Von einem französischen Schloss – da komm` ich her

Transcrição

Von einem französischen Schloss – da komm` ich her
Abb. 1: Wie Rosen in seinen Garten fanden: Hans-Werner
Schmidt auf der Suche nach dem Namen eines „Mitbringsels“,
Teil 2
Von einem französischen Schloss – da komm‘ ich her
Von Hans-Werner Schmidt
Der kleine Ort Gressenich, am hügeligen
Nordrand der Eifel gelegen und schon den
Römern bekannt, ist Teil der Industrieund Kupferstadt Stolberg. Man schaut von
einer Anhöhe quasi auf die fruchtbare
Jülicher Börde hinunter, ist umgeben von
Wiesen und Wäldern. Wie man ihn findet?
Ganz einfach: Per Autobahn von Köln in
Richtung Aachen fahren, knapp 20 km vor
der Kaiserstadt an dem weithin sichtbaren
„Wolken“-Kraftwerk Weisweiler abbiegen,
dann 15 Minuten lang über ländliche Straßen und die Dörfer Hücheln, Heistern und
Hamich nach Süden schlängeln. Dort jedenfalls lebt das Ehepaar Ferdinand und
Bärbel Keuter in einem ehemaligen „Neubaugebiet“ und hält sich mit täglicher Gartenarbeit fit.
Im Jahre 1998 flatterte eine Einladung in
ihr Einfamilienhaus. „Meine Schwester
Gisela verliebte sich in den 60er Jahren in
einen französischen Mediziner, heiratete
ihn, lebt seither in Sarlat - das ist in Südfrankreich -, erzog ihre 7 gemeinsamen
Kinder zweisprachig und meinte nun, zur
Hochzeit meiner ältesten Nichte Anne
müsse doch auch die deutsche Seite vertreten sein“, erinnert sich Bärbel Keuter.
Und der ehemalige Tapetenspezialist
„Ferdi“ Keuter kommentiert schmunzelnd:
„Aber vergessen Sie bitte alles, was wir
Deutsche uns – abgesehen vom weißen
Kleid der strahlenden Braut mit tollem
Brautschleier – unter einem solchen Fest
vorstellen ... also mit einem schicken Blumenstrauß, mit einem repräsentativen
Gefährt und festlicher Kleidung aller Anwesenden. Die Brauteltern gehören zwar
zur akademischen Oberschicht, besitzen
viel Land im Perigord, sind als große Familie mit Tradition auch recht wohlhabend –
aber in Südfrankreich geht man lässig mit
den kleinen und großen Dingen des Lebens um. Eine Hochzeit ist hier nur ein
fröhlicher Anlass zum Feiern ... und mehr
nicht.“
Da wird ihre unangenehme Überraschung, dass in Paris bei einer Zwischenübernachtung trotz (angeblich) bewachter
Tiefgarage das Auto aufgebrochen wird
und Diebe die wertvollen Hochzeitsgeschenke mitgehen lassen, von allen Anwesenden fast achselzuckend weggelächelt.
Selbst die Keuters lassen sich vom Klima
der Freude anstecken, sind bereit zum
„Vergeben und Vergessen“, zumal die Pariser Polizei sich für solche Kleinigkeiten
nicht besonders interessiert. Nein, ab sofort soll der Urlaub im Kreis der Familie im
Vordergrund stehen.
Am nächsten Tag kocht der Brautvater in
einem großen Bottich eine rustikale Suppe
für jedermann, genießt einen Schluck vom
besten Rotwein aus dem noch warmen
Suppenteller – und alles scheint leicht und
heiter, eben wie mediterrane Lebensart.
1
Vielleicht wegen dieser Atmosphäre erhält das deutsche Ehepaar Keuter en passant eine Einladung nach Vitrac. Motto:
Der Garten dort sei sehr attraktiv, und sie
würden sich doch für alles Grün begeistern.
