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Toni’s Freiheit 1 glein, märz 2008 Toni’s 2 Toni’s »Nach dem Aufwachen von der Sitzstange flattern, ein paar knackige Körner suchen, ein bissl herumscharren, ein Ei legen, schauen, was der Hahn so treibt, dem Bauern einen schönen Tag wünschen, dann mit den anderen Hennen tratschen, in der Mittagssonne ein Sandbad nehmen, an der frischen Luft unter einem Baum den Nachmittag genießen und vor dem Schlafengehen noch ein paar saftige Kräuter abzupfen.« Darum kommt das Ei in Freiheit gleich zweimal vor. 3 PS: Besonders ans Herz legen will ich Ihnen den Artikel über die Charakterzüge verschiedener Tierrassen. Wie viel Huhn steckt in Ihnen? Toni’s 4 Toni’s „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ perikles (500–429 v. chr.) 5 Toni’s Manchmal sind Hühner lieber für sich alleine. 6 Einmal hat ein Huhn erzählt, dass es durch den Wald, am Teich vorbei, über die Felder, auf den Berg hinauf und wieder zurück gewandert sei. Ganz alleine. Natürlich hat das Huhn damals gelogen, aber rein theoretisch wäre das durchaus möglich gewesen. Bei uns kann jedes Huhn tun und lassen, was es will. Will man über ein so großes Thema wie die Freiheit ein paar Worte verlieren, begibt man sich unweigerlich auf gefährliches Terrain. Wenn man bedenkt, wie oft alleine in Protestliedern die Freiheit bereits beschworen und angebetet wurde. „Freedom’s just another word for nothing left to lose“, trällerten schon Millionen von Menschen fröhlich vor sich hin, ohne auch nur eine Minute darüber nachzudenken, was sie denn da eigentlich singen. Länder, Wolkenkratzer, Raumschiffe und sogar Putzmittel wurden schon nach der Freiheit benannt. So viele Metaphern wurden bis aufs Äußerste ausgereizt. Allen voran musste die (Taube) immer wieder als Symbol herhalten. Genauso der (Adler). Und auf Grund eines literarischen Bestsellers kam sogar die Möwe zu diesen Ehren. (Mittlerweile bietet sich mit unseren Hühnern ja schon der nächste Vogel als Freiheitssymbol an.) Übrig geblieben ist trotz der starken Bilder aber das leise Gefühl, dass der Begriff der Freiheit über die Jahrzehnte zu einer hohlen Phrase verkommen ist. Jeder hat seinen eigenen, ganz persönlichen Zugang zu diesem Wort. Böse Zungen behaupten sogar, der Begriff Freiheit sei zu einem „Kaugummibegriff“ verkommen: „An jedem Schlagbaum versteht man etwas anderes darunter.“ Und so falsch ist das gar nicht. Toni’s Manchmal sind Hühner lieber in guter Gesellschaft. 7 Um nun aber die Freiheit, wie wir sie verstehen, besser zu beleuchten, lohnt es sich, ein wenig wissenschaftlich zu werden. Betrachten wir das Wort einmal etymologisch, also nach seiner Herkunft: Im Indogermanischen bedeutete das Wort „prai“ soviel wie schützen, schonen, aber auch lieben. Aus der Grundbedeutung dieser indogermanischen Wurzel haben die Germanen schließlich den Begriff „frey“ entwickelt: er stand für jene Personen, die man liebt und daher schützt. Das sind meist die eigenen Sippen- und Stammesgenossen, weshalb sich daraus auch das Wort „Freunde“ ableitete. Freiheit hat im ursächlichsten Sinn also etwas mit Respekt, Wertschätzung und Gemeinschaft zu tun. Und genau darum geht es uns. Freilandhaltung ist nicht nur eine schlaue Art, gesunde Lebensmittel zu produzieren, sondern viel mehr: Es ist ein Gesellschaftsanspruch. Der Hühnerbauer wird nicht nur als Lieferant, sondern als Partner gesehen. Ebenso das Huhn. Es geht nicht um Untertänigkeit, sondern um das Eingehen auf die Bedürfnisse des anderen. Und da sich Hühner ganz schlecht selbst artikulieren können, greift man hier auf das Fachwissen von Experten zurück. Tausende und Abertausende von Seiten wurden über das natürliche Verhalten von Hühnern be- reits verfasst – in Glein hat man sie fast alle gelesen. Schließlich soll ein Huhn in der Freilandhaltung tun dürfen, was es auch in freier Wildbahn tun würde. Und sei es auch nur eine so scheinbar nebensächliche Angewohnheit wie das Drehen des frisch gelegten Eies – eine instinktive Handlung, die dem Kücken ein gutes Wachstum bescheren soll. Für ein Huhn eine Selbstverständlichkeit, die ihm aber erst einmal gewährt werden muss. Und da ein Vogel von sich aus ja nichts verlangen kann, bestehen deshalb wir auf alle diese Dinge. Und zwar im Namen des Huhnes. info „Die Freiheit des Huhnes liegt nicht darin, dass es tun kann, was es will, sondern dass es nicht tun muss, was es nicht will.“ Frei nach Jean-Jacques Rousseau Toni’s 8 Freiheit ist dort, wo die Natur ist. Toni’s zu besuch beim gaalkönig info matthias sonnleitner vulgo gaalkönig Matthias Sonnleitner ist seit 1998 einer von Toni’s Bauern. Der Hof liegt im Gaalgraben, etwa 20 km vom Stift Seckau entfernt. Das ist ungefähr dort, wo sich sprichwörtlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Hier sind es allerdings eher Rind und Henne, denn neben den 1.200 Hennen gibt es noch 35 Kühe, Kälber und Jungtiere und den Wald. Die Geschichte des Hofs, dessen Prunkstück ein mehrere Jahrhunderte altes königliches Jagdhaus ist, reicht zumindest bis ins 15. Jahrhundert zurück. DER BAUER UND DAS LIEBE VIEH Der Städter fährt aufs Land um mit dem Bauern zu reden, wie es ihm denn so geht mit seiner Landwirtschaft. Das hat beinahe schon etwas Anachronistisches, denn schließlich ist bei den Bio-Waren im Supermarkt immer ein Zettel für die Herkunftsgarantie dabei. Die Fahrt führt von Graz in den Gaalgraben, etwa 20 km westlich vom Stift Seckau. Bis Knittelfeld ist man ja noch auf bekanntem Terrain, sprich auf der Autobahn. Aber spätestens hinter Seckau wird’s entrisch. von andreas braunendal Toni’s 9 zu besuch beim gaalkönig Glück: gemeinsam mit glücklichen Tieren in gesunder Natur wirtschaften. Es ist Mitte Oktober, der Schnee liegt hier irgendwie schon in der Luft. Auf jeder Almwiese – und es gibt viele Wiesen zwischen den endlosen Wäldern – stehen Kühe und grasen. Am Telefon hat es geheißen, einfach durch den Ort Gaal durchfahren und dann immer weiter bis ans Ende des Grabens, der letzte Hof ist es. Dumm nur, dass nach Gaal jeder Hof aussieht wie der letzte im Graben. Also biege ich einmal falsch ab, zu einem dieser letzten Höfe. „Nein, da geht’s schon noch ein paar Kilometer weiter.“ 10 Wenn man dann ankommt, ist der Hof der Sonnleitners vulgo Gaalkönig allerdings unverkennbar. Eigentlich ist mir der Vulgoname Gaalkönig schon ein bissl protzig vorgekommen. Aber dann steht man vor einem Hof, der rund um ein königliches Jagdhaus aus dem 15. Jahrhundert angelegt ist. Über dem Hauseingang prankt etwas, das wie der verschrumpelte Kopf eines Wildschweins aussieht. Tatsächlich ist es die Trophäe eines Bären, die im Laufe der Jahrhunderte von Wind und Wetter in eine Art alpinen Schrumpfkopf verwandelt wurde. Was es nicht gibt, ist eine Glocke, also anklopfen. Niemand reagiert. Ausprobieren, ob die Türe offen ist – ja. Kurz überlegen, hineingehen und rufen. Zuerst meldet sich der Hund, dann schaut Frau Sonnleitner aus der Küche: „Habens eh leicht hergfunden, oder? Kommens herein, mein Mann muss gleich da sein.“ Frau Sonnleitner knetet gerade den Teig für Bauernkrapfen. „Die sind für heute Abend. Wir treffen uns alle in der Gemeinde und schauen uns gemeinsam ‚We feed the world‘ an.