Materialismus und Empiriokritizismus
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Materialismus und Empiriokritizismus
Zum 25.Jahrestag des Erscheinens von Lenins Werk nMaterialismus und Empiriokritizismusu Anfang 1908 war Lenin gezwungen, wieder ins Ausland zu emigrieren. Die Revolution war niedergeschlagen. Es begannen Jahre der schweren Reaktion. Woran dachte Lenin, als er wieder ins Ausland zurückkehrte? Ich führe einen Auszug aus meinen "Erinnerungen an Lenin" an: "Im Februar endlich erschien die erste in Genf herausgegebene Nummer des ,Proletari' (Nr. 21). Charakteristisch ist der erste Artikel Lenins in dieser Nummer. ,Wir haben es verstanden', schrieb er, .lange Jahre vor der Revolution zu arbeiten. Nicht umsonst hat man uns die Felsenfesten genannt. Die Sozialdemokraten haben eine proletarische Partei aufgebaut, die beim Mißlingen ihres ersten militärischen Ansturms nicht den Mut sinken lassen, nicht den Kopf verlieren, sich nicht zu Abenteuern hinreißen lassen wird. Diese Partei geht dem Sozialismus entgegen, ohne sich und ihre Geschicke an das Ergebnis der einen oder anderen Periode bürgerlicher Revolutionen zu binden. Daher ist sie auch frei von den schwachen Seiten bürgerlicher Revolutionen. Diese proletarische Partei geht dem Siege entgegen.'3'30 So schrieb Lenin. Und diese Worte drücken das aus, was damals den Inhalt seines Lebens bildete. Im Moment der Niederlage dachte er an große Siege des Proletariats. Abends, wenn wir am Ufer des Genfer Sees spazierengingen, sprach er darüber."331 Bald machte sich Wladimir Iljitsch daran, sein Werk "Materia- lismus und Empiriokritizismus" zu konzipieren und niederzuschreiben. Er tat das natürlich nicht, weil er viel freie Zeit gehabt hätte, sondern weil er den Kampf gegen den Revisionismus an der philosophischen Front gerade im damaligen Augenblick für besonders wichtig hielt. In seinem Anfang 1908 für den legalen Sammelband "Dem Andenken an Karl Marx" gewidmeten Artikel "Marxismus und Revisionismus" spricht Lenin von den klassenmäßigen, kleinbürgerlichen Wurzeln des Revisionismus, von der Notwendigkeit, an allen Fronten gegen den Revisionismus zu kämpfen, von der Notwendigkeit, den Revisionismus auch an der Front der Philosophie, der Weltanschauung, zu bekämpfen. Von diesem Kampf sagt Lenin in dem Artikel "Marxismus und Revisionismus": "... die Professoren arbeiteten ihr Staatsgehalt ab, indem sie ihre idealistischen wie ihre ,kritischen' Systeme der herrschenden mittelalterlichen ,Philosophie' (d. h. Theologie) anpaßten - und die Revisionisten rückten ihnen an die Seite, bemüht, die Religion nicht dem modernen Staat, sondern der Partei der fortgeschrittensten Klasse gegenüber zur ,Privatsache' zu machen. Auf die wahre Klassenbedeutung derartiger an Marx vorgenommener ,Korrekturen' braucht nicht erst hingewiesen zu werden - sie liegt auf der Hand."332 Iljitsch bedachte die Notwendigkeit, selber unmittelbar den Kampf an der philosophischen Front aufzunehmen, und beendete seinen Artikel "Marxismus und Revisionismus" mit den Worten: "Was wir heute oft nur auf ideologischem Gebiet erleben: Auseinandersetzungen mit theoretischen Korrekturen an Marx" (von mir hervorgehoben. N. K) ,,- was heute in der Praxis nur in einzelnen Teilfragen der Arbeiterbewegung zum Durchbruch kommt, als taktische Meinungsverschiedenheiten mit den Revisionisten und die Spaltungen auf dieser Grundlage -, das alles wird die Arbeiterklasse fraglos in nochviel größerem Maßstab durchzumachen haben, wenn die