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IDB Münster • Ber. Inst. Didaktik Biologie 16 (2007), 57-73
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Wie aufgeklärt sind unsere Grundschüler?
Befragung von 111 Kindern der 4. Jahrgangsstufe
zum Thema Sexualität
Kerstin Meyer, Stefanie Kujadt, Sonja Setjeeilers, Julia Lange
& Monika Büscher
Kurzfassung
Die Untersuchung fand 2006 in 5 Klassen der vierten Jahrgangsstufe in ländlicher
Umgebung statt. Von den befragten 111 Schülern waren 45 Jungen und 66 Mädchen. 70 der
111 Schüler hatten bereits Sexualkundeunterricht. Dieser führte nach dem Ergebnis dieser
Untersuchung nicht zu einem umfassenden Wissensstand. Im Rahmen der Lehrerausbildung
in Niedersachsen ist eine Vorbereitung auf den Sexualkundeunterricht nicht verpflichtend
und das, obwohl die Pubertät im Vergleich zu den vorhergehenden Generationen früher
einsetzt. Eine qualitativ hochwertige sexuelle Aufklärung scheint daher für alle Kinder vor
Einsetzen der Pubertät sinnvoll.
Keywords
Grundschule, Sexualaufklärung, empirische Forschung, Fragebogen
1 Einleitung
Im Kerncurriculum Sachunterricht für Niedersachsen wird gefordert, dass den
Kindern in mehreren Stufen Kenntnis über ihren Körper und seine Funktionen
zu vermitteln ist. In diesen Bereich fällt das Thema Sexualkunde, das zu einem
Verständnis der eigenen körperlichen Entwicklung und einem positiven Umgang
mit Sexualität beiträgt.
Aufgrund der immer früher einsetzenden Pubertät kommt dem Thema
Sexualkunde bereits in der Grundschule eine wichtige Bedeutung zu. MILHOFFER
führte 1996 eine Studie im Bereich der körperlichen Entwicklung bei Kindern
und Jugendlichen durch. In dieser Studie mit dem Titel „Wie sie sich fühlen, was
sie sich wünschen“ wollte sie Grundlagenwissen zur Selbstwahrnehmung, zum
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K. Meyer et al.
Sexualwissen und zum Körpergefühl von acht- bis vierzehnjährigen Mädchen
und Jungen erheben. Ferner lag das Interesse darin aufzudecken, woher sie sich
ihre Informationen über Sexualität holen und welche Einstellungen und Fragen
sie zum Thema haben. Außerdem wurden Fragen hinsichtlich ihres Schamgefühls
gestellt.
In der hier vorgestellten Studie „Was ich schon über Liebe und Sexualität
weiß, und was ich noch wissen möchte“ wurde gefragt, woher die Kinder ihre
Informationen beziehen und inwieweit sie über fachliches Wissen verfügen. Des
Weiteren interessierte ihre emotionale und ethische Haltung zum Thema.
Die didaktische Strukturierung des Sexualkundeunterrichts muss sich auf die
Lernerperspektiven der Grundschüler beziehen, die in dieser Studie exemplarisch
erhoben werden sollen. Dabei wurden sowohl kognitive als auch emotionale
Aspekte berücksichtigt (KATTMANN 1997).
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Methodisches Vorgehen
Elternsprecher und Klassenlehrer wurden einen Tag vor der Befragung mit
der Bitte um Diskretion eingeweiht. Damit sollte ausgeschlossen werden, dass
eventuell auftretende Schuldgefühle zu einer kurzfristigen Sexualaufklärung
durch Eltern bzw. Lehrer führen würden, die das Ergebnis verfälschen könnten.
Den Schülern musste der Sinn von Anonymität erklärt werden. Es wurde ihnen
mitgeteilt, dass sie keine Frage beantworten müssten. Sie durften sich während
des Ausfüllens melden, um Fragen zu stellen. Die Bearbeitungszeit lag zwischen
20 und 30 Minuten.
2.1 Methode der Datenerhebung
Um eine aussagekräftige Datenmenge zu erhalten, wurde ein Fragebogen
gestaltet, den die 111 Schüler aus 5 Klassen der vierten Jahrgangsstufe in ländlicher
Umgebung, nahe Oldenburg und Cuxhaven, unter möglichst vergleichbaren
Bedingungen ausfüllen sollten. Erhoben wurde der Kenntnisstand über Liebe und
Sexualität. Der Fragebogen bestand aus 19 Fragen, von denen 16 quantitativ und 3
qualitativ zu beantworten waren. Die Bearbeitung erfolgte anonym.