“ Matthias Sonnleitner schaut kurz herein, sagt Grüß Gott und dass er sich nur schnell umzieht, raus aus den Stall-Klamotten. Der „Gaalkönig“ ist kein Bauer aus dem Romantikmuseum, sondern ein junger, zukunftsorientierter Unternehmer mit klaren Basiswerten: Work-Life-Balance würde man in der Stadt dazu sagen. Hier geht es darum, im Einklang mit der Natur zu leben und auf dieser Basis Qualität zu produzieren, die beim Konsumenten einen fairen, guten Preis erzielt. Man merkt: Das Glück der Sonnleitners beruht nicht nur auf Geld, sondern darauf, gemeinsam mit glücklichen Tieren in gesunder Natur zu wirtschaften und dabei die schönen Seiten des Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Für die Sonnleitners bedeutet das: 1.200 Freilandhühner, 35 Stück Vieh, ein paar Katzen, ein Hund und viel Wald. Wir wollen über Freiheit reden und beginnen doch bei der Unfreiheit. Globale Zusammenhänge, die Verführungen der Gentechnik, die Vorgaben der Gesetzesgeber und etliches mehr sind für Matthias Sonnleitner aber vor allem Gründe, für sich selbst einen anderen Weg zu finden. Seine Lösung bestand schon vor Jahren darin, seinen Hof auf nachhaltige Landwirtschaft umzustellen. Denn bei Bio sagt er, sind die Konsumenten wieder bereit, einen gerechten Preis zu zahlen. Mehr noch: Immer mehr Konsumenten interessieren sich wieder für das, was sie essen und eine neue Partnerschaft zwischen Bauern und Verbrauchern kann entstehen. Ich will wissen, wie groß das wirtschaftliche Risiko gewesen sei, den Betrieb auf Nachhaltigkeit umzustellen und erwarte die typische Antwort vom mutigen, risikofreudigen Unternehmer. Doch da war kein Risiko. Im Gegenteil, es war von Beginn an klar, dass sich die Umstellung für den Gaalkönig auch ökonomisch auszahlen würde. „Jeder Bauer hat die Freiheit, so oder so zu wirtschaften, jeder kann sich frei entscheiden. Ich denke, die Bauern haben sich viel zu lange gängeln lassen“, betont einer, der sich ganz offensichtlich nicht so leicht bevormunden lässt. Und ich frage mich insgeheim, warum andere Bauern andere Entscheidungen treffen ... Damit das Bild vom freien, unbeugsamen Bauern nicht allzu kitschig und idyllisch wird, gilt es jetzt einzuwenden: Der Landwirt kann nicht auf Urlaub fahren, er muss jeden Tag um 6 Uhr früh im Stall stehen und er muss bei „Bauer sucht Frau“ mitmachen. Letzteres trifft auf die Sonnleitners sowieso nicht zu, aber auch die anderen Freiheitsberaubungen lösen sich in Luft auf: „Natürlich fahren wir regelmäßig auf Urlaub, das ist nur Einteilungssache. Schließlich gibt es Verwandte und Freunde, man hilft sich eben gegenseitig.“ Und im Stall sind sie einfach gerne, denn die Arbeit mit den Tieren ist Teil des Lebens, dass sie lieben. Denn das sei, um wieder auf die Freiheit zu kommen, das größte Glück, das alles überstrahlt: Toni’s 11 Das Glück, in ein Land wie Österreich hineingeboren zu werden, dann noch diese wunderschöne Gegend, in der man leben dürfe und als Tüpfelchen auf dem „i“ das Leben als Bauer mit den Tieren und in der freien Natur. Und so fährt der Städter wieder zurück. Damit er sich aufs Ankommen in der Stadt noch freuen kann, zählt er für sich selbst auf, was er am Leben in der Großstadt alles vermissen würde. Und er ist glücklich darüber, dass seine gänzlich freien Entscheidungen für oder gegen Bio-Produkte, artgerechte Tierhaltung und nachhaltiges Wirtschaften ganz offensichtlich eine Bedeutung haben, die über den eigenen Tellerrand hinausreicht. Toni’s „Ich denke, nachhaltige Landwirtschaft ist eine große Chance. Da geht schon viel in den Köpfen vor. Dieses Bewusstsein, dass wir letztlich immer mit der Natur leben und nicht gegen die Natur agieren können, muss aber noch viel stärker werden.“ Matthias Sonnleitner verhaltensforschung VON HÜHNERN & CHARAKTERSCHWEINEN Was lange Zeit als unwissenschaftlich galt, fasziniert Verhaltensforscher zunehmend: Auch Tiere zeigen Persönlichkeit. Ein analytischer Blick auf feige Löwen, durchtriebene Affen und jähzornige Bären. 12 Toni’s verhaltensforschung wildschwein (Sus scofra) löwe (Panthera leo) Charakterzug: altersweise Charakterzug: feige George Clooney lobte sein mittlerweile verblichenes Hausschwein Max immer als ganz spezielles Individuum. Die wilden Artgenossen sind auch nicht alle gleich. Wildschweine haben individuelle Erfahrungen, die sich deutlich in Verhaltensmustern niederschlagen, sagt der Wildbiologe Andreas Grauer von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Junge Bachen etwa ließen ihre Frischlinge an einer Futterstelle verweilen und fressen. Ältere dagegen bringen den Jungen bei, sich eine Rübe zu schnappen und sich dann zum Fressen ins Dickicht zurückzuziehen, weil das sicherer ist. Gelegentlich beobachtet man auch besonders vorwitzige Frischlinge, die bei Fütterungen stets vorpreschen, während die Geschwister vorsichtig abwarten. Generell gelte: je älter, desto vorsichtiger. Löwen haben ein feines Gespür dafür, wann ihnen Gefahr droht – und verstecken sich im Zweifel lieber, als sich dem Kampf zu stellen. Forscher simulierten mit Löwengebrüll aus dem Kassettenrekorder Streit in einem Rudel. Jedes Mal stürmten dieselben Tiere ohne zu zögern auf den vermeintlichen Angreifer zu, während andere Löwen das Geschehen untätig aus dem Hintergrund beobachteten. Allerdings wagten auch einige der feigen Löwen ein paar Schritte in Richtung des Gebrülls, wenn die mutigeren Rudelmitglieder signalisierten, dass sie Hilfe brauchten. 13 Toni’s verhaltensforschung schimpanse (Pan troglodytes) Charakterzug: ehrgeizig, durchtrieben In einer Gruppe von 24 Schimpansen im Zoo von Chester, England, machten einige Affen die Erfahrung, dass sich Vertrauen nicht immer auszahlt. Mehrere Tierpfleger beobachteten unabhängig voneinander, wie besonders durchtriebene Tiere die Gutmütigkeit anderer Schimpansen ausnutzten. Die ehrgeizigen Individuen kamen so zum Beispiel häufiger an besonders begehrte Schlafplätze. Innerhalb der Schimpansengruppe verschaffte ihnen das trotz der unlauteren Mittel gehörigen Respekt und eine hohe Rangstellung. „Der Begriff des Machiavellismus beschreibt dieses Verhalten am treffendsten“, sagt Diane Dutton, die Autorin der Studie. Sehr wahrscheinlich zeigten auch wildlebende Schimpansen ein solches Verhalten. 