Dieter Ante: Krähwinkel – Karikaturen im Biedermeier.

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Dieter Ante: Krähwinkel – Karikaturen im Biedermeier.
Dieter Ante
Krähwinkel – Karikaturen im Biedermeier
„Kleidete ich diese Ruhestunde in einen
Komödienzettel ein, so höb’ ich freilich an:
Der Schauplaz ist in Krehwinkel, einem hübschen aber sehr kothigen und steinigten Landstädtgen in Flachsen¿ngen, woraus drei farbenstriemige Holz-Ellenbogen jeden, der sich
unter dem Thore nach Wegweisern umsieht, in
drei Weltgegenden versenden.“
So beginnt Jean Paul (Johannes Paul Friedrich Richter) 1801 in seinem „Das heimliche
Klaglied der jezigen Männer“ und hat damit
den Namen für einen Fantasie-Ort im Deutschland der Biedermeierzeit erfunden, der noch
heute bekannt ist und verwendet wird, um Zustände zu bezeichnen, die skurril und übertrieben sind, in denen Redensarten allzu wörtlich
genommen werden. Der Name Krähwinkel
wird dann durch August von Kotzebue, der es
in seinem Theaterstück „Die deutschen Kleinstädter. Lustspiel in 4 Akten“ (Erstausgabe
1803) als Handlungsort seiner Komödie wiederverwendet, in ganz Deutschland berühmt.
Die Uraufführung war 1803 in Berlin. Diese
Satire auf das Gesellschaftsleben in einer kleinen deutschen Provinzstadt gilt als das beste Werk des Dichters. Er verspottet in seiner
Komödie die obrigkeitshörigen Bürger mit ihrer Amts- und Titelsucht; so wird dem Herrn
Bau-, Berg- und Weg-Inspectors-Substitut
Sperling zum Schluss versprochen, dass er
zum Runkelrüben-Kommissions-Assessor befördert wird. Verzichten muß er aber auf die
Hochzeit mit Sabine, der Tochter des Bürgermeisters und Oberältesten Staar, denn diese
heiratet den Fremden Olmers, der erst dann
von der Familie der Braut akzeptiert wird, als
er sich als geheimer Kommissionsrath zu erkennen gibt.
Krähwinkel-Karikaturen, die 200 Jahre
alt sind, fallen ins Auge, gefallen durch ihre
Motive und ihr Kolorit. Sie zeigen eine Welt,
die weit entfernt ist von unserer Lebensweise
im 21. Jahrhundert. Das Biedermeier-Zeitalter
wird uns vor Augen geführt in seinen Trachten,
Die Auserwählte
eines Krähwinkler
Zierbengels führt
ihren Geliebten an
der Nase herum.
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Eine Krähwinkler
Dame bricht bey
der Bezahlung der
Rechnung ab.
Frisuren und Lebenssituationen, welche nach
heutigem Verständnis als beschaulich, unpolitisch und bürgerlich behäbig daher kommen.
Doch war diese Zeit eher eine Zeit des Umbruchs.
Die alte Adelsherrschaft in den 36 deutschen Groß- und Kleinstaaten konnte nach den
napoleonischen Kriegen sich nur noch mit Hilfe von Zensur und Repression an der Macht
halten und unterdrückte durch die Gesetze des
deutschen Bundes mit allen ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln, ihren Geheimdiensten und
schwarzen Listen, die aufbegehrenden Bürger.
Die Bürgerschaft fühlte sich betrogen von den
Fürsten, denn es war ihnen eine Verfassung
(die konstitutionelle Monarchie) und eine Mitwirkung an der Regierung durch eine Ständeversammlung als Belohnung für die Teilnahme
am Krieg gegen Napoleon versprochen worden. Dieses wurde jedoch in der Regel nicht
eingehalten, nur wenige Landesherrscher ließen ein Parlament (Ständeversammlung) wählen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bürger hätten sich im Zeitalter der beginnenden
Industrialisierung durch den Wegfall der Zollschranken der deutschen Staatenvielfalt sehr
schnell verbessern können. Davon war man
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um 1820 weit entfernt, Strassen-, Brücken- und
Grenzzoll waren die Regel und verschlechterten die Konkurrenzbedingungen mit den alten Nationalstaaten Europas wie England und
Frankreich, denn diese hatten keine innerstaatlichen Handelseinschränkungen.
Das Bürgertum fühlte sich durch das Aufbrechen der alten Ständegesellschaft nicht
mehr an die alten Zunftregeln und Schranken
gebunden und gewann an Selbstbewusstsein.