Fragen nach Alter, Geschlecht und familiärem Umfeld boten die Möglichkeit
entsprechende Selektionen vorzunehmen. Darauf folgten Fragen nach den
Informationsquellen zur sexuellen Aufklärung. Der nächste Bereich betraf das
fachliche Wissen der Schüler. Weiterhin wurden Fragen zum emotionalen Bereich
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und den ethischen Vorstellungen über den Beginn des Lebens gestellt. Zum
Abschluss hatten die Schüler die Möglichkeit, Fragen zu formulieren, die sie im
Rahmen des Aufklärungsunterrichts interessieren würden.
2.2 Das Auswertungsverfahren
Die Befragung wurde mit Hilfe des Statistikprogramms GrafStat vorab geplant
und anschließend ausgewertet. Da GrafStat jedoch ausschließlich quantitative
Antwortmöglichkeiten zulässt und auswerten kann, wurden die freien Äußerungen
der Kinder (Wenn du schon einmal verliebt warst, wie fühlte sich das an? Über
welche Themen möchtest du gerne mehr erfahren?) zunächst passenden Kategorien
zugeordnet. Anschließend wurde mit Hilfe von GrafStat die Auftretenshäufigkeit
der vorgegebenen Kategorien quantitativ ausgewertet.
2.3 Informationen zu GrafStat
GraftStat ist ein von Uwe DIENER (2006) speziell entwickeltes Programm,
welches für Befragungsprojekte erstellt wurde. Es bietet Hilfestellung von der
Erstellung des Fragebogens, über die Datenerfassung bis hin zu komplexen
Auswertungs- und Dokumentationsmöglichkeiten. Darüber hinaus sind auf
Wunsch auch internetfähige Fragebögen erstellbar.
Der Erwerb des Statistikprogramms GrafStat ist für öffentliche Institutionen, die
im pädagogischen Bereich tätig sind, kostenlos. Es darf außerdem ausschließlich
in öffentlichen Bildungseinrichtungen genutzt werden. Kommerzielle Nutzer
benötigen dafür spezielle Lizenzen.
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Fragen – Hypothesen - Ergebnisse
Für einen fundierten Sexualkundeunterricht in der Grundschule bedarf es
gesicherter Daten über den Kenntnisstand der Schüler. Zu diesem Zweck müssen
die eigenen Hypothesen über das Wissen von Schülern mit den Ergebnissen einer
Erhebung ihres tatsächlichen Lernstandes verglichen werden. Dazu werden im
Folgenden jeweils die Frage des Fragebogens wiedergegeben, die zu Grunde
liegende Hypothese genannt, die Ergebnisse zum entsprechenden Item grafisch
dargestellt und schließlich interpretiert.
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K. Meyer et al.
Möchtest Du später einmal Kinder haben?
Hypothese
Aufgrund der gesellschaftlichen Tendenz zur Kinderlosigkeit (BUNDESINSTITUT
FÜR BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG 2007) wurde die Hypothese aufgestellt, dass auch
viele Schüler in Zukunft keine eigenen Kinder haben möchten.
Interpretation
Angesichts der oben dargestellten
Daten (Abb. 1) wird deutlich, dass
die befragte Altersgruppe sich
verstärkt am Bild der klassischen
Familie der Mitte des vergangenen
Jahrhunderts, bestehend aus Vater,
Mutter und ein bis zwei Kindern,
orientiert. Eine Tendenz zur
geplanten Kinderlosigkeit kann
Abb. 1: Antworten der Schüler auf die Frage:nicht bestätigt werden.
Möchtest Du später einmal Kinder haben?
Haben Dich Deine Eltern über Sexualität aufgeklärt?
Hypothesen
Die meisten Kinder werden von ihren Eltern aufgeklärt, wobei Mädchen
Abb. 2: Antworten der Schüler auf die Frage: Haben Dich Deine Eltern über Sexualität
aufgeklärt?
