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Otto-Friedrich Universität Bamberg
Lehrstuhl für Politikwissenschaft I
Prof. Dr. Reinhard Zintl
Hausarbeit zur Veranstaltung: „Konstitutionelle
Politische Ökonomie“
SS 2000
James Buchanan:
Ohne den Mantel des
Philosophenkönigs.
Axel Nordmann
Im Weidig 1
96135 Stegaurach
[email protected]
8. Fachsemester VWL
Axel Nordmann
James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
Inhalt
0. EINLEITUNG ........................................................................................................................................... 3
1. ÜBERBLICK ............................................................................................................................................. 5
Positivismus und Individualismus .............................................................................................. 5
Geordnete Anarchie.................................................................................................................. 6
Eigentumsrechte als Fundament der Gesellschaftsordnung ....................................................... 7
Aufgaben des Staates und Staatsversagen ................................................................................ 9
2. KRITIK .................................................................................................................................................. 12
Freie Entscheidung der Individuen und Sklaverei..................................................................... 12
Dogmatik durch die Hintertür................................................................................................. 13
3. SCHLUSSBEMERKUNGEN .....................................................................................................................15
4. LITERATUR ........................................................................................................................................... 16
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Axel Nordmann
James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
0. Einleitung
James McGill Buchanan gehört zusammen mit John Rawls („A Theory of Justice“, 1971) und Robert
Nozick („Anarchy, State Utopia“, 1974) zu den bedeutendsten Vertretern der modernen Vertragstheorie, einer einflussreichen Strömung innerhalb der politischen Theorie. Eine frühe Arbeit zu diesem
Thema legte er bereits 1962 in „The Calculus of Consent“ zusammen mit Gordon Tullock vor. Darin
entwerfen die Autoren eine abstrakte Theorie des Staates ohne jedoch etwas über die Entstehung
staatlicher Institutionen zu sagen oder eine Theorie des Rechts zu entwickeln. Außerdem fehlt eine
Erklärung des kollektiven Einigungsprozesses, der letztendlich zur Bildung des Staates führt.
In Buchanans hier zu behandelndem Werk „The limits of liberty: between anarchy und Leviathan“ aus
dem Jahre 1975 versucht der Autor diese Lücken zu schließen. Seine egalitäre Staatstheorie, in der
sich die Individuen als Gleiche behandeln, versucht er mit einer ökonomisch begründeten Rechtstheorie zu untermauern.
Gemeinsam ist den Vertragtheoretikern, dass sie den von ihnen entwickelten Gesellschaftsvertrag
nicht als Herrschaftsvertrag verstehen, sondern als Ergebnis wechselseitiger Übereinkommen von freien Individuen, die dadurch ihren eigenen Wohlstand zu mehren suchen. Dem Individuum bleibt dadurch ein großer Spielraum privater Entscheidungen, nämlich in allen Dingen, die nicht vertraglich
festgelegt sind. Der Staat hat grob gesprochen nur die Aufgabe, für die Einhaltung der geschlossenen
Verträge zu sorgen und ihre Missachtung wirkungsvoll zu strafen. Wie er dies zu tun hat und wo die
staatliche Macht ihre Begrenzung findet, darüber gehen die Meinungen freilich genauso weit auseinander, wie bei den Vorstellungen über die Ausgangssituation der Individuen im „Naturzustand“.
Schon im 17. Jahrhundert bemühte sich Thomas Hobbes, einer der Begründer der politischen Philosophie der Neuzeit, um die theoretische Errichtung einer friedvollen und stabilen politischen Ordnung
auf der Basis eines individualistischen Vertrags. In seinem Werk „Leviathan“ (1651) schreibt er dem
durch Vertrag entstandenen Staat (oder eben dem „künstlichen Menschen“ Leviathan) uneingeschränkte Macht zu. Im Augenblick der Einigung über eine Verfassung geben nach Hobbes die Individuen ihre naturgegebenen Rechte auf und stellen sich unter den Schutz und die Herrschaft des Leviathan. Solange der Leviathan die von ihm erwartete Funktion erfüllt, hat er uneingeschränkte Machtbefugnisse und kann nicht vom Volk gestürzt werden. Den Naturzustand, aus dem ein solch uneingeschränkter vertraglicher Verzicht auf eigene Rechte entstehen kann, beschreibt Hobbes in sehr düsteren Farben als einen „Kampf aller gegen alle“, in dem die Individuen durch ihren Selbsterhaltungstrieb
motiviert, jede Chance nutzen bzw. nutzen müssen um sich einen Vorteil im Überlebenskampf zu
verschaffen.
Schon John Locke relativierte in seinen „Two Treatises of Government“ (1679 und 1689 veröffentlicht) den absoluten Machtanspruch des Verfassungsstaates. Er gilt als der theoretische Begründer der
Gewaltenteilung sowie des Mehrheitsprinzips und sieht sehr wohl eine legitime Möglichkeit für das
Volk, sich gegen staatliche Entscheidungen aufzulehnen. Auch sein Naturzustand trägt gänzlich andere Züge. Zwar entscheiden auch „seine“ Individuen sich für einen Gesellschaftsvertrag, weil die Ausgangssituation ihnen zu unsicher erscheint, dennoch ist Gewalt nach Lockes Vorstellung eher die Aus3
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James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
nahme, da der menschliche Geist als „tabula rasa“ in die Welt kommt und durch die Wahrnehmung
der Sinnesorgane erkennt, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Durch den Verfassungsvertrag geht
kaum mehr als das Gewaltmonopol, das sich die Individuen in Lockes Urzustand teilen, an den Staat
über.
Diesem Gedanken des liberalen Rechtsstaats folgen auch die modernen Vertragstheoretiker. Bei Nozick wie bei Buchanan spielt der Staat zwar eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung einmal festgelegter Normen, gerade Nozick fordert jedoch den Minimalstaat, der sich nur in engen KompetenzGrenzen bewegen darf. Demgegenüber sieht Buchanan zusätzlich zu diesem Rechtsschutzstaat auch
den Leistungsstaat, der für die Bereitstellung öffentlicher Güter zuständig ist. Distributive Aufgaben
schreibt keiner der beiden Autoren dem Staat zu.
