2010 / China

Transcrição

2010 / China
Zofingerreise
Hongkong – Süd-China
15. bis 30. November 2010
Teilnehmende
Schtorze
Hans und Christiane Lutziger
Reiseleitung Schweiz
Goliath
Hans Lutz
Reiseleitung Hongkong
Pual
Jürg und Käthi Blum
Zupf
Klaus und Monika Bühlmann
Lotos
Adrian und Camille Gasser
Arab
Rudolf und Therese Natsch
Gox
Alexander und Monika Rauber
Basis
Jörg Rytz
Rosso
Walter und Annemarie (Billy) Schlegel
Marmotte
Ulrich und Edith von Fellenberg
China 2010 / Annemarie (Billy) Schlegel
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Montag, 15. November 2010 / Abend
Auffallend ruhig ist es im Terminal E auf dem Flughafen Kloten. Nur noch wenige
Geschäfte sind geöffnet. Das Personal zählt die Tageseinnahmen, bevor auch sie die
schweren Rollladen herunter lassen. Wir haben einen langen Flug nach Hongkong vor
uns. Einige Rastlose nutzen die letzte Gelegenheit, in den langen Gängen auf und ab zu
gehen, bevor wir zum Bording aufgerufen werden.
Im Airbus der Swiss sind alle unsere Sitze in bequemen 2er Reihen reserviert. Dies Dank
der guten Organisation von Storze. Auch die anfängliche Angst, dass man uns bis zum
Frühstück hungern lässt, verflüchtigt sich kurz nach dem Start.
Dienstag, 16. November 2010
Nach knapp 12 Std. Flug betreten wir chinesischen Boden. In Hongkong sind die Uhren
7 Stunden vorgestellt. Zuverlässig erwartet uns hier Goliath der unserer Gruppe seine
Wahlheimat vorstellen wird. Wali und ich sind bereits 1994 einmal hier gelandet und
fuhren danach mit einem Taxi direkt in den Stau. Heute führt uns eine breite Autobahn ins
Zentrum der dichten Hochhäuser. Obwohl Hongkong seit 1997 keine englische Kolonie
mehr ist, fahren die Autos immer noch auf der linken Strassenseite.
Die letzten Meter legen wir Koffer schleppend zu Fuss zurück. YMCA ist nur dem Namen
nach eine Jugendherberge. Die Lobby verbricht weit besseres. Wir befinden uns in einem
modernen 4 Sterne Hotel. Am Abend schwelgen wir an einem umwerfenden Buffet mit
Aussicht auf das pompöse Lichtermeer der Wolkenkratzer.
Auf einem kurzen Rundgang in der näheren Umgebung schnuppern wir erstmals
chinesisches Ambiente. Kitschige Beleuchtungen erinnern uns daran, dass Weihnacht
nicht mehr weit weg ist. Nach unserem Zeitgefühl ziehen wir uns anschliessend eher zum
Mittagsschlaf zurück.
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Mittwoch, 17. November 2010
Wir verzichten auf das grosse Frühstücksbuffet und wählen statt dessen das einfachere
Selbstbedienungsrestaurant im Erdgeschoss. Der Raum ist tiefgekühlt und wir sitzen
frieren bei unserem Kaffee.
Wäre Goliath tatsächlich ein Riese und unsere Gruppe alleine auf der Strasse wäre die
Verschiebung zum Fährhafen weit weniger abenteuerlich. In der Menschenmenge aber
folge ich konzentriert den anderen Gruppenmitglieder. Da möchte ich um alles in der Welt
nicht verloren gehen...
Eine Fähre bringt uns von Kowloon, am Festland, über die viel befahrene Wasserstrasse
zur Insel Hongkong. Hier besteigen wir das kleine Passagierschiff, das weiter zur nahe
gelegenen Insel von Cheung Chau fährt.
Die Skyline der Grosstadt liegt unter einer dichten Smogglocke. Die verschmutze Luft
brennt mich nach kurzer Zeit schon in den Augen. Das kann ja gut werden! Wir sitzen
trotzdem draussen auf dem Deck, denn auch hier herrscht in den Innenräumen tiefer
Winter. Riesige Containerkähne kreuzen unseren Weg. Die Auswirkungen der
grenzenlosen Konsumgesellschaft wird uns hier ganz unmittelbar bewusst.
Malerisch liegen die alten Fischerkähne im Hafen von Cheung Chau vor Anker.
Inzwischen hat sich auch der dichte Dunst etwas gelockert. Hier entstanden vor der
Kolonialisierung die ersten Siedlungen. Im alten Fischerstädtchen fühlen wir uns mit
einem Mal um Jahre zurückversetzt, und ich finde China wieder, wie ich es 1994 erlebt
habe. In den engen Gassen leben die Einwohner einfach - und so wie es scheint, nicht
unzufrieden..
Im kleinen Tao-Tempel sind wir willkommene Gäste, solange wir unsere Kameras in den
Taschen lassen. Umgeben vom Duft der Räucherstäbchen hören wir von Goliath die
Bedeutung der verschiedenen Buddha-Darstellungen. Denn entgegen der Kultur in Indien
z.B., nimmt die Gottheit im ostasiatischen Ländern verschiedene Gestalten an. Die wohl
bekannteste davon ist der dickbäuchige, lachende Buddha. Ihm ist laut Legende die
allerhöchste Prüfung misslungen und so wird er als Buddha der Zukunft verehrt. (Wohl in
der Hoffnung, dass ihm die Schlussprüfung einmal gelingen wird.) Selbst eine weibliche
Buddhafigur fehlt nicht. Aussergewöhnlich sind ihre vielen Arme, mit denen sie überall
zupacken muss. Die Frauenrolle ist unverkennbar!
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Zurück aus der Welt der Götter regt sich bei uns bereits wieder ein ganz irdisches
Bedürfnis. Die beiden grossen runden Tische sind für uns unter einem Sonnendach mit
Aussicht auf die alten Schiffe gedeckt. Die Insel ist autofrei, und doch sitzen wir mitten im
Motorenlärm der ratternden Dreirad-Traktoren. Bald aber gilt unsere ganze
Aufmerksamkeit dem herrlichen Mittagessen mit viel Fisch und Meeresfrüchten.
