Referee Report on Active Labour Market Policy in East
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Referee Report on Active Labour Market Policy in East
Randstad Discussion Paper No. 1 April 2011 Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland Alexander Spermann* Randstad Deutschland, Universität Freiburg, IZA Randstad Deutschland Helfmann-Park 8 65760 Eschborn [email protected] * Director bei Randstad Deutschland, Privatdozent an der Universität Freiburg, IZA Research Fellow und IZA Policy Fellow. Zwischen 2002 und 2007 war er Forschungsbereichsleiter Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Der Beitrag liegt in alleiniger Verantwortung des Autors und stellt nicht notwendigerweise die Meinung von Randstad dar. Weiterführende Links: http://www.empiwifo.uni-freiburg.de/lehre-teaching-1/summerterm11/Microeconometrics http://www.iza.org/en/webcontent/personnel/photos/index_html?key=218 1 Zusammenfassung Die alte Rolle der Zeitarbeit vor den Hartz-Reformen besteht in der Deckung des vorübergehenden Personalbedarfs von Unternehmen. Im Gegensatz zu den siebziger, achtziger und neunziger Jahren besteht heute ein breiter gesellschaftlicher Konsens über alle Parteien und alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg, dass Zeitarbeit als kurzfristiges Anpassungs- und Flexibilisierungsinstrument arbeitsmarktpolitische Funktion der sinnvoll Zeitarbeit als ist. Dazu hat Einstiegschance wesentlich für die Arbeitslose beigetragen. Die neue Rolle ergibt sich aus dem quantitativen Zuwachs der Zeitarbeit nach den HartzReformen, der Intensität der Nutzung der Zeitarbeit in größeren Betrieben und dem strukturellen Fachkräftemangel. Diese neue Rolle wird in der Öffentlichkeit kontrovers und häufig nur mit partieller Sachkenntnis diskutiert. In diesem Überblicksartikel wird die aktuelle wissenschaftliche Literatur zur Zeitarbeit aufbereitet und die neue Rolle der Zeitarbeit nach den Hartz-Reformen konkretisiert. Die neue Rolle der Zeitarbeit ist gekennzeichnet durch volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und bildungspolitische Aspekte. Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat Zeitarbeit wesentlich zur erhöhten Flexibilität des deutschen Arbeitsmarktes beigetragen – der Anteil an den Strömen in und aus Arbeitslosigkeit hat deutlich zugenommen, so dass diese Beschäftigungsform eine wesentlich größere Bedeutung für den Arbeitsmarkt hat als es die geringe nationale Penetrationsrate von unter 3 % vermuten lässt. Aus makroökonomischer Sicht fällt auf, dass Zeitarbeit zwar prozyklisch, aber mit einer größeren Amplitude als der Konjunkturzyklus schwankt. Im letzten Konjunkturzyklus hat sich gezeigt, dass Zeitarbeit ein Frühindikator für eine Rezession sein kann – nicht jedoch für den Aufschwung. Weiterhin ist Zeitarbeit ein zuverlässiger Frühindikator für den Arbeitsmarkt – sowohl im Auf- als auch im Abschwung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist Zeitarbeit für Intensivnutzer insbesondere im Bereich unternehmensnaher Dienstleistungen von besonderer Bedeutung. Intensivnutzung hat nach den Hartz-Reformen anteilsmäßig deutlich zugenommen. Einige Autoren sprechen sogar von strategischer Intensivnutzung – jedoch auf der Basis weniger betrieblicher Fallstudien. Konzerninterne Überlassung hat in den letzten Jahren immer wieder für öffentliches Interesse gesorgt – sie ist jedoch nach einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung „kein Breitenphänomen“. Wenig bekannt ist der betriebswirtschaftliche 2 Vorteil der Zeitarbeit für börsennotierte Unternehmen, deren Kostenstruktur durch Analysten bewertet wird. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ist Zeitarbeit seit Jahren eine Einstiegschance für Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose. Kontrovers diskutiert wird die Sprungbrettfunktion der Zeitarbeit sowie die Bedeutung von Klebe-, Brücken- und Übernahmeeffekten. In diesem Zusammenhang werden häufig deskriptive Analysen zur Grundlage für die Beurteilung dieser Effekte gemacht. Damit wird jedoch das fundamentale Evaluationsproblem ignoriert. Es liegen lediglich zwei methodisch seriöse Untersuchungen für Deutschland vor. Kvasnicka (2008) findet eine „access to work“-Funktion der Zeitarbeit Mitte der neunziger Jahre, jedoch keinen Beleg für die Sprungbrettfunktion. (2010) belegen die Sprungbrettfunktion der Zeitarbeit für die Lehmer/Ziegler Gruppe der Langzeitarbeitslosen nach den Hartz-Reformen. Für Substitutions- bzw. Drehtüreffekte der Zeitarbeit existiert anekdotische Evidenz. Es ist jedoch insbesondere wegen der geringen Penetrationsrate der Zeitarbeit und der geringen Betriebszugehörigkeitsdauer bei Zeitarbeitsunternehmen unplausibel, dass der Ersatz von Stammbeschäftigten durch Zeitarbeitnehmer eine große Rolle spielt – methodisch seriöse Studien zu dieser Frage liegen jedoch aufgrund fehlender Daten nicht vor. Aus bildungspolitischer Sicht hat die Zeitarbeitsbranche an Bedeutung gewonnen. Es sind sowohl neue Ausbildungsberufe für Disponenten und Zeitarbeitnehmer als auch eine Vielzahl neuer Fort- und Weiterbildungsangebote für Zeitarbeitnehmer entstanden. Vor dem Hintergrund des demografisch bedingten und durch den Strukturwandel hervorgerufenen Fachkräftemangel wird die Vorqualifizierung von Bewerbern und Qualifizierung von Mitarbeitern in der Zeitarbeit zukünftig an Bedeutung gewinnen. Der Autor dankt den Teilnehmern der Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik des Vereins für Socialpolitik in Nürnberg (2009), insbesondere dem Koreferenten Lutz Bellmann (IAB), den Teilnehmern an Vortragsveranstaltungen an der Humboldt Universität Berlin (2009), der Universität Kassel (2009), aber auch den Teilnehmern an Vortragsveranstaltungen im Jahr 2010 in Berlin, Chemnitz, Düsseldorf, Erfurt, Karlsruhe, Köln, Ravensburg, Rostock, Saarbrücken, Stuttgart, Ulm, Worms, Würzburg sowie Bernd Fitzenberger, Hans-Hermann Francke und Heide Franken für wertvolle Hinweise. Besonderer Dank gebührt Anja Weber für ihre geduldige Forschungsassistenz. Das Manuskript wurde am 31. März 2011 abgeschlossen. 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung ....................................................................................................... 5 2. Das deutsche Arbeitgebermodell der Zeitarbeit............................................... 8 2.1 Institutionelle Rahmenbedingungen ........................................................................ 8 2.2 Entwicklung der Zeitarbeitnehmer ........................................................................... 9 2.3 Zeitarbeitsunternehmen ....................................................................................... 16 2.4 Kundenunternehmen der Zeitarbeitsbranche .......................................................... 18 3. Betriebliche Gründe für den Einsatz von Zeitarbeit in Deutschland ............... 20 3.1 Kurzfristiger Personalbedarf .................................................................................. 20 3.2 Kostenersparnisse im HR-Bereich .......................................................................... 21 3.3 Kostenersparnis durch niedrigere Tarifentgelte ....................................................... 21 3.4 Strukturelle und funktionale Faktoren .................................................................... 23 3.5 Kündigungsschutz................................................................................................ 24 3.6 Zwischenergebnis ................................................................................................ 24 4. Die neue Rolle der Zeitarbeit ......................................................................... 26 4.1 Volkswirtschaftliche Aspekte ................................................................................. 26 4.1.1 Zunehmende Arbeitsmarktdynamik durch Zeitarbeit ......................................... 26 4.1.2 Zeitarbeit als Frühindikator ............................................................................. 28 4.2 Betriebswirtschaftliche Aspekte ............................................................................. 32 4.2.1 Strategische Intensivnutzung.......................................................................... 32 4.2.2 Konzerninterne Überlassung ........................................................................... 33 4.2.3 Headcount-Reduktionen in börsennotierten Konzernen ..................................... 34 4.3 Arbeitsmarktpolitische Aspekte ............................................................................. 35 4.3.1 Einstiegschance für Arbeitslose ....................................................................... 35 4.3.2 „Stepping-Stone“-Hypothese sowie Klebe-, Brücken- und Übernahmeeffekt ........ 36 4.3.3 Substitutions-, Drehtür- und Verdrängungseffekt .............................................. 38 4.4 Bildungspolitische Aspekte.................................................................................... 39 4.4.1 Aus- und Weiterbildung für internes Personal ................................................... 39 4.4.2 Aus- und Weiterbildung für Zeitarbeitnehmer ................................................... 39 5. Fazit und Ausblick .......................................................................................... 41 6. Literaturverzeichnis ....................................................................................... 46 7. Tabellenverzeichnis ....................................................................................... 51 4 1. Einführung Im Jahr 2001 zitierte Nobelpreisträger James Heckman bei einem Vortrag in Berlin aus den Buddenbrooks von Thomas Mann – und verglich Deutschland mit einem sterbenden Stern, dessen Licht zwar jetzt noch hell leuchtet, aber nicht mehr lange leuchten wird, wenn nicht dramatische Anpassungen der Institutionen in Angriff genommen werden. Insbesondere kritisierte Heckman die Fehlanreize am Arbeitsmarkt, die zu einer hohen strukturellen Arbeitslosigkeit führten (vgl. Heckman 2002). Damals bezeichneten die Autoren des „Economist“ Deutschland als „sick man of Europe“ - sie meinten damit vor allem den unflexiblen Arbeitsmarkt, der Wachstumschancen verhinderte. Die überfälligen Strukturreformen am Arbeitsmarkt wurden mit den Hartz-Reformen in Angriff genommen – diese Reformen wurden von derselben Zeitschrift als wichtigste Arbeitsmarktreform der Nachkriegszeit bezeichnet. Im Frühjahr 2010 ist im „Economist“ dagegen von Deutschland als Europas Motor und dem deutschen Arbeitsmarktwunder die Rede (vgl. Economist v. 11.3.2010). Heute gilt es als unstrittig, dass die Hartz-Reformen wesentlich dazu beigetragen haben, dass Deutschland im letzten Langzeitarbeitslosenquote Aufschwung (unter 3 %) zum und einen zum eine wesentlich anderen erstmals geringere in der Nachkriegsgeschichte eine geringere Arbeitslosenquote als im vorangegangenen Aufschwung realisieren konnte (unter drei Millionen Arbeitslose): Die strukturelle Arbeitslosigkeit konnte erstmals deutlich gesenkt werden, der Sperrklinkeneffekt am Arbeitsmarkt durchbrochen werden. Der Sachverständigenrat (2008, S. 293) resümiert, dass „am Arbeitsmarkt nicht nur eine zyklische Erholung zu beobachten ist, sondern dass die Flexibilität und die Dynamik am Arbeitsmarkt zugenommen haben“. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat sich gezeigt, dass der Arbeitsmarkt trotz des starken Rückgangs des Wirtschaftswachstums auch wegen der erhöhten Flexibilität relativ stabil geblieben ist. Bellmann et al. (2009) betonen, dass die beiden atypischen Beschäftigungsformen – befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit – zentrale Elemente der Dynamik und Flexibilität auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind. Diese Entwicklung hat jedoch ihren Preis. Der Sachverständigenrat thematisiert die ungleiche Verteilung von Risiken und Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Problem Randbelegschaften, Anpassungslasten das sei heißt, werden Beschäftigungsverhältnissen die Ausdifferenzierung „die in getragen, Flexibilität auf beachtlichem beispielsweise in dem Kernbelegschaften Arbeitsmarkt Umfang in Form von von und und die atypischen Leiharbeit“ (Sachverständigenrat 2008, S. 265). Als Lösung schlägt der Sachverständigenrat Korrekturen 5 zugunsten eines Normalarbeitsverhältnisses vor. Insbesondere soll der gesetzliche Kündigungsschutz reformiert werden, so dass betriebsbedingte Kündigungen generell zulässig werden, sofern vorher eine verbindliche Abfindungsregelung getroffen wurde. Das Statistische Bundesamt (2009) thematisiert das Problem der (Solo-) Selbstständigen, die – wie atypisch Beschäftigte – häufig zu Niedriglöhnen arbeiten und einem im Vergleich zur Normalbeschäftigung erhöhtem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Es betont jedoch, dass das Armutsrisiko bei atypischen Beschäftigungsformen relativ am höchsten ist. Die Umregulierung der Zeitarbeit im Rahmen des Hartz I-Gesetzes, dessen branchenrelevante Regelungen zum 1.1.2004 in Kraft traten, trug wesentlich zum Bedeutungsgewinn dieses Flexibilisierungsinstrumentes bei. Die weitgehende – in Kapitel 2 detaillierter beschriebene – Deregulierung des Sektors wurde dabei kombiniert mit der Einführung des Prinzips der gleichen Bezahlung für Stammbelegschaft und Zeitarbeitnehmern (Equal Pay) unter Tarifvorbehalt – mit der Konsequenz, dass sich die bis dahin weitgehend tarifungebundene Zeitarbeitsbranche innerhalb kürzester Zeit zu einer tarifgebundenen Branche entwickelte. Die Perspektiven der Zeitarbeit nach den Hartz-Reformen sind in den letzten Jahren häufiger wissenschaftlich beleuchtet worden. Die ZEW-Erhebung bei Zeitarbeitsunternehmen – die bis dahin größte ihrer Art – spiegelte eine erste Einschätzung der Branche zu den Reformen im Rahmen des Hartz I-Gesetzes wider (vgl. Ammermüller et al. 2003). Die im Frühjahr 2003 durchgeführte Befragung, die auf den Antworten von 471 Zeitarbeitsunternehmen (von damals etwa 4.000) beruhte, kam zu dem Ergebnis, dass die überwiegende Mehrheit der befragten Betriebe steigende Personalkosten und sinkende Umsätze als Folge der neuen Gesetzgebung erwartet. Insbesondere für die Metall- und Elektrobranche wurden Umsatzverluste vorhergesagt. Zum Zeitpunkt der Befragung war bereits ein Tarifvertrag abgeschlossen und zwei weitere Tarifverträge standen kurz vor dem Abschluss, so dass die befragten Unternehmen eine Abweichung vom Equal Pay Grundsatz erwarten konnten. Bellmann (2004) analysiert die Bestimmungsgründe der betrieblichen Entscheidung, Zeitarbeitnehmer einzustellen auf der Basis des IAB-Betriebspanels 2002 mit Hilfe von Probitund Tobitmodellen – und kommt zu der vorsichtigen Einschätzung, dass es abzuwarten sei, ob sich Zeitarbeit gegenüber anderen Flexibilitätsformen durchsetzen kann. Burda/Kvasnicka (2006) bezeichnen Zeitarbeit zwar als neuen Bestandteil des deutschen Arbeitsmarktes, sind sich aber über die zukünftige Entwicklung unsicher: „Es bleibt abzuwarten, ob diese Umregulierung des Sektors insgesamt zu einer Erhöhung oder einer 6 Abnahme der Flexibilität der Zeitarbeit als Personalanpassungsinstrument und deren Attraktivität für Arbeitnehmer und Entleihunternehmen führen wird“ (ebda., S. 222). Tatsächlich hat die Umregulierung der Zeitarbeitsbranche einen – weder von Branchenvertretern noch Wissenschaftlern erwarteten – Boom am Arbeitsmarkt ausgelöst, wie die statistischen Analysen in Kapitel 2 dokumentieren. Kapitel 3 diskutiert fünf betriebliche Gründe für den Einsatz von Zeitarbeit. Da sich mit der quantitativen Zunahme auch die Bedeutung der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt verändert hat, erläutert Kapitel 4 diese neue Rolle der Zeitarbeit nach der Deregulierung durch die Hartz-Gesetze. Fazit und Ausblick in Kapitel 5 schließen den Beitrag ab. 7 2. Das deutsche Arbeitgebermodell der Zeitarbeit 2.1 Institutionelle Rahmenbedingungen Zeitarbeit ist gekennzeichnet durch das Dreiecksverhältnis zwischen Zeitarbeitsunternehmen (ZAU), Zeitarbeitnehmern und Kundenunternehmen. Das Dreiecksverhältnis ist vertraglich durch einen Arbeitsvertrag zwischen Zeitarbeitsunternehmen und Zeitarbeitnehmern sowie durch einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag Kundenunternehmen geregelt (Abbildung 1). zwischen Das Zeitarbeitsunternehmen Zeitarbeitsunternehmen und überlässt Zeitarbeitnehmer an Kundenunternehmen. Zeitarbeitnehmer erhalten ihr Gehalt gemäß der tariflich vereinbarten Entgeltgruppe - auch bei Krankheit, Urlaub und Nichteinsatz. Das Arbeitsverhältnis ist voll sozialversicherungspflichtig (Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung). Kundenunternehmen zahlen einen Kundentarif je Stunde für die tatsächlich geleistete Arbeit an das Zeitarbeitsunternehmen. Abbildung 1: Definition Dreiecksverhältnis Zeitarbeitnehmer Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Kundeneinsatz Kundenunternehmen Arbeitgeber = ZAU Arbeitnehmerüberlassung Quelle: Eigene Darstellung In diesem Beitrag werden folgende Begriffe synomym verwendet: Zeitarbeit = Arbeitnehmerüberlassung = Leiharbeit = Personalleasing; Zeitarbeitsunternehmen = Personaldienstleister = Verleihbetrieb = Verleiher; Zeitarbeitnehmer = Leiharbeiter; Kundenunternehmen = Einsatzunternehmen = Entleihunternehmen = Entleiher. 8 Juristisch ist das Zeitarbeitsunternehmen der Arbeitgeber; die Arbeitsleistung wird jedoch faktisch im Kundenunternehmen erbracht, das gegenüber dem Zeitarbeitnehmer für die Einsatzdauer das Weisungs- und Direktionsrecht hat. Diese Beschäftigungsform wird in der Literatur als atypisch bezeichnet, weil das Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis auseinanderfallen: Die Zeitarbeitnehmer arbeiten nicht bei dem Unternehmen, bei dem sie beschäftigt sind (Crimmann et al. 2009). Grundlage für die Zeitarbeit in Deutschland ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) von 1972. Dieses Gesetz wurde im Rahmen der Hartz-Reformen mit Wirkung zum 1.1.2004 weitgehend dereguliert. So wurden die Beschränkung der Überlassungshöchstdauer, das Synchronisationsverbot, das besondere Befristungsverbot und das Wiedereinstellungsverbot aufgehoben. Im Gegenzug wurde tarifvorbehaltlich das Prinzip „Equal Pay“ im Gesetz verankert. Dadurch kann von Equal Pay nur durch Tarifvereinbarungen abgewichen werden – mit der Folge, dass die bis dahin tariflich weitgehend unerschlossene Branche in der Folgezeit zu fast 100 % tarifgebunden wurde; lediglich Zeitarbeitnehmer, die zu tarifungebundenen Unternehmen überlassen werden und dort nach dem Equal Pay Prinzip bezahlt werden, fallen aus der Tarifbindung heraus. Im Frühjahr 2010 haben die Tarifpartner der Zeitarbeitsbranche drei langfristige Tarifvereinbarungen geschlossen, die ab 1. Oktober 2010 zu einer einheitlichen untersten Entgeltgruppe in Westdeutschland in Höhe von 7,60 € je Stunde führt (vgl. Spermann 2011). So hat die Deregulierung der Zeitarbeit im Rahmen der Hartz-Reform zu einer dauerhaft hohen Tarifbindung in der Zeitarbeitsbranche geführt. Burda/Kvasnicka (2006) charakterisieren die Reform demnach treffend als Umregulierung der Zeitarbeitsbranche. 2.2 Entwicklung der Zeitarbeitnehmer Arbeitnehmerüberlassung ist seit 1972 in Deutschland erlaubt. Innerhalb von dreißig Jahren nahm die Zahl der Zeitarbeitnehmer auf über 300.000 zu. Nach den Hartz-Reformen des Jahres 2003 entwickelte sich die Zeitarbeit rasant – auf über 800.000 Zeitarbeitnehmer im Jahr 2008. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat zu einem starken Rückgang der Zeitarbeitnehmer innerhalb kürzester Zeit geführt – auf einen Tiefststand von 580.000 im April 2009. Damit wurde die Zeitarbeitsbranche volumenmäßig um drei Jahre zurückgeworfen, wie Abbildung 2 verdeutlicht. Nach diesem Tiefststand entwickelte sich die Zahl der Zeitarbeitnehmer wieder rasant nach oben, um im Dezember 2010 nach der Schätzung gemäß dem Personaldienstleistungen IW-Zeitarbeitsindex (BZA) mit etwa des 877.000 Bundesverbands Zeitarbeitnehmern Zeitarbeit einen und neuen 9 Höchststand zu erreichen (vgl. Bundesverband Zeitarbeit und Personaldienstleistungen e.V. 2011). Abbildung 2: Entwicklung Zahl der Zeitarbeitnehmer in Deutschland (1972 - 2010) 1.000.000 900.000 800.000 700.000 600.000 500.000 400.000 300.000 200.000 100.000 0 Anmerkungen: Die Daten von Juli bis Dezember 2010 sind dem IW-Zeitarbeitsindex (BZA) entnommen - Fortschreibung vom 03.02.2011. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2011a): Arbeitsmarkt in Zahlen, Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1. Halbjahr 2010 , Nürnberg; Bundesverband Zeitarbeit und Personaldienstleistungen e.V. (2011): IW Zeitarbeitsindex, Welle 41, Berlin. Nicht nur die konjunkturelle Aufschwungphase, sondern auch die Hartz-Reformen haben wesentlich zum starken Wachstum der Zeitarbeit in Deutschland nach 2004 beigetragen. Zwischen 2003 und 2007 hat sich der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fast verdoppelt. Erstmals hat Zeitarbeit den Arbeitsmarkt in einer konjunkturellen Wachstumsphase wesentlich geprägt: Im Jahre 2006 und 2007 waren Zeitarbeitsunternehmen die führenden Jobmotoren in Deutschland (vgl. Bellmann et al. 2009). So lag Mitte 2006 der Anteil der Zeitarbeit am Zuwachs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei 75 % - und ging langsam im Aufschwung auf 8 % im Herbst 2008 zurück (vgl. Abbildung 3). Nach der Wirtschaftskrise deutet sich dieses Muster bereits wieder an: Im Juni 2010 lag der Anteil der Zeitarbeit am Beschäftigungszuwachs bei 53 % (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011b, S. 15). 10 Abbildung 3: Anteil der Zeitarbeit am Beschäftigungszuwachs 80% 75% 70% 60% 50% 40% 34% 30% 20% 20% 10% 8% 0% Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep '06 '06 '06 '06 '06 '06 '06 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '07 '08 '08 '08 '08 '08 '08 '08 '08 '08 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011b): Arbeitsmarktberichterstattung: Der Arbeitsmarkt in Deutschland, Zeitarbeit in Deutschland - Aktuelle Entwicklungen, Nürnberg. Zeitarbeitsverhältnisse in Deutschland sind sozialversicherungspflichtig. Deshalb müssen Zeitarbeitsverhältnisse mit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ins Verhältnis gesetzt werden, um die Verbreitung der Zeitarbeit als Beschäftigungsform quantitativ bestimmen zu können. So wird von der Bundesagentur für Arbeit halbjährlich der Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern (nationale Penetrationsrate) berechnet. Die nationale Penetrationsrate stieg nach den Hartz-Reformen von knapp über 1 % im Jahr 2003 auf maximal 2,6 % im September 2008 - und fiel in der Krise auf 1,9 % im Juni 2009, wie Abbildung 4 verdeutlicht. Damit bestätigt auch die Entwicklung der Penetrationsrate, dass die Zeitarbeitsbranche durch die Krise innerhalb kürzester Zeit um etwa 3 Jahre zurückgeworfen wurde. Seitdem ist der Anteil der Zeitarbeitnehmer an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung angestiegen und liegt im Juni 2010 wieder auf dem Höchststand von 2,6 % (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011b). 11 Abbildung 4: Zeitarbeitsanteil an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (Nationale Penetrationsrate), Juni 2003 - Juni 2010 3 2,6 2,6 2,5 2,6 2,4 2,4 2,4 2,4 2,1 2,1 2,1 2 1,9 1,5 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,5 2,2 2,1 1,9 1,9 2,2 2,0 1,6 1,3 1,3 1,1 1,1 1 0,5 0 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011b), Arbeitsmarktberichterstattung: Der Arbeitsmarkt in Deutschland - aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Nürnberg. Im internationalen Vergleich kann sinnvollerweise nicht die nationale Penetrationsrate mit den Werten der anderen Länder verglichen werden, weil nur in Deutschland Zeitarbeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgestaltet ist. Dementsprechend wird im internationalen Vergleich der Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen Erwerbstätigen gemessen. Im Jahr 2009 liegt der Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen Erwerbstätigen, was der internationalen Penetrationsrate entspricht, bei etwa 1,6 % (vgl. CIETT 2011). Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich nach Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Belgien auf Platz Nr. 5 im oberen Drittel und leicht über dem europäischen Durchschnitt von 1,5 %, wie Abbildung 5 zeigt. 12 Abbildung 5: Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen Erwerbstätigen in Prozent (Internationale Penetrationsrate) 2009 4,0 3,6 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 2,5 1,7 1,7 1,6 1,4 1,4 1,0 0,6 EUR 0,8 0,8 0,9 0,7 0,6 0,7 0,5 0,4 0,8 0,6 0,3 0,3 0,1 0,0 Quelle: CIETT (2011), The agency work industry around the world, Economic Report. Zum Stichtag 30.06.2010 sind mehr als ein Drittel der Zeitarbeitnehmer als Hilfspersonal eingesetzt, wie eine Differenzierung nach Einsatzfeldern zeigt (vgl. Abbildung 6). Nach dem Hilfspersonal (34 %) folgen die Dienstleistungsberufe (31 %), die Metall – und Elektroberufe (19 %), übrige Berufe (11 %) und technische Berufe (5 %). Die Betrachtung des Zeitraums 1996 bis 2010 verdeutlicht zwei Trends: Der Anteil der Dienstleistungen nimmt zu und der Anteil der Metall- und Elektroindustrie nimmt ab. (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011a) 13 Abbildung 6: Entwicklung der Zeitarbeitnehmer nach Einsatzfeldern von 1996 bis 2010 50 45 40 35 34 Dienstleistung 31 30 Metall und Elektro 25 20 19 15 11 10 Hilfspersonal Technische Berufe Übrige Berufe 5 5 0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011a): Arbeitsmarkt in Zahlen, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1.Halbjahr 2010, Nürnberg. Die formale Qualifikationsstruktur von Zeitarbeitnehmern geht aus der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit (Wirtschaftszweig „Überlassung von Arbeitskräften“) hervor. Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit fassen die Beschäftigten in Betrieben mit dem Schwerpunkt „Überlassung von Arbeitskräften“ sowie deren Stammpersonal zusammen. Am 30.06.2010 hatten 49 % der Zeitarbeitnehmer einen Volks-, Haupt- oder Realschulabschluss sowie eine Berufsausbildung, 28 % einen Volks-, Haupt- oder Realschulabschluss ohne zusätzliche Berufsausbildung, wie Abbildung 7 zeigt. Sehr gering waren die Anteile derer, die ein Abitur mit Berufsausbildung (2 %), Abitur ohne Berufsausbildung (1 %), einen Fachhochschulabschluß (2 %) oder einen Hochschulabschluß (2 %) hatten. Bei 17 % der Zeitarbeitnehmer ist die formale Ausbildung unbekannt. 14 Abbildung 7: Qualifikationsstruktur der Zeitarbeitnehmer (30.06.2010) Hochschulabschluß 2% Fachhochschulabschluß 2% Abitur (mit Berufsausbildung) 2% Abitur (ohne Berufsausbildung) 1% Ausbildung unbekannt 17% Volks-, Haupt-, Realschule (ohne Berufsausbildung) 28% Volks-, Haupt-, Realschule (mit Berufsausbildung) 49% Anmerkungen: Beschäftigtein Betrieben mit Schwerpunkt "Überlassung von Arbeitskräften" inklusive Stammpersonal Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2011c): Beschäftigungsstatistik. Wie lange bleiben Zeitarbeitnehmer bei den Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt? Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit in der Zeitarbeit ist gering, hat jedoch in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen, wie Abbildung 8 zeigt: Von den 461.800 im ersten Halbjahr 2010 ausgelaufenen Zeitarbeitsverhältnissen dauerten 44 % drei Monate oder länger (2000: 37 %). Etwas mehr als die Hälfte der im ersten Halbjahr 2010 beendeten Zeitarbeitsverhältnisse (56%) liefen dementsprechend weniger als drei Monate. Darunter dauerten 11 % der Beschäftigungsverhältnisse weniger als eine Woche (2000: 12 %). Beim Marktführer Randstad lag die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit zum Stichtag 30.06.2010 durchschnittlich bei 14 Monaten über alle Qualifikationsgruppen hinweg. Die durchschnittlichen Einsatzdauern bei Kundenunternehmen sind statistisch nicht erfasst – sie sind jedoch wesentlich geringer als die durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer der Zeitarbeitnehmer, weil Zeitarbeitnehmer in der Regel bei mehreren Kundenunternehmen eingesetzt werden. 15 Abbildung 8: Dauer der Beschäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit (im 1.Halbjahr 2000 und 2010) 461.800 beendete Beschäftigungsverhältnisse, davon ... 11 % unter 1 Woche 284.100 beendete Beschäftigungsverhältnisse, davon ... 45 % 1 Woche bis unter 3 Monaten 12 % 50 % 3 Monate und mehr 44 % 37 % 2000 2010 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011b): Arbeitsmarktberichterstattung: Der Arbeitsmarkt in Deutschland, Zeitarbeit in Deutschland - Aktuelle Entwicklungen, Nürnberg. 2.3 Zeitarbeitsunternehmen Der Markt der Zeitarbeitsunternehmen ist stark fragmentiert (vgl. Lürssen et al. 2010). Der Marktzugang ist zwar beschränkt, doch stellt das Lizenzierungsverfahren der Bundesagentur für Arbeit eine sehr niedrige Eintrittsschwelle dar. Nach einer Korrektur der BA-Statistik Anfang Februar 2011 sind die Zahlen der Verleihbetriebe rückwirkend bis zum Stichtag 31.12.2006 berichtigt worden. Zurückliegende Daten können deshalb nicht zum Vergleich herangezogen werden (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011a). Seit dem 31.12.2006 nahm die Zahl der Verleihbetriebe um etwa 30 % zu – auf über 16.000. Der Zuwachs bei den Verleihbetrieben, die ausschließlich oder überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben, fiel deutlich geringer aus, wie Abbildung 9 zeigt. Mitte des Jahres 2010 waren demnach über 10.000 Zeitarbeitsunternehmen im engeren Sinne auf dem Markt. 16 Abbildung 9: Entwicklung der Verleihbetriebe in Deutschland (30.06.2010) 18.000 16.115 16.000 14.000 Verleihbetriebe insgesamt 12.000 10.226 10.000 8.000 Verleihbetriebe, die ausschließlich oder überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben 6.000 4.000 2.000 - Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011c): Verleihbetriebe nach dem Bestand an Arbeitnehmern und weiteren Merkmalen, Frankfurt, Stichtag 30.06.2010. Randstad führt mit mehr als 1,3 Mrd. € Umsatz und 43.500 Zeitarbeitnehmern im Jahr 2009 die Top Ten Liste der größten Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland an. Die Nr. 2 – Adecco – ist mit knapp 1 Mrd. € Umsatz geringfügig kleiner; doch schon die Nr. 3 im Markt – Manpower – weist mit 0,45 Mrd. € Umsatz und 20.500 Zeitarbeitnehmern einen wesentlich geringeren Umsatz auf (vgl. Abbildung 10). Aufgrund der hohen Zahl an Zeitarbeitsunternehmen sind in kleineren Städten häufig Dutzende, in mittleren Städten Hunderte und in einigen Großstädten zum Teil weit über 500 Zeitarbeitsunternehmen am Markt tätig. 17 Abbildung 10: Die Top Ten der Zeitarbeitsunternehmen 0 500 1000 1500 2000 Randstad Deutschland GmbH & Co. KG Adecco Germany Holding GmbH Manpower GmbH & Co. KG Persona Service Verwaltungs AG & Co. KG Auto Vision GmbH USG People Germany GmbH 7(S) Personal GmbH Umsatz in Mio. Euro (2009) Umsatz in Mio. Euro (2008) ZAG Zeitarbeits-Gesellschaft GmbH Orizon GmbH TimePartner Holding GmbH I.K. Hofmann GmbH Quelle: Luerssen, Hartmut u. Thomas Lünendonk und Antonia Schultheiß (2010): Führende Zeitarbeits - und Personaldienstleistungsunternehmen in Deutschland (Lünendonk -Studie 2010), Kaufbeuren. 2.4 Kundenunternehmen der Zeitarbeitsbranche Am 30. Juni 2008 nutzten etwa 71.000 Betriebe Zeitarbeit. Das waren lediglich 3 % aller Betriebe in Deutschland. Dementsprechend setzten 97 Prozent aller Betriebe keine Zeitarbeit ein. Der Einsatz der Zeitarbeit in Betrieben hängt jedoch von der Betriebsgröße ab. Während Kleinbetriebe (1-49 Mitarbeiter) auch nach den Hartz-Reformen Zeitarbeit kaum nutzen (nur etwa 2 Prozent), greifen mittlere Unternehmen und Großbetriebe immer mehr auf Zeitarbeit zurück. Abbildung 11 zeigt den starken Zuwachs zwischen 2003 und 2008 bei mittleren Betrieben (von 15 % auf 23 %) und Großbetrieben (von 31 % auf 48 %). Zum 30. Juni 2008 nutzte fast jeder vierte mittlere Betrieb und fast jedes zweite Großunternehmen Zeitarbeit. 18 Abbildung 11: Nutzung von Zeitarbeit in Klein-, Mittel- und Großbetrieben (2003-2008) 90 80 Großbetriebe (250 und mehr Mitarbeiter) 70 60 50 43 40 30 20 31 15 10 0 2 1 34 35 17 18 3 3 2 1 46 21 23 3 4 2 48 23 3 2 2 Mittlere Betriebe (50-249 Mitarbeiter) Alle Betriebe Kleinbetriebe (1-49 Mitarbeiter) Anmerkung: Anteil der Entleihbetriebe am 30.06. an allen Betrieben in den Jahren 2003 - 2008 nach Betriebsgröße. Quelle: Crimmann et al. (2009): Forschungsbericht zum Thema "Arbeitnehmerüberlasssung", Nürnberg. Die Intensität der Nutzung der Zeitarbeit, das heißt der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den Mitarbeitern des entleihenden Kundenunternehmens, variiert ebenfalls nach der Betriebsgröße (vgl. Crimmann et al. 2009). So ist die Intensität der Nutzung von Zeitarbeit zwischen 2004 und 2008 bei mittleren und großen Betrieben gestiegen – bei Kleinbetrieben blieb sie weitgehend konstant. Der Großteil aller Betriebe (48 %) nutzte Zeitarbeit zum Stichtag 30.06.2008 in geringem Umfang (Anteil bis 5 %). Dagegen griffen 10 % aller Betriebe intensiv auf Zeitarbeit zurück (Anteil über 20 %) (vgl. Crimmann et al. 2009). 19 3. Betriebliche Gründe für den Einsatz von Zeitarbeit in Deutschland Unternehmen benötigen flexible personalpolitische Instrumente, um auf kurzfristige Auftragsschwankungen reagieren Flexibilisierungsinstrumente wie zu können. Überstunden, Zum einen Arbeitszeitkonten stehen und interne tarifliche Öffnungsklauseln bzw. betriebliche Bündnisse für Arbeit zur Verfügung. Zum anderen existiert eine Vielzahl externer Flexibilisierungsinstrumente wie befristete Beschäftigung, Teilzeitarbeit, Mini- und Midijobs und Zeitarbeit (vgl. Keller/Seifert 2007). Typischerweise nutzen Flexibilisierungsinstrumente. Unternehmen Zeitarbeit sowohl konkurriert interne demnach als mit auch externe allen anderen Flexibilisierungsinstrumenten. Weshalb entscheiden sich Unternehmen für Zeitarbeit? Im Wesentlichen lassen sich fünf Gründe identifizieren, die – selbstverständlich auch in kombinierter Form – den Einsatz von Zeitarbeit erklären (vgl. auch die Übersichtsbeiträge von Brömser 2008 u. Gutmann/Kilian 2009): 3.1 Kurzfristiger Personalbedarf Kommen interne Flexibilisierungsinstrumente wie Überstunden und Arbeitszeitkonten an ihre Kapazitätsgrenzen, wird bei Auftragsschwankungen häufig auf die flexibelste Form eines externen Flexibilisierungsinstruments – die Zeitarbeit – zurückgegriffen. Typischerweise werden Zeitarbeitnehmer aber auch als Ersatz bei Krankheit, Urlaub und Schwangerschaft von Stammmitarbeitern eingesetzt. Nach Bellmann/Promberger (2002) ist „Leiharbeit eher eine nachrangige Strategie der Personalflexibilisierung, die vor allem bei kurzfristigen, dringlichen und begrenzten Engpässen zum Einsatz kommt“. Da der Personalbedarf häufig vorübergehend ist, fällt die Einsatzdauer in der Regel relativ kurz aus (vgl. Kapitel 2). 20 3.2 Kostenersparnisse im HR-Bereich Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern ermöglicht Einsparungen bei Einstellungs- und Entlassungskosten im HR-Bereich, da weniger Personal für die Bearbeitung von Bewerbungen, Durchführung von Vorstellungsgesprächen und die administrative Abwicklung von Einstellungen und Kündigungen nötig ist. Insbesondere kleinere Unternehmen gehen noch einen Schritt weiter und lagern Teile oder die komplette Personalabteilung an Personaldienstleister aus. Weiterhin lassen sich Suchkosten einsparen. So entfallen z.B. Kosten für die Schaltung von Stellenanzeigen. Aber auch aus der Screening-Funktion von Zeitarbeit ergeben sich Einsparungen von Suchkosten im Vergleich zu permanenter Beschäftigung – analog zu anderen Flexibilisierungsinstrumenten wie befristete Beschäftigung (e.g. Portugal/Varejao 2009). Meier (2004) betont weiterhin die Möglichkeit der dauerhaften Nutzung der Zeitarbeit in Betrieben als eine Mischform zwischen den Standardalternativen der Eigenherstellung und des Fremdbezugs – eine Möglichkeit, die sich in der Praxis wiederfindet. So bieten alle großen Personaldienstleister ihren Kunden diese Onsite- oder Inhouse-Variante von Zeitarbeit als eigene Personaldienstleistung an. Für Unternehmen lassen sich damit Einstellungs-, Entlassungs- und Suchkosten minimieren. 