Wenn ein Volkslied Karriere macht!

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Wenn ein Volkslied Karriere macht!
Wenn ein Volkslied Karriere macht!
Vom Holzmichl und Hausmichl
Ingrid Sepp
Nun haben auch die beiden mächtigsten
Stimmen im deutschen Blätterwald, der
SPIEGEL am 21. Juni 2OO4 und der FOCUS am 2. August 2004, sowie RTL und
ARD erstaunt registriert, was aus einem
kleinen Volkslied in der bundesdeutschen
Musikszene werden kann: Ein Volksmusiktrio aus Sachsen landet mit einem
kranken Holzfäller den Hit des Jahres.1
Was war geschehen?
Schon im September 2003 überzeugten
„De Randfichten“ aus Johanngeorgenstadt im Erzgebirge den Musikriesen
EMI, mit ihrem Hit „Lebt denn der alte
Holzmichl noch?“ einen ganz und gar nicht
ins Programm des Pop-Giganten passenden Song auf Basis einer Volksweise zu
übernehmen. Die Dorfmusikanten luden
zum Gaststätten- Gig, und 500 Fans
flippten aus. „Gepiercte Mädchen – und
nicht nur Omas – standen Kopf“, erinnert
sich Ulsch (EMI-Manager, die Verf.) „Da
wußten wir, die wollen wir haben.“ 2
Der Durchbruch kam im Februar 2004 bei
der Biathlon-Weltmeisterschaft im thüringischen Oberhof/Rennsteig, wo Tausende von Zuschauern tagelang in wahren
Sangesausbrüchen aus einem Volkslied
einen Schlager machten. Überrascht
und ironisch-süffisant kommentierte der
Münchner Merkur am 13. Februar 2004:
Ohrwurmartig hat diese Zeile die Gemüter
erobert, dröhnt mit unheimlicher Penetranz
durchs Nachtleben ... im Pendelbus ... an
den Schneebars ... Doch seine größte
Wucht entfaltet der Gassenhauer im
Thüringer Zelt, wo er sich ... zur kultischen
Handlung steigert ... Der Ritus geht so:
Zehnmal pro Lied ... ertönt ....: „Lebt denn
der alte Holzmichel noch?“ Woraufhin die
Hände hochzureißen sind, man in dichter
Reihe mindestens auf die Bänke hopst –
und sich mit einem schon fast gewalttätig
klingenden, brachialen „JJJAAAAAAA!“
chorisch vereint. Nach kurzer Pause geht´s
weiter im Text: „EEEER lebt noch, lebt
noch – stirbt nicht!“... Der Song stammt
aus dem sächsischen Erzgebirge. Er ist
aber längst kein regionales Phänomen
mehr. ... Es wird nicht mehr lange dauern,
dann wird er sich mit grippaler Unaufhaltsamkeit ausbreiten in deutschen Landen,
Bergkirchweihen erschüttern, Frühlingsund Oktoberfeste, und wohl vergeblich
werden wir hoffen: Alter Holzmichel,
stirb, bitte stirb!
46
Der Wunsch des Journalisten blieb wirklich unerfüllt: Längst hat der „Holzmichl“
die Bierzelte – auch in Oberbayern (z. B.
Maibaumfest 2004 in Oberpframmern)
– erobert, die bundesweite Bekanntheit
ist da und zeigt sich mittlerweile auch bei
Treffen in geselliger Runde. Seit Oberhof
steht der „Holzmichl“ in den „Charts“,
Gold und Platin gingen ins Erzgebirge. Dazu
der FOCUS: Erstmals wuppt Volksmusik
jenseits des Jägerzauns eines Musikantenstadls. „Dr Holzmichl“ ... hat die Fankurven der Stadien und die Obstlerfraktion
der Almhütten erreicht – ein untrügliches
Zeichen für massenwirksames Sangesgut.
Für RTL hüpfen Michl, 41, Rups, 35, und
Lauti, 41, nun krachledern vor grellgrünen
Mikrophonen und drall dekolletierten Mädchen über die „Top of the Pops“-Bühne.