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aufgrund der eintretenden Menstruation und einer möglichen Schwangerschaft
früher und häufiger aufgeklärt werden als Jungen (BZ
BZGA 2006, 9 f.). Außerdem
fällt es den Müttern als Hauptbezugspersonen leichter, mit ihren Töchtern
über Sexualität zu sprechen, da sie deren körperliche Entwicklung aus eigener
Erfahrung nachvollziehen können (MILHOFFER 2000, 163 f.).
Interpretation
51,1 % der Jungen und 39,4 % der Mädchen der untersuchten Gruppe wurden
nicht von ihren Eltern aufgeklärt (Abb. 2). Es bestätigte sich der höhere Anteil
aufgeklärter Mädchen.
Die hohe Zahl der nicht durch die Eltern aufgeklärten Kinder stimmt in etwa
mit den Angaben der Dr. Sommer-Studie: Liebe! Körper! Sexualität! (BAUER KG
2006) überein und unterstreicht die Notwendigkeit eines Aufklärungsunterrichts
in der Schule.
Sprichst Du mit Deinen Freunden über Sexualität?
Hypothesen
Sexualität ist unter Kindern der vierten Klasse ein wichtiges Thema. Es ist zu
vermuten, dass die gut informierten Schüler auch offener und daher öfter über
Sexualität sprechen.
Mädchen reden häufiger mit ihren Freunden über Sexualität als Jungen mit
ihren Freunden (MILHOFFER 2000, 129).
Abb. 3: Antworten der Schüler auf die Frage: Sprichst Du mit Deinen Freunden über
Sexualität? – differenziert nach Geschlecht.
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K. Meyer et al.
Interpretation
Anhand der Daten (Abb. 3) ist zu erkennen, dass Sexualität ein Thema für
Grundschulkinder des 4. Schuljahres ist. Auffällig ist jedoch auch, dass nur
ein geringer Prozentsatz der Befragten angibt, oft über Sexualität zu sprechen,
dagegen aber doch recht viele angeben niemals darüber zu reden.
Abb. 4: Antworten der Schüler auf die Frage: Sprichst Du mit Deinen Freunden über
Sexualität? – differenziert nach bereits erfolgtem Sexualkunde-Unterricht.
Interpretation
Die Vermutung, dass sich Schüler, die schon Sexualkunde hatten, häufiger
mit diesem Thema befassen, als die, die noch keinen Sexualunterricht hatten,
bestätigte sich (Abb. 4). So spricht die erste Gruppe zu (54,3 %) manchmal
darüber, während nur (48,8 %) der zweiten Gruppe manchmal über dieses Thema
spricht. Die Kinder mit Sexualerziehung sprechen zu 44,3 % nie über das Thema,
während die ohne Sexualerziehung immerhin zu 51,2 % nie darüber sprechen. Die
geäußerte Vermutung scheint demnach bestätigt, allerdings wurde die beobachtete
Differenz nicht auf statistische Signifikanz überprüft.
Die These, dass Mädchen häufiger mit ihren Freunden über Sexualität reden,
als Jungen mit ihren Freunden, bestätigte sich in dieser Untersuchung nicht. Es
reden mehr Jungen (54,5 %) als Mädchen (48,9 %) mit ihren Freunden manchmal
über Sexualität.
Entgegen den vorausgehenden Vermutungen über die Kommunikation von
Kindern über Sexualität gab es ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen
Mädchen und Jungen. Möglicherweise könnte es daran liegen, dass die Jungen das
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Thema Sexualität noch nicht so ernst nehmen und sich diesem auf eine spielerische
Art nähern. Die Mädchen sind aufgrund ihres Entwicklungsvorsprunges ernsthafter
und tauschen sich anders aus, was in dieser Erhebung nicht differenziert ermittelt
werden konnte.
Was passiert bei der Menstruation?
Hypothese
Schüler, die Sexualkunde im Unterricht behandelt haben, verfügen vermutlich
über ein fundierteres Wissen über den Ablauf der Menstruation als solche, bei
denen Sexualkunde noch nicht unterrichtet wurde.
Abb. 5: Antworten der Schüler auf die Frage: Was passiert bei der Menstruation?
– differenziert nach bereits erfolgtem Sexualkunde-Unterricht.