14 Toni’s 15 indischer elefant (Elephas maximus) Charakterzug: bedächtig, friedlich Elefanten wollen vor allem eins: in Ruhe alt werden, möglichst 50 Jahre. „Darauf richten sie ihr Verhalten aus“, sagt Thomas Hildebrandt vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Die Tiere gehen daher selten Wagnisse ein und vermeiden Kämpfe innerhalb der Herde. Individuen, die den Ernst der Lage verkennen und sich unbedarft zeigen, werden von den anderen Herdenmitgliedern zurechtgewiesen. Zurückhaltung und ein bedächtiges Wesen sind zudem wichtig, da die Tragezeit bei Elefanten mit 22 Monaten extrem lang ist, länger als bei jedem anderen Säugetier. karpfen (Cyprinus carpio) Charakterzug: defensiv Vor allem Fische, die in den ersten Lebenstagen über wenig Futter und wenige Versteckmöglichkeiten verfügten, verhalten sich ein Leben lang auffällig defensiv. Selbst wenn man sie als Jünglinge in eine besonders angenehme Umgebung setzt und sie rasch zur Größe ihrer Artgenossen heranwachsen, die dort eine bessere Kindheit hatten, bewegen sich die leiderprobten Karpfen deutlich vorsichtiger durchs Leben und ordnen sich den anderen Fischen stets bereitwillig unter. Toni’s verhaltensforschung Na typisch! Viele verschiedene Charaktere in einem Rudel sind von entscheidendem Vorteil: Die Tiere können sich Aufgaben leichter teilen und ihren Fortbestand besser sichern. Alfred Brehm war sich seiner Sache sicher. „Zanktüchtig und streitlustig“ sei die Waldeidechse und habe „fast ununterbrochen Händel mit anderen ihres Geschlechts“. Das notierte der berühmte Tierforscher 1876. Über 130 Jahre später bestätigen französische Biologen nun: Zickige Eidechsen gibt es tatsächlich. Am liebsten siedeln sie sich weit entfernt von Artgenossen an. Drängt man ihnen Gesellschaft auf, reagieren sie ganz so wie von Brehm beschrieben. Was der Tierforscher allerdings ignorierte: Nicht jede Eidechse ist gleich. Einige sind geradezu gesellschaftssüchtig und suchen sich ein Revier in engster Nachbarschaft zu ihresgleichen. Ob gesellig oder eher schrullig – die Vorlieben zeigen sich schon kurz nach der Geburt und bleiben ein Leben lang konstant. 16 Nicht nur, wer sich mit Eidechsen beschäftigt, lernt, Charakterunterschiede zwischen den Individuen einer Art zu erkennen. Zwar ist wissenschaftlich fundierte Persönlichkeitsforschung im Tierreich eine noch junge Disziplin. Doch je mehr Tierarten die Forscher untersuchen, desto klarer zeigt sich: Unter Säugern, Vögeln, Fischen, sogar Weichtieren wie dem Tintenfisch gibt es Mutige und Vorsichtige, Neugierige und Passive, Verträgliche und Einzelgänger. Immer offensichtlicher werden die Parallelen zwischen menschlichen und tierischen Charakteren. „Ein introvertierter Mensch verzieht sich auf einer Party allein in eine Ecke, ein schüchterner Tintenfisch versteckt sich in seiner eigenen Tintenwolke“, sagt der Psychologe Sam Gosling, der das weltweit einzige Labor für Tierpersönlichkeit in Texas leitet. „Ein wenige Tage alter Stichling, der sich ohne Zögern einer HechtAttrappe nähert, wird als Erwachsener versuchen, in fremde Reviere einzudringen“, sagt der Biologe Franjo Weissing von der Universität Groningen. Solche Vorhersagen stützen sich auf ein bekanntes Phänomen: haushuhn (Gallus gallus domesticus) Die Persönlichkeit eines Tieres ist Teil einer von der Evolution gut durchdachten Lebensplanung. Mithilfe eines Computermodells untersuchte Weissing zusammen mit seinem Kollegen Max Wolf, welchen evolutionären Vorteil es bringt, wenn eine beliebige Population sowohl aus mutigen als auch aus schüchternen Tieren besteht. „Zuerst scheinen die Mutigen einen Überlebensvorteil zu haben, weil sie neue Nahrungsquellen und Lebensräume finden“, sagt Wolf. Doch ein derart offensives Verhalten fordert Räuber geradezu heraus. Zurückhaltende Exemplare gehen zwar weniger Risiken ein, verpassen dadurch aber vielleicht die Chance ihres Lebens auf gute Nahrungsquellen oder Sexualpartner. Wie also sieht die optimale Strategie aus? Die Antwort ist simpel. Wenn verschiedene Charaktertypen zusammentreffen, kann eine Gruppe auf lange Sicht eher überleben. Die Mutigen vergeuden kaum Zeit mit der Suche nach optimalem Lebensraum oder Nahrung. Sie leben für den Moment und verteidigen ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Individuen pflanzen sich früh fort. Dann haben sie ihre biologische Funktion erfüllt, und meist währt ihr Leben danach nicht mehr besonders lange. Schüchterne Artgenossen können sich eine derart kurzfristige Planung nicht erlauben. Sie bekommen schlechtere Nahrung, und daher dauert es länger, bis sie genug Energiereserven gesammelt haben, um einen Teil davon in die Fortpflanzung zu investieren. Bis dahin gilt es, Gefahren aus dem Weg zu gehen. „Wer noch etwas vom Leben erwartet und viel zu verlieren hat, sollte Risiken meiden“, sagt Wolf. Die gemischte Strategie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich jedes Tier der Gruppe irgendwann fortpflanzt. In den Rocky Mountains setzen Mufflons um, was die Biologen errechnet haben. Eine Feldstudie hat gezeigt, dass mutige Schafe dort früher Nachwuchs bekommen als ihre zögerlicheren Herdenmitglieder. Charakterzug: abergläubisch, ängstlich Während wir Menschen 3-mal auf Holz klopfen, haben auch Hühner ihre ganz eigene Vorgangsweise, um das Glück des guten Eies zu beschwören. Wer jemals gesehen hat, welche Rituale die Hennen vollführen, bevor sie ein Ei legen, wird verstehen, wie einzigartig jede Henne – und damit auch jedes Ei ist: nach dem Legen wird es liebevoll auf ein zurechtgezupftes Nest aus Einstreu gebettet und vorsichtig mit dem Schnabel einige Male gedreht. So viel Liebe – und etwas Magie – schmeckt man dann auch in jedem Ei. Alles in allem eine runde Sache – wäre da nur nicht die Angst vor dem Fuchs, bei der jeglicher Aberglaube versagt – in diesem Fall verzieht sich das ängstliche Huhn doch lieber auf die sichere Sitzstange und verlässt sich darauf, hoch oben nicht gesehen zu werden. *) Einige Charakterzüge sind zu so genannten Verhaltenssyndromen gekoppelt. Kohlmeisen, die neue Gegenstände in ihrer Umgebung besonders neugierig untersuchen, attackieren Artgenossen häufiger und treten Fressfeinden unerschrockener entgegen. Entscheidungen treffen sie deutlich schneller als schüchterne Vögel. Die Kühnheit lässt sich physiologisch messen. Neugierige und aggressive Individuen haben mehr Testosteron im Blut, dafür weniger des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Unterliegen die Kämpfernaturen einem Artgenossen, steigen Blutdruck und Adrenalinspiegel stärker an als bei einem zaghaften Tier. Text: Katrin Blawat, Süddeutsche Zeitung 09/2007 / Fotos: Andrew Zuckerman „SV Bilderdienst“, *) mit Ausnahme von *) Toni’s verhaltensforschung info noch mehr tiere „Wild Animals“ von Andrew Zuckerman, Knesebeck Verlag giraffe (Giraffa camelopardalis) Charakterzug: friedliebend, dumm „Giraffen besetzen eine Nahrungsnische, die sie mit niemandem teilen müssen“, sagt Thomas Hildebrandt vom Institut für Zoound Wildtierforschung in Berlin. Aggressivität ist den Paarhufern daher meist fremd. Nur wenn Mütter ihr Junges verteidigen oder zwei Bullen um eine brünstige Kuh kämpfen, fl iegen die Hufe und knallen die langen Hälse aneinander. Nach menschlichen Gesichtspunkten sind Giraffen ziemlich dumm. „Um in der Natur zu überleben, müssen Giraffen keine großen kognitiven Leistungen erbringen“, sagt Thomas Hildebrandt. Das bekommt zu spüren, wer die Tiere trainieren will. Alle Übungen müssen immer nach dem gleichen Schema ablaufen. „Man kann nicht erkennen, dass Giraffen bei einer Aufgabe schnell begreifen, worum es geht“, sagt der Berliner Tierarzt. 17 zwergplumpori (Nycticebus pygmaeus) Charakterzug: konzentriert Plumploris springen nie, sondern steigen wie in Zeitlupe in Baumkronen umher, wenn sie Nahrung suchen. Aufgrund dieser extrem langsamen Bewegung sind die Zwergplumporis für ihre Feinde nahezu unsichtbar. Wenn die 20 Zentimeter langen Primaten bedächtig von Baumkrone zu Baumkrone klettern, hat das also wenig mit Faulheit oder Trägheit zu tun. Plumploris sind in Wirklichkeit schlau, weil sie ihre Welt ganz konzentriert und ruhig erkunden, ohne aufzufallen. Toni’s slow food SLOW FOOD ODER DIE FREIHEIT DES GENIESSENS. Warum wir unsere Freiheit als Konsumenten fast schon verloren haben, wie wir sie uns zurückholen können und was Slow Food dazu beiträgt. 