Abb. 2: Die Hochzeit. Collage aus dem Tagebuch
des Ehepaars Keuter
Vitrac – nicht weit im Süden; eine Gemeinde mit 878 Einwohnern, gelegen im
gleichen Département der Region Aquitanien, ca. 120 km östlich von Bordeaux. Die
Bewohner nennen sich Vitracois. Ganz in
der Nähe fließt die Dordogne; auf der
Landkarte wird die Gegend als Périgord
Noir bezeichnet.
Dort in Vitrac befindet sich ein alter
„Landsitz“, ein Gemäuer in den Farben der
Umgebung, scheinbar marode, aber von
geheimnisvoller Schönheit. Das Dach ist
mit schweren Steinen abgedeckt (statt mit
Dachziegeln). Nur ein einziger Raum in der
Mitte des Ensembles ist überhaupt beheizbar; deshalb wohnt hier ein französischer Deutschlehrer mit seiner Familie
ausschließlich im Sommer. Bärbel Keuter
rückblickend: „Sprösslinge der einen und
der anderen Familie waren damals befreundet miteinander. Das war wohl ein
zusätzliches Motiv für die Einladung.“
Gastfreundschaft – ja, aber keine
deutsch-französische Freundschaft an sich.
„Ich höre immer noch das Poltern der
deutschen Stiefel in meiner Jugend; Ihr
Land ist für mich sehr weit weg, und die
Menschen dort sind mir sehr fremd“, gesteht der Schlossherr den Gästen recht
freimütig, heißt sie aber trotzdem willkommen – denn sie interessieren sich
wirklich für den herrlich wilden Garten
und lassen sich von dessen Charme verzaubern.
Der Nachmittag ist sonnig, die Hitze des
August gut zu ertragen. Dann das Überraschende: An der warmen Bruchsteinmauer
des Hauses stehen Rosen in einer von den
Keuters bisher nicht gesehenen Üppigkeit.
Voller Bewunderung bleiben sie stehen,
riechen den unnachahmlichen Duft ... und
sind begeistert.
Der Hausherr ist darüber angenehm berührt: „Ich schenke Ihnen gern eine Erinnerung an den heutigen Tag“, sagt er, geht
hin zu seinen Rosenstöcken, bricht willkürlich einige Zweige ab, achtet zu wenig auf
seine Arme und bekommt von den stachligen Königinnen schnell die Quittung. Ferdinand Keuter: „Wir hatten ein richtig
schlechtes Gewissen, als wir die ‚Stöckchen‘ in feuchtes Zeitungspapier wickelten, wie er uns aufgetragen hatte, während er persönlich nach Pflastern für seine
blutigen Kratzer suchte.“
Abb. 3
Den Namen der Rose? Nein, wisse man
nicht; die Sträucher seien vor weit mehr
als 100 Jahren gepflanzt worden – solche
niederen Details habe man damals nirgendwo notiert, wurde den Deutschen
zum Abschied bedeutet, und der Name sei
2
doch irgendwie auch nicht so wichtig ...
oder?
Der Auftrag des Pädagogen: Man möge
die Zweige auf dem Weg nach Deutschland immer feucht halten, sie dann einfach
sehr sonnig und tief in Gartenerde setzen,
gut und regelmäßig gießen – dann würden
sie schnell Wurzeln bekommen und im
kommenden Jahr mit Sicherheit kräftig
blühen.
Ferdinand Keuter: „Es war sensationell.
Ein paar entblätterte Zweige – mehr nicht.
Und daraus sollten neue Rosen sprießen?
Aber die ersten Triebe wuchsen schon
Wochen später – und im Herbst gab es
sogar erste Blüten. Unfassbar!“ Seither
trägt sie bei ihm den euphorischen Namen
„französische Schlossrose“.
Und nun: Es reicht ein „Stöckchen im Boden“? Mehr ist gar nicht nötig?
