Von einem französischen Schloss – da komm` ich her
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Von einem französischen Schloss – da komm` ich her
Abb. 1: Wie Rosen in seinen Garten fanden: Hans-Werner Schmidt auf der Suche nach dem Namen eines „Mitbringsels“, Teil 2 Von einem französischen Schloss – da komm‘ ich her Von Hans-Werner Schmidt Der kleine Ort Gressenich, am hügeligen Nordrand der Eifel gelegen und schon den Römern bekannt, ist Teil der Industrieund Kupferstadt Stolberg. Man schaut von einer Anhöhe quasi auf die fruchtbare Jülicher Börde hinunter, ist umgeben von Wiesen und Wäldern. Wie man ihn findet? Ganz einfach: Per Autobahn von Köln in Richtung Aachen fahren, knapp 20 km vor der Kaiserstadt an dem weithin sichtbaren „Wolken“-Kraftwerk Weisweiler abbiegen, dann 15 Minuten lang über ländliche Straßen und die Dörfer Hücheln, Heistern und Hamich nach Süden schlängeln. Dort jedenfalls lebt das Ehepaar Ferdinand und Bärbel Keuter in einem ehemaligen „Neubaugebiet“ und hält sich mit täglicher Gartenarbeit fit. Im Jahre 1998 flatterte eine Einladung in ihr Einfamilienhaus. „Meine Schwester Gisela verliebte sich in den 60er Jahren in einen französischen Mediziner, heiratete ihn, lebt seither in Sarlat - das ist in Südfrankreich -, erzog ihre 7 gemeinsamen Kinder zweisprachig und meinte nun, zur Hochzeit meiner ältesten Nichte Anne müsse doch auch die deutsche Seite vertreten sein“, erinnert sich Bärbel Keuter. Und der ehemalige Tapetenspezialist „Ferdi“ Keuter kommentiert schmunzelnd: „Aber vergessen Sie bitte alles, was wir Deutsche uns – abgesehen vom weißen Kleid der strahlenden Braut mit tollem Brautschleier – unter einem solchen Fest vorstellen ... also mit einem schicken Blumenstrauß, mit einem repräsentativen Gefährt und festlicher Kleidung aller Anwesenden. Die Brauteltern gehören zwar zur akademischen Oberschicht, besitzen viel Land im Perigord, sind als große Familie mit Tradition auch recht wohlhabend – aber in Südfrankreich geht man lässig mit den kleinen und großen Dingen des Lebens um. Eine Hochzeit ist hier nur ein fröhlicher Anlass zum Feiern ... und mehr nicht.“ Da wird ihre unangenehme Überraschung, dass in Paris bei einer Zwischenübernachtung trotz (angeblich) bewachter Tiefgarage das Auto aufgebrochen wird und Diebe die wertvollen Hochzeitsgeschenke mitgehen lassen, von allen Anwesenden fast achselzuckend weggelächelt. Selbst die Keuters lassen sich vom Klima der Freude anstecken, sind bereit zum „Vergeben und Vergessen“, zumal die Pariser Polizei sich für solche Kleinigkeiten nicht besonders interessiert. Nein, ab sofort soll der Urlaub im Kreis der Familie im Vordergrund stehen. Am nächsten Tag kocht der Brautvater in einem großen Bottich eine rustikale Suppe für jedermann, genießt einen Schluck vom besten Rotwein aus dem noch warmen Suppenteller – und alles scheint leicht und heiter, eben wie mediterrane Lebensart. 1 Vielleicht wegen dieser Atmosphäre erhält das deutsche Ehepaar Keuter en passant eine Einladung nach Vitrac. Motto: Der Garten dort sei sehr attraktiv, und sie würden sich doch für alles Grün begeistern. Abb. 2: Die Hochzeit. Collage aus dem Tagebuch des Ehepaars Keuter Vitrac – nicht weit im Süden; eine Gemeinde mit 878 Einwohnern, gelegen im gleichen Département der Region Aquitanien, ca. 120 km östlich von Bordeaux. Die Bewohner nennen sich Vitracois. Ganz in der Nähe fließt die Dordogne; auf der Landkarte wird die Gegend als Périgord Noir bezeichnet. Dort in Vitrac befindet sich ein alter „Landsitz“, ein Gemäuer in den Farben der Umgebung, scheinbar marode, aber von geheimnisvoller Schönheit. Das Dach ist mit schweren Steinen abgedeckt (statt mit Dachziegeln). Nur ein einziger Raum in der Mitte des Ensembles ist überhaupt beheizbar; deshalb wohnt hier ein französischer Deutschlehrer mit seiner Familie ausschließlich im Sommer. Bärbel Keuter rückblickend: „Sprösslinge der einen und der anderen Familie waren damals befreundet miteinander. Das war wohl ein zusätzliches Motiv für die Einladung.