NDR Info Das Forum 03 - Helmut-Schmidt
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NDR Info Das Forum 03 - Helmut-Schmidt
Bundeswehr und Gedenkstätten - Politische Bildung ohne Konzept? Quelle: NDR Info - Das Forum - Streitkräfte und Strategien, 03.11.2007, Redakteur: Andreas Flocken. Vollständiges Sendemanuskript unter>http://www.ndrinfo.de/programm/sendungen/streitkraeftesendemanuskript44.pdf< Noch in diesem Jahr soll im Berliner Bendlerblock des Verteidigungsministeriums der Grundstein für das zentrale Ehrenmal der Bundeswehr gelegt werden. Damit soll der 2.600 Soldaten und Zivilangehörigen gedacht werden, die seit Gründung der Bundeswehr ums Leben gekommen sind. Der Standort ist allerdings umstritten. Kritik gibt es aber auch, weil die Federführung beim Verteidigungsministerium liegt schließlich ist die Bundeswehr eine ParlamentsArmee. Durch diese Debatte rückt auch der Umgang der Bundeswehr mit anderen Gedenkstätten ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Hier gibt es nämlich noch einiges zu verbessern, wie Christan Peter auf einer Experten-Tagung erfahren hat: Manuskript Christian Peter Bundeswehr-Soldaten besuchen Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Friedhöfe und andere Mahnmale. Solche Bilder gehören längst zum Alltag. Gedenkstätten belegen mittlerweile Platz zwei der organisierten Gruppenreisen der Bundeswehr. Das ist nicht verwunderlich. Denn der Besuch von Gedenkstätten ist ein fester Bestandteil der Politischen Bildung in der Bundeswehr. Insbesondere bei der Offizierausbildung will man auf diese Weise auch die Höhen und Tiefen der Militärgeschichte vermitteln. Für Oberstleutnant Heiner Möllers, Historiker beim Luftwaffenamt in Köln, gehören diese Entwicklungslinien zum Rüstzeug der Soldaten. Denn O-Ton Dr. Möllers: „...wenn er sie in die Gesamtgeschichte einordnen und in der Folge verstehen kann, dann ist er auch in der Lage, seine Rolle als Staatsbürger in Uniform zu verstehen. Und das zweite ist natürlich…dann ist er in der Lage auch in Gedenkstätten zu begreifen, wieso sich die Rolle des Soldaten heute so elementar von der eines deutschen Soldaten vor 1945 unterscheidet.“ Doch das setzt durchdachte Bildungskonzepte voraus. Bei der Einbindung von Gedenkstätten in ihre politische Bildung handelt die Bundeswehr jedoch weit gehend konzeptionslos. Der Historiker Oliver von Wrochem von der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr : O-Ton Dr. von Wrochem: „Es gibt weder eine einheitliche Regelung noch eine systematische Einbettung von Gedenkstättenbesuchen in die Ausbildung von Soldaten.“ Für Wehrpflichtige wird ein überschaubarer Themenkatalog für die politische Bildung bereitgehalten. Für Zeit- und Berufssoldaten sieht das anders aus. Lediglich in den Laufbahnlehrgängen, die die Bundeswehr an den Offizier- und Unteroffizier-Schulen durchführt, wird politische Bildung, mit Teilen historischer Bildung, als Lehr- aber oftmals nicht als Prüfungsfach vermittelt. Einen bundeswehreinheitlichen Lernziel- oder Lerninhaltskatalog gibt es ebenfalls nicht. Und das bedeutet nicht weniger, als dass ab dem durchschnittlich vierten Dienstjahr, die qualifizierte Unterrichtung der Zeit- und späteren Berufssoldaten in der politischen und historischen Bildung abbricht. Ausnahme: Bei der Vorbereitung für Auslandseinsätze werden diese Fragestellungen teilweise wieder aufgegriffen. So verwundert es nicht, wenn die in diesem Jahr an der BundeswehrUniversität in München durchgeführten Umfragen in der Zielgruppe der studierenden Offiziere den Gedenkstättenbetreibern einen bedenklichen Eindruck vermitteln. Peter Koch von der KZ-Gedenkstätte Dachau: O-Ton Koch „Der Eindruck, dass der Besuch anscheinend als ein zu absolvierendes Pflichtprogramm ohne größere Motivation wahrgenommen wird, wird dadurch verstärkt, dass 248 von 310 Befragten, das sind 80 Prozent, angeben, dass sie mit dem Besuch keine Erwartungen verknüpfen. Den Studierten wird der Sinn für einen weiteren Besuch nicht klar. Er scheint ihnen auch von den Vorgesetzten nicht vermittelt zu werden. Es scheint sich um eine Art notwendiges Abhaken eines Dienstganges zu handeln. Dies ist um so bedauerlicher, da ja gerade die Studierenden nach Abschluss ihres Studiums Mittler der politischen Bildung werden und während ihrer beruflichen Ausbildung aber geradezu ein Desinteresse an den Gedenkstätten als Orten der politisch-historischen Bildung entwickeln.