... Ausgerechnet mit den Melodien der
Altvorderen locken die Quotenmacher
Jungvolk vor die Kiste und brechen die
Hüttenmacht der Öffentlich-Rechtlichen.
Was sind schon die Strapse einer Spears
gegen die wollenen Trachtensocken der
singenden Sachsen?
Ähnlich überrascht stellt der SPIEGEL fest:
Der Kölner Privatsender RTL knackt eines
der letzten Monopole von ARD und ZDF:
die Versorgung der Fernsehzuschauer mit
Volksmusik. Ausgerechnet in der schwer
auf Jugendlichkeit getrimmten RTL-Hitparadenshow „Top of the Pops“, in der sonst
internationale Marketingphänomene wie
Britney Spears oder Bro’Sis ihre neuesten
Produkte bewerben ... intoniert das ostdeutsche Volksmusiktrio De Randfichten
... vor dem größtenteils minderjährigen
Studiopublikum seinen Bierzelt-Hit „Lebt
denn der alte Holzmichl noch...?“, der in
Ostdeutschland mittlerweile als inoffizielle
Nationalhymne mit Kultstatus gilt. ... Dass
die als altbacken verrufene Volksmusik
nicht ins Jugend-affine RTL-Programm
passt, glaubt der Redaktionsleiter nicht.
„Die Kids tanzen auch dazu.“ Man wünsche sich „mehr solche Bands, die das
Publikum überraschen“. 3
Zu wenig beachtet blieb eine bemerkenswerte Sendung im ARD-Fernsehen, die am
13. März 2004 zur besten Sendezeit am
Samstagabend um 20.15 Uhr lief. Unter
dem Titel „Deutschland singt“ wurden
rund vierzig, zumindest der älteren Generation wohlvertraute deutsche Volkslieder
gesungen – von sieben verschiedenen
Chören, von Stars auch der „volkstümlichen“ Musik und vom Publikum (!), von
Titelbild der „Randfichten“-CD (vgl. Anm. 4)
Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3
„Wenn alle Brünnlein fließen“ über „Im
schönsten Wiesengrunde“ und „Nun
ade, du mein lieb Heimatland“ bis „Weißt
du, wieviel Sternlein stehen“. Mitten drin
die Gruppe „De Randfichten“ mit ihrem
„Holzmichl“. Und das Publikum wußte
Bescheid, machte genauso mit wie bei
der Oberhofer Weltmeisterschaft, riß die
Arme hoch beim „Ja, ja, er lebt noch!“ und
war sicht- und hörbar begeistert.
Kein Wunder, dass – wie in der ARD-Sendung „Brisant“ am 14. August zu sehen
– bereits „Holzmichl“-Fantreffen stattfinden: auf der Naturbühne Greifensteine
bei Dresden. Dabei betonte die Gruppe,
dass sie tief in der Volksmusik verwurzelt
ist, ihre Texte aus dem Leben nimmt und
nicht nur von Herz-Schmerz singt.
Am 23. August widmete der SPIEGEL
(35/2004, S. 132 f.) zwei ganze Seiten der
„merkwürdigsten Erfolgsband“, am 8.
September war sie zu Gast bei Johannes
B. Kerner im ZDF und einen Tag später
beim ZDF-Sommerhitfestival mit Dieter
Thomas Heck, der von der „eigenartigsten Schlagergeschichte des Jahres“
sprach. Ein bisheriger Karrierehöhepunkt
war am 18. September 2004 die Ehrung
für den Verkaufserfolg der Holzmichl-CD
im Rahmen der ARD-Sendung „Das Jubiläumsfest der Volksmusik“ aus Chemnitz.
Interpret des Liedes war der Sohn eines
Musikers der „Randfichten“, von Kindern
pantomimisch begleitet.
Schnell hat auch der Musikverlag Geiger
die Zeichen der Zeit erkannt und bietet Ausgaben für Blasmusik, für kleine Blasmusik,
für Combo und sogar für Klavier solo an.
Was hat dies alles in einer bayerischen Volksmusik-Zeitschrif t zu
suchen?