Sozusagen als Weiterbildung in chinesischer Lebensart lassen wir es uns nicht nehmen,
einen kurzen Blick in die Küche und die gleich angrenzende Toilette zu werfen. Unsere
Lebensmittelinspektoren hätten da wohl einiges einzuwenden. Ich auf jeden Fall habe
mein ganz privates Geschäft noch nie in einem Küchenschrank erledigt!
Um eine Erfahrung reicher, folgen wir nun Goliath auf eine ausgiebige Rundwanderung.
Wir spazieren langen Sandstränden entlang, durchstreifen dichten Urwald und geniessen
die kurzen Ausblicke auf verträumte Buchten. Es ist warm und obwohl ich die feuchte
Hitze nicht besonders mag, geniesse ich die ruhige Abgeschiedenheit und die klare Luft.
Zurück im Hotel bleibt nicht viel Zeit um uns fürs die Einladung zu Goliath und seiner Frau
Shirley bereit zu machen. Schtorze sieht mit seinem grossen Blumenstrauss tatsächlich
wie ein Bräutigam aus, wie das kleine Mädchen in der Hotellobby verzückt feststellt. Mit
zügigem Schritt führt er uns durch die Menschenmassen in die vollgestopften Züge der
Untergrundbahn. Rein zufällig fehlt am Bestimmungsort nur eine Person. Die Aufregung
ist entsprechend gross, und erste gruppendynamische Hürden zeichnen sich ab. Die
Erleichterung ist gross, als einige Zeit später, Christiane - ebenfalls rein zufällig - wieder
auf uns trifft. Sie ist bei einem blockierten Drehkreuz hängen geblieben. Eine wertvolle
Erfahrung mehr....
Die gemütliche Wohnung unserer Gastgeber liegt in einem hier wohl typischen Quartier
von Wolkenkratzern. Ich bin fasziniert, wie leicht man durch die vorhanglosen Fenster am
Leben der Nachbarn unmittelbar teilnehmen kann. Die Familien teilen sich in wenige
Quadratmeter Wohnfläche. Die Balkone werden deshalb meist als Kleiderschrank oder
erweiterte Küche genutzt. Den angrenzenden Park lernen wir auf einem späteren
Spaziergang kennen.
Shirley führt uns in ihr bevorzugtes Restaurant. (China House im Manhattan Building) Als
gebürdige Shanghaierin liebt sie die Speisen aus dieser Region. Wir sind noch keine
kulinarischen Experten und können deshalb den Unterschied nicht klar erkennen,
Schmecken tut's auf jeden Fall herrlich.
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Donnerstag, 18. November 2010
An der Fährstation nach Macao bilden sich lange Warteschlangen. Kaum zu glauben, wie
kompliziert das Ein- und Ausreisen innerhalb China sein kann. Die Zollformalitäten und
Sicherheitskontrollen nehmen viel Zeit in Anspruch – und die geplante Abfahrt unseres
Schnellbootes rückt rasch näher.
An Bord sitzen wir in engen Reihen auf nummerierten Plätzen und flitzen so dem Ziel
entgegen. Eine knappe Stunde später werden wir - nach weiteren Einreiseformalitäten vom Hafengebäude direkt in das Getöse herumjagender Rennboliden gespuckt.
Ausgerechnet heute findet mitten im Zentrum ein Rundstreckenrennen statt! Der vielen
Besucher wegen befindet sich die Stadt im Ausnahmezustand.
Die Hände schützend an die Ohren gepresst müssen wir zusehen, wie unser Bus von den
nervösen Ordnungshütern gleich zwei Mal ohne uns weggeschickt wird. Man heisst uns,
in einen der öffentlichen Shuttlebusse zu steigen. Dieser soll uns zur geeigneten
Einsteigestelle bringen. Kurze Zeit später sitzen wir auch schon im Stau fest. Das
Verkehrschaos ist perfekt. Eine Stunde lang schleichen wir um den Häuserblock, und
landen dann wieder nahe dem Ausgangspunkt. Der leere Bus steht nun direkt vor uns,
und da reisst auch Goliath die Geduld. Lautstark fordert er den Shuttlebus-Fahrer auf, die
Türen zu öffnen. Wir steigen rasch aus und entern entschlossen unseren Bus.
Überraschend schnell sind wir aus dem Stau raus, und auch die Fahrt dauert nur sehr
kurz. Die Strassenschilder und Beschriftungen erinnern daran, dass die Stadt vor noch
nicht so langer Zeit in portugiesischer Hand war. Wir erklimmen die Bergfestung
Fortaleza do Monte und blicken auf die Wolkenkratzer der Stadt hinab. Der geplante
Besuch des Museums fällt leider dem Stau zum Opfer.
Auf dem Weg zum Mittagessen erklärt uns Goliath die reich verzierte Fassade der Ruine
von São Paulo. Die Kathedrale brannte 1835 ab und was davon übrig geblieben ist, gilt
heute als Wahrzeichen von Macao. Der Bummel durch das alte Zentrum mit 18
hungrigen Gruppenmitgliedern ist nicht gerade einfach. Um so mehr schätzen wir den
portugiesischen Fisch und den Wein. Gelassen stürzen wir uns anschliessend in die
Menschenmenge und fahren mit dem öffentlichen Bus zurück zur Anlegestelle. Von
Macaos Ruf und Bekanntheit als chinesisches Las Vegas erhaschen wir nur kurze Blicke
aus der Ferne.
Die gleichen, strengen Grenzkontrollen erwarten uns auch wieder auf dem Weg zurück
nach Hongkong. Immerhin nutzen einige von uns den Vorteil zu den +65 jährigen zu
zählen. Sie werden bevorzugt und passieren die Kontrollen schneller.
