Weichteilrheumatismus

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Weichteilrheumatismus
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We i c ht e i l r h e u m at i s m u s
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
es existiert eine Vielzahl von Krankheitsbildern, die als Rheuma bezeichnet werden. Eine
Untergruppe stellt der Weichteilrheumatismus dar – neben Arthritis und Arthrose. Er ist
seinerseits ein Sammelbegriff für verschiedene rheumatische Erkrankungen, die nicht die
Gelenke, sondern z. B. Muskeln, Sehnen und Schleimbeutel betreffen und etwa 40 Prozent aller
rheumatischen Krankheiten ausmachen.
FOCUS hat in Zusammenarbeit mit Dr. Helmut Sörensen wichtige Informationen zum
Thema „Weichteilrheumatismus“ zusammengestellt.
Der Experte
à
Dr. Helmut Sörensen ist Rheumatologe in Berlin. Er war 17 Jahre Chefarzt in der Rheumaklinik
Berlin-Wannsee und leitet jetzt ein ambulantes Rheuma-Zentrum im Krankenhaus Waldfriede
in Berlin. Er ist Präsident der Deutschen Rheuma-Liga Berlin.
Was ist Weichteilrheumatismus?
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Der extraartikuläre (außerhalb der Gelenke befindliche) Rheumatismus oder Weichteilrheumatismus bezeichnet viele unterschiedliche rheumatische Erkrankungen. Sie verursachen bei
den Betroffenen Schmerzen in Muskeln, Muskelschläuchen (Fascien), Sehnen, Sehnenscheiden,
Sehnen- und Muskelansätzen am Knochen, Schleimbeuteln und im Unterhautbindegewebe.
Man unterteilt den Weichteilrheumatismus in zwei Formen:
• lokal begrenzt (z. B. Tennisellbogen, schmerzhafte Schultersteife,
Sehnenscheidenentzündung)
• generalisiert, das heißt den ganzen Körper betreffend
(auch als Fibromyalgie, früher als Fibrositis bezeichnet)
Der lokal begrenzte Weichteilrheumatismus ist in vielen Fällen gut zu behandeln,
die Heilungschancen stehen gut. Die Stärke der Schmerzen variiert dabei, sie können sich
steigern, wieder abnehmen, verschwinden oder immer wiederkommen. Schwierig ist die
Behandlung beim generalisierten Weichteilrheumatismus, weil er in der Regel chronisch
verläuft und auf die üblichen Schmerzmittel oft nicht anspricht.
Was sind die Ursachen des Weichteilrheumatismus?
Die Schmerzen im Weichteilgewebe können durch Entzündungen ausgelöst werden z. B. im
Rahmen einer entzündlich rheumatischen Erkrankung wie Myositis (Muskelentzündung) und
Arthritis (Gelenkentzündung). Bei der rheumatoiden Arthritis gibt es oft dicke, wulstige
Sehnenscheidenentzündungen des Handrückens und der Handflächen.
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Häufig liegt keine Entzündung vor, z. B. bei angeborenen, zum Teil vererbbaren Muskelerkrankungen (Myopathien, Muskeldystrophien), bei Muskelverspannungen durch Überlastung,
einseitigen Tätigkeiten oder schlechter Körperhaltung. Oft sind durch Überdehnung kleine
Sehnenfäden gerissen, die mit Kalkablagerungen ausheilen. Der Kalk reizt das Gewebe wie ein
Fremdkörper und kann immer wieder zu Schmerzzuständen führen.
Auch als Begleiterscheinung bei anderen Erkrankungen können weichteilrheumatische
Symptome auftreten, z. B. Schultermuskelschmerzen bei Parkinsonscher Erkrankung, Muskelschmerzen bei Osteoporose, Infektionserkrankungen, bösartigen Krankheiten, Arzneimittelnebenwirkungen, Depression, multipler Sklerose usw. Diese sollte Ihr Arzt abklären.
Der lokal begrenzt e Weichteilrheumatismus
Sehnen- und Sehnenscheidenerkrankungen
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Sehnen können durch Verletzungen, Überlastung, Fehlbelastung, durch entzündliche Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, durch Infektionen und durch Stoffwechselerkrankungen
wie Gicht und Kalkstoffwechselstörungen schmerzhaft gereizt oder entzündet sein.