proletarische Revolution alle Streitfragen verschärfen" (von mir hervorgehoben. N. K), "alle Meinungsverschiedenheiten auf Punkte von unmittelbarster Bedeutung für die Bestimmung der Haltung der Massen konzentrieren, wenn sie das Proletariat zwin- gen wird, im Feuer des Kampfes Feind von Freund zu scheiden und die schlechten Bundesgenossen von sich abzuschütteln, um entscheidencie Schläge gegen den Feind führen zu können. Der ideologische Kampf des revolutionären Marxismus gegen den Revisionismus am Ausgang des 19. Jahrhunderts bedeutete nur eine Vorstufe zu den großen revolutionären Schlachten des Proletariats, das trotz aller Schwankungen und Schwächen des Spießbürgertums dem vollen Sieg seiner Sache entgegenschreitet."3:r.1 Das Leben hat Lenins Worte bestätigt: neun Jahre später, im Jahre 1917, kam es zur Großen Oktoberrevolution. Das Proletariat nahm die Macht fest in seine Hände. Den Sieg erringen half ihm die Partei der Bolschewiki, die ideologisch einmütig war und die im Kampf gegen den Opportunismus mit der Theorie von Marx und Engels gestählt und gewappnet war. Diese Theorie vermochte es, weit in die Zukunft zu blicken und ohne Schwankungen den ausersehenen Weg zu beschreiten. Der Kampf an der philosophischen Front spielte die größte Rolle, er befähigte die Bolschewiki, die Ziele der Oktoberrevolution klar zu verkünden, er gab ihnen die Möglichkeit, die Entwicklung der Ereignisse richtig vorauszusehen und den richtigen Weg für den Kampf zu erkennen. Lenin maß der Theorie gewaltige Bedeutung bei. Nur der dialektische Materialismus, dessen Grundlagen Man: und Engels so glänzend erarbeitet und wissenschaftlich begründet hatten, konnte nach Lenins Meinung dem Proletariat als Anleitung zum Handeln dienen und es zum Siege führen. Der Wissenschaftlichkeit der Theorie des Marxismus maß Lenin die größte Bedeutung bei, in ihr sah er das Unterpfand für den Sieg des Proletariats. Er glaubte nicht einfach an den Sieg, er war von ihm überzeugt. Schon die ersten Schritte der russischen revolutionären Marxisten waren untrennbar verbunden mit dem Kampf für die marxistische Weltanschauung. Der Kampf gegen die Volkstümler war ein Kampf für die Grundlagen des Marxismus. Der Kampf gegen die "legalen Marxisten", die den Marxismus seines revolutionären Inhalts berauben und die Rolle des Klassenkampfs verdunkeln wollten, er- folgte auf der gleichen Linie. Der. Kampf gegen die Anhänger der .Rabotschaia Mysl", gegen die Ökonomisten, war ein Kampf gegen die Schmälerung der Bedeutung der Theorie im Kampf des Proletariats. Nach dem H. Parteitag griff der Kampf zwischen Bolsehewiki und Menschewiki, der mit organisatorischen Fragen begonnen hatte, immer mehr um sich und wurde zum Kampf der Bolschewiki gegen die Preisgabe aller prinzipiellen Standpunkte durch die Menschewiki, gegen den sich immer mehr ausbreitenden Opportunismus der Menschewiki. Während seines ganzen Wirkens führte Lenin einen-, leidenschaftlichen Kampf gegen den Opportunismus, gegen jedes Aufgeben prinzipieller Standpunkte, und als dann in den Reihen der Bolschewiki unter dem Einfluß der immer heftiger andrängenden Reaktion opportunistische Schwankungen auf dem Gebiet der Philosophie begannen, als in ihren Reihen Versuche einsetzten, unter dem Deckmantel unversöhnlichsten Revolutionarismus die Wissenschaftlichkeit des dialektischen Materialismus mit Berufung auf eine kleine Gruppe gelehrter Physiker, die den Weg idealistischer Philosophie beschritten hatten, zu bezweifeln und das Wesen des