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Freitag, 19. November 2010
Ein echtes Kontrastprogramm ist heute angesagt. mit Rucksack und Wanderschuhen
ausgerüstet, besammeln wir uns nach dem Frühstück in der Lobby,. Ein Bus bringt uns
der Küste entlang nördlich in die einsamen Hügel der Neuen Territorien. Hier wandern
wir durch stille Wälder und Wiesen, erklimmen Anhöhen und schwitzen ganz toll. Stechmücken sind lange Zeit die einzigen Lebewesen, die uns begleiten, abgesehen von einem
Wasserbüffel, der durch die Bäume streicht. Ein streunender Hund lässt sich mit den mitgebrachten Wienerli anlocken. Den Emmentaler lässt er liegen. Die Toblerone hingegen
mögen wir nicht teilen...! Vielleicht verrät uns Goliath mit seinem nicht gerade chinesischen Pic Nic ein klein wenig Heimweh nach seiner Heimat. Er führt uns gezielt über
Stock und Stein. Es ist offensichtlich, dass ihm die Gegend vertraut ist. Ohne ihn wären
wir wohl kaum auf den kleinen verlassenen Ort gestossen, wo uns im einzigen Restaurant
Kaffee und Tee serviert wird.
Ganze 4 Stunden waren wir zu Fuss unterwegs und ich habe die Auszeit in der Natur
sehr genossen. Auf dem Parkplatz spielen Polizeirekruten 'Versteckis'. Wir schauen
amüsiert zu, wie sie sich mit Ästen von Laubbäumen tarnen.
Die Rückfahrt kommt mir viel kürzer vor. Bald tauchen wir wieder ins hektische Stadtleben
ein und stecken kurze Zeit danach im Feierabendverkehr. Jimmys Kitchen liegt nicht
weit vom Hotel entfernt. Entspannt bummeln wir durch die beleuchteten Gassen, wo auch
spät am Abend noch fleissig eingekauft wird.
Samstag, 20. November 2010
Heute beginnt unsere Rundreise in Süd-China und wir verlassen Hongkong in einem
bequemen Zug in Richtung Guangzhou (Kanton). Vergessen sind die alten, staubigen
Wagen, in welchen Wali und ich vor 16 Jahren die gleiche Strecke zurücklegten. Nach
zweistündiger Fahrt erwartet uns bei der Einreisekontrolle auch ein süsser, kleiner Hund.
Er begrüsst und freudig, und entpuppt sich dann als 'Orangenhund'. Er spürt zuverlässig
die mitgebrachten Orangen in unserem Gepäck auf. Weshalb wir die Früchte am Zoll
zurücklassen müssen, bleibt uns ein Rätsel. Immerhin erhalten wir dafür eine Quittung!
Wir betreten wir eine grosse, moderne aber verlassene Bahnhofhalle. Wo sind die
Menschenmassen geblieben, die uns damals fast erdrückten? Plakate erinnern uns
daran, dass ausgerechnet hier in diesen Tagen die Asian Games, eine Art Olympiade
durchgeführt wird. Nach Macao, ein weiteres sportliches Grossereignis....! Dass doch
nicht alle Einwohner in den Stadien sitzen erfahren wir kurz darauf. Kaum weggefahren
stecken wir auch hier wieder im Stau. Trotz mehrstöckigen Autobahnen haben die
Chinesen ihren Verkehr überhaupt nicht im Griff.
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Goliath hat sein Amt an Herrn Deng, den lokalen Reiseführer, abgegeben und kann es
nun auch etwas gelassener nehmen. Wir kommen nur langsam oder gar nicht voran und
Herr Deng hat alle Zeit, uns einiges über Guangzhou und seinen Bewohner zu erzählen.
Sein Deutsch ist für uns zwar sehr gewöhnungsbedürftig, und auch die Mikrofonanlage im
Bus funktioniert nur halbwegs.
Eine alte Sage erzählt, dass während einer grossen Hungersnot fünf Heilige auf Ziegen
reitend in die Stadt kamen. Sie schenkten den Menschen Getreide für den Anbau und
erlösten sie so vor ihrer Not. Ihre zu Stein erstarrten Ziegen liessen sie als Erinnerung
zurück. Deshalb wird die Stadt auch oft die Ziegenstadt genannt.
Die Einheimischen sind, im Gegensatz zu den Nordchinesen, schlank und haben runde
Augen. Auch weitere physiognomische Merkmale, wie z.B. markante Backenknochen
usw. unterscheiden sie von ihren Mitmenschen im Norden. Ihnen wird auch nachgesagt,
dass sie wirklich alles essen: Alle Lebewesen – ausser Touristen. / Alles was sich
bewegt – ausser Autos. / Alles aus der Luft – ausser Flugzeuge und alles aus dem
Wasser – ausser U-Boote. Zu diesem Thema habe ich auch noch eine andere Definition
gehört: 'Sie essen alle Lebewesen, deren Rücken gegen den Himmel gerichtet ist. Dabei
wäre der Tourist glücklicherweise auch wieder ausgenommen. Das kann ja heiter werden!
Zum Glück sind wir noch nicht besonders hungrig, als wir beim White Swan Hotel
vorfahren. Dieses bekannte Luxushotel ist in den kommenden zwei Nächten unsere
Adresse. Im Restaurant, mit Aussicht auf den dichten Schiffsverkehr auf am Pearl River,
trinken wir den wohl teuersten Kaffee in China. (ca. sfr. 5.50)
Geradezu ein Muss ist der Besuch des Mausoleums des Nanyue-Königs. Stolz führt
uns Herr Deng durch die Ausstellung der wertvollen Grab-Beigaben. Das 'Totenkleid'
allein ist wohl von unschätzbarem Wert. Es wurde aus über 2'000 kleinen Teilen aus Jade
zusammengeheftet und liegt fast unversehrt vor uns. Der Höhepunkt aber ist die Besichtigung der Gruft selber. Wir drängen uns mit den vielen Besuchern in den kleinen, engen
Kammern. Unvorstellbar ist die Schilderung, dass damals ein Teil der Bediensteten, mehr
oder eher weniger freiwillig, mit dem König begraben wurden.
Zum Abendessen fahren wir mitten in die Altstadt. Hier erleben wir hautnah ein
lebendiges und farbiges China. Wie bei uns am Zibelemärit drängen sich die Massen
durch die beleuchteten Gassen. Es sind auffallend junge Leute, die sich von den reichen
Auslagen der Geschäfte anlocken lassen.
Zurück in unserem Hotel fragen wir uns, ob die verschwenderische Beleuchtung der
Schiffe und der Gebäude, sowie die Laserstrahlen Teil der Asiatischen Spiele sind. Es ist
kaum zu glauben, dass dieses farbige Schauspiel zum Alltag gehört.