18 Z u Weihnachten wäre eine Topinambur-Cremesuppe am Menüplan gestanden. Leider habe ich Topinambur in Graz in keinem einzigen Supermarkt bekommen. Dort wusste auch niemand, was Topinambur eigentlich ist. Topinambur ist nichts Exotisches: Die Knollen bildende Pflanze war im 17. und 18. Jahrhundert in Europa sehr beliebt. Sie wurde bloß von der ertragreicheren Kartoffel verdrängt. Topinambur ist ein Beispiel dafür, wie in unserer Esskultur Vielfalt verloren geht. Masse und Einfalt verdrängen Klasse und Vielfalt. In Österreich werden rund 90 % aller Lebensmittel in Supermärkten gekauft. Es liegt in der Natur von Handelsketten, dass sie nur Waren anbieten, die von vielen Menschen nachgefragt werden. Ihr Angebot repräsentiert damit den Durchschnittsgeschmack und abseits dieses Durchschnitts bleibt immer weniger übrig. Ist es ein Problem, wenn wir uns alle nur noch von Fertigmenüs und im Labor designten Lebensmitteln ernähren? Ja, denn Essen bedeutet nicht nur Ernährung, Essen ist ein Kulturgut. Wir verlieren zunehmend unsere über Jahrhunderte hoch entwickelte Geschmackskultur und bekommen stattdessen Einheitsgeschmack serviert. Dieser Verlust an Vielfalt ist auch ein Verlust an Freiheit. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde Slow Food gegründet. Slow Food versucht durch Informationsarbeit, Verkostungen, Geschmacksschulungen und Veranstaltungen bei Erwachsenen und Kindern das Bewusstsein für Qualität, Aroma, Duft und Geschmack von originalen Produkten zu schärfen und so die Vielfalt des Genießens zu retten. Dabei setzt man nicht auf den mahnenden Zeigefi nger, sondern auf Lebensfreude Toni’s – kein Wunder, denn Slow Food wurde in Italien gegründet. Slow Food-Mitglieder wissen, dass ihre wichtigste Stärke darin besteht, als Konsumenten die Nachfrage nach dem Besonderen aufrechtzuerhalten. Statt schnell im Supermarkt einzukaufen und dann lange vor dem Fernseher zu sitzen, wird das Einkaufen zur lustvollen Freizeitgestaltung. Man besucht Lebensmittelhandwerker, mit denen man sich stundenlang über das Genießen unterhalten kann, forscht nach raren Spezialitäten und zelebriert das Essen in bedächtiger Langsamkeit. Slow Food-Mitglieder sind bewusste Konsumenten, die ihren Genuss nicht einfach in Hauben bemessen. Bio, Gentechnikfreiheit und Tiergerechtigkeit sind der Genusskultur à la Slow Food ebenso wichtig wie der unverfälschte Geschmack jeder Region. Es ist also nur logisch, dass Slow Food Styria auch Toni’s Freilandeier empfiehlt. 19 Slow Food Styria empfiehlt Toni’s Freilandeier – unter anderem deshalb, weil uns auch Raritäten wie Babette am Herzen liegen: besondere Eier, die einen Beitrag zur Vielfalt, zur Genusskultur und zur Erhaltung alter Rassen leisten. Denn Babette beweist, dass es auch bei Hühnereiern einen Variantenreichtum gibt, den man bewahren sollte. info babette – feine bio-eier in etwas anderer schale siehe auch Seite 29 info slow food – internationale bewegung zur wahrung des rechts auf genuss Slow Food wurde 1988 anlässlich der Eröffnung des ersten Fast Food Restaurants in Rom gegründet. Heute zählt Slow Food 80.000 Mitglieder in über 100 Ländern, betreibt eine eigene Universität und verfügt über einen Sitz in der FAO, der Ernährungsorganisation der UNO. Mehr über Slow Food gibt es unter www.slowfoodaustria.at und www.slowfood.com Vor langer, langer Zeit fanden Missionare in Südamerika Hühner, die Eier mit grüner, blauer, dunkelbrauner, manchmal auch rosafarbener Schale legten. Sie brachten einige Hühner nach England, wo sie mit alten englischen Hühnerrassen gekreuzt wurden. Und jetzt haben wir sie für uns entdeckt: Die Grünleger oder Schwarzleger (Toni nennt sie „Babette“) legen zwar weniger Eier, aber wir lieben sie genauso wie jedes andere Huhn auch. Sie sind besonders kräftig und lebhaft, und sie legen Eier mit einer hellgrünen oder kakaobraun gesprenkelten Schale und einem etwas größeren Dotter mit kräftiger, gelber Färbung. Deshalb sind sie besonders feine Frühstückseier und hervorragend zum Kuchenbacken geeignet. Toni’s 20 Toni’s FREIRAUM 21 Toni’s 22 Toni’s Szenen aus einem Gespräch zwischen einem Markenentwickler, einem Hühnerbauern und einem Intendanten. EIN STÜCK VON DER FREIHEIT. aufgezeichnet von tobias federsel Wisst ihr, wann ich das erste Mal Freiheit empfunden habe? Als sie mir fast genommen wurde! Für jeden ist Freiheit selbstverständlich. Aber damals, als ich meine Hühner ins Freie gelassen habe, obwohl noch die behördliche Stallpflicht gegolten hat, da wurde mir ja sogar Gefängnis angedroht. Und wenn du Vorkehrungen triffst, schon die Koffer packst, schon Anweisungen gibst, wer die Geschäftsleitung übernimmt, dann weißt du, was Freiheit ist. TONI HUBMANN: Ja, man muss die Freiheit meistens erst vermissen, um sie zu erkennen. Ich war noch vor der Wende eine Zeit lang in Moskau. Dort haben damals strengste Regeln geherrscht! Und ich habe die Freiheit, die ich hier eigentlich immer schon hatte, erst verstanden, als ich aus Moskau wieder zurückgekommen bin! Man vergisst Freiheit leider und muss sie immer wieder neu entdecken. Wobei ich mich erinnern kann, dass ich hier auch nicht immer jede Freiheit hatte: meine Mutter hat einmal MICHAEL SCHILHAN: Toni’s gemeint, ich darf nicht mit dem Plastiksackerl von einem bestimmten Supermarkt einfach so zum anderen gehen. Das gehört sich nicht. FRANZ HIRSCHMUGL: Hm, die Freiheit ist eben oft stark bestimmt durch die Abhängigkeit von Konventionen. Die Überwindung der Peinlichkeit – das kann schon Freiheit bedeuten. So etwas wie: Ich stelle mich vor 1.000 Leute und halte eine Stunde lang ein Referat. Damit nehme ich mir die Freiheit, meine Versagensangst zu überwinden, oder? 23 ein stück von der freiheit michael schilhan Geboren 1964. Aufgewachsen im Mürztal. Theater- und Opernregisseur, mehrere Studienaufenthalte in Moskau, Lehraufträge in Osaka und Taipeh, international ausgezeichnet und nun Intendant des bekannten Grazer Jugendtheaters Next Liberty. toni hubmann 24 Guter Punkt! Ich war früher Schauspieler. Sieben Jahre lang. Und ich bin daran gescheitert, dass mich der Text eingeschränkt hat. Ich habe das einfach nicht gepackt! Jetzt bin ich seit 15 Jahren Regisseur. Eine freie Rede halten, kann ich zwar. Aber Protokolle machen mich noch immer narrisch. HUBMANN: Weil Protokolle Konventionen sind? SCHILHAN: Genau! Ein Geschichte aus meiner Jugend: Meine Eltern hatten eine Tankstelle mit einer Jukebox. Und einmal zu Allerheiligen haben so ein paar junge Leute bei uns dann mal eine Platte aufgelegt und getanzt. Für meine Eltern ist eine Welt zusammengebrochen. Wie kann man zu Allerheiligen tanzen? Versteht ihr? Überwindung von Konventionen – das ist Freiheit. HUBMANN: Mut ist also ein wichtiger Bestandteil von Freiheit. SCHILHAN: Das Überwinden von Barrieren, Konventionen und Abhängigkeiten braucht immer Mut. Aber wisst ihr, was erschütternd ist? Wir erziehen unsere Kinder gar nicht mehr zum mutigen Widerstand, sondern zu einer ... na ja, man kann eigentlich fast schon sagen, zu einer postmodernen Beliebigkeit. Aber das ist ja auch kein Wunder! Denn wer seine Kinder widerständig erzieht, läuft früher oder später ja Gefahr, dass er selbst Ziel des Widerstandes wird. Und wer will das schon? Schon Aristoteles hat gesagt: „Wer die Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zurecht ein Sklave.