Interpretation
Die Vermutung bestätigte sich, da 25,7 % derer, die schon Sexualkunde im
Unterricht hatten, die Frage richtig beantworteten (Abb. 5). Hingegen wussten
nur 14,6 % der Schüler, die noch keine Sexualerziehung hatten, dass bei der
Menstruation die Gebärmutterschleimhaut abgestoßen wird. Dagegen gaben in
dieser „unaufgeklärten“ Gruppe 53,7 % der Befragten an, dass sie nicht wüssten,
was bei der Menstruation geschieht. Dies wurde in der Gruppe derer, die aufgeklärt
sind, nur zu 10 % angegeben. Die beobachteten Unterschiede wurden ebenfalls
nicht auf statistische Signifikanz überprüft.
Es fällt auf, dass 50 % der Schüler, die bereits Sexualkunde hatten, glauben,
während der Periode fände der Eisprung statt. 19,5 % der Schüler ohne Sexualkunde verbinden auch die Menstruation mit dem Eisprung.
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K. Meyer et al.
Erstaunlich ist, dass in den Klassen, die eine schulische Aufklärung erfahren
haben, nur 25 % wissen, was bei der Menstruation passiert. Es wurde also
entweder nicht thematisiert oder unzureichend verstanden. Das Ergebnis zeigt,
dass der Sexualunterricht nicht richtig zu greifen scheint. In Bezug auf die
Menstruation wird deutlich, dass sich die Schüler im Sexualkundeunterricht
häufig nur Halbwissen aneignen. Sie können einzelne Begrifflichkeiten nicht mit
den richtigen Prozessen im menschlichen Körper in Zusammenhang bringen. Es
wäre im Sinne von erfolgreichem Sexualkundeunterricht besonders wichtig, eine
Ergebnissicherung mit eventuellen Korrekturen zu betreiben, damit sich solche
Fehlinformationen bei den Kindern nicht verfestigen.
Was ist ein Samenerguss?
Hypothese
Schüler, die Sexualkunde im Unterricht behandelt haben, verfügen vermutlich
über ein fundierteres Wissen über den Samenerguss als solche, bei denen
Sexualkunde noch nicht unterrichtet wurde.
Interpretation
Auch hier bestätigt sich die Vermutung, dass Schüler, die Sexualkunde im
Unterricht bereits behandelt haben, die fachlichen Ausdrücke besser kennen, als
solche, bei denen Sexualkunde noch nicht unterrichtet wurde. 74,3 % derer, die
schon Sexualkunde hatten, wissen, was ein Samenerguss ist, aber nur 41,5 % der
Vergleichsgruppe ohne Sexualkunde (Abb. 6).
Anhand der oben aufgezeigten letzten beiden Ergebnisse kann ausgesagt
werden, dass die befragten Kinder über den Körper der Jungen mehr wissen als
über den weiblichen Körper.
Was sind Verhütungsmittel
Hypothese
Schüler, die Sexualkunde im Unterricht behandelt haben, verfügen vermutlich
über ein fundierteres Wissen über Verhütungsmittel als solche, bei denen
Sexualkunde noch nicht unterrichtet wurde. Den Kindern sind wahrscheinlich
überwiegend die Verhütungsmittel Pille und Kondom bekannt.
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Abb. 6: Antworten der Schüler auf die Frage: Was ist ein Samenerguss? – differenziert
nach bereits erfolgtem Sexualkunde-Unterricht.
Es bestätigt sich, dass die Pille und das Kondom die bekanntesten
Verhütungsmittel sind (Abb. 7). Es fällt dabei auf, dass diesmal die Kinder,
die noch keine Sexualkunde hatten, prozentual häufiger Pille und Kondom
als Verhütungsmittel benennen. Dafür ist die Spirale denjenigen, die schon
Sexualkundeunterricht hatten, bekannter (19,9 % zu 10,5 %); die beobachteten
Unterschiede wurden wiederum nicht auf statistische Signifikanz überprüft.
Abb. 7: Antworten der Schüler auf die Frage: Was sind Verhütungsmittel? – differenziert
nach bereits erfolgtem Sexualkunde-Unterricht.
Interpretation
Durch unsere Vorgabe „Dreieck“ hat sich kein Kind beirren lassen. Dass
der Tampon von einigen zu den Verhütungsmitteln gezählt wurde, bestärkt die
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K. Meyer et al.