dialektischen Materialismus zu entstellen, da kam Lenin zu der Erkenntnis, daß in diesem Augenblick der Kampf an der philosophischen Front jenes Glied war, das man packen mußte, daß eben an dieser Front dem Opportunismus eine Schlacht geliefert werden mußte. Unser russischer Opportunismus erschien in der Periode von 1893 bis 1908 häufig in ganz naiven Formen, er trug russische Färbung, dem Wesen der Sache nach aber repräsentierte er Variationen des internationalen Opportunismus, der im Schoße der II. Internationale mehr und mehr heranwuchs und 1914, als der Weltkrieg ausbrach, zur Preisgabe aller Standpunkte und zum Verrat an der Sache des Proletariats führte. Schon 1895 hatte der bekannte deutsche Opportunist David, der besonders durch seine opportunistischen Ausführungen in der Agrarfrage, in der Bauernfrage, bekannt geworden ist, erklärt, die Sozialdemokratie sei nicht die Partei des Wissens, sondern des Willens. Auf dem Breslauer Parteitag erwiderte ihm Clara Zetkin: "Ich bin der Ansicht, daß die Sozialdemokratie die Partei des zielklaren Willens ist, weil sie die Partei des zielklaren Wissens ist." (Von mir hervorgehoben. N. K) "Bequemen wir uns der Auffassung des Genossen David an ... , so treten wir in die Fußstapfen des Zickzack.kurses. Er ist bis jetzt der sozialen Frage gegenüber vor lauter Probieren - mit dem Zuckerbrot, mit der Peitsche, mit allen möglichen Mitteln - nicht zum Studieren gekommen. "334 Wir wissen, wie sehr Bernsteins Buch "Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie" der Preisgabe aller marxistischen Standpunkte gleichkam. Bernstein versuchte in diesem Buch, die Theorie des historischen Materialismus und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse von den Triebkräften, vom Kampf des Proletariats, von der Unausbleiblichkeit der Ablösung der kapitalistischen durch die sozialistische Ordnung als Resultat dieses Kampfes zu widerlegen. Bernstein verfocht die Theorie der Klassenversöhnung, er behauptete, "die Bewegung ist alles, das Ziel nichts", er ersetzte den Kampf für den Sozialismus durch einen Kampf für Reformen. "Bernstein setzt an die Stelle der Wissenschaft die Utopie, er läßt die Gründe für die Verwirklichung des Sozialismus als einer wirtschaftlichen Notwendigkeit fallen und sucht das Proletariat mit dem frommen Glauben zu trösten, daß der Sozialismus eine sittliche, eine kulturelle Notwendigkeit sei"335,schrieb Clara Zerkin 1899 in der "Gleichheit". Das. auf dem Gebiet der Wissenschaft aufs Haupt geschlagene Bernsteinianertum ging aber nicht ein, sondern tauchte immer wieder in neuen Formen auf, und 1908 mußte Clara auf dem ordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegen einen gewissen Maurenbrecher Front machen, der auf die Rolle eines sozialdemokratischen Führers prätendierte und behauptet hatte, die Verwirklichung der sozialistischen Produktionsordnung sei nichts als eine "regulative Idee", Sache des Glaubens und Hoffens. Empört erklärte Clara Zetkin, das sei Preisgabe des Marxismus. "Was heißt das anderes, um mich populär auszudrücken, als daß der Sozialismus als Wissenschaft zurückgeführt wird nicht nur auf die sozialistischen Utopisten, sondern hinter sie, daß er aus einer wissenschaftlichen Erkenntnis in eine pfäffische Glaubensformel verwandelt wird. "336 Versuche, den Marxismus zu entthronen, ihm die wissenschaftliche Basis zu entziehen, aus dem Sozialismus den Gegenstand eines Glaubens, etwas "Wünschenswertes und zu Erwartendes" zu machen und weiter