“ HIRSCHMUGL: Mit anderen Worten: Umso mehr Sicherheit du dir gibst, desto mehr Freiheit nimmst du dir. HIRSCHMUGL: Was meint ihr: Woher kommt denn die Energie, für Freiheit zu kämpfen? SCHILHAN: Ich würde sagen, die entwickelt man schon in der Kindheit. SCHILHAN: Toni’s Geboren 1957, Studium in Wien und Konfrontation mit Wiener Künstlern, schließlich Abbruch des Studiums und Umorientierung der elterlichen Landwirtschaft hin zur artgerechten Nutztierhaltung. Erst mit Schafmilchjoghurt, dann mit Freilandeiern. franz hirschmugl Geboren 1960, 10 Jahre bei der Kleinen Zeitung, Gründer der Agentur „Peter & Der Hirsch“, schließlich Besinnung auf den Gedanken „die Marke als emotionale Ausformung von Strategie“ und Gründung des Instituts für Markenentwicklung in Graz. ein stück von der freiheit 25 Ich kann dir da nur beipflichten. Mein Großvater war ein Patriarch. Der hat seine Söhne ordentlich zugerichtet. Ich habe mir damals gesagt: so nicht! Nicht bei mir. Wobei mir jetzt auffällt – ich hab mich eigentlich nur um meine eigene Freiheit gekümmert ... Die der anderen war da für mich kein Thema. Hm, ich glaube ja, das ist eine Luxusfrage – die allgemeine Freiheit. Wenn meine Bedürfnisse einmal befriedigt sind, dann kann ich darüber nachdenken, wie es zum Beispiel den Tieren geht. Wenn ich aber große Bedenken habe, selbst überhaupt genug eigenes Essen zu bekommen, dann ist mir die Freiheit der anderen wahrscheinlich egal. Also, je existenzieller deine Bedingungen sind, desto weniger hast du Wertschätzung gegenüber anderen Menschen oder Tieren ... HIRSCHMUGL: Grosses Veto! Ich glaube, dass wir in einer absoluten BeliebigkeitsÄra leben. Es ist uns so etwas von egal, wie es dem anderen geht! Ich glaube, dass die HUBMANN: Menschen keine echte Solidarität mit deinen Freilandhühnern spüren, sondern ihre Eier essen, weil sie denken, dass es gesund für sie ist. Ich glaube also, dass gerade Toni´s Freilandeier im Grunde einen großen Eigennutzen für die Menschen haben – weil „Am Hohen Atlas, eineinhalb Meter Schnee und im Haus wird mit den acht Hühnern Tee getrunken, als ob sie Familienmitglieder wären.“ sie einfach gutes Essen haben wollen. Ich war in Gegenden, wo die Leute wirklich arm sind. Zum Beispiel in Marokko. Und überraschenderweise bringen die Menschen aber gerade dort ihren Tieren eine unglaublich große Wertschätzung entgegen! Am Toni’s Hohen Atlas, eineinhalb Meter Schnee und im Haus wird mit den acht Hühnern Tee getrunken, als ob sie Familienmitglieder wären. Und wie ist das bei uns? Bis jetzt – über Jahrhunderte hin – war der Gedanke immer: „Hoffentlich geht’s der nächsten Generation besser.“ Wir sind die erste Generation, die sagt: „Hoffentlich geht’s der nächsten Generation nicht schlechter.“ Das ist doch ein unglaubliches Zeichen von Dekadenz und beweist, dass der Kampf für das Wohl anderer nicht mit dem Luxus kommt. Na Moment, ich bin seit 20 Jahren in diesem Geschäft und habe schon genug interessante Menschen kennen gelernt, die sich sehr wohl um das Wohl anderer Gedanken machen. Aber ja, natürlich gibt es auch die Selbstdarsteller, die jede Gelegenheit nutzen, um in der Zeitung zu stehen. HIRSCHMUGL: Wir leben halt in einer Mediokratie. Und Abhängigkeit von den Medien ist heute wahrscheinlich der größte HUBMANN: ein stück von der freiheit 26 Freiheitsentzug in unserer Gesellschaft. Die Hubmanns, die Zotters, die Stauds – das sind einfach Menschen und Unternehmen, die nicht korrupt sind. Und diese Unabhängigkeit von den Medien – das klingt vielleicht esoterisch – überträgt sich auch auf das Produkt. Das sind dann „freie“ Produkte. Politische Aussagen passieren heutzutage nicht mehr, ohne dass man darüber nachgedacht hat, wie ich damit landen könnte. Würden so Unternehmen wie deines nicht erfolgreich sein und zeigen, dass dieser Weg der Unabhängigkeit auch heutzutage noch möglich ist, würde ich mir Sorgen um meine Kinder machen. In gewisser Weise bist du daher ein Hoffnungsschimmer für die Menschheit, Toni! HUBMANN: Wobei ich bei Fototerminen schon auch drauf schau, dass ich geschnäuzt bin. Das ist mir schon wichtig. HIRSCHMUGL: Ja, aber du bist im Inhalt nicht veränderbar. Und das ist das Besondere! Natürlich kann auch in einer Mediokratie jeder so sein wie er will. Ich könnte jetzt auch aufstehen und gehen und sagen: „Mir ist das zu blöd mit euch.“ Aber die Abhängigkeit von dem, was andere dann über einen sagen, ist die schwere Hypothek unserer Zeit. SCHILHAN: Freiheit braucht also Mut, aber noch etwas Wichtiges: Zeit! Ich hatte mal einen Auftrag für ein Stück. Eine einzige Aufführung. Und der Auftraggeber wollte wissen, wie lang das Stück ist und wie viel die einzelnen Schauspieler in der Stunde verdienen. Er wollte doch tatsächlich ein Theaterstück nach Zeit berechnen. „Die Abhängigkeit von dem, was andere dann über einen sagen, ist die schwere Hypothek unserer Zeit.“ Na, wenn wir unsere Hühner nach Arbeitszeit bezahlen würden, wäre das praktisch: fünf Minuten Arbeit am Tag. HIRSCHMUGL: Die Folge wäre sicher eine Hühnergewerkschaft, die sich dagegen auflehnt. HUBMANN: Du, im Grunde haben wir ja eine Hühnergewerkschaft. Von den Wissenschaftlern haben wir vor Jahren schon genau erklärt bekommen, was ein Huhn in der Natur so braucht. Ein Nest zum Beispiel. Und warum? Ein Hendl legt das Ei in ein Nest und dort wird es dann herumgerollt. Ganz einfach, damit das Kücken gut wachsen kann. Was ein Huhn also unbedingt braucht, ist die Möglichkeit, das Ei drehen zu können! Sonst wird es ganz nervös. Na und deshalb schauen wird eben drauf, dass HUBMANN: Toni’s es alle diese Dinge machen kann. Würden wir nur die staatlichen Vorgaben erfüllen, wäre das dramatisch. Also sind wir sozusagen unsere eigene Hühnergewerkschaft. Wir erfüllen die Grundbedürfnisse der Hühner. Und geben ihnen damit ein Stück Freiheit. HIRSCHMUGL: Beim Menschen, glaube ich, ist die Freiheit kein Grundbedürfnis, sondern eher eine Grundsehnsucht. Und zwar eine, die schwer zu befriedigen ist, weil das ja Arbeit bedeutet. Ein typisch österreichischer Zugang ist, ständig von der Sehnsucht zu reden, aber ja nichts beizutragen, dass sie jemals erfüllt wird. Da fällt mir dieser jüdische Witz ein. Von dem Mann, der in der Lotterie gewinnen will und dazu den Himmelsvater anbetet. Nach 40 Jahren geht der Himmel am Freitagabend auf und der Himmelsvater sagt: „Gib mir doch wenigstens eine Chance: Kauf dir ein Los.“ Ich glaube, dass viele Menschen sich kein Los kaufen auf dem Weg zur Freiheit. SCHILHAN: Freiheit braucht also noch mehr als Mut und Zeit: Freiheit braucht einen Willen! HIRSCHMUGL: ... einen Willen, Dinge zu ändern! Sie anders zu machen! SCHILHAN: Es gibt ja so viele Bereiche im Leben, die man mit Freiheit füllen könnte! HUBMANN: Apropos füllen: Habt Ihr Hunger? 