China 2010 / Annemarie (Billy) Schlegel
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Sonntag, 21. November 2010
Zum Glück sind wir zum reichhaltigen Frühstücksbuffet rechtzeitig aufgestanden. Herr
Deng hat uns gestern schon auf einen gefüllten Tag vorbereitet. Die Besichtigung des
Tempelklosters Liurong Si und der Ahnentempel der Chen-Sippe, stehen unter
anderem auf dem Programm.
Goliath aber nutzt seinen 'Heimvorteil' als Pfarrer und führt uns gleich als erstes in die
Herz-Jesu-Kathedrale – Buddha muss warten. Die Kirche ist zum Bersten voll und selbst
wenn ich nicht verstehe was vor sich geht, bin ich doch ziemlich beeindruckt von der
sonntäglichen Feier. Nach Angaben von Herrn Deng, sind lediglich 2% der Chinesen
religiös, die vier Weltreligionen eingeschlossen. So will es offenbar die Regierung sehen.
Aber Goliath widerlegt dies vehement. Mindestens 10% sind es seiner Schätzung nach,
und wir hören uns schmunzelnd seine berndeutsche Version an.
Die neun Etagen der Pagode des Tempelklosters Liurong Si dürfen wir nicht besteigen.
Sie ist seit einigen Jahren wegen eines Suizids geschlossen. (Man stelle sich all die
geschlossenen Brücken in Bern vor...)
Ohne Fitnessprogramm tauchen wir dann in die buddhistische Welt ein. In der Tempelhalle stehen wir vor drei mächtigen, vergoldeten Buddha-Statuen. Jedes kleinste Detail
soll seine Bedeutung haben. Ein dickes, langes Ohrenläppchen steht z.B. für Weisheit
und langes Leben. Ein kurzes, unauffälliges Betasten meiner Ohren - und ich bin ganz
zufrieden...
In der kleinen Ahnenhalle versuchen wir die Namen auf den kleinen Tafeln zu entziffern.
Sie hängen dicht nebeneinander an der Wand und erinnern an die Verstorbenen. Ein
kleiner Friedhof auf engem Raum. Übrigens soll dies die grösste Einnahmequelle des
Klosters sein. Denn die ca. 5 x 20 cm grossen Plätze werden vermietet.
Der grosse Ahnentempel der Chen-Sippe hingegen ist kein religiöser Ort. Er dient nur der
Tradition und den Ritualen für die Verstorbenen der Sippe. Herr Deng spricht von einer
Grösse von 8 Millionen Mitgliedern, wobei die angeheirateten Frauen nicht dazu zählen. Die
Stätte zieht jährlich Millionen von Touristen an. Vor dem Eingang steht eine lange Warteschlange. Auf Geheiss des Reiseführers stellt sich unsere Gruppe gleich vorne an, und
niemand muckst auf. Vor den ausgestellten Objekten drängen sich die Besucher. Am
eindrücklichten sind die geschnitzten Kunstwerke aus Elfenbein. Immer mehr kleine Details
lassen sich beim längeren Betrachten entdecken.
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Niemand kann wohl wirklich behaupten, hungrig zu sein. Und doch sitzen wir schon
wieder im Bus in Richtung Restaurant. Dabei erhaschen wir einen kurzen Blick auf das
berühmte 'Supermodel'. Kein Grund für glänzende Männeraugen! Es handelt sich nämlich
um den höchsten Fernsehturm Asiens, welcher als tailliertes Gebäude in den Himmel
ragt.
Langsam schleichen wir – wiederum mit Hunderten von Touristen - die Treppe zum
Denkmal der steinernen Ziegen hoch – und auch wieder hinunter. Goliath hatte recht.
So richtig lohnenswert war der Aufstieg nicht. Und ehe wir es bemerken, stehen wir auch
schon in einem grossen Souvenirladen.
Zum Abschluss eines eindruckvollen Tages führt uns Herr Deng auf einen speziellen
Markt von Grossisten. Wir glauben unseren Augen nicht zu trauen. Getrocknete
Kleintiere, gleich tonnenweise! Sie werden zu kosmetischen und medizinischen
Produkten verarbeitet. Die Seepferdchen z.B. werden zerrieben und sollen gegen
Halsschmerzen wirken. Frösche werden bei Lungenkrankheiten verabreicht. Wozu die
Säcke voller Schlangen, Raupen, Geckos, Seesterne, Skorpione, Pilze, Ziegenfüsse usw.
dienen, wollen wir gar nicht erst wissen. Dass die Süsswasserperlen gut fürs Herz sind,
kann ich jedoch bestätigen. Ich kaufe mir eine Perlenkette und lege ich mir um den Hals.
Montag, 22. November 2010
Wir sitzen im Flugzeug der Eastern China Airline und warten auf den Start. Irgend etwas
scheint nicht zu klappen, und so verbringen wir die einstündige Verspätung mit dem
vorgezogenen Mittagessen.
Nach ca. 1 ½ Flugstunden landen wir in Kunming, der Hauptstadt von Yunnan. Hier
werden wir von unserem neuen Reiseführer in Empfang genommen. Er ist Chinese und
nennt sich Stefan, da sein Name für uns kaum auszusprechen ist. Sein Deutsch ist
perfekt und die Lautsprecher funktionieren tadellos. Gut so, denn wir verbringen auf der
Fahrt nach Dali über 5 Stunden im Bus. Schon nach kurzer Zeit bemerken wir, dass die
Sitzreihen unmöglich eng und die Sitze unbequem sind. Doch niemand beschwert sich
und wir lassen uns die gute Laune nicht verderben. Stefan bemüht sich sehr, uns die
Fahrt mit seinen Erzählungen zu verkürzen, und wir lernen wiederum einiges über China.
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Ende 2011 soll in Kunming der neue Flughafen eröffnet werden und in seiner Grösse an
die 4. Stelle von ganz China rücken. Das erzählt er nicht ohne Stolz. Dabei räumt er aber
auch ein, dass der enorme Bauboom seine dunklen Seiten hat. Ganze Quartiere werden
abgerissen um neuen Wohnungen Platz zu machen. Die Umweltverschmutzung ist nicht
zu übersehen und vergiftet unter anderem die Binnengewässer. Die Berichte kennen wir
aus den Medien. Hier sitzen wir aber mitten drin und die Tatsache lässt mich
erschaudern.