nichts. - solche Versuche waren typisch für den internationalen Opportunismus. Die Niederlage der russischen Revolution von 1905, die Orgie der Reaktion schlug nicht nur die Stimmungen der russischen -Sozialdemokraeie nieder - die I Niederwerfung der russischen Revolution mußte sich auch auf die Stimmung der internationalen Sozialdemokratie auswirken und die opportunistischen Tendenzen in ihr verstärken. In einem solchen Augenblick war ein leidenschaftlich und durchdacht geschriebenes Buch zur Verteidigung der Grundlagen des Marxismus von ganz besonderer - von internationaler Bedeutung, Welche Ziele steckte sich Lenin, als er sich daranmachte, "Materialismus und Empiriokritizismus" zu schreiben? Darauf weist er in seinem Schlußkapitel hin. Seine Hauptaufgabe war es, die theoretischen Grundlagen des Empiriokritizismus und die des dialektischen Materialismus zu analysieren und sie miteinander zu vergleichen. Der Lösung dieser Aufgabe widmete Lenin die ersten drei Kapitel - die Hälfte seines ganzen Buches. Es gelang ihm zu beweisen, wie unwissenschaftlich die haltlosen Versuche der Empiriekritiker waren, die theoretischen Grundlagen des dialektischen Materialismus zu erschüttern, er konnte zeigen, daß der Empiriokritizismus nichts wesentlich Neues zur Erkenntnistheorie beigetragen hatte, daß seine Argumente nur die einfache Wiederholung. alter, von den Materialisten schon längst widerlegter Fehler des Idealismus und Agnostizismus sind: Die zweite Aufgabe seiner Untersuchung sah Lenin darin, klarzustellen, welchen Platz die Empiriokritiker unter den philosophischen Schulen der Gegenwart einnehmen. Er stellte fest. daß sie eine sehr kleine Schule von Fachphilosophen sind. die sich einer der reaktionärsten idealistischen Schulen verschrieben haben. Lenin stellte sich aber auch noch eine dritte Aufgabe. Der dialek- tische Materialismus beruht auf den Errungenschaften der Wissenschaft, die sie auf den mannigfaltigsten Wissensgebieten zu verzeichnen hat. Unsere Erkenntnis der existierenden Welt wird ständig vertieft. Neue Entdeckungen vermögen das Wesen des dialektischen . Materialismus nicht zu erschüttern, doch können sie eine Veränderung seiner Form erfordern. Auf Seite 206 der 3. Ausgabe der Werke, Bd. XIII, zitiert Lenin Engels: ,,,Mit jeder epochemachenden Entdeckung schon auf naturwissenschaftlichem Gebiet' (geschweige denn auf dem der Geschichte der Menschheit) ,muß er' (der Materialismus) ,seine Form ändern.' (,L. Feuerbach', S. 19 der dtsch. Ausg.)"SS7 ... Lenin stellte sich also die Aufgabe, herauszufinden, ob die Machisten, die sich ständig auf die neuesten Entdeckungen in der Physik berufen, irgend etwas Neues bringen, was die Formen des dialektischen Materialismus verändern könnte, und er kam zu der Schlußfolgerung, daß sie nichts Neues zur Form des dialektischen Materialismus beitragen, sondern nur ein Beispiel hilflosen Schwankens bieten - eine Folge ihres Unverständnisses für die Dialektik der naturwissenschaftlichen Entwicklung. Die letzte Aufgabe schließlich, die Lenin sich in dem Buch "Materialismus und Empiriokritizismus" stellte, war die, zu enthüllen, wessen Mühle die Machisren bewußt oder unbewußt treiben. Der dialektische Materialismus ist die Ideologie der Arbeiterklasse. Der Kampf gegen den dialektischen Materialismus ist im Grunde ein Klassenkampf. Der Idealismus ist lediglich eine raffinierte Form der Religion, die von alters her in den Händen der Gutsbesitzer und Kapitalisten ein Werkzeug geistiger Versklavung breiter