Während Buchanan grob gesagt die Theorie Nozicks um den Bereich der Bereitstellung öffentlicher
Güter als Aufgabe des Staates erweitert, übt er scharfe Kritik am Vorgehen Rawls‘, der sich bemüht
Gerechtigkeitsgrundsätze aus vertragstheoretischen Prämissen abzuleiten. Buchanan will seine Vertragstheorie streng positiv gestalten, sich also jegliches normative Urteil über das Wesen der Individuen ersparen. Solche normativen Vorrausetzungen, wie sie andere Vertragstheoretiker regelmäßig mehr
oder weniger gut begründet treffen, sind für Buchanan der Hochmut der Wissenschaft, von dem er
sich distanziert. Man werfe sich den „Mantel des Philosophenkönigs“ (Buchanan 1984, 3) viel zu oft
über. Er selbst möchte eine undogmatische, reine, ewige Lehre entwickeln.
Dazu bedient sich der Ökonom Buchanan aus der Trickkiste dieser Disziplin. Um dies durchhalten zu
können, versucht er alle menschlichen Lebenssituationen auf das Problem knapper Ressourcen zurückzuführen. Mit diesem Problemgebiet kann die Ökonomie schließlich am besten umgehen.
Sein Ziel ist es – wie der Titel des Buches schon verrät – aus seiner Theorie Institutionen abzuleiten, die
theoretisch im Kontinuum zwischen Anarchie und allmächtigem Staat anzusiedeln sind und damit im
Sinne einer individualistischen, freiheitlichen Gesellschaft funktionstüchtiger sind, als die bestehenden
Institutionen.
Im Rahmen des vorliegenden Textes wird ein Schwerpunkt auf die Analyse des von Buchanan beschriebenen Rechtsstaats gelegt, da hier am meisten Klärungsbedarf zu bestehen scheint. Der Staat als
Produzent öffentlicher Güter wird nur am Rande behandelt. Im Abschnitt 1 folgt nun ein Überblick
über die für die hier vorgenommene Analyse besonders wichtigen Kapitel 1 und 2. Im zweiten Abschnitt wird herausgearbeitet, an welchen Stellen Kritik an Buchanans Ansatz angebracht werden
kann. In Kapitel drei folgt eine abschließende Würdigung.
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Axel Nordmann
James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
1. Überblick
Das Vorwort des Verfassers, das „Ausgangspunkte“ titulierte erste Kapitel und das zweite Kapitel
namens „Die Grundlagen der Freiheit in der Gesellschaft“ von „Die Grenzen der Freiheit – Zwischen
Anarchie und Leviathan“ geben einen guten Eindruck von Denkweise und argumentativer Schlagrichtung Buchanans. Er versucht dem Leser seinen positivistischen Wissenschaftsbegriff schmackhaft zu
machen und erläutert seine Grundlage einer freiheitlichen Gesellschaftheorie, den Individualismus.
Buchanan verwirft die Anarchie als mögliche freiheitliche Grundordnung, sieht aber in dem von ihm
sogenannten Konzept der „geordneten Anarchie“ ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft wähnt Buchanan darin, dass Eigentumsrechte definiert werden und über deren Durchsetzbarkeit Klarheit herrscht. Zu diesen Eigentumsrechten kommt es in einem zweistufigen Vertragsprozess: dem konstitutionellen Vertrag und den postkonstitutionellen Verträgen. Dem Staat schreibt Buchanan zwei Aufgaben zu: die Erhaltung der Ordnung
und die Produktion von öffentlichen Gütern, wobei er bezogen auf die Situation in den 70er Jahren
ein Staatsversagen in beiden Punkten erkennen will. Daher schlägt er eine komplette Neufassung der
staatlichen Institutionen gemäß seiner theoretischen Ergebnisse vor.
Positivismus und Individualismus
Soweit sieht sich Buchanan in guter Gesellschaft, da sich schon viele Wissenschaftler vor der Lösung
dieses Problems gewidmet haben. Eine scharfe Trennlinie zieht er zwischen sich und anderen Denkern
jedoch auf methodischem Terrain. Sein erklärtes Ziel ist es zu ermitteln, ob und wie real bestehende
Institutionen des Staates nach seiner vertragstheoretischen Analyse verändert werden sollten. Er
möchte sich nicht mit einer „erdachten Welt, bevölkert von Wesen, die eine andere Geschichte haben“ (Buchanan 1984, XI) beschäftigen, sondern den Status Quo analysieren und konkrete Verbesserungsvorschläge vorlegen. Sein Ziel ist es auch, die ihn umgebenden Sozialphilosophen dazu zu bringen, mehr über den Weg zur besseren Gesellschaft nachzudenken, anstatt ihre eigenen Versionen des
Paradieses zu beschreiben. In dieser Zielsetzung zeigt sich Buchanans unbedingter Wille zum Positi-
vismus besonders deutlich. Nicht normative Wertvorstellungen, sondern positive Beweisführung sind
für Buchanan erstrebenswert und hilfreich.
Gänzlich unmissverständlich macht der Autor diese seine Philosophie gleich im ersten Abschnitt, ja im
ersten Satz des ersten Kapitels klar: „Wer eine genaue Beschreibung der ‚guten Gesellschaft‘ in diesen
Zeilen sucht, wird sie hier nicht finden. Eine Auflistung meiner privaten Präferenzen wäre nicht nur
unproduktiv, sondern auch uninteressant“ (Buchanan 1984, 1). An eine „Wahrheit“, wie sie von frühen und zeitgenössischen Staatsphilosophen propagiert wird, glaubt Buchanan ebenso wenig, wie an
die Möglichkeit diese den Menschen zu vermitteln, auf dass sie sich danach richten.
Sein Vorgehen beschreibt Buchanan als „im ontologisch-methodologischen Sinn streng individualistisch“ (Buchanan 1984, 1) und aus eben dieser Prämisse leitet er die Forderung nach einer wertfreien
Argumentation ab: „Der methodologische Individualist [muss] die Existenz seiner Mitmenschen und
deren Wertvorstellungen anerkennen“ (Buchanan 1984, 2) und er darf einzelnen Menschen oder
ihren Ideen und Präferenzen (einschließlich sich selbst) kein größeres Gewicht verleihen, als den ande5
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James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
ren. Buchanan sieht sich in der Rolle des „kritischen Beobachters“, der demütig und ohne politisches
Kalkül seine Theorien verfasst und der, indem er den „moralischen Ansprüchen des Sozialreformers“
(Buchanan 1984, 2) aus dem Weg geht, der Moral der Wissenschaft mehr entspricht. Durch sein Bewusstsein um (und die Akzeptanz für) die Präferenzen anderer sieht sich der Autor auch gefeit davor,
sich den „Mantel des Philosophenkönigs“ (Buchanan 1984, 3) überzuwerfen. In wieweit sich Buchanan tatsächlich als der unpolitische neutrale Beobachter verhält, wird später zu klären sein.