Schon im nächsten Sommer bleiben
Wanderer vor dem Haus in Gressenich
genauso erstaunt stehen wie die Keuters
zuvor in Vitrac, bewundern die sonnendurchglühten Blüten und sind begeistert.
Nachbarn fragen nach. Allseits Freude: Der
schlanke Strauch ist nun auf 80 cm gewachsen; drei Jahre später sind es schon
1,75 m, und die Keuters zählen neben ihrer Haustür 33 Blüten! Die anderen, damals eng nebeneinander gesteckten Triebe aus Vitrac bilden im eigentlichen Garten hinter dem Haus sogar einen ansehnlichen Busch: Gemeinsam sieht’s sozusagen noch besser aus!
1999 an der Haustür in Stolberg (Abb. 5)
Abb. 4: Ferdinand Keuter - er nahm
das Geschenk aus Vitrac nach Gressenich mit.
Ein Wunder der Natur? Im Garten des
Ehepaars Keuter gab es bis dahin Tulpen
und andere Zwiebelblumen, dazu einige
Stauden („kommen im Frühjahr, blühen im
Sommer und vertrocknen im Herbst“),
eingegrenzt von immergrünem Buchs und
einer hohen Hecke. Beide wussten: Stauden kann man teilen und woanders einpflanzen. An Rosen jedoch hatten sie sich
bisher nicht herangetraut: Zu schwierig, zu
unbekannt, zu empfindlich. Und natürlich:
Man kauft sie im Gartencenter – „veredelt“ und im Kunststoff-Behälter.
2001 im sonnigen hinteren Garten (Abb.6)
Bärbel Keuter: „Wir haben uns nie dafür
interessiert, was der Wert dieser Rose in
Heller und Pfennig sein könnte. Für uns
war immer ihre ideelle Bedeutung absolut
vorrangig.“ Gemeinsam beschließen sie,
eine der Blüten mehrmals pro Tag zu foto3
grafieren, um ihr Werden und Vergehen
im Bild festzuhalten. 8 Tage lang dauert
die Aktion. Hier eine Auswahl aus der damaligen Serie:
6. Tag: Samstag (Abb. 10)
Am 6. Tag beginnt an den Rändern der Prozess des Verblühens. Vom 7.-9. Tag trocknen die Blütenblätter ein;
danach folgt eine „Selbstreinigung“, die allerdings einige
Zeit benötigt.
1. Tag: Montag (Abb. 7)
7. Tag: Sonntag (Abb. 11)
2. Tag: Dienstag (Abb. 8)
9. Tag: Dienstag (Abb. 12)
4. Tag: Donnerstag (Abb. 9)
Das alles erzählt das Ehepaar Keuter, als
eine Gruppe der Volkshochschule Eschweiler ihren Garten besucht. Wer an solchen
VHS-Exkursionen vom Typus „Geheime
Paradiese in Eschweiler und Umgebung“
teilnimmt, ist (wie immer) von persönlichen Geschichten und Erinnerungen die4
ser Art ganz besonders berührt. Der Bericht der Gastgeber bekommt sogar einen
besonderen Klang, weil nicht nur im Angesicht der betreffenden Rose erzählt, von
herumgereichten Blüten und ihrem Duft
begleitet, sondern weil „dahinter“ 10 oder
12 Töpfe mit schon „fertigen“ Stecklingen
stehen; die Keuters haben diesen Besuch
nämlich seit langem vorbereitet und verschenken ihre französische Schlossrose
nun freigiebig an alle, die daran interessiert sind.
Stöckchen in Töpfe mit Erde stecken und
beobachten, ob sie sich bewurzeln und
aus ihren Zweigen neue Blätter sprießen.