Massen der Werktätigen darstellt. Die Machisten leiten Wasser auf die Mühle des Idealismus, sie sinken zur Gottbildnerei und Gottsucherei hinab und behindern die Entwicklung des Selbstbewußtseins der Massen. Sie müssen bekämpft werden. Seit der Niederschrift des Buches "Materialismus und Empiriokritizismus" sind mehr als 25 Jahre vergangen. Diese Jahre waren Jahre schärfster Klassenkämpfe. Das Leben hat auf Schritt und Tritt bestätigt, daß die marxistischen Grundsätze richtig sind. Gegen- wärtig stehen wir im Feuer herannahender 110chschärferer Zusammenstöße. Der Faschismus verbrennt auf seinen Scheiterhaufen die Werke von Marx, Engels und Lenin, er sucht die Religion in jeder Weise zu stärken und durch dieses Mittel die Massen der Werktätigen vom Klassenkampf abzulenken. Der Kommunismus hebt das Banner des dialektischen Materialismus immer höher, er verbindet ihn fest mit der Praxis und verwandelt ihn immer stärker in eine Anleitung zum Handeln. Unwillkürlich erinnert man sich der von mir weiter oben angeführten Worte Lenins: "Was wir heute oft nur auf ideologischem Gebiet erleben: Auseinandersetzungen mit theoretischen Korrekturen an Marx ... , das alles wird die Arbeiterklasse fraglos in noch viel größerem Maßstab durchzumachen haben, wenn die proletaFischeRevolution alle Streitfragen verschärfen ... wird ... "338 Wir erleben das heute, und man sollte das Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" immer wieder lesen, um sich von allen Fragen der Weltanschauung ein möglichst deutliches Bild machen zu können. Noch auf eine Frage möchte ich eingehen. An etwa 30 Stellen seines "Materialismus und Empiriokritizismus" kommt Lenin auf Plechanow zurück:.Diese Stellen zeigen einerseits"sehr umfassend Lenins Einstellung zu Plechanow, anderseits aber charakterisieren sie sehr klar Lenins Arbeitsmethoden bei der Abfassung des Buches "Materialismus und Empiriokritizismus". In dem von mir weiter oben zitierten Artikel "Marxismus und Revisionismus", den Lenin Anfang 1908 schrieb, heißt es: "Auf die wahre Klassenbedeutung derartiger an Marx vorgenommener ,Korrekturen' braucht nicht erst hingewiesen zu werden - sie liegt auf-der Hand. Wir wollen nur hervorheben, daß der einzige Marxist in der internationalen Sozialdemokratie, der vom' Standpunkt des konsequenten dialektischen Materialismus aus an den unglaublichen Plattheiten, die die Revisionisten zusammenredeten, Kritik. übte, Plechanow war. Dies muß um so nachdrücklicher betont werden, als gegenwärtig ganz fehlerhafte Versuche unternommen werden, unter der Flagge einer Kritik an Plechanows taktischem Opportunismus alten und reaktionären philosopliischen Plunder durchzuschmuggeln."339 Iljitsch meinte die "Beiträge zur Philosophie des Marxismus" von Bogdanow, Basarow, Lunatscharski, Walentinow u. a. Wie wir sehen, spricht Lenin sich hier über Plechanow sehr 10. bend aus. Hinderte dieses Urteil ihn jedoch, kritisch an Plechanows Werke heranzutreten? In keiner Weise. Wie also? Auf den Seiten 195/196, Bd. XIII340,beantwortete Iljitsch diese Frage. "Walentinow", schreibt er, "will die Marxisten dadurch schlagen, daß er sie mit Büchner vergleicht, der viel Ähnlichkeit mit Plechanow haben soll, obwohl Engels sich schroff von Büchner abgegrenzt hat", und, Walentinow erwidernd, schreibt Lenin: "Marx und Engels haben stets den schlechten (und hauptsächlich den antidialektischen) Materialismus verurteilt, aber sie verurteilten ihn vom Standpunkt des höheren, entwickelteren, dialektischen Materialismus