14 U 96/09 - beim Deutschen Notarinstitut!

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14 U 96/09 - beim Deutschen Notarinstitut!
DNotI
Deutsches Notarinstitut
Dokumentnummer:
l e t zt e A k t u a l i s i e r un g :
14u96_09
10.02.2011
K G , 2 9 . 1 0 . 2 0 1 0 - 14 U 96/09
BGB § 226; AktG §§ 124 Abs. 3, 243 Nr. 3, 248, 256 Abs. 2
Rechtsmissbräuchliches Verhalten bzw. Verfolgung eingensüchtiger Absichten durch
Aktionär stets einzelfallbezogen festzustellen
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten bzw. die Verfolgung eigensüchtiger Absichten eines
Aktionärs ist für jeden Einzelfall festzustellen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beschlüssen der Beklagten sowie die Wirksamkeit der Feststellung des Jahresabschlusses der Beklagten zum 31. Dezember 2007. Die Kläger
machen zur Begründung ihrer Klagen vor allem geltend, dass es an ordnungsgemäßen
Beschlussvorschlägen des Vorstandes, aber auch des am 31. März 2008 nicht ordentlich
bestellten Aufsichtsrats fehle. Der Vorstand der Beklagten habe satzungswidrig nicht aus zwei
Personen bestanden. Der Jahresabschluss 2007 sei somit bereits deshalb nichtig, weil er durch
einen nicht ordnungsgemäß besetzten Vorstand aufgestellt worden sei. Zu den Tagesordnungspunkten (TOP) 2 und 5 habe es keine Beschlussvorschläge des Vorstandes und auch keine des
Aufsichtsrates gegeben.
Das Landgericht hat die Klagen jeweils bereits als unzulässig abgewiesen. Den Klägern fehle das
Rechtschutzbedürfnis. Die Kläger seien wirtschaftlich verflochten (die Kläger zu 2., 3. und 4.
sind Gesellschafter der Klägerin zu 1.). Eine mehrfache Klagerhebung sei vor diesem Hintergrund sinnlos. Die Anfechtungsgründe seien ferner formeller Natur. Die Kläger hielten weiter
jeweils im Verhältnis zu den Anteilen eine eher geringfügige Beteiligung (die Klägerin zu 1) mit
90 Aktien 0,005 % des Grundkapitals, der Kläger zu 2) mit jedenfalls 907 Aktien 0,045 % des
Grundkapitals, die Kläger zu 3) und 4) mit jeweils 20 Aktien 0,001 % des Grundkapitals der
Beklagten). Weiter führten die Kläger eine Vielzahl von aktienrechtlichen Verfahren; der Kläger
zu 2) und die Klägerin zu 1) gehörten zu den zehn Aktionären, die am häufigsten in Deutschland
Anfechtungsklagen erheben. Die Kläger zeigten schließlich zumindest in der Vergangenheit die
Bereitschaft zum schnellen Vergleichsabschluss. Auf dieses Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO
wegen der weiteren Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung und der tatsächlichen Feststellungen verwiesen.
Gegen das ihr am 10. August 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin zu 1) am 24. August 2009
Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12.
November 2009 mit am 4. November 2009 eingegangenem Schriftsatz begründet. Gegen das
ihm am 12. August 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger zu 2) am 12. August 2009 Berufung
eingelegt und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 2. November 2009 mit
am 2. November 2009 eingegangenem Schriftsatz begründet. Gegen das ihm am 10. August
2009 zugestellte Urteil hat der Kläger zu 3) am 25. August 2009 Berufung eingelegt und nach
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. November 2009 mit am 12. November
2009 eingegangenem Schriftsatz begründet. Gegen das ihm am 11. August 2009 zugestellte
Urteil hat der Kläger zu 4) am 12. August 2009 Berufung eingelegt und mit am 21. August 2009
eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Kläger rügen, dass das Urteil ihnen ein Rechtsschutzbedürfnis abspreche. Ein Rechtsmissbrauch liege nicht vor.
Der Kläger zu 4) hat auf Hinweis des Senats seine Berufung gegen die Tagesordnungspunkte zu
3) und 4) zurückgenommen.
Die Kläger beantragen, das am 6. August 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 91 O
116/08 – abzuändern und
die Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung vom 27. Oktober 2008 zu den Tagesordnungspunkten 2 „Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns“ und 5
„Beschlussfassung über Änderung der Satzung“ für nichtig zu erklären.
