Leben in der Wagenburg
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Leben in der Wagenburg
GELD & MEHR 43 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 20. JUNI 2010, NR. 24 Alternativ wohnen. Wer sich die teuren Mieten nicht mehr leisten kann, findet Alternativen: In leeren Kirchen und Schlössern, bei älteren Menschen oder im Bauwagen am Stadtrand. Ideen für Studenten und Abenteuerlustige Billig wohnen einmal anders Eine Wohnung für 100 Euro? Ganz abwegig ist die Idee nicht. Viel Privatsphäre kann man dafür aber nicht verlangen. Von Lena Schipper und Carola Sonnet Leere Gebäude hüten Die Hauswächter „Ein bisschen seltsam ist es manchmal schon in so einem riesigen Gebäude.“ Seit acht Monaten wohnt Bas van Engeland in einer großen ehemaligen Kirche im Zentrum von Amsterdam. Er ist „Hauswächter“ im Auftrag des niederländischen Unternehmens Camelot. Die Idee ist einfach: Camelot bringt Eigentümer leerstehender Gebäude mit abenteuerlustigen Menschen zusammen, die eine günstige Wohnung suchen. Während sich der Eigentümer den teuren Sicherheitsdienst spart, kommen die Mieter, Hauswächter genannt, auf diese Weise an Wohnungen in zentralen Lagen und in origineller Umgebung. Im Herbst ANZEIGE Egal ob Erst- oder Anschlussfinanzierung: Unsere Interhyp-Berater vergleichen für Sie die Angebote von über 100 Banken und Sparkassen. Und das Beste ist, wir beraten Sie anbieterunabhängig. Für eine Baufinanzierung, die optimal passt und Geld spart. Jetzt Termin vereinbaren: 0 800 - 200 15 15 73 (Mo.– Fr. 8 – 22 Uhr, Sa./So. 9 –18 Uhr) www.interhyp.de will Camelot das Modell, das in den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien schon länger etabliert ist, auch nach Deutschland bringen. „Mir gefällt, dass es oft ungewöhnliche Orte sind – alte Freizeitparks, leere Schlösser, eine ehemalige Nervenklinik“, sagt van Engeland. In Amsterdam ist sogar ein Elektrizitätswerk dabei. Für Bas, Anfang dreißig und selbst Hausverwalter, sind aber auch die im Vergleich mit regulären Mieten unschlagbar niedrigen Kosten entscheidend: „Ich zahle pro Monat 175 Euro inklusive Nebenkosten. Ein WG-Zimmer in Amsterdam kostet rund 500 Euro, eine Wohnung ab 1200 Euro. Finanziell habe ich so viel mehr Freiheiten.“ Allerdings nehmen geneigte Abenteurer dafür diverse Einschränkungen in Kauf: In den au- ßergewöhnlichen Gebäuden lebt es sich eben auch nicht ganz normal. Bas hat in der Kirche zwar ein eigenes Bad und eine Küchenzeile. Je nach Größe und Gebäudetyp teilen sich aber oft mehrere Hauswächter provisorische Sanitäranlagen. Die Kündigungsfrist beträgt gerade mal zwei Wochen. Die abenteuerlustigen Mieter sollten daher immer eine Ausweichmöglichkeit haben. Camelot versucht zwar, den Hauswächtern notfalls schnell eine neue Unterkunft zu organisieren, aber ohne Garantie: „Für Leute, die geregelte Lebensverhältnisse brauchen, ist das nichts.“ Bas wohnt seit acht Monaten in der Kirche, in seinem ersten Hauswächterdomizil konnte er gerade mal zwei Monate bleiben. Mit dem Leben in den leeren Gebäuden verabschiedet man sich auch von persönlichen Freiheiten, die sonst als selbstverständlich gelten. Bas kann zwar bis zu zehn Gäste einladen, muss das aber anmelden. Partys sind verboten. Mitarbeiter des Eigentümers haben jederzeit Zugang zum Gebäude, und wer länger als drei Tage wegbleiben will, muss sich abmelden. „Mein Zimmer muss immer aufgeräumt sein, falls Kaufinteressenten vorbeikommen“, das macht Bas aber nichts aus. „Viele junge Leute hier wohnen so – Studenten, Berufseinsteiger, kreative Typen. Mir gefällt der Lebensstil.“ Ob Camelot in Deutschland Fuß fassen kann, ist angesichts des strengeren Mietrechts fraglich. Der Mieterbund hat da so seine Bedenken: Mietern jederzeit die Kündigung auszusprechen wäre hierzulande kaum möglich. Zwar dürfe der Vermieter auch hier die Mieträume betreten, wenn es dafür einen wichtigen Grund gebe. Aber nicht zu jeder Zeit und ohne Voranmeldung. Bob de Vilder, Sprecher des niederländischen Unternehmens, ist dennoch zuversichtlich: „In Hamburg und Düsseldorf haben wir schon Kunden.