Stefan Auer

Transcrição

Stefan Auer
JIPSS VOL.4, NR.1/2010, 106-115
Stefan Auer
Nationalsozialistische und rechtsextreme
Propaganda in Computerspielen – Ein kritischer
Überblick
Stefan Auer,
geboren 1981 in Steyr, Oberösterreich. Seit März
2004 Studium der Geschichte und Philosophie an
der Karl-Franzens-Universität Graz. Im Rahmen
der Tätigkeiten bei ACIPSS Beschäftigung mit
(Kriegs-)Propaganda im 20. Jahrhundert mit dem
Schwerpunkt Film.
Kontakt: [email protected]
Summary:
National socialist and right-wing propaganda in
computer games - a critical overview
National socialist and right-wing propaganda have found their way into the World Wide Web years ago and
so have computer games filled with racist, anti-Semitic and Nazi-glorifying elements. It is the goal of this
article to give an impression of the multiple relationships between propaganda and computer games. Therefore, after defining the complex role of this relatively new media for both the individual player as well as
for modern societies as a whole and after explaining how propaganda is spread throughout the internet and
its communities as well as showing the limits of banning it by national law, several of these products will
be described and analyzed on various levels.
The focus is set on graphical elements, the acoustic dimensions, old and new ideological contents and of
course the specific technical aspects of realization, which are important for successful computer games and
effective propaganda. After this the main insights are presented on the questions of reoccurring elements,
production settings and how effectively these games fulfill their tasks and functions of spreading ideology.
Finally a glimpse on the major new developments in this sector is given, particularly on the trends of modifications, social impacts of multiplayer gaming and historical problems that may arise when replaying and
altering the outcome of human history in virtual environments.
Einleitung
Zum Konnex von Propaganda und
Computerspielen
Nationalsozialistische Bücher, Plakate, Fotos und
Filme wurden in den letzten Jahrzehnten oft und
ausführlich unter propagandistischen Aspekten analysiert. Wie aber verhält es sich bei einem relativ
neuen und immer wichtiger werdenden Medium,
das sich vor allem an den „homo ludens“ und Ju-
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gendliche wendet?1 Ein Medium, das es erlaubt,
virtuelle Welten zu erschaffen und darin Episoden
der Geschichte unmittelbar nachzuerleben oder gar
zu verändern: An der Seite der 6. Armee Stalingrad
erobern? Als Soldat der Waffen-SS die alliierten
Truppen in der Normandie ins Meer zurücktreiben?
Als Kommandant ein Konzentrationslager leiten?
Die Drahtzieher der „jüdischen Weltverschwörung“
eliminieren und dadurch die Zukunft der „weißen
Rasse“ schützen?
Auer, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen
Der vorliegende Text beschäftigt sich mit den
konkreten spielbaren Manifestationen der Verbindungen, die nationalsozialistische beziehungsweise
rechtsextreme Propaganda und Computerspiele2
eingehen. Zu Beginn wird ein thematischer Rahmen
gesetzt, der die gesellschaftliche Bedeutung von
Computerspielen, Versuche ihrer Reglementierung
sowie die Verbreitungsmöglichkeiten über das Internet umfasst. Im Zentrum des Artikels stehen ein
historischer Überblick und die kritische Analyse
mehrerer Spiele, die jenes Gedankengut beinhalten
und propagandistisch zu transportieren versuchen.
Dies geschieht auf einer technischen Ebene (Grafiken, Töne, Spielbarkeit), einer inhaltlichen Ebene
(Spieleraufgaben und -ziele) und einer Wirkungsebene (Was leisten sie? Wen sprechen sie an?). Ein
Ausblick auf neue Entwicklungen innerhalb des
Sektors beschließt den Beitrag.
Computerspiele als Medium und
Kulturgut3
Die gesellschaftliche Bedeutung von Computerspielen
nahm innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte rapide
zu. Von der belächelten oder kopfschüttelnd zur
Kenntnis genommenen Freizeitbeschäftigung einiger
„Computernerds“4 entwickelten sie sich zu einem Teil
der Alltagskultur vieler Menschen. Die Gruppe der
so genannten „Digital Natives“, also jener Personen,
die mit den neuen Medien sozialisiert wurden, wächst
beständig und längst gehören auch viele Erwachsene
der Spielergemeinschaft an, wodurch die relative
Anzahl der „Digital Immigrants“, also von „weniger
medien-affinen“ Personen, kontinuierlich sinkt.5
Während in der angloamerikanischen Welt, vor
allem in den USA, die Akzeptanz von Computerspielen als einflussreiches Kulturgut bereits weit
vorangeschritten ist und manche Vertreter des Genres
sogar offiziell als wertvolles Kulturgut gelten6, trifft
diese Feststellung nur begrenzt auf den deutschsprachigen Raum zu, wo solche Spiele oftmals als
triviale Produkte der Massen- oder Populärkultur
oder gar verpönt als Schund in Form menschenverachtender „Killerspiele“ klar abgegrenzt werden
von der wesentlich höheres Ansehen genießenden
Hochkultur.7 Hierbei wird aber der fortschreitenden
internen Diversifikation und den enormen technischen
Entwicklungen dieses Mediums nicht ausreichend
Beachtung geschenkt. Auf den ersten Blick scheinen
Computerspiele also nur mehr oder weniger komplexe
Unterhaltungsmedien und kulturelle Randphänomene
zu sein. Es gilt jedoch, sie umfassender als Produkte
sozialer Realitäten und technischer Möglichkeiten
(„kulturelle Medienprodukte“) zu verstehen, die gesellschaftliche Prägekräfte entwickeln können.8 Als
„Kulturtechnik“ schließlich nehmen sie eine immer
wichtigere Rolle bei der Entwicklung von Kindern
und Jugendlichen ein.9
Unbestreitbar sind zudem die weltweit wachsende Zahl von Spielern (vor allem der Zuwachs an
Gelegenheitsspielern ist enorm), die steil steigenden
Umsatzzahlen (2009: Videospiele 77 Milliarden
US-Dollar10, Computerspiele 13,1 Milliarden USDollar11), die zunehmende Bedeutung als etablierte
Form der Freizeitgestaltung und die neuen Möglichkeiten zwischenmenschlicher Interaktion innerhalb der Spiele sowie in den sich rund um sie
entwickelnden „Communities“ (immer mehr lassen
sich gemeinsam online mit- oder gegeneinander
spielen). Zentral für das psychologische Verständnis
der Thematik ist das Faktum, dass durch das Spielen
virtuelle Welten erschlossen werden, in denen man
mehr Handlungsalternativen, Macht oder Kontrolle
besitzt als im realen Leben. Diese neuen Freiheiten
sind ein starker Anreiz für jugendliche Konsumenten.