So etwas geht nicht mit allen Rosensorten
und gelingt nicht immer. Etwas Mühe
muss ja sein. Kommentar der Besucher im
Gästebuch: „Wir versprechen Ihnen hoch
und heilig, Ihre Stecklinge im Garten sorgfältig zu pflanzen, zu hegen und zu pflegen
– aber wir würden natürlich gerne wissen,
wie diese Rose heißt.“
Die Stacheln an den kräftigen Trieben (Abb. 14)
Nicht die ersten, noch kleinen Zweige der
Stecklinge, sondern die späteren „dicken“
Haupttriebe sind stachlig (= ihre Zahl für
den Vasenschnitt heutzutage aber normal
und erträglich, gemessen an historischen
Gallicas oder Zentifolien sogar sensationell
gering). Die bräunliche Färbung der Stacheln hebt sich vom sonstigen Grün der
Pflanze deutlich ab.
Toll, wenn sich die Blüten öffnen (Abb. 15)
Die Blätter – relativ gesund (Abb. 13)
So suche ich in meinem (auf 525 m Höhe
gelegenen) Garten einen freien Platz, grabe mein Geschenk ein und notiere seither
einige Merkmale der unbekannten Schönen: Die relativ großen, weichen Blätter
sind hell- bis mittelgrün, eher matt und
nicht glänzend, die Ränder gesägt. Sie sind
bis in den Monat August hinein gesund;
erst danach tritt etwas Sternrußtau auf.
Letzteres scheint für die Pflanze jedoch
unproblematisch zu sein; sie entblättert
sich zwar mehr oder weniger; der nächste
Wachstumsschub folgt aber sofort und
„überwächst“ das kranke Laub. Fungizide
sind für diese Rose unnötig – und für meinen Garten ohnehin tabu.
Rote und „knubbelige“ Knospen öffnen
sich zu leuchtenden, dicht gefüllten Blüten
in einem helleren Rosaton, zunächst hoch
becherförmig, dann flach und rund, fast an
Kamelien erinnernd. In der Mitte lugt
meistens (ganz witzig) ein gelber Pollenbeutel hervor. Die inneren Blütenblätter
(„Petalen“) sind kraus und lavendelfarbig,
die äußeren etwas blasser. Am Ende eines
langen Stiels sitzen häufig bis zu 3 Blüten,
die nacheinander aufgehen. Die 7 cm großen Köpfe präsentieren sich deutlich sichtbar, ducken sich nicht in den Blätterwald
(wie etwa bei den Portlandrosen). Ihr Gewicht drückt die schlanken Zweige manchmal etwas nach unten – erst recht bei
Dauerregen und Nässe, der die Knospen
verklebt und zu hässlichen Mumien verunstalten kann.
5
Die anfangs kugeligen Blüten vertragen in diesem
Stadium Nässe und Regen nur schlecht: Es droht der
Pilzbefall mit Botrytis (Abb. 16)
Schnuppernd stelle ich fest: Morgens
sendet der Strauch hauchzarte, liebliche
Signale, von meiner Nase kaum wahrzunehmen; mittags (bei starker Sonne und in
der Julihitze) wird’s deutlicher. Liegt der
insgesamt geringe Duft an der Eifelhöhe?
Muss man vielleicht einen vergänglichen
Blumenstrauß ins Haus stellen, weil Rosendüfte dann stärker werden? Leider bin
ich kein Rosenflüsterer: Schwer zu sagen,
ob das Aroma in Richtung „Myrrhe“ geht
oder doch eher als „schwer und süß“ zu
beschreiben ist.
Fast immer folgt nach der sommerlichen
Aktivität im Juni/Juli eine deutliche Ruhephase im August und schließlich, wenn
man Verblühtes regelmäßig entfernt, ein
zweiter Blütenschub im September/Oktober - nach meiner Beobachtung allerdings etwas schwächer. Lässt man die Blüten dann in Ruhe, bilden sich im November kugelig-rote Hagebutten: Die Rose ist
also nicht steril, sondern fruchtbar.