Nun, in Bayern ist der Holzmichl ein
wohlbekannter Gast bei Volksmusikwochen und Offenen Singstunden,
unentbehrlich und heißgeliebt auch
bei Kindersingstunden, nur dass der
Holzmichl ein Hausmichl ist, der krank
im Bett liegt und einen Floh fängt. Weil
der Hausmichl immer kränker wird, muß
man bei jeder Wiederholung immer leiser
singen bis zum Flüstern oder nur noch
Lippenbewegen. Aber auch hier wird
das „JAAA, JAAA!“ laut gesungen, ein
Heidenspaß für alle Sänger und bestens
geeignet, die Scheu vor dem Singen, vor
allem bei Kindern, zu überwinden. „De
Randfichten“ haben diese, wohl auch
im Erzgebirge überlieferte Singweise
übernommen, wie ein Live-Mitschnitt
auf einer ihrer CDs4 beweist, wo der
Erzähler ausführlich und sehr anschaulich vom immer schlimmer werdenden
Zustand des Michl berichtet und nach
der immer leiseren Frage zum lauten
Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3
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ja,
ja,
er
lebt no,
er sitzt im Bett und fangt an Floh.
Hausmichl, Liedblatt Nr. 78, Bayer. Landesverein für Heimatpflege, München 1997.
„Ja, ja“ auffordert. Dazu erfand die
Gruppe eine Version mit Liedstrophen5
und dem „Lebt denn der alte Holzmichl
noch?“ als Refrain, gesungen, gesummt
und geschwiegen – alles im schönsten
erzgebirgischen Dialekt.
Zur Herkunft des „Haus“/„Holz“michl
In weiten Gebieten ist das Lied mit Textund Melodievarianten aufgezeichnet
worden bzw. wird vom lebendigen Gebrauch berichtet. Im folgenden sind die
bisherigen Recherchen – ohne Anspruch
auf Vollständigkeit – zusammengefaßt.
In Oberbayern taucht der „Hausmichl“
mit der „Floh“-Variante in mündlicher
Überlieferung 1978 beim 1. Seminar
für Volksmusikforschung und –pflege
in Herrsching auf, vorgesungen von Karl
Frank. Diese Version wurde beim 10.
Seminar 1987 von Luise Lutz in ihrem
Vortrag „Singen als Spiel – spielerisches
Singen“ schriftlich festgehalten.6 Mit einer in den ersten acht Takten leicht veränderten Melodie gehört das Lied seit 1983
– von Erwin Zachmeier eingeführt – zum
geselligen Liedrepertoire bei der Volksmusikwoche „Bayerischer Dreiklang“
in Herrsching und wird seitdem in ganz
Bayern verbreitet, wobei sich im Laufe
der Zeit wieder eine Variantenbildung
ergeben hat (Liedblatt Nr. 78, Bayer.
Landesverein für Heimatpflege).
In der Oberpfalz findet sich die gleiche
Textfassung mit etwas anderer Melodie
in „Gäih, sing ma oans!“,7 mitgeteilt von
Ludwig Islinger aus Schierling. Adolf
Eichenseer (Aufzeichnung 1998) und
Lothar E. Karrer (Aufzeichnung 1983)
Aus: Robert Link, Waldlerisch g’sunga, vgl. Anm. 9
47
Aus: Kotek/Zoder,
Ein Österreichisches Volksliederbuch, vgl. Anm. 11
nahmen das Lied in ihre Sammlung von
Wirtshausliedern „Freinderl, wann geh
ma hoam“8 auf, hier mit den Gewährspersonen Schierlinger Zwoagang bzw. Alois
Demleitner und Sepp Ram aus Stein.
In Niederbayern ist der „Hausmichl“
durch Robert Links Ausgabe „Waldlerisch
g´sunga. Volkslieder aus dem Bayer- und
Böhmerwald“9 als Strophenlied belegt.