Die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 3) beantragen darüber hinaus, das am 6. August 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 91 O 116/08 – abzuändern und
festzustellen, dass der Jahresabschluss der Beklagten zum 31. Dezember 2007 nichtig ist.
Hilfsweise beantragen die Kläger zu 1) zu 2) für den Fall, dass das Gericht die Hauptanträge für
unbegründet hält, festzustellen, dass die Beschlussfassungen zu den Tagesordnungspunkten 2
und 5 nichtig sind. Hilfshilfsweise beantragt der Kläger zu 2), festzustellen, dass die Beschlüsse
zu Tagesordnungspunkten 2 und 5 unwirksam sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie meint, die Berufungen seien jeweils unzulässig. Die Kläger erhöben keine Berufungsrüge.
Jedenfalls seien die Berufungen jeweils unbegründet.
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze nebst
Anlagen der Parteien verwiesen.
II.
Die Berufungen sind statthaft und zulässig. Sie haben auch der Sache nach Erfolg.
1. Den Klägern fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Dass das Landgericht die Klagen mangels
Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abwies, ist verfahrensfehlerhaft. Handelt der klagende
Aktionär rechtsmissbräuchlich, ist die Klage unbegründet, nicht unzulässig (BGH, Urteil vom
15. 6. 1992 – II ZR 173/91, NJW-RR 1992, 1388 [1389]).
2. Das angegriffene Urteil verneint jeweils die Anfechtungsbefugnis der Kläger. Es verletzt
damit § 286 ZPO. Denn das Landgericht hat keinen Sachverhalt festgestellt, der es rechtfertigt,
von einem Rechtsmissbrauch auszugehen. Das Landgericht hat seine Annahme, die Kläger
handelten rechtsmissbräuchlich, aus Beweisanzeichen hergeleitet. Diese erlauben es nicht, auf
einen Rechtsmissbrauch der Kläger zu schließen.
a) Ein Aktionär handelt entsprechend dem Gedanken des § 226 BGB (RG, Urteil vom 22. 1.
1935 – II 198/34, RGZ 145, 385 [396]) rechtsmissbräuchlich, wenn er die Klage mit dem Ziel
erhebt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen,
auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann (BGH, Urteil vom 14.
10. 1991 – II ZR 249/90, NJW 1992, 569 m.w.N.; BGH, Urteil vom 22. 5. 1989 – II ZR 206/88,
NJW 1989, 2689 „Kochs-Adler“). Ein Kläger mit derartigen Motiven hat nicht die Kontrollfunktion der gesellschaftsrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsklage im Auge, sondern
allein die Erlangung eines unzulässigen Sondervorteils unter Ausschluss der übrigen Minderheitsaktionäre ( Hirte , BB 1988, 1469 [1472]). Wird mit einer Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage ein ihr funktionsfremder, rechtlich zu missbilligender Zweck angestrebt, kann dem deshalb
mit dem Rechtsmissbrauchseinwand begegnet werden (BGH, Urteil vom 21. 5. 2007 – II ZR
266/04, NJW-RR 2007, 1409 [1411] „Vattenfall“; BGH, Urteil vom 14. 10. 1991 – II ZR
249/90, NJW 1992, 569 [571]).
b) Ein von der beklagten Gesellschaft darzulegendes und zu beweisendes rechtsmissbräuchliches
Verhalten bzw. die Verfolgung eigensüchtiger Absichten eines Aktionärs sind für jeden Aktionär
im konkreten Einzelfall festzustellen ( Goette , DStR 1993, 886 unter Verweisung auf BGH,
Urteil vom 14. 5. 1992 – II ZR 299/90, DStR 1992, 1212). Hieran mangelt es. Die notwendige
Abwägung und Gesamtbetrachtung der Tatsachen und Umstände (OLG Stuttgart, Beschluss vom
13. 3. 2002 – 20 W 32/01, AGS 2003, 456 [457]) ergeben keine genügenden und ausreichenden
Hinweise auf einen Rechtsmissbrauch. Ein von den Klägern rechtsmissbräuchlich angestrebte
Sondervorteil ist anders als in den bislang bekannt Entscheidungen seinen Konturen nach nicht
hinreichend erkennbar. Denn die Beklagte beruft sich allein auf solche Hilfstatsachen, die
sowohl einzeln als auch in einer Gesamtschau keinen sicheren Schluss auf einen Rechtsmissbrauch zulassen.