“ Gastfreundschaft – ja, aber keine deutsch-französische Freundschaft an sich. „Ich höre immer noch das Poltern der deutschen Stiefel in meiner Jugend; Ihr Land ist für mich sehr weit weg, und die Menschen dort sind mir sehr fremd“, gesteht der Schlossherr den Gästen recht freimütig, heißt sie aber trotzdem willkommen – denn sie interessieren sich wirklich für den herrlich wilden Garten und lassen sich von dessen Charme verzaubern. Der Nachmittag ist sonnig, die Hitze des August gut zu ertragen. Dann das Überraschende: An der warmen Bruchsteinmauer des Hauses stehen Rosen in einer von den Keuters bisher nicht gesehenen Üppigkeit. Voller Bewunderung bleiben sie stehen, riechen den unnachahmlichen Duft ... und sind begeistert. Der Hausherr ist darüber angenehm berührt: „Ich schenke Ihnen gern eine Erinnerung an den heutigen Tag“, sagt er, geht hin zu seinen Rosenstöcken, bricht willkürlich einige Zweige ab, achtet zu wenig auf seine Arme und bekommt von den stachligen Königinnen schnell die Quittung. Ferdinand Keuter: „Wir hatten ein richtig schlechtes Gewissen, als wir die ‚Stöckchen‘ in feuchtes Zeitungspapier wickelten, wie er uns aufgetragen hatte, während er persönlich nach Pflastern für seine blutigen Kratzer suchte.“ Abb. 3 Den Namen der Rose? Nein, wisse man nicht; die Sträucher seien vor weit mehr als 100 Jahren gepflanzt worden – solche niederen Details habe man damals nirgendwo notiert, wurde den Deutschen zum Abschied bedeutet, und der Name sei 2 doch irgendwie auch nicht so wichtig ... oder? Der Auftrag des Pädagogen: Man möge die Zweige auf dem Weg nach Deutschland immer feucht halten, sie dann einfach sehr sonnig und tief in Gartenerde setzen, gut und regelmäßig gießen – dann würden sie schnell Wurzeln bekommen und im kommenden Jahr mit Sicherheit kräftig blühen. Ferdinand Keuter: „Es war sensationell. Ein paar entblätterte Zweige – mehr nicht. Und daraus sollten neue Rosen sprießen? Aber die ersten Triebe wuchsen schon Wochen später – und im Herbst gab es sogar erste Blüten. Unfassbar!“ Seither trägt sie bei ihm den euphorischen Namen „französische Schlossrose“. Und nun: Es reicht ein „Stöckchen im Boden“? Mehr ist gar nicht nötig? Schon im nächsten Sommer bleiben Wanderer vor dem Haus in Gressenich genauso erstaunt stehen wie die Keuters zuvor in Vitrac, bewundern die sonnendurchglühten Blüten und sind begeistert. Nachbarn fragen nach. Allseits Freude: Der schlanke Strauch ist nun auf 80 cm gewachsen; drei Jahre später sind es schon 1,75 m, und die Keuters zählen neben ihrer Haustür 33 Blüten! Die anderen, damals eng nebeneinander gesteckten Triebe aus Vitrac bilden im eigentlichen Garten hinter dem Haus sogar einen ansehnlichen Busch: Gemeinsam sieht’s sozusagen noch besser aus! 1999 an der Haustür in Stolberg (Abb. 5) Abb. 4: Ferdinand Keuter - er nahm das Geschenk aus Vitrac nach Gressenich mit. Ein Wunder der Natur? Im Garten des Ehepaars Keuter gab es bis dahin Tulpen und andere Zwiebelblumen, dazu einige Stauden („kommen im Frühjahr, blühen im Sommer und vertrocknen im Herbst“), eingegrenzt von immergrünem Buchs und einer hohen Hecke. Beide wussten: Stauden kann man teilen und woanders einpflanzen. An Rosen jedoch hatten sie sich bisher nicht herangetraut: Zu schwierig, zu unbekannt, zu empfindlich. Und natürlich: Man kauft sie im Gartencenter – „veredelt“ und im Kunststoff-Behälter. 