Hoch und schmal gewachsen - vom ganzen Habitus her und wegen des Remontierens meine ich schließlich intuitiv: Die
französische Schlossrose ist womöglich
eine Bourbone.
Denn Albas blühen nicht zweimal, Gallicas werden nicht so hoch, Zentifolien duften stärker, Portlandrosen „verstecken“
ihre Blüten, lassen sie schneller welken
und sind häufig sehr viel stachliger.
Also blättere ich in der Geschichte der
Gartenrosen: Man behauptet, Bourbonrosen seien aus der Vereinigung einer (öfterblühenden) chinesischen Rose mit einer
(schwach remontierenden) Herbst-Damaszenerrose auf der Insel Ile de Bourbon
(heute: Réunion) entstanden – daher der
Name. Die Literatur gibt dafür das Jahr
1817 an. Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie in den bürgerlichen Gärten Europas
en vogue – was aber spätere Züchtungen
aus dieser Linie keineswegs ausschließt.
Der berühmte „Zigeunerknabe“ wurde
z.B. von Peter Lambert erst 1909 in den
Handel gebracht, „Adam Messerich“ noch
im Jahr 1920. Auch „Commandant Beaurepaire“ von Moreau-Robert ist erst seit
1874 bekannt, „La Reine Victoria“ seit
1872. Trotzdem: Die meisten Bourbonen
kamen wohl in der Zeit von ca. 1835 bis
1850 auf den Markt, darunter die Klassiker
„Bourbon Queen“ (Bréon/Mauget), „Coupe d’Hébé“ und „Great Western“ (Laffay),
„Souvenir de la Malmaison“ (Beluze) sowie „Louise Odier“ (Margottin).
Mitte des 19. Jahrhunderts also: Die Anfänge der Rosenzüchtung, wie wir sie heute kennen, liegen in dieser Zeit und in
Frankreich. Die Mendelschen Gesetze zur
Vererbung – 1865 veröffentlicht und 1900
wieder entdeckt – verhalfen später zwar
zum tieferen Verständnis des gärtnerischen Tuns; doch das gezielte Zusammenbringen von Mutter- und Vatersorten startete viel früher. Man pflanzte damals europäische „alte“ Rosen neben öfterblütige,
frisch importierte Chinarosen, hoffte auf
gegenseitige Befruchtung, sammelte die
Hagebutten, säte die Nüsschen aus und
selektierte anschließend aus tausenden
von Sämlingen, was interessant erschien.
Danach wachten die Züchter natürlich
eifersüchtig darüber, dass Besucher nur ja
keine Stecklinge oder Wurzelausläufer
entwendeten – denn einen Sortenschutz
für Rosen gab es erst wesentlich später
(vergl. Hedi Grimm im Rosen-Jahrbuch
1995, S. 57 ff).
6
„Das neue Wissen wirkte wie eine Initialzündung auf die Pflanzenzüchtung“, heißt
es im Kosmos-Handbuch „Rosen“ (2004, S.
76). Immer stärker ging es um das Merkmal des Remontierens bzw. der Öfterblütigkeit. Um 1850 gab es schon 275
Bourbonen. 1870 zählte man nahezu 500
Sorten. Gleichwohl sind viele verloren gegangen: Der französische Spezialist Francois Joyaux schätzt, dass heute weltweit
nur noch 150 Sorten existieren – 20 % der
ursprünglichen Vielfalt (Enzyklopädie der
Alten Rosen, 2008, S. 191).
Ist unsere Rose also eine „Blairii 2“?
Nein, die sieht anders aus. Gegen „Réveil“
spricht deren dunkelviolette Äderung der
an sich rosa Blüten. „Madame Lauriol de
Barny“ ist zu rot, „Reine Victoria“ im Aufblühen zu kugelig. Bis zu 1,70 m hoch
wächst die „Mme Isaac Pereire“ (meine
erste Vermutung in Bezug auf die Fundrose); ihre Blüten sind ähnlich, weisen innen
aber einen etwas heftigeren Wirbel auf
(Anny Jacob et al., Alte Rosen und Wildrosen, 1990, S. 132).