“ Solche Erfahrungen machen auch andere. Beispielsweise Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: O-Ton Dr. Garbe „So antwortete auf ein Rundschreiben, das wir im Frühjahr 2003 an 150 Verantwortliche im Bildungsbereich der Bundeswehr in Norddeutschland gerichtet haben und das zu einer Besprechung über Konzepte für Führungen von Bundeswehrgruppen in unserer Gedenkstätte einlud nicht einmal 10 Interessenten.“ Die knappe verfügbare Zeit im Dienstalltag lässt den Kompaniechefs in der Regel keinen Spielraum für das Erarbeiten von Besuchskonzepten. Fahrten mit dem Bus an oft fern gelegene aber professionell pädagogisch betreute Gedenkstätten sind die vermeintliche Lösung. Die kleinen Denkmäler am Standort der Einheiten spielen dadurch praktisch keine Rolle mehr für die Bildungsarbeit, beklagt Oberstleutnant a.D. Reinhard Egge vom Verein „Gegen das Vergessen“: O-Ton Egge „Ich würde heute, wenn ich einen G1-Hinweis zu schreiben hätte, sagen: Leute, es besucht keiner mehr die Gedenkstätte, der nicht von vornherein weiß, was bei ihm vor der Tür los ist.“ Der G-1 eines Großverbandes ist für die Personalführung und damit auch für die politische Bildung zuständig. Die Bundeswehr hat also Gedenkstätten in ihre politische Bildung weder eingebunden noch konzeptionell durchdacht. Das stellt die Gedenkstättenbetreiber und ihre Museumspädagogen vor neue Probleme und Herausforderungen. Für den Politikwissenschaftler Harald Schmid von der Universität Hamburg ergeben sich daraus zahlreiche offene Fragen: O-Ton Dr. Schmid „Mit welchen Erwartungen gehen Soldaten, denen ein Auslandseinsatz bevorsteht oder die von einem Auslandseinsatz zurückkehren, in eine Gedenkstätte? Was geschieht, wenn Soldaten mit authentischen Kriegserfahrungen durch Erinnerungsorte an authentischen Tat- und Leidensorten nationalsozialistischer Herrschaft geführt werden? Und was kann die Gedenkstätte diesen Soldaten bieten? Sind NS-Gedenkstätten noch anschlussfähig an die neuen außenpolitischen Entwicklungen?“ Und in der Tat scheint in der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätten bisher die Zielgruppe „kriegseinsatzerfahrener Bundeswehrsoldat“ keinerlei Berücksichtigung gefunden zu haben. Dabei könnten die zum pädagogisch betreuten Lernort gewandelten „neuen“ Gedenkstätten einiges an Bildungsarbeit für die Einsatzarmee Bundeswehr bieten. Marco Kühnert, Mitarbeiter des Museumsdienstes Hamburg in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: O-Ton Kühnert „Ich denke ein Lernziel ist auf jeden Fall, Soldaten deutlich zu machen, dass ja auch die Wehrmacht sich nicht ad hoc zu einer Unrechtseinrichtung hin entwickelt hat, sondern, dass das eine Entwicklung war, die Schritt für Schritt gegangen ist. Also ganz analog zum gesamten Staatsumbau der Nazis, inklusive der Armee. Und im weiteren Schritt, dass rechtswidrige Befehlslagen natürlich nicht ausschließlich in Unrechtsstaaten beziehungsweise in den Armeen von Unrechtsstaaten vorkommen beziehungsweise vorkommen können.“ Das hat aber auch Konsequenzen für die Gedenkstätten. Die Mitarbeiter müssten Position beziehen, möglicherweise umdenken: O-Ton Kühnert „Dabei hat man allerdings eine Problematik. Denn dies könnte auch eine Instrumentalisierung von KZ-Gedenkstätten bedeuten, also Einrichtungen die ganz traditionell dem Pazifismus verpflichtet sind, jedenfalls zumindest in der Regel aus Sicht der Verfolgtenverbände, die dann sozusagen zusammenarbeiten in eine Richtung Verrechtlichung respektive Humanisierung moderner Kriegsführung.“ Die Arbeit der Gedenkstätten zur Legitimation von Auslandseinsätzen? Der Hamburger Politikwissenschaftler Harald Schmid lehnt das entschieden ab: O-Ton Schmid „Eine gewisse kritische Distanz zur aktuellen Politik gehörte für die Gedenkstätten gleichsam zu den ungeschriebenen Gesetzen. Die Konflikte um ihre Etablierung seit den sechziger Jahren sprechen Bände. Insofern waren diese speziellen Erinnerungsorte immer auch ein Abbild von Stand und Stellenwert der öffentlichen Auseinandersetzung mit der NS-Epoche. Und vor diesem Hintergrund ist es wohl irreal anzunehmen, die NS-Gedenkstätten könnten die neue, auch militärisch abgestützte, deutsche Außenpolitik historisch legitimieren. Und doch ist die Menschenrechtsorientierung ein möglicher Begegnungsort für neue Bundeswehr und neue Gedenkstätten.“ Wenn Bundeswehr und Gedenkstätten ihre Bildungsarbeit für Soldaten ernst nehmen, wird den Gedenkstätten im Ergebnis aber gar nichts anderes übrig bleiben, als faktisch zumindest mittelbar durch den Menschenrechtsbezug sinnstiftend an der Vorbereitung von Soldaten für Auslandseinsätze mitzuwirken. Bleibt die Bundeswehr jedoch bei ihrer derzeitigen Bildungs-Praxis, wird den Gedenkstätten eine Diskussion darüber zunächst erspart bleiben.