Auch die sich daraus ergebende Tatsache, dass sich
in Spielen leichter bzw. schneller Erfolgserlebnisse
einstellen, trägt ihren Teil zur Faszination bei. „Das
zentrale motivationale Element des Computerspiels
ist der Wunsch der Spieler, Erfolg zu haben. Der
Spielerfolg ist unmittelbar gekoppelt mit der Kontrolle des Spiels. Die allen Spielen gemeinsame
Leistungsanforderung besteht darin, das Spiel zu
kontrollieren.“12 Ebenso können aber im virtuellen
Raum gesellschaftliche Tabus übertreten werden, was
einen weiteren möglichen Reiz darstellt und für die
behandelte Thematik von Bedeutung ist.13
Zensuren, Verbote und
ihre Grenzen
Computerspiele gliedern sich in verschiedene Genres,
zum Beispiel Sportspiele, Rätsel- und Denkspiele,
Simulationen oder auch Strategie- und Actionspiele.
In den letzten beiden Gruppen findet sich die relativ
höchste Zahl jener Produkte, die Gewaltelemente
im weitesten Sinn beinhalten. Deshalb sollten diese
erst ab einer bestimmten, an ein Mindestalter gekoppelten Entwicklungsstufe gespielt werden. Für
fast jedes Land in Europa testet die Pan European
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AUER, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen
Game Information (PEGI)14 Spiele und versieht sie
mit Hinweisen und Warnungen vor potentiell gefährlichen Inhalten (Sex, Gewalt, Drogen, Sprache).
Deutschland hat im Gegensatz zu Österreich dieses
Bewertungssystem bis heute nicht übernommen.15
Stattdessen teilen sich dort die Unterhaltungssoftware
Selbstkontrolle (USK)16, eine von der Industrie eingerichtete Stelle, und die staatliche Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Medien (BPjM)17 die Aufgabe,
Spiele zu evaluieren, was nicht immer kritik- oder
konfliktfrei verläuft.18 „Eine Indizierung durch die
BPjM und eine Alterskennzeichnung durch die USK
schließen sich dabei gegenseitig aus. So können
einmal altersgekennzeichnete Spiele nicht mehr
indiziert werden und bereits indizierte Spiele keine
Alterskennzeichnung mehr erhalten.“19 Die Indizierung führt zu einem Verbot öffentlicher Bewerbung
und einer Verkaufsbeschränkung auf nicht für Kinder
und Jugendliche zugängliche Orte.20
Bei besonders schwer wiegenden Fällen von
Verhetzung oder Gewaltdarstellung findet das Strafgesetzbuch Anwendung und das Produkt kann beschlagnahmt werden (in Deutschland vor allem nach
§§ 86a,130, 131 StGB21). Aufgrund der historisch gewachsenen spezifischen Gesetzeslagen in Deutschland
und Österreich zum Thema Nationalsozialismus (vgl.
in Österreich das Verbotsgesetz von 194722) handeln
viele Hersteller aus kommerziellen Eigeninteressen
präventiv und modifizieren für den deutschsprachigen Raum ihre Produkte noch zusätzlich, um eine
Indizierung oder gar Beschlagnahme zu vermeiden.
Dies geschieht meistens durch die Entfernung grafischer Elemente (Symbole des Nationalsozialismus
auf Flaggen, Fahrzeugen und Uniformen) oder die
Abwandlung der Handlung (z.B. werden menschliche
Gegner durch Roboter ersetzt, historische Persönlichkeiten verschwinden als Protagonisten oder erhalten
verfremdete Namen), um allzu direkte Referenzen auf
das „Dritte Reich“ und seine Symbole zu vermeiden.
Im Zeitalter globaler Vernetzung erweisen sich diese
gesetzlichen Maßnahmen allerdings nur mehr als
begrenzt wirksam. So kann der Kauf des physischen
Produktes mit Hilfe Volljähriger getätigt, unzensierte Versionen im benachbarten Ausland erstanden,
eine Bestellung über ausländische Versandfirmen
vorgenommen23 oder durch das Herunterladen von
unzensierten „Raubkopien“ der Weg des illegalen
Erwerbs gewählt werden.
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Verbreitung rechtsextremer
Propaganda im Internet24
Auch rechtsradikale und neonazistische Gruppen
machen sich diese unterschiedlichen Gesetzeslagen
und die Grenzen des nationalen Rechts zunutze,
indem sie verstärkt die internationalen Möglichkeiten des Internets erschließen, um untereinander zu
kommunizieren, sich zu organisieren und neue Zielgruppen für die eigene Propaganda anzusprechen.25
„Die Internet-Sektionen der Nazis entsprechen dem
‚Stürmer‘ des 21. Jahrhunderts. […] Der Cyberspace
ist in den Händen der Rechtsextremisten heute zu
einem der effektivsten und vielseitigsten Medien
avanciert […].“26 Die meisten Seiten befinden sich auf
Servern in den USA, wo die bestehende Gesetzeslage
(vgl. Erster Zusatzartikel zur Verfassung der USA)
die Verbreitung der im deutschsprachigen Raum
strikt verbotenen Propagandaprodukte zulässt. Dies
führt dazu, dass dort am meisten produziert und in
Deutschland und Österreich hauptsächlich konsumiert
wird.27 Die „Angebote auf rechtsextremistischen
Homepages haben sich in den vergangenen Jahren
stark verändert. Viele Seiten sind inzwischen mit
erheblichem Sachverstand erstellt und ihre Betreiber
haben die neusten technischen Möglichkeiten sehr
bald in die Internet-Präsenzen integriert“.28
Es gibt immer mehr Werbeseiten, Blogs, Foren,
Chats, Shops und Multimediaarchive, die Manifestationenihrer Ideologie global verfügbar machen.