Sehnenscheidenentzündung des Daumens entsteht durch Überlastung (besonders bei
Masseuren und Pianisten). Es kommt zu einer schmerzhaften Schwellung dort, wo die Strecksehne des Daumens am Handgelenk vorbeizieht. Hier können eine gezielte Cortisonspritze,
vorübergehende Ruhigstellung, Einnahme eines entzündungshemmenden Medikaments und
notfalls handchirurgische Entfernung der gereizten Sehnenscheide für Heilung sorgen.
Sehnenscheidenentzündung am Unterarm (am Speichenknochen, dem Radius, entlang)
entsteht durch Überlastung, z. B. durch zu langes Schreiben auf einer Tastatur. Entlastung und
lokale Cortisonspritzen beseitigen die Beschwerden.
Schleimbeutel-Erkrankungen
Auch Schleimbeutel, die normalerweise als elastische Polster zwischen Sehnen/Muskelgewebe und Knochen dienen (z. B. am Schultergelenk) oder zwischen Haut und Knochen
(z. B. am Ellbogen und auf der Kniescheibe), können gereizt oder entzündet werden. Auslöser
sind zu starker Druck, Kalkeinlagerungen, Ablagerung von Gichtkristallen, ein rheumatisch
entzündlicher Prozess oder eine Infektion. Die Schleimbeutel werden dick, füllen sich oft mit
viel Flüssigkeit und schmerzen stark. Handelt es sich um eine Infektion, muss der Eiter
abpunktiert werden und der Patient antibiotisch behandelt werden. Bei nichtbakterieller
Entzündung wird der Schleimbeutel punktiert und Cortison injiziert. Tritt die Entzündung des
Schleimbeutels immer wieder auf, muss er chirurgisch entfernt werden.
Störungen am Ansatz von Sehnen und Muskeln
Tennisellbogen entstehen, wenn der Tennisschläger nicht richtig gehalten wird. Es kommt zur
Überlastung der Strecksehnenansätze an dem zur Speiche hin gelegenen Teil des Ellbogens.
Dies kann zu starken Schmerzen und bis zur Arbeitsunfähigkeit führen. Auch andere Formen
der Überlastung oder Fehlbelastung des Armes können zum Tennisellbogen führen, und
manchmal ist kein Grund für diese Schmerzen erkennbar. Sie können kurzzeitig akut, aber
auch chronisch verlaufen. Die Behandlung des Tennisellbogens erfordert eine Entlastung des
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betroffenen Armes, d. h. Sie sollten nichts tragen und keine Tätigkeiten ausüben, durch die die
Schmerzen verstärkt werden. Oft verschwinden die Beschwerden dann von selbst. Lokale
Kältetherapie, Elektrobehandlung und Ultraschall können nützlich sein. Gehen die Beschwerden nicht zurück, hilft eine gezielte Cortisonspritze meist schon nach einem Mal sehr gut.
Beim chronischen Verlauf müssen verstärkt belastende Tätigkeiten, auch psychische Belastungen, abgebaut werden. Die Ruhigstellung im Gips kann helfen. Der Nachteil ist, dass die
Armmuskeln während der Ruhigstellung verkümmern, das Ellenbogengelenk kann an Beweglichkeit verlieren. Weitere Behandlungsmöglichkeiten bestehen in einer entzündungshemmenden Röntgenstrahlentherapie, Anwendung eines TENS-Geräts, das die Muskeln entspannt
und die Schmerzen lindert, und gelegentlich einer Operation, bei der die StreckSehnenansätze am Ellbogenknochen teilweise abgetrennt werden. Meist lässt sich durch eine
rechtzeitige gezielte Cortisoninjektion die chronische Entwicklung verhindern.
Golf-Ellenbogen ist ähnlich wie der Tennisellbogen, befindet sich aber auf der anderen Seite
(Innenseite) des Ellbogens an der Elle. Für die Behandlung gilt dasselbe wie für den Tennisellbogen. Er kann meist so behandelt werden, dass er vollständig verschwindet.