3.3 Kostenersparnis durch niedrigere Tarifentgelte Bis zu den Hartz-Reformen waren Zeitarbeitsunternehmen – bis auf wenige Ausnahmen – tariflich ungebunden. Nach den Hartz-Reformen ist eine komplizierte Tarifstruktur entstanden: Einerseits Zeitarbeitsverbänden existieren und mehrere unterschiedlichen Tarifverträge Gewerkschaften. zwischen verschiedenen Andererseits bestehen Tarifverträge in den Kundenunternehmen der Zeitarbeitsfirmen. Zumindest im tariflich gebundenen Kundenunternehmen prallen zwei Tarifwelten aufeinander. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei der Fall, dass die Tarifvereinbarungen im Kundenunternehmen für Arbeitnehmer attraktiver sind als die Tarifvereinbarungen in der Zeitarbeitsbranche. Insbesondere besteht in der Metall- und Elektroindustrie eine relativ große Lohndifferenz zwischen den von der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall für die Metallund Elektroindustrie vereinbarten Tarifverträgen sowie den von DGB/BZA, DGB/IGZ und CGZP/AMP vereinbarten Zeitarbeitstarifverträgen; die DGB-Tarifverträge für die Zeitarbeit wurden ebenfalls von der IG Metall unterzeichnet. 21 Das Statistische Bundesamt (2009) quantifiziert diese Lohndifferenz auf der Basis der Verdienststrukturerhebung und stellt im Durchschnitt eine hohe Differenz der Bruttostundenverdienste im Jahr 2006 fest: Während so genannte Normalarbeitnehmer durchschnittlich 18,04 € verdienten, kamen Zeitarbeitnehmer lediglich auf 9,71 € je Stunde. Sczesny et al. (2008) kommen in einer Studie zur Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen auf der Basis der Auswertung des Beschäftigtenpanels der Bundesagentur für Arbeit zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2006 als Hilfsarbeiter eingesetzte Zeitarbeitnehmer im Durchschnitt etwa 45 % weniger als Hilfsarbeiter in anderen Branchen verdienen. Auch bei qualifizierteren Tätigkeiten wie z.B. in Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen liegt die Lohndifferenz bei etwa 35 %. Beide Untersuchungen basieren auf statistischen Vergleichen und ignorieren unzulässigerweise das fundamentale Evaluationsproblem. Damit ist nicht sichergestellt, dass wirklich vergleichbare Arbeitnehmer miteinander verglichen werden (vgl. Hagen/Spermann (2004) und Caliendo (2006) zu den Grundlagen der Evaluationsforschung). Statt dessen muss berücksichtigt werden, dass Zeitarbeitnehmer tendenziell eine Negativauslese unter den Arbeitnehmern darstellen, z.B. zu einem höheren Anteil zuvor arbeitslos waren. Diese Selektionsverzerrung muss durch mikroökonometrische Schätzverfahren auf der Grundlage identifizierender Annahmen korrigiert werden. Diesen wissenschaftlich gebotenen Weg geht Jahn (2010). Auf der Basis der IABBeschäftigtenstichprobe (1997-2004) findet sie zunächst auch, dass Zeitarbeitnehmer nur etwa 55 % des Lohnes der Stammbeschäftigten verdienen. Aber sie versucht das fundamentale Evaluationsproblem durch eine fixed effect-Panelschätzung zu lösen. So schätzt sie die Lohnlücke (adjusted wage gap) unter Berücksichtigung unbeobachteter Heterogenität auf 15 %. Die Lohnlücke ist in Westdeutschland größer als in Ostdeutschland, in städtischen Arbeitsmärkten größer als in ländlichen Arbeitsmärkten, in großen Unternehmen größer als in kleinen Unternehmen, für Männer größer als für Frauen. Weiterhin hat sich die Lohnlücke zwischen Stammmitarbeitern und Zeitarbeitnehmern nach ihren Ergebnissen durch die Tarifbindung der Branche sogar noch vergrößert. Bei dieser Durchschnittsbetrachtung gehen jedoch wichtige Informationen zur Heterogenität der Lohnverteilung verloren. So ist es erstens mitunter der Fall, dass Tarifvereinbarungen in den Kundenunternehmen (insbesondere in Ostdeutschland) unter den Tarifvereinbarungen der Zeitarbeitsbranche liegen – mit der Konsequenz, dass Zeitarbeitnehmer mehr als die Stammbelegschaft verdienen. Zweitens können in einzelnen qualifizierten Bereichen (z.B. IT) Zeitarbeitnehmer durch einsatzbezogene Zulagen wesentlich mehr als die Stammbelegschaft verdienen, weshalb ein Wechsel zur Stammbelegschaft aus finanziellen Gründen unattraktiv ist. Drittens zahlen insbesondere große Kundenunternehmen bereits jetzt ihren 22 Zeitarbeitnehmern den gleichen Lohn wie den Stammmitarbeitern – mit der Konsequenz, dass das Prinzip Equal Pay in diesen Fällen realisiert ist. Viertens führt die Allgemeinverbindlicherklärung von den in das Entsendegesetz aufgenommenen Branchen (z.B. Gebäudereinigungsgewerbe) dazu, dass Zeitarbeitsunternehmen den vereinbarten Mindestlohn nicht unterschreiten dürfen – die Tarifvereinbarungen der Zeitarbeitsbranche sind in diesen Fällen irrelevant. 3.4 Strukturelle und funktionale Faktoren In einer neueren empirischen Studie von Thommes/Weiland (2010) wird die Bedeutung der Kostenersparnis für den betrieblichen Einsatz von Zeitarbeit relativiert. Auf der Basis von 603 validen Telefoninterviews mit Personalverantwortlichen von Firmen aus neun Branchen und sieben Bundesländern aus dem Jahre 2004 finden die Autorinnen, dass die Kombination aus strukturellen und funktionalen Faktoren sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch den Umfang der Nutzung von Zeitarbeit bestimmt. Als wichtigster struktureller Faktor identifizieren sie die Branchenzugehörigkeit – und bestätigen die Hypothese, dass Unternehmen im produzierenden Gewerbe nicht nur mit höherer Wahrscheinlichkeit Zeitarbeit einsetzen, sondern auch in größerem Umfang Zeitarbeit nutzen. Als weiterer struktureller Faktor zählt das Führungs- und Kommunikationssystem im Unternehmen. Je institutionalisierter diese Systeme sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit Zeitarbeit einzusetzen. Aber auch funktionale Faktoren haben Einfluss auf die betriebliche Entscheidung. So wird Zeitarbeit mit größerer Wahrscheinlichkeit in Unternehmen in Umbruchsituationen eingesetzt – weniger in stabilen Unternehmen. Bei massiven organisatorischen Veränderungen im Unternehmen wird Zeitarbeit in größerem Umfang eingesetzt. Ein weiterer funktionaler Faktor sind HRInstitutionen, wobei die Autoren den gemeinsamen Einfluss von Betriebsrat und Personalabteilung untersuchen. Es zeigt sich, dass Unternehmen mit diesen beiden Institutionen Zeitarbeit mit höherer Wahrscheinlichkeit und in größerem Umfang einsetzen. Die multivariaten Analysen von Promberger (2009) auf der Basis des IAB-Betriebspanels bestätigen das Ergebnis, dass in Unternehmen mit Betriebsrat der Einsatz von Zeitarbeitnehmern wahrscheinlicher ist als in Unternehmen ohne Betriebsrat. Promberger erklärt diesen Befund folgendermaßen: „Vielen Betriebsräten kommt der ‚mäßige„ Einsatz des Instruments Leiharbeit insofern zupass, als er hilft, die Beschäftigung der Stammbelegschaft stabiler zu halten“ (ebda., S. 236). 23 3.5 Kündigungsschutz In der Lehrbuchliteratur wird auf die Bedeutung des Kündigungsschutzes für die so genannte Penetrationsrate von Zeitarbeit (= Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen Arbeitnehmern) verwiesen (vgl. Ehrenberg/Smith Kündigungsschutzniveau Direkteinstellungen die So wird argumentiert, dass Entlassungskosten der Unternehmen erhöht, relativ 2009). unattraktiv werden. Somit müsste ein hohes so ein dass hohes Kündigungsschutzniveau c.p. mit einem größeren Zeitarbeitssektor verbunden sein. Diese positive Korrelation klingt plausibel, weil atypische Beschäftigungsformen als Anpassungsreaktion auf institutionelle Hemmnisse auf dem Arbeitsmarkt interpretiert werden können. Für Burda/Kvasnicka (2006) ist es offensichtlich, dass Zeitarbeit zur Abmilderung bzw. Umgehung restriktiver Regulierungen am Arbeitsmarkt dienen kann (ebda., S. 197). Eine Studie von Autor (2003) bestätigt diesen Zusammenhang für die USA. Der Blick auf die internationalen Penetrationsraten lässt jedoch Zweifel an dieser Korrelation aufkommen, weil Länder mit niedrigem Kündigungsschutzniveau wie Großbritannien und Belgien relativ hohe Penetrationsraten aufweisen (vgl. Abbildung 5). Eine Studie von Kahn (2007) bestätigt diese Zweifel. Seine panelökonometrische Untersuchung auf der Basis des Europäischen Haushaltspanels 1996-2001 zeigt, dass Veränderungen des Kündigungsschutzes im Durchschnitt keinen signifikanten Effekt auf die Ausbreitung von Zeitarbeit haben. Auch Boockmann/Hagen (2001) bezweifeln diese positive Korrelation. In ihrer Untersuchung der Auswirkungen der 1996 in Deutschland eingeführten Anhebung der kündigungsschutzrechtlich relevanten betrieblichen Beschäftigungsschwelle von 6 auf 11 Mitarbeiter können sie keinen statistisch signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit von Unternehmen dieser Größe auf die Nachfrage nach Zeitarbeitskräften feststellen. Zu dem gleichen Ergebnis kommen Bellmann et al. (2008), die resümieren: „Zwischen Leiharbeit und dem gesetzlichen Kündigungsschutz lässt sich hingegen keine klare Beziehung identifizieren“ (ebda., S. 36). 3.6 Zwischenergebnis Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Wesentlichen kurzfristige Personalbedarfe in Unternehmen zum Einsatz von Zeitarbeit führen. Dies spiegelt sich auch in der kurzen Zeitarbeitsunternehmen Betriebszugehörigkeitsdauer von wider. bei Auch Einsparungen Zeitarbeitnehmern Such-, Einstellungs- bei und Entlassungskosten in den HR-Abteilungen der Unternehmen spielen eine bedeutende Rolle für den Einsatz von Zeitarbeitnehmern. Insbesondere in Hochlohnbranchen des verarbeitenden Gewerbes sind Kosteneinsparungen durch niedrige Tarifentgelte von 24 Bedeutung. Nach einer seriösen Schätzung von Jahn (2010) liegt das Tarifentgelt der Zeitarbeitnehmer im Vergleich zu Stammmitarbeitern durchschnittlich um 20 % niedriger. Dennoch können Zeitarbeitnehmer aus verschiedenen Gründen im Einzelfall sogar mehr als Stammmitarbeiter verdienen. Der wesentliche Kostenvorteil der Unternehmen beim Einsatz von Zeitarbeitnehmern besteht jedoch darin, dass nur geleistete Arbeit vergütet wird – für Urlaub, Krankheit, Feiertage fallen für die Unternehmen keine Kosten an. Aus Sicht der Betriebsräte der Unternehmen ist der Einsatz von Zeitarbeitnehmern zum Schutz der Stammbelegschaft begrüßenswert. Dagegen spielt der Kündigungsschutz nach den vorliegenden empirischen Ergebnissen – überraschenderweise – keine Rolle für den Einsatz von Zeitarbeit in Deutschland. 25 4. Die neue Rolle der Zeitarbeit Die klassische Rolle der Zeitarbeit besteht in der Deckung des vorübergehenden Personalbedarfs von Unternehmen. Zeitarbeit wird genutzt, um Auftragsspitzen abzufangen oder kurzfristige Ausfälle auszugleichen. Konkret wird Zeitarbeit für Urlaubs-, Krankheits- und Schwangerschaftsvertretung sowie als Instrument zur Vermeidung von Überstunden der Stammbelegschaft eingesetzt. Im Mittelpunkt steht die Funktion der Zeitarbeit als kurzfristiges Anpassungs- und Flexibilisierungsinstrument (vgl. Strotmann 2009). Die neue Rolle der Zeitarbeit ergibt sich aus dem quantitativen Zuwachs seit der Deregulierung im Jahr 2004, der Intensität der Nutzung der Zeitarbeit in größeren Betrieben und dem strukturellen Fachkräftemangel. In diesem Beitrag werden volks- und betriebswirtschaftliche sowie arbeitsmarkt- und bildungspolitische Aspekte dieser neuen Rolle herausgearbeitet. 4.1 Volkswirtschaftliche Aspekte 4.1.1 Zunehmende Arbeitsmarktdynamik durch Zeitarbeit Bellmann et al. (2009) zeigen in ihrer Analyse von Labour-Turnover-Rate, Churning-Rate und Job-Turnover-Rate auf der Basis des IAB-Betriebspanels (1996-2006), dass der deutsche Arbeitsmarkt nach den Hartz-Reformen dynamischer geworden ist. Gemessen an Zugängen in und Abgängen aus Arbeitslosigkeit hat sich die Dynamik am deutschen Arbeitsmarkt nach den Hartz-Reformen ebenfalls deutlich erhöht, wie Abbildung 12 verdeutlicht. Laut Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit liegen im Jahr 2010 die Abgänge aus Arbeitslosigkeit mit fast 9,4 Millionen über den Zugängen in Arbeitslosigkeit, die fast 9,2 Millionen ausmachen. Zum Vergleich: Vor den Hartz-Reformen lag das Niveau der Zu- und Abgänge bei etwa 7 Millionen. 