Die beiden letzten Kategorien umfassen neben Musikstücken und Videos auch eigens programmierte
Computerspiele mit nationalsozialistischen oder
rechtsextremen Inhalten. Neben der Möglichkeit,
Spiele auf einschlägigen Plattformen gratis herunterzuladen oder käuflich zu erwerben, finden sich diese
vermehrt auch in anderen Bereichen des Internets.
Hierbei handelt es sich vor allem um private Server,
Foren und Tauschbörsen. Wegen der multiplen Verteilungskanäle ist es nicht möglich, umfassende und
verlässliche Zahlen zu ihrer Verbreitung zu eruieren.
Exemplarisch lässt sich aber festhalten, dass ein
bekanntes Spiel (Ethnic Cleansing) innerhalb der
ersten Monate nach seinem Erscheinen im Januar
2002 laut Angaben des Vertreibers mehrere tausend
Mal verkauft wurde und im Januar 2002 gab es rund
12.000 kostenlose Downloads von Spielen, die auf
dem Portal der NSDAP/AO im Internet angeboten
werden.29
JIPSS VOL.4, NR.1/2010
Spiele, so die Hoffnung der ideologischen Vordenker, eignen sich aufgrund ihrer Natur (siehe
oben) besonders gut, um die Jugend anzusprechen
und für Botschaften empfänglicher zu machen. Dies
haben auch führende Vertreter rechtsextremer oder
nationalsozialistischer Gruppen in den USA erkannt:
„The younger the better. [...] We mean to utilize whatever means we can to achieve our goals and bring
new faces to our church“30 meint Matthew F. Hale,
ehemaliger Hohepriester der „World Church of the
Creator“, einer rassistischen Vereinigung, die an die
Überlegenheit der weißen Rasse glaubt.31 „Basically
they‘re free advertising for us […] Young people
get these games because they‘re entertaining and
they‘re not supposed to have them. They get them
and spread them all over the place“, stellt Gary Rex
Lauck fest.32 Er ist Gründer der NSDAP/AO (NSDAP
Aufbau- und Auslandsorganisation), einer in den USA
residierenden, weltweit agierenden, neonazistischen
Propagandaplattform.
Im Folgenden wird anhand mehrerer Computerspiele untersucht, wie sich nationalsozialistische und
rechtsextreme Propaganda konkret manifestiert.33
Aufgrund der rasanten und zahlreichen Entwicklungen
der jüngsten Vergangenheit werden in diesem Artikel
nur solche Spiele untersucht, die von dezidiert rechtsextremen Personen oder Gruppen programmiert und
in Umlauf gebracht wurden. Es handelt sich also um
eine Erfassung von Spielen der letzten Jahrzehnte.
Die Gruppe der Modifizierungen von aktuellen Produkten der Spieleindustrie inklusive ihrer sozialen
wie auch geschichtsdidaktischen und -theoretischen
Implikationen bedarf einer gesonderten Untersuchung
(siehe dazu den letzten Abschnitt).
Reichs! Heil, Fuehrer, Dir! [...]“. Anschließend erscheint ein Text zu den Aufgaben und Zielen. Der
Titel unterstützt einen Mehrspielermodus, der es bis
zu fünf Personen ermöglicht, an einem Rechner zu
spielen, und ist im Grunde eine sehr simple, rein textbasierte Staatssimulation des Deutschen Reiches, das
sich auf militärischem Expansionskurs befindet. Man
schlüpft in die Rolle des „Führers“ und muss Steuern
eintreiben, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen
(Wehrmacht, SS, Bürger, Händler etc.) bei Laune
halten, Waffen produzieren, Konzentrationslager
bauen und schließlich Kriege gegen Nachbarländer
führen. Durch Justierungen an diversen Reglern bestimmt man, wie hart die Zwangsarbeiter angetrieben
werden, ob die SS Judenverfolgungen, deren Opfer
anschließend in die Gaskammern gebracht werden,
durchführen soll und wie hoch die Steuerbelastungen
ausfallen. Zufallsereignisse wie jüdische Überfälle
auf die eigenen Steuereintreiber komplettieren das
massiv antisemitische Spiel.
KZ Manager Millenium Hamburg
Edition (German Elite, 2000)
Auch dieses Spiel stammt ursprünglich aus den
späten 1980er Jahren. Es wurde 1989 indiziert und
1990 beschlagnahmt. Jedoch erschien es immer
wieder aktualisiert oder inhaltlich modifiziert für
neue Plattformen.34 In der vorliegenden Version sind
Juden durch Türken und das Konzentrationslager
Auschwitz durch die Stadt Hamburg ersetzt.
Nationalsozialistische
Propagandaspiele
Hitler-Diktator (198?)
Eigentlich wurde dieses Spiel für den Commodore 64
Heimcomputer programmiert, erhielt jedoch durch
Konvertierungen für andere Plattformen (Amiga,
PC) weitere Versionen. Es kann als ein „Urvater“
rechtsextremer Propagandaspiele angesehen werden
und fand zu Beginn vor allem durch den (heimlichen)
Tausch oder Verkauf auf Disketten weitere Verbreitung. Begrüßt wird man mit einer tontechnisch sehr
rudimentären Version der deutschen Nationalhymne,
zu der ein Liedtext am Bildschirm eingeblendet wird:
„Heil Dir im Hakenkreuz, Herrscher des Deutschen
Den grafischen Hintergrund dieser in Echtzeit ablaufenden Staatssimulation bildet eine trostlose
Landschaft mit der dunklen Silhouette eines Gefängnisses, auf dem die Hakenkreuzfahne weht. Ebenso
ist ein riesiger rauchender Schornstein abgebildet.