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Levator-scapulae-Syndrom ist die schmerzhafte Verhärtung am Ansatz des Schulterblattheber-Muskels am oberen inneren Winkel des Schulterblatts und entsteht durch dauernde
Anspannung dieses Muskels bei Menschen, die dazu neigen, ihre Schultern ständig hoch zu
ziehen. Durch Massieren des Ansatzes, am wirksamsten aber durch eine Injektion in den
schmerzhaften Bereich mit Anästhetikum und Cortison lässt sich der Schmerz beseitigen.
Der Betroffene sollte lernen, den Schultergürtel zu entspannen, damit die schmerzhafte
Verspannung nicht immer wieder eintritt.
Periarthropathien
Oft sind die befallenen Sehnen- und Muskelansätze, Schleimbeutel und Sehnenscheiden ganz
in der Nähe eines Gelenks gelegen. Dies löst bei jeder Gelenkbewegung Schmerzen aus. Bei
der Periarthropathie (auch Periarthrosis oder Periarthritis) entstehen die Schmerzen nicht
innerhalb der Gelenkkapsel, sondern außen um das Gelenk herum. Die oft extrem schmerzhafte so genannte Periarthrosis humero scapularis (PHS) kann durch Degeneration oder den
Abriss des Ansatzes der Drehmuskeln der Schulter ausgelöst werden. Sie kann aber auch von
einer Schleimbeutelentzündung unter dem knöchernen Schulterdach oder von einer Entzündung der Sehnenscheide der langen Bicepssehne herrühren. Häufig kommt auch die Periarthrosis coxae im seitlichen Hüftbereich vor sowie das Pes-anserinus-Syndrom an der Innenseite
der Kniegelenke. Periarthropathien verursachen oft heftige Schmerzen bei Druck und bei jeder
Bewegung. Die Behandlung der Periarthropathien besteht in gezielten Cortisonspritzen. Bei
der Schulter ist eine intensive Krankengymnastik erforderlich, um die verloren gegangene
Beweglichkeit wiederherzustellen, da die starken Schmerzen häufig zu einer partiellen
Schultersteife geführt haben. Wird die schmerzhafte Schultersteife nicht rechtzeitig oder
nicht ausreichend behandelt, schrumpft die Schulterkapsel, und es kann zu einer sehr bewegungseingeschränkten „frozen shoulder“ („eingefrorene Schulter“) kommen.
Erkrankung der Muskelschläuche (Fascien) und Muskeln
Fascien sind bindegewebige Schläuche um die Muskeln und um bestimmte Sehnen herum.
Sie können isoliert entzündet sein (Fasciitis) und Schmerzen an den Unterarmen, manchmal
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am ganzen Körper auslösen. Die Fasciitis wird mit Cortison behandelt und verläuft meist gut.
Neben entzündlichen Muskelerkrankungen (Myositis), die oft mit Cortison und immunsuppressiven Medikamenten behandelt werden, gibt es ein nichtentzündliches myofasciales
Schmerzsyndrom, bei dem lokal begrenzt Muskelverhärtungen (Triggerpunkte) tastbar sind,
die Schmerzen in der Umgebung auslösen, z. B. Schulter-, Kopf- und Ohrenschmerzen, aber
auch Darm- oder Blasenfunktion irritieren können. Vorsichtige Massage der Muskelverhärtungen, Muskeldehnungsübungen, Lymphdrainagemassage und Injektion von Anästhetika mit
oder ohne Cortison können eine deutliche Besserung herbeiführen.
Fibrosen
Fibrosen sind narbenartige Verdickungen des Gewebes, die durch vermehrtes Wachstum von
Bindegewebe entstehen. Sie können nicht nur an inneren Organen sowie der Haut auftreten
und erhebliche Funktionsstörungen auslösen, sondern auch als lokaler Weichteilrheumatismus an Händen und Füßen vorkommen.