26 Abbildung 12: Zugänge in Arbeitslosigkeit und Abgänge aus Arbeitslosigkeit (1998-2010) 10.000.000 9.000.000 8.000.000 7.000.000 Zugänge in Arbeitslosigkeit 6.000.000 5.000.000 4.000.000 Abgänge aus Arbeitslosigkeit 3.000.000 2.000.000 1.000.000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anmerkung: Bewegungszahlen der Jahre 2005 & 2006 ohne Daten der zugelassenen kommunalen Träger. Vergleichbarkeit stark eingeschränkt Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2011b): Arbeitslose nach Rechtskreisen. Dabei spielte die Zeitarbeit – trotz des geringen Anteils der Zeitarbeitnehmer an allen Erwerbstätigen – eine herausragende Rolle. Der Anteil der Zeitarbeit an diesen Strömen ist beachtlich, wie Abbildung 13 zeigt. Während die Zahl der entstandenen und beendeten Zeitarbeitsverhältnisse in den Jahren von 2000 bis 2005 bei etwa 600.000 bis 700.000 lag, sind sie zwischen 2006 und 2008 auf eine Million und mehr angewachsen. Im Jahr 2009 waren sie leicht rückläufig. Für das erste Halbjahr 2010 meldet die Arbeitnehmerüberlassungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit fast 544.000 Zugänge an Zeitarbeitnehmern, davon kommen etwa 326.000 (ca. 60%) aus der Arbeitslosigkeit. Dem gegenüber stehen 461.790 beendete Zeitarbeitsverhältnisse. Damit erklärt die Zeitarbeit einen wesentlichen Teil an der Dynamik am Arbeitsmarkt. 27 Abbildung 13: Zugang und Abgang Zeitarbeitnehmer (2000-2010) 1.400.000 1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 Zugang Zeitarbeit Abgang Zeitarbeit 400.000 200.000 0 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2011a): Arbeitsmarkt in Zahlen, Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1. Halbjahr 2010 , Nürnberg. 4.1.2 Zeitarbeit als Frühindikator Ein zweiter volkswirtschaftlicher Aspekt ist die Rolle der Zeitarbeit im Konjunkturzyklus. Zeitarbeit ist zum einen konjunkturabhängig: Typischerweise entwickelt sich Zeitarbeit mit der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts multipliziert mit Faktor x, wie Abbildung 14 illustriert (vgl. auch Jahn/Bentzen 2010). Dieses Muster ist auch in anderen Ländern erkennbar (vgl. Canoy et al. 2009). 28 Abbildung 14: Veränderung des Bruttoinlandsprodukts und der Zeitarbeitnehmer gegenüber dem Vorjahr in Prozent (2001-2009) 40 6 30 4 20 2 10 0 0 -2 -10 -4 -20 -6 -30 -8 Veränderung ZA gegenüber Vorjahr in % Veränderung BIP gegenüber Vorjahr in % Quelle: Statistisches Bundesamt (2010): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Wiesbaden; Bundesagentur für Arbeit (2011a): Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1. Halbjahr 2010, Nürnberg. Zum anderen läuft Zeitarbeit der Entwicklung am Arbeitsmarkt voraus, wie Abbildung 15 verdeutlicht. So lag der Anteil der Zeitarbeit am Beschäftigungszuwachs in der Frühphase des letzten Aufschwungs im Juni 2006 bei 75 % - und nahm bis zum September 2008 auf 8 Prozent ab (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011b und Abbildung 3). Auch in der Frühphase des Abschwungs im zweiten Quartal 2008 ließ sich beobachten, dass die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung zwar noch zunahm, sich die Beschäftigung in der Zeitarbeit jedoch schon reduzierte. Die gesamte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ging dagegen erst ab Dezember 2008 zurück. Seit Mitte 2009 nimmt die Beschäftigung in der Zeitarbeit wieder zu, während der gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsabbau noch bis Oktober 2009 andauerte. 29 Abbildung 15: Beschäftigungsentwicklung insgesamt und in der Zeitarbeit (saisonbereinigt) 800.000 28.500.000 700.000 28.000.000 600.000 27.500.000 500.000 27.000.000 400.000 26.500.000 300.000 Sozialverspfl. Beschäftigung in der Zeitarbeit 200.000 Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung 100.000 0 26.000.000 25.500.000 25.000.000 Anmerkungen: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Saisonbereinigt) und Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in der Zeitarbeit (saisonbereinigt). Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2011a): Analyse des Arbeitsmarktes in Deutschland; Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2011d): Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt. Zum dritten stellt die Entwicklung am Arbeitsmarkt in Ländern mit flexiblen Arbeitsmarktinstitutionen einen Frühindikator für einen konjunkturellen Abschwung dar, wie Untersuchungen für die USA zeigen (Gavin/Kliesen 2002). Erfahrungen mit BIP-Vorhersagen in den USA in den Jahren 2008 und 2009 belegen, dass die Entwicklung am flexiblen USArbeitsmarkt der beste Frühindikator für die Rezession war. So konnte die Rezession ein Jahr im Voraus prognostiziert werden (Willis 2010). Da der deutsche Arbeitsmarkt flexibler geworden ist, ist zu prüfen, ob Zeitarbeit als Frühindikator für die Arbeitsmarktentwicklung auch als Frühindikator für eine Rezession geeignet ist (lead-Indikator). Deskriptive Analysen lassen vermuten, dass dies der Fall ist. So nahm die Wachstumsdynamik der Zeitarbeit seit dem Mai 2007 ab, wie Abbildung 16 zeigt. Wäre diese Entwicklung die Grundlage für eine Konjunkturprognose gewesen, so hätte erstmals im Herbst 2007 eine Rezessionswarnung abgegeben werden können. Tatsächlich meldete das Statistische Bundesamt erst am 14. August 2008, dass im zweiten Quartal 2008 die Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorquartal abgenommen hat. Danach lässt sich aus der Wachstumsdynamik der Zeitarbeit mit etwa einem Jahr Vorlauf auf die konjunkturelle Entwicklung schließen – das gilt zumindest im Nachhinein und für diese Abschwungphase. 30 Zum Vergleich: Nach der ifo-Konjunkturuhr, die die Lagebeurteilung und Erwartungen im verarbeitenden Gewerbe misst, ist Deutschland im Oktober 2008 in eine Rezessionsphase eingetreten. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) meldete auf der Basis des Frühindikators ZEW-Konjunkturerwartungen erst im Dezember 2008, dass die Rezession Deutschland erfasst hat. Die Konjunkturerwartungen der Finanzanalysten verschlechterten sich jedoch bereits seit Mai 2007. In einem flexiblen und dynamischen Arbeitsmarkt läuft der Arbeitsmarkt im Aufschwung dagegen typischerweise hinterher (lag-Indikator). So nahm die Zahl der Zeitarbeitnehmer erst im August 2009 gegenüber dem Vormonat wieder zu. Doch bereits im zweiten Quartal 2009 nahm nach Angaben des Statistischen Bundesamtes das BIP im Vergleich zum Vorquartal zu. Abbildung 16: Veränderung Zahl der Zeitarbeitnehmer gegenüber Vorjahresmonat (2005-2010) 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 0 -50.000 -100.000 -150.000 -200.000 -250.000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011a): Arbeitsmarkt in Zahlen, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1. Halbjahr 2010, Nürnberg. 31 4.2 Betriebswirtschaftliche Aspekte 4.2.1 Strategische Intensivnutzung Auf betrieblicher Ebene ist die Zunahme der Intensivnutzer der Zeitarbeit nach den HartzReformen auffällig. Intensivnutzer von Zeitarbeit werden in der Literatur als Unternehmen definiert, die mehr als 20 % ihres Personals über Zeitarbeit abdecken (vgl. auch Kapitel 2). Nach Bellmann/Kühl (2007) ist der Anteil der Intensivnutzer stark gestiegen – von 4,8 % auf 10,4 % in den Jahren 1998 bis 2006. Am 30.06.2008 lag dieser Wert über alle Branchen hinweg bei 10 %, im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen lag der Anteil der Intensivnutzer jedoch bei 33 % (Crimmann et al. (2009)). Aus sechs qualitativen Fallstudien zu Intensivnutzern in der Metall- und Elektroindustrie identifizieren Holst/Nachtwey/Dörre (2009) eine neue Nutzungsstrategie der Unternehmen: die strategische Nutzung der Zeitarbeit. Damit meinen sie, dass Zeitarbeit aktiv – und nicht reaktiv – als Instrument der strategischen Unternehmens- und Konzernführung eingesetzt wird. Das bekannteste Beispiel ist das BMW-Werk Leipzig, das strategisch mit einem Zeitarbeitnehmeranteil von 30 % an der Belegschaft geplant wurde. Im Rahmen dieser neuen Nutzungsstrategie wird Zeitarbeit bewusst in großem Umfang, dauerhaft, in mehreren – bislang der Stammbelegschaft vorbehaltenen Betriebsbereichen – eingesetzt, so dass Stamm- und Randbelegschaften bewusst eng verflochten sind. Die strategische Nutzung ist nach Ansicht der Autoren eng mit der Herausbildung des Finanzmarktkapitalismus verbunden: Kurzfristige Renditeorientierung steht im Mittelpunkt aller unternehmenspolitischen Entscheidungen. Kombiniert wird diese Nutzungsstrategie mit der so genannten „Personalpolitik der unteren Linie“. Das heißt, die Stammbelegschaft wird auf die unterste Grenze der Auslastung reduziert, so dass der Normalausstoß in der Produktion ohne einen Einsatz von Zeitarbeitnehmern nicht zu schaffen ist. Damit wird Zeitarbeit aufgewertet – Zeitarbeitnehmer werden zu einem mehr oder weniger festen Bestandteil der Belegschaft des Einsatzbetriebes. Auf der Basis von fünf betrieblichen Fallstudien in der Metall- und Elektroindustrie (eine Fallstudie dient als Referenzkategorie) beschreiben die Autoren die strategische Nutzung als arbeits- und leistungspolitischen Hebel, mit dem „willkommener Druck auf die Stammbelegschaft ausgeübt werden kann“. Als eigentlich neuen Befund arbeiten die Autoren einen direkt wirkenden Disziplinierungseffekt auf die Stammbelegschaft heraus: „Durch die Verflechtung im Arbeitsprozess können beide Belegschaftsgruppen in ein arbeits- und leistungspolitisch höchst brisantes direktes Konkurrenzverhältnis um Aufstiegs- und Qualifizierungschancen, im Extremfall sogar um Beschäftigungsmöglichkeiten, gesetzt 32 werden“. Grundlage dieser weitreichenden Schlußfolgerungen sind jedoch nur wenige Fallstudien. Darüber hinaus enthalten diese Fallstudien auch zahlreiche Hinweise auf den produktivitätssteigernden und weitgehend konfliktfreien Einsatz von Stammmitarbeitern und Zeitarbeitnehmern. Als Reaktion auf die zunehmend intensive Nutzung der Zeitarbeit entwickeln Betriebsräte und Gewerkschaften Gegenmaßnahmen. So vereinbaren Betriebsräte in den Kundenunternehmen der Zeitarbeitsfirmen über Betriebsvereinbarungen Obergrenzen für den Einsatz von Zeitarbeit (vgl. Schulz 2009). Gleichzeitig ist aus den empirischen Analysen von Thommes/Weiland (2010) und Promberger (2009) bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Zeitarbeit in mitbestimmten Unternehmen höher ist (vgl. Kapitel 3); über die Intensivnutzung sagen diese Studien jedoch nichts aus. Weiterhin hat die IG Metall in einem Haustarifvertrag mit Siemens die automatische Übernahme von Zeitarbeitnehmern nach 12 Monaten vereinbart (vgl. Schild/Petzold 2009). Dennoch hat die IG Metall zusammen mit ver.di unter dem Dach des DGB im Frühjahr 2010 einen langfristigen Tarifvertrag mit dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA) abgeschlossen, der keine Klausel gegen strategische Intensivnutzung enthält. 4.2.2 Konzerninterne Überlassung Auch die Gründung konzerneigener Zeitarbeitsunternehmen hat nach den Hartz-Reformen zugenommen – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung: Insbesondere der Fall Meniar (Schlecker) ist im Jahr 2010 intensiv öffentlich diskutiert worden (vgl. auch Dauser 2009 für weitere Einzelbeispiele). Den Unternehmen wird Lohndumping und Tarifflucht vorgeworfen, weil zum Teil dieselben Mitarbeiter als Zeitarbeitnehmer ihren bisherigen Arbeitsplatz bei geringerer Bezahlung einnehmen. Crimmann et al. (2009) versuchen eine Quantifizierung der konzerninternen Überlassung. Konkret betrachten sie neugegründete Verleihbetriebe in den Jahren 2006 bis 2008 mit mehr als 100 Beschäftigten – mit der Begründung, dass ein Konzern nur dann einen Verleihbetrieb gründet, wenn in erheblichem Umfang eigene Beschäftigte in ein Zeitarbeitsverhältnis wechseln. So wurden im Jahr 2008 lediglich 57 solcher Verleihbetriebe mit 10.420 Beschäftigten gegründet. Da im Jahr 2008 über 700.000 Zeitarbeitnehmer beschäftigt waren, handelt es sich nach Ansicht der Autoren bei konzerninterner Überlassung um „kein Breitenphänomen“ (ebda., S. 44). 33 Dennoch wird die mögliche – und in Einzelfällen offensichtliche – Substitution von Stammmitarbeitern durch Zeitarbeitnehmer in einem Konzern von seiten der Politik insbesondere wegen der damit verbundenen Lohnsenkungen als unerwünschter Drehtüreffekt gesehen (von der Leyen 2010). Auch die großen Zeitarbeitsverbände distanzierten sich von dieser Praxis. Vor diesem Hintergrund nahmen die Tarifparteien AMPCGZP, BZA-DGB und IGZ-DGB in ihren im Frühjahr 2010 abgeschlossenen Tarifverträgen spezielle Klauseln zur Regulierung der konzerninternen Überlassung auf (vgl. Spermann 2011). Damit ist kein Verbot der konzerninternen Überlassung verbunden, jedoch soll der Substitution Einhalt geboten werden. 