Im Vordergrund befindet sich ein Wegweiser („Hamburg 4km“) und in der Mitte der Spieloberfläche ein
„White Power World Wide“ Emblem. Menschenverachtendes Spielziel ist es, Hamburg „von der
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AUER, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen
Türkenpest zu erlösen. Dazu müssen sie das Blut
von 30.000 Türken fließen lassen. Achten sie auch
penibel darauf, das [sic!] der Müllberg der dadurch
zustande kommt nicht zu groß wird! Und halten sie
das Volk bei laune [sic!] und vergasen sie regelmäßig
Türken in ihren Lagern.“35 Hierzu muss der Spieler Gas und Türken kaufen, die immer wieder als
Parasiten bezeichnet werden, anschließend Türken
jagen, sie in Arbeitslager stecken, wo sie vergast
werden oder an Erschöpfung sterben. Nebenbei gilt
es, Steuern einzutreiben, das Lager zu verwalten
und immer auf den Statusbalken zu achten, der die
„Stimmung des Volkes“ anzeigt, die nicht auf 0%
sinken darf. Sollte dies dennoch eintreten, hat man
versagt und erhält folgenden Vorwurf: „Das Volk
hat die [sic!] als Bürgermeister abgewählt! Du hast
es nicht geschafft: Die Hansestadt Hamburg vor der
Türkenpest zu retten!! DU BIST EINE SCHANDE
FÜR DEUTSCHLAND!“
KZ Rattenjagd (NSDAP/AO, 2000)
Ein primär antisemitisches Spiel, in dem man als Aufseher in einem Konzentrationslager Jagd auf „jüdische
Ratten“ macht, die sich vor einem Davidstern und
Zyklon B Kanistern über den Bildschirm bewegen.36
Als Titelbild findet sich eine Computergrafik vom
Eingang des KZ Auschwitz mit Hakenkreuz und
dem Schriftzug „Arbeit macht frei!“
Nazi Moorhuhnjagd (NSDAP/AO, 2000)
Auch vom bekannten Spielklassiker „Moorhuhnjagd“37
aus dem Jahr 1999 existiert eine antisemitische Hetzversion. Der Hersteller Phenomedia aus Deutschland
reagierte allerdings schnell auf diese unerlaubte
Veränderung und erreichte die Entfernung von verschiedenen Downloadplattformen und der NSDAP/
AO Webpage.38 Akustisch wird man von einer Originalaufnahme Rudolf Hess‘ begrüßt: „Adolf Hitler,
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Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil!“ und es ertönt das
Horst-Wessel-Lied. Spielprinzip und -ziel, in einer
vorgegebenen Zeit möglichst viele über den Bildschirm flatternde Moorhühner zu erschießen, blieben
gegenüber dem Original unverändert. Jedoch erhielten
die Moorhühner Schläfenlocken und ein Käppchen
aufgesetzt. Zusätzlich ist auf der Brust des am Titel- und Endbildschirm abgebildeten Moorhuhns ein
großer gelber „Judenstern“ sichtbar. Weiters kam es zu
zahlreichen grafischen Veränderungen innerhalb des
Spieles: Flugzeuge ziehen NSDAP/AO Werbebanner
hinter sich her, Heißluftballone mit großen Hakenkreuzen schweben im Hintergrund, ein Wegweiser,
auf dessen Spitze der Reichsadler thront, weist den
Weg nach Dachau, Auschwitz und Buchenwald. Ein
Filmplakat zu „Der ewige Jude“ sowie ein Propagandaplakat mit Hakenkreuzen, einem Wehrmachtssoldaten und dem Text „Der Sieg wird unser sein!“
finden sich an Bäumen. Die Highscoreliste ist mit
den Nationalsozialismus verherrlichenden Grafiken
hinterlegt und beim Beenden des Spieles erscheint
eine Werbeeinschaltung der NSDAP/AO.
SA Mann (NSDAP/AO, um 2000/2001)
Eine einfache, neonazistische Version des Spielklassikers „Pac-Man“ mit folgendem, eindeutigem Ziel:
„As the SA Mann, you must distribute propaganda
leaflets to every house in your neighborhood. From
time to time, Jews will leave their ghetto and try
to interfere with your work.“39 Das Titelbild zeigt
das Portrait eines SA-Manns, das stark an das Originalfilmplakat von „S.A.-Mann Brand“ aus dem
Jahr 1933 erinnert. Die Spielfigur marschiert in
ihrer Mission, akustisch begleitet durch Geräusche
marschierender Stiefel durch die Straßen und hinterlässt Hakenkreuzsymbole auf ihrem Weg. Beim
Aufnehmen von so genannten „Power-ups“ ertönt
drei Mal ein „Sieg Heil!“ und man kann die Juden,
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die rassistisch karikiert mit übergroßen Nasen und
Hörnern dargestellt werden, nun selbst jagen. Erwischt
man sie, folgt die Ausgabe von Schussgeräuschen
und Todesschreien.
Kill ‘em all!
(Mickey, um 2001/2002)
Ein Titel, der von einem ungarischen Skinhead programmiert wurde. Das Spiel ist so simpel wie seine
Hassbotschaft direkt ist: „The object of the game is
simple: destroy the ugly faces before they disapear
[sic!] from the screen, or you lose a life.“40 Vor dem
Hintergrund einer Aufnahme des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg bewegen sich Portraits der
Köpfe von Lenin, Stalin, Ariel Scharon, Che Guevara,
Martin Luther King und Malcolm X. Diese gilt es
mittels Klick zu treffen. Musikalisch begleitet dabei
das Horst-Wessel-Lied den Spieler.
Germania (Skinhat Software, um 2009)41
Ein Sonderfall ist das Onlinerollenspiel „Germania“,
das den Spieler in die neue „Reichshauptstadt Germania“ vor dem historischen Hintergrund eines von
Nazi-Deutschland gewonnenen Zweiten Weltkrieges
transportiert. Es scheint sich in einer noch sehr frühen
Entwicklungsphase zu befinden und gleicht derzeit
eher einer virtuellen Huldigung der Gigantomanie von
Albert Speers und Adolf Hitlers geplanten Gebäuden.
So kann man die Volkshalle, den Triumphbogen und
weitere bereits implementierte Stätten besichtigen.42
Auf einem Werbebildschirmfoto ist zudem eine
Menschenmasse zu sehen ist, die die rechte Hand
kollektiv zum Hitlergruß erhoben hat.43
Holocaust(er) Tycoon44
Auch im Bereich der Propagandaspiele gibt es so
genannte „Urban Legends“, also Spiele, die niemals
existiert haben. Ein Beispiel dafür ist „Holocaust
Tycoon“, von dem lange Zeit ein Screenshot durch
Internetforen geisterte, der darauf schließen ließ,
dass man hier ein Konzentrationslager zu bauen und
zu führen habe.45
Ethnic Cleansing
(Resistance Records, 2002)46
Resistance Records, ein Label für rechtsextreme
Musik, das sich im Besitz der „National Alliance“
befindet, einer „White Power/White Supremacy“
Organisation in den USA, brachte zynischerweise
am Martin Luther King Day 2002 den First Person Shooter (FPS)47 „Ethnic Cleansing“ auf den
Markt. Dieses ist im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Produkten ein Kaufspiel, das mit Hilfe
eines frei verfügbaren Programms zur Erschaffung
virtueller Welten konzipiert wurde.48 Bereits nach
Erscheinen des Herstellerlogos, das vor einem SSTotenkopfemblem abgebildet wird, ist im Titel die
Kernbotschaft zu lesen: „The race war has begun“.
Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Ku-Klux-KlanMitglieds in weißer Robe oder eines Skinheads mit
Hakenkreuz auf seiner Jacke. Ziel ist es, sich durch
New York zu kämpfen, das sich aufgrund jüdischer
Verschwörungen zur Vernichtung der weißen Rasse in ein Ghetto für „sub-humans“ entwickelt hat.
Im ersten Level mit dem Titel „Operation Ghetto
Storm“ begegnet man feindlich gesinnten Farbigen
und Mexikanern. Klischees und rassistische Stereotypen reichen hierbei von Ponchos und Sombreros
über T-Shirts mit abgebildeten Marihuanapflanzen
bis hin zu böswillig überzeichneten Gesichtszügen.
An den Wänden finden sich immer wieder Logos
der „National Alliance“, alte nationalsozialistische
Plakate wie jenes zum Film „Der ewige Jude“ (1940),
antisemitische Karikaturen und Warnungen vor einer
rassischen Durchmischung („MISSING A FUTURE
FOR WHITE CHILDREN“).
In der Zwischensequenz wird der Spieler darauf
aufmerksam gemacht, dass die parasitenhaften Juden
einen Rassenkrieg gegen die Weißen führen und ihr
Schattenimperium die größte Gefahr darstellt. Ebenso
wird an die eigene Entschlossenheit appelliert: „No
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Auer, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen
jew can stop a determined aryan man“. Im zweiten
Level („Lair of the Beast“) betritt man das U-Bahnsystem der Stadt, über dessen Eingang ein Plakat mit
einem Davidstern im „Big Apple“ Symbol prangt. Es
gilt, die jüdische Weltverschwörung zur Vernichtung
der weißen Rasse endgültig zu beenden. Als Gegner
erscheinen Juden in traditionellen Gebetsmänteln,
mit Käppchen, Schläfenlocken und einem gelben
„Judenstern“ auf der linken Brust. Um das Spiel
erfolgreich zu beenden, muss man den Anführer, dargestellt von Ariel Scharon, ausschalten. Auf dem Weg
zu ihm finden sich Propagandatexte wie „Diversity,
It‘s Good for Jews“ oder Pläne, die das Fortschreiten
des globalen jüdischen Einflusses deutlich machen
sollen. Großes Augenmerk wurde auf die akustische
Dimension gerichtet. Als Hintergrundmusik wechseln
sich verschiedene Rechtsrocklieder mit Hetztexten
ab, beim Starten des Spiels ertönt der Satz „White
revolution is the only solution“ und beim Töten geben
die Opfer Sätze wie „I‘ll take a siesta now“, „Filthy
white dog, you have destroyed thousands of years
of planning“, „We have destroyed your culture“,
„We‘ve silenced Henry Ford“ oder gar Affenschreie
bei Farbigen von sich, wobei in den Credits zu lesen
ist: „Negro Voices: Recorded Live On Location With
Real Negros“ und „No Subhumans Were Harmed
During the Making of This Video Game.“
ZOG‘s Nightmare I: The National
Socialist Movement (Swastika Arts
Software Team, 2001)49
Dies ist ebenfalls ein kommerzielles Produkt, dessen
offizielle Webpräsenz mittlerweile geschlossen wurde. Von der Machart her Ethnic Cleansing ähnlich,
ist es allerdings umfangreicher und professioneller
gestaltet. Der Startbildschirm hat ein Ölgemälde von
Adolf Hitler zum Hintergrund und erklärt die sehr
rudimentären Kontrollen der Spielfigur. ZOG steht
für „Zionist Occupied Government“ und beginnt mit
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einem zionistischen Angriff auf das Hauptquartier
des „National Socialist Movement“ (NSM), einer
real existierenden, neonazistischen Organisation in
den USA. Auch bei diesem FPS gilt es, bewaffnet
gegen „jüdische Terroristen“ und deren farbige
Handlanger vorzugehen, wobei erstere in schwarzen
Kampfanzügen mit gelbem Judenstern auf der Brust
und letztere mit den Buchstaben „NIG“ auf der Stirn
gekennzeichnet sind. An den Böden und Wänden
der Level befinden sich fast durchgehend Hakenkreuze, Davidsterne, israelische Flaggen oder NSPropagandaplakate aus den 1920er bis 1940er Jahren.
Die Soundeffekte sind professioneller, vor allem bei
den Waffengeräuschen; aggressiver Rechtsrock läuft
als Endlosschleife und vermittelt wiederkehrende
ideologische Botschaften wie „Terrorstate Israel“
oder „One nation, one race, one fate“.
ZOG‘s Nightmare II:
The War Continues (Swastika Arts
Software Team, 2007)50
Eine Fortsetzung des Spiels erschien 2007 und bewirbt
sich selbst mit dem Slogan „The Most Politically
Incorrect Videogame Ever Made!“ Die sehr hohe
Intensität an Hasspropaganda gegen verschiedene
Gruppen lässt sich bereits klar anhand weiterer
Auszüge erkennen: „[...] you are being hunted by a
Police agency that has been taken over by jews. [...]
In later levels you are in a jew controlled prison, in
prison you again liberate guns and blast away at the
homosexuals and armed guards [...] you face zombies
and other hideous creatures created by the jews [...]