Dupuytren’sche Kontraktur tritt vorwiegend bei Männern auf und ist eine Fibrose der Sehnenplatte in der Handfläche, die zu einer Schrumpfung der Sehnenplatte führt, so dass die
betroffenen Finger nicht mehr gestreckt werden können. In der Handfläche sind höckerige
Einziehungen zu sehen, die schmerzen können. Die Behandlung erfolgt operativ. Ähnliche
Fibrosen können an den Fußsohlen (Morbus Ledderhose) und am Ansatz des Penis (PeyronieErkrankung) auftreten.
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Expertenà
Hinweis
„Führen akute Schulterschmerzen zu einer merklichen Verschlechterung der Beweglichkeit (schmerzhafte partielle Schultersteife), verlieren Sie keine Zeit! Die Schulter
muss innerhalb weniger Tage mit gezielten Cortisoninjektionen durch den Rheumatologen oder Orthopäden schmerzfrei (schmerzarm) gemacht werden, um die
Beweglichkeit zu retten. Anschließend ist Krankengymnastik erforderlich.“
Erkrankungen des Unterhautbindegewebes
Panniculose („Cellulitis“) ist eine Veränderung im Unterhautbindegewebe und befällt ältere
Frauen. Sie ist erkennbar am „Matratzenphänomen“ (kleinflächige Einziehungen der Haut),
dem „Orangenschalenphänomen“ (großporige Haut), der tastbaren Verdickung und schlechten Verschiebbarkeit der Haut. Die Panniculose tritt vorwiegend an den Oberarmen und
Oberschenkeln auf. Ihre Ursache ist nicht genau bekannt, sie ist harmlos und schmerzt nicht.
Lipome, gutartige Fettgeschwülste, sind ebenfalls harmlos, können aber chirurgisch entfernt
werden, wenn sie zu sehr stören oder zu groß werden. Sie schmerzen in der Regel nicht, außer
bei einer Sonderform, der Lipomatosis dolorosa.
Kompressionssyndrome
Durch Druck auf Nerven an engen Stellen wie z. B. im Karpaltunnel (Handgelenkstunnel) oder
im Tarsaltunnel (Fußgelenkstunnel) werden Weichteilschmerzen hervorgerufen. Beim Karpaltunnelsyndrom treten Taubheitsgefühl und Kribbeln am 1. bis 3. Finger und einem Teil des
4. Fingers auf, oft auch Schmerzen bis in den Arm ausstrahlend, besonders nachts. Manchmal
verkümmert der Daumenballenmuskel. Beim Ulnarnervensyndrom klagen die Betroffenen
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über Taubheitsgefühl und Kribbeln am 4. und 5. Finger. Das Tarsaltunnelsyndrom führt zu
Schmerzen und Missempfindungen im Fuß. Beim Skalenus-Syndrom übt infolge einer manchmal zu engen Stelle der Skalenusmuskel im Halsbereich einen erhöhten Druck auf Nerven und
Blutgefäße aus. Diese ziehen in den Arm, in dem Schmerzen auftreten können. In einer
bestimmten Stellung des Armes und Kopfes wird die Arterie in der engen Stelle abgeklemmt,
so dass der Puls nicht mehr tastbar ist. Die Behandlung des Karpaltunnelsyndroms und
anderer Kompressionssyndrome besteht in einer gezielten Cortisoninjektion, um das einengende Gewebe zum Abschwellen zu bringen. Ist die Besserung nicht ausreichend oder nicht
anhaltend, kann eine hand- bzw. neurochirurgische Operation Heilung bringen. Vorübergehende Besserung kann auch durch das nächtliche Tragen einer Handschiene erzielt werden.
Kompressionssyndrome müssen frühzeitig diagnostiziert und rechtzeitig behandelt werden,
sonst besteht die Gefahr, dass durch zunehmende Druckschädigung des Nerven z. B. das
normale Gefühl in den Fingern nie mehr zurückkehrt bzw. die Muskelfunktion verloren geht.