27 Toni’s Henne Classic 28 Haushuhn. Weltberühmt in Österreich. Toni’s Babette I. 29 Ziemlich selten. Legt Eier mit besonderer Schalenfarbe und feinem Geschmack. Toni’s mehr auf Seite 19 soziologie AUS PRINZIP FREI Österreichs berühmtester Soziologe Roland Girtler lebt die Freiheit, die viele meinen. Und er macht nicht einmal ein großes Geheimnis daraus, wie man das schafft. 30 Wenn man einen älteren Herrn fragt, was Freiheit ist, sprudeln die Lebensweisheiten in der Regel nur so aus ihm heraus. Stellen Sie sich vor, wie das erst bei Roland Girtler, dem wortgewaltigen Spezialisten für Randkulturen und erfolgreichen Buchautor ist. Er hat selbst beschlossen, alt zu sein. Mit fünfzig. Und das nur aus einem Grund: genauso war es damals: Da musste man kämpfen, geheim rauchen, über die Mauer steigen für ein Mädel. Heutzutage ist praktisch alles erlaubt. Es fehlt an Grenzen, an Disziplin. Und deshalb fällt es den Menschen auch so schwer, sich frei zu fühlen.“ „Ich wollte frei sein.“ Lektion zwei: Disziplin. „Die Leute wollen immer jung bleiben, da fängt die Unfreiheit schon an“, sagt der originelle Wissenschaftler. Freilich, sein Weg zum Vagabunden, zum Lohnschreiber, Nachdenker, Beobachter und Intellektuellen begann schon viel früher. Mit acht eigentlich. „Damals hab ich die Sirene zu Hause in Spital am Pyhrn eingeschaltet. Die Feuerwehr marschierte in voller Ausrüstung auf und mein Vater hat mir so eine gewaltige Watschn verpasst, dass ich gewusst hab: Das mach ich nie wieder.“ Roland Girtler steht im Wohnzimmer des Elternhauses, blickt einer an der Decke hängenden Wildererfigur ins Auge und wirft die Bälle durch die Luft. Zuerst drei. „Das kann fast jeder.“ Dann vier. „Das können nur mehr sehr wenige.“ Er selbst habe Monate gebraucht, um das Jonglieren zu beherrschen. Der erste Ball kollert über den Fußboden. Beim zweiten Versuch geht’s schon dahin. „Ich fahr mit dem Radl auf einen Berg, den Hengspass zum Beispiel. Dort steh ich dann und werfe die Bälle dreißig Minuten lang. Das ist auch Freiheit. Oder, was sagn Sie dazu?“ „Was sagn Sie dazu“, sagt Girtler oft. Aber es klingt weniger wie ein Tick, als nach ehrlichem Interesse. Es ist ihm nicht egal, was andere denken. Worte sind wie seine Spielbälle. Er jongliert mit ihnen. Versucht sie einzufangen, loszulassen. Er hört zu. Die erste Lektion auf dem Weg zur Freiheit: Regeln. Klare Regeln. Girtler ist heute 66 Jahre alt. Er wuchs als Sohn eines LandärzteEhepaars in Oberösterreich auf. Am Fuße des Schwarzenberges, gleich hinter dem Bosruck. Er sitzt im Wohnzimmer seines Elternhauses. Vor sich eine Tasse Tee mit Milch. Er spricht schnell, als versuche er jeden einzelnen Gedanken einzufangen. Dazwischen läutet immer wieder das Handy mit der Titelmelodie von „Ghostbusters“. Er sagt: „Man hört von hier die Pyhrnautobahn kaum. Dafür aber die Lawinen im Winter. Das gefällt mir.“ Die Sommermonate verbringt er immer noch daheim. Umgeben von Geschichten über Bauernaufstände, Wildererlegenden und viel Pioniergeist. Er erinnert sich: Seine Familie genoss in der Gegend hohes Ansehen, „Ärzte waren etwas Besonderes am Land“. Für die Kinder war das trotzdem kein Freibrief. „Wehe, wenn wir nicht gegrüßt haben.“ Keine Frage, dass früher vieles schwieriger war. „Andererseits ist nur eine Gesellschaft, in der alles verboten ist, wirklich interessant. Und Girtler ist nicht nur bekannt für seine Bücher und seine Abenteuer bei Gaunern, Hooligans und Straßenkindern. Er ist auch bekannt für seine Gedanken. „Und die sind ständig in Bewegung, weil ich mich selbst immer in Bewegung halte.“ Sein Denksport ist Rad fahren. Erst kürzlich kehrte er von einem Vortrag in Nürnberg zurück. „Ich bin mit dem Radl hingefahren und zurück über den Bodensee. Einmal im Jahr fahr ich 14 Stunden durch, 220 Kilometer von Spital nach Wien.“ Er war Anfang dreißig, als er begonnen hat, sich herauszufordern. „Als die Kinder keine Wochenendausflüge mehr machen wollten, hab ich mich für Kletterkurse angemeldet, ein Eistraining absolviert. Da habe ich gelernt, was passiert, wenn man in eine Gletscherspalte stürzt, wir mussten sogar absichtlich abstürzen.“ Die dritte Lektion: Überwindung. Toni’s 31 info kurzbiografie roland girtler 1941 in Wien geboren. Studierte ab 1967 Ethnologie, Urgeschichte, Philosophie und Soziologie. 1979 habilitierte er sich an der Universität Wien. Anfang der 70er Jahre betrieb er Feldforschung in Indien, beschäftigte sich mit zahlreichen Randgruppen (Dirnen, Sandler, Ganoven), erforschte die Kultur der Bergbauern, Schmuggler, Polizisten, der Landler in Siebenbürgen, der Landärzte, Klosterschüler und Wilderer. Der originelle Forscher wurde außerdem bekannt durch seine 10 Gebote der Feldforschung. Toni’s 32 Zu Hause in Spital am Pyhrn. Toni’s Mir ist mein Büro egal. Aber meine Freiheit nicht. „Der Körper und der Geist, diese beiden müssen gesund sein, sonst wird das mit der Freiheit nie etwas.“ Dennoch versteht Girtler das „Gesundheit“-Wünschen der Leute eigentlich nicht. „Denn warum wünscht man sich Gesundheit, wenn etwas andres viel wichtiger ist?“ „Das Wichtigste im ganzen Leben ist nämlich eigentlich das Glück und nicht die Gesundheit. Auf der Titanic waren sie auch alle gesund und sind gestorben. Sie hätten mehr Glück gebraucht.“ Also Punkt vier: das Glück. Girtler beruft sich auf den griechischen Gott Kairos, den Gott des günstigen Augenblicks („Der wacht über unser Haus“), und erzählt: Der Verkehrsunfall im Jahr 1966 gehöre zu seinen Schlüsselerlebnissen. Er habe ihn geprägt, sein Leben bestimmt. „Nach einem Zusammenstoß mit einem Mercedes bin ich 31 Meter durch die Luft geflogen. Ohne Helm. Ich landete quasi direkt im Wiener AKH.“ Dritte Klasse mit 25 anderen im Saal. Das Schicksal spann weiter seine Fäden: „Neben mir lag der Chef der Wiener Bordelle, der Gürtel Ederl, und der hat einer Krankenschwester angedroht, wenn sie nicht netter zu mir wird, riskiert er einen Fuchzehner.“ Fünfzehn Jahre Gefängnis für einen Schlag auf den Kopf mit der Urinflasche. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Der Beginn seiner Karriere. Nur wegen dieses Erlebnisses brach Girtler das Jusstudium kurz vor dem Ende ab und wurde Ethnologe, Spezialist für Randgruppen und die Sprache der Gauner. Das machte ihn schlagartig berühmt. Seit damals, also mehr als 30 Jahren, war er eigenen Angaben zufolge in keiner Bank mehr. „Nicht aus Hochmut, sondern weil ich meinen Forschungen folgte, mit allen Sinnen. Ich war gemeinsam mit meiner Frau bei Huren zum Abendessen eingeladen, bin mit PolizeiFunkstreifen mitgefahren und hab bei den Sandlern gelebt. Ich hatte das Glück des günstigen Augenblicks, ohne dem gar nichts funktioniert. Schon gar nicht das Erlangen von Freiheit.