The last level has you sloshing through filth and has
rooms and halls dedicated to holocaust (holohoax)
worship, yids [Jews] are wailing on the soundtrack
repeatedly about 600 Billion dead jews [...].“51
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Resümee
Durch die Beschreibung und Analyse der vorgestellten
Titel ergeben sich mehrere interessante Erkenntnisse. Es lässt sich feststellen, dass sowohl die Menge
als auch der Grad an Propaganda in allen Medien
hoch bis sehr hoch sind. Es wird kaum versucht, auf
subtilen Ebenen Botschaften zu vermitteln, vielmehr
entsteht oftmals der Eindruck einer quantitativen
Überfrachtung. Durch die zunehmende digitale
Verfügbarkeit nationalsozialistischer Bild- und Tonpropaganda findet man diese auch zunehmend als
fixen Bestandteil innerhalb der Spiele wieder. Die
bildliche Präsentation ist wenig einfallsreich und
beschränkt sich bei allen Spielen auf einige wiederkehrende Sujets, die sich aus alten, bekannten Propagandaplakaten der Nationalsozialisten und neueren
Symbolen aus dem Umkreis der „White Supremacy/
Nationalism“-Ideologie zusammensetzen. Auch die
verzerrte Darstellung der weltanschaulichen Feinde
folgt altgedienten Klischees. Akustisch wiederholen
sich vor allem Mitschnitte von „Sieg Heil!“ Rufen bei
NSDAP-Parteiveranstaltungen und immer wieder das
Horst-Wessel-Lied als musikalische Begleitung.
Auf einer inhaltlichen Ebene stehen vier Elemente
im Vordergrund. Erstens ein omnipräsenter Antisemitismus, der sich neben der grafischen Darstellung
vor allem in Theorien jüdischer Weltverschwörungen Bahn bricht. Zweitens ein ebenso intensiver
Rassismus, ausgedrückt in massiv propagierten
Theorien rassischer Reinheit und Überlegenheit.
Drittens verherrlichende Referenzen auf die nationalsozialistische Ideologie und Adolf Hitler als
Vorkämpfer der weißen Rasse sowie schließlich
viertens und zugleich am häufigsten die aggressive
Bewerbung der neonazistischen, vor dem spezifischen
US-Hintergrund existierenden „White Supremacy/
Nationalism“-Ideologie.
Betrachtet man die Titel aus einem technischen
Blickwinkel, kann man sie in „Spielchen“ und vollwertige Spiele (KZ-Manager, Hitler-Diktator, Ethnic
Cleansing, ZOG I+II) unterteilen. Erstere können
mit heutigen „Browserspielen“ verglichen werden,
deren primärer Zweck kurzweilige Ablenkung oder
Unterhaltung ist und die über keine komplexeren
Spielmechaniken oder Regelwerke verfügen. In der
zweiten Gruppe sind aufgrund ihrer relativen Aktualität nur Ethnic Cleansing sowie ZOG I+II für eine
nähere Analyse von Relevanz, die beiden anderen
Titel kann man als „digitale Artefakte“ bezeichnen,
die aus der Frühzeit der Computerspielentwicklung
stammen. Es handelt sich bei ihnen um professionelle und zugleich kommerziell orientierte Versuche
rechtsextremer Gruppen, Spiele zu produzieren, die
in der Lage sind, breitere Massen anzusprechen und
die zugleich alle Möglichkeiten zur Präsentation des
eigenen Gedankengutes nutzen.
Alle drei weisen allerdings im Vergleich mit anderen Produkten mehr oder weniger große Defizite
in allen Bereichen auf, sei es nun die mangelhafte
Grafik, der geringe Umfang oder spielerische Aspekte,
wie dumm agierende Gegner oder eine unpräzise
Steuerung. Dies resultiert aus der Tatsache, dass
die Herstellung eines konkurrenzfähigen und die
Massen begeisternden Computerspieles (vor allem
bei FPS) im Verlauf der letzten 20 Jahre immer mehr
zu einem Multimillionendollarprojekt wurde. Analog
dazu wuchsen auch die Erwartungen der Spieler an
die optische Gestaltung, die Handlungstiefe und
einen höheren Realismus etc. In den konkreten Fällen verbinden sich mehrere klassische Formen der
Propaganda, die nun simultan und multimedial auf
den Spieler einwirken. Gekoppelt mit der interaktiven Grundkomponente des Mediums, erhöhen sich
Anzahl und Intensität der Reize enorm, denen der
Empfänger ausgesetzt ist.
Die vorgestellten Spiele sind durchaus für einfache propagandistische Botschaften und Werbung
geeignet - vor allem durch die Integration der in
Studios aufgenommenen und auch alleinstehend
kommerziell vertriebenen Musik populärer Rechtsrockbands. Aufgrund der oben erwähnten Defizite
setzt sich das primär erreichte Zielpublikum allerdings wohl zum überwiegenden Teil aus Personen
zusammen, die ideologisch bereits auf einer Linie
mit den Herstellern sind. Auf dem legalen Markt
erzielen sie bei der breiten Masse kaum bis keine
propagandistische Wirkung. Vielmehr werden sie am
ehesten als Kuriositäten wahrgenommen, die man
schnell ignoriert oder eventuell einmal ausprobiert,
um sich selbst ein Bild machen zu können.
Ausblick und Trends
Die Computerspielszene befindet sich in einer ständigen Entwicklung. Für die weitere Verbreitung von
rechtsextremer und nationalsozialistischer Propaganda bedeutet dies, dass sie sich andauernd adaptieren muss, wenn sie das neue Medium erfolgreich
nutzen will. Drei Trends sind in diesem Kontext
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Auer, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen
von Relevanz.52
Erstens gibt es immer mehr Produkte, die gemeinsam über das Internet gespielt werden können,
wodurch die soziale Ebene immer wichtiger wird.
