Gedichte - Volksbund

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Gedichte - Volksbund
Materialsammlung für Gedenkstunden
(zusammengestellt von Erich und Hildegard Bulitta)
Gedichte
Auf meinen Schultern
Auf meinen Schultern trage ich meinen Vater.
Er hängt über meinem Rücken.
Ich sehe mich um, wenn wieder ein Fotoreporter kommt
Was wollen sie nur von mir?
Ist es nicht die natürlichste Sache der Welt,
dass ich meinen Vater mit mir trage
durch die zerschossene Landschaft Koreas,
fort aus der Feuerzone,
fort in das Hinterland des Krieges,
wenn er hungrig und schwach ist zu Mittag
und seine Füße müde sind vom langen Umherirren,
von Tagen und Nächten zwischen den Fronten?
Ich spüre meinen Vater
auf meinen Schultern.
So hat schon Aeneas den alten Anchises
aus dem zerstörten Troja getragen.
So werden mich meine Söhne auf dem Rücken tragen
durch die Schrapnellgeschosse des nächsten Krieges,
durch das Zischen der Flammenwerfer,
die das Blitzlicht der Wochenschauen sind.
© Wieland Schmied (1929–2014), österreichischer Schriftsteller
Postkarte an junge Menschen
Gebt nicht nach, wie wir getan haben,
Folgt den Verlockungen nicht, denkt nach, verweigert,
Verweigert, lehnt ab.
Denkt nach, eh ihr Ja sagt,
Glaubt nicht sofort, glaubt auch dem Einleuchtenden nicht,
Glauben schläfert ein, und ihr sollt wach sein.
Fangt mit einem weißen Blatt an, schreibt selber die ersten Worte,
Lasst euch nichts vorschreiben.
Hört gut zu, hört lange zu, aufmerksam,
Glaubt der Vernunft nicht, der wir uns unterwarfen.
Fangt mit der stummen Revolte des Nachdenkens an, prüft
Und verwerft.
Bildet langsam das Ja eures Lebens.
Lebt nicht wie wir.
Lebt ohne Furcht.
© Walter Bauer (1904–1976), deutscher Schriftsteller
Des Krieges Buchstaben
Kummer, der das Mark verzehret,
Raub, der Hab und Gut verheeret,
Jammer, der den Sinn verkehret,
Elend, das den Leib beschweret,
Grausamkeit, die Unrecht lehret,
sind die Frucht, die Krieg gewähret.
Friedrich von Logau (1604–1655), deutscher Schriftsteller
Friede
„Bloß keinen Zank
und Streit.“
Das heißt auf Englisch
ganz einfach
PEACE
und auf französisch
PAIX
und auf russisch
MIR
und auf türkisch
BARIS
und auf hebräisch
SHALOM
und auf deutsch
FRIEDE
oder:
Du komm,
lass uns
zusammen spielen,
zusammen sprechen,
zusammen singen,
zusammen essen,
zusammen trinken
und zusammen leben
damit wir leben.
© Josef Reding (geb. 1929), deutscher Schriftsteller
Es ist Krieg
Ihr Frauen meines Landes,
Junge und Alte,
Schwarze und Weiße,
Es ist Krieg.
Der Wind
steht gegen uns,
Die Gesetze sprechen gegen uns.
Es ist Krieg.
Doch verzweifelt nicht,
wir werden gewinnen.
Wir wollen weiterkämpfen,
Immer vorwärts gehen,
Nie zurück.
Ihr Frauen meines Landes,
Mütter und Töchter,
Arbeiterinnen und Hausfrauen,
Es ist Krieg.
Festgelegte Traditionen
Arbeiten gegen uns,
Starre Religionen
Behaupten sich gegen uns.
Es ist Krieg.
Doch verzweifelt nicht,
Wir werden gewinnen.
Wir wollen weiterkämpfen,
Immer vorwärts gehen,
Nie zurück.
Ihr Frauen meines Landes,
Mutter Afrikas geliebte Töchter,
Schwarze wie Weiße,
Es ist Krieg.
Mächte der Ausbeutung
Erniedrigen unsere Mutter Afrika
Und uns, ihre Töchter.
Der Verachtung anheim
Fällt ihr mütterliches Lächeln,
Sie hat gesehen,
Wie ihre Kinder verkauft wurden,
Ihre Sklavenketten
Sind Jahrhunderte alt.
Keine Zeit nun zum Weinen für uns,
Sie hat Ströme von Tränen geweint.
Was fließt den Nil hinab,
Wenn nicht ihre Tränen,
Was fließt den Kongo hinab,
Wenn nicht ihre Tränen,
Was fließt den Sambesi hinab,
Wenn nicht ihre Tränen,
Was fließt den Thukela hinab,
Wenn nicht ihre Tränen,
Und was fließt den Fluss Kei hinab,
Wenn nicht Mutter Afrikas Tränen?
Ihr Frauen aus Ägypten und Libyen,
Trinkt ihre Tränen aus dem Nil,
Ihr werdet Mut finden und Tapferkeit.
Ihr Frauen aus Kongo und Liberia,
Trinkt ihre Tränen aus dem Kongo,
Ihr werdet euer Gefühl der Minderwertigkeit ablegen.
Ihr Frauen aus Sambia und Simbabwe,
Trinkt ihre Tränen aus dem Sambesi,
Erkenntnis wird euch zuteil werden.
Ihr Frauen aus Süd- und Westafrika,
Trinkt ihre Tränen aus dem Limpopo,
Und ihr werdet Befreiung erfahren.
Uns Frauen Afrikas,
Die wir in Ketten gebunden sind,
Gehört die Gewissheit,
Dass wir gewinnen werden.
Wir wollen weiterkämpfen,
Immer vorwärts gehen,
Nie zurück.
© Gcina Mhlophe (geb. 1958); farbige Geschichtenerzählerin aus Südafrika, schrieb dieses Gedicht 1981, zur Zeit der Apartheid; veröffentlicht in: „Love Child“, Peter
Hammer Verlag, Wuppertal
Frieden
Frieden entgleitet
Dem Anmaßenden,
Ist kein neues Parfüm,
Das aufgetragen
Animiert und aufputscht,
Auch keine Diskobeleuchtung
Zum Ein- und Ausschalten.
Und er steht nicht
zum Verkauf.
Zuviel Blut
Hat unsere Erde getränkt,
Als dass er sich kaufen ließe,
der einfache Frieden.
Er ist Freiheit und Lachen,
Eine ansteckende Krankheit,
Und soviel wertvoller
Als alle Edelsteine,
Die wir kostbar nennen.
Kein Einzelner allein
Kann darauf hoffen,
Ihn weiterzugeben.
Frieden
Ist ein unsterbliches Licht,
Sein Leuchten lebt in uns,
Sein Glanz geht von uns aus.
© Gcina Mhlophe (geb. 1958); farbige Geschichtenerzählerin aus Südafrika, schrieb dieses Gedicht 1985; veröffentlicht in: „Love Child“, Peter Hammer Verlag,
Wuppertal
man muss was tun
man muss was tun
muss man was tun
was muss man tun
tun muss man was
man hätte was getan
hätte man was getan
was hätte man getan
hätte man was getan
tun was man muss
was man tun muss
tun muss man was
was muss man tun
© Franz Mon (geb. 1926), deutscher Schriftsteller
1944 / 1945
1944 1945
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
mai
© Ernst Jandl (1925–2000), österreichischer Dichter
Wächst ein Kind ...
Wächst ein Kind mit Kritik auf – lernt es zu verurteilen!
Wächst ein Kind mit Hass auf– lernt es zu kämpfen!
Wächst ein Kind mit Spott auf – lernt es, scheu zu sein!
Wächst ein Kind mit Schmach auf – lernt es, sich schuldig zu fühlen!
Wächst ein Kind mit Toleranz auf – lernt es, geduldig zu sein!