Es wurde eine bürgerliche Kultur mit Leihbibliotheken, Lesegesellschaften, Musikvereinen,
Bürgerwehren und Schützenvereinen begründet, die politische Mitwirkung blieb ihnen jedoch weitgehend versperrt, die leitenden Positionen in Verwaltung und Armee waren den
Adligen vorbehalten. Eine enttäuschte Opposition aus Intellektuellen, Schriftstellern und
Künstlern wurde durch die Gesetze der Bundesversammlung gereizt. Kritische politische
Schriften und Karikaturen wurden zensiert
und verboten, ein Ausweichventil waren die
Krähwinkelkarikaturen; auch diese mussten
vom Verleger der Zensur vorgelegt werden.
In dem ¿ktiven Ort Krähwinkel wurden
die Obrigkeit, das Militär, die Bürger, die
Die Bürgerwache in Krähwinkel.
Bauern, die Studenten und Künstler in Karikaturform dargestellt, während die jeweiligen
Landesfürsten und deren Behördenapparat
sich nicht direkt angegriffen fühlen mussten.
Zudem fehlte bei den meisten Krähwinkelblättern eine Angabe von Druckort oder Drucker,
auch eine Signatur des ausführenden Künstlers fehlte oft. Die Bildmotive und die dazugehörige Textzeile waren nicht auf direkte politische Kritik oder bekannte Persönlichkeiten
ausgerichtet, sondern zeigten bürgerliche Milieustudien und Szenen aus Amtsstuben, häu¿g auch aus dem Militärleben. Es wurden Redensarten als Textvorlage genommen, die ganz
wörtlich genommen dann durch die Abbildung
wiedergegeben wurden, so zum Beispiel: „Die
Bürger von Krähwinkel erwählen zu ihrem
Bürgermeister einen Mann von Gewicht“ oder
„Der Amtmann von Krähwinkel liegt in den
letzten Zügen“ (Abb. 69 und 70). Die meisten
Karikaturen sind für uns vom Kontext her sofort verständlich, nur in wenigen Fällen ist der
Sinn von Text und Bild unklar, so zum Beispiel: „Der Kleider-Ingenieur von Krähwinkel fährt mit seiner Frau auf der Wurst.“ (Abb.
68) Die Beamten und Militärs werden in der
Abbildung durch Zopf, Perücke und Kleidung
eindeutig als Anhänger der alten Ordnung gekennzeichnet und karikiert.
Diese Einblattdrucke kamen in der Regel
als sogenannte Bilderbögen im Halbbogenformat (25 x 18 cm), manchmal auch in Kleinformaten (14 x 9 cm) in den Handel. Die Motive
Wie in Krähwinkel
ein Brautpaar von der
Kanzel geworfen wird.
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wurden vom Zeichner entworfen, auf die Kupferdruckplatte übertragen, gedruckt und dann
meistens von Hand durch sogenannte Illuministen in Heimarbeit koloriert, danach vom
Verleger vertrieben und in Buchläden und
Kunsthandlungen verkauft.
wurde in Augsburg eine sehr schöne Serie von
32 nichtsignierten Karikaturen zum Thema
Krähwinkel vom Verleger Wilhelm veröffentlicht. Auch in Leipzig wurden durch Göschen
und andere Verleger Karikaturen zum Krähwinkelthema produziert.
Der bekannteste Hersteller war Friedrich Campe in Nürnberg, über dessen Produktionsstätte Archivmaterial (u.a. eine Liste der Bilderbogenproduktion im Halbformat
Nr. 1–1115 von 1805 bis etwa 1825) vorhanden ist.1 Campe war eindeutig der beste Produzent, er konnte die verschiedensten Themen
(Tagesgeschichte, Theater, Religion, Trachten,
Landschaftsdarstellungen und Karikaturen) je
nach Bedarf kurzfristig als Kupferstich in großer Stückzahl herstellen und auf den Markt
bringen. Zudem legte Campe großen Wert auf
technisch und künstlerisch gut ausgeführte
Kupferdrucke und wollte sich damit von den
in der Zeit weit verbreiteten „Steindruck-Sudeleyen“ (Lithogra¿en) abgrenzen. Bei ihm
haben die Künstler meist signiert. Andere Verleger wie von Renner aus Nürnberg haben sich
seinen erfolgreichen Serien angeschlossen,
auch von diesem sind Krähwinkeldrucke (in
Lithogra¿e) bekannt. Von Campe unabhängig
Für Campe war zunächst Georg Benedikt
Wunder (1786–1858) als Zeichner und Stecher von Bilderbogenmotiven tätig, des weiteren beschäftigte er Friedrich Fleischmann
(1791–1834), Johann Nußbiegel (1750–1834)
und P. C. Geißler (1802–1872) sowie gelegentlich noch andere Kupferstecher. Der herausragende Künstler auf diesem Gebiet war Johann
Michael Voltz aus Nördlingen (1784–1858),
der von 1824–26 für den Verleger Wilhelm in
Augsburg arbeitete. Hier gibt es vom Biografen des Künstlers Johann Michael Voltz eine
Liste der von ihm gefertigten 32 Krähwinkelblätter.2 Voltz war schon davor für Campe
(Napoleon-Karikaturen und andere Motive)
und für andere Verleger tätig. Insgesamt hat er
etwa 5000 Bilderbögen zu den verschiedensten Themen gefertigt. Im Nördlinger Stadtarchiv werden viele seiner Zeichnungen aufbewahrt.