und nicht vom Standpunkt des Humeismus oder Berkeleyanismus." Weiter schreibt Iljitsch: "Engels sagt mit äußerster Klarheit, daß Büchner und Co. ,in keiner Weise über die Schranke ihrer Lehrer', d. h. der Materialisten des 18. Jahrhunderts, ,hinauskamen', daß sie nicht einen Schritt vorwärts getan haben. Deswegen und nur deswegen macht Engels Büchner und Co. Vorwürfe, nicht wegen ihres Materialismus, wie die Ignoranten meinen, sondern weil sie den Materialismus nicht vorwärtsbrachten, weil .es ganz außerhalb ihres Geschäfts lag, die Theorie' (des Materialismus) ,weiterzuentwickeln'. Nur deswegen macht Engels Büchner und Co. Vorwürfe. "341 Genauso verfuhr Lenin selber in "Materialismus und Empiriokritizismus". Er verteidigte Plechanow als Materialisten gegen die Angriffe der Machisten, und er kritisierte Plechanow wegen seiner Fehler und Abweichungen vom dialektischen Materialismus, wenn er Fehler und Abweichungen feststellte. Ganz außerordentliche Bedeutung maß Lenin der Verteidigung der Grundlagen des dialektischen Materialismus bei. Er hielt diese Frage für so wichtig, daß bei ihrer Erörterung alle Fraktionserwägungen zurückzustehen hatten. Lenin verstand es, diese Frage zu lösen, indem er gegen diejenigen Bolschewiki, seine eigenen Frak- tionsgefährten, zu Felde zog, die sich auf einen falschen Standpunkt stellten, und er verteidigte Plechanow insoweit, als man ihn als Materialisten angriff, obgleich Plechanow sich in den Auseinandersetzungen als der eingefleischteste Fraktionsmacher aufführte. Gegen Ende des Buches, auf Seite 290, schreibt Lenin in einer Fußnote: .Plechanow trachtete in seinen Bemerkungen gegen die Machisten weniger danach, Mach zu widerlegen, als vielmehr der Fraktion der Bolschewiki Schaden. zuzufügen. Für diese kleinliche und klägliche Ausnutzung grundlegender theoretischer Meinungsverschiedenheiten wurde er schon hinreichend bestraft durch zwei Schriften menschewistischer Machisten. "342 Anderseits belegt Lenin die Verfasser der "Beiträge zur Philosophie des Marxismus" mit Schimpf und Schande, weil sie gegen den Materialismus nicht mit offenem Visier antreten, nicht gegen Marx, Engels, Feuerbach, Dietzgen kämpfen, sondern die Larve von Kämpfern bloß gegen Plechanow anlegen, weil sie die fraktionelle Gereiztheit gegen Plechanow ins Spiel bringen und dadurch die Karten durcheinanderwerfen. weil sie die marxistische Wachsamkeit bolschewistischerLeser abstumpfen wollen. Hiervon spricht Lenin mehrere Male: auf den Seiten 17, 68, 70,100, 119343.Er stellt den bolschewistischen Machisten den Machisten Tschernow entgegen, der sich ohne jede Tarnung gegen die Begründer des dialektischen Materialismus in die Schlacht stürzt (S. 80/81344). Lenin verteidigt Plechanow als Materialisten gegen die Machisten. Auf Seite 20345 weist er darauf hin, daß sich Basarows Einwände gegen Plechanow mit den Argumenten des BischofsBerkeley (des englischen spiritualistischen Philosophen Berkeley, des Begründers des subjektiven Idealismus, der im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte) gegen die Materialisten decken. Auf Seite 68 verteidigt Wladimir Iljitsch Plechanows Standpunkt, daß es "für den Idealismus kein Objekt ohne Subjekt gibt, für den Materialismus aber das Objekt unabhängig vom Subjekt existiert und mehr oder weniger richtig in seinem Bewußtsein widergespiegelt wird"346,er verteidigt dessen Ansicht von der "menschlichen Natur" und führt zur Bestätigung ein Zitat von Feuerbach an. Auf den Sei- ten 90/91 empört