Wächst ein Kind mit Ermutigung auf – lernt es, selbstsicher zu sein!
Wächst ein Kind mit Lob auf – lernt es, dankbar zu sein!
Wächst ein Kind mit Aufrichtigkeit auf – lernt es, gerecht zu sein!
Wächst ein Kind mit Sicherheit auf – lernt es, zuversichtlich zu sein!
Wächst ein Kind mit Anerkennung auf – lernt es, sich selber zu schätzen!
Wächst ein Kind mit Güte und Freundlichkeit auf – lernt es, die Welt zu lieben!
Unbekannter Verfasser
Ein Soldat stirbt nicht
Ein Soldat stirbt nicht,
er wird nicht vergast, nicht verbrannt und nicht zermatscht.
Er krepiert nicht mit herausquellenden Augen und
weitaufgerissenem Maul nach Luft saugend.
Er endet nicht tierisch schreiend und
sich epileptisch am Boden wälzend als lebende Fackel.
Er versucht nicht, schwerverletzt und panisch robbend
den alles zermalmenden Panzerketten zu entkommen.
Ein Soldat hat keine Angst, keine Schmerzen.
Ein Soldat stirbt nicht,
er fällt.
© Hans-Peter Kraus (geb. 1965), austro-amerikanischer Buchhändler
Silvester 1914
Neunzehnhundertvierzehn, hast ausgekämpft,
Sie nennen dich laut, mancher gedämpft.
Manchem drückst du die Kehle eng.
Blutiges Jahr, wie warst du so streng!
Kinder, die einst zur Schule gehn,
Werden dich groß im Geschichtsbuche sehn.
Greise, die nachmals die „Vierzehn“ nennen,
Werden dich blitzenden Auges noch kennen.
Ward je ein Jahr in die Erde begraben,
Wie du, Jahr voll schwarzer, gemästeter Raben!
Lachte eines so herrlich den Kühnen,
Wie du, dem noch winters die Lorbeeren grünen!
Drückst der "Fünfzehn" den fressenden Brand
Wild zum Willkomm in die Jugendhand.
Salven krachen zum letzten Gruß.
Tod mäht weiter beim Jahresschluss.
Max Dauthendey (1867–1918), deutscher Dichter
Nach schwerem Traum
Ich bin Soldat und steh im Feld
Und weiß von niemand in der Welt.
Drum kann ich diesen Regentag nicht feiern,
So kummerzärtlich, feucht und bleiern,
Da mir dein Bild zur Nacht den Schlaf zerschlug
Und mich in deine Nähe trug.
Ich bin Soldat und steh im Feld,
Gewehr im Arm, und fern der Welt.
Wär ich zu Haus, ich schlösse Tür und Scheiben
Und wollte lange einsam bleiben;
Im Sofawinkel sitzend mich versenken,
Geschlossnen Auges deiner denken.
Ich bin Soldat im trüben Feld.
Hier endet alte Menschenwelt.
Der Regen singt, die nassen Strähnen fließen.
Ich kann nichts tun – nur Blei verschießen.
Weiß nicht warum, tu's doch als ob ich's muss:
Ins graue Wetter kracht ein Schuss!
Gerrit Engelke (1890–1918), deutscher Dichter
Nach der Schlacht
In Maiensaaten liegen eng die Leichen,
m grünen Rain, auf Blumen, ihren Betten.
Verlorne Waffen, Räder ohne Speichen,
Und umgestürzt die eisernen Lafetten.
Aus vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch,
Die schwarz und rot den braunen Feldweg decken.
Und weißlich quillt der toten Pferde Bauch,
Die ihre Beine in die Frühe strecken.
Im kühlen Winde friert noch das Gewimmer
Von Sterbenden, da in des Osten Tore
Ein blasser Glanz erscheint, ein grüner Schimmer,
Das dünne Band der flüchtigen Aurore.
Georg Heym (1887–1912), deutscher Schriftsteller
Unser schönes Maschinengewehr
Gewalt
erzeugt Gegengewalt
erzeugt Gegengegengewalt
erzeugt Gegengegengegengewalt
erzeugt Gegengegengegengegengewalt
erzeugt Gegengegengegengegengegengewalt
erzeugt Gegengegengegengegengegengegengewalt
erzeugt
© Hans-Peter Kraus (geb. 1965), austro-amerikanischer Buchhändler
Taoteking 31
Waffen sind unheilvolle Geräte,
alle Wesen hassen sie wohl.
Darum will der, der den rechten SINN hat,
nichts von ihnen wissen.
Der Edle in seinem gewöhnlichen Leben
achtet die Linke als Ehrenplatz.
Beim Waffenhandwerk
ist die Rechte der Ehrenplatz.
Die Waffen sind unheilvolle Geräte,
nicht Geräte für den Edlen.
Nur wenn es nicht anders kann, gebraucht er sie.
Ruhe und Frieden sind ihm das Höchste.
Er siegt, aber er freut sich nicht daran.
Wer sich daran freuen wollte,
würde sich ja des Menschenmordes freuen.
Wer sich des Menschenmordes freuen wollte,
kann nicht sein Ziel erreichen in der Welt.
Bei Glücksfällen achtet man die Linke als Ehrenplatz.
Bei Unglücksfällen achtet man die Rechte als Ehrenplatz.
Der Unterfeldherr steht zur Linken,
der Oberführer steht zur Rechten.
Das heißt, er nimmt seinen Platz ein
nach dem Brauch der Trauerfeiern.
Menschen töten in großer Zahl,
das soll man beklagen mit Tränen des Mitleids.
Der im Kampfe gesiegt,
der soll wie bei einer Trauerfeier weilen.
Laotse (6. Jh. v. Chr.), legendärer chinesischer Philosoph (aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)
Klage der Garde
General!
Wir sind des Kaisers Leiter und Sprossen!
Wir sind wie Wasser im Fluss verflossen ...
Nutzlos hast du unser rotes Blut vergossen ...
General!
General!
Wir sind des Kaisers Adler und Eulen!
Unsre Kinder hungern ... Unsre Weiber heulen ...
Unsre Knochen in fremder Erde fäulen ...
General!
General!
Deine Augen sprühen Furcht und Hohn!
Unsre Mütter im Fron haben kargen Lohn ...
Welche Mutter hat noch einen Sohn?
General?
Schi-djing (Buch der Lieder) (1050–700 v. Chr.), (aus dem Chinesischen von Klabund)
Patrouille
Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.
August Stramm (1874–1915), deutscher Schriftsteller
Poem
Die Bäume sind von weichem Lichte übergossen,
im Winde zitternd glitzert jedes Blatt.
Der Himmel, seidig-blau und glatt,
ist wie ein Tropfen Tau vom Morgenwind vergossen.
Die Tannen sind in sanfte Röte eingeschlossen
und beugen sich vor seiner Majestät, dem Wind.
Hinter den Pappeln blickt der Mond aufs Kind,
das ihm den Gruß schon zugelächelt hat.
Im Winde sind die Büsche wunderbar:
bald sind sie Silber und bald leuchtend grün
und bald wie Mondschein auf lichtblondem Haar
und dann, als würden sie aufs neue blühn.
Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
und tuen ihre Freude kund.
Sieh nur die Straße, wie sie steigt:
so breit und hell, als warte sie auf mich.
Und ferne, irgendwo, da schluchzt und geigt
die Sehnsucht, die sich zieht durch mich und dich.
Der Wind rauscht rufend durch den Wald,
er sagt mir, dass das Leben singt.
Die Luft ist leise, zart und kalt,
die ferne Pappel winkt und winkt.
Ich möchte leben.
Ich möchte lachen und Lasten heben
und möchte kämpfen und lieben und hassen
und möchte den Himmel mit Händen fassen
und möchte frei sein und atmen und schrein.
Ich will nicht sterben. Nein!
Nein.
Das Leben ist rot.
Das Leben ist mein.