Die Anmerkung dazu lautet: Das typische
Wirtshaus-Gsangl ist eine Variante vom
„Schwarzen Sepperl“, einem in der 30er
Jahren weit verbreiteten Lied, das auch
der Baumsteftenlenz kannte und das bei
uns die aufgezeichnete Form gefunden
hat. In dieser hat sie mir der ZellnerSchneider von Voitschlag vorgesungen,
wobei die mehr oder minder StegreifStrophen von den Alten am Stammtisch
in der heute aufgelassenen Wirtschaft
zur „Blauen Traube“ abwechselnd dazu
gesungen wurden. (S. 47)
Aus Oberfranken berichtet Ingeborg
Degelmann, dass sie den „Hausmichl“
erstmals 1992 auf einer Mai-Chorfahrt
von Hartmut Eberlein gehört hat.10
In Österreich wurde der „Hausmichl“
von Martin Radl im niederösterreichischen Traisental aufgezeichnet und von
Georg Kotek und Raimund Zoder veröffentlicht.11 Hier und in weiteren österreichischen Liedsammlungen lautet der
Schluß: Er lebt no und is gsund.
In Johanngeorgenstadt im Erzgebirge,
der Heimat der „Randfichten“, ist die
Herkunft unbekannt, jedoch wurde der
Aus: GLUECK AUF, Rundas und Volkslieder im Vogtland, vgl. Anm. 13.
48
Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3
Lebt denn der alte Hanauer noch?
Aufzeichnung aus Gernsheim bei Groß-Gerau, Sept. 1899, von A. Geis (Blatt 24, Hess. Archiv A 478)
Handschriftliche Erläuterung: Ein Lied beim gemütlichen Zusammensein (Fidelitas); Singweise mit abnehmender Lautstärke,
nur die beiden „Ja, ja“ immer im Fortissimo.
Aus: Pan. Ein lustiges Liederbuch für Gymnasiasten, mit
Singweisen zusammengestellt von Friedrich Polle. Dresden,
Schönfeld-Verlag 1877, S. 56.
„Holzmichl“ schon vor dem 2. Weltkrieg
gesungen, wie aus einem Leserbrief in
der Freien Presse Chemnitz vom 4. August 2004 hervorgeht: Nach Training,
Wanderung oder Skitouren setzten
sich die Erwachsenen abends zusammen, erzählten und sangen. Aber der
Refrain des Holzmichl-Liedes ist mir gut
in Erinnerung geblieben.12
Gedruckt findet sich das Lied in dem Heft
„GLUECK AUF, Rundas und Volkslieder
im Vogtland“ 13 auf die Melodie „Geh
mit der Durl, tanz mit der Durl bis nach
Schweinau“. Hier wird allerdings nach
dem alten „Hauschild“ gefragt, der auch
in der weiteren deutschen Überlieferung
auftaucht.
Eine bunte Palette bieten die Belege,
die uns das Deutsche Volksliedarchiv
in Freiburg dankenswerterweise mitteilte.14 Danach stammt der erste gedruckte
Beleg aus Sachsen in „Pan“, Hg. Friedrich Polle, Dresden 1877. Der Alte, um
Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3
Aus: Die Drehorgel. Ein Liederbuch für fröhliche Kreise.
Leipzig 1941, S. 275.
den man sich sorgt, heißt da ebenfalls
„Hauschild“. Im zeitlich nächsten Nachweis ist es „der alte Fischer“. Dessen
ältester Beleg von 1896 findet sich
gedruckt in „Liederbuch“. Hrsg. vom
Verbande Deutscher Post- und Telegraphen-Assistenten, Berlin 1898, S. 614,
ohne Noten, Weise: Lebt denn der alte
Hauschild noch? Eine handschriftliche
Aufzeichnung von 1899 aus dem Hessischen Archiv wurde uns ebenfalls vom
Deutschen Volksliedarchiv übermittelt.
In einem Marburger Studentenliederbuch von 1915, Anstichlieder, S, 28/29,
ohne Noten, ist vom „Hansmichel“ die
Rede, und in Gustav Schulten/Hg., „Der
Kilometerstein“, 31935, taucht „der alte
Hanauer“ auf. Da noch weitere Aufla49
Aus: Lieder im Haunauerland, hrg. von Wilhelm Schadt. Kehl, Morstadt-Verlag, 1972.
aus einer längst überholten Vergangenheit.15 Freilich muß über die Form der
Verwendung traditioneller Lieder und
Melodien kritisch diskutiert werden.