4.2.3 Headcount-Reduktionen in börsennotierten Konzernen Ein weiterer wichtiger Grund für den Einsatz von Zeitarbeit hängt mit der Börsennotierung wichtiger Kundenunternehmen von Personaldienstleistern zusammen. Für börsennotierte Unternehmen, die kontinuierlich von Analysten beurteilt werden, ist der Anteil der fixen Personalkosten eine wichtige Kennziffer (vgl. Thommes/Weiland 2010). Da der Einsatz von Zeitarbeitnehmern betriebswirtschaftlich nicht zu den (fixen) Personalkosten, sondern zu den (variablen) Materialkosten zählt, ergibt sich eine Möglichkeit, die Personalkosten niedrig zu halten – ohne tatsächlich weniger Personal einzusetzen. Zeitarbeitnehmer gehen mit dem Faktor 0 in die Full-time Equivalent (FTE)-Betrachtung der Analysten ein – andere externe Flexibilisierungsinstrumente wie befristete Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, Mini- und Midijobs und Praktika zählen dagegen als Personalkosten. Dieses Argument könnte zur Erklärung der starken Zunahme der Nutzungsintensität in größeren Betrieben, insbesondere bei den unternehmensnahen Dienstleistungen beitragen. 34 4.3 Arbeitsmarktpolitische Aspekte 4.3.1 Einstiegschance für Arbeitslose Den wichtigsten arbeitsmarktpolitischen Beitrag leistet die Zeitarbeitsbranche mit der Einstellung von Arbeitslosen. Zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer waren zuvor arbeitslos oder ohne Beschäftigung: Beim Erwerbsstatus vor der Beschäftigung in der Zeitarbeit dominiert der Status Arbeitslosigkeit und Nichtbeschäftigung seit Jahren. Abbildung 17 dokumentiert für den Stichtag 30.06.2010, dass nur 33 % der Zeitarbeitnehmer vorher beschäftigt waren. Von den restlichen 67 % waren 7 % vorher noch gar nicht beschäftigt, 11 % länger als ein Jahr arbeitslos und 49 % bis zu einem Jahr arbeitslos (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011a). Abbildung 17: Entwicklung der Zeitarbeitnehmer nach zuvor ausgeübter Beschäftigung (30.06.2010) 11% vorher beschäftigt 7% 33% bis 1 Jahr ohne Beschäftigung über 1 Jahr ohne Beschäftigung 49% vorher noch gar nicht beschäftigt Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011a): Arbeitsmarkt in Zahlen, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1. Halbjahr 2010, Nürnberg. In den letzten zehn Jahren hat sich an der Verteilung dieser Anteile wenig geändert, wie Abbildung 18 verdeutlicht. 35 Abbildung 18: Entwicklung der Zeitarbeitnehmer nach zuvor ausgeübter Beschäftigung in Prozent (2000-2010) 60 50 49 vorher beschäftigt 33 bis 1 Jahr ohne Beschäftigung 40 30 über 1 Jahr ohne Beschäftigung 20 10 11 7 vorher noch gar nicht beschäftigt 0 Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2011a): Arbeitsmarkt in Zahlen, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe im 1. Halbjahr 2010, Nürnberg. Zeitarbeit ist häufig mit kurzen Einsätzen bei verschiedenen Kundenunternehmen verbunden, so dass Zeitarbeitnehmer sich auf unterschiedliche betriebliche Arbeitsumfelder und Tätigkeiten einstellen müssen. Dies erfordert ein Kompetenzprofil, das über die reine Ausübung der Tätigkeit hinausgeht. Insbesondere soft skills sind von Bedeutung, um sich in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen mit unterschiedlichen Vorgesetzten und Kollegen schnell zurechtzufinden. Zeitarbeit wird deshalb als „training on the job“ interpretiert (vgl. Brömser 2007). 4.3.2 „Stepping-Stone“-Hypothese sowie Klebe-, Brücken- und Übernahmeeffekt Mehrere Studien gehen der Frage nach, ob Zeitarbeit als Sprungbrett (stepping stone) in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dient. Dahinter steht die normative Vorstellung, dass Zeitarbeit als sozialversicherungspflichtige und häufig unbefristete Beschäftigungsform atypisch ist und damit eine Übergangslösung für Arbeitnehmer sein sollte. Ziel soll dagegen die unbefristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb der Zeitarbeit – das so genannte Normalarbeitsverhältnis sein (vgl. Sachverständigenrat 2008, S. 301). In der wissenschaftlichen Evaluationsliteratur finden sich mehrere empirische Überprüfungen der „Stepping-Stone“-Hypothese (vgl. Spermann 2008). Die methodisch seriöse Studie von 36 Kvasnicka (2008) benutzt einen Matching-Ansatz auf der Basis des IAB-Betriebspanels. Kvasnicka löst das fundamentale Evaluationsproblem unter der Annahme, dass die identifizierende Annahme (selection-on-observables) plausibel ist. Der Autor vergleicht ehemals Arbeitslose, die im Zeitraum von 1994 bis 1996 ein Zeitarbeitsverhältnis aufnahmen, mit in beobachtbaren Eigenschaften vergleichbaren Arbeitslosen, die während dieses Zeitraums arbeitslos waren – und schätzt u.a. die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme eines Normalarbeitsverhältnisses bis zu vier Jahre nach Abschluss des Zeitarbeitsverhältnisses. Kvasnicka findet keinen empirischen Beleg für die Gültigkeit der „Stepping-Stone“-Hypothese in Deutschland in diesem Zeitraum, aber auch keinen Beleg, dass Zeitarbeit das Risiko der Arbeitslosigkeit erhöht. Kvasnicka (2008) findet jedoch eine „access-to-work“ Funktion der Zeitarbeit. Denn Arbeitslose, die innerhalb von zwölf Monaten ein Zeitarbeitsverhältnis aufnahmen, hatten in den folgenden vier Jahren eine höhere monatliche Beschäftigungswahrscheinlichkeit entweder in reguläre Beschäftigung oder in Zeitarbeit als vergleichbare Arbeitslose. Dieses Ergebnis wird durch die höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit in der Zeitarbeit getrieben. Auch die Analyse von Lehmer/Ziegler (2010) löst das fundamentale Evaluationsproblem mit Hilfe eines Matching-Ansatzes – zumindest bei der Untersuchung der „Stepping-Stone“Hypothese für Langzeitarbeitslose. Zeitarbeit ist demnach für Langzeitarbeitslose ein erfolgreiches Sprungbrett in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Erstmals wird in dieser Studie für die Zeit nach den Hartz-Reformen der Effekt der Zeitarbeit auf die Beschäftigungswahrscheinlichkeit von Langzeitarbeitslosen außerhalb der Zeitarbeit gemessen. Dazu werden ehemals Langzeitarbeitslose, die im zweiten Quartal 2006 in Zeitarbeit beschäftigt waren, mit vergleichbaren Langzeitarbeitslosen verglichen, die zu diesem Zeitpunkt weiterhin arbeitslos waren. So haben ehemals langzeitarbeitslose Zeitarbeitnehmer ein Jahr nach Aufnahme der Zeitarbeit eine um 17 Prozentpunkte höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit außerhalb der Zeitarbeit als weiterhin Arbeitslose. Auch 2,5 Jahre nach Aufnahme der Zeitarbeit haben sie sogar eine über 20 Prozentpunkte höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit. Lehmer/Ziegler resümieren: „Hinsichtlich ihres künftigen Erwerbsverlaufes ist damit Leiharbeit für Langzeitarbeitslose klar die bessere Alternative zur Fortsetzung der Arbeitslosigkeit“ (Lehmer/Ziegler 2010, S. 6-7). Eine andere, jedoch irreführende Herangehensweise ist die schlichte Nennung von Prozentzahlen zu Klebe-, Brücken- und Übernahmeeffekten. Unter einem Klebeeffekt wird die Übernahme eines Zeitarbeitnehmers durch das Kundenunternehmen verstanden. Unter dem Brückeneffekt ist die Einstellung eines Zeitarbeitnehmers durch ein drittes Unternehmen zu verstehen. Der Übernahmeeffekt misst dagegen den Anteil der Übernahmen ehemaliger 37 Zeitarbeitnehmer an allen Zeitarbeitnehmern im Kundenunternehmen. Dabei spielt es keine Rolle, zu welchem Zeitpunkt der Übernommene seine Tätigkeit als Leiharbeitskraft im gleichen Unternehmen beendet hat (vgl. Crimmann et al. 2009, S. 46f). Der Klebeeffekt variiert nach Promberger (2009) zwischen 15 % in der Rezession des Jahres 2003 und 24 % nach der Boomphase zur Jahresmitte 2008. Nach dem IW-Zeitarbeitsindex des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA) des Jahres 2008 wird ein Klebeeffekt von 24,3 % und Brückeneffekt von 21,9 % veröffentlicht – auf der Basis von Umfragen bei Zeitarbeitsunternehmen. In der aktuellen IAB-Studie wird ein Übernahmeeffekt von 15 % errechnet (Crimmann et al. 2009). Alle diese Studien nennen deskriptive Prozentsätze. Je nach Interessenlage wird der Prozentsatz als hoch oder niedrig bewertet. Doch diese Bewertungen sind irrelevant, denn das fundamentale Evaluationsproblem wird in diesen Arbeiten nicht gelöst. Um diesen zentralen Einwand verständlicher zu machen: Ein niedriger Prozentsatz kann eine schlechte konjunkturelle Situation oder eine Negativselektion der Zeitarbeitnehmer widerspiegeln. Ein hoher Prozentsatz könnte lediglich das Ergebnis einer günstigen konjunkturellen Lage oder einer Positivselektion von Zeitarbeitnehmern sein. Es wird also lediglich ein negativer oder positiver Selektionseffekt gemessen, jedoch kein kausaler Effekt. Weder niedrige noch hohe Prozentsätze haben eine kausale Interpretation, worauf auch Crimmann et al. (2009) richtigerweise hinweisen. 4.3.3 Substitutions-, Drehtür- und Verdrängungseffekt Unter einem Substitutionseffekt versteht man im Kontext des Einsatzes der Zeitarbeit in Unternehmen nach der Definition der OECD (1993) den Ersatz von Stammmitarbeitern durch Zeitarbeitnehmer bei unverändertem Beschäftigungsstand im Unternehmen. Dieser Effekt wird auch Drehtüreffekt genannt. Für die Substitutionsthese spricht anekdotische Evidenz, z.B. bei der bereits erwähnten konzerninternen Überlassung in Kapitel 4.2.2.. Auch weisen mehrjährige Kundeneinsätze bei einem Kundenunternehmen bei ausdrücklich ausgeschlossener Übernahmeoption auf Substitution hin. Gegen die Substitutionsthese lassen sich jedoch mehrere plausible Argumente aufführen. Zum einen spricht die geringe quantitative Bedeutung der Zeitarbeitsbranche als Anteil an der gesamten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mit einer maximalen nationalen Penetrationsrate von 2,6 % gegen Substitution in großem Umfang. Zum anderen spricht auch die geringe Betriebszugehörigkeit der Zeitarbeitnehmer gegen die Substitution, zumal die statistisch nicht erfasste durchschnittliche 38 Überlassungsdauer bei einem Kundenunternehmen noch geringer ist. Zum dritten ist aber auch zu beachten, dass z.B. im letzten Aufschwung eine mehr als zweijährige Phase des gleichzeitigen Aufbaus von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ohne Zeitarbeit und Zeitarbeit zu beobachten war (vgl. Crimmann et al. 2009). Methodisch hochwertige empirische Studien zum Substitutionseffekt liegen wegen fehlendem Datenmaterial derzeit nicht vor. Unter einem Verdrängungseffekt (displacement) versteht man nach der Definition der OECD (1993), wenn reguläre Beschäftigung durch den Einsatz von Zeitarbeit in einer Firma zu Entlassungen bei anderen Firmen führt. Das ist zum Beispiel dann möglich, wenn eine Firma dank Zeitarbeit über geringere Güterpreise einen größeren Marktanteil erzielen kann – mit der Konsequenz, dass Firmen ohne Zeitarbeitnehmer Marktanteile verlieren und Beschäftigte entlassen müssen. Dieser Effekt ist empirisch sehr schwer meßbar – es existieren lediglich wenig makroökonometrische Studien zum Verdrängungseffekt ohne Bezug zur Zeitarbeit (vgl. Caliendo, Hagen und Hujer 2004). 4.4 Bildungspolitische Aspekte Eine in der Literatur noch wenig beachtete neue Rolle der Zeitarbeit liegt im bildungspolitischen Bereich. Eine erste Überblicksstudie legte Münchhausen (2007) vor. In den letzten Jahren haben sich die Initiativen der Zeitarbeitsbranche in diesem Bereich vervielfacht. Es lassen sich die Bereiche Aus- und Weiterbildung für internes Personal und für Zeitarbeitnehmer unterscheiden. 4.4.1 Aus- und Weiterbildung für internes Personal Zum 1. August 2009 startete der neue Ausbildungsberuf zum Personaldienstleistungskaufmann mit über 1100 Auszubildenden. Weiterhin existiert eine 21monatige Umschulungsmaßnahme zum Personaldienstleistungskaufmann. Mehrere Zertifikatsstudiengänge und ein Masterstudiengang wurden auf den Weg gebracht (vgl. Tabelle 1). Die Weiterbildung zum Fachwirt Personaldienstleistung sowie ein Bachelorstudiengang sind in der Planung (vgl. Tabelle 2). Sie richten sich an interne Disponenten/Consultants, die bisher durch Inhouse-Schulungen eingearbeitet wurden. 