So ist das bei der Suche nach dem richtigen Namen: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Den Bourbonen nah verwandt sind die
nur Jahre späteren „Hybrid Perpetuals“
(Remontanthybriden). Das sind komplexe,
heute kaum noch nachvollziehbare Verbindungen von Portlandias, Bourbonen,
Noisetterosen und zum Schluss auch Teerosen mit den fernöstlichen Genen – kreuz
und quer. In der viktorianischen Zeit warteten sie zu hunderten mit immer größeren und immer schöner geformten Blüten
auf und füllten die zur Mode gewordenen
Rosenausstellungen. Wegen ihrer mangelhaften Frosthärte und ihrer schlechten Gesundheit befriedigten sie jedoch irgendwann die Gartenliebhaber nicht mehr: Viele mussten die Privatgärten verlassen und
sind vergessen; nur die besten überlebten.
Bei der Suche nach dem Namen unserer
„Schlossherrin“ schließe ich die Remontanthybriden letztlich nicht aus. Aber
selbst wochenlanges Blättern in Fachliteratur und E-Mails an bekannte Rosenfreunde bringen nichts, was mir weiterhelfen würde. Wer also ist die unbekannte
Schöne, die in meinem Garten selbst Halbschatten toleriert und wie eine „problemlose Anfängerrose“ wirkt?
Erst eine Kiste des Ehepaars Marion und
Rainer Marxreiter aus Stolberg-Mausbach
bringt dann mehr Klarheit: Darin befinden
sich (als Weihnachtsgeschenk) seit Monaten mehrere Töpfe mit bewurzelten Stecklingen und Steckhölzern. Und in einem
dieser schwarzen „Container“ blüht nun
eine Pflanze vollkommen identisch und zur
gleichen Zeit wie unsere französische
Schlossrose – die Farbe stimmt, die Größe
der einzelnen Blüte, ihre Form; die Blätter
sind gleich; ebenso der oft nicht wahrnehmbare Duft am Morgen. Nur die Stacheln fehlen noch bei der jungen Pflanze.
Ich bin sicher: Das ist sie; auf dem handgeschriebenen Schild lese ich: „Louise Odier“.
Zeit für den Vergleich: Eine „Louise Odier“ aus einem
anderen Garten (Abb. 17)
Was für ein Zufall! Marion Marxreiter,
Vorstandsmitglied der Rosenfreunde in
der StädteRegion Aachen, kaufte diese
Rose vor Jahren bei einem Spezialisten,
pflanzte sie in ihren abwechslungsreichen
Garten, schnitt im letzten Herbst „überbordende Zweige“ ab und steckte sie einfach in einen Topf mit „Erde und Dreck“ wobei sie stets behauptet, nur im schlichten „Dreck mit Steinen und Sand“ würden
ihre Steckhölzer sofort bewurzeln. Auf
7
telefonische Nachfrage versichert sie: „Ich
bin sehr ordentlich, wie Du weißt. Da bekommt jedes Gefäß gleich seinen richtigen
Namen. Wenn ‚Louise Odier‘ draufsteht,
dann ist selbstverständlich genau diese
Rose drin.“
„Louise Odier“ stammt von dem französischen Züchter Margottin in Bourg-LaReine und ist ein Sämling von „Emile Courtier“ oder einer anderen frühen Bourbonrose. Ihr Einführungsjahr wird mit 1851
angegeben. Sie gilt als zuverlässig remontierend und als erstklassige Schnittrose.
Peter Beales (Klassische Rosen, S. 366) gibt
ihre Wuchshöhe mit 1,50 m an. Die Enzyklopädie „Rosen“, 2005 herausgegeben von
Könemann, erwähnt, dass sie seinerzeit
bei vielen französischen Züchtungen als
Elternteil (!) verwendet wurde (S. 371).