Unterwegs treffen wir vor Tankstellen auf lange Lastwagen-Kolonnen. Sie stehen alle an
in der Hoffung, irgendwann auftanken zu können. Der Diesel ist knapp und die
Versorgung aller Autos ist nicht gewährleistet.
Wir kommen spät und müde im Regent Hotel in Dali an. Auf Europa übertragen, haben
wir heute eine ungefähre Strecke von Zürich nach Stockholm zurückgelegt und dabei
2'000 Höhenmeter überwunden. Wir sind hungrig und nehmen es in Kauf, im eisgekühlten
Speisesaal des Hotels zu essen. Lange sitzen wir, in Jacken gehüllt, nicht bei Tisch. Um
so mehr schätzen wir die geheizten Zimmer.
Dass es oft mit der Verständigung hapert, haben wir schon mehrfach festgestellt. Die
englische Sprache ist vielen Chinesen nicht geläufig. Da kommt es auch mal zu lustigen
Situation. Etwa dann, wenn Monika und Zupf beim Zimmerservice zwei Whiskys bestellen
und der beflissene Angestellte mit zwei Kleiderbügeln vor der Türe steht! Bei Kaffee- oder
Weinbestellungen behelfen wir uns oft mit Papier und Stift, um das Gewünschte zu
zeichnen.
Dienstag, 23. November 2010
Ich habe ein lange und qualvolle Nacht hinter mir. Ausgerechnet hier, im tiefen China,
beginnt es in meinem Zahn zu pochen. In der Reisegruppen sind glücklicherweise gleich
drei Ärzte - aber nicht EIN Zahnarzt.... Mit Medikamenten vollgestopft geniesse ich die
Reise und die Gesellschaft trotzdem weiter.
Erstmals sehen wir Dali bei Tag und stellen fest, dass wir uns mitten in hohen Bergen
befinden. 4'122m ragt die höchste Bergspitze in den Himmel. Man munkelt in der Runde,
dass uns eine Sesselbahn bis auf die Bergspitze bringen soll. Gestern noch auf 5m über
Meter und heute auf über 4'000m. Ob das unser Kreislauf überhaupt übersteht? Zudem
ist es heute sehr kalt.
Wir vergessen erst einmal die Bedenken, und fahren zum Drei Pagoden Park, dem
Wahrzeichen von Dali. Rund um die alten Türme wurde eine Tempelanlage aus der
Tang-Zeit rekonstruiert. Die Anlage ist so gross, dass die Besucher mit kleinen Elektrobussen transportiert werden. In den vielen Gebäuden leben irgendwo noch 20 Mönche.
Viel Gold wurde allein für die 500 kunstvollen Statuen der Schüler von Buddha verarbeitet. Wie alle Tempel wird auch dieser von 4 Wächtern beschützt. Es sind grosse
Figuren aus Stein und jede trägt ein symbolischen Gegenstand. Einen Schirm für den
Regen, einen kleinen Drachen für den Wind, ein Schwert für den Frieden und eine Laute
für die Freude.
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Dass man sich auch hier ganz dem Tourismus verschrieben hat, zeigen die
mehrsprachigen Wegweiser. Unter einem 'Etang de se rassembler des images' können
wir uns zwar noch weniger vorstellen als unter dem 'Shadow Agglomeration Pond'. Das
Spiegelbild, der Pagoden im Teich ist aber wunderschön!
In einem nahen Dorf besuchen wir den farbigen Markt der Bai, einer ethnischen
Minderheit. Es sind kaum Touristen hier. Zwei Frauen aber wittern ein Geschäft und
bedrängen uns erfolgreich mit ihren kleinen Eisen-Schildkröten. Bei der Tanzvorführung
zum Thema 'Tee' verstehen wir von den Erklärungen natürlich kein Wort. Aber für die
Degustation der unterschiedlichen Sorten braucht es keine Sprachkenntnisse.
Beinahe erleichtert stellen wir fest, dass sich inzwischen über den Bergen dicke Wolken
zusammen gezogen haben. Nun gilt es, dem Reiseführer beizubringen, dass wir nicht auf
den Berg hochfahren wollen. Wir begreifen erst später, warum ihn unseren Entscheid so
erstaunt. Beim Vorbeifahren erblicken wir nämlich die 'Bergstation'. Sie liegt nur leicht
erhöht und kaum weiter weg als der Gurten. Wer hat denn dieses wilde Gerücht in die
Welt gesetzt....??
In der Altstadt von Dali reiht sich ein Souvenirladen an den andern. Zum reichhaltigen,
chinesische Abendessen, setzten wir uns hier ausnahmsweise nicht an grosse runde
Tafeln. In einem kleinen Restaurant sind im ersten Stock zwei lange Tische für uns
reserviert. Egal ob rund oder lang, die Speisen sind herrlich.
Es ist kaum 20Uhr als uns der Bus beim Hotel ausspuckt. Es ist ein äusserst ungastlicher
Palast, der ausser den geschlossenen Luxusläden nichts zu bieten hat. Keine Bar, kein
Restaurant keine gemütlichen Sitzecke. Wir verziehen uns sogleich in unsere Zimmer,
denn müde genug sind wir ja – und vielleicht klappt es ja heute mit dem Whisky.
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Mittwoch, 24. November 2010
Der Bus steht schon früh zur Abfahrt bereit. Wir verlassen Dali bei verhangenem Himmel
und setzen unsere Reise nach Lijiang fort. Wir durchfahren eine an Bodenschätzen
reiche Gegend. Blei, Zink und Zinn werden hier abgebaut. Auf den Feldern wird hauptsächlich Reis und Saubohnen geerntet.
Geschickt unterbrechen wir die ca. 3 ½ - stündige Fahrt bei einem wahren Eldorado für
Jadeschmuck. Selbstverständlich sind die Toiletten in der hintersten Ecke des Fussballfeld grossen Ladens zu finden. In den eng nebeneinander aufgereihten Glasvitrinen
liegen unter anderem Armreife zu Preisen von 100 bis 30'000 Yuan.. Dies entspricht in
etwa einer Preisspanne von 14.- bis 4'300.- in Schweizerfranken. Die zahlreichen Verkäufer und Verkäuferinnen wissen nur zu gut, den mutmasslichen Qualitätsunterschied
glaubhaft zu machen. Für uns jedenfalls ist kein grosser Unterschied festzustellen. Wir
sind vorsichtig und kaufen nichts, aber das Erlebnis hat sich durchaus gelohnt.