Seinen wertfreien und individualistischen Ansatz bezeichnet Buchanan als „demokratisch“. „Jeder
Mensch zählt nur als Einzelner – das ist der entscheidende Punkt“ (Buchanan 1984, 3). Aus dieser
demokratischen Prämisse heraus versucht Buchanan ein zwingendes Kriterium für „Verbesserung“
abzuleiten: Wenn sich alle Menschen ihre Wünsche erfüllen können, keiner unzufrieden ist, dann ist
eine gesellschaftliche Situation „gut“ und somit besser als eine solche, in der es Unzufriedenheit gibt.
Die so umschriebene individuelle Freiheit erachtet Buchanan als eine notwendige Konsequenz seiner
individualistischen Methode. Wenn man seinem Ansatz folge, sei eine freiheitliche Grundordnung
garantiert. Wie in Kapitel 3 zu zeigen sein wird, ist aber genau dieser Punkt mehr als fraglich.
Auch die Frage, was nun „gut“ und was „böse“ sei, weiß der Positivist eine Antwort: „Gut ist, was
der freien Entscheidung der beteiligten Individuen entspringt.“ (Buchanan 1984, 8). Gut und Böse
werden also durch das Verfahren, das zu den Ergebnissen führt definiert, nicht durch die Ergebnisse
selbst! Hier wird sich später die durch den strikten Positivismus bedingte Definition der „freien Entscheidung“ als problematisch erweisen.
Geordnete Anarchie
Als logische Folge des Buchanan’schen Ideals von der freiheitlichen Grundordnung bietet sich die
Anarchie an, das „herrschaftslose Utopia“, in dem jede und jeder seine Ziele ungestört verfolgen
kann: die unbegrenzte Freiheit. Doch ebenso naheliegend ist es, dieses „Traumgebilde“ alsbald wieder
zu verwerfen. Anarchie ist, so Buchanan, „ein Ideal für vollkommene Menschen“ (Buchanan 1984,
XI). Da sich menschliche Schwächen jedoch nicht leugnen ließen, müsse man andere gesellschaftliche
Grundlagen finden, die einerseits größtmögliche Freiheit, andererseits aber auch Ordnung und Sicherheit gewährleisten. Dabei müsse man vor allem dem Problem der mangelnden Definition der tatsächlichen Grenzen individueller Freiheit und der Durchsetzung dieser Grenzen erhöhte Aufmerksamkeit
schenken.
Trotz allem müsse der Anarchie Positives abgewonnen werden: Die kleine Schwester der Anarchie, die
„geordnete Anarchie“ meint Buchanan überall wahrnehmen zu können. Sie beweise in vielen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens alltäglich ihre Funktion. Geordnete Anarchie greift nach
Buchanan in jenen Situationen, die nicht verbindlichen Regeln unterliegen und in denen die Menschen
sich selbst intuitiv Regeln schaffen, die zum Erhalt einer funktionierenden Ordnung beitragen. So gebe
es keine Gesetze, die das Durcheinanderreden bei Gesprächen verbieten. Dennoch halten sich die
Menschen meist daran – ganz einfach weil es besser funktioniert. Buchanan konstatiert in diesem
Zusammenhang, dass „dem Verhaltensmuster des Durchschnittsamerikaners auch ein Sinn für die
natürliche Achtung des Mitmenschen“ (Buchanan 1984, 7) entspricht, außerdem setze man aus ge6
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genseitiger Achtung und im Bewusstsein der Existenz gewisser Sitten und Gebräuche „seinen Rasenmäher nicht früh am Sonntagmorgen in Gang.“ (Buchanan 1984, 27) Dies will er aber explizit nicht
als normative Aussage gewertet wissen, sondern stützt seine Aussage – wie des öfteren – auf empirische Ergebnisse. Auch über diese Taktik, quasi eine Überführung des Normativen durch die Empirie ins
Positive durchzuführen, wird ebenfalls später noch zu sprechen sein.
Im Kontext der geordneten Anarchie beklagt Buchanan den „Verhaltenswandel während der 60er
Jahre“, in dem er „beunruhigende Probleme für die gesellschaftliche Stabilität“ (Buchanan 1984, 28)
sieht. Offen sei von den Verkündern der Gegenkultur gegen das verstoßen worden, was als gutes
Benehmen galt. Damit sei die geordnete Anarchie und damit die gesamte Gesellschaft in Gefahr geraten, weil der Ruf nach Gesetz und Ordnung immer lauter geworden sei.
Eigentumsrechte als Fundament der Gesellschaftsordnung
Das Zusammenleben der Menschen erklärt Buchanan – ganz Ökonom – nicht durch das transzendentale Streben der Individuen nach Glückseligkeit, sondern durch die überragende Effizienz einer gesellschaftlichen Ordnung in Bezug auf die Erreichung ganz praktischer, irdischer Ziele, wie gesichertes
Eigentum. Eigennützige Individuen haben also ein Interesse den Hobbes’schen Urzustand des Kampfes aller gegen alle zu verlassen und einen Teil ihrer persönlichen Freiheit zu Gunsten einer übergeordneten staatlichen Instanz aufzugeben.
An dieser Stelle sind zwei Fragen zu beantworten. Wie begründet Buchanan rein positiv, dass der
Naturzustand ein ähnlich schauriger im Hobbes’schen Sinne ist und wie entstehen daraus dann Eigentumsrechte? Zur ersten Frage gibt Buchanan eine banale Antwort. Er behauptet: „In jeder Welt, die
wir uns vorstellen können, wird es jedoch potentiell zwischenmenschliche Konflikte geben“ (Buchanan, 1984, 33). Selbst im Paradies, wo in wirtschaftlicher Sicht keine Knappheit und somit kein Konflikt herrscht, sei „sozialer Hader“ möglich. Seine Aussage stützt er auch in diesem Fall implizit auf
empirische Ergebnisse, die an dieser Stelle aber eher wie gesunder Menschenverstand – Buchanans
Verstand – klingen.
