Welche Ökonomisierung welcher biologischen Vielfalt?

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Welche Ökonomisierung welcher biologischen Vielfalt?
Arbeitsbereich
Ethik und
Bildung
Sommerakademie Natur auf der Rechnung –
Zur politischen Ökonomie des Naturschutzes
Bundesamt für Naturschutz/Internationale
Naturschutzakademie, Vilm 18.-22. Juli 2010
Welche Ökonomisierung welcher
biologischen Vielfalt? – Konzeptionelle und
naturschutzethische Reflexionen
Thomas Potthast
[email protected]
30.07.2010
Welche Ökonomisierung welcher biologischen Vielfalt?
20.7.2010 (c) Thomas Potthast
Konzeptionelle und
naturschutzethische Reflexionen
1.
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7.
8.
30.07.2010
Was ist ein Wert? Was hat einen Preis?
Die biologische Vielfalt und ihre Werte
Moralische Grenzen der Inwertsetzung
Methodische Grenzen der Inwertsetzung
Empirische Grenzen der Inwertsetzung
Strategische Grenzen der Inwertsetzung
Politische Grenzen der Inwertsetzung
Ausblick
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20.7.2010 (c) Thomas Potthast
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1. Was ist ein Wert?
Was hat einen Preis?
•
Cecil Graham: (Sitzt auf der Rückenlehne des Sofas)
•
Lord Darlington:
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Was ist ein Zyniker?
Ein Mann, der den Preis von allem und den Wert von
nichts kennt.
…
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Was ist ein Wert? Was hat einen Preis?
Cecil Graham:
Und ein Gemütsmensch (Sentimentalist), mein lieber
Darlington, ist ein Mann, der einen absurden Wert in
allem sieht, und der von keinem einzigen Ding den
Marktpreis kennt.
Oscar Wilde: Lady Windermeres Fächer
[3. Akt, Kontext: es geht um die Liebe zwischen Mann und Frau]
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Was ist ein Wert? Was hat einen Preis?
In der Tradition von (u.a.) Immanuel Kant (1785):
•
Wert als Bedeutung/Bedeutsamkeit von etwas
•
Wert als absoluter Wert -> Würde (Kant 1785: BA78)
•
Preis: Tauschwert, letztlich monetär ausdrückbar
Der fundamentale Unterscheid:
Verrechenbarkeit und Austausch-/Ersetzbarkeit
Äpfel und Birnen vergleichen geht immer, aber nur wenn
sie einen Preis haben, sind sie im Wert gleichzusetzen
bzw. auf einer Ebene zu verrechnen
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Was ist ein Wert – philosophisch?
•
[ausgesprochen komplexe Traditionen]
Ein Wert ist keine Norm/Regel
(d.h. ohne deontischen Operator: sollst, musst, darfst nicht…)
•
•
•
•
•
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Werte ermöglichen Handlungen ohne diese zu
verlangen
Werte beeinflussen Wünsche, Interessen, Präferenzen
Werte binden Menschen
Anscheinendes Paradox (Joas 1999):
Menschen fühlen sich von Werten und an Werte
gebunden, sind aber zugleich nicht unfrei zu handeln
oder ihre Werthaltungen zu transformieren
Moralischer Wert i.e.S.: bezieht sich auf etwas in sich
Gutes bzw./oder ein höchstes moralisches Gut
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Wertbegriff in der (neoklassischen)
Ökonomik
Wertschätzung
durch
Individuen
Knappheit der
Ressource
ökonomischer Wert
eines Gutes (nicht
notwendig rein monetär)
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Menschenbild [Modellannahme]
(in) der neoklassischen Ökonomik
Homo oeconomicus
– hat eindeutige, unveränderliche Präferenzordnung
– handelt strikt rational mit dem Ziel individueller
Nutzenmaximierung
– hat vollständige Marktübersicht
Modellannahme für ökonomische Theorien
trifft auf reale Menschen nur sehr eingeschränkt zu
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Naturbegriff [Modellannahme] in der
‚neoklassischen‘(?) Ökologie
Natura oecosystemica
– hat eindeutige dynamische Gleichgewichtszustände
– funktioniert strikt nachhaltig mit dem Ziel
vollständigen Recyclings
– hat (ohne Menschen) vollständige Optimalität
Modellannahme für ökologische Theorien
trifft auf reale Natur nur sehr eingeschränkt zu
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Monetarisierung: Beispiel Blaukehlchen
Frederic Vester: Der Wert eines Vogels (1983)
– 1,5 Cent: Materialkosten
– 5 Cent/Tag: ästhetischer Genuss – monetärer Gegenwert einer
Valiumtablette
– Samenverbreitung
– Insektenvertilger
– Symbiosepartner
– Bioindikator
– Gesamtwert: 154,09€ pro Jahr
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2. „Biodiversität“ im UN-Übereinkommen
über die biologische Vielfalt (CBD 1992)
• Erhaltung der biologischen Vielfalt auf allen Ebenen
Allele->Spezies->Lebensgemeinschaften
transbiologisch [->Ökosysteme->Landschaften]
• Nachhaltige Nutzung
• Gerechter Zugang und Vorteilsausgleich
⇒ BioDiv ist und betrifft „alles“ in „jeder Hinsicht“
⇒ Naturwissenschaften lediglich sektoral zuständig
⇒ Sozioökonomik notwendig beteiligt
⇒ Geistes- und Kulturwissenschaften sollten auch…
⇒ Keine Wissenschaft hat den Primat für BioDiv
⇒ BioDiv à la CBD ist schon immer „in Wert gesetzt“!