Die Vernetzung der Spieler untereinander nimmt zu,
es kommt zur Bildung von immer mehr Communities
und Clans53, deren Mitglieder sich oft als sehr eng
miteinander verbunden sehen. Diese können den
ideologischen Konzepten virtuell Raum und damit
eine potente Werbefläche bieten. So trifft man immer
wieder auf Clans mit Namen wie „White-Power-Clan“
oder „Sturmtrupp Division 88“54 oder Spieler, die sich
nach bekannten Nationalsozialisten oder Einheiten
der SS benennen. Zum Zweiten erlauben es immer
mehr Hersteller erfolgreicher Spiele55, vor allem von
Mehrspieler-FPS, dass man sie mit relativ geringem
Aufwand (grundlegend) modifizieren kann56, um
so die kreative Energie von Fans zu nutzen, um das
Produkt zu verbessern und zu erweitern. Dies bietet
weitere Möglichkeiten, Propagandaelemente in weit
verbreitete Titel einzubauen, wodurch sich auch die
klassische Kommunikation zwischen Programmierern und Spielern verändert, weg von einem simplen
Verkäufer-Käufer- bzw. Sender-Empfängermodell,
hin zu einer in komplexeren Relationen stehenden
gegenseitigen Beeinflussung. Bei diesen Modifikationen („MODs“) ist eine eindeutige Trennung in
solche, die dazu dienen, den Realismus zu erhöhen,
und solche, die den Nationalsozialismus verherrlichen,
nicht immer möglich. So reicht die Bandbreite von
der (Re-)Implementierung der historisch korrekten
Wehrmachtsuniformen und NS-Flaggen in deutsche
Spielversionen über die Entwicklung neuer Missionen bis hin zum Wechsel der Seite, auf der man im
Spiel kämpft.57
Auch gilt es hier zwischen den möglichen Absichten der Personen, die solche Modifikationen erstellen,
und jenen der Benutzer zu unterscheiden: Wo ersteren
nur am „historischen Realismus“ gelegen sein kann,
sehen letztere den Einbau von Hakenkreuzen, SSEmblemen und nationalsozialistischen Plakaten als
Mittel zum Zweck, die eigene Ideologie sichtbarer
zu machen und weiterzuverbreiten – und umgekehrt.
Schließlich macht sich ein Trend bemerkbar, vermehrt
die deutsche Perspektive im Zweiten Weltkrieg
nachspielbar zu gestalten. Ist es in Mehrspielergefechten nur logisch, dass, wenn eine Seite die Alliierten vertritt, die andere das nationalsozialistische
Deutschland übernehmen muss, passiert dies nun
auch zunehmend in den Einzelspielerkampagnen.58
So wirbt das in Kürze erscheinende Spiel „Red
Orchestra – The Heroes of Stalingrad“ (Tripwire
Interactive) auf seiner offiziellen Internetpräsenz
unter anderem mit folgendem Text: „For the first time
ever in a first person shooter gamers will be able to
experience WWII from the Axis side in a German
single player campaign.“59
Die eingangs erwähnte Möglichkeit, alternative
Geschichte interaktiv zu erleben, wirft hier auch
geschichtsdidaktische und -theoretische Fragen im
Umgang mit der Vergangenheit auf. Kommt es zu
neuen Unschärfen bzw. Geschichtsvergessenheit,
wenn Spiele einen unkritischen oder hochgradig
selektiven Umgang mit Elementen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs erlauben? Welche
Implikationen hat die Reduktion auf einen „sauberen
Krieg“ im Rahmen von Strategie- oder Actionspielen, ohne Aspekte wie Holocaust, Kriegsverbrechen
und Diktatur (ausreichend) zu berücksichtigen?
Diese Fragenkomplexe und sich neu entwickelnde
Dimensionen von Computerspielen werden in einem
künftigen Artikel behandelt.
ENDNOTEN
Vgl. Julia Scheers, Games Elevate Hate to Next Level. http://www.wired.com/culture/lifestyle/news/2002/02/50523 (alle
Onlinequellen wurden am 19.5.2010 überprüft).
2
Der Terminus „Computerspiel“ umfasst hier Produkte für den klassischen Personal Computer (PC). Videospiele für Konsolen
(X-Box, Playstation, Nintendo Wii etc.) bilden eine eigene Produktkategorie.
3
Als Orientierung empfehlenswert Jürgen Fritz, Computerspiele: Was ist das? (Bundesanstalt für politische Bildung 2005). http://
www.bpb.de/themen/NGYBQY,0,0,Computerspiele%3A_Was_ist_das.html. Ausführlicher das Dossier der BPB zum Thema
Computerspiele. http://www.bpb.de/themen/ST72BG,0,0,Computerspiele.html (Bundesanstalt für politische Bildung 2005).
4
Sich in seiner Freizeit obsessiv mit Computerspielen beschäftigender Mensch, der andere soziale Ebenen vernachlässigt.
5
Ruth Lemmen, Das neue Kulturmedium – Im medienpolitischen Spannungsfeld zwischen Politik und Kultur, in: Olaf Zimmermann,
Theo Geißler (eds.), Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz
(Berlin 20082), 97. http://www.kulturrat.de/dokumente/streitfall-computerspiele.pdf.
6
Kristin Bäßler, Kulturgut: Computerspiele!? – Der Games-Kanon der Library of Congress/USA, in: Zimmermann, Geißler, Streitfall, 109.
Weiters: http://www.loc.gov/today/pr/2006/06-096.html und http://www.digitalpreservation.gov/news/2010/20100322news_article_PVW.html.
7
Bäßler, Kulturgut: Computerspiele, 109.
8
Jörg Müller-Lietzkow, Zwischen Rentabilität und Kulturmedium – Digitale Spiele. Weit mehr als eine rational-ökonomische
1
114
JIPSS VOL.4, NR.1/2010
Rentabilitätsrechnung, in: Zimmermann, Geißler, Streitfall, 112-114, hier 113.
9
Lothar Mikos, Kulturtechnik Computerspiel – Zu Unrecht zum Sündenbock gemacht, in: ibid., 61f., hier 61.
10
http://www.gamasutra.com/view/news/27932/Report_Wii_Holds_47_Percent_Of_Global_Console_Revenue.php.
11
http://www.gamasutra.com/view/news/27598/Study_PC_Software_Sales_Up_3_To_131_Billion_In_2009.php.
12
Zitiert nach Jürgen Fritz, Computerspiele: Was ist das?, http://www.bpb.de/themen/NGYBQY,0,0,Computerspiele%3A_Was_ist_das.html.
13
Mikos, Kulturtechnik Computerspiel, 62f.
14
PEGI Webpräsenz: http://www.pegi.info/en/index/.
15
Zu einer umfassenden Erklärung der Zensurrichtlinien und -abläufe in Deutschland siehe http://medienzensur.de/seite/zensur/pcspiele.shtml.
16
USK Webpräsenz: http://www.usk.de/.
17
BPjM Webpräsenz: http://www.bundespruefstelle.de.