Annahme, dass in Bezug auf den weiblichen Zyklus noch Informationsbedarf
besteht. Erstaunlich ist, dass etliche der Schüler die Spirale als Verhütungsmittel
kennen. Wir nehmen an, dass sie diese Information von ihren Müttern oder
anderen weiblichen Bezugspersonen erhalten haben.
Wann beginnt Deiner Meinung nach das Leben eines Menschen?
Hypothese
Es wird angenommen, dass das Leben eines Menschen für die Kinder mit der
Befruchtung der Eizelle beginnt (HÖßLE 2004, 101-120).
Interessehalber wurde diese Frage auch Lehramtsstudierenden des Faches
Biologie gestellt, einmal in Bezug auf ihre eigene Haltung zum Lebensbeginn
und zum zweiten wurden sie gebeten, Vermutungen darüber anzustellen, wofür
die Kinder sich entschieden haben. Für die meisten dieser Teilnehmer an der
Befragung beginnt das Leben bei der Befruchtung der Eizelle. Eine größere Zahl
hatte hier noch die Kategorie „Andere Möglichkeiten“ gewählt und auf Nachfrage
„die Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter“ genannt,. Diese Kategorie wurde
den Kindern nicht angeboten, da sie zu kompliziert erschien (Abb. 8).
Bei der zweiten Frage entschieden sich die Studierenden in der größten
Gruppe für den ersten Herzschlag und zeigten damit, dass sie sich gut in die
Vorstellungswelt der Kinder einfühlen konnten.
Abb. 8: Antworten der Schüler auf die Frage: Ab wann beginnt Deiner Meinung nach das
Leben eines Menschen?
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Die Hälfte der Schüler meint, dass das Leben beim ersten Herzschlag des Babys
im Mutterleib beginnt (Abb. 8). Etwa ein Viertel ist der Meinung, dass das Leben
mit der Geburt des Babys anfängt und 15,3 % meinen, dass der Lebensbeginn mit
der Befruchtung zusammenfällt.
Warst Du schon einmal verliebt?
Hypothese
Aufgrund der früheren Reife müsste es mehr Mädchen als Jungen geben, die
schon verliebt waren.
Nach der Umfrage geben 76 von 111 Kindern an, bereits verliebt gewesen zu
sein (Abb. 9). Geschlechtsspezifisch ist die Aufteilung folgendermaßen: 71,1 %
der Jungen und 66,7 % der Mädchen kennen das Gefühl des Verliebtseins. Die
geäußerte Vermutung ist damit widerlegt.
Abb. 9: Antwort der Schüler auf die Frage: Warst du schon einmal verliebt? - differenziert
nach Geschlecht
Wenn Du schon einmal verliebt warst, wie fühlte sich das an?
Hypothese
Es gibt mehr Mädchen als Jungen, die in der Lage sind ihre Gefühle zu
beschreiben (BAUER KG 2006, 40).
Interpretation
Hier wird deutlich, dass das geschlechtsspezifische Verhalten bei der Äußerung
von Gefühlen in dieser Altersstufe nur schwach ausgeprägt ist. Die Antworten von
Mädchen und Jungen lagen sehr nah beieinander. Dies trifft auch in Bezug auf die
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K. Meyer et al.
Einordnung ihrer Gefühle zu. Die Mädchen gaben meist ausführlichere Antworten
und Beschreibungen dieser Gefühle, was auch auf die sprachliche Kompetenz
zurückgeführt werden könnte, die allerdings in der vorliegenden Untersuchung
nicht erhoben wurde.
Abb. 10: Antworten der Schüler auf die Frage: Wenn Du schon einmal verliebt warst, wie
fühlte sich das an? – differenziert nach Geschlecht.
Über welche Themen möchtest Du gerne mehr erfahren?
Hypothese
Aufgrund des unterschiedlichen Informationsstandes der Vergleichsgruppen
müssten unterschiedliche Themen von Interesse sein. Die Gruppe, die bereits
Sexualkunde hatte, interessiert sich vermutlich für eine Vertiefung des
grundlegenden Wissens, während die andere Gruppe erst ein Basiswissen
erwerben müsste.