Lijiang erreichen wir am frühen Nachmittag. Es liegt auf 2'400m und zählt (noch) zum
Weltkulturerbe der UNESCO. Der touristischen Entwicklung wegen, steht diese
Auszeichnung aber in Frage. Ein grosses Erdbeben im Jahre1996 zerstörte die meisten
Gebäude. Sie wurden neu aufgebaut und haben das Strassenbild verändert.
Noch bevor wir ins Hotel fahren, besuchen wir das Dongba Museum. Hier lernen wir
nicht nur die lokale Kultur der Naxi, einer weiteren ethnischen Minorität, sondern auch
unsere neue Reiseleiterin kennen. Frau Jung, wie sie sich nennt, ist nicht nur jung,
sondern spricht auch ein exzellentes Englisch. Ihr Schalk und ihre Fröhlichkeit stösst
sofort auf grosse Sympathie. Mit Alalalei begrüsst sie uns und bringt uns auch gleich die
ersten Worte in ihrer Sprache bei. Sie ist selbst eine Naxi und weiss viel über die
Besonderheiten ihres Volkes zu erzählen.
Sehr Interessant ist für uns schlankheitsbewusste Europäerinnen, dass besonders
Schwiegermütter auf dicke Schwiegertöchter hoffen. Denn sie erledigen die harten
Arbeiten auf den Feldern und tragen schwere Lasten. Frösche sind ein Symbol der
Fruchtbarkeit und werden in der Hochzeitsnacht gerne im Schlafzimmer versteckt. Die
Ehe hingegen bleibt nur bei der jüngeren Generation mehr oder weniger monogam. Die
so genannte 'walking marriage' wird unter der matriarchalischen Bevölkerungsgruppe
immer noch gelebt. Die Väter leben demzufolge nicht bei der Familie. Sie ziehen weiter,
um mit andern Frauen Kinder zu zeugen.... Na ja!
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Nach der langen Fahrt ist ein Spaziergang entlang des Schwarzen Drachen Teichs
willkommen, auch wenn das Wetter eher düster ist, und die Farben nicht optimal zur
Geltung kommen. In einem kleinen Tempel am Weg werden Wali und ich vom Priester
gesegnet, noch eh wir begreifen was uns geschieht. Die Zeremonie beginnt mit einer
kurzen Aufregung, denn ich zünde Räucherstäbe am falschen Ende an! Das Ritual soll
auch etwas kosten. Die Forderung ist hoch und man ist gar nicht erstaunt, dass wir den
Betrag massiv kürzen.
Nachdem wir nun auch wissen, wie die schönen Batikstoffe gemacht werden, und nach
einem kurzen Rundgang in der hektischen Altstadt, entschliesst sich fast die Hälfte der
Gruppe, den langen Tag vorzeitig abzuschliessen. Das Hotel Crowne Plaza ist eine
wunderschöne Anlage mit luxuriösen Zimmern, und wir sehnen uns nach Ruhe und
Wärme. Die Schmerztabletten schwächen wohl doch etwas meinen Unternehmungsgeist.
Die sehenswerte Kirche und der Löwenberg können mich nicht mehr locken. Im feudalen
aber leeren Restaurant lassen wir uns von den vielen Angestellten gerne verwöhnen. Auf
den kunstvoll angerichteten Tellern liegt seit langem wieder einmal europäische Kost, wie
z.B. Spaghettis, knackiger Sommersalat usw.
Donnerstag, 25. November 2010
Wie können Touristen es so gelassen hinnehmen, dass sich der bekannteste Schneeberg
der Region hinter dicken Wolken versteckt? Frau Jung bedauert sehr, dass wir den
Anblick des 5'590m hohen Yulong Xueshan verpassen – sie kennt unsere Berge
nicht..... Der kalte Wind hingegen ist viel unangenehmer. Die warmen Winterjacken und
Mützen liegen leider zu hause.
Heute sollen wir das Landleben der Naxi kennen lernen und deren Dörfer besuchen.
Eines davon heisst Yuhu, was übersetzt Jadesee heisst. Die Frauen tragen über ihren
Trachten einen aus Palmblätter geflochtenen Rückenpanzer. Er schützt sie nicht nur
gegen die Kälte sondern auch beim Tragen grosser Lasten. Sieben Sterne schmücken
ihre Schulter-Umhänge. Sie symbolisieren die Arbeitskraft der Frauen. So wie die Sterne
am Himmel immer leuchten, sind auch die Frauen immer bei der Arbeit.
Ganz speziell sind die kleinen Traktoren. Sie werden von den Männern gefahren,
während hinten, jeweils stehend, eine Frau mitfährt. Die auffallend lauten Motoren können
abmontiert und als Antrieb für Wasserpumpen oder ähnliches benützt werden.
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Zu den Wohnhäusern gehören zwei bis drei Gebäude, rund um einen grossen Hof. Hier
wohnen mehrere Generationen einer Familie zusammen. Sie bewirtschaften die Felder
oder gehen mit ihren Hunden und Falken jagen. An den meisten Eingangstoren sind
grosse farbige Schriftzeichen angebracht. Weisse Zeichen deuten auf einen Todesfall in
der Familie hin. Liegt der Verlust zwei Jahre zurück, prangen am Eingang orange
Zeichen. Erst nach 3 Jahren künden die roten Zeichen das Ende der Trauerzeit an. Nun
darf auch wieder geheiratet werden. Bis zu 2'000 Gäste werden zur Hochzeit eingeladen
und von den Gastgebern verpflegt. Mit Hilfe von Freunden und Nachbarn werden die
aufwändigen Malzeiten frisch zubereitet.