Mein und dein.
Mein.
Warum brüllen die Kanonen?
Warum stirbt das Leben
für glitzernde Kronen?
Dort ist der Mond.
Er ist da.
Nah.
Ganz nah.
Ich muss warten.
Worauf?
Hauf um Hauf
sterben sie.
Stehn nie auf.
Nie und nie.
Ich will leben.
Bruder, du auch.
Atemhauch
geht von meinem und deinem Mund.
Das Leben ist bunt.
Du willst mich töten.
Weshalb?
Aus tausend Flöten
weint Wald.
Der Mond ist lichtes Silber im Blau.
Die Pappeln sind grau.
Und Wind braust mich an.
Die Straße ist hell. Dann...
Sie kommen dann
und würgen mich.
Mich und dich
tot.
Das Leben ist rot,
braust und lacht.
Über Nacht
bin ich
tot.
Ein Schatten von einem Baum
geistert über den Mond.
Man sieht ihn kaum.
Ein Baum.
Ein
Baum.
Ein Leben
kann Schatten werfen
über den
Mond.
Ein
Leben.
Hauf um Hauf
sterben sie.
Stehn nie auf.
Nie
und
nie.
Selma Meerbaum-Eisinger (1924–1942), deutschsprachige jüdische Dichterin
Krieggrab
Stäbe flehen kreuze Arme
Schrift zagt blasses Unbekannt
Blumen frechen
Staube schüchtern.
Flimmer
Tränet
Glast
Vergessen.
August Stramm (1874–1915), deutscher Schriftsteller
Irgendwo im Osten
Irgendwo im Osten
liegt ein Grab.
Meine Seele
sucht
und wird nicht müde.
Was du warst,
das bist du,
heut’ und immer.
Schon ein Schimmer
dieses Irgendwo
wäre Trost
für meine matten Tage.
Darf die Frage
klingen?
Irgendwo im Osten
liegt mein Grab
Hast Du
Blumen
Birken,
Beter –
Irgendwo?
© Karl Hochmuth (1919–2002), deutscher Schriftsteller
Hiroshima
Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
Auferstandene aus Staub für ihn.
Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an der Hand
Der Knabe, der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.
© Marie Luise Kaschnitz (1901–1974), deutsche Schriftstellerin
Frieden
Von dem Turme im Dorfe klingt
Ein süßes Geläute;
Man sinnt, was es deute,
Dass die Glocke, im Sturme nicht schwingt.
Mich dünkt, so hört’ ich’s als Kind;
Dann kamen die Jahre der Schande;
Nun trägt’s in die Weite der Wind,
Dass Frieden im Lande.
Wo mein Vaterhaus fest einst stand,
Wächst wuchernde Heide;
Ich pflück’, eh ich scheide,
Einen Zweig mir mit zitternder Hand.
Das ist von der Väter Gut
Mein einziges Erbe;
Nichts bleibt, wo mein Haupt sich ruht,
Bis einsam ich sterbe.
Meine Kinder verwehte der Krieg;
Wer bringt sie mir wieder?
Beim Klange der Lieder
Feiern Fürsten und Herren den Sieg.
Sie freun sich beim Friedensschmaus,
Die müß’gen Soldaten fluchen –
Ich ziehe am Stabe hinaus,
Mein Vaterland suchen.
© Ricarda Huch (1864–1947), deutsche Schriftstellerin
Hiroshima
(Wishful thinking)
There’s a shadow of a man at Hiroshima
Where he passed the moon
In a wonderland at Hiroshima
Beneath the augustmoon
And the world remembers his face
Remembers the place was here
Fly the metal bird to Hiroshima
And the way a load
Speak the magic word to Hiroshima
Let the sky explode
And the world remembers his name
Remembers the flame was Hiroshima
And the world remembers his name
Remembers the flame was
Hiroshima, Hiroshima, ...
Unbekannter Verfasser
Soldatentrauma
Zurück kam er –
der Soldat aus dem Krieg
äußerlich unversehrt
legte er die Uniform beiseite
auch das Gewehr
und schwieg
alle freuten sich
über die Heimkehr
nur der Soldat nicht
Augen blickten
verwundet in eine Welt
die nicht mehr seine war
quälende Gedanken
machten sich breit
eroberten das Sein
Tod und Leben
dicht beieinander.
© Heidrun Gemähling (geb. 1943), deutsche Dichterin
Darf man mit 29 schon sterben
 In Kabul
Durch einen Selbstmordattentäter in einem Auto getötet. Zwei schwer verletzt.
 In Kundus
Bei einem Selbstmordanschlag
auf belebtem Markt zwei Mann getötet
zwei Soldaten werden schwer verletzt
Die Opfer mit dem Status von Reservisten
was ihnen nicht half
 Wer weiß wo
Am 27. August 2008 ein deutscher Fallschirmjäger
von einem Sprengsatz getötet
Darf man mit 29 schon sterben
© www.online-lernen.levrai.de
Gegen den Krieg
Wann stoppt ihr endlich dieses dumpfe Morden,
die Kriege, die unmenschlich, grausam sind?
Verlasst den Weg der Wut und wilden Horden,
die ohne Herz und Hirn hier handeln blind!
Mit schwarzer Farbe ist nichts rein zu waschen
und Blut spült wohl auch keinen Blutfleck aus.
Ein Krieg gebiert nicht Frieden, sondern Hassen
und lenkt das Feuer auf das eigne Haus.
Die Welt ist groß und weit, und ein Verstehen
der Menschheit müsste endlich möglich sein.
Die Kinder, die wir allerorten sehen,
erwarten Leben, Liebe nur allein.
Lebt hier in Frieden, lasst dies bös’ Entzweien,
und uns von dieser Geisel Krieg befreien!
© Ingrid Herta Drewing (geb. 1942), deutsche Schriftstellerin
Verdun, viele Jahre später
Auf den Schlachtfeldern von Verdun
finden die Toten keine Ruhe.
Täglich dringen dort aus der Erde
Helme und Schädel, Schenkel und Schuhe.
Über die Schlachtfelder von Verdun
laufen mit Schaufeln bewaffnete Christen,
kehren Rippen und Köpfe zusammen
und verfrachten die Helden in Kisten.
Oben am Denkmal von Douaumont
liegen zwölftausend Tote im Berge.
Und in den Kisten warten achttausend
Männer vergeblich auf passende Särge.
Und die Bauern packt das Grauen.
Gegen die Toten ist nichts zu erreichen.
Auf den gestern gesäuberten Feldern
liegen morgen zehn neue Leichen.
Diese Gegend ist kein Garten,
und erst recht kein Garten Eden.
Auf den Schlachtfeldern von Verdun
stehn die Toten auf und reden.
Zwischen Ähren und gelben Blumen,
zwischen Unterholz und Farnen
greifen Hände aus dem Boden,
um die Lebenden zu warnen.
Auf den Schlachtfeldern von Verdun
wachsen Leichen als Vermächtnis.
Täglich sagt der Chor der Toten:
„Habt ein besseres Gedächtnis!“
© Erich Kästner (1899–1974), deutscher Schriftsteller
Soldatenfriedhof
Die Luft ist brüchig.
Fünftausend Kreuze
In Reih und Glied,
Streng ausgerichtet
Auf Vordermann.
Nach dem Abendappell
Gehen sie in die Stadt.
Sie bevölkern Ruinen
Und schwarze Brücken,
Werfen Laub in die Grachten.
Sie besuchen den Dom
Und verdunkeln den Heiland.
Aber es glimmen die silberBeschlagenen Ecken des Messbuchs.
Und das Stigma der Abendröte
Brennt auf den Dächern.
Als Fensterschatten
Lehnen sie an der Wand der Bar.
Sie hauchen Eis in die Gläser.
Sie blicken aus Gitarren
Den Frauen nach.