Interpretation
Schüler, die bereits Sexualkundeunterricht hatten, stellen speziellere Fragen
zum Thema. So würden sie gerne mehr über die Entstehung von Zwillingen und
von Krankheiten (hier wird explizit AIDS genannt) erfahren. Dennoch machten
viele Kinder beider Gruppen hier keine Angaben. Es liegt die Vermutung nahe,
dass die nötige Konzentration bei der letzten offenen Frage erschöpft war. Ein
weiterer Grund für die Nichtbeantwortung dieser Frage könnte darin bestehen,
dass die Kinder gar nicht mehr erfahren möchten.
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Tab. 1: Antworten der Schüler auf die Frage: Über welche Themen möchtest Du gerne
mehr erfahren? – differenziert nach bereits erfolgtem Sexualkunde-Unterricht.
Über welche Thmen möchtest Du gerne mehr erfahren?
Nennung
ohne Sexualkunde
Anteil in %
mit Sexualkunde
Anteil in %
Krankheiten
0,0 %
4,0 %
Verhütung
0,0 %
2,7 %
Geschlechtsorgane
2,3 %
0,0 %
Baby/Geburt
7,0 %
2,7 %
Wie Zwillinge entstehen
0,0 %
2,7 %
Eintstehung eines
Menschen/
Schwangerschaft
11,6 %
1,3 %
Samenerguss
2,3 %
0,0 %
Blutung/Periode
4,7 %
1,3 %
Sex
2,3 %
5,3 %
Andere Themen außer
Sexualkunde
0,0 %
4,0 %
Über nichts
7,0 %
18,7 %
Keine Antwort
44,2 %
41,3 %
Weibliche
Geschlechtsorgane
7,0 %
1,3 %
männliche
Geschlechtsorgane
2,3 %
2,7 %
Jungs
4,7 %
1,3 %
Mädchen
0,0 %
5,3 %
Liebe/Beziehungen
2,3 %
5,3 %
Sexualkunde
2,3%
0,0 %
100 %
100 %
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Fazit und didaktische Konsequenzen
Laut der vorgelegten empirischen Untersuchung gab es in den befragten
Klassen Mädchen, die bereits ihre Menstruation hatten, aber nur 24 von 111
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K. Meyer et al.
Kindern wussten, was während der Menstruation im Körper passiert (siehe Frage
Was passiert bei der Menstruation?).
Laut Aussage des Schulleiters einer der Schulen, die an der Befragung
teilgenommenen haben, gibt es Lehrer, die es aufgrund eigener Verunsicherung
ablehnen, Sexualkunde zu unterrichten. Eine Schule lehnte unsere Umfrage aus
diesem Grund ab. Dies verdeutlicht die unzureichende Vorbereitung mancher
Grundschullehrer in Bezug auf das Thema und damit die Notwendigkeit, es als
einen wichtigen Teil der Lehrer-Ausbildung zu betrachten. Schwangerschaften
und Schwangerschaftsabbrüche im Teenageralter nehmen weiter zu. Auch die
Gefahr von AIDS ist nicht gebannt (BAUER KG 2006, 24). Eine gute Schulbildung
besteht unter anderem darin, Sexualität als einen normalen Teil des Lebens zu
betrachten und verantwortungsvoll mit ihr umgehen zu können, was nur mit Hilfe
einer guten Informationsgrundlage möglich ist. Die Schule darf sich diesbezüglich
nicht auf die Aufklärung durch die Eltern verlassen, die laut dieser Erhebung zu
über 40 % dieser Aufgabe nicht nachkommen.
Es wurde deutlich, dass die „aufgeklärten“ Kinder speziellere Fragen
stellten und mit ihren Freunden häufiger über Sexualität sprachen. Die Schüler
äußerten Bedarf an Informationen über den eigenen Körper und den des anderen
Geschlechts.
Die meisten der Schüler wünschten sich in ihrer Zukunft eigene Kinder und
interessierten sich im Bereich der offenen Fragen für die Themen: Baby, Geburt,
Entstehung des Menschen, Liebe und Beziehungen. Hier kann angesetzt werden,
um einen respekt- und verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper
und dem des Anderen zu vermitteln.
Sowohl die Studie von MILHOFFER (2000) als auch die vorliegende Studie
stellen fest, dass die Kinder Bedarf an zusätzlichem Wissen haben. Eine
direkte Vergleichbarkeit der Studien ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen
Fragestellungen nicht möglich.