er sich darüber, daß Basarow gegen Plechanow die Beschuldigung erhebt, Idealist zu sein. Er schreibt: "Ist Plechanow ein Idealist, der sich von Engels abgewandt hat, warum sind Sie, der Sie angeblich ein Anhänger von Engels sind, dann nicht Materialist? Das ist doch einfach eine jämmerliche Mystifikation, Gen. Basarowl"347 Auf Seite 162348verteidigt er Plechanow gegen die von den Machisten erhobene Anschuldigung, Plechanow unternehme den "unglückseligen Versuch, ... Engels mit Kant zu versöhnen". Lenin weist nach, daß die Machisren Kant absolut falsch verstehen. Auf den Seiten 203/204349 zeigt er, daß Plechanow in der Beurteilung Dietzgens mehr recht hat als Genosse Dauge, wobei er sich auf die Autorität von Mehring beruft. Gleichzeitig damit aber macht Lenin auch auf eine Reihe wesentlicher Fehler bei Plechanow aufmerksam. Auf Seite 115 zeigt Iljitsch, daß sich inPlechanows Vorwort zu "Ludwig Feuerbach" "tatsächlich die abgeschmackte Phrase findet, der ,Glaube' an die Existenz der Außenwelt sei ,der unvermeidliche Salto vitale' (Lebenssprung) ,der Philosophie' (,Anmerkung zu L. Feuerbach', S.111). Der Ausdruck ,Glaube', den Plechanow, wenn auch in Anführungszeichen, Hume nachspricht, offenbart einen Wirrwarr in seiner Terminologie, das läßt sich nicht leugnen. "350 Auf den Seiten 124/125351 verweist Lenin auf Plechanows Irrtum bezüglich des Begriffs "Erfahrung" in seinem Vorwort zu .Ludwig Feuerbach". Er [Plechanow] war nicht genügend wachsam gegenüber dem Begriff "Erfahrung", wie ihn die Machisren gebrauchen, er enthüllte nicht, daß die machistische Auffassung des Worts "Erfahrung" der materialistischen Auffassung dieses Worts von Grund auf widerspricht. Auf Seite 190 macht Lenin auf den Fehler aufmerksam, den Plechanow beging, als er die Empfindungen und Vorstellungen des Menschen "Hieroglyphen" nannte. Ich will das entsprechende Zitat aus Lenins Äußerungen vollständig anführen: Wie er schreibt, "haben sich unsere Machisten, die Marxisten sein möchten, ... mit besonderer Freude auf l'lechanows ,Hieroglyphen' gestürzt, d. h. auf die Theorie, nach der die Empfindungen und Vorstellungen des Men- sehen nicht Kopien der wirklichen Dinge und Naturvorgänge, nicht deren Abbilder sind, sondern konventionelle Zeichen, Symbole, Hieroglyphen usw. Basarow macht sich über diesen hieroglyphischen Materialismus lustig, und es ist zu bemerken, daß er recht hätte, wenn er diesen hieroglyphischen Materialismus zugunsren eines nichthieroglyphischen Materialismus ablehnte. Doch Basarow vollführt hier wiederum ein Taschenspielerkunststück, indem er unter der Flagge der Kritik des ,Hieroglyphismus' seine Absage an den Materialismus durchschmuggelt. Engels spricht weder von Symbolen noch von Hieroglyphen, sondern von Kopien, Bildern, Abbildern, Spiegelbildern der Dinge. Anstatt das Fehlerhafte der Plechanowschen Abweichung von der Engelssehen Formulierung des Materialismus zu zeigen, verdeckt Basarow vor den Lesern die Engelssehe Wahrheit durch den Fehler Plechanows."352 Auf Seite 82353verweist Iljitsch auf den Fehler, der Plechanow bei der Übersetzung eines Engelssehen Textes unterlief, indem er das Wort "unfaßbar" aus der Definition des Kantschen "Dings an sich" ausließ. Diese ganze sehr ernste Kritik an Plechanows Fehlern ist in einem sehr ruhigen Ton gehalten. Nur einmal verliert Iljitsch die Geduld, und auf Seite 206 fällt er wütend über Plechanow her: "... der Zusammenhang der neuen Physik oder vielmehr einer bestimmten Schule der neuen Physik mit