2001 im sonnigen hinteren Garten (Abb.6) Bärbel Keuter: „Wir haben uns nie dafür interessiert, was der Wert dieser Rose in Heller und Pfennig sein könnte. Für uns war immer ihre ideelle Bedeutung absolut vorrangig.“ Gemeinsam beschließen sie, eine der Blüten mehrmals pro Tag zu foto3 grafieren, um ihr Werden und Vergehen im Bild festzuhalten. 8 Tage lang dauert die Aktion. Hier eine Auswahl aus der damaligen Serie: 6. Tag: Samstag (Abb. 10) Am 6. Tag beginnt an den Rändern der Prozess des Verblühens. Vom 7.-9. Tag trocknen die Blütenblätter ein; danach folgt eine „Selbstreinigung“, die allerdings einige Zeit benötigt. 1. Tag: Montag (Abb. 7) 7. Tag: Sonntag (Abb. 11) 2. Tag: Dienstag (Abb. 8) 9. Tag: Dienstag (Abb. 12) 4. Tag: Donnerstag (Abb. 9) Das alles erzählt das Ehepaar Keuter, als eine Gruppe der Volkshochschule Eschweiler ihren Garten besucht. Wer an solchen VHS-Exkursionen vom Typus „Geheime Paradiese in Eschweiler und Umgebung“ teilnimmt, ist (wie immer) von persönlichen Geschichten und Erinnerungen die4 ser Art ganz besonders berührt. Der Bericht der Gastgeber bekommt sogar einen besonderen Klang, weil nicht nur im Angesicht der betreffenden Rose erzählt, von herumgereichten Blüten und ihrem Duft begleitet, sondern weil „dahinter“ 10 oder 12 Töpfe mit schon „fertigen“ Stecklingen stehen; die Keuters haben diesen Besuch nämlich seit langem vorbereitet und verschenken ihre französische Schlossrose nun freigiebig an alle, die daran interessiert sind. Stöckchen in Töpfe mit Erde stecken und beobachten, ob sie sich bewurzeln und aus ihren Zweigen neue Blätter sprießen. So etwas geht nicht mit allen Rosensorten und gelingt nicht immer. Etwas Mühe muss ja sein. Kommentar der Besucher im Gästebuch: „Wir versprechen Ihnen hoch und heilig, Ihre Stecklinge im Garten sorgfältig zu pflanzen, zu hegen und zu pflegen – aber wir würden natürlich gerne wissen, wie diese Rose heißt.“ Die Stacheln an den kräftigen Trieben (Abb. 14) Nicht die ersten, noch kleinen Zweige der Stecklinge, sondern die späteren „dicken“ Haupttriebe sind stachlig (= ihre Zahl für den Vasenschnitt heutzutage aber normal und erträglich, gemessen an historischen Gallicas oder Zentifolien sogar sensationell gering). Die bräunliche Färbung der Stacheln hebt sich vom sonstigen Grün der Pflanze deutlich ab. Toll, wenn sich die Blüten öffnen (Abb. 15) Die Blätter – relativ gesund (Abb. 13) So suche ich in meinem (auf 525 m Höhe gelegenen) Garten einen freien Platz, grabe mein Geschenk ein und notiere seither einige Merkmale der unbekannten Schönen: Die relativ großen, weichen Blätter sind hell- bis mittelgrün, eher matt und nicht glänzend, die Ränder gesägt. Sie sind bis in den Monat August hinein gesund; erst danach tritt etwas Sternrußtau auf. Letzteres scheint für die Pflanze jedoch unproblematisch zu sein; sie entblättert sich zwar mehr oder weniger; der nächste Wachstumsschub folgt aber sofort und „überwächst“ das kranke Laub. Fungizide sind für diese Rose unnötig – und für meinen Garten ohnehin tabu. Rote und „knubbelige“ Knospen öffnen sich zu leuchtenden, dicht gefüllten Blüten in einem helleren Rosaton, zunächst