Um die Frage nach dem Grund für die Entstehung von Eigentumsrechten zu beantworten, kleidet
Buchanan die Überlegungen Hobbes‘ in das Vokabular der modernen Ökonomie. Nicht das ständige
Gefühl der Bedrohung, sondern das Bewusstsein über die Existenz negativer externer Effekte in einem
regellosen Urzustand bringt die Individuen an den Verhandlungstisch. Die negativen externen Effekte
entstehen in Buchanans Modell durch den ständigen Kampf der Individuen um ein begrenztes Gut
und dessen Sicherung. Nach einiger Zeit wird sich eine „natürliche Verteilung“ einstellen, bei der jedes
Individuum die für seine Situation optimalen „Investitionen“ in Angriff und Sicherung vornimmt.
Grenzkosten und Grenznutzen der dem Individuum zur Verfügung stehenden Alternativen sind gleich,
es stellt sich ein Gleichgewicht ein. In dieser Situation wird der Blick des Einzelnen frei auf die möglichen Effizienzgewinne einer Verfassung: „Im Zustand `natürlicher Verteilung´ werden [die Individuen]
jedoch durch rationale Überlegungen erkennen, daß der Ressourcenaufwand zur Sicherung und Verteidigung der jeweiligen Bestände [...] größtenteils Verschwendung ist.“ (Buchanan 1984, 35) Die
Individuen erhoffen sich von einer Verfassung die Internalisierung der externen Effekte die sie sich
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gegenseitig auferlegen und damit einen Wohlstandsgewinn. Diese Aussage gilt für Buchanan unabhängig von den qualitativen Eigenschaften der natürlichen Verteilung. Egal ob sie nun extreme
Gleichheit hervorbringt oder extreme Ungleichheit (wegen unterschiedlicher physischer Stärke, Intelligenz, Boshaftigkeit u.s.w.), immer wird es Möglichkeiten geben, den Internalisierungsgewinn paretooptimal, also zur Zufriedenheit aller neu zu verteilen. Die Anwendung des Paretokriteriums macht
indes deutlich, dass es hier um Effizienz und nicht um Gerechtigkeit geht. Bei der Frage der Verteilung
von Eigentum soll aus Buchanans ökonomisch eingefärbter Sicht die Effizienz im Vordergrund stehen.
Wichtig ist ihm, dass Eigentumsrechte aufgeteilt sind und dadurch der ökonomische Tausch funktionieren kann. Wie die Eigentumsrechte aufgeteilt sind, sollte seiner Ansicht nach erst viel später betrachtet werden: „Jahrhunderte hindurch wurde die Diskussion um Eigentumsrechte dadurch belastet,
daß entweder zu früh Normen der Gleichheit oder der Effizienz (oder sogar beide zusammen) eingeführt wurden.“ (Buchanan 1984, 29)
Da Buchanan keine moralischen Urteile zulässt, gibt es für ihn auch keinen Grund, die nach seiner
Einschätzung wahrscheinliche Ungleichheit zu beklagen, diese und ihre Gründe spielen für seine Analyse auch keine Rolle. Er unterstellt ausdrücklich nicht das düstere Menschenbild von Hobbes, aber
auch nicht das des „edlen Wilden“, das Rousseau geprägt hat. Aus seiner Sicht reichen hier die empirischen Befunde nicht aus, um eine substantielle Aussage über das Wesen des Menschen in einer regellosen Umgebung zu treffen.
Durch den Verfassungsvertrag (den konstitutionellen Vertrag) werden also mehr oder weniger ungleich verteilte Eigentumsrechte definiert. Dabei fasst Buchanan den Begriff des Eigentums sehr weit.
Nicht nur physisch-räumliche Aspekte, sondern auch Rechte auf persönliches Verhalten oder sogar die
Arbeitskraft eines anderen Menschen schließen seine Definition ein. So wichtig sind nach Buchanans
Meinung Eigentumsrechte für die Funktionstüchtigkeit einer Gesellschaft, dass er schreibt: „Durch die
Beschreibung seiner Eigentumsrechte wird ein Mensch als ‚Person‘ definiert.“ (Buchanan 1984, 13)
Dieser extrem breite Eigentumsbegriff führt folgerichtig dazu, dass die durch die Eigentumsrechte
entstanden Personen in einem Spektrum zwischen absoluter Macht und absoluter Sklaverei eingeordnet werden können. Hier deutet sich eine der großen Paradoxien von Buchanans Theorie an: Der individualistische – und damit nach Buchanan zwingend freiheitliche Ansatz – schließt explizit Sklaverei als
mögliches „Eigentumsverhältnis“ nicht aus!
Buchanan weigert sich auch zwischen Menschenrechten und gewöhnlichen Eigentumsrechten eine
begriffliche Trennung vorzunehmen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung könne, so Buchanan,
nicht materielle Eigentumsrechte in Frage stellen und müsse daher diesem gleichgestellt werden:
„Meint das Recht auf freie Rede von A, das zuweilen als Menschenrecht eingestuft wird, auch das
Recht, B‘s Haus zu betreten – ebenfalls ein `Eigentumsrecht´ - und dort obszön herumzuschreien?“
(Buchanan 1984, 14)
Zum Abschluss seiner einleitenden Abhandlung über „Rechte“ weist Buchanan noch darauf hin, dass
es eine völlige Gleichheit in seinem Rechtsbegriff nicht geben kann. Wenn jeder dasselbe darf und hat,
dann wäre das gleichbedeutend mit der anarchistischen Ausgangssituation, da jeder auch das Recht
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James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
hätte, dem jeweils anderen sein Recht streitig zu machen. Außerdem könne es – ein weiterer Versuch
der empirischen Untermauerung einer normativen Aussage - unter absolut gleichen Individuen nicht
zu einem Tausch von Rechten kommen, wie man ihn überall beobachten könne. Daher fühlt sich Buchanan in seinem Rechtsbegriff, der völlige Gleichheit an Rechten nicht zulässt, bestätigt.