Die lokalen Kompressionssyndrome werden oft nicht rechtzeitig erkannt, sondern mit ausstrahlenden Wirbelsäulenschmerzen verwechselt. Durch ein Elektromyogramm (EMG) mit
Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeiten (NLG) kann der Neurologe meistens genau
feststellen, an welcher Stelle der Nerv unter Druck steht. Manchmal zeigt diese Untersuchung
keine Veränderungen, obwohl der Nerv eingeengt ist. Ein EMG/NLG ohne abweichenden
Befund schließt ein Karpaltunnelsyndrom also nicht hundertprozentig aus.
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Expertenà
Hinweis
„Das Karpaltunnel-Syndrom wird oft nicht rechtzeitig erkannt und mit
wirbelsäulenbedingten Störungen verwechselt. Dies hat oft monatelanges
vermeidbares Leiden zur Folge. Besprechen Sie die Möglichkeit einer neurologischen
Abklärung mittels EMG (NLG) mit Ihrem behandelnden Arzt!“
Bei Nervenwurzelkompressionssyndromen werden die Nervenwurzeln kurz nach dem
Austritt aus dem Rückenmark von vorgefallenen Bandscheiben, Knochenvorsprüngen der
Wirbelsäule oder Tumoren gedrückt und können zu erheblichen Weichteilschmerzen führen.
Kompressionssyndrome sind am häufigsten anzutreffen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und führen zu Schmerzen an der Außenseite des Beines im Gebiet des Ischiasnerven.
Behandelt wird mit muskelentspannenden, entzündungs- und schmerzlindernden Medikamenten, anfangs oft hoch dosiert, lokalen schmerzbetäubenden Spritzen und vorsichtig
gesteigerter Krankengymnastik, entspannender Lagerung, Wärmeanwendungen, Massagen
und eventuell Wirbelsäulenmanipulationen (manuelle Medizin). Bei zu starken Schmerzen
und bei Lähmungen muss unter Umständen operiert werden (z. B. Bandscheiben-Operation).
In der Rückenschule lernt der Patient vorbeugende Maßnahmen, z. B. richtiges Heben und
bestimmte Rücken- und Bauchmuskelübungen, die er ständig täglich durchführen sollte.
Vegetatives Nervensystem
Reflex-Algo-Dystrophie (Sudeck’sche Atrophie) entsteht durch Störungen im vegetativen
Nervensystem z. B. bei dem Schulter-Hand-Syndrom. Dabei kommt es nach Verletzungen,
Operationen, nach Herzerkrankung, halswirbelsäulenbedingten Schmerzen u. a. oder aus
unbekanntem Anlass zu störenden Nervenimpulsen, die ähnlich einem Reflex auf Nerven-
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bahnen zwischen dem Rückenmark und den Armen bzw. Beinen hin- und herlaufen. Sie
verursachen nicht nur Schmerzen, sondern auch Schwellungen, vermehrtes Schwitzen,
Hautverfärbungen und fleckige Knochenentkalkung in dem betroffenen Bereich. Schwere
Funktionsstörungen bis zur Versteifung einer Hand oder eines Fußes sind möglich. Die
Behandlung ist schwierig. Anfänglich kommt eine Cortisontherapie in Frage, die stoßweise
erfolgt. Nervengeflechtblockaden können helfen. Am wichtigsten ist eine vorsichtig aufzubauende Bewegungstherapie, die der Patient günstig beeinflussen kann, indem er aktiv mitmacht.
Der generalisier te Weichteilrheumatismus
Der generalisierte Weichteilrheumatismus, früher Fibrositis, jetzt Fibromyalgie-Syndrom (FMS)
genannt, ist ein kompliziertes Krankheitsbild, das zehnmal häufiger bei Frauen als bei Männern zu finden ist und das am häufigsten im Alter zwischen Ende 30 bis Mitte 40 beginnt. Es
können aber auch Kinder und Jugendliche betroffen sein. Die Krankheit ist relativ häufig und
kommt bei zirka zwei Prozent der Bevölkerung vor.