hoch becherförmig, dann flach und rund, fast an Kamelien erinnernd. In der Mitte lugt meistens (ganz witzig) ein gelber Pollenbeutel hervor. Die inneren Blütenblätter („Petalen“) sind kraus und lavendelfarbig, die äußeren etwas blasser. Am Ende eines langen Stiels sitzen häufig bis zu 3 Blüten, die nacheinander aufgehen. Die 7 cm großen Köpfe präsentieren sich deutlich sichtbar, ducken sich nicht in den Blätterwald (wie etwa bei den Portlandrosen). Ihr Gewicht drückt die schlanken Zweige manchmal etwas nach unten – erst recht bei Dauerregen und Nässe, der die Knospen verklebt und zu hässlichen Mumien verunstalten kann. 5 Die anfangs kugeligen Blüten vertragen in diesem Stadium Nässe und Regen nur schlecht: Es droht der Pilzbefall mit Botrytis (Abb. 16) Schnuppernd stelle ich fest: Morgens sendet der Strauch hauchzarte, liebliche Signale, von meiner Nase kaum wahrzunehmen; mittags (bei starker Sonne und in der Julihitze) wird’s deutlicher. Liegt der insgesamt geringe Duft an der Eifelhöhe? Muss man vielleicht einen vergänglichen Blumenstrauß ins Haus stellen, weil Rosendüfte dann stärker werden? Leider bin ich kein Rosenflüsterer: Schwer zu sagen, ob das Aroma in Richtung „Myrrhe“ geht oder doch eher als „schwer und süß“ zu beschreiben ist. Fast immer folgt nach der sommerlichen Aktivität im Juni/Juli eine deutliche Ruhephase im August und schließlich, wenn man Verblühtes regelmäßig entfernt, ein zweiter Blütenschub im September/Oktober - nach meiner Beobachtung allerdings etwas schwächer. Lässt man die Blüten dann in Ruhe, bilden sich im November kugelig-rote Hagebutten: Die Rose ist also nicht steril, sondern fruchtbar. Hoch und schmal gewachsen - vom ganzen Habitus her und wegen des Remontierens meine ich schließlich intuitiv: Die französische Schlossrose ist womöglich eine Bourbone. Denn Albas blühen nicht zweimal, Gallicas werden nicht so hoch, Zentifolien duften stärker, Portlandrosen „verstecken“ ihre Blüten, lassen sie schneller welken und sind häufig sehr viel stachliger. Also blättere ich in der Geschichte der Gartenrosen: Man behauptet, Bourbonrosen seien aus der Vereinigung einer (öfterblühenden) chinesischen Rose mit einer (schwach remontierenden) Herbst-Damaszenerrose auf der Insel Ile de Bourbon (heute: Réunion) entstanden – daher der Name. Die Literatur gibt dafür das Jahr 1817 an. Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie in den bürgerlichen Gärten Europas en vogue – was aber spätere Züchtungen aus dieser Linie keineswegs ausschließt. Der berühmte „Zigeunerknabe“ wurde z.B. von Peter Lambert erst 1909 in den Handel gebracht, „Adam Messerich“ noch im Jahr 1920. Auch „Commandant Beaurepaire“ von Moreau-Robert ist erst seit 1874 bekannt, „La Reine Victoria“ seit 1872. Trotzdem: Die meisten Bourbonen kamen wohl in der Zeit von ca. 1835 bis 1850 auf den Markt, darunter die Klassiker „Bourbon Queen“ (Bréon/Mauget), „Coupe d’Hébé“ und „Great Western“ (Laffay), „Souvenir de la Malmaison“ (Beluze) sowie „Louise Odier“ (Margottin). Mitte des 19. Jahrhunderts also: Die Anfänge der Rosenzüchtung, wie wir sie heute kennen, liegen in dieser Zeit und in Frankreich. Die Mendelschen Gesetze zur Vererbung – 1865 veröffentlicht und 1900 wieder entdeckt – verhalfen später zwar zum tieferen Verständnis des gärtnerischen Tuns; doch das gezielte Zusammenbringen von Mutter- und Vatersorten startete viel früher. Man pflanzte damals europäische „alte“ Rosen neben öfterblütige, frisch importierte Chinarosen, hoffte auf gegenseitige Befruchtung, sammelte die Hagebutten, säte die Nüsschen aus und selektierte anschließend aus tausenden von Sämlingen, was interessant erschien. Danach wachten die Züchter natürlich eifersüchtig darüber, dass Besucher nur ja keine Stecklinge oder Wurzelausläufer entwendeten – denn einen Sortenschutz für Rosen gab es erst wesentlich später (vergl. Hedi Grimm im Rosen-Jahrbuch 1995, S. 57 ff). 