf „Genehmigungsstempel“ kein Verlass mehr ist. G Bautechnische Nachweise werden von zugelassenen Privaten (Nachweisberechtigte oder Prüfsachverständige) und nicht mehr von Behörden geprüft und überwacht, womit auf der Baustelle neben dem Bauleiter mehrere Weisungsberechtigte zusätzlich auftreten und vom Bauleiter und Unternehmer zu koordinieren sind. G In den Gesetzen und Verordnungen werden mit Vorliebe „unbestimmte Rechtsbegriffe“ benutzt, womit die am Bau beteiligten im Einzelfall die Vorschriften eigenverantwortlich so interpretieren müssen, dass ihre Interpretation einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Da gleichzeitig keine Vorschrift gestrichen wurde, bedeuten alle diese „Erleichterungen“ nur zusätzliche Verantwortung und Haftungsrisiken für Entwurfsverfasser, Bauleiter und Unternehmer. Und weil keiner dieser am Bau Beteiligten seine Verantwortung auf einen anderen übertragen kann, haftet bei der Errichtung der Gaube letztendlich immer der Zimmermann für die Beachtung aller öffentlich – rechtlicher Vorschriften. Die zu beachtenden Anforderungen (Auszug) So lange der Bund, sechzehn Bundesländer und eine unendliche große Zahl Gemeinden ermächtigt sind, Bauvorschriften zu erlassen, kann nicht damit gerechnet werden, dass Bauvorschriften gestrichen werden. So muss der Zimmermann selbst bei der Errichtung dieser kleinen Gaube noch viel mehr Vorschriften als die folgenden Beispiele beachten: 1. Ist die Nutzungsänderung für den Dachraumausbau planungsrechtlich genehmigt? Hier muss er die im Bebauungsplan festgesetzte GFZ überprüfen, bei selbständigen Wohnungen sich um die Zahl der Stellplätze kümmern und prüfen, ob die beabsichtigte Nutzung nach dem Bebauungsplan und der Baunutzungsverordnung zulässig ist. Und: wird durch die Gaube die Zahl der Vollgeschosse überschritten? 2. Sind die Brandschutzvorschriften eingehalten? Hier stellen sich insbesondere folgende Fragen: Muss die seitliche Gaubenwand einen Abstand zur Brandwand einhalten? Wenn ja, wo steht, wie groß dieser Abstand sein muss? Welche Feuerwiderstandsklasse muss diese seitliche Gaubenwand erreichen? Wird durch die Errichtung der Gaube die Gebäudeklasse verändert, weshalb ggfs. weitere Bauteile an ganz anderer Stelle im Gebäude nachgerüstet werden müssen? 3. Sind ausreichende Rettungswege vorhanden? Ist ein abgeschlossenes Treppenhaus notwendig? Sind die Fenster von der Feuerwehr anleiterbar? Sind die Fenster groß genug, um als Rettungsweg auszureichen? (Hier gibt es in einzelnen Bundesländern unterschiedliche Maße!) 4. Sind die Anforderungen an Aufenthaltsräume erfüllt? Hier sind Fenstergrößen, lichte Raumhöhen, Belüftung und Zugänge entsprechend den länderspezifischen Vorschriften zu beachten. 5. Sind die Abstandsvorschriften beachtet? Die Anrechnung der Gauben auf die Abstandsflächen ist ein unendliches Thema, dass in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt ist. Je nach Dachneigung, je nach Größe der Gaube, je nach ihrer Länge im Verhältnis zur darunterliegenden Außenwand, je nach Abstand von der Außenwand und je nachdem, ob der Dachaufbau eine Gaube, ein Zwerchhaus oder ein Giebel ist, unterscheiden sich die sehr differenzierten Abstandsregelungen. Weiterhin ist zu beachten, dass die Abstandsflächen auch über öffentliche Straßen bis zu ihrer Mitte reichen und dass in Bebauungsplänen und Ortssatzungen geringere oder größere Abstandsflächen vorgeschrieben sein können. 6. Sind alle Gestaltungsvorschriften beachtet? Dachaufbauten können in Ortsgestaltungssatzungen und Bebauungsplänen grundsätzlich verboten oder eingeschränkt sein. Vielleicht ist auch eine bestimmte Art der Ausbildung der Gauben vorgeschrieben. 7. Ist eine Genehmigung nach Denkmalschutzrecht erforderlich? Wenn keine Baugenehmigung erforderlich ist, muss bei Kulturdenkmälern ein gesonderter Antrag zur Errichtung der Gaube bei der Denkmalschutzbehörde gestellt werden. Ob das bestehende Gebäude ein Denkmal ist, steht üblicherweise an dem Gebäude nicht dran. Auch Gebäude aus der Nachkriegszeit können geschützt sein; die am Bau Verantwortlichen müssen sich darum kümmern, ob Denkmalschutz besteht (die Juristen nennen das „Holschuld“). Fazit Dies alles und noch viel mehr muss der Zimmermann beachten, wenn er einen Auftrag für die Errichtung einer solch kleinen Dachgaube annimmt. Die Bauaufsichtsämter helfen ihm bei der Beantwortung dieser Fragen nicht mehr. Und wenn er sich auf die Auskünfte von Behördenmitarbeitern verlässt, muss er bedenken, dass diese nicht mehr haften. Also sollte der Zimmermann besser gleich alles selber wissen! I Anzeige 6/2007 23