Frost erträgt sie bis in die Klimazone 4
hinein, ist also in ganz Deutschland ungefährdet.
Robert Markley schreibt, man könne sie
sogar in einen Kübel setzen (BLV-RosenEnzyklopädie, S. 65); sie mache auch als
romantische Duftrose eine gute Figur und
sei „eine der am sichersten nachblühenden Alten Rosen“ (S. 120). Im Garten möge man ihr „freien Lauf lassen“ (S. 202).
Die Royal Horticultural Society notiert,
sie könne dann bis zu 3 m hoch und 2 m
breit werden (Rosen – Die große Enzyklopädie, 2004, S. 239). Sie blühe „in immer
neuen Schüben“ und trage selbst zwischendurch noch einzelne Blüten. Nachher
würde sie ihre Blütenblätter „sauber abwerfen“.
John Scarman kommentiert: „Blüht ... in
dunklem Rosa mit einer Andeutung von
Lila ... den ganzen Sommer lang mit einem
warmen, intensiven Duft“ (Gärtnern mit
Alten Rosen, 2010, S. 77). Oder allgemeiner: „Wie bei den meisten modernen Rosen ist der Duft der Bourbon-Rosen intensiv und lieblich; er hat nicht die zitronige
Note, die für Damascena-Rosen charakteristisch ist“ (S. 76).
Im Großen und Ganzen sind auch die Beschreibungen anderer Autoren sehr ähnlich – und bis auf den immer erwähnten
Duft treffen sie auf unsere Schlossrose
durchaus zu. Um ganz sicher zu gehen,
habe ich aktuell aus meinem Nachbardorf
einen Steckling erbeten, der ebenfalls und
nachweisbar von einer „Louise Odier“
stammt (und ein tolles Erlebnis für die
Nase sein soll): Mal schauen und riechen,
wenn sie im nächsten Jahr blüht ...
Apropos: Woher der Name kommt?
Nun, Jacque Antoine Odier (1766-1853),
geboren in Genf, wanderte sehr jung nach
Frankreich aus, arbeitete dort als Bankier
und Politiker. Seine Ehefrau war seit 1795
die Hamburgerin Suzanne Boue. Aus dieser Ehe gingen 8 Kinder hervor: Einer der
Söhne wurde „Regent“ der Banque de
France, ein anderer Direktor der Sparkasse
von Paris. Louise Odier zählte offenbar zu
dieser Familie.
Ein solcher Hintergrund für die Namensgebung kommt wahrscheinlich eher hin als
die Vermutung, im Internet wiedergegeben von Rosen-Wiki und von Stefanie Bayer, es könne sich ggf. um ein Familienmitglied von James Odier handeln, einem
Baumschuler, der nebenher Rosen züchtete, in Bellevue bei Paris wohnte und vielleicht die Rechte an einem seiner Sämlinge
an Margottin verkaufte.
Denn schon immer wurden Rosen gerne
nach Orten, literarischen Figuren, nach
mächtigen Männern oder wohlhabenden
Frauen benannt: Letztere konnten helfen,
Zugang zu feudalen Parks oder großbürgerlichen Gärten zu bekommen. Zumindest im Jahr 1851, in einer Phase der Restauration nach den gerade überstandenen
Unruhen in den aufstrebenden Städten
Europas, konnte der Name „Odier“ wahrscheinlich Türen öffnen. Rosen waren in
dieser Zeit für arme Eifelbauern, für Weber oder Bergleute unerschwinglich: Als
Käufer kam sowieso nur die Oberschicht in
Frage; sie konnte sich neu entwickelte
Gartenrosen finanziell „leisten“. Erst die
8
Fähigkeit, dass kleine Stecklinge und –hölzer sich schnell bewurzeln und wieder zu
neuen Sträuchern heranwachsen, hat der
Louise Odier sicher geholfen, weitere Gärten zu erobern – und zwar massenhaft.