In Verbindung mit den nun beschriebenen Eigentumsrechten ist der ökonomische Tausch für Buchanan der „Archetyp geordneter Anarchie.“ (Buchanan 1984, 25) Die Verträge, die auf dem oben beschriebenen konstitutionellen Vertrag aufbauen, bezeichnet er als postkonstitutionell. Aufgrund freiwilliger Entscheidungen und ohne Zwang können die Individuen durch diese Handel miteinander treiben. Dabei spielen die persönlichen Hintergründe der Personen keine Rolle, wie Buchanan sehr plastisch verdeutlicht: „Der Händler am Obststand verdrischt vielleicht sein Pferd, erschießt Hunde und
verspeist Ratten. Doch keine dieser Eigenschaften braucht meinen Tausch mit ihm, der sich ja nur auf
das Ökonomische bezieht, zu beeinflussen“ (Buchanan 1984, 25). Daher äußert sich Buchanan verwundert über die „romantischen Anarchisten“ (Buchanan 1984, 25), die diese freiheitlichen Eigenschaften des Marktes übersehen hätten und stattdessen die Antithese zur geordneten Anarchie, die
sozialistische Organisation, propagiert haben. Die postkonstitutionellen Verträge erlauben es der Gesellschaft, ausgehend von der konstitutionell verbesserten Situation, noch einmal einen Wohlstandsgewinn zu erzielen.
Aufgaben des Staates und Staatsversagen
Dem Staat schreibt Buchanan (wie bereits in der Einleitung erwähnt) zwei Aufgabenbereiche zu: Zum
einen hat er die verfassungsmäßige Ordnung herzustellen, also die Individuen aus ihrem „Gefangenendilemma“ zu befreien, das in wechselseitigen Verträgen ohne Sanktionsmittel immer enthalten ist.
Zum anderen soll er öffentliche Güter bereitstellen. In beiden Funktionen weisen die tatsächlich existierenden Staaten nach Buchanans Ansicht deutlich zu beobachtende Defizite auf. So beklagt er „die
fehlende Bereitschaft der Gesetzestreuen die Gesetzesbrecher zu bestrafen, und zwar wirksam zu
bestrafen“ (Buchanan 1984, XII), was der Sicherung und Gewährleistung des Rechts abträglich sei. An
dieser Stelle scheint weniger der Positivist Buchanan zu sprechen, dafür eher der politisch motivierte
Buchanan, der für eine strikte Auslegung bestehender Gesetze und einen strengen Strafvollzug plädiert.
Buchanan sieht aber auch Defizite bei der Produktion öffentlicher Güter. Zu sehr entwickle sich der
Staat zum Selbstzweck und handle entsprechend ineffizient gemessen am eigentlichen Interesse der
Menschen, die sich ihm anvertraut haben. Diese Beobachtungen veranlassen Buchanan sogar zu der
Folgerung, dass „der Gesellschaftsvertrag [...] einer gründlichen Neufassung“ (Buchanan 1984, XII)
bedürfe. In diesem Kontext macht Buchanan auf ein Paradoxon der 70er Jahre aufmerksam, das
durchaus auch heute zu beobachten ist. Mit dem Gefühl einer Übermacht des Staates, einer ständigen
Ausdehnung seiner Kompetenz ins Privatleben der Bürger, geht der verstärkte Ruf nach öffentlicher
Kontrolle, der Ruf nach Recht und Ordnung einher. Trotz einer immer größeren Zahl von Gesetzen,
höherer Staatsquote und einer mächtigen Bürokratie scheint es dem Staat also nicht zu gelingen, seine
Schutzfunktion zufriedenstellend auszufüllen. Um dieses Paradoxon aufzulösen, argumentiert Bucha9
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nan genau anders herum: Erst durch die Ausweitung der staatlichen Kompetenzen weit über die ihm
ursprünglich zugedachten Bereiche komme es zu einer schlechten Performance des Staates. In der
Sprache der Ökonomen liegt für Buchanan wohl ein klassisches Staatsversagen vor. Zeigt sich hier
Buchanans Ideologie, sein politischer Beweggrund für die Arbeit an seinem Buch?
Erstaunlich vor dem Hintergrund von Buchanans kompromisslosem Positivismus ist sein Eingeständnis,
die individualistische (=demokratische) Sichtweise sei normativer Natur. Er sieht sich genötigt, die
normative Grundlage seiner Analyse, nämlich die Tatsache, dass jeder Mensch gleich viel zählt, mit
dem deskriptivem Befund in Einklang zu bringen, dass Individuen sich in einer langen Reihe von wichtigen Merkmalen unterscheiden. Für Buchanan besteht jedoch schlicht kein Gegensatz zwischen Individualismus und Verschiedenheit, worin man ihm durchaus folgen kann: „Wir leben in einer Gesellschaft von Individuen, nicht in einer Gesellschaft von Gleichen.“ (Buchanan 1984, 15)
Eine wichtige Unterscheidung nimmt Buchanan bezüglich des Gleichheitsbegriffs vor. Er hält es für
notwendig, dass die das Recht gewährleistende staatliche Instanz alle Individuen gleich behandelt,
obwohl die Menschen von seinem deskriptiven Standpunkt aus ungleich sind. In dieser Regelung
findet sich das auch in der aktuellen politischen Diskussion gern eingebrachte Schlagwort von der
Chancengleichheit wieder. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied,“ sagt ein Sprichwort. Hier deutet sich Buchanans Ablehnung umverteilender Institutionen an, die er für nicht konsensfähig hält.
Doch er hält sie nicht nur für nicht konsensfähig, sondern definiert Verteilungsfragen als nachgeordnet
wenn man nach der Entstehung von Konflikten fragt: „Nicht eine bestimmte Aufteilung individueller
Rechte ist somit die Ursache für die Entstehung von Konflikten, sondern die Ungewißheit darüber,
welche Rechte mit gesetzlichen Mitteln durchgesetzt werden können.“ (Buchanan 1984, 27) Diese
These sucht Buchanan am Beispiel der Probleme im amerikanischen Westen am Ende des 19. Jahrhunderts zu belegen. Die Gebietsstreitigkeiten seien aus Ungewissheit über die Eigentumsverhältnisse
entstanden, nicht wegen des Gefühls der Ungerechtigkeit oder Ungleichheit unter den Beteiligten.