c) In den vor allem heranzuziehenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen ein
Rechtsmissbrauch bejaht wurde, wurde stets deutlich, dass der Kläger einen ihm nicht gebührenden Sondervorteil anstrebte (BGH, Urteil vom 21. 5. 2007 – II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409
[1411] „Vattenfall“: ein Beratungsmandat; BGH, Urteil vom 14. 10. 1991 – II ZR 249/90, NJW
1992, 569: ein Beratervertrag; BGH, Urteil vom 14. 5. 1992 – II ZR 299/90, DStR 1992, 1212
[1213]: hohe Geldsumme; BGH, Urteil vom 22. 5. 1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689
„Kochs-Adler“: ein vom Kläger angestrebtes Gespräch zum „Interessensausgleich“; BGH, Urteil
vom 1. 3. 1962 – II ZR 18/60, WM 1962, 456: höhere Dividende und höherer Kaufpreis). Auch
in der Beklagten zitierten Entscheidung OLG Frankfurt, Urteil vom 13. 1. 2009 - 5 U 183/07,
NZG 2009, 222 [225], heißt es, der Kläger sei „bereitwillig auf den Vorschlag ein[gegangen],
die Klage durch einen Vergleich mit einer Leistung an [ihn] zu beenden, so dass der Eindruck
naheliege, der Kläger habe – im Bewusstsein um die Problematik der Initiative – nur darauf gewartet, dass …ihm ein Angebot unterbreitet werde). Hier lassen die von der Beklagten dargelegten Beweisanzeichen jedoch nicht ausreichend einen derartigen Willen erkennen.
aa) Für einen Rechtsmissbrauch ist es weder isoliert noch in einer Gesamtabwägung betrachtet
ein Beweisanzeichen, dass die Kläger unstreitig wirtschaftlich „verflochten“ sind. An einer Verflochtenheit mehrerer Kläger ist kein Anstoß zu nehmen. Eine mehrfache Klagerhebung wird
durch eine Verflochtenheit nicht sinnlos. Um einen Einfluss auf eine Klage und ihren Gang
sowie dem Prozessfortgang zu haben, darf jeder Aktionär ohne Absprache mit anderen, ihm ggf.
wirtschaftlich nahe stehenden oder verflochtenen Personen eine aktienrechtliche Anfechtungsbzw. Nichtigkeitsklage erheben. Nur durch eine eigene Klage ist ein Aktionär ausreichend in die
Lage versetzt, seine Rechte angemessen durchzusetzen und davor gewahrt, dass Dritte einen
schlechten Prozess führen oder beenden. Ein Aktionär muss sich daher nicht auf die Wahrnehmung seiner Rechte durch ihm nahe stehende Dritte verweisen lassen.
bb) Für einen Rechtsmissbrauch ist es weiter weder isoliert noch in einer Gesamtabwägung
betrachtet ein Beweisanzeichen, dass die Kläger formelle Beschlussmängel zur Überprüfung
stellen. Es ist nicht erkennbar, dass das Aktiengesetz im Rahmen der Anfechtbarkeit/Nichtigkeit
eines Beschlusses der Qualität nach zwischen formellen und/oder materiellen Beschlussmängeln
unterschiede, vgl. etwa §§ 241, 243 Abs. 1, 124 Abs. 4 Satz 1 AktG. Soweit die Rechtsprechung
bei formellen Mängeln ihre „Relevanz“ untersucht, ist diese Untersuchung keine des Rechtsmissbrauchs. Sähe man dieses anders, wäre eine Aktiengesellschaft in vergleichbaren Fällen
nicht gehindert, letztlich sämtliche formellen Anforderungen an eine ordnungsmäßige Beschlussfassung zu ignorieren, wenn darunter nur die materielle Ordnungsmäßigkeit nicht litte.
cc) Auch geringer Aktienbesitz – wie er bei den Klägern jeweils unstreitig vorliegt – ist kein
ausreichendes Beweisanzeichen für einen Rechtsmissbrauch. § 243 Nr. 3 AktG verlangt nur,
dass der Aktionär die Aktien vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben haben muss.