“ lspr. Hauswächter 왎 Wohnform: Hauswächter bewachen leerstehende Gebäude – von der Kirche über die Luxusvilla bis zur ehemaligen Nervenheilanstalt 왎 Kosten: 100–300 Euro 왎 Für wen: Abenteurer mit wenig Bedarf für Beständigkeit und minimalen Ansprüchen an Komfort 왎 Fallstricke: extrem kurze Kündigungsfrist, kein Mieterschutz 왎 Info: www.cameloteurope.com Sieht aus wie ein normales Wohnzimmer, ist aber eine Kirche Foto Remko Modderkolk Quadratmeterpreise nur für den Stellplatz: Wem der Balkon als Naturerlebnis nicht reicht, zieht auf den Bauwagenplatz. Foto Imago Im Bauwagen wohnen Leben in der Wagenburg Es hat den ganzen Tag geregnet. Hinter matschigen Wegen, vorbei an den Schrebergärten von Darmstadt-Nord, liegt der Bauwagenplatz Klabauta. Vor zwanzig Jahren sind die Ersten hergezogen, einige von ihnen sind geblieben. Anja Trieschmann wohnt seit zehn Jahren hier, ihr Mann seit 14. „Es ist das Atemloch der Stadt“, sagt sie. Hier könne sie einfach und naturgemäß leben. Ohne die vielen Regeln wie in Mietwohnungen. Schon als sie in Tübingen studierte, wäre sie am liebsten in einen umgebauten Wagen gezogen – damals war kein Platz für sie frei. Bauwagenplätze gibt es in vielen großen Städten, meist werden sie auf den Grundstücken geduldet. Wenn große Straßen oder neue Häuser gebaut werden, müssen sie manchmal weichen. Unfertigkeit und ständige Veränderung muss man mögen, um sich auf einem Wagenplatz wohl zu fühlen. „Wer hier herziehen will, mit dem müssen alle einverstanden sein“, erklärt Trieschmann. Das kollektive Entscheidungssystem sei jedoch schwer aufrechtzuerhalten. „Ich bin viel idealistischer aufgekreuzt, als ich es jetzt bin“, sagt sie. Die Decken in ihrer Wagenwohnung sind niedrig, trotzdem wirkt es sehr geräumig. In einem Wagen schlafen sie, in einem ist die Küchenzeile, ein dritter verbindet beide. Dort ist Platz für einen Tisch und ein großes Bücherregal. Die Wagenbewohner kochen mit Gas, das Wasser holen sie sich aus einem großen Container im gemeinsamen Wasserwagen am anderen Ende des Platzes. Dort gibt es eine beheizbare Badewanne, eine Komposttoilette wird gerade ge- baut. Bis jetzt nutzen alle das Plumpsklo neben dem Eingang. Am späten Nachmittag ist es ruhig auf dem Platz, kaum jemand ist zu Hause. Die meisten sind arbeiten oder noch unterwegs. Aus einem Wagen kommt leise Musik, ab und zu rauscht ein Zug vorbei. Ein paar Hühner picken im Gras, ihre Eier kann jeder direkt aus dem Eierregal kaufen. Unter einigen Wagen steht noch ein Kinderwagen, wie in einer kleinen Garage zum Schutz vor dem nassen Wetter. Von einer bunten Rutsche und einem großen Trampolin tropft es noch. Für die Kinder ist der Platz ein großes Abenteuerspiel, für die Erwachsenen eine Lebensentscheidung. Wer in einen Wagen zieht, bleibt oft Jahre. Wenn Nachwuchs kommt, kann man schnell noch einen anbauen. Und wer in einem kalten Winter zu sehr friert, stellt sich noch einen Ofen ins Wohnzimmer. „Hier wohnen IT-Ingenieure, Fotografen, Erzieher, Schreiner“, erzählt Trieschmann. Die meisten führten ein vergleichsweise normales Leben – auch wenn das viele überrascht, die den Platz nur von weitem kennen. Sie selbst ist Journalistin und Autorin. Den Strom für ihren Laptop bekommt sie aus Solarzellen auf dem Dach. Ein Akku hilft über die Nächte und regnerische Tage hinweg. Wer in der Bauwagensiedlung nicht selbst für Solarzellen oder Akku sorgt, muss ohne Strom leben. Trieschmann sitzt an ihrem Holztisch, durch viele Fenster kommt Licht ins Wohnzimmer, draußen ist es jetzt sehr grün. Blumen wachsen, Bäume sprießen: Das ist die Jahreszeit, die sie am liebsten mag. Trotzdem sucht sie jetzt mit ihrem Mann und Freunden ein Haus, in das sie ziehen können, zu siebt. Ihr Mann ist Musiker, er hat auch viele Instrumente. „Hier fehlt uns auf Dauer der Platz für unsere Sachen.