Beim tibetischen Lamatempel werden wir von einer Gruppe tanzender Frauen empfangen. Erstaunt sehen wir zu, wie Frau Jung beim Lösen der Eintrittkarten all unsere Pässe
aushändigt. Wozu dient diese Überwachung? Lange machen wir uns darüber nicht
Gedanken, denn unsere volle Aufmerksamkeit gilt ganz anderen Dingen. Wir haben gelernt, dass wir die heilige Stätte mit dem linken Fuss voran betreten müssen und dabei die
hohe Schwelle ja nicht berühren sollen. Dasselbe gilt beim Verlassen, nur dass dann der
rechte Fuss vorgeht. Einige Bilder des Panchen Lama lösen in der Gruppe sogleich
eifrige Diskussionen über den Unterschied zum Dalai Lama aus. Soweit ich verstehe, ist
der Panchen eine Art Schüler vom Dalai Lama. Etwas vom Tempel erhöht steht ein
legendärer, 550 Jahre alter Kamelienbaum. Ein beliebtes Fotosujet, besonders wenn er in
voller Blütenpracht steht. Ein 93 jähriger Mönch soll ihn noch immer täglich bewachen.
Ausser heute, denn sein Stuhl ist, angeblich der Kälte wegen, leer.
Auf uns wartet in Baisha, einem weiteren Naxi-Dorf, das Mittagessen. Das weitaus Beste
daran sind die Holzkohlenfeuer, welche als Heizung unter den Tischen stehen. Wir
nehmen es gerne in Kauf, dass wir dabei auch tüchtig geräuchert werden.
In der Zwischenzeit zeigt sich in der Wolkendecke ein Loch und gibt den Blick auf den
imposanten Berg frei. Seine Spitze soll beim Erdbeben gar eingestürzt sein.
Unserer Reiseleiterin merkt man noch keine Müdigkeit an, ganz im Gegenteil zu uns. Der
Besuch einer Stickerei-Schule vermag uns dann aber doch wieder zu begeistern. Unter
den geschickten Händen der jungen Frauen entstehen erstaunliche Bilder. Eines davon
gefällt mir besonders gut und ich bereue es heute noch, dass ich es nicht gekauft habe.
Die goldenen Fische würden gut in unser Wohnzimmer passen!
Nach dem Abendessen in der Altstadt steht noch ein traditionelles Konzert der Naxi auf
dem Programm. Wir sind überrascht, wie ansprechend die Musik tönt. Leider wird
dazwischen lange gesprochen und da wir nichts davon verstehen, nehmen wir die
zunehmende Kälte im Raum wahr. Einige von uns verlassen die Vorstellung deshalb
frühzeitig, um sich im schönen Hotel wieder aufzuwärmen.
China 2010 / Annemarie (Billy) Schlegel
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Freitag, 26. November 2010
Den heutigen Tag verbringen wir mehrheitlich mit Reisen. Mit der Eastern China Airline
fliegen wir mit Zwischenlandung in Kunming, nach Guilin, dem Ausgangspunkt für die
morgige Schifffahrt auf dem Li-Fluss.
Nach unserer Landung (bei Regen!) werden wir vom örtlichen Reiseleiter, Herr Teng,
erwartet. Er empfängt uns auf dem Weg in die Innenstadt mit einem Lied. Auf den
Strassen herrscht das übliche Chaos. Guilin liegt in der Provinz Guangxi und wird heute
hauptsächlich von Han-Chinesen, der grössten Bevölkerungsgruppe Chinas bewohnt. Die
Blüten des Zimtbaumes haben der Stadt den Namen gegeben und die Karstlandschaft
mit den unzähligen kuriosen Hügeln hat sie bekannt gemacht. 10 Millionen Touristen soll
der Ort jährlich anziehen. Da müssen wir uns auf etwas gefasst machen....
Das Sheraton Hotel liegt in der Nähe der Fussgängerzone. Wali und ich sind hier 1994
auch abgestiegen. Die Eingangshalle ist immer noch imposant, aber die Zimmereinrichtungen sind inzwischen etwas in die Jahre gekommen. Nach dem Abendessen in einem
nahen Restaurant besuchen wir den belebten Nachtmarkt. Später lassen wir im Hotel den
Tag bei einem guten Glas Wein ausklingen. Auch das hat sich seit unserer ersten Reise
geändert. Damals war es kaum möglich, irgendwo Wein zu bestellen.
Samstag, 27. November 2010
Wir fahren im Bus ca. 30 km zur Einsteigestelle. Ganz früher war die Flussfahrt
durchgehend von Guilin bis Hongkong möglich. Wegen Kanalbauten und Flusskorrekturen fliesst aber heute nicht mehr genügend Wasser. In Gesellschaft von
zahlreichen Ausflugsschiffen lassen wir uns bald darauf im flachen Gewässer Fluss
abwärts treiben.
Bevor wir die hohen Berge zu Gesicht bekommen, gleiten wir an Reisfeldern vorbei. Die
Felder werden von BMWs bearbeitet (!) = Bauer mit Wasserbüffel. Die Tiere tragen Maulkörbe aus Bambus, damit sie die Reisspflanzen nicht fressen. Das regnerische und neblige Wetter lässt zwar die hohen Karsthügel nicht im besten Licht erstrahlen. Die Schattenspiele sind aber irgendwie faszinierend. Viele Künstler lassen sich besonders bei diesem
Licht von der Landschaft inspirieren. In den üppigen Wäldern sollen viele wilde Tierarten
ihren Lebensraum finden. Wie z. B. die Stumpfnasenaffen, Pandas, Tiger, Bären und die
wild lebenden asiatischen Elefanten.
Am Heck des Schiffes, im Freien, wird eifrig gekocht. Während wir draussen die
Umgebung bewundern werden drinnen auch schon die duftenden Speisen bereit gestellt.
Eine Gruppe von Japanern drängt sich vor und überfällt das Buffet. Damit sind auch die
schönen Sushis, auf die wir uns so gefreut haben, weg. Was auf den Tellern keinen Platz
mehr findet, wird in Plastiksäcken weg getragen.
China 2010 / Annemarie (Billy) Schlegel
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Fünf Stunden später steigen wir in Yangshuo an Land. Herr Teng hat uns vor den
aufsässigen Händlern gewarnt. Wie Bremsen vor dem Gewitter verfolgen sie uns und
sind hie und da auch erfolgreich. Ausgerechnet bei einer ortsüblichen Zahnarztpraxis
müssen wir vorbei. Wie im Coiffeursalon sind hier die Behandlungsstühle aufgereiht, und
die Passanten können durch das grosse Schaufester gleich zusehen, wie der Patient
leidet. Da behalte ich doch lieber meinen schmerzenden Zahn.