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Die Betroffenen haben wechselnd starke ständige Schmerzen in allen Rückenmuskeln, besonders der Hals- und Lendenwirbelsäule, in der Brustwand, gelenknah an Schultern, Ellbogen,
Händen, Knien und Füßen, oft Gliederschmerzen wie bei einer Grippe, aber anhaltend. Sie
klagen über Muskelverspannungen am Brustbein, Hinterkopf und in der Gesichts- und Kiefermuskulatur, morgendliche Steifheit und Schwellungsgefühl in den Gelenken, Gefühlsstörungen an Händen und Füßen, Ein- und Durchschlafstörungen, Magen-, Darm- und Blasenstörungen, Herzjagen, Atemnot, „Kloßgefühl“, vermehrtes Schwitzen und andere vegetative
Störungen, Kopfschmerzen und Erschöpfungsgefühl. Sie wachen morgens „wie zerschlagen“
auf, es fehlt ihnen der erholsame Schlaf, sie sind nicht voll belastbar und am Arbeitsplatz nicht
voll leistungsfähig. Zusätzlich leiden viele an Konzentrationsstörungen und Depressionen als
Folge ihrer belastenden Erkrankung (und nicht als Ursache der FMS!).
Die Diagnose gründet sich auf das Vorhandensein der nicht nur lokalen, sondern weit verbreiteten Schmerzen, der zahlreichen vegetativen Störungen und dem Untersuchungsbefund von
sehr druckschmerzhaften Punkten an praktisch allen Sehnen- und Muskelansatzstellen. Von
diesen so genannten Fibromyalgie-Druckpunkten sollten 11 von 18 festgelegten Punkten
deutlich druckschmerzhaft sein, um das wichtigste Diagnosekriterium zu erfüllen. Beim
primären Fibromyalgie-Syndrom finden sich sonst keine krankhaften körperlichen Labor- oder
Röntgenbefunde. Bei einer rheumatoiden Arthritis oder bei einer anderen entzündlich rheumatischen Erkrankung kann sich allerdings auch ein sekundäres Fibromyalgie-Syndrom
aufpfropfen und neben den entzündlichen Symptomen die Beschwerden noch verstärken. Die
Symptome beginnen häufig an zwei oder drei Körperstellen und breiten sich mit der Zeit aus.
Der Verlauf ist chronisch. Heilung oder dauernde Besserung ist selten. Bei vielen Patienten
wechseln sich Besserung und Verschlechterung ab. Die Krankheit ist aber nicht lebensbedrohlich, und es kommt trotz langwierigen Verlaufs nicht zu Gelenkversteifungen oder zu Schäden
an der Wirbelsäule, auch werden innere Organe nicht in Mitleidenschaft gezogen.
Die Ursache der Krankheit ist unbekannt. Ausgelöst werden kann das FMS möglicherweise
durch Infektionen, schwere körperliche oder seelische Belastungen. Man findet bei FMSPatienten eine verstärkte Schmerzwahrnehmung mit Hinweisen auf Veränderungen im
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Zentralnervensystem. Bestimmte Neurotransmitter (hormonartige Substanzen, die für die
Fortleitung der Nervenimpulse notwendig sind) werden zum Teil in zu niedriger Konzentration
gefunden, z. B. Serotonin. Im Elektro-Enzephalogramm (EEG; misst die Hirnströme) findet man
in der Tiefschlafphase bestimmte störende Wellen. Das heißt, Fibromyalgie-Patienten sind in
der Tiefschlafphase, in der der Mensch normalerweise alle Muskeln völlig entspannt, immer
gestört und bekommen niemals ihre notwendige Muskelentspannung.
Die Behandlung muss zunächst auf eine Wiederherstellung des erholsamen Schlafs gerichtet
sein. Medikamentös wirkt Amitriptylin in kleiner Dosierung von 10 bis 30 mg zur Nacht besser
als die üblichen Schlafmittel. Die Dosierung wird niedrig gehalten und nur langsam gesteigert, um die Nebenwirkungen in Grenzen zu halten (Mundtrockenheit, Benommenheit,
Gewichtszunahme). Die üblichen schmerz- und entzündungshemmenden Mittel wie Diclofenac, Cortison usw. helfen in der Regel nicht ausreichend. Allerdings hilft Rofecoxib 50mg in
einer Dosis manchmal relativ gut bei akuten Schmerzzuständen. Auch Tramadol und Tilidin
können hilfreich sein. Die zusätzliche morgendliche Gabe des Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Fluoxetine 20mg kann die Schmerzlinderung verbessern.