Kurz vor Mitternacht
Hallt gräberhin
Das Todes Clairon,
Das trostlose Trommeln,
Die große Retraite,
Der Zapfenstreich.
In erster Helle
Stehen sie wieder
Starr im Geviert.
Fünftausend Kreuze.
Streng ausgerichtet
Auf Vordermann.
© Peter Huchel (1903–1981), deutscher Dichter
Nacht-Denken
Nur Krieger
vergessen tapfer
und Abschied
macht sie stark.
© Dagmar Leupold (geb. 1955), deutsche Schriftstellerin
Die jungen toten Soldaten
Die jungen toten Soldaten sprechen nicht.
Aber man hört sie in stillen Häusern:
Wer hat sie nicht gehört?
Sie haben ein Schweigen, das spricht für sie,
nachts, wenn die Uhr schlägt.
Sie sagen: Wir waren jung.
Wir sind gestorben. Denkt an uns.
Sie sagen: Wir haben getan was wir konnten,
aber bevor es vorbei ist, ist es nicht getan.
Sie sagen: Wir haben unser Leben gegeben,
aber bevor es vorbei ist, kann keiner wissen,
was unsere Leben gaben.
Sie sagen: Unser Tod ist nicht unser.
Er ist euer;
er wird bedeuten, was ihr daraus macht.
Sie sagen: Ob unser Leben und Tod für Frieden war,
und für neue Hoffnung,
oder für nichts,
können wir nicht sagen, denn ihr müsst es sagen.
Sie sagen: Wir lassen Euch unsere Tode.
Gebt ihnen Sinn.
Wir waren jung, sagen sie. Wir sind gestorben.
Denkt an uns.
© Archibald MacLeish (1892–1982), amerikanischer Dichter (übersetzt von E. Fried)
Es geht um den Frieden
Es geht vor allem um den Frieden.
Das weitere ist sekundär.
Die Wege dazu, grundverschieden.
Und zahlreich wie der Sand am Meer.
Auch du sollst deinen Beitrag leisten.
Sei deinem Nachbarn wieder gut.
Verzeihe Flüchen, den entgleisten.
Und bremse dich und deine Wut.
Nur so kann Weihnachten gelingen,
das prophezeit ein Anti-Christ.
Im Kirchenchor wird er nicht singen,
jedoch er ist ein Optimist.
Gemeinsam soll man Frieden stiften.
Dann wären wir den Ärger los.
Um Atmosphären zu entgiften,
wird Weihnachten zum Denkanstoß.
© Roman Herberth (geb. 1955), deutscher Schriftsteller
So fing es an
Zuerst ging man mit Keulen aufeinander los.
Es folgten Speer, Pfeil und Bogen,
doch das war bald auch schon nicht mehr genug,
was Besseres musste her,
und man höre und staune,
man erfand die Pistole.
Auch die Kanonen ließen sich nicht lumpen
und erschienen kurz darauf.
Danach kamen sie angeflogen, die Handgranaten,
zu Verteidigungszwecken,
für den Rucksack nie zu groß,
leicht und praktisch.
Etwas verspätet rollten sie an,
die Panzer,
das musste ja so sein.
Nur das tollste Ding, was man je erfand,
war eine Bombe, die aus Atom bestand.
Ein großer Pilz,
ihr Markenzeichen,
wo er wächst, sich nichts mehr regt und
mit der Erde bald alles zu Ende geht.
Petra Rötzer, Hauptschülerin, 15 Jahre, (Aus: Fragen und Versuche, Zeitung der Freinetbewegung)
Alle Tage
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verlieren,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verlieren
für die Flucht vor den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
© Ingeborg Bachmann (1926–1973), österreichische Schriftstellerin
Verzicht
Aus dem Haus, in dem ich geboren bin,
hat mich der Krieg vertrieben.
Da hab ich VERGELTUNG! und NIEMALS VERZICHT!
tief in mein Gedächtnis geschrieben.
Das liebe Haus meiner Kinderzeit
steht heute nicht leer und verlassen:
Die Fremden, die nun da zu Hause sind –
soll ich sie verfluchen und hassen?
Im Haus, in dem ich einst lachte und sang,
hör ich ihre Kinder jetzt lachen.
Nähm’ ich mir’s mit Gewalt zurück,
würd ich sie heimatlos machen.
Spielt weiter, ihr Kinder, ich seh euch gern.
Nichts soll euren Frieden stören.
Das Haus, in dem ich geboren bin,
das soll euch für immer gehören.
© Gudrun Pausewang (geb. 1928), deutsche Schriftstellerin
vater komm
vater komm erzähl vom krieg
vater komm erzähl wiest eingerückt bist
vater komm erzähl wiest gschossen hast
vater komm erzähl wiest verwundt wordn bist
vater komm erzähl wiest gfallen bist
vater komm erzähl vom Krieg
© Ernst Jandl (1925–2000), österreichischer Dichter
Über einige Davongekommene
Als der Mensch
Unter den Trümmern
Seines
Bombardierten Hauses
Hervorgezogen wurde,
Schüttelte er sich
Und sagte:
Nie wieder.
Jedenfalls nicht gleich.
© Günter Kunert (geb. 1929), deutscher Dichter
Paul
Neunzehnhundertsiebzehn
an einem Tag unter Null geboren,
rannte er wild über den Kinderspielplatz,
fiel, und rannte weiter
den Ball werfend über den Schulhof,
fiel und rannte weiter
das Gewehr im Arm über das Übungsgelände,
fiel, und rannte weiter
an einem Tag unter Null
in ein russisches Sperrfeuer
und fiel.
© Rainer Brambach (1917–1983), deutsch-schweizerischer Schriftsteller
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde
Aber nach vielen Jahrmillionen
war der Mensch endlich klug genug.
Er sprach: Wer redet hier von Gott?
Ich nehme meine Zukunft selbst in die Hand.
Er nahm sie,
und es begannen die letzten sieben Tage der Erde.
Am Morgen des ersten Tages
beschloss der Mensch
frei zu sein und gut, schön und glücklich.
Nicht mehr Ebenbild eines Gottes,
sondern ein Mensch.
Und weil er etwas glauben musste,
glaubte er an die Freiheit und an das Glück,
an die Börse und an den Fortschritt,
an die Planung und an seine Sicherheit.
Denn zu seiner Sicherheit
hatte er den Grund zu seinen Füßen gefüllt
mit Raketen und Atomsprengköpfen.
Am zweiten Tag der letzten Zeit
starben die Fische in den Industriegewässern,
die Vögel am Pulver aus der chemischen Fabrik,
das den Raupen bestimmt war,
die Feldhasen an den Bleiwolken von der Straße,
die Schoßhunde an der schönen roten Farbe in der Wurst,
die Heringe in Öl auf dem Meer
und an dem Müll auf dem Grunde des Ozeans.
Denn der Müll war aktiv.
Am dritten Tag
verdorrte das Gras auf den Feldern
und das Laub auf den Bäumen,
das Moos an den Felsen
und die Blumen in den Gärten.
Denn der Mensch machte das Wetter selbst
und verteilte den Regen nach genauem Plan.
Es war nur ein kleiner Fehler
in dem Rechner, der den Regen verteilte.
Als sie den Fehler fanden,
lagen die Lastkähne auf dem trockenen Grund
des schönen Rheins.
Am vierten Tag
gingen drei von vier
Milliarden Menschen zugrunde.
Die einen an den Krankheiten,
die der Mensch gezüchtet hatte,
denn einer hatte vergessen, die Behälter zu verschließen,
die für den nächsten Krieg bereit standen.
Und ihre Medikamente halfen nichts.
Die hatten zu lange schon wirken müssen
in Hautcremes und Schweinelendchen.
Die anderen starben an Hunger
weil etliche von ihnen die Schlüssel
zu den Getreidesilos versteckt hatten.
Und sie fluchten Gott,
der ihnen doch das Glück schuldig war.
Es war doch der liebe Gott!