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Ethische Dimensionen der Biodiversität
Convention on Biological Diversity und Folgeprozesse
Präambel: Instrumentelle Bedeutung und inhärenter Wert
a) Anthropozentrische Klugheitsethik („es ist klug, BioDiv
zum Zwecke menschlicher Interessen zu erhalten“)
b) Anthropozentrische moralische Verpflichtung auf
Gerechtigkeit (inkl. Bedingungen guten Lebens)
innerhalb und zwischen Generationen
c) Nicht-anthropozentrische „Eigenwerte“, nicht genau
spezifiziert (ebenso im BNatSchG 2002f.): Wert an sich
(Selbstwert) oder Wert für Menschen jenseits Nutzen
und Gerechtigkeit (Eigenwert i.e.S.)? -> moralische
Verantwortung, aber im Umfang / Detail strittig bzw.
politisch formbar
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Ethische Werte: Eine Taxonomie
(nach Eser & Potthast 1999)
a) Nutzwert = instrumenteller Wert (BioDiv als Ressource
für menschliche wirtschaftliche Zwecke)
b) Eigenwert = inhärenter Wert (BioDiv als Wert jenseits
menschlicher Nutzung, analog Kunstwerk/Erbstück,
Wert liegt in der spezifischen Beziehung)
c) Selbstwert = intrinsischer Wert (Wert an und für sich,
ganz unabhängig von Menschen)
Nur c) ist kein Gegenstand der ökonomischen
Bewertung
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Biodiversität: Neues Naturverständnis
(vgl. Potthast 2007)
„Biodiversität“ à la CBD und deren Inwertsetzung setzen
keinen prinzipiellen evaluativen Unterschied zwischen
natürlicher und anthropogener Vielfalt.
Vermeidung des falschen abstrakten Gegensatzpaars
("Mensch oder Natur") in Wissenschaft, Ethik und Politik
⇒ Erhebliche Konsequenzen für Vorstellungen in den
Wissenschaften und im Naturschutz
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Biodiversität ökonomisch
• Gene/Alle -> Eigentumstitel und Patentierung?
• Sorten/Spezies -> Eigentumstitel und Patentierung?
• Ökosysteme - > Grundeigentum, Verfügungsrechte?
Muss Biodiversität in Eigentumstitel transformiert werden
(private oder staatliche), um ernsthaft ökonomisierbar /
monetarisierbar zu werden?
Soll/darf sie?
Wollen „wir“ dies?
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
3. Moralische Grenzen:
Welche Ökonomisierung? Klärung der normativen
Vorannahmen, Menschen- und Naturbilder
Warum wird Anrecht auf Profitmaximierung
vorausgesetzt?
Würde/Selbstwert versus Preis?
• Verbot der Monetarisierung per se ??
• Würde (= Entzug jeder Abwägbarkeit) für die gesamte
Natur oder für Einzelnes !?
• Umgang mit (Un)Ersetzbarkeit !
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
„Spezialisierte Anbieter werden neu entwickelte Natur und
ökologische Leistungen kostengünstiger und in höherer
Qualität anbieten können als der einzelne Verursacher von
ökologischen Schäden. Die Aufwertung von Natur und die
Schaffung von biologischer Vielfalt würden dadurch von
einer lästigen Pflicht zu einer Einnahmequelle. Ein Markt,
auf dem ökologische Leistungen angeboten werden,
würde zur Produktion von Natur die gleichen
unternehmerischen Qualitäten freisetzen, die auch bei der
Produktion anderer Güter zu Kostensenkungen und
Qualitätssteigerungen führen.“
(Hampicke et al. 2009: Memorandum Ökonomie für den Naturschutz Wirtschaften im Einklang mit Schutz und Erhalt der biologischen
Vielfalt, S. 5)
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
Niemand berechnet die Energiekosten, die die Sonne der
Erde bzw. der Menschheit als Solar System Service liefert.