Die Gleichbehandlung durch das Gesetz bei gleichzeitiger (wahrscheinlicher, nicht notwendiger) Ungleichheit in den Rechten der Individuen definiert Buchanan als „Grundnorm einer individualistischen
Gesellschaftsordnung“ (Buchanan 1984, 17) und meint sie in den Grundsätzen vieler realer Institutionen wiederzufinden wenn dort z.B. von der „Gleichheit vor dem Gesetz“ oder „Justitia ist blind“ die
Rede ist.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die rechtsprechende staatliche Instanz dazu gebracht werden soll, tatsächlich alle Personen gleich zu behandeln. Buchanan formuliert dies in Anlehnung an Thomas Hobbes so: „Wie kann man Leviathan anketten?“ (Buchanan 1984, 18) Seiner Meinung nach sind zwei Ansätze vorgeschlagen worden und auch real existierend, meist sogar parallel
innerhalb eines Staatswesens. Einerseits sind in vielen Verfassungen Vorkehrungen getroffen, die explizit die Macht Einzelner oder der Entscheidungsgremien beschränken, wie etwa die Gewaltenteilung.
Zum zweiten basieren Gemeinschaftsordnungen aber auch auf einem Fundament aus „Naturrechten“, die den Menschen – auch den mächtigen - als Richtschnur dienen. Buchanans Kritik setzt vor
allem an der institutionell geregelten Missbrauchskontrolle an. Er sieht die Gefahr, das staatliche Insti10
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tutionen, der bürokratische Apparat, im Laufe der Zeit immer mehr Macht anhäuft und somit die
Rechte der Individuen beschneidet.
Soviel zum Inhalt der ersten zwei Kapitel und des Vorworts von „Die Grenzen der Freiheit“. Damit ist
die weitgehend unkommentierte Wiedergabe von Buchanans Ideen beendet, da die restlichen Kapitel
für die hier besonders wichtigen Fragen nur in Teilen von Bedeutung sind. In den nächsten Abschnitten sollen die bereits aufgeworfenen Fragen ausführlicher behandelt werden: Wie verhält es sich mit
Sklaverei und Individualismus? Ist Buchanans Argumentation wirklich uneingeschränkt positivistisch?
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2. Kritik
In diesem Kapitel sollen verschiedene Kritikpunkte gegen Buchanans Ansatz ins Feld geführt werden.
Im Zentrum der Kritik steht dabei Buchanans Behauptung, sein radikal positiver Ansatz (einzig seine
individualistische Grundeinstellung hält er für normativ) führe zwingend zu einer freiheitlichen Grundordnung und tauge als Maßstab zur Reform bestehender Staatsgefüge. Es wird sich zeigen, dass eher
das Gegenteil der Fall ist, der rein positive Ansatz also mit großer Wahrscheinlichkeit zu keiner freiheitlichen Verfassung führt.
Des weiteren wird zu klären sein, ob Buchanan abgesehen von seiner vordergründigen Ablehnung
von Werturteilen nicht selbst eine gehörige Portion politisches Kalkül und sein eigenes Menschenbild
in seine Theorie mit einfließen lässt – und sie damit zwar nicht rettet, aber doch nachvollziehbar
macht, wie es dazu kommen konnte, dass er selbst die Schwächen seines Ansatzes nicht erkannte.
Freie Entscheidung der Individuen und Sklaverei
Wenn James Buchanan von einer freien Entscheidung der Individuen spricht, dann ist Vorsicht geboten. Wie sich zeigt, verwendet er eine sehr weitgefasste Version dieses Begriffs. Im Zustand der natürlichen Verteilung haben wir es nach Buchanan mit Individuen zu tun, die sich durch verschiedenste
Präferenzen und Fähigkeiten körperlicher und geistiger Natur auszeichnen. Buchanan hält (im Gegensatz zu Hobbes, der davon ausgeht, dass selbst der Schwächste die Möglichkeit hat, den Stärksten
durch List zu töten) explizit eine große Ungleichheit zwischen den Individuen in der natürlichen Verteilung für möglich. Was die Individuen zu einen scheint, ist die Fähigkeit sich rational zu verhalten in
dem Sinne, dass jeder das tut, was gut für ihn selbst ist. Auf eine solche durch ungleiche Machtverhältnisse geprägte Situation wendet Buchanan nun seine Definition der freien Entscheidung an.
Eine freie Entscheidung liegt dann vor, wenn das Individuum eine Wahlmöglichkeit hat. Wie gut die
beiden Alternativen sind, ist dabei unerheblich. Auch die Wahl zwischen Pest und Cholera ist eine
Wahl und wenn sich ein Individuum für die Pest entscheidet, dann war das eine freie Entscheidung.
Für ein Individuum, das mangels nützlicher Fähigkeiten nur eine sehr schwache Machtposition hat,
kann die Zustimmung zu einem Vertrag, der den (unangenehmen) Status quo zementiert, immer noch
eine Verbesserung seiner Situation bedeuten, da dann wenigstens Sicherheit über die rechtlichen Verhältnisse herrscht und dieses Recht auch eingeklagt werden kann.
Diese Argumentation ist innerhalb Buchanans Theorie nur konsequent. Zusammen mit seiner Weigerung, einen begrifflichen Unterschied zwischen Menschenrechten und Eigentumsrechten im geläufigen Sinne zu machen, ist auch die schärfste Form einer ungleichen Gesellschaft möglich: Die Sklavengesellschaft. Das schöne daran ist laut Buchanan, dass durch die freiwillige Zustimmung der künftigen
Sklaven zu einer die Sklaverei legitimierenden Staatsverfassung endlich Klarheit über die Rechte des
Einzelnen herrscht und diese Rechte (wegen der Gleichheit der Menschen vor dem Recht) auch einklagbar sind. Wenn der Sklave sich also in seinen nicht vorhandenen Rechten als Sklave verletzt fühlt,
kann er sich an die Gerichtsbarkeit wenden und wird recht bekommen.