Bei der Vermischung volksmusikalischer
Tradition mit anderen Musikstilen unter
dem Begriff „Tradimix“ wird sich auf
längere Sicht wohl der Weizen von der
Spreu trennen.
Für die Verarbeitung überlieferter Volksmusik im volkstümlichen Bereich, wie im
Falle des „Holzmichl“, sollten die Grenzen klar abgesteckt bleiben: hier die von
zahllosen Musikanten und Sängern im
kleinen Kreis lebendig erhaltene Volksmusik, die nur sehr bedingt bühnentauglich ist, dort die für ein Massenpublikum
auf Effekte ausgerichtete Bühnenshow
einiger weniger Musiker. Dass dabei ein
seit langer Zeit überliefertes „Volks“lied
zu einem wirklich „vom Volk übernommenen“ Lied wird, ist wohl ein Beweis
für die der Tradition innewohnende
Stärke. Weil der „Holzmichl“ aus dem
Erzgebirge originell und witzig-fröhlich
daherkommt, freuen sich seine vielen
deutschen und österreichischen „Verwandten“, dass der liebenswerte „Ossi“
so quicklebendig auf der Karriereleiter in
den deutschen Schlagerhimmel hinaufgeklettert ist und neuerdings sogar
als Handy-Klingelton aus dem Internet
abgerufen werden kann.
Der „Holzmichl“ auf Abwegen
Aus: Poverello. Liederbuch für frohe Christen. Bearb. von Alexander
Ziegert. Leipzig, St. Benno-Verlag 1987, S. 204.
gen für dessen Verbreitung sorgten, hat
Prof. Brednich in den 1990er Jahren in
einer Herrenrunde nahe Göttingen die
Parodie „Lebt denn der alte Adenauer
noch?“ angetroffen. Ferner ist das Lied
enthalten in „Die Drehorgel. Ein Liederbuch für fröhliche Kreise“, Leipzig 1941
(S. 49), und in „Lieder im Hanauerland“,
Kehl 1972.
Relativ neu ist der Abdruck im Liederbuch „Poverello“, Leipzig 1987, 6. Auflage, S. 204.
50
Wie steht die Volksmusikpflege zu
dieser Liedkarriere?
Immer wieder muß man feststellen, dass
sich Journalisten mit dem Phänomen
Volksmusik schwer tun, dass sie, wie
der Münchner Merkur beim „Holzmichl“Bericht, Spott über die Volksmusik ausgießen. Offenbar können oder wollen es
viele heutige Journalisten nicht fassen,
dass in der Volksmusik mehr steckt als
abgewracktes, totgesagtes Musiziergut
War schon bei der er wähnten ZDFSendung am 9. September 2004 ein
unsäglich peinliches Pseudo-Volkstanzpaar den „Randfichten“ zugesellt, so
ist zu befürchten, daß auch künftig ein
schlichtes Volkslied, das seit langer Zeit
in geselliger Runde als fröhlicher Scherz
gesungen wurde, zu einem verkitschten
sogenannten volkstümlichen Schlager
verunstaltet wird. Ein geschmackloses
Beispiel dafür boten im Bayerischen
Fernsehen am 27. August 2004 „Die 3
Zwidern“, die aus dem armen Holzmichl
eine primitive Show machten, die einem
„zwider“ sein mußte.
Bei einer solchen medialen Vermarktung
werden sofort auch Begehrlichkeiten
hinsichtlich der Verwertungsrechte geweckt. Der schon genannte Verlag Geiger hat die Druckrechte am „Holzmichl“
in der Fassung der „Randfichten“, wobei
zu prüfen ist, ob bei dieser Interpretation
überhaupt ein neues Urheberrecht entstanden ist. Auch andere Verlage wittern
bereits das große Geschäft und ärgern
sich, daß der Geiger-Verlag schneller
war.16
Wenn der Holzmichl wüßte, was da mit
ihm alles passiert, würde er vielleicht
doch wohl lieber sterben.
Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3
Anmerkungen:
1 Untertitel zu „Singen für Arbeit“ von Axel
Wolfsgruber, FOCUS 32, 02.08.04, S.
122.
2 ebd.
3 „Holzmichl statt Britney“. DER SPIEGEL
26, 21.06.04, S. 174.