Die edle französische Schlossrose des
Ehepaars Keuter entpuppt sich somit als
„ordinär“ (im Sinne von „verbreitet“ oder
„allgemein bekannt“). Hat es sich nicht
trotzdem gelohnt, darüber zu lesen? Ist
die Geschichte nicht „extraordinaire“?
Wenn schon eine Bourbonrose im Garten, dann käme die „Louise Odier“ (alias
„Mme de Stella“) unbedingt in Frage. Und
wenn meine geschenkte Rose ausnahmsweise kaum duftet – na und? Pflanzen sind
nicht immer gleich; vielleicht ist die Höhenluft der Eifel schuld, vielleicht meine
älter gewordene Nase oder der steinigschiefrige, geradezu armselige Boden:
Sprechen wir doch über diese Frage(n) mal
beim nächsten Treffen unseres RosenFreundeskreises oder beim nächsten Besuch in meinem Garten!
Kurz und knapp
Dort, wo Rosen-Freundeskreise mit örtlichen
Volkshochschulen kooperieren, gewinnen beide Seiten. Am Anfang stehen dabei oft die
jährlich wiederkehrenden Wege zu den hinter
Mauern und Hecken versteckten Paradiesen
der eigenen Stadt: Hier hört man wunderbare
und sehr persönliche Geschichten, nimmt
manchmal Pflanzen als Geschenk mit, findet
Gleichgesinnte.
Per „Gartenbeirat“ unterstützen ehrenamtliche Mitglieder die örtliche VHS bei der Zusammenstellung der Exkursionen, besprechen
Monate vorher alles mit den Eigentümern und
übernehmen häufig selbst die ersten einführenden Worte: „Wir haben diesen Garten aus
unserer Liste ausgewählt, und ich sag‘ mal,
warum ...“
Das Konzept überzeugt immer: Während bei
üblichen „Offenen grünen Pforten“ das Risiko
besteht, dass mal nur wenige, bei schönem
Wetter und je nach Veröffentlichung in den
Medien aber mehrere hundert Menschen
kommen - letzteres ist häufig eine Katastrophe
für kleine Gärten -, sind bei VHS-basierten
Exkursionen von vornherein das Zeitfenster
und die Zahl der Teilnehmer/innen begrenzt.
Das Ganze ist konzentriert und kontrolliert.
Wie verabredet, bereitet die eine Gastgeberin
Kaffee und Tee vor, eine andere bietet ein
Stück selbst gebackenen Kuchen an, die dritte
stellt Mineralwasser und Früchte bereit – dafür erhalten alle eine gewisse Kostenerstattung aus dem „Topf“ der Teilnehmer-Entgelte.
Wichtig ist aber immer, die Gärtner/innen
per „Interview“ zu bewegen, die Geschichte
ihrer Lieblinge ganz individuell zu berichten.
Kooperationen zwischen den Rosen-Freundeskreisen, den Garten- und Staudengesellschaften einerseits und den Volkshochschulen andererseits sind in aller Regel fruchtbar und empfehlenswert – sei es bei Gartenführungen, sei es bei späteren Vorträgen oder
Schnittkursen: Gemeinsam geht’s besser.
Und am Beispiel der Bourbonrose „Louise
Odier“ wird ja auch deutlich, wie vielfältig man
über sie vor Ort berichten kann: Von Rosenschauen im 19. Jahrhundert, dem sich entwickelnden Blumenhandel und seinen Anforderungen, von Duft und Gesundheit bis hin zu
Fragen der Züchtung oder zu Formen der Rosenvermehrung. Da ist alles drin!
Copyright:
Urheber der Fotos Nr. 2 und 4-12 ist Ferdinand
Philipp Keuter, Stolberg.
Alle anderen Abbildungen stammen von HansWerner Schmidt, Simmerath-Strauch.
9