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Buchanans strikte Unterscheidung zwischen der (faktisch eher ungleichen) Verteilung von Rechten
und des (aus individualistischem Kalkül heraus) als gleich definierten Rechts führt also dazu, dass jede
denkbare Rechtsordnung möglich wird, ohne dass irgendwem Unrecht damit getan wird! Von der
freiheitlichen Demokratie im gängigen Sinne bis zur Sklavengesellschaft ist alles denkbar. Dies kann
indes nicht das Ziel des Autors sein, schließlich will er durch seinen Ansatz einen Maßstab zur Bewertung und Reform bestehender Systeme liefern und er ist überzeugt von der Funktionstüchtigkeit ganz
bestimmter Rechtsordnungen, nämlich einem Rechtsstaat wie er im allgemeinen verstanden wird.
Reinhard Zintl sieht darin ein unlösbares Dilemma. „Was ‚Gleichheit vor dem Recht‘ angesichts ‚ungleicher Rechte‘ heißen kann, hängt untrennbar von einer Unterscheidung ab, die man nur ‚von außen‘, nur vorab, einführen kann“ (Zintl 1986, 121). Buchanan könne entweder bei seiner streng individualistischen Grundposition bleiben und jede nach seinem weiten Freiwilligkeitsbegriff entstandene
Rechtsordnung akzeptieren, oder aber er ringt sich zu einer engeren Definition von Freiwilligkeit durch
und unterscheidet zwischen Persönlichkeitsrechten und Eigentumsrechten. Nur so könne man „Freiwilligkeit von Zwang“ (Zintl 1986, 122) unterscheiden.
Dogmatik durch die Hintertür
Wie konnte es aber dazu kommen, dass James Buchanan dieses Dilemma während der Arbeit an seinem Werk nicht erkannte? Die hier vertretene These ist, dass er sich und die Welt durch eine Reihe
impliziter Annahmen, die er empirisch zu untermauern sucht, von den fatalen Folgen seiner antinormativen Theorie ablenken wollte. Das, was er am meisten an anderen Theoretikern kritisiert, nämlich das Einbringen persönlicher Meinungen und Neigungen (egal wie diese entstanden sind), vollzieht
er quasi durch die Hintertür! Diese Behauptung wird sich wohl nicht beweisen lassen, es soll jedoch im
Folgenden versucht werden, sie durch einige Überlegungen zu stützen.
Es ist also (wie oben gezeigt) logisch nicht möglich, zwingend eine freiheitliche Grundordnung aus
dem von Buchanan beschriebenen Naturzustand abzuleiten. Dies wird erst durch die Einführung von
einer ganzen Reihe von Prämissen über das Verhalten der Menschen möglich. Zintl meint z.B., dass
Menschen mit einer Vorliebe für Konflikte oder untergeordnete Verhältnisse nicht in die Vertragstheorie passen, da sie keinen Gewinn aus einer friedlichen und geordneten Welt haben. Außerdem müsse
man um per Vertrag zu einer freiheitlichen Verfassung zu gelangen davon ausgehen, dass die Individuen ihrem Nächsten ein festes Bündel an Grundrechten zugestehen.1 Diese Liste kann man sicher
noch deutlich verlängern. Daher erscheint es schlicht unwahrscheinlich, dass ein erfahrener Wissenschaftler wie James Buchanan seine offensichtlichen Fehlschlüsse nicht bemerkt hat.
Einen Ausweg scheint er in einer doppelseitigen Argumentation zu sehen: Einerseits geht er explizit
davon aus, dass jede Konstellation im Naturzustand möglich ist, da er keine Annahmen über die Menschen seines Modells machen möchte. Andererseits aber suggeriert er dem Leser (und sich selbst),
dass in der Realität doch nur die von ihm (und uns allen) gewünschten Eigenschaften der Menschen
1
siehe Zintl 1986, 124
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Axel Nordmann
James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
zum tragen kommen. Er macht zwar keine normativen Aussagen, versucht aber dem Leser immer
wieder bestimmte – für seine Argumentation günstige – Konstellationen zu suggerieren.
Dies geschieht zumeist indem er an den gesunden Menschverstand appelliert oder empirische Ergebnisse anführt. Sehr hilfreich ist ihm z.B. der bereits zitierte Verweis auf den „Durchschnittsamerikaner“, der „auch einen Sinn für die natürliche Achtung des Mitmenschen“ habe. Oder auch die Existenz von Sitten und Gebräuchen, an die sich die Menschen angeblich (oder eben tatsächlich) halten.
Buchanans gesamte Argumentation um die Existenz einer funktionstüchtigen „geordneten Anarchie“
in unserer Gesellschaft impliziert ein für den Theoretiker „praktisches“ Menschenbild: Eines, mit dem
man tatsächlich aus dem Naturzustand durch einen Vertrag zu einer freiheitlichen Gesellschaft gelangt, weil die Menschen sich schon vor dem Vertrag als solche akzeptieren und nicht, wie Buchanan
vordergründig argumentiert, erst durch die Zuordnung von Rechten im Verfassungsvertrag als Personen definiert werden.
Ein zentrales Motiv für seine Arbeit ist Buchanans Eindruck, die geordnete Anarchie sei durch die
„Verkünder der Gegenkultur“, die bewusst gegen „gutes Benehmen“ verstoßen gefährdet. Er befürchtet, dass der Staat selbst schuld an der paradoxen Situation ist, dass sich die Menschen zum einen durch den Staat bevormundet fühlen, zum anderen jedoch nach mehr Recht und Ordnung rufen.
Darin ist wohl Buchanans politischer Beweggrund zu sehen, obwohl er einen solchen sicher weit von
sich weisen würde. Buchanan mag die Verkünder der Gegenkultur nicht, hält sie sogar für gefährlich
für die Stabilität des Staatswesens. Aber ist nicht der Ruf nach Stabilität ein Werturteil? Gibt es nicht
Argumente, die Stabilität zum Vorteil der Dynamik, des Fortschritts und Wandels zu beschränken?
Schließlich will Buchanan selbst die durch „Evolution“ entstandenen und seiner Meinung nach durch
weite Auswucherungen in die Sphäre der geordneten Anarchie entarteten staatlichen Institutionen
reformieren.
Dem gegenüber steht sein kompromissloser Individualismus, den Buchanan so weit treibt, dass er
selbst verfassungsvertraglich sanktionierte Sklaverei für legitim hält, sofern seine Maßstäbe von Freiwilligkeit erfüllt werden. Auf der einen Seite stört sich Buchanan also an Hippies, die gegen die von
ihm so definierten guten Sitten verstoßen. Seinen Individuen im Naturzustand möchte er jedoch nicht
einmal so viel Moral und Gefühl für Achtung des Mitmenschen zuschreiben, dass eine Gesellschaft
von Herren und Sklaven ausgeschlossen ist.