Am fünften Tag
drückten die letzten Menschen den roten Knopf,
denn sie fühlten sich bedroht.
Feuer hüllte den Erdball ein,
die Berge brannten, und die Meere verdampften,
und die Betonskelette in den Städten
standen schwarz und rauchten.
Und die Engel im Himmel sahen,
wie der blaue Planet rot wurde,
dann schmutzig braun und schließlich aschgrau.
Und sie unterbrachen ihren Gesang für zehn Minuten.
Am sechsten Tag
ging das Licht aus.
Staub und Asche verhüllten die Sonne,
den Mond und die Sterne.
Und die letzte Küchenschabe,
die in einem Raketenbunker überlebt hatte,
ging zugrunde an der übermäßigen Wärme,
die ihr gar nicht gut bekam.
Am siebten Tag
war Ruhe.
Endlich.
Die Erde war wüst und leer,
und es war finster über den Rissen und Spalten,
die an der toten Erdrinde
aufgesprungen waren.
Und der Geist des Menschen
irrlichtierte als Totengespenst über dem Chaos.
Tief unten,
in der Hölle, aber
erzählte man die spannende Geschichte
von dem Menschen,
der seine Zukunft in die Hand nahm,
und das Gelächter dröhnte hinauf
bis zu den Chören der Engel.
© Jörg Zink (geb. 1922), deutscher evangelischer Theologe, Pfarrer und Publizist
Wann ist denn endlich Frieden?
Frieden, Frieden – alles schreit nach
Frieden, Frieden, Frieden, Frieden.
Ich will auch und einfach: Frieden,
Frieden ohne Wenn und Aber.
Frieden, Frieden woll’n sie alle,
Frieden woll’n auch die großen.
Frieden auch die kleinen Fürsten,
Frieden wollen all die Führer,
Präsidenten und Monarchen,
Bettler, Waffenfabrikanten,
Generäle und Minister.
Frieden! Frieden! – alles schreit,
Ost und West auf beiden Seiten.
Friedenskämpfer sind sie alle,
die in aller Offenheit,
Massenmorde vorbereiten.
Frieden, Frieden über alles!
Panzer und Raketenwaffen,
Bomben, Giftgas und Bazillen,
Overkill – alles will!
Frieden!
Ach, um ihres Friedens willen,
ach, dass solcher Frieden werde,
dazu brauchen all die Großen
dieser Erde,
immer noch ’nen kleinen Sieg,
aber immer neue Feinde.
Ach, zum Frieden, den die meinen,
braucht es Krieg.
© Wolf Biermann (geb. 1936), deutscher Liedermacher und Lyriker
Wenn jeder eine Blume pflanzte
Wenn jeder eine Blume pflanzte,
jeder Mensch auf dieser Welt,
und, anstatt zu schießen, tanzte
und mit Lächeln zahlte statt mit Geld –
wenn ein jeder einen andern wärmte,
keiner mehr von seiner Stärke schwärmte,
keiner mehr den andern schlüge,
keiner sich verstrickte in der Lüge,
wenn die Alten wie die Kinder würden,
sie sich teilten in den Bürden,
wenn dies WENN sich leben ließ,
wär’s noch lang kein Paradies –
bloß die Menschenzeit hätt’ angefangen,
die in Streit und Krieg uns beinah ist vergangen.
© Peter Härtling (geb. 1933), deutscher Schriftsteller
Krieg und Frieden
Krieg ist etwas
im Fernsehen
man kann es abschalten
Krieg ist etwas
in der Zeitung
man kann Salat drin einwickeln
Krieg ist etwas
das die Alten erlebt haben
man kann’s nicht mehr hören
Krieg ist meistens
weit weg
Frieden ist nichts
was man mal
anschalten kann
Frieden ist nichts
was sich schnell
auswickeln lässt
Frieden ist nichts
was man Jüngeren oder Älteren
überlassen soll
Frieden beginnt immer
ganz nah
© Ingeborg Görler, (geb. 1937), deutsche Schriftstellerin
Der Mandelzweig
© Der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin (1913–1999) hat mitten im Krieg, im Jahr 1942, folgende Verse gedichtet:
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.
Frieden – Spruchgedicht
Immer kämpfen, immer streiten
Und das lohnt doch wahrlich nicht –
Und das Recht hat viele Seiten,
Und der Friede, er ist Pflicht.
Friederike Kempner (1828–1904), deutsche Dichterin
Frieden
Die Welt ist leider friedeleer.
Ich frag mich, wo er zu finden ist?
Sein Fehlen macht das Herze schwer,
das ihn allenthalben sehr vermißt.
Er muß zuerst im Herzen wohnen,
sonst ist alles vergebliches Mühen
und wird sich auch leider nicht lohnen,
denn diese Blume wird nicht blühen.
Wenn Frieden nicht im Kleinen gelingt,
wie kann dann bei Völkern Friede sein?
Wenn der Friede im Hause Sieg erringt,
kehrt Hoffnung auch im Großen ein.
© Irmgard Adomeit (geb. 1935), deutsche Dichterin
Der erste Friede
Der erste Friede,
der wichtigste ist der,
welcher in die Seelen der Menschen einzieht,
wenn sie ihre Verwandtschaft,
ihre Harmonie mit dem Universum einsehen
und wissen, dass im Mittelpunkt der Welt
das große Geheimnis wohnt
und dass diese Mitte tatsächlich überall ist.
Sie ist in jedem von uns.
Dies ist der wirkliche Friede,
alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon.
Der zweite Friede ist der,
welcher zwischen einzelnen geschlossen wird.
Und der dritte Friede ist der zwischen Völkern.
Doch vor allem sollt ihr sehen,
dass es nie Frieden zwischen den Völkern geben kann,
wenn nicht der erste Friede vorhanden ist,
welcher, wie ich schon oft sagte,
innerhalb der Menschenseele wohnt!"
Die Vögel verlassen die Erde mit ihren Flügeln.
Auch die Menschen können die Erde verlassen,
zwar nicht mit Flügeln,
aber mit ihrem Geist.
© Hehaka Sapa (1863–1950), Medizinmann der Oglala-Lakota Indianer
Frieden machen – wie?
Das Wort, das wir sprechen,
kann für einen anderen Menschen zum Brot werden,
von dem er ein Stückweit lebt:
eine Minute,
eine Stunde,
vielleicht sogar einen Tag
oder länger,
wenn in unserem Reden
der Wille zum Frieden mitschwingt.
Und Freundlichkeit,
Vertrauen und Anerkennung,
Geduld.
Darum auch:
Frieden in unserer Stimme.
© Clemens Kunze
Ich kann nicht Frieden machen auf der ganzen Welt
Ich kann nicht Frieden machen
auf der ganzen Welt
Aber ich kann dafür sorgen,
dass in mir selber Frieden ist.
Und ihn weitergeben
an meine Kinder,
an meine Eltern,
an die Menschen,
mit denen ich arbeite,
an die, welche ich treffe zufällig oder nicht zufällig.
Das ist meine Möglichkeit,
Frieden auf dieser Welt zu machen.
Nicht mehr und nicht weniger.
© Clemens Kunze
Waffen sind Werkzeuge der Trauer
Verächtlich dem Leben Achtenden.
Nicht drängt der Durchdrängte zu ihnen.
Waffen sind Werkzeuge der Trauer.
Nur gezwungen braucht sie der Erhabene.
Sein Kampf entspricht der Gesetzmäßigkeit.
Beruhung ist des Erhabenen Weise
Nichts weiß er von den Weisen der Waffenfreudigen.
Waffenfreude ist Mordfreude.
Wen Mordfreude erfüllt
hat Leben verlassen.
Freudenfeier hat Ehrenplatz Links.
Trauerfeier hat Ehrenplatz Rechts.
Ist Sieg
So steht die Truppe links
der Führer rechts.
Sein Platz entspricht der Trauerfeier.