“ Lektion fünf: Bestimmung. Wie überall im Leben müsse man auch als Völkerkundler und Soziologe gewissermaßen Glücksritter sein, wolle man es zu etwas bringen. „Aber es ist ein gewaltiger Blödsinn, wenn einer sagt, es gehe nichts, da gebe es keine Perspektiven in der Forschung. Ich hab eine Kollegin, die hat Urgeschichte studiert. Ich meine, Urgeschichte. Heute ist sie bei Siemens ein hohes Viech. Und warum? Weil sie gearbeitet hat. Und zwar sehr hart. Auch ich habe in meinem Leben viele langweilige Aufsätze geschrieben, aber ich habe zum Glück schnell erkannt, dass man sich durchbeißen muss. Man muss zu den Menschen, um wirklich etwas zu erfahren. Ich mag die kleinen Leute, da lernt man am meisten. Das kostet aber auch viel Mühe. Ich habe mein Studium in Wien selber fi nanziert, indem ich Gemüse für die Naschmarkt-Standler ausgeführt habe. Und dadurch habe ich viele Obdachlose kennen gelernt. Ich war dadurch der erste, der erkannte, dass es sich dabei um eine eigene Kultur handelte. Heute laden sie mich sogar ins Bundeskriminalamt nach Wiesbaden ein, damit ich den Beamten etwas von der Seele der Schmuggler berichte, von Randkulturen und Ausgestoßenen. Aber mein Wissen habe ich nicht, weil ich viel aus dem Fenster schaue. Ich habe gearbeitet. Ich arbeite immer.“ Fazit: „In den Tag hineinleben, dem Müßiggang frönen, das geht nicht. Man muss an seinem Geist arbeiten – an seinem Körper. An allem. Wer das nicht tut, der wird die Freiheit nicht erlangen. Die innere schon gar nicht.“ Der sechste Schritt zur Freiheit: Arbeit. Und doch gibt Girtler zu, dass auch der einsamste Weg zur Freiheit nicht allein zu bewältigen ist. „Nein“, sagt er, „alleine wäre das nicht gegangen. Meine Berühmtheit, über die ich im Übrigen immer noch ziemlich staune – die verdanke ich vor allem meiner Frau.“ Das bringt ihn noch auf eine finale Idee: „Jeder auf der Uni könnte ein schönes Leben führen. Die wenigsten tun es. Warum? Weil sie wie die meisten Menschen ein gebrochenes Verhältnis zur Zeit haben. Sie wissen nicht mehr, was wirklich wichtig ist und glauben deshalb, es mangle ihnen an Zeit, mit dem Effekt, noch weniger davon zu haben.“ Girtler war stets Zuhörer, Zuseher, „ein kleiner Schreiberling“ wie er feststellt. Spontan sagt er: „Ich habe mich nie vorgedrängt, war nie Studentensprecher oder so etwas. Ich war immer ein kleiner Fisch.“ Er lacht. „Kleiner Fisch ist gut. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf komme, aber ein großer Fisch war ich ja sicher nie. Was ich damit eigentlich sagen will, ist: Allein schafft man nichts. Man braucht immer Menschen, die einem nahe sind. Es kommt allerdings auch darauf an, ob man die wirklich wichtigen Momente erkennt.“ Die Zeichen der Zeit. Seine Frau hat er bei einem Krampuskränzchen kennen gelernt. „Ohne sie bin ich nichts“, betont er noch einmal. Trotzdem könne er sich eines nicht vorstellen: „Dass ich eines Tages ganz zu Hause bleiben werde. Ich halte nämlich nichts von der Pension. Vor einiger Zeit fragten mich die Kollegen, wann ich in Rente gehe. Sie wollten mein Büro. Am nächsten Tag steckte ich einen Zettel an die Tür. Meine Sprechstunden fi nden ab sofort im Cafe Landmann statt. Manche meiner Vorlesungen auch. Mir ist mein Büro egal. Aber meine Freiheit nicht.“ Toni’s 33 34 Die Idee: Mode, an deren Schönheit man sich erst gewöhnen muss. Toni’s mode EIN EI GLEICHT DEM ANDEREN Und was ein Wiener Modelabel dagegen tut. 35 Eine der größten Freiheiten, die sich die vier Wiener Jakob Lena Knebl, Karin Krapfenbauer, Markus Hausleitner und Martin Sulzbacher bisher genommen haben, ist sicherlich der Name ihres Modelabels. Hört man ihn zum ersten Mal, so muss man unweigerlich an einen Scherz denken: „house of the very island’s royal club division middlesex klassenkampf, but the question is: where are u, now?“ Zunächst wird ein Thema ausgewählt. Eine Atmosphäre. Das kann durch Musik genauso inspiriert sein wie durch Arbeiten von anderen Designern. Oft studieren die vier einfach Arbeiten von Avantgardisten wie beispielsweise Yamamoto und lassen sich auf diese Weise an neue Ufer spülen. Schließlich entstehen aus einem Pool von gemeinsamen Inspirationsquellen Ideen, die dann fragmentarisch zusammengetragen werden. Das ist der eigentliche Startschuss. Und tatsächlich. Zu Beginn war es ein Scherz. Auf der Suche nach einem passenden Namen für ihr neues Modelabel haben die vier zunächst einmal versucht, zusammenzufassen, was ihnen wichtig ist. Jeder durfte sagen, was er mit dem neuen Namen ausdrücken wollte. Der Plan war, sich anschließend auf die reduzierte Form von allen diesen Wünschen zu einigen. Dieser Plan ist gleich einmal gehörig danebengegangen. Man konnte sich nicht einigen und benannte sich zum Spaß einmal nach allem, was auf dem Zettel stand. Einerseits nicht sehr klug. Aber andererseits bahnbrechend. Denn die Entstehung dieses ungewöhnlichen Namens war gleichzeitig auch so etwas wie der Prototyp für die Arbeitsweise, in der in den folgenden Jahren Mode entstehen sollte. Von da an wird gefeilscht. Diskutiert. Man hinterfragt die Arbeit des anderen und verwirft im selben Moment die eigenen Ideen. Ein anderer fängt sie auf und verändert sie, um sie dann wieder erneut ins Gespräch zu bringen. „Wir raufen uns einfach zusammen“, sagt Jakob Lena Knebl dazu. Dabei blitzen seine Augen auf. „Jede Idee durchläuft diese Streitphase über mehrere Stufen und wird dadurch geschärft.“ Klingt einleuchtend. Aber wo ist da die Freiheit des Einzelnen? „Unsere Lösungen sind immer ein Kompromiss. Aber mit Menschen, die man mag, findet man gerne Kompromisse,“ wirft Markus Hausleitner ein. Und wenn einem die Idee des anderen partout nicht gefällt? „Umso besser“, so Jakob Lena Knebl, „denn genau das ist der Kern unserer Arbeit: Wir verschieben Schönheit! Schönheit ist ein Konstrukt. Was zuerst grässlich ist, gefällt dir dann plötzlich. An der Schönheit kann man am besten sehen, wie konstruiert wir sind.“ „Design ist geschmäcklerisch“, ist man überzeugt. Dem trägt auch der kreative Ablauf im Team Rechnung: Toni’s 36 „Lach der eigenen Phobie ins Gesicht.“ „house of the (...)“ haben das Ziel, Aversionen aufzubrechen. Man setzt sich mit dem vermeintlich Hässlichen auseinander, um es so lieben zu lernen. Der eigene Geschmack auf dem ewigen Prüfstand. Ein Prozess, der einerseits kein Ende kennt, da das Verhasste, nachdem es zum Geliebten wird, ja wieder an Sinn verliert. „Andererseits“, meint Markus Hausleitner, „erlaubt es diese Art der Inspiration aber auch, Dinge wieder abzuschließen. Geschmack kommt und geht. Es sind viele Stufen in einem ewigen Prozess. Und jede Stufe für sich hat einen Anfang und ein Ende. Ich kann mich erinnern, einmal eine Hardcore-Techno-Kollektion gemacht zu haben. Ich habe mich reingehört und reingesteigert in den Quatsch. Bis ich es mochte. Dann habe ich das beendet.“ Bei „house of the (...)“ lässt man sich oft von Musik inspirieren. Nur derzeit sei es schwierig, gibt man zu verstehen. Es gäbe zwar viel Neues, aber nichts Bewegendes. Bei den letzten Arbeiten ging es daher um Handwerkklischees. Die Kollektion trug einen tschechischen Titel, den noch immer keiner der vier richtig aussprechen kann. Aber wozu auch. Mode trägt man, man spricht sie nicht. Übersetzt hieß die Kollektion „Butterbrot, Tomate und der Hut“ – angeblich. Aber das weiß keiner so genau. Jedenfalls war dieser Titel genau jene „Ver- dichtung von Inspirationen“, für die das Label steht. Für Markus Hausleitner war die Quelle seiner Ideen ein abgeschlagenes Häferl aus Krumau. Es ging ja angeblich um Kafka. Mehr oder weniger. Aber auch da ist man sich nicht so sicher. Lässt man sich von Küchenutensilien und elektronischen Rhythmen inspirieren, scheint künstlerische Freiheit greifbar zu sein, doch wie sieht es aus, wenn man sich durch Arbeiten von Kollegen beflügeln lässt? Wie frei ist man im Kopf, wenn man von der Mode anderer wegarbeitet? Die Antwort kommt zwar zögerlich, aber umso überzeugter: „Die Euphorie, die deine Inspirationsquelle in dir auslöst, wächst ja in dein neues Werk mit hinein. Deine persönliche und einzigartige Emotion wird Teil der neuen Arbeit und das macht diese dann wieder einzigartig.