Nach dem Abendessen begleiten wir auf einem Boot zwei Fischer mit ihren Kormoranen.
Die zahmen Vögel tragen Ringe um den Hals und können deshalb nur die ganz kleinen
Fische schlucken. Sind sie grösser, bleiben sie stecken und gehören ihrem Besitzer.
Geduldig warten sie bis ihnen die Beute abgenommen wird. Offensichtlich eine Tortur,
denn die Tiere sitzen anschliessend ziemlich belämmert auf dem Floss, bevor sie erneut
abtauchen. Wie wir vermuten, sei diese Art zu Fischen seit langem nicht mehr lukrativ
und wird einzig noch als Touristenattraktion aufrecht erhalten.
Sonntag, 28. November 2010
Unsere Rundreise in Südchina geht langsam dem Ende zu. Heute fliegen wir wieder nach
Hongkong zurück. Die Abflugzeit ist aber erst auf 18.00 vorgesehen. Zeit genug also, um
vorher noch einiges zu unternehmen.
Der Elefant beim Elefantenrüsselhügel lässt sich aus der Form des bewaldeten Hügels
gut ausmachen. Er steht am Fluss und trinkt mit seinem Rüssel Wasser. Selbst das Auge
und die grossen Ohren lassen sich in den Felsformationen entdecken. Die Sage erzählt,
dass der Jadekönig einst mit seiner Karawane am Li-Fluss vorbei zog. Einer der
Elefanten wurde krank, und er musste ihn hier zurücklassen. Bald erholte sich das Tier
und liebte die Gegend am Fluss. Zum Jadekönig wollte er nicht wieder zurück. Dieser
wurde so wütend, dass er ihn mit seinem Schwert tötete. Noch heute sieht man den Griff
der Waffe. in seinem Rücken stecken. Es ist eine kleine Pagode, die auf dem Hügel steht.
Auf der Fahrt zur grossen Tropfsteinhöhle erklärt uns Herr Teng das Tarifsystem der
öffentlichen Busse. Es gibt den unklimatisierten 1 Yuan Bus (ca. 0,14 sFr.) , 2 Yuan
kostet der etwas bequemere und klimatisierte. Senioren ab 60 bezahlen nichts.
In der Schiffflötenhöhle, einer imposanten, weitläufigen Tropfsteinhöhle kann unser
Führer mit seiner Zaubertaschenlampe fantasievolle, farbige Beleuchtungen einschalten.
Er zeigt uns in den Stalaktiten und Stalagmiten Bilder von Affen, Löwen, Pilzen und gar
vom St. Nikolaus. Mit einem Ständchen an einer akustisch idealen Stelle verabschieden
sich die Zofinger von der Höhle.
China 2010 / Annemarie (Billy) Schlegel
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Kurz vor dem Einchecken noch rasch ein Besuch in der Seidenwarenfabrik. Natürlich
verlassen wir diese mit den speziell als Fluggepäck eingepackten Duvets und Anzügen.
Die Vorführung ist interessant und überzeugend. Ein einziger Cocon wird schrittweise und
sorgfältig auf die Grösse einer Bettdecke gezogen und ergibt so eine der unvorstellbar
vielen Lagen. Ob die Verarbeitung tatsächlich von Hand geschieht, ist für mich zwar
fraglich. Wir sind auch gespannt, ob wir die viel gepriesenen Vorzüge der Seidendecke
auch bestätigen können.
Die Flugstunde nach Hongkong vergeht rasch. Die bekannten Grenzformalitäten lassen
wir gelassen über uns ergehen. Die Vogelgrippe ist wieder aktuell. Deshalb messen
Kameras auch unsere Körpertemperatur! Im Hotel YMCA deponieren wir nur rasch unser
Gepäck und gehen auch um 20.45 noch etwas Essen. Die heissen Sandwichs im Flugzeug haben nicht besonders geschmeckt
Montag, 29. November 2010
Eine Minute vor Mitternacht – wenn planmässig – werden wir heute zurück in die Heimat
fliegen. Ein ganzer Tag und ein langer Abend bleibt uns noch, um Hongkong zu entdecken. In kleinen Gruppen schwirren wir gleich nach dem üppigen Frühstücksbuffet aus.
Die einen fahren mit Goliath nach Maipo ins Vogelreservat und andere gehen gezielt auf
Shoppingtour. Wali und ich schliessen uns Gox, Monika, Lotos und Camille an. Nach der
letzten Aufregung um meinen verloren geglaubten Oktopus (U-Bahn-Streckenkarte)
kann's endlich los gehen.
Wir steuern zu Beginn die Standseilbahn zum Peak – Hongkongs Haushügel – an. Doch
ausgerechnet heute ist die Bahn eingestellt. Wir müssen uns deshalb mit einer wesentlich
längeren Fahrt mit dem Bus begnügen. Mit dem Rundweg mit Aussicht auf die Stadt, erfüllen wir ein willkommenes Fitnessprogramm, denn wir werden diese Nach viele Stunden
im Flugzeug sitzen. Zufrieden stellen wir fest, dass die Smogdecke nicht mehr so dicht ist.
Wir fahren wieder hinunter in die engen und lauten Gassen zurück. Wali ist bereits wieder
hungrig und wir suchen vorsorglich nach einem Kaffee. Hier erleben wir ein letztes Mal
die Tücken der Verständigung. Ein Toast aus Vollkornbrot soll es sein. Schade, ich hätte
wetten sollen, das es niemals klappen wird. Verdutzt und tapfer zugleich verdrückt Wali
am Schluss endloser Einwände und Diskussionen sein ungetoastetes schlaffes
Weissbrot.
Der Kreis hat sich geschlossen. Wir sitzen, wie am ersten Abend unserer Reise, im
gepflegten Restaurant des Hotels und schöpfen am Buffet vom reichhaltigen Angebot.
Etwas wehmütig, dass alles schon vergangen, aber vollbepackt mit schönen Erinnerungen, bereiten wir uns auf den Abschied vor. Und ich komme glücklicherweise meinem
Termin beim Zahnarzt immer näher!
China 2010 / Annemarie (Billy) Schlegel
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