6 „Das neue Wissen wirkte wie eine Initialzündung auf die Pflanzenzüchtung“, heißt es im Kosmos-Handbuch „Rosen“ (2004, S. 76). Immer stärker ging es um das Merkmal des Remontierens bzw. der Öfterblütigkeit. Um 1850 gab es schon 275 Bourbonen. 1870 zählte man nahezu 500 Sorten. Gleichwohl sind viele verloren gegangen: Der französische Spezialist Francois Joyaux schätzt, dass heute weltweit nur noch 150 Sorten existieren – 20 % der ursprünglichen Vielfalt (Enzyklopädie der Alten Rosen, 2008, S. 191). Ist unsere Rose also eine „Blairii 2“? Nein, die sieht anders aus. Gegen „Réveil“ spricht deren dunkelviolette Äderung der an sich rosa Blüten. „Madame Lauriol de Barny“ ist zu rot, „Reine Victoria“ im Aufblühen zu kugelig. Bis zu 1,70 m hoch wächst die „Mme Isaac Pereire“ (meine erste Vermutung in Bezug auf die Fundrose); ihre Blüten sind ähnlich, weisen innen aber einen etwas heftigeren Wirbel auf (Anny Jacob et al., Alte Rosen und Wildrosen, 1990, S. 132). So ist das bei der Suche nach dem richtigen Namen: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Den Bourbonen nah verwandt sind die nur Jahre späteren „Hybrid Perpetuals“ (Remontanthybriden). Das sind komplexe, heute kaum noch nachvollziehbare Verbindungen von Portlandias, Bourbonen, Noisetterosen und zum Schluss auch Teerosen mit den fernöstlichen Genen – kreuz und quer. In der viktorianischen Zeit warteten sie zu hunderten mit immer größeren und immer schöner geformten Blüten auf und füllten die zur Mode gewordenen Rosenausstellungen. Wegen ihrer mangelhaften Frosthärte und ihrer schlechten Gesundheit befriedigten sie jedoch irgendwann die Gartenliebhaber nicht mehr: Viele mussten die Privatgärten verlassen und sind vergessen; nur die besten überlebten. Bei der Suche nach dem Namen unserer „Schlossherrin“ schließe ich die Remontanthybriden letztlich nicht aus. Aber selbst wochenlanges Blättern in Fachliteratur und E-Mails an bekannte Rosenfreunde bringen nichts, was mir weiterhelfen würde. Wer also ist die unbekannte Schöne, die in meinem Garten selbst Halbschatten toleriert und wie eine „problemlose Anfängerrose“ wirkt? Erst eine Kiste des Ehepaars Marion und Rainer Marxreiter aus Stolberg-Mausbach bringt dann mehr Klarheit: Darin befinden sich (als Weihnachtsgeschenk) seit Monaten mehrere Töpfe mit bewurzelten Stecklingen und Steckhölzern. Und in einem dieser schwarzen „Container“ blüht nun eine Pflanze vollkommen identisch und zur gleichen Zeit wie unsere französische Schlossrose – die Farbe stimmt, die Größe der einzelnen Blüte, ihre Form; die Blätter sind gleich; ebenso der oft nicht wahrnehmbare Duft am Morgen. Nur die Stacheln fehlen noch bei der jungen Pflanze. Ich bin sicher: Das ist sie; auf dem handgeschriebenen Schild lese ich: „Louise Odier“. Zeit für den Vergleich: Eine „Louise Odier“ aus einem anderen Garten (Abb. 17) Was für ein Zufall! Marion Marxreiter, Vorstandsmitglied der Rosenfreunde in der StädteRegion Aachen, kaufte diese Rose vor Jahren bei einem Spezialisten, pflanzte sie in ihren abwechslungsreichen Garten, schnitt im letzten Herbst „überbordende Zweige“ ab und steckte sie einfach in einen Topf mit „Erde und Dreck“ wobei sie stets behauptet, nur im schlichten „Dreck mit Steinen und Sand“ würden ihre Steckhölzer sofort bewurzeln. Auf 7 telefonische Nachfrage versichert sie: „Ich bin sehr ordentlich, wie Du weißt. Da bekommt jedes Gefäß gleich seinen richtigen Namen. Wenn ‚Louise Odier‘ draufsteht, dann ist selbstverständlich genau diese Rose drin.