4 CD Lebt denn dr alte Holzmichl noch...?
Volkstümliche Musik aus dem Erzgebirge. EMI Music Germany GmbH & CO KG,
2004. Mit Randfichten bezeichnet man
besonders kräftige Bäume am Waldrand.
5 1. ´n Michl geht´s net gut, (3x), seine Nos
die is ganz rut.
Das Hacken fällt ihm schwer, (3x) und der
Husten plagt ihn sehr.
Weil´s ´n Michl doch so schlecht grad geht,
singen alle jetzt ganz leise dieses Lied.
Lebt denn der alte Holzmichl noch, Holzmichl noch, Holzmichl noch, lebt denn der
alte Holzmichl noch, Holzmichl noch?
Ja, er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch,
ja, er lebt noch, er lebt noch, stirbt nicht.
2. Dr Michl, der ist krank, (3x) uns wird aa
schu Angst und Bang.
Was solln wir denn nur tun, (3x) ja, er muß
sich jetzt ausruhn.
Weil´s ´n Michl doch so schlecht grad geht,
summen wir alle gemeinsam dieses Lied.
Mmh....
Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3
3. Dr Michl is halb tot, (3x) wir haben unnre
liebe Not.
Er liegt nu of dr Diel, (3x) un er sogt aa net
mehr viel.
Weil´s mit´n Michl nun zu Ende geht,
schweigen wir alle gemeinsam unser
Lied. (instrumentales Zwischenspiel)
4. Kommt mit, wir gehen an´s Grab ihn mal
besuchen. Schaut alle her, ein Wunder ist
geschehn. Dr Michl ist zum Glück doch
nicht gestorben, drum singen wir das
Lied so laut es geht.
Lebt denn der alte Holzmichl....
6 Luise Lutz: Singendes Spiel – spielerisches Singen. In: Volksmusikforschung
und –pflege in Bayern, 10. Seminar: Singen in Bayern, April 1989, Babenhausen.
München 1991, S. 153 ff.
7 Bezirk Oberpfalz (Hg.): Gäih, sing ma
oans! Lieder zum gemeinsamen Singen
aus der Oberpfalz, aus Böhmen und aus
ganz Deutschland. Regensburg 1998,
S. 18.
8 Adolf J. Eichenseer und Lothar E. Karrer:
Freinderl, wann geh ma hoam. Wirtshauslieder aus der Oberpfalz. Regensburg
1999, S. 79.
9 Robert Link: Waldlerisch g´sunga, Volkslieder aus dem Bayer- und Böhmerwald,
Bd VII. Grafenau 1969, Nr. 30.
10 Vermutlich von Erwin Zachmeier auf Lehr-
11
12
13
14
15
16
gängen der Beratungsstelle für fränkische
Volksmusik gelernt.
Georg Kotek und Raimund Zoder: Stimme
der Heimat. Ein Österreichisches Volksliederbuch (Volksausgabe in einem Band).
Wien 1948, 2. Teil: Im Heimgarten, S.
105f.
Leserbrief von Susanne Kosmale, aufgewachsen in Johanngeorgenstadt. In:
Freie Presse Chemnitz, 4. August 2004.
Freundl. Mitteilung von Frau Elvira Werner, Sächsische Landesstelle für Volkskultur, Schneeberg.
GLUECK AUF, Rundas und Volkslieder
im Vogtland aus den Sammlungen von
Hermann Dunger und Otto Finkennest.
Hg. vom Folklorezentrum Erzgebirge/
Vogtland beim Bezirkskabinett für Kulturarbeit Karl-Marx-Stadt (heute Sächsische
Landesstelle für Volkskultur). Beiträge zur
Folklorepflege Heft 21/22 Schneeberg
1985, Nr. 20, S. 18.
Freundl. Mitteilung von Frau Barbara Book,
Deutsches Volksliedarchiv Freiburg, 16.
August 2004.
vgl. Erich Sepp: Leben und leben lassen.
In: Volksmusik in Bayern 21. Jg., 2/2004,
S. 22.
Telefonische Anfrage eines Verlages bei
der Beratungsstelle für Volksmusik in
München am 18. September 2004.
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