Ungeachtet der darüber geführten Diskussionen macht das Gesetz die Klagebefugnis nicht von
einem „Mindestanteil“ abhängig. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG zeigt, dass dieses auch nicht unbewusst geschah. Solange dies gilt, kann aus einem geringen Aktienbesitz keine Hilfstatsache für
einen Rechtsmissbrauch hergeleitet werden.
dd) Auch dass die Kläger in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl von aktienrechtlichen Verfahren führten und dort zum Teil die Bereitschaft zu einem Vergleichsabschluss zeigten, ist
isoliert betrachtet, aber auch vor dem Hintergrund der anderen genannten Beweisanzeichen bedeutungslos. Zum einen ist eine vergleichsweise Beilegung eines Rechtsstreits stets vorzugswürdig und von den Gerichten zu motivieren, § 278 Abs. 1 ZPO. Zum anderen steht es den
beklagten Gesellschaften jeweils frei, eine streitige Entscheidung zu wählen und keinen Vergleich zu schließen. Im Übrigen bestand im hiesigen Verfahren eine Vergleichsbereitschaft
gerade nicht.
ee) Dass einer der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt an die Beklagte herangetreten wäre und von
ihr eine Abstandssumme zur Vermeidung der weiteren Durchführung der jeweiligen Klage oder
einen anderen, greifbaren Sondervorteil verlangt hätte, ist nicht behauptet. Ebenso noch ist kein
Sondervorteil im Übrigen, der etwa in einer Gebührenteilung der Kläger mit ihren Anwälten
liegen könnte, erkennbar.
ff) Nicht ausreichend ist schließlich, dass die Schriftsätze der Kläger große Ähnlichkeiten aufweisen und zum Teil aufeinander verweisen sowie die Tatsache, dass es keine weiteren Kläger
gibt, die selbst noch nicht in Zusammenhang mit einem Rechtsmissbrauch gebracht wurden.
III.
1. Jahresabschluss
Die Feststellung des Jahresabschlusses 2007 ist nichtig. Ein von Vorstand und Aufsichtsrat festgestellter Jahresabschluss ist gemäß § 256 Abs. 2 AktG nichtig, wenn der Vorstand bei seiner
Feststellung nicht ordnungsgemäß mitgewirkt hat. Die Mitwirkung des Vorstands ist nicht
ordnungsmäßig, wenn der Vorstandsbeschluss fehlerhaft zustande kam. Dies ist der Fall, wenn
nicht alle Vorstandsmitglieder beteiligt waren oder wenn der Vorstand unterbesetzt war. Hier
war der Vorstand der Beklagten unterbesetzt. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten
besteht ihr Vorstand aus zwei Personen. Bei der Feststellung des Jahresabschlusses war der Vorstand der Beklagten damit unterbesetzt. Es wirkte nur ein Vorstandsmitglied mit. In der Hauptversammlung der Beklagten vom 31. März 2008 ist zwar beschlossen worden, dass die Beklagte
künftig nur einen Vorstand haben soll. Diese Satzungsänderung wird aber nach § 181 Abs. 3
AktG erst wirksam, wenn – was nicht der Fall ist – sie in das Handelsregister eingetragen
worden ist. Die Feststellung des Jahresabschlusses durch einen unterbesetzten Vorstands führt
nach ganz h.M. zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses (vgl. nur Schwab , in: K. Schmidt/Lutter,
AktG, 2. Aufl. 2010, § 256 Rdn. 27; Rölicke, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 256 Rd.
48; Hüffer , in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2001, § 256 Rdn. 38). Dem ist zu folgen. Dem
Gesamtvorstand obliegende Aufgaben können nicht von einzelnen Vorstandsmitgliedern durchgeführt werden (dazu noch näher sogleich unter III. 2.). Wenn die Satzung einer Aktiengesellschaft u.a. für die Feststellung des Jahresabschlusses eine bestimmte Zahl von Vorstandsmitgliedern vorschreibt, bezweckt dies, dass zum Schutz der Aktionäre und Dritten alle diese für
die Rechtsakte des Vorstands einstehen sollen ( Schwab , in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl.
2010, § 256 Rdn. 27). Soweit eine Mindermeinung daher die Ansicht vertritt, man könne dem
„Restvorstand“ die Gesamtverantwortung zumuten oder die Aktionäre seien nicht schutzbedürftig (so u.a. Götz , ZIP 2002, 1745 [1750]; Priester , in: FS Kropff [1997], S. 591 [603]), gehen
diese Stimmen am Kern des Problems vorbei. Anders als im Bereich der Leitungsfunktion des
Vorstandes, nämlich den Aufgaben der inneren Organisation, Führung, Geschäftspolitik und
Geschäftsführung, wo der Vorstand als Organ der Gesellschaft in den durch § 77 AktG und die
Satzung gezogenen Grenzen zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet ist, führt eine
vorschriftswidrige Unterbesetzung des Vorstands im Bereich derjenigen Aufgaben, die dem Vorstand als Gesamtorgan der Gesellschaft obliegen, stets – wie es auch bei einem nicht ordnungs-
gemäß besetzten Aufsichtsrat der Fall wäre ( Panetta , NJOZ 2008, 4294 [4300]) – zu dessen
Handlungsunfähigkeit (OLG Dresden, Urteil vom 31. 8. 1999 - 13 U 1215/99, NZG 2000, 426
[428]).