Dies ändert sich sofort, wenn Menschen Schirme in der
Atmosphäre bauen oder die Sonne sprengen könnten
-> Verfügbarkeit von Natur als Voraussetzung für
Ökonomisierung und Monetarisierung
-> Verlust der Dimension von Unverfügbarkeit
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
4. Methodische Grenzen:
Ermittlung eines „richtigen“ Geldwerts für
• Natur als Heimat
• Gefühle
• Wissen über Biodiversität
• … andere Eigenwerte?
Wer entscheidet über bzw. bei „Marktversagen“?
Wie korreliert dies mit konkreten Handlungen?
(Präferenzen, Werte vs. Handlungen)
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Grenzen der Ökonomisierung und
Monetarisierung
4. Methodische Grenzen:
Ökonomische Instrumente dann einschlägig,
• wenn Ziele fest stehen und
• wenn ein Budget fest.
Wer aber entscheidet aus welchen Gründen über Ziele
(Erhaltung des Blaukehlchens) und über das
angemessene Budget?
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
5. Empirische Grenzen:
• Machbarkeit bzw. Grenzen der Bestimmung aller
Teilsummen des Total Economic Value?
- (alle) direkten Nutzwerte
- (alle) indirekten Nutzwerte
- (alle) Optionswerte/Versicherungswerte
- (alle) Vermächtniswerte
- (alle) Existenzwert
=> Ökonomisierung und Monetarisierung stets partiell
und zweck-/interessenbezogen!
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
6. Strategische Grenzen:
• Absolute Verrechenbarkeit?
⇒ Komplette Substituierbarkeit (durch Geld) sachlich und
strategisch falsch
⇒ Option des kompletten Verzichts bei zu niedrigem/zu
hohem Preis droht immer, oder:
⇒ Zusatzannahmen: starke Nachhaltigkeit und Grenzen
der Substitution
(ethische, nicht ökologische Zusatzannahmen!)
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
7. Politische Grenzen:
• rational gut begründeter Preis der Natur bietet nicht die
Sicherheit der Erhaltung
• ökonomische Rationalität hängt nicht regelhaft mit
entsprechenden politischen rationalen Entscheidungen
zusammen
• dies gilt individuell ebenso wie gesellschaftlich
• Ist das „Proprium“ des Naturschutzes nicht genau die
Nichtmonetarisierbarkeit, anders als (vielleicht) bei der
Nachhaltigkeit?
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Grenzen der Ökonomisierung und Monetarisierung
Ausblick:
⇒ Schiefe Ebene? Wenn mit Monetarisierung begonnen
wird, enden wir ggf. letztlich bei monetärer
Eindimensionalität der Betrachtung
⇒ Kann eine „Begrenzungsregel“ für Grenzen bzw.
Selbstbeschränkung der Ökonomisierung und
Monetarisierung formulieren?
⇒ Aufgabe: von der neoklassischen Ökonomik zu einer
neuen politischen Ökonomie der Natur, Theorien
gesellschaftlicher Naturverhältnisse, aber in einer nichttotalisierenden Weise
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Literatur
BNatSchG – Bundesnaturschutzgesetz: http://www.buzer.de/gesetz/8972/a163201.htm
CBD – Convention on Biological Diversity (1992):
http://www.cbd.int/convention/convention.shtml
Eser & Potthast (1999): Naturschutzethik – Eine Einführung für die Praxis. Nomos, Baden-Baden.
Hampicke, Ulrich, et al. (2009): Memorandum Ökonomie für den Naturschutz - Wirtschaften im
Einklang mit Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt.
http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/oekonomie/MemoOekNaturschutz.pdf
Joas, Hans (1999): Die Entstehung der Werte. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
Kant, Immanuel (1785): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Philosophische Bibliothek Bd. 519,
Felix Meiner, Hamburg 1991.
Potthast, Thomas [Bearb.] (2007): Biodiversität – Schlüsselbegriff des Naturschutzes im 21.
Jahrhundert? Naturschutz und Biologische Vielfalt, Band 48. Bundesamt für Naturschutz, BonnBad Godesberg,.
Vester, Frederic (1983): Der Wert eines Vogels Kösel, München.
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