“ „Louise Odier“ stammt von dem französischen Züchter Margottin in Bourg-LaReine und ist ein Sämling von „Emile Courtier“ oder einer anderen frühen Bourbonrose. Ihr Einführungsjahr wird mit 1851 angegeben. Sie gilt als zuverlässig remontierend und als erstklassige Schnittrose. Peter Beales (Klassische Rosen, S. 366) gibt ihre Wuchshöhe mit 1,50 m an. Die Enzyklopädie „Rosen“, 2005 herausgegeben von Könemann, erwähnt, dass sie seinerzeit bei vielen französischen Züchtungen als Elternteil (!) verwendet wurde (S. 371). Frost erträgt sie bis in die Klimazone 4 hinein, ist also in ganz Deutschland ungefährdet. Robert Markley schreibt, man könne sie sogar in einen Kübel setzen (BLV-RosenEnzyklopädie, S. 65); sie mache auch als romantische Duftrose eine gute Figur und sei „eine der am sichersten nachblühenden Alten Rosen“ (S. 120). Im Garten möge man ihr „freien Lauf lassen“ (S. 202). Die Royal Horticultural Society notiert, sie könne dann bis zu 3 m hoch und 2 m breit werden (Rosen – Die große Enzyklopädie, 2004, S. 239). Sie blühe „in immer neuen Schüben“ und trage selbst zwischendurch noch einzelne Blüten. Nachher würde sie ihre Blütenblätter „sauber abwerfen“. John Scarman kommentiert: „Blüht ... in dunklem Rosa mit einer Andeutung von Lila ... den ganzen Sommer lang mit einem warmen, intensiven Duft“ (Gärtnern mit Alten Rosen, 2010, S. 77). Oder allgemeiner: „Wie bei den meisten modernen Rosen ist der Duft der Bourbon-Rosen intensiv und lieblich; er hat nicht die zitronige Note, die für Damascena-Rosen charakteristisch ist“ (S. 76). Im Großen und Ganzen sind auch die Beschreibungen anderer Autoren sehr ähnlich – und bis auf den immer erwähnten Duft treffen sie auf unsere Schlossrose durchaus zu. Um ganz sicher zu gehen, habe ich aktuell aus meinem Nachbardorf einen Steckling erbeten, der ebenfalls und nachweisbar von einer „Louise Odier“ stammt (und ein tolles Erlebnis für die Nase sein soll): Mal schauen und riechen, wenn sie im nächsten Jahr blüht ... Apropos: Woher der Name kommt? Nun, Jacque Antoine Odier (1766-1853), geboren in Genf, wanderte sehr jung nach Frankreich aus, arbeitete dort als Bankier und Politiker. Seine Ehefrau war seit 1795 die Hamburgerin Suzanne Boue. Aus dieser Ehe gingen 8 Kinder hervor: Einer der Söhne wurde „Regent“ der Banque de France, ein anderer Direktor der Sparkasse von Paris. Louise Odier zählte offenbar zu dieser Familie. Ein solcher Hintergrund für die Namensgebung kommt wahrscheinlich eher hin als die Vermutung, im Internet wiedergegeben von Rosen-Wiki und von Stefanie Bayer, es könne sich ggf. um ein Familienmitglied von James Odier handeln, einem Baumschuler, der nebenher Rosen züchtete, in Bellevue bei Paris wohnte und vielleicht die Rechte an einem seiner Sämlinge an Margottin verkaufte. Denn schon immer wurden Rosen gerne nach Orten, literarischen Figuren, nach mächtigen Männern oder wohlhabenden Frauen benannt: Letztere konnten helfen, Zugang zu feudalen Parks oder großbürgerlichen Gärten zu bekommen. Zumindest im Jahr 1851, in einer Phase der Restauration nach den gerade überstandenen Unruhen in den aufstrebenden Städten