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Neben der medikamentösen Therapie spielen die Patientenschulung, die physikalische und
Bewegungstherapie eine wichtige Rolle. In der Patientenschulung lernen Betroffene verstehen,
dass es sich bei dem FMS um eine gutartige, aber chronische Krankheit handelt, warum sie
ständig bestimmte Medikamente nehmen, den Tagesablauf auf die Krankheit abstimmen und
eine aktive Rolle bei der Bewältigung der Krankheitsprobleme übernehmen müssen. Kälte- und
Wärmeanwendungen, Massage, Elektrotherapie und Bewegungsübungen werden den individuell gemachten Erfahrungen der Betroffenen angepasst. Bei der Ganzkörperkältetherapie
bewegen sich die Patienten bei einer Temperatur von minus 110° C einige Minuten lang in einer
Kältekammer und gewinnen oft eine stundenlange Schmerzlinderung. Diese können sie dann
für intensive Krankengymnastik nutzen, bei der es zunächst darauf ankommt, die Muskeln und
Sehnen vorsichtig zu dehnen, bevor ein Kräftigungstraining begonnen wird.
Erfolgreich und notwendig ist auch ein Herz-Kreislauf-Fitness- und Aerobic-Training. Alle
Trainingsarten müssen sehr vorsichtig mit sehr kleinen Belastungsschritten aufgebaut
werden, um eine Schmerzverstärkung zu vermeiden. Erfolge werden auch von Biofeedback-,
Hypnose- und kognitiver Verhaltens-Therapie beschrieben.
Was können Sie selbst tun,wenn Sie ein FMS haben?
Sie sollten lernen, mit einem Teil der Schmerzen zu leben, denn die Therapien können
Sie nicht restlos von Ihrem Leiden befreien. Ratschläge aus der Erfahrung von Betroffenen:
• Suchen Sie eine Selbsthilfegruppe auf. Der Erfahrungsaustausch mit anderen
Betroffenen wird Ihnen helfen, mit der Krankheit besser umzugehen.
• Verhindern Sie einseitige Belastungen des Bewegungsapparats.
• Sorgen Sie für abwechselnde Bewegungsformen bei der Arbeit,
aber auch beim Sport.
• Kleiden Sie sich warm und vermeiden Sie Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft.
• Versuchen Sie, Stress zu vermeiden.
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• Lernen Sie Entspannungstechniken (progressive Muskelentspannung nach
Jacobson, autogenes Training, Yoga, Tai Chi oder ähnliches)
• Machen Sie regelmäßige Spaziergänge
• Gehen Sie regelmäßig ins Thermalbad schwimmen, möglichst mit
anschließendem Saunabesuch.
• Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern treffen Sie sich weiterhin mit Freunden,
gehen Sie Ihren Hobbys und Interessen nach.
• Wenn Sie einen Arzt gefunden haben, dem Sie vertrauen, bleiben Sie bei ihm in
Behandlung und vermeiden Sie Arztwechsel.
Für alle Rheuma-Erkrankungen, die chronisch verlaufen, gilt, dass unterstützend und ergänzend zur medizinischen Behandlung Hilfs- und Selbsthilfemöglichkeiten zur Verfügung stehen
müssen. So berät die Deutsche Rheuma-Liga Betroffene bei persönlichen, familiären und
sozialen Problemen, bietet Hilfe in sozialrechtlichen Angelegenheiten wie Schwerbehindertenrecht, Rehabilitationsmaßnahmen, Pflegeversicherung und Rentenrecht. Sie fördert den
Aufbau von Selbsthilfegruppen und die ehren amtliche Mitarbeit und bietet zahlreiche
Funktionstrainingsgruppen für Leute, die etwas für sich tun wollen. Die Deutsche RheumaLiga (Infoline-Tel.: 02 28/7 66 70 80) hat zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie ein umfangreiches wissenschaftlich geprüftes Patientenschulungsprogramm für
die häufigsten rheumatischen Krankheiten erarbeitet.
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Goldmann, ISBN 3-442-30955-7.
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