4.4.2 Aus- und Weiterbildung für Zeitarbeitnehmer Aber auch Ausbildungen für Zeitarbeitnehmer sind inzwischen in wenigen Fällen realisiert worden. Da Zeitarbeitsunternehmen diese Ausbildungen nicht selbst durchführen können, 39 werden sie typischerweise mit Bildungsträgern im Rahmen von Verbundausbildungen (z.B. Zerspanungsmechaniker, examinierte Altenpfleger) durchgeführt (vgl. Tabelle 3). Seit vielen Jahren investieren deutsche Personaldienstleister in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, indem sie z.B. Gabelstaplerscheine, PC-Kurse und Sprachkurse finanzieren. Zum Teil werden auch Schweißerpässe und Löterschulungen komplett von Personaldienstleistern übernommen. Die Kosten für diese Weiterbildungen rechnen sich durch die Überlassung an Kunden für eine bestimmte Mindestzeit. Kündigt ein Zeitarbeitnehmer kurz nach Abschluss der Weiterbildung oder übernimmt ein Kunde den weitergebildeten Zeitarbeitnehmer nach wenigen Tagen ohne Provision, dann hat das Personaldienstleistungsunternehmen fehlinvestiert. Angesichts der insbesondere im demographisch Bereich bedingten qualifizierter und strukturellen Arbeitsangebotsverknappung, spezialisierter Fachkräfte, haben viele Personaldienstleister in den letzten Jahren ihre Fort- und Weiterbildungsanstrengungen für Zeitarbeitnehmer intensiviert. Kurz- und mittelfristige Qualifizierungsmaßnahmen für Bewerber und Mitarbeiter, e-learning und Qualifizierungspässe für die Dokumentation des Kompetenzerwerbs in der Zeitarbeit sind die wichtigsten Elemente der Fort- und Weiterbildung (vgl. Spermann 2008, 2009). In Tabelle 4 werden die wesentlichen Aktivitäten der drei großen Personaldienstleister in Deutschland dokumentiert. Das Thema ist jedoch auch für die gesamte Branche wichtig geworden – ein Beleg ist die erstmalige Ausrichtung des Zeitarbeitskongresses 2008 zu dieser Thematik. Seit November 2008 dürfen Zeitarbeitnehmer erstmals Kurzarbeitergeld beziehen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit gingen von November 2008 bis Juni 2009 Anzeigen für rund 108.000 Zeitarbeitnehmer ein. Im Juni 2009 erhielten rund 24.000 Zeitarbeitnehmer Kurzarbeitergeld. Der durchschnittliche Arbeitsausfall betrug rund 47 %, im Vergleich zu rund 31 % über alle Branchen (vgl. Deutscher Bundestag 2010a). Im Rahmen der Initiative „Einsatz für Arbeit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kann Kurzarbeit auch mit Qualifizierung kombiniert werden. In diesem Fall werden seit 1. Februar 2009 die kompletten Sozialversicherungsbeiträge für die durch Kurzarbeit ausfallenden Arbeitstage vom Staat übernommen. Vor diesem Hintergrund haben Zeitarbeitsunternehmen zusammen mit Bildungsträgern speziell auf die Kurzarbeitsmodelle der Kundenunternehmen abgestimmte Qualifizierungsmaßnahmen organisiert. Tabelle 5 fasst die wichtigsten Möglichkeiten der Finanzierung von Qualifizierungsmaßnahmen für Zeitarbeitnehmer in Kurzarbeit zusammen. In der Krise 2008/2009 nutzte die Branche auch die Qualifizierungsmaßnahmen für Zeitarbeitnehmer im Rahmen der Kurzarbeit. Diese Regelungen sind bis zum 31.3.2012 befristet. 40 5. Fazit und Ausblick Die alte Rolle der Zeitarbeit vor den Hartz-Reformen besteht in der Deckung des vorübergehenden Personalbedarfs von Unternehmen. Im Gegensatz zu den siebziger, achtziger und neunziger Jahren besteht heute ein breiter gesellschaftlicher Konsens über alle Parteien und alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg, dass Zeitarbeit als kurzfristiges Anpassungs- und Flexibilisierungsinstrument arbeitsmarktpolitische Funktion der sinnvoll Zeitarbeit als ist. Dazu hat Einstiegschance wesentlich für die Arbeitslose beigetragen. Die neue Rolle ergibt sich aus dem quantitativen Zuwachs der Zeitarbeit nach den HartzReformen, der Intensität der Nutzung der Zeitarbeit in größeren Betrieben und dem strukturellen Fachkräftemangel. Diese neue Rolle wird in der Öffentlichkeit kontrovers und häufig nur mit partieller Sachkenntnis diskutiert. In diesem Überblicksartikel wird die aktuelle wissenschaftliche Literatur zur Zeitarbeit aufbereitet und die neue Rolle der Zeitarbeit nach den Hartz-Reformen konkretisiert. Die neue Rolle der Zeitarbeit ist gekennzeichnet durch volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und bildungspolitische Aspekte. Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat Zeitarbeit wesentlich zur erhöhten Flexibilität des deutschen Arbeitsmarktes beigetragen – der Anteil an den Strömen in und aus Arbeitslosigkeit hat deutlich zugenommen, so dass diese Beschäftigungsform eine wesentlich größere Bedeutung für den Arbeitsmarkt hat als es die geringe nationale Penetrationsrate von unter 3 % vermuten lässt. Aus makroökonomischer Sicht fällt auf, dass Zeitarbeit zwar prozyklisch, aber mit einer größeren Amplitude als der Konjunkturzyklus schwankt. Im letzten Konjunkturzyklus hat sich gezeigt, dass Zeitarbeit ein Frühindikator für eine Rezession sein kann – nicht jedoch für den Aufschwung. Weiterhin ist Zeitarbeit ein zuverlässiger Frühindikator für den Arbeitsmarkt – sowohl im Auf- als auch im Abschwung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist Zeitarbeit für Intensivnutzer insbesondere im Bereich unternehmensnaher Dienstleistungen von besonderer Bedeutung. Intensivnutzung hat nach den Hartz-Reformen anteilsmäßig deutlich zugenommen. Einige Autoren sprechen sogar von strategischer Intensivnutzung – jedoch auf der Basis weniger betrieblicher Fallstudien. Konzerninterne Überlassung hat in den letzten Jahren immer wieder für öffentliches Interesse gesorgt – sie ist jedoch nach einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung „kein Breitenphänomen“. Wenig bekannt ist der betriebswirtschaftliche Vorteil der Zeitarbeit für börsennotierte Unternehmen, deren Kostenstruktur durch Analysten bewertet wird. 41 Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ist Zeitarbeit seit Jahren eine Einstiegschance für Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose. Kontrovers diskutiert wird die Sprungbrettfunktion der Zeitarbeit sowie die Bedeutung von Klebe-, Brücken- und Übernahmeeffekten. In diesem Zusammenhang werden häufig deskriptive Analysen zur Grundlage für die Beurteilung dieser Effekte gemacht. Damit wird jedoch das fundamentale Evaluationsproblem ignoriert. Es liegen lediglich zwei methodisch seriöse Untersuchungen für Deutschland vor. Kvasnicka (2008) findet eine „access to work“-Funktion der Zeitarbeit Mitte der neunziger Jahre, jedoch keinen Beleg für die Sprungbrettfunktion. (2010) belegen die Sprungbrettfunktion der Zeitarbeit für die Lehmer/Ziegler Gruppe der Langzeitarbeitslosen nach den Hartz-Reformen. Für Substitutions- bzw. Drehtüreffekte der Zeitarbeit existiert anekdotische Evidenz. Es ist jedoch insbesondere wegen der geringen Penetrationsrate der Zeitarbeit und der geringen Betriebszugehörigkeitsdauer bei Zeitarbeitsunternehmen unplausibel, dass der Ersatz von Stammbeschäftigten durch Zeitarbeitnehmer eine große Rolle spielt – methodisch seriöse Studien zu dieser Frage liegen jedoch aufgrund fehlender Daten nicht vor. Aus bildungspolitischer Sicht hat die Zeitarbeitsbranche an Bedeutung gewonnen. Es sind sowohl neue Ausbildungsberufe für Disponenten und Zeitarbeitnehmer als auch eine Vielzahl neuer Fort- und Weiterbildungsangebote für Zeitarbeitnehmer entstanden. Vor dem Hintergrund des demografisch bedingten und durch den Strukturwandel hervorgerufenen Fachkräftemangel wird die Vorqualifizierung von Bewerbern und Qualifizierung von Mitarbeitern in der Zeitarbeit zukünftig an Bedeutung gewinnen. Die wissenschaftliche Analyse der Zeitarbeit ist noch stark ausbaufähig. Die besonders strittigen Effekte der Zeitarbeit – Sprungbrett und Drehtür – sind noch wenig untersucht. Aus empirischer Sicht bietet sich eine Reevaluation der „Stepping-stone“-Hypothese mit dem „timing of event“-Ansatz für den Zeitraum nach den Hartz-Gesetzen an; ein aktuelles Beispiel für diese Untersuchungsmethode ist das Papier von Künn et al. (2009) zu Minijobs. Für die Analyse des Drehtüreffektes könnten verstärkt „Linked-Employer-Employee“-Datensätze ausgebaut werden. Auch die Weiterbildungsaktivitäten der Zeitarbeitsunternehmen sind kaum analysiert. Verweildaueranalysen von (vorqualifizierten) Zeitarbeitnehmern im Vergleich zu einer vergleichbaren Kontrollgruppe könnten neue Ergebnisse für die Beschäftigungseffekte von kurzfristigen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Zeitarbeitnehmer erbringen. Die Bedeutung der Zeitarbeit muss auch im Kontext anderer atypischer Beschäftigungsverhältnisse analysiert werden. Zur Zeit dominiert der Vergleich zwischen Normalbeschäftigungsverhältnissen und atypischer Beschäftigung (vgl. Brehmer/Seifert 42 2008, OECD 2008), der zu dem wenig überraschenden Ergebnis führt, dass diese Beschäftigungsverhältnisse Beschäftigungsverhältnisse mit höheren erfordern Risiken jedoch eine verbunden differenzierte sind. Analyse, Atypische die ihrer Heterogenität gerecht werden. So können z.B. freiwillige Teilzeitarbeit und erzwungene EinEuro-Jobs nicht in einen Topf geworfen und mit Normalbeschäftigungsverhältnissen verglichen werden. Allein schon die normativen Begrifflichkeiten „atypische“ Beschäftigung und „Normalbeschäftigung“ spiegeln die kritische Reflektion der Veränderungen am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren wider. So beklagt z.B. der Sachverständigenrat, dass die ungleiche Behandlung der normal beschäftigten Stammbelegschaft und der atypisch beschäftigten Randbelegschaft ein gesellschaftspolitisches Problem darstellt (Sachverständigenrat 2008). Der Rat empfiehlt die Arbeitsmarktinstitutionen in einer Weise zu reformieren, dass Normalbeschäftigung wieder zunimmt. Insbesondere wird die Reform des Kündigungsschutzes empfohlen. Einige Autoren bezeichnen Zeitarbeit jedoch nicht nur als atypische Beschäftigung, sondern auch als so genannte prekäre oder unsichere Beschäftigung. In der Studie von Brehmer/Seifert (2008) werden Beschäftigungsverhältnisse als prekär bezeichnet, die durch einen vergleichsweise geringen Grad an Arbeitsplatzsicherheit, eingeschränkten sozialen Schutz bzw. Absicherung durch Gesetz oder Tarifverträge, fehlenden oder eingeschränkten Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen sowie geringes Einkommen charakterisiert sind. In ihrer multivariaten Analyse mit SOEP-Paneldaten der Jahre 1989 bis 2007 vergleichen sie Normalarbeitsverhältnisse mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen und operationalisieren das Prekaritätsrisiko mithilfe der Kriterien Lohn, Beschäftigungsstabilität und Teilnahme an beruflicher Weiterbildung. Sie resümieren, dass Zeitarbeitnehmer hinsichtlich Lohn- und Beschäftigungsstabilität von einem höheren Prekaritätsrisiko betroffen sind. Kritisch einzuwenden ist, dass diese multivariate Analyse das fundamentale Evaluationsproblem ignoriert. Es wird implizit unterstellt, dass Zeitarbeitnehmer auch ein Normalarbeitsverhältnis hätten aufnehmen können. Diese implizite Annahme durchzieht auch sämtliche von Gewerkschaften initiierte Studien (vgl. Adamy 2011, Biehler 2011). Etwa 60 % der Zeitarbeitnehmer waren jedoch zuvor arbeitslos. Für sie stellt sich diese Entscheidungsalternative häufig nicht. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist dann nur durch atypische Beschäftigungsverhältnisse möglich. Dementsprechend betonen von der Zeitarbeitsbranche initiierte Studien die Möglichkeit der Teilnahme am Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit („driver of participation“) – die 43 Partizipationsquote nimmt ursächlich durch Zeitarbeit zu (vgl. Berkhout et al. 2009 und Berkhout/van den Berg 2010). In der Diskussion um den Niedriglohnsektor wird regelmäßig Zeitarbeit genannt. Die untersten Entgelte der Zeitarbeit finden sich auch nach den neuesten Tarifvereinbarungen in der Zeitarbeit im Niedriglohnsektor - ab 1. Mai 2011 liegt die Lohnuntergrenze in der Zeitarbeitsbranche bei 7,79 € je Stunde in Westdeutschland und 6,89 € je Stunde in Ostdeutschland (vgl. Spermann 2011). Als Niedriglöhne sind Löhne definiert, die weniger als zwei Drittel des Medianlohns betragen. Die konkreten Werte variieren in der Literatur in Abhängigkeit von den zugrundeliegenden Datensätzen und Definitionen der Autoren. In der Brehmer/Seifert-Studie wird die Niedriglohnschwelle für das Jahr 2007 auf 9,45 €/Stunde (Westdeutschland) bzw. 6,94 €/Stunde (Ostdeutschland) beziffert. Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob niedrige Löhne per se negativ zu bewerten sind, wenn die Alternative Arbeitslosigkeit heißt. Unstrittig ist jedoch, dass eine „low pay no pay“-Spirale problematisch ist. Mehrere aktuelle Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit dieser Thematik (vgl. Uhlendorf 2006, OECD 2008, Pacelli et al. 2009). Diese Arbeiten eint die Erkenntnis, dass lediglich Qualifizierung einen Ausweg aus dieser Spirale ermöglicht. Niedriglöhne müssen häufig durch den Staat durch ergänzende Grundsicherungsleistungen aufgestockt werden. So waren im Mai 2009 10,1 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Zeitarbeitsbranche, also 50.800 Zeitarbeitnehmer, gleichzeitig Bezieher von aufstockendem Arbeitslosengeld II (vgl. Deutscher Bundestag 2010b). Soweit es sich bei diesen Zeitarbeitnehmern um Familien handelt, die tariflich nach dem BZA/DGB oder IGZ/DGB-Tarifvertrag entlohnt werden, so würde die Kombination aus Gehalt, Kindergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag zu einem verfügbaren Einkommen oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Der im Oktober 2008 eingeführte Kinderzuschlag stellt sicher, dass keine Grundsicherung mehr beantragt werden muss, sobald ein Mindesteinkommen von 900 € erzielt wird. Bei einer Entlohnung nach dem AMP-CGZPTarifvertrag mit Absenkungsmöglichkeit in den ersten vier Monaten der Beschäftigung lässt sich dagegen in der untersten Entgeltgruppe das für die Gewährung eines Kinderzuschlags notwendige Mindesteinkommen nicht erzielen, so dass aufstockendes Arbeitslosengeld II beantragt werden muss. In Großstädten kann die Mietbelastung über der wohngeldfähigen Miete liegen, so dass die Kosten der Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung beantragt werden müssen. 44 Aber nicht nur die Entlohnung und die quantitativen Beschäftigungeffekte spielen bei der Betrachtung von Arbeitsverhältnissen eine Rolle. So werden in der neueren arbeitsmarktökonomischen Literatur auch weichere Faktoren jenseits der ausschließlichen Untersuchung von Beschäftigungseffekten betrachtet. Es ist offensichtlich, dass sich die verschiedenen atypischen Beschäftigungsverhältnisse hinsichtlich der Zufriedenheit (job satisfaction) und dem Wohlbefinden der Arbeitnehmer (subjective well-being) deutlich unterscheiden werden. Offensichtlich sind z.B. Unterschiede bei freiwilliger Teilzeitarbeit und durch die Arbeitsmarkt- und/oder Kinderbetreuungssituation erzwungene Teilzeitarbeit. Auch sind Unterschiede bei der Beurteilung von Zeitarbeit in verschiedenen Qualifikationsstufen und Einsatzfeldern zu erwarten. Die wissenschaftliche Analyse flexibler Beschäftigungsformen steht demnach in mehrfacher Hinsicht erst am Anfang. 45 6. Literaturverzeichnis Adamy, Wilhelm (2011): Niedriglohn und Lohndumping im Verleihgewerbe, DGB Arbeitsmarkt aktuell, Berlin. Ammermüller, Andreas u. Bernhard Boockmann u. Alfred Garloff u. Anja Kuckulenz u. Alexander Spermann (2003): Die ZEW-Erhebung bei Zeitarbeitsbetrieben, ZEW- Dokumentation No. 03-07, Mannheim. 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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Bereits etablierte Ausbildungen/Studiengänge in der Zeitarbeit Studium/Ausbildung Ausbildung Personaldienstleistungskaufmann/-frau Beschreibung Seit 01.08.2008. Dauer: i.d.R. 3 Jahre. Inhalt: Personalgewinnung, Personaleinsatz, Berufsfelderschließung, Auftragsakquise, Marketing, Kommunikation, kaufmännische Steuerung, berufsbezogene Rechtsanwendung. Zertifikatsstudiengang „Management von Arbeitsmarktintegration“ Seit 2006. Berufsbegleitendes Studium, SRH Hochschule Heidelberg. Zielgruppe: Mitarbeiter in gehobenen Funktionen der Personaldienstleistung, öffentlichen Arbeitsvermittlungen und selbstständige Personalberater/-vermittler. Inhalt: Arbeitsmarktökonomie, Recht der sozialen Sicherung, Kommunikation und Beratung am Arbeitsmarkt, Case Management und Vermittlungscoaching, Arbeitsmarktausgleich und Matchingsysteme, Flexibles Personalmanagement und Zeitarbeit. Zertifikatsstudiengang „Zertifizierter Personaldienstleister“ Seit 2008. Berufsbegleitendes Studium (zehn jeweils viertägige Module innerhalb eines Jahres), Fachhochschule Gießen-Friedberg. Zielgruppe: Mitarbeiter aus der Personaldienstleistungsbranche. Inhalt: Personalwesen, Organisation, Führung, Marketing, Training von Sozialkompetenz und juristische Module. Masterstudiengang „Personaldienstleistungsmanagement“ Seit 2007. Berufsbegleitendes Studium, SRH Hochschule Heidelberg. Zielgruppe: Fach- und Führungspersonen, die Dienstleistungen am Markt für Arbeit und Ausbildung sowie Beratung und Bildung effektiv und professionell managen wollen. Inhalt: Arbeitsmarktökonomie, Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Auswirkung des Strukturwandels, Einsatz von Zeitarbeit als nachhaltiges Instrument der Beschäftigungspolitik. 51 Tabelle 2: Geplante Weiterbildungen/Studiengänge in der Zeitarbeit Weiterbildung/Studium Weiterbildung Fachwirt/-in für Personaldienstleistung Beschreibung Voraussichtlich ab Herbst 2011. Berufsbegleitend oder Vollzeitausbildung. Zielgruppe: Personen mit Berufsabschluss Personaldienstleistungskaufmann/-kauffrau und Quereinsteiger. Bachelorstudiengang „Personaldienstleistungen“ Voraussichtlich ab 2012 verfügbar. Vollzeitstudium (9 Trimester). SRH Hochschule Heidelberg. Zielgruppe: Studierende. 52 Tabelle 3: Ausbildungsgänge für Zeitarbeitnehmer Angeboten von DIS-AG Ausbildung/ Umschulung Beschreibung Standorte Verbundausbildung (§ 10 Abs. 5 BBiG) Es werden Verbundausbildungen zu Facharbeitern durchgeführt, u.a. in folgenden Ausbildungsberufen: Elektroniker für Betriebstechnik, Elektroniker für Geräte und Systeme, Fluggerätemechaniker, Industriemechaniker, Mechatroniker, Technischer Zeichner, Verfahrensmechaniker, Zerspanungsmechaniker Deutschlandweit Start NRW Verbundausbildung (§ 10 Abs. 5 BBiG) Das Zeitarbeitsunternehmen schließt den Ausbildungsvertrag und übernimmt das gesamte Ausbildungsmanagement. Die fachliche Ausbildung erfolgt durch Kooperationsbetriebe, die sich auch zur Hälfte an der Ausbildungsvergütung beteiligen. Voraussetzung jeder Kooperation ist, dass die Kooperationsbetriebe erstmals oder zusätzlich ausbilden (sog. Modell der dualen partnerschaftlichen Ausbildung). Nordrhein-Westfalen Tuja Zeitarbeit GmbH Verbundausbildung (§ 10 Abs. 5 BBiG) Verbundausbildung in Kooperation mit der Agentur für Arbeit in verschiedenen Bereichen. Deutschlandweit Trenkwalder Personaldienste GmbH Verbundausbildung (§ 10 Abs. 5 BBiG) Verbundausbildung in Kooperation mit der Agentur für Arbeit, u.a. in folgenden Bereichen: Produktionsfachkraft für die pharmazeutische Industrie Schweißer Löter Lager- und Metallfachkraft Lager- und Elektrofachkraft Deutschlandweit Randstad Deutschland GmbH & Co. KG Zerspanungsmechaniker/-in Umschulung zum Zerspanungsmechaniker mit DMG-Zertifikat. Dauer: 2 Jahre Inhalte: Herstellung von Bauteilen und deren Qualitätsprüfung; Planung, Abwicklung und Kontrolle von Fertigungsaufträgen; Einrichtung, Pflege und Wartung von Betriebsmitteln Detmold Adecco Personaldienstleistungen GmbH, Manpower GmbH & Co. KG, Randstad Deutschland GmbH & Co. KG Examinierte Altenpfleger/-in Ausbildung zum examinierten Altenpfleger (in Kooperation mit Adecco, Manpower und der Bundesagentur für Arbeit) Dauer: 3 Jahre Frankfurt am Main 53 Tabelle 4: Trainingsprogramme für Zeitarbeitnehmer der großen deutschen Personaldienstleister Kurzcharakterisierung Qualifizierungsmaßnahmen e-Learning Randstad Deutschland GmbH & Co. KG „Randstad-Akademie“ - Qualifizierungsmaßnahmen von Bewerbern und Mitarbeitern (teils standardisiert, teils dem Kundenwunsch entsprechend individuell ausgestaltet). - In der Regel werden Kurzzeitqualifizierungen von 3-6 Monaten durchgeführt (u.a Air Cargo Assistant, Call Center Agent, Lagerfachkraft). An einzelnen Standorten werden auch längerfristige Qualifizierungen von bis zu 24 Monaten angeboten (u.a. Fluggerätmechaniker). Randstad bietet 370 e-LearningKurse vieler Bereiche, u.a. ITKurse, Sprachen, Technik, Betriebswirtschaft. (www.randstad-elearning.de) Adecco Personaldienstleistungen GmbH Programm „earn & learn“ - Qualifizierungsmaßnahmen von Bewerbern und Mitarbeitern - Programm zur ArbeitsmarktIntegration von Empfängern von ALG-II zwischen 18 und 25 Jahren (Qualifizierung durch individuell gestaltete Assistenz). Adecco bietet internen und überbetrieblichen Mitarbeitern eine e-Learning-Plattform (Career up). Manpower GmbH & Co. KG Programm „Initiative Q“ - Qualifizierungsmaßnahmen von Bewerbern und Mitarbeitern. Manpower bietet Mitarbeitern und Bewerbern eine e-Learning Plattform mit rund 4.500 Kursen (Training und Development Center). Qualifizierungspässe - Randstad bietet mit „Lernen im Job“ Zeitarbeitnehmern ohne abgeschlossene Ausbildung ein Qualifizierungsmodell (Lager-, Produktions- und Büroassistenz). - In einem Qualifizierungspass werden erworbene Kenntnisse und Qualifikationen dokumentiert. Abschließend kann ein Test vor der IHK oder dem TÜV Rheinland absolviert werden. - Bislang wurden ca. 6.000 Qualifizierungspässe ausgegeben. In einem Referenzpass, den jeder Zeitarbeitnehmer bei der Einstellung erhält, werden bisherige und bei Manpower erworbene Qualifikationen dokumentiert. Auch erfolgt eine Dokumentation aller Kundeneinsätze (Unternehmensstempel, Arbeitsbereich, Aufgabengebiete, Maschinenbezeichnungen, Projekte). 54 Tabelle 5: Qualifizierungsmöglichkeiten in Kurzarbeit Programm Qualifizierung von gering qualifizierten Arbeitnehmern in Verbindung mit Kurzarbeit (Förderung beruflicher Weiterbildung während KUG) Qualifizierung von nicht gering qualifizierten Arbeitnehmern in Verbindung mit Kurzarbeit Grundlage § 77 Absatz 2 Sozialgesetzbuch III Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit (HEGA 12/08 – 20) ESF-Programm der Bundesagentur für Arbeit ESF-Richtlinie vom 18.12.2008 Grund des Arbeitsausfalls Konjunkturell/ saisonal Konjunkturell/ saisonal Personengruppe Gering qualifizierte Bezieher von Kurzarbeitergeld Nicht gering qualifizierte Bezieher von Kurzarbeitergeld Förderinstrument Anerkannte Weiterbildungsmaßnahmen nach der Anerkennungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung (AZWV). Anerkannte Weiterbildungsmaßnahmen nach der Anerkennungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung (AZWV). Voraussetzungen Ausschließlich Kurzarbeiter, die gering qualifiziert sind (ohne Berufsabschluss oder mit Abschluss, aber mehr als vierjähriger an- bzw. ungelernter Tätigkeit). Bildungsgutscheinverfahren mit Beratungspflicht. Bei vorzeitigem Ende der Kurzarbeit und Freistellung des Arbeitnehmers bis zum Ende der Maßnahme ggf. Anschlussförderung möglich Zulassung der Maßnahme und des Bildungsträgers nach AZWV. Qualifizierungsbedarf wird begründet. Die Teilnahme an der Maßnahme steht der Rückkehr zur Vollarbeitszeit oder Erhöhung der Arbeitszeit nicht entgegen. Zu Beginn der Maßnahme ist zu erwarten, dass die Qualifizierung innerhalb der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes abgeschlossen werden kann. Zulassung der Maßnahme und des Bildungsträgers nach AZWV. Förderumfang und -höhe Weiterbildungskosten und Erstattung der Sozialabgaben zu 100% (für die entfallene Arbeitszeit) sowie Zuschuss zu Fahrt- und Kinderbetreuungskosten. Besondere Voraussetzung: Qualifizierung muss mind. 50% der KUG-Zeit betragen. Weiterbildungskosten nach ESF-Richtlinie bis max. 80 % und Erstattung der Sozialabgaben zu 100% (für die entfallene Arbeitszeit). Besondere Voraussetzung: Qualifizierung muss mind. 50% der KUG-Zeit betragen. Förderzeitraum ab 01.01.2009 ab 01.01.2009 55