Europas, konnte der Name „Odier“ wahrscheinlich Türen öffnen. Rosen waren in dieser Zeit für arme Eifelbauern, für Weber oder Bergleute unerschwinglich: Als Käufer kam sowieso nur die Oberschicht in Frage; sie konnte sich neu entwickelte Gartenrosen finanziell „leisten“. Erst die 8 Fähigkeit, dass kleine Stecklinge und –hölzer sich schnell bewurzeln und wieder zu neuen Sträuchern heranwachsen, hat der Louise Odier sicher geholfen, weitere Gärten zu erobern – und zwar massenhaft. Die edle französische Schlossrose des Ehepaars Keuter entpuppt sich somit als „ordinär“ (im Sinne von „verbreitet“ oder „allgemein bekannt“). Hat es sich nicht trotzdem gelohnt, darüber zu lesen? Ist die Geschichte nicht „extraordinaire“? Wenn schon eine Bourbonrose im Garten, dann käme die „Louise Odier“ (alias „Mme de Stella“) unbedingt in Frage. Und wenn meine geschenkte Rose ausnahmsweise kaum duftet – na und? Pflanzen sind nicht immer gleich; vielleicht ist die Höhenluft der Eifel schuld, vielleicht meine älter gewordene Nase oder der steinigschiefrige, geradezu armselige Boden: Sprechen wir doch über diese Frage(n) mal beim nächsten Treffen unseres RosenFreundeskreises oder beim nächsten Besuch in meinem Garten! Kurz und knapp Dort, wo Rosen-Freundeskreise mit örtlichen Volkshochschulen kooperieren, gewinnen beide Seiten. Am Anfang stehen dabei oft die jährlich wiederkehrenden Wege zu den hinter Mauern und Hecken versteckten Paradiesen der eigenen Stadt: Hier hört man wunderbare und sehr persönliche Geschichten, nimmt manchmal Pflanzen als Geschenk mit, findet Gleichgesinnte. Per „Gartenbeirat“ unterstützen ehrenamtliche Mitglieder die örtliche VHS bei der Zusammenstellung der Exkursionen, besprechen Monate vorher alles mit den Eigentümern und übernehmen häufig selbst die ersten einführenden Worte: „Wir haben diesen Garten aus unserer Liste ausgewählt, und ich sag‘ mal, warum ...“ Das Konzept überzeugt immer: Während bei üblichen „Offenen grünen Pforten“ das Risiko besteht, dass mal nur wenige, bei schönem Wetter und je nach Veröffentlichung in den Medien aber mehrere hundert Menschen kommen - letzteres ist häufig eine Katastrophe für kleine Gärten -, sind bei VHS-basierten Exkursionen von vornherein das Zeitfenster und die Zahl der Teilnehmer/innen begrenzt. Das Ganze ist konzentriert und kontrolliert. Wie verabredet, bereitet die eine Gastgeberin Kaffee und Tee vor, eine andere bietet ein Stück selbst gebackenen Kuchen an, die dritte stellt Mineralwasser und Früchte bereit – dafür erhalten alle eine gewisse Kostenerstattung aus dem „Topf“ der Teilnehmer-Entgelte. Wichtig ist aber immer, die Gärtner/innen per „Interview“ zu bewegen, die Geschichte ihrer Lieblinge ganz individuell zu berichten. Kooperationen zwischen den Rosen-Freundeskreisen, den Garten- und Staudengesellschaften einerseits und den Volkshochschulen andererseits sind in aller Regel fruchtbar und empfehlenswert – sei es bei Gartenführungen, sei es bei späteren Vorträgen oder Schnittkursen: Gemeinsam geht’s besser. Und am Beispiel der Bourbonrose „Louise Odier“ wird ja auch deutlich, wie vielfältig man über sie vor Ort berichten kann: Von Rosenschauen im 19. Jahrhundert, dem sich entwickelnden Blumenhandel und seinen Anforderungen, von Duft und Gesundheit bis hin zu Fragen der Züchtung oder zu Formen der Rosenvermehrung. Da ist alles drin! Copyright: Urheber der Fotos Nr. 2 und 4-12 ist Ferdinand Philipp Keuter, Stolberg. Alle anderen Abbildungen stammen von HansWerner Schmidt, Simmerath-Strauch. 9