Ein Indiz dafür, dass Buchanan nicht nur seine Leser, sondern eher sich selbst mit dieser gänzlich widersprüchlichen Argumentation betrügt, ist folgendes Zitat: „Ein Sklavereivertrag würde – wie die
anderen Verträge auch – individuelle Rechte festlegen, und im Ausmaß seiner gegenseitigen Anerkennung wäre die Gefahr für wechselseitige Vorteile gegeben, wenn als Folge davon die Aufwendungen
für Verteidigung und Eroberung zurückgingen. Eine solche Deutung der Sklaverei als Institution, mag
etwas gezwungen wirken. Sie dient aber ausschließlich dem Zweck, den hier entwickelten Begriffsrahmen so allgemein wie möglich zu halten.“ (Buchanan 1984, 86)
Hier wird deutlich, dass Buchanan unbewusst strikt zwischen seiner reinen Theorie und der Realität
trennt. „Gezwungen“ wirkt an dieser Stelle nichts. Vielmehr ist die Möglichkeit der Sklavengesell14
Axel Nordmann
James Buchanan: Ohne den Mantel des Philosophenkönigs.
schaft nur die logische Folge von Buchanans Argumentation. Dies weigerte sich Buchanan aber offenbar zu sehen und rechtfertigt sich für seine Ausführungen, da er implizit eben doch Annahmen über
die Grundausstattung des Menschen mit moralischen Maßstäben macht.
3. Schlussbemerkungen
James Buchanans Versuch, eine Vertragstheorie ohne jegliche normative Grundlage zu entwickeln
scheint nach allem Gesagten also fehlgeschlagen zu sein. Sie führt nicht nur nicht zu dem von Buchanan angestrebten Ergebnis einer freiheitlichen Gesellschaft, sondern ermöglicht jegliche Ausgestaltung
der Verfassung – einzig und allein abhängig von dem Gleichgewicht, das sich im Naturzustand als
„natürliche Verteilung“ ergibt. Diese Tatsache bringt Buchanan in arge Bedrängnis: Schließlich hat er
seine Theorie mit dem Ziel vorgestellt, einen Maßstab für eine dem Individualismus dienende Reform
bestehender staatlicher Institutionen zu liefern.
Tatsächlich zerstört sich Buchanan aber den Hebel, mit dem er eine grundlegende Reform in Gang
bringen will, weil ja durch seine Theorie jede Ausgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse gerechtfertig wird. Schließlich muss man nach Buchanans Argumentation die heutigen Verhältnisse –
egal wie unangenehm sie erscheinen – als mögliches Ergebnis der einstigen Verhandlungen zum Gesellschaftsvertrag anerkennen, zumindest wenn sie nach seinen Vorstellungen abgelaufen waren.2
Buchanan scheitert an seinem – auf den ersten Blick sympathischen – Versuch, eine Theorie ohne
normatives Fundament zu bauen. Dies mag daran liegen, dass es nicht möglich ist, ein schlüssiges
vertragstheoretisches Argument zu konstruieren, das unseren moralischen Ansprüchen (wahrscheinlich
auch denen des zitierten Durchschnittsamerikaners) genügt. Implizit scheint Buchanan dies auch einzugestehen, damit kann sich der kritische Leser aber keinesfalls zufrieden geben. Wenn es schon nicht
möglich zu sein scheint, ein rein positives Vertragsargument zu entwickeln, das sich nicht gegen seinen Erschaffer wendet, dann unterscheidet sich ein „guter Theoretiker“ von einem „schlechten“
durch die Ausdrücklichkeit, mit der auf die eingeführten Werturteile hingewiesen wird. Außerdem ist
entscheidend für die Bewertung, wie groß der Überzeugungsgehalt der Begründung der eingeführten
Prämissen ist.3
So gesehen fällt Buchanan also weit hinter andere Vertragstheoretiker zurück, weil er sich und dem
Leser nicht eingesteht, von persönlichen Meinungen und politischem Kalkül getrieben zu sein. Sein
zentrales Werturteil ist übrigens, dass Wissenschaftler ohne Werturteile auskommen sollen. Das Scheitern dieses Ansatzes hat Buchanan selbst in „The limits of liberty“ bewiesen. Ohne den Mantel des
Philosophenkönigs steht Buchanans Theorie ziemlich nackt da.
2
vgl. Koller 1984, 203
3
vgl. Zintl 1986, 125
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4. Literatur
Buchanan, James M. 1975. The limits of liberty: between anarchy and Leviathan. The University of
Chicago Press. Chicago
Buchanan, James M. 1984. Die Grenzen der Freiheit: zwischen Anarchie und Leviathan. Mohr. Tübingen
Euchner, Walter. 1987. Locke. In: Maier, Hans. Klassiker des politischen Denkens. Band 2: Von Locke
bis Max Weber. 5. völlig überarbeitete und um einen Beitrag erweiterte Auflage. Beck. München
Koller, Peter. 1984. J.M. Buchanans Versuch einer ökonomischen Begründung rechtlicher Institutionen. In: Mayer-Maly, Dorothea; Weinberger, Ota; Strasser, Michaela (Hrsg.). Recht als Sinn
und Institution. Rechtstheorie, Zeitschrift für Logik. Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts. Beiheft 6. Duncker & Humblodt. Berlin
Maier, Hans. 1986. Hobbes. In: Maier, Hans. Klassiker des politischen Denkens. Band 1: Von Plato bis
Hobbes. 6. überarbeitete und erweiterte Auflage. Beck. München
Oberndörfer, Dieter; Rosenzweig, Beate (Hrsg.). 2000. Klassische Staatsphilosophie: Texte und Einführungen von Platon bis Rousseau. Beck. München
Petersen, Thomas. 1996. Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille: Buchanans politische Ökonomie
und politische Philosophie. Mohr. Tübingen
Zintl, Reinhard. 1986. Vertrag ohne Voraussetzungen: James Buchanan. In: Kern, Lucian; Müller,
Hans-Peter (Hrsg.). Gerechtigkeit, Diskurs oder Markt? Die neuen Ansätze in der Vertragstheorie. Westdeutscher Verlag. Opladen
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