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Literatur
BAUER Smaragd KG (Hrsg., 2006): Dr. Sommer-Studie: Liebe! Körper! Sexualität!
Durchgeführt von iconkids & youth. München
BUNDESINSTITUT FÜR BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG, Wiesbaden (2007): Bevölkerung: Fakten
- Trends - Ursachen – Erwartungen. URL: http://www.bib-demographie.de/info/info_
brosch_3.html [10.12.2007]
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, (Hrsg., 2006): Jugendsexualität.
Wiederholungsbefragung von 14- bis 17-Jährigen und ihren Eltern. Ergebnisse der
Repräsentativbefragung aus 2005. Köln
BUNDESZENTRALE FÜR GESUNDHEITLICHE AUFKLÄRUNG (Hrsg., 2005): Wenn Teenager Eltern
werden... - Lebenssituation Jugendlicher Schwangerer und Mütter sowie Jugendlicher
Paare mit Kind. Köln
DIENER, U. (2006): GraftStat2 Handbuch. URL: http://www.grafstat.de [März 2006]
HÖßLE, C. (2004): Wann ist der Mensch ein Mensch? Naturwissenschaftlich-deskriptive
und religiöse Schülervorstellungen zur Frage nach dem Beginn des menschlichen
Lebens am Beispiel der embryonalen Stammzelltherapie. In: GERBER, U. & H. MEISINGER
(Hrsg.): Das Gen als Maß aller Menschen? Menschenbilder im Zeitalter der Gene, 101120. Frankfurt a.M
KATTMANN, U. u.a. (1997): Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion. Zeitschrift für
Didaktik der Naturwissenschaften 3 (3), 3-18
MILHOFFER, P. (2000): Wie sie sich fühlen, was sie sich wünschen. Eine empirische Studie
über Mädchen und Jungen auf dem Weg in die Pubertät. Weinheim, München
NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (2006): Kerncurriculum für die Grundschule
Schuljahrgänge 1-4, Sachunterricht. Hannover: ohne Verlagsangabe
Verfasser
Kerstin Meyer: [email protected]
Stefanie Kujadt: [email protected]
Sonja Setjeeilers: [email protected]
Julia Lange: [email protected]
Monika Büscher: [email protected]
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K. Meyer et al.
Fragebogen (Der vorliegende Fragebogen stellt eine gekürzte
Fassung dar.)
Was ich schon über Liebe und Sexualität weiß, und was ich noch wissen möchte
1. Ich bin ein
Junge
Mädchen
2. Alter: ______________ Jahre
3. Haben Dich Deine Eltern über Sexualität aufgeklärt?
Ja
Nein
4. War „Sexualität“ schon ein Thema in der Schule?
Ja
Nein
5. Sprichst Du mit Deinen Freundinnen / Freunden über Sexualität?
Oft
Manchmal
Nie
6. Möchtest Du später einmal Kinder haben?
Nein
1 Kind
2 Kinder
3 oder mehr Kinder
7. Weißt Du, was passiert, wenn ein Mädchen die Menstruation oder Blutung
hat?
Die Gebärmutterschleimhaut wird abgestoßen
Das Mädchen ist schwanger
Das Mädchen hat ihren Eisprung
Ich weiß nicht, was da passiert
Wie aufgeklärt sind unsere Grundschüler ?
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8. Hattest Du Deine Menstruation oder Blutung schon? (Frage für Mädchen)
Ja
Nein
Möchte ich nicht sagen
9. Was ist ein Samenerguss?
Schnelles Pinkeln
Der Penis wird steif
Eine weiße Flüssigkeit kommt aus dem Penis
Weiß ich nicht
10. Was sind Verhütungsmittel?
Hier darfst du mehrere Antworten ankreuzen!
Kondom
Tampon
Pille
Spirale
Dreieck
11. Ab wann beginnt Deiner Meinung nach das Leben eines Menschen?
Direkt bei der Befruchtung
Beim ersten Herzschlag des Babys im Mutterleib
Wenn der Frauenarzt bei der Untersuchung der Schwangeren
Hände und Füße des Babys erkennen kann
Wenn die Mutter die Bewegungen des Babys im Bauch spürt
Wenn das Baby geboren wird
12. Über welche Themen möchtest Du gerne mehr erfahren?