18
http://de.wikipedia.org/wiki/Unterhaltungssoftware_Selbstkontrolle#Kritik_am_Freigabesystem und http://de.wikipedia.org/wiki/BPjM#Kritik.
19
Zitiert nach http://www.spielbar.de/neu/praxiswissen-computerspiele/jugendschutz/.
20
http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/Jugendmedienschutz/Rechtsfolgen/indizierung-traegermedien,did=33104.html.
21
Bundesministerium für Justiz, Strafgesetzbuch: http://bundesrecht.juris.de/stgb/index.html. Anhang Kennzeichnungen durch
die USK und Gesetzliche Bestimmungen zur Kunstfreiheit, zur Meinungsfreiheit, zum Jugendschutz und zur Strafbewährung von
Gewaltdarstellungen, in: Zimmermann, Geißler, Streitfall, 133-137. Außerdem http://medienzensur.de/seite/beschlagnahmung.shtml.
22
Bundeskanzleramt Rechtsinformationssystem, Verbotsgesetz 1947: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bu
ndesnormen&Gesetzesnummer=10000207.
23
Siehe zum Beispiel hier, wo die ungeschnittene UK/US Version lieferbar ist: http://www2.gameware.at/info/space/Wolfenstein.
24
Folgender Artikel gibt einen guten Einblick in die Netzwerke und Strukturen: Thomas Pfeiffer, „Das Internet ist billig,
schnell und sauber. Wir lieben es“. Rechtsextremisten entdecken den Computer, in: Bundeszentrale für politische Bildung (ed.),
Rechtsextremismus im Internet. Recherchen, Analysen, pädagogische Modelle zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus
(Bonn 2002, CD ROM). http://www.im.nrw.de/inn/doks/vs/Bpb-neu.pdf.
25
Ibid., 13, 16-19.
26
Zitiert nach Rainer Fromm, Rassistischer Hass im Word Wide Web. Die weltweite Vernetzung von Neonazis im Internet.
http://www.bpb.de/themen/2BWYNR,1,0,Rassistischer_Hass_im_Word_Wide_Web.html.
27
Pfeiffer, Internet, 13.
28
Zitiert nach ibid., 8.
29
Scheers, Games.
30
Zitiert nach ibid.
31
Er verbüßt bis 2037 eine Haftstrafe wegen Anstiftung zum Mord. Siehe: http://www.bop.gov/iloc2/InmateFinderServlet?Transaction=
NameSearch&needingMoreList=false&LastName=hale&Middle=&FirstName=matthew&Race=W&Sex=M&Age=&x=17&y=12.
32
Zitiert nach Scheers, Games.
33
Es wird bei den Spielen, sofern eruierbar, immer der Name des Herstellers und das Erscheinungsjahr angegeben. Dies ist teilweise
jedoch nicht vollständig oder mit Sicherheit möglich, da manche Verantwortliche anonym bleiben wollen oder es sich um private
Produktionen unbekannter Herkunft handelt. Möglicherweise erschienen manche Spiele bereits früher.
34
http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Manager.
35
Weitere Rechtschreibfehler wie „Türkenjagt“ finden sich en masse.
36
Siehe dazu: http://www.adl.org/PresRele/Internet_75/4042_72.htm.
37
http://www.moorhuhn.de/games_mh_1.php?menu=spiele&header=1999.
38
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,98921,00.html.
39
Zitiert aus der beiliegenden Spielbeschreibung.
40
Zitiert aus der beiliegenden Spielbeschreibung.
41
Webpräsenz: http://germania2.org/start.html und http://www.germania2.org/info.html.
42
Siehe dazu folgendes Video auf: http://www.youtube.com/watch?v=VY1iBYrK3Gk „Germania, ride from Triumphant arch to Volkshalle“.
43
http://www.germania2.org/insidedome.jpg.
44
Siehe dazu: http://uncyclopedia.wikia.com/wiki/Holocaust_Tycoon.
45
http://images2.wikia.nocookie.net/__cb20061108160751/uncyclopedia/images/7/7c/Holocauster.jpg.
46
http://en.wikipedia.org/wiki/Ethnic_Cleansing_%28video_game%29.
47
Aus der Ichperspektive oder aus einer isometrischen Perspektive gesteuertes Spiel.
48
http://www.adl.org/PresRele/Internet_75/4042_72.htm.
49
http://nsm88records.com/theshop/product_info.php?cPath=51&products_id=1060.
50
http://www.nsm88.org/press/zogs_nightmare_2.html und http://www.adl.org/Learn/Ext_US/nsm/NSM_Reportv12.pdf.
51
Zitiert nach http://www.nsm88.org/press/zogs_nightmare_2.html.
52
Vergleiche hierzu auch folgenden aktuellen Artikel, der sich u.a. mit sozialen Netzwerken und dem propagandistischen
Schlagabtausch zwischen Al-Qaida und der Spieleindustrie beschäftigt: Nico Prucha, Online Jihad versus Gaming Industry, in:
SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Nr. 1 (2010), 70-80.
53
Ein Clan definiert sich als soziales Netzwerk von Spielern, die nach außen online gemeinsam auftreten und interne Ziele,
Hierarchien und Regelwerke für ihre Organisation aufstellen.
54
Alexandra Müller, Facharbeit. http://de.wikibooks.org/wiki/Rechtsextremismus_heute; hier speziell: http://de.wikibooks.org/
wiki/Rechtsextremismus_heute:_Medien#Internet.
55
Bspw. die bis jetzt millionenfach verkaufte „Call of Duty”-Reihe“ (Activision, ab 2003). www.callofduty.com/.
56
So lassen sich je nach Spiel und Editor neue Welten und Aufträge erstellen, Grafiken fundamental verändern, neue Musik und
Töne integrieren und vieles mehr.
57
Zum Beispiel können die Texturen der Figuren („Skins“) einfach vertauscht werden. Der Spieler kämpft so auf Seiten der
Wehrmacht oder der Waffen-SS.
58
Im Spiel „Company of Heroes: Tales of Valor“ (Relic Entertainment, 2009) übernimmt man auch die Rolle eines deutschen
Panzerkommandanten oder muss als Soldat der Wehrmacht eine französische Stadt gegen alliierte Truppen verteidigen.
59
Webpräsenz: http://www.heroesofstalingrad.com/about/.
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