2. Verwendung Bilanzgewinn
Der zum TOP 2 der Hauptversammlung am 27. Oktober 2008 gefasste Beschluss ist nicht
nichtig. Beschlüsse, die ohne ordnungsgemäße Bekanntmachung gefasst werden, sind grundsätzlich nur anfechtbar. Das folgt aus § 245 Nr. 2 AktG, nach dem das Gesetz – auch – den nicht
in der Hauptversammlung erschienenen Aktionären ein Anfechtungsrecht gewährt, wenn der
Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist. Diese
gesetzliche Wertung kann für die Aktionäre, die an der Hauptversammlung teilgenommen und
Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben, nicht anders gesehen werden (BGH, Urteil vom 25.
11. 2002 – II ZR 49/01, NJW 2003, 970 [971]; Kubis , in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2004, §
124 Rdn. 47). Der zum TOP 2 der Hauptversammlung am 27. Oktober 2008 gefasste Beschluss
zu TOP ist aber nach § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG für nichtig zu erklären. Es fehlt an einem nach §
124 Abs. 3 Satz 1 AktG notwendigen Beschlussvorschlag des Vorstands. Die Pflicht nach § 124
Abs. 3 Satz 1 AktG, einen Beschlussvorschlag zu unterbreiten, trifft den Gesamtvorstand (BGH,
Urteil vom 17. 12. 2001 – II ZR 288/99, NZG 2002, 817 [818]). Dem Gesamtvorstand obliegende Aufgaben können nicht von einzelnen Vorstandsmitgliedern durchgeführt werden. Nach §
5 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten besteht ihr Vorstand aus zwei Personen. Der
Beschlussvorschlag nur eines Vorstandsmitglieds führt daher wegen eines Ladungsmangels zur
Anfechtbarkeit des zu TOP 2 gefassten Beschlusses (vgl. allgemein BGH, Urteil vom 25. 11.
2002 – II ZR 49/01, NJW 2003, 970 [971]; BGH, Urteil vom 12. 11. 2001 – II ZR 225/99,
BGHZ 149, 158 [161] = NJW 2002, 1128 „Sachsenmilch III“; Kubis , in: MünchKommAktG, 2.
Aufl. 2004, § 124 Rdn. 47). Der Ladungsmangel ist im Sinne der neueren Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs auch relevant. Ob ein Fehler relevant ist, ist grundsätzlich aus Sicht eines
objektiv urteilenden Verbandsmitglieds zu beurteilen. Hier lässt sich Relevanz des Verfahrensfehlers indes bereits aus dem Gesetz selbst beantworten. Nach § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG dürfen
über Gegenstände der Tagesordnung, die nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sind,
keine Beschlüsse gefasst werden. Dieser Regelung liegt die gesetzliche Wertung zu Grunde, dass
Bekanntmachungsmängel für das Teilhaberecht des Aktionärs grundsätzlich von Bedeutung
sind. Davon wird auch ein Verstoß gegen die Regelung des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG erfasst
(BGH, Urteil vom 12. 11. 2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 [161] = NJW 2002, 1128 [1229]
„Sachsenmilch III“).
3. TOP 5 (Änderungen der Satzung)
Die zum TOP 5.1 bis 5.4. der Hauptversammlung am 27. Oktober 2008 gefassten Beschlüsse
sind nicht nichtig. Vgl. dazu III. 2. a). Die sind aber jeweils für nichtig zu erklären. Es fehlt auch
für diese Beschlüsse, die in den Ziffern 5.2, 5.3 und 5.4 bereits am 31. März 2008 gefasste
Beschlüsse „vorsorglich bestätigen“ sollen, eines nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG notwendigen
Beschlussvorschlags des Aufsichtsrats sowie eines Beschlussvorschlags eines ordnungsgemäß
besetzten Vorstands. Dieser Ladungsmangel ist relevant. Vgl. Zu allem III. 2.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 516 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist in Ermangelung der Voraussetzungen hierfür nicht zuzulassen.