Wie die jungen
Krähwinkler Maler auf
einer Kunstreise das
Land durchstreifen.
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resümiert: „Es wollen d'Republiken /
In Europa nicht glücken.“ Der Krähwinkler Stadtsekretär Reakzerl, erzreaktionär, aber klarsichtiger Beobachter, prognostiziert triumphierend:
„Macht nur Krawall, bringt die Verwirrung aufs höchste, dadurch steigen
die Aktien der Reaktion.“ Das Volk
singt unbekümmert: „Drum lassen wir
jetzt nimmer nach, Freiheit muß sein,
/ Wir erringen s', und sperren s' uns
auch lebenslänglich ein.“
Kunstsinn in Plundersweil.
Die Krähwinkelkarikaturen wurden etwa
bis 1830 vertrieben und gerieten danach wieder
in Vergessenheit. Es handelte sich um zeitbezogene Alltagskunst zur Belustigung der einfachen Bürger, nur wenige dieser Blätter überlebten in Sammelalben oder als Einzelblatt.
Bilderbögen galten für den Kunsthändler und
den Gra¿ksammler nicht als sammelwürdig.
Das Krähwinkelmotiv selbst wurde erneut
im Theater unter veränderten politischen Rahmenbedingungen aufgegriffen. Im Juli 1848
brachte Johann Nestroy in Wien die Posse
„Freiheit in Krähwinkel“ heraus, die die Ereignisse in Wien aus kritisch-satirischer Distanz betrachtete. Die Zensur war aufgehoben
und so konnte er frei aufspielen. Bürgerwehr
und Studenten hatten die Einberufung eines
österreichischen Reichsparlaments erzwungen. Krähwinkel liegt in der fernen Provinz.
Als die Nachrichten von dem allgemeinen
Aufstand bis nach Krähwinkel vordringen,
will es auch seine Revolution haben. Da es in
Krähwinkel weder Bürgerwehr noch Studenten gibt, verkleiden sich die Frauen und Mädchen in deren Rollen. Vor diesem Hintergrund
rechnet der von revolutionärem Feuer wie
auch von dem Feuer der Liebe beseelte Journalist Eberhard Ultra gnadenlos mit dem alten Regime ab. Doch auch die Revolutionäre kommen nicht ungeschoren davon. Ultra
Nestroy provozierte ein Vexierspiel
zwischen Ernst und Komik. Vielleicht
aus Zweifel an dem Erfolg und aus Distanz zu den radikalrepublikanischen
Forderungen? Der Erfolg war dennoch
überwältigend. Den ganzen Juli hindurch lief
das Stück en suite, und in der Sommerpause nahm es Nestroy auf seine Gastspielreisen
durch Deutschland mit. Die zeitgenössische
Kritik reagierte allerdings wegen Nestroys
unklarer Haltung ambivalent. Und noch heute stellt sich die Frage: War Nestroy Befürworter der Revolution, war er eher konservativ oder stand er vollkommen über der Politik?
Sicherlich war er als Satiriker Realist genug zu
sehen, dass es unmöglich ist, die historische
Wirklichkeit durch eine Utopie zu überspringen. Ihm ging es um Meinungsfreiheit in der
Presse und auf der Bühne:
„Recht und Freiheit sind ein paar bedeutungsvolle Worte, aber nur in der einfachen Zahl
unendlich groß, d’rum hat man sie uns immer
nur in der werthlosen vielfachen Zahl gegeben.
(…) Wir haben sogar Gedankenfreiheit g’habt,
insofern wir die Gedanken bei uns behalten haben. Es war nämlich für die Gedanken eine Art
Hundsverordnung. Man hat s’haben dürfen,
aber am Schnürl führen, wie man s’loslassen
hat, haben s’einem s’erschlagen. Mit einem
Wort, wir haben eine Menge Freiheiten gehabt,
aber von Freiheit keine Spur.“
Anmerkungen:
1 Nach Reynst, S. 56–65.
2 Nach Hagen, S. 67–69.
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