dem Machismus und anderen Spielarten der modernen idealistischen Philosophie unterliegt nicht dem geringsten Zweifel. Sich mit dem Machismus auseinandersetzen und diesen Zusammenhang ignorieren - wie es Plechanow tut -, das ist ein Hohn auf den Geist des dialektischen Materialismus, das heißt die Engelssehe Methode diesem oder jenem Buchstaben bei Engels zum Opfer bringen. "354 Am heftigsten wurde Plechanow von Lenin kritisiert, weil er nicht begriff, daß im Zusammenhang mit der Vertiefung der Erkenntnis der Umwelt, das heißt im Zusammenhang mit den Errungenschäften auf den verschiedenen Wissensgebieten, die Formen des dialektischen Materialismus weiterentwickelt werden müssen. Der dialektische Materialismus ist nichts Unbewegliches, Erstarrtes, son- dern etwas Wachsendes, sich Entwickelndes, das je nach dem Fortschritt der Wissenschaft seine Formen ändert. Auch in den darauffolgenden Jahren befaßte sich Lenin mit dem Studium des Wesens und der Formen des dialektischen Materialis. mus, Erhalten geblieben sind seine Hefte mit philosophischen Auszügen und Bemerkungen. In einern dieser Hefte findet man den Entwurf "Zur Frage der Dialektik", der Band XIII (3. Ausgabe) als Anhang beigegeben ist. Darin finden wir (auf Seite 303) die folgende, nicht der Form, aber dem Inhalt nach sehr scharfe Stelle über Plechanow: "Die Dialektik ist eben die Erkenntnistheorie. (Begels und) des Marxismus: gerade diese ,Seite' der Sache (es ist nicht eine ,Seite', sondern das Wesen der Sache) ließ Plechanow, von anderen Marxisten ganz zu schweigen, unbeachtet. "355 Als Iljitsch 1921 in der Frage der Gewerkschaften das Wort ergriff, da legte er in außerordentlich einfacher und kurzer Form das eigentliche Wesen der dialektischen Logik dar.356 Diese seine Äußerungen sind weithin bekannt, so daß ich sie hier nicht wiederholen werde. An der gleichen Stelle fordert er in einer Anmerkung, daß ein Band mit Artikeln Plechanows über Philosophie in die Reihe der obligatorischen Lehrbücher des Kommunismus aufgenommen werde. Natürlich hatte er 1921 seine Ansicht über Plechanows Fehler nicht geändert, doch meinte er, daß man von Plechanow als Materialisten viel lernen könne und daß es unmöglich sei, den dialektischen Materialismus voranzubringen, ohne die Ausführungen Plechanows über Philosophie zu kennen. Zuerst veröffentlicht 1934 in der Zeitschrift ••Pod Snamenem Marxisma" Nr.4. S. 1-10. 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342 343 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 355 Nadeshda Krupskaja: Erinnerungen an Lenin: Berlin 1960. S. 200. 410 W. I. Lenin: Werke. Bd. 15. S. 21/22. 411 Ebenda. S. 27/28.412 Clara Zetkin: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. I. Berlin 1957. S. 92.414 Ebenda. S. 152/153. 414 Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908. sowie Bericht über die 5. Frauenkonfereoz am 11. und 12. September 1908 in Nürnberg, Berlin 1908. S. 239. 415 W. I. Lenin : Werke. Bd. 14. S. 250. 416 W. I. Lenin: Werke. Bd. 15. S. 27/28. 417 Ebenda. S.22.418 Hier und weiter in diesem Artikel verweist N. K. Krupskaja auf Band XIII der 3. russischen Ausgabe der Werke W. I. Lenins. 418 W. I. Lenin: Werke.Bd. 14. S. 237. 238. 418 Ebenda.S.360.419 Ebenda.S. 12.76.79.117.141.419 Ebenda. S.91-98. 419 Ebenda. S. 16.419 Ebenda. S. 76.419 Ebenda.S. 105. 420 Ebenda.S. 194.420 Ebenda. S.248. 420 Ebenda.S. 136.420 Ebenda. S. 146-148.420 Ebenda. S. 231. 421 Ebenda. S. 94.421 Ebenda. S.250.421 W. I. Lenin: Werke. Bd. 38. S. 343. 422