“ cso. Bauwagen 왎 Wohnform: im selbst umgebauten Bau- oder Zirkuswagen auf dem Wagenplatz 왎 Kosten: je nach Geschmack 0–3000 Euro für den Bauwagen, danach 100–200 Euro monatlich 왎 Für wen: Freiluftmenschen und Naturliebhaber 왎 Fallstricke: rechtliche Lage oft nicht geklärt, unsichere Pachtverträge, genervte Nachbarn 왎 Info: www.wagendorf.de Mit älteren Menschen das Haus teilen WG mit Oma-Anschluss Wer nicht gern alleine ist und ein bisschen Zeit mitbringt, muss kein teures WG-Zimmer nehmen, sondern kann fast kostenlos bei einem Fremden einziehen. „Wohnpartnerschaft“ heißt das Prinzip. Die Idee: Rentner oder andere Leute haben zu viel Platz im Haus – dort kann jemand wohnen. Im Gegenzug arbeitet der Mieter für jeden Quadratmeter eine Stunde pro Monat im Haushalt mit, und er beteiligt sich an den Nebenkosten. Musikstudent Hagen Fritzsche lebt seit drei Jahren in so einer Wohnpartnerschaft mit der 73-jährigen Gertrud Schwering zusammen. Obwohl sich die beiden schon vorher durch Verwandte kannten, haben sie beim Projekt „Wohnen für Hilfe“ der Kölner Uni einen Vertrag abgeschlossen. Das Projekt gibt es mittlerweile in ganz Deutschland. Uni, Kirche oder eine gemeinnützige Organisation helfen bei der Suche nach Wohnpartnern. Fritzsche zahlt für seine zwei Zimmer pro Monat 60 Euro, hilft beim Einkaufen und kümmert sich um den riesigen Garten des Kölner Einfamilienhauses. „Ich studiere an der Musikhochschule, und die Mieten sind einfach zu hoch“, so Fritzsche. „Am Anfang habe ich noch zu Hause gewohnt, außerhalb von Köln, aber irgendwann war mir das mit der Fahrerei zu viel.“ Außerdem versteht Fritzsche, der außer Musik noch katholische Theologie studiert, das Zusammenleben auch als christliche Nächstenliebe: „Die Menschen gehen sonst viel zu wenig aufeinander ein.“ Schwering sieht das ähnlich: „Es gibt viele ältere Leute, die Platz zu Hause haben, aber trotzdem alleine leben, einfach aus Sturköpfigkeit. Und dann wundern sie sich, wenn jemand einbricht.“ Wäre Fritzsche nicht eingezogen, hätte sie eine Wohnung vermietet – aber dazu hätte sie ihr Haus erst umbauen lassen müssen. „Und jetzt ist es nicht so leer, und der Garten verwildert nicht. Früher waren wir hier zu fünft, da war das natürlich einfacher.“ Die beiden kommen sehr gut miteinander aus: „Wir sehen uns regelmäßig beim Essen, meistens beim Frühstück“, sagt Fritzsche. Andererseits, so Schwering, „habe ich natürlich auch Verständnis, dass das Studium viel Arbeit ist und er manchmal keine Zeit hat. Da sind viele alte Leute zu verbohrt.“ Auch sein lautes Trompetenspiel ist kein Problem: „Ach, das hört man doch fast gar nicht.“ Henning Knapheide, der das Projekt „Wohnen für Hilfe“ beim Frankfurter Bürgerinstitut betreut, bestätigt die zentrale Bedeutung dieser Einstellung: „Toleranz und Verbindlichkeit hinsichtlich der Erwartungen, die man aneinander hat, sind das Wichtigste.“ Mit allen Interessenten führt er Vorbereitungsgespräche und empfiehlt eine Probezeit, während der sich beide Seiten beschnuppern Mit Rasenmähen Miete sparen können. Nicht alle Wohnpartnerschaften sind so engmaschig gestrickt wie bei Fritzsche und Schwering. Oft gibt es getrennte Küchen und Bäder, und die Wohnpartner sehen sich nur sporadisch. Für erklärte Einzelgänger eignet sich das Modell trotzdem nicht: „Interesse aneinander und die Bereitschaft, sich in die Bedürfnisse des anderen einzufühlen, setzen wir voraus“, so Knapheide. „Die geringen Kosten alleine reichen als Motivation nicht aus.“ lspr. Foto Edgar Schoepal Jung wohnt bei Alt 왎 Wohnform: Zimmer bei denen, die Wohnraum übrig haben 왎 Kosten: 60–180 Euro Nebenkosten, plus eine Stunde Arbeit in Haus oder Garten pro bewohntem Quadratmeter 왎 Für wen: alle mit sozialer Ader 왎 Fallstricke: vertragliche Verpflichtung zur Hausarbeit, unter Umständen wenig Privatsphäre 왎 Info: www.wohnenfuerhilfe.info