“ Den Vorwurf, Plagiate zu erzeugen, muss sich „house of the (...)“ aber sowieso nicht anhören. Die Methode, Grenzen zu studieren, um sie dann konsequent aufzulösen, schafft unweigerlich Neues. Schon allein durch die ungewöhnlichen Schnittkonstruktionen. Linien werden einfach aufgelöst. Klassische Merkmale beinhart verschoben. Gerade das ist eine der wesentlichsten Techniken – schließlich lautet doch das gemeinsam defi nierte Ziel, Mode für den Transgender-Liebhaber zu entwerfen. Toni’s mode Lerne die Regeln, um sie zu brechen. Ein altes, aber gutes Motto. „Am meisten Einengung in unserer Arbeit empfi nden wir übrigens nicht beim Entwerfen, sondern bei der Auswahl der Materialien.“ Man legt Wert auf organische Stoffe, die fair produziert werden. Leider steckt die Modeindustrie in diesem Bereich noch in den Kinderschuhen. Eine ganze Branche von Vordenkern hat es nicht geschafft, einen ökologischen oder zumindest humanistischen Mindeststandard festzulegen. Für „house of the (...)“ ist das Prinzip des Fair Trade jedenfalls ein Grundprinzip. Man produziert vorwiegend in Wien und da in enger Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Verein Wiener Volkshilfe oder sozialprojekte.com. Natürlich macht es die Mode nicht billiger, aber dafür umso wertvoller. „Wirtschaftlichkeit ist überhaupt ein heikles Thema“, erzählt Jakob Lena Knebl. Mit der absoluten Freiheit ist es da schnell vorüber. Schnell produzieren, günstig produzieren. Und wer größere Labels beliefern will, der muss sich auch noch den Mund verbieten lassen. Für „house of the (...)“ gilt daher auch hier: Trotz oder gerade wegen der Reglementierungen, die diese Branche mit sich bringt, liegt der Spaß ja hauptsächlich im Brechen oder zumindest Unterwandern dieser Regeln. Gerade in Zeiten wie heute. Mode ist mittlerweile ein Ausdruck eines Status. Die Experimentierfreude ist verloren gegangen. In den Achtzigern waren die, die anders sind, die Helden. Freaks waren das Besondere. Heutzutage will man sehr erkennbare Mode tragen. Marken, Material, Stil – Konformität ist das neue Statussymbol. Jung rebelliert nicht mehr. Dazu Jakob Lena Knebl: „Sieht man sich Musikvideos von früher an – die Sänger von damals würden heutzutage nicht mal mehr hinter der Bühne arbeiten dürfen.“ Was die weibliche Emanzipation seit über hundert Jahren mühsam zu erkämpfen versucht, will „house of the (...)“ nun mit einem Schlag erreichen: Es soll keinen Unterschied zwischen Mann und Frau mehr geben. info house of the very island’s royal club division middlesex klassenkampf, but the question is: where are u, now? Kontakt: Markus Hausleitner, [email protected], www.houseofthe.com / Erhältlich bei Park, Mondscheingasse 20, 1070 Wien, www.park.co.at Toni’s 37 38 Die tägliche Aufgabe. Wer den schönsten Wurm hat, hat gewonnen. Toni’s DIE KRAFT DER FREIHEIT im Toni’s Freilandei Vitamin A Folsäure Weil das Ei ein Fruchtbarkeitssymbol ist, enthält es natürlich auch viel Folsäure, die am Anfang einer Schwangerschaft besonders wichtig ist. Folsäure ist für die gesunde Entwicklung des embryonalen Nervensystems und des Gehirns unerlässlich. Bereits ein Ei deckt den Tagesbedarf bis zu 26 %. Vitamin A ist besonders gut für unsere Augen – vielleicht fi nden ja deshalb sogar blinde Hühner ab und zu ein Korn. Es ist im Freilandei in noch größerer Menge als in jedem anderen Ei enthalten, vor allem im Dotter. Nur frische Leber enthält noch mehr davon. Zusätzlich stärkt Vitamin A auch das Immunsystem und trägt zur Zellgeneration bei. Vitamin E Vitamin E fördert die Vitalität, verbessert die Durchblutung, schützt vor Herzinfarkten und verlangsamt den Alterungsprozess. Damit sind Freilandeier, die besonders wertvolle Vitamin-E-Lieferanten sind, ein ganz natürlicher Jungbrunnen. Anti-Stress-Hormone Vitamin D Das beste Mittel gegen Stress sind Anti-Stress-Hormone, die unser Körper selbst bildet, und zwar aus Eiweiß. Deshalb wirken Eier als ideales Mittel gegen Stress, und das sogar vorbeugend. Vitamin D braucht der Körper, um Kalzium und Phosphor aufnehmen zu können. Damit ist es die Grundlage zur Erhaltung und zum Aufbau von Zähnen und Knochen. Mit der Sommersonne kann unsere Haut Vitamin D bilden, im Winter helfen uns die besten Eier unter der Sonne weiter, denn ein Ei deckt rund 30 % des Tagesbedarfs. Omega-3-Fettsäuren Ungesättigte Fettsäuren wie Omega-3Fettsäuren sind lebensnotwendig für Gehirn, Nervensystem und Stoffwechsel. In Freilandeiern sind deutlich mehr davon enthalten als in anderen Eiern, das beweist auch eine Studie des Instituts für Ernährungswissenschaften der Uni Wien. Der Grund liegt darin, dass sich die Hennen die nötigen Zutaten aus verschiedenen Kräutern und Gräsern holen. Zink Als Spurenelement stärkt Zink das Immun– system, steigert die geistige Leistungsfähigkeit ebenso wie die Liebeskraft und wirkt als Erkältungsmittel. Lecithin Proteine Eine besondere Fettverbindung und echte Gehirnnahrung. Das Wort leitet sich übrigens aus dem altgriechischen Namen für Eidotter ab. Wir brauchen Lecithin als elementaren Baustein der Zellmembranen und des Nervengewebes. Der Eidotter zählt zu den wertvollsten, natürlichen Lecithinquellen. Das deutsche Wort für Protein ist natürlich nicht umsonst Eiweiß, denn ein Ei deckt rund 15 % unseres täglichen Proteinbedarfs ab und versorgt uns zusätzlich mit Eiweißbausteinen, den essenziellen Aminosäuren. Allerdings liefert der Eidotter noch mehr Proteine als das Eiweiß. Eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem Eiweiß und essenziellen Aminosäuren ist eine wichtige Basis für ein leistungsstarkes Immunsystem. Wird man doch einmal krank, braucht der Körper noch mehr Proteine, um geschädigte Zellen wieder aufzubauen. Und um körpereigene Proteine zu produzieren, brauchen wir das Spurenelement Schwefel – auch dafür ist das Ei ein wichtiger Lieferant. Toni’s 39 Toni’s Handels GmbH Glein 14 A-8720 Knittelfeld T +43(0) 3512 / 85 7 25 F +43(0) 3512 / 85 7 25-4 E [email protected] www.tonis.at Mit Rücksicht auf bessere Lesbarkeit wird davon abgesehen, Personenbezeichnungen grundsätzlich in männlicher und weiblicher Form zu verwenden. konzeption & gestaltung moodley brand identity, www.moodley.at / fotografie Albert Handler (S 1, 2–11, 19, 22–27, 31–32, 36, 38, 40), Croce&Wir (S 28, 29), Andrew Zuckerman „SV Bilderdienst“ (S 12–15, 17), Georg Petermichl (S 34, 37 / Models: Erika, Derek), Chris Zenz (S 39) / illustration Bernd Kienreich (S 20) / text Tobias Federsel (S 5–7, 22–26, 34–37), Andreas Braunendal (S 8–11, 18–20, 39), Katrin Blawat, Süddeutsche Zeitung 09/2007 (S 12–17) / druck Ueberreuter Print und Digimedia GmbH