Tötung heißt Trauer schaffen.
Wessen Handwerk Tote schafft
Der sei wie bei Trauerfeier.
Laotse (6. Jh. v. Chr.), legendärer chinesischer Philosoph
Weltfrieden
Frieden auf der Erde beginnt nicht damit,
dass wir Forderungen an andere stellen.
Auch nicht damit,
einen Schuldigen zu suchen.
Frieden auf der Erde beginnt damit,
den ersten Schritt zu tun
und mit uns selbst Frieden zu schließen.
Dann ist es, als wäre in uns
ein strahlendes Licht entzündet,
hell leuchtend von Mensch zu Mensch.
Und wir tragen es über das Land,
bis tiefer Frieden die ganze Erde erhellt.
unbekannter Verfasser
Manöverfrühling
Wenn der Frühling kommt,
ziehen die Soldaten ins Manöver
und die Panzer schießen ins Kraut.
Ganze Kompanien graben sich ein,
jeder Soldat schaufelt sich ein Loch,
ein kleines Grab.
Dann kommen Schwärme von Panzern,
fahren über die Löcher,
drehen kettenrasselnd auf der Stelle,
bis nur noch
ein blutiger Brei übrig bleibt.
Wer wegläuft,
wird standrechtlich erschossen oder
an einem Telegrafenmast aufgehängt.
Aber wenn das Manöver aus ist,
gehen die Soldaten
wieder in die Kaserne.
© Wolfgang Bittner (geb. 1941), deutscher Schriftsteller
Inferno
Wohin sich wenden?
fragen die Astrologen,
unbewohnbar
sind Städte und Wälder,
Haifische laufen Amok.
Da ist der Mann
noch was wert,
mein Röcheln mustergültig;
vor dem großen Zapfenstreich
gottverflucht!
schließt sich der Kreis.
Stellenweise brennt es
und die Erde wird
immer heißer,
stetig führt der Fluss
sie ins Meer,
bis es verdampft.
© Wolfgang Bittner (geb. 1941), deutscher Schriftsteller
Panzerketten noch immer
Die Fenster vernagelt, die Türen
verbarrikadiert,
ein fernes Grollen kommt näher,
Artillerie, heißt es,
auf der Straße knattern Schüsse,
das Rasseln von Panzerketten
bis in den Keller,
Wände beben, zittern,
es riecht nach Kartoffeln.
Das Schloss zum Hoftor wird
aufgeschossen,
Rufe in einer fremden Sprache
und Kolbenstöße an der Kellertür,
auf dem Hof Schreie
im Hinterhaus schreien Frauen,
die Großmutter löscht das Licht.
© Wolfgang Bittner (geb. 1941), deutscher Schriftsteller
Spurensuche
Die Anzeichen wachsen
aus dem Boden,
Raubtiere sollen im Land sein,
berichten die Nachbarn,
Fährtensucher
machen sich an die Arbeit.
Schwermütig streicht
das Zwielicht ums Haus,
wir bangen.
Die Gerüchte nehmen zu,
jede Nacht Rumoren
und tückische Geschäftigkeit.
Verdrossen
suchen wir nach Beweisen.
© Wolfgang Bittner (geb. 1941), deutscher Schriftsteller
DEMOKRAKEEL
Wenn einer, der mit Mühe kaum ein Präsident geworden ist,
und nun mit aller Macht bedrängt jeden, der ihm nicht folgen will,
wenn der mit allen Mitteln nach Gefolgschaft sucht, wenn er
sich Glaubensbrüder kaufen will
und Zweiflern gern das Rückgrat brechen möchte, wenn er,
nur weil an seiner Seite und vor ihm die stärksten Schläger stehen, sagt,
dass er, auch wenn die Mehrheit gegen ihn, in jedem Fall durchsetzen will, was er
für richtig hält, dann ist es eine dumme oder böse Lüge,
das, was er der Welt bescheren will, Demokratie zu nennen.
© Karlhans Frank (1937–2007), deutscher Schriftsteller
Kindersoldaten
Welch ein Schmerz
berührt die Seele,
die das Unfassbare
nicht fassen kann
beim Anblick der Kinder,
die verlenkt werden,
die benutzt werden,
die geknechtet werden,
ihrer Kindheit beraubt
werden für Zwecke
von Krieg und Gewalt.
Gehorsame kleine Augen
sehen nach rechts,
sehen nach links
Kinder
stehen stramm mit
gerichtetem Gewehr,
üben den Krieg
gegen die Großen.
Welch ein Leid in unserer Zeit!
© Heidrun Gemähling (geb. 1943), deutsche Dichterin
Lassen sich Kriege verstehen?
Krieg wurde befohlen,
Soldaten zogen aus,
hinterließen Frau und Kinder
und eine Mutter auch,
die weinte in die Schürze,
der Vater hielt bedeckt
mit Händen seine Tränen,
kannte des Krieges Schrecken,
das grausame Morden,
die gestorbenen Gefühle danach.
Es tobten Gefechte
auf See und anderswo,
Seelen sanken auf tiefen Grund,
wurden gefunden niemals mehr,
Werte brutal zerschossen,
die Lieben bangten Daheim,
Soldaten hofften auf Wiederkehr,
Kameraden kehrten zurück - oft allein
aus ihrer teuflisch bedrängten Lage.
Geschunden, verletzt kam der Zweifel,
Sinn ließ sich erfassen nicht mehr
für Kriege und all die Leiden,
Frommes erlosch
im Rinnsal tödlicher Macht,
traumatische Gedanken
hielten Worte stumm.
Es ist so schwer,
den Wahnsinn zu verstehen!
© Heidrun Gemähling (geb. 1943), deutsche Dichterin
Flucht durch sandige Erde
Ausgedörrte Tränen,
tote Leiber mit starren Blicken
liegen im heißen Sand,
barbarisch schwebt das Grauen
durch staubige Weiten,
blutige Gefechte ereilen Seelen,
die gerade noch Essen zubereiteten,
jetzt, eingehüllt von Sandstürmen
zu Gräbern geformt werden,
Unschuld ungehört zum Himmel schreit.
Flüchtende ziehen furchtsam vorüber,
Ausgemergelte mit Kindern an der Hand,
am Rücken das Wenige,
den Kopf voll Not,
erblicken sie rückblickend einen
brennenden zersprengten Horizont,
dessen bestialische Gewalten
Massen ins Ungewisse drängt,
ins Verderben,
in Hunger und Not.
© Heidrun Gemähling (geb. 1943), deutsche Dichterin
Flüchtlingslager
Dicht an dicht bis zum Horizont reihen sich Zelte
mit vertriebenen, hoffnungslosen Menschen,
ihrer Heimat beraubt,
dem Bombenhagel und Kriegstreiben
gerade noch entkommen,
nun, den Alltag ungewohnt erleben,
dazwischen kleine barfüßige Kinder,
die mühsam Eimer mit sauberem Wasser
durch sandige, schlammige Wege von
einer Zapfstelle herbei schleppen,
andere erkämpfte Brotlaibe fest umfassen
oder Säcke mit Mehl, Hirse und Reis
auf ihren zarten jungen Schultern
zu ihren Familien tragen,
vorbei an besorgten Müttern,
deren Babys in Tüchern ruhen,
vom tobenden Krieg im Nachbarland
noch nichts wissen,
die Welt aber hilflos erschüttert,
dem Morden keinen Einhalt bieten kann,
Massen der verängstigen Bevölkerung durch
unversöhnliche hasserfüllte Gesinnung
täglich grausam löschen,
dem Teufel zur Freude.
© Heidrun Gemähling (geb. 1943), deutsche Dichterin
Flucht übers Wasser
(Menschen flüchten aus Afrika – 2013)
Muttererde,
mit Hoffnung verschnürt
wagen Flüchtende die Reise
durch Wüstensand übers weite Meer
ins Ungewisse,
nach Beistand für ihre
ausweglose Lage suchend.
Dicht an dich kauern Verängstigte
für viel Geld in morschen überfüllten Booten,
den Stürmen in nächtlicher Finsternis
gnadenlos ausgesetzt,
um in die erträumte Freiheit,
ans rettende Ufer zu gelangen,
der Hilfe entgegen.
Nicht für alle.
Ertrunken treiben sie
mit den Wellen zum Strand.
Machtloses Entsetzen!
Aufschrei der Zeit!
Grauen der Apokalypse!
© Heidrun Gemähling (geb. 1943), deutsche Dichterin
DEM FRIEDEN ENTGEGEN
Aus Hasstraum und Blutrausch
Erwachend, blind noch und taub
Vom Blitz und tödlichen Lärm des
Krieges,
Alles Grauenhafte gewohnt,
Lassen von ihren Waffen,
Von ihrem furchtbaren Tagwerk
Die ermüdeten Krieger.
„Friede“ tönt es
Wie aus Märchen, aus Kinderträumen
her.
„Friede.“ Und kaum zu freuen
Wagt sich das Herz, ihm sind näher
die Tränen.
Arme Menschen sind wir,
So des Guten wie des Bösen fähig,
Tiere und Götter. Wie drückt das Weh,
Drückt die Scham uns heut zu Boden.
Aber wir hoffen. Und in der Brust
Lebt uns glühende Ahnung
Von den Wundern der Liebe.
Brüder! Uns steht zum Geiste,
Steht zur Liebe die Heimkehr
Und zu allen verlorenen
Paradiesen die Pforte offen.
Wollet! Hoffet! Liebet!
Und die Erde gehört euch wieder.
© Hermann Hesse (1877–1962), deutscher Schriftsteller
ÜBERSTANDEN
Der Zehnjährige
Ich habe überstanden:
Gouvernanten,
Matrosenanzüge,
Sonntagsspaziergänge.
Meine Träume sind:
Antigouvernantenträume,
Antimatrosenanzugsträume,
Antispaziergangsträume.
Der Zwanzigjährige
Ich habe überstanden:
Mathematikarbeiten,
Vaterzorn,
Backfischgelächter.
Meine Gedanken sind:
Antimathematikgedanken,
Antivatergedanken,
Antibackfischgedanken.
Der Dreißigjährige
Ich habe überstanden:
Krieg,
Angst,
Gefangenschaft.
Meine Gebete sind:
Antikriegsgebete,
Antiangstgebete,
Antigefangenschaftsgebete.
Der Vierzigjährige
Nicht überstehen werden ich:
Das Atomgeschütz Anna
in Baumholder.
© Gerhard Prager (1920–1975), deutscher Redakteur, Fernsehproduzent und Schriftsteller
Die vier Kerzen
Vier Kerzen brannten am Adventskranz.
So still, dass man es hörte,
wie die Kerzen zu reden begannen.
Die erste Kerze seufzte und sagte:
“Ich heiße Frieden.
Mein Licht leuchtet,
aber die Menschen halten keinen Frieden.”
Ihr Licht wurde immer kleiner
und verlosch schließlich ganz.
Die zweite Kerze flackerte und sagte:
“Ich heiße Glauben,
aber ich bin überflüssig.
Die Menschen wollen
von Gott nichts mehr wissen.
Es hat keinen Sinn mehr,
dass ich brenne.”
Ein Luftzug wehte durch den Raum
und die zweite Kerze war aus.
Leise und traurig meldete sich
nun die dritte Kerze zu Wort:
“Ich heiße Liebe.
Ich habe keine Kraft mehr zu brennen.
Die Menschen stellen mich an die Seite.
Sie sehen nur sich selbst
und nicht die anderen,
die sie lieb haben sollen.”
Und mit einem letzten Aufflackern
war auch dieses Licht ausgelöscht.
Da kam ein Kind in das Zimmer.
Es schaute die Kerzen an und sagte:
“Aber, aber, ihr sollt doch brennen
und nicht aus sein!”
Und fast fing es an zu weinen.
Da meldete sich auch
die vierte Kerze zu Wort:
“Hab keine Angst!
Solange ich brenne,
können wir auch die anderen
Kerzen wieder anzünden.
Ich heiße Hoffnung.”
Mit einem Streichholz
nahm das Kind Licht von dieser Kerze
und zündete die anderen Lichter wieder an.
© Oberst a. D. Hermann Dropmann (1908–2004)
Man 2015
Man nannte sie die „Blauen und die Grauen“,
sie schlugen sich tot.
Vor 150 Jahren endete der Amerikanische Bürgerkrieg.
Man nannte sie Brüder;
sie schlugen sich tot.
Der Deutsch-Französische Krieg endete vor 144 Jahren
Man nannte sie Erbfeinde;
sie schlugen sich tot.
Der Erste Weltkrieg begann vor 101 Jahren.
Man nannte es Beistand
und schlug andere tot.
Vor 79 Jahren entflammte der Spanische Bürgerkrieg.
Man nannte ihn „totaler Krieg“
und über 55 Millionen Menschen mussten dafür büßen.
Der Zweite Weltkrieg endete vor 70 Jahren.
Man nannte sich Waffenbrüder
und der große Bruder schlug den kleinen nieder.
Aufstand in Ungarn vor 59 Jahren.
Man nannte es Nachkriegszeit
und doch hören die Kriege nicht auf.
Man nennt es Krieg
und immer müssen Menschen sterben.
Man nennt es Frieden
und selbst dafür müssen Menschen sterben.
Man nennt es Hoffnung
und alle glauben daran.
Doch wer ist „man“?
Wolfgang Held (Referent Geschäftsleitung, Volksbund LV Nordrhein-Westfalen)
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht
Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten
Und sag‘ euch heute schon endgültig ab.
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,
Um zu sehen, daß ich auch zwei Söhne hab‘.
Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen,
Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,
Und die, die werden keine Waffen tragen,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,
Vor jeder Kreatur als höchsten Wert,
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben
Und wo immer es ging, lieben gelehrt.
Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,
Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht
Sind‘s wert, dafür zu töten und zu sterben,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ganz sicher nicht für euch hat ihre Mutter
Sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht.
Nicht für euch und nicht als Kanonenfutter.
Nicht für euch hab‘ ich manche Fiebernacht
Verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden,
Und kühlt‘ ein kleines glühendes Gesicht,
Bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Sie werden nicht in Reih‘ und Glied marschieren
Nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt,
Auf einem gottverlass‘nen Feld erfrieren,
Während ihr euch in weiche Kissen setzt.
Die Kinder schützen vor allen Gefahren
Ist doch meine verdammte Vaterpflicht,
Und das heißt auch, sie vor euch zu bewahren!
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Ich werde sie den Ungehorsam lehren,
Den Widerstand und die Unbeugsamkeit,
Gegen jeden Befehl aufzubegehren
Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit.
Ich werd‘ sie lehr‘n, den eig‘nen Weg zu gehen,
Vor keinem Popanz, keinem Weltgericht,
Vor keinem als sich selber g‘radzustehen,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
Und eher werde ich mit ihnen fliehen,
Als dass ihr sie zu euren Knechten macht,
Eher mit ihnen in die Fremde ziehen,
In Armut und wie Diebe in der Nacht.
Wir haben nur dies eine kurze Leben,
Ich schwör‘s und sag‘s euch g‘rade ins Gesicht,
Sie werden es für euren Wahn nicht geben,
Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
© Reinhard Mey (geb. 1942), deutscher Musiker und Liedermacher
Where have all the Flowers gone
Where have all the flowers gone,
long time passing,
where have all the flowers gone,
long time ago,
where have all the flowers gone?
Young girls picked them every one,
when will they ever learn,
when will they ever learn?
Where have all the young girls gone ...
Gone to young man everyone,
when will they ever learn,
when will they ever learn?
Where have all the young man gone ...
They are all in uniform,
when will they ever learn,
when will they ever learn?
Where have all the soldiers gone ...
Gone to graveyards everyone,
when will they ever learn,
when will they ever learn?
Where have all the graveyards gone ...
Covered with flowers everyone,
when will they ever learn,
when will they ever learn?
Where have all the flowers gone ...
Young girls picked them everyone,
when will they ever learn.
© Pete Seeger (1919–2014), amerikanischer Folk-Musiker, Liederschreiber und Friedensaktivist, verfasste dieses Lied 1955
Sag mir wo die Blumen sind
Sag mir wo die Blumen sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir wo die Blumen sind
Was ist gescheh'n?
Sag mir wo die Blumen sind?
Mädchen pflückten sie geschwind.
Wann wird man je verstehn?
Wann wird man je verstehn?
Sag mir wo die Mädchen sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir wo die Mädchen sind
Was ist gescheh'n?
Sag mir wo die Mädchen sind?
Männer nahmen sie geschwind.
Wann wird man je verstehn
Wann wird man je verstehn?
Sag mir wo die Männer sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir wo die Männer sind
Was ist gescheh'n?
Sag mir wo die Männer sind?
Zogen fort der Krieg beginnt.
Wann wird man je verstehn
Wann wird man je verstehn?
Sag wo die Soldaten sind
Wo sind sie geblieben?
Sag wo die Soldaten sind
Was ist gescheh'n?
Sag wo die Soldaten sind?
Über Gräbern weht der Wind.
Wann wird man je verstehn
Wann wird man je verstehn?
Sag mir wo die Gräber sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir wo die Gräber sind
Was ist gescheh'n?
Sag mir wo die Gräber sind?
Blumen blüh'n im Sommerwind.
Wann wird man je verstehn
Wann wird man je verstehn?
Sag mir wo die Blumen sind
Wo sind sie geblieben?
Sag mir wo die Blumen sind
Was ist gescheh'n?
Sag mir wo die Blumen sind?
Mädchen pflückten sie geschwind.
Wann wird man je verstehn
Wann wird man je verstehn
Wann wird man je verstehn?
Ach wird man je verstehn.
Die Übersetzung des Antikriegsliedes stammt von Max Colpet (1905–1998), Liedtexter deutsch-russischer Herkunft
Tausend Kreuze aufgereiht
Ein jedes breitet
seine Arme
segnend über
eine Krume Erde,
die keinen anderen
Trost empfing.
Leidvoll birgt sie
jene Ernte,
die tausend Tode
gnadenlos
gefällt,
und hütet sie
barmherzig nun
in ihrem Schoß
für alle und
für jede Zeit.
© Anneliese Pflücker (geb. 1957), deutsche Dichterin
Weil du nicht da bist
Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
all meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.
Weil du nicht da bist, ist der Bäume Blühen,
der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
der Nachtigallen Liebesmelodie
nur in Musik gesetzte Ironie.
Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.
Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirm;
den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
„Weil du nicht da bist“, flüstert es im Zimmer.
„Weil du nicht da bist“, rufen Wand
und Schränke,
verstaubte Noten über dem Klavier.
Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke,
die Dinge um mich reden nur von dir.
Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.
© Mascha Kaléko (1907–1957), deutschsprachige Dichterin
Die Letzten
Sie kamen,
und sie reichten
sich die Hände.
Sie flochten Kränze
und schmückten sie
mit bunten Bändern.
Sie tanzten,
und sie sangen
ihre heimatlichen Lieder.
Brüder waren sie
und Schwestern.
Sie waren eins
und redeten
in einer Sprache.
Ein Blitz schlug
in die frohen Feste.
Die Hände ballten sich
zu Fäusten.
Fremde blickten nun
in kalte Augen,
und Wort
verstand fortan nicht Wort.
Das Lachen starb,
verkam zum Hohn,
und Feind schlug Feind
in blindem Hasse.
Die Letzten
kamen dann
und reichten sich
die Hände.
Sie flochten Kränze,
schmückten sie
mit weißen Bändern,
und leise schworen sie
in einer Sprache.
© Anneliese Pflücker (geb. 1957), deutsche Dichterin
Gestohlener Vater
Du nahmst es mit,
das Herz, das mich lieben wollte,
die Hände, die mich schützen wollten,
die Arme, die mich umschlingen wollten,
die Augen, die mich anschauen wollten,
die Stimme, die mich rufen wollte,
die Gedanken, die mich führen wollten.
Nichts kam zurück!
Ein Opfer für das Vaterland!
Oh, Land, du hast meine Sonne
untergehen lassen.
Du hast mir meinen Vater gestohlen.
Nicht einmal ein Grab gab man ihm.
- Keine Erinnerung Immer hat mir ein Teil vom Ganzen gefehlt.
Niemand und gar nichts
konnte es mir je ersetzen.
© Annegret Kronenberg (geb. 1939), deutsche Dichterin
Pulsschlag des Lebens
Heute suchte ich etwas Bestimmtes,
dabei fiel mir die alte Armbanduhr
meines Vaters in die Hände.
Man hatte sie 1944, nach seinem
„Heldentod“, zusammen mit seinem
Ehering meiner Mutter zukommen lassen.
Das Lederarmband der alten Uhr
hart und spröde,
das Glas fast blind.
Aber diese Uhr, diese alte Armbanduhr,
hat als Einzige seinen letzten
Pulsschlag gefühlt.
© Annegret Kronenberg (geb. 1939), deutsche Dichterin
Heldentod
Wenn ich Sehnsucht sage,
meine ich ihn, meinen Vater.
Sehnsucht nach einem Menschen,
den ich kaum kenne, aber unendlich liebe.
Ob er auch diese Sehnsucht gefühlt hat?
© Annegret Kronenberg (geb. 1939), deutsche Dichterin
Nähe schenken
Da draußen, wo die Ahnen ruhen,
am Grabplatz mit dem großen Stein,
wo Immergrün und Efeu häkeln
sich über Erde und Gebein,
da sucht’ ich ihn, den treuen Vater,
vergeblich, er kam nicht mehr heim.
Gar viele lange Lebensjahre
hat Mutter ohne ihn verbracht.
Er wär so gern bei ihr geblieben,
doch hat der Krieg ihn umgebracht.
Die liebe Mutter schafft’ und sorgte,
musst’ Vater nun und Mutter sein,
und Trauer trug sie stets im Herzen,
fühlte einsam sich und oft allein.
Selbst jetzt im Tod kann sie nicht ruhen
an des geliebten Gatten Seite.
Allein im Leben, wie im Tod,
schenke DU ihr Deine Nähe heut
© Annegret Kronenberg (geb. 1939), deutsche Dichterin
Wir haben einen Neuen
Wir haben einen Neuen in der Klasse
mit roten Haaren, stell dir vor!
Na und?
Deshalb klettert er trotzdem durch dichte Hecken,
deshalb spielt er trotzdem gern im Wald Verstecken,
weiß trotzdem, was ein Wigwam ist,
weiß trotzdem einen Handstand machen,
kann trotzdem hundert andre Sachen.
Und hätt’ er Sommersprossen, wär’ er kugelrund,
hätt’ krumme Beine er, ich sagte nur: Na und?
Dass er so ist,
es ist nicht seine Schuld.
Dass du’s nicht bist,
das ist nicht deine Schuld.
Doch wenn er fremd, verlassen bleibt und ganz alleine,
dann ist’s nicht seine Schuld. Dann ist es deine.
© Gisela Schütz
Wie macht man Frieden?
Wie macht man Frieden?
„Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit.
Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Gleichheit.
Keine Gleichheit ohne Entwicklung.
Keine Entwicklung ohne Demokratie.
Keine Demokratie ohne Respekt der
Identität und der Würde der Völker.“
© Rigoberta